Das Cajütenbuch - Charles Sealsfield - E-Book

Das Cajütenbuch E-Book

Charles Sealsfield

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Beschreibung

Amerika in seiner Entstehung ist das Element, das Sealsfield zum Schreiben anregt. Die Geschehnisse sind zum grössten Teil historisch, in Sealsfields romanhaftem Stil erzählt. Ein Geschichtsbuch, das weder trocken noch staubig, Einblick gibt in die Entstehung eines faszinierenden Staates. "Zwar wünschen wir die Erwartung des Lesers keinerdings zu hoch zu spannen; aber soviel dürfen wir doch getrost sagen, daß, obwohl dieses Buch keine Prätention auf eigentlich geschichtlichen Wert erhebt, der Tieferblickende doch bald finden dürfte, wie der dichterischen Hülle etwas sehr wesentlich Geschichtliches zugrunde liege."

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Charles Sealsfield

Das Cajütenbuch

oder Nationale Charakteristiken

Hon. Joel R. Poinsett abgetretenem Kriegsminister der Vereinigten Staaten von Amerika sind diese Bände achtungsvoll gewidmet von dem Verfasser.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Charles Sealsfield: Das Kajütenbuch

Charles Sealsfield

 

Das Kajütenbuch

oder

Nationale Charakteristiken

 

 

 

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Vorrede zur ersten Auflage

Schreiben des Herausgebersan den Herrn Verleger

Es würde mir freilich angenehmer gewesen sein, Ihnen, statt dieses neuen Werkes, die Fortsetzung und den Schluß der ›Wahlverwandtschaften‹ zumitteln zu können; da diese jedoch nicht gekommen, so müssen wir uns wohl mit dem, was uns gekommen – und der Hoffnung trösten, daß jene nicht sehr lange auf sich warten lassen werden.

Die Muse des Unbekannten, wie man ihn nun allgemein zu nennen beliebt, scheint überhaupt Abwechselung und Zwanglosigkeit zu lieben; denn wie Sie sich erinnern werden, so wurden auch die ersten zwei Bände der Lebensbilder, die unter dem Titel ›Transatlantische Reiseskizzen‹ erschienen, durch die drei Bände des ›Virey‹ und zwei Bände ›Lebensbilder aus beiden Hemisphären‹ unterbrochen, und erst dann kamen Fortsetzung und Schluß der ›Transatlantischen Reiseskizzen‹ mit dem dritten Bande der ›Lebensbilder‹ (Ralph Dougby), dem vierten und fünften (Pflanzerleben und die Farbigen) und dem sechsten (Nathan). –

Laune oder Caprice ist es jedoch schwerlich, was diese Sprünge veranlaßt, und wenn es eine der beiden wäre, so dürfte es Laune der Muse sein, die aber regeln zu wollen sehr undankbare Mühe wäre. – Sachverständige werden mich leicht begreifen. Im gegenwärtigen Falle scheint mir jedoch weder Laune noch Caprice diese Unterbrechung veranlaßt zu haben, eher die sehr dankenswerte Absicht, das deutsche Publikum auf einen bedeutsam geschichtlichen Moment in dem Entwicklungsgange der nordamerikanischen Staaten aufmerksam zu machen.

Sie erinnern sich, daß der Verfasser es sich – zwar nicht zur Aufgabe gemacht hat – Aufgaben dieser Art lassen sich nicht setzen, und werden sie gesetzt, werden sie in der Regel schlecht gelöst –, aber doch den Beruf in sich zu fühlen scheint, die Zeitgeschichte und ihre wichtigeren Momente in lebendigen plastischen Bildern der Welt darzustellen. Einen solchen Geschichtsmoment hat er auch in vorliegendem ›Kajütenbuche‹ erfaßt, den Moment der Gründung eines neuen anglo-amerikanischen Staates auf mexikanischem Grund und Boden, den Moment, wo die germanische Rasse sich abermals, auf Unkosten der gemischten romanischen, Bahn gebrochen, die Gründung eines neuen anglo-amerikanischen Staates durchgeführt hat.

Dieser neue Durchbruch oder neugegründete Staat mag vielen nicht sehr wichtig erscheinen, aber vielen, und zwar den Tieferblickenden, wird er es. Sie werden es gewiß dem Verfasser danken, sie auf diesen Moment, der für die künftige Gestaltung Amerikas so bedeutsam erscheint, aufmerksam gemacht zu haben.

Wir sagen, aufmerksam gemacht zu haben, obwohl der eigentliche Geschichtsforscher mehr als bloße Andeutungen oder Winke in diesem Buche finden dürfte. Zwar wünschen wir die Erwartung des Lesers keinerdings zu hoch zu spannen; aber soviel dürfen wir doch getrost sagen, daß, obwohl dieses Buch keine Prätention auf eigentlich geschichtlichen Wert erhebt, der Tieferblickende doch bald finden dürfte, wie der dichterischen Hülle etwas sehr wesentlich Geschichtliches zugrunde liege. –

So wie in den früheren Werken, so scheinen auch in diesem dem Verfasser Quellen zu Gebote gestanden zu sein, die weit mehr Aufschlüsse über die Entstehung des neuen Staates geben, als es bisher erschienene geschichtliche Werke taten. Auch bemerkt er ausdrücklich, daß mehrere Fakta, zum Beispiel das Treffen am Salado, die Belagerung von Bexar, die Entscheidungsschlacht bei Louisburg, dem Staatsarchive zu Washington entnommen worden sowie, daß sämtliche Inzidenz sich auf Tatsachen gründen, etwa mit Ausnahme Kishogues, den er als aus einer fremden Feder geflossen erklärt. Ob diese Feder eine freundlich bekannte, ob Phelim ihr nacherzählt oder sie Phelim, wird nicht angegeben. Wahrscheinlich gefiel ihm die wilde Skizze irländischen Lebens und Sterbens, und er nahm sie auf, um die Gegensätze zwischen amerikanischem und wieder englischem und irischem Nationalcharakter mehr hervorzuheben, so den zweiten Titel ›Nationale Charakteristiken‹ zu rechtfertigen.

Was weiter in dem Buche wahr, was Dichtung sei, darüber läßt er uns im dunkeln, und ich glaube, mit Recht. Zu viel Licht schadet, und ein solches gleichsam Auseinanderlegen der innern Maschinerie eines Werkes mag wohl den Künstler, aber schwerlich das Publikum ansprechen; es ist im Gegenteil peinlich, ein Kunstwerk anatomisch zergliedert zu sehen, ehe man noch einen rechten Blick darauf geworfen hat.

Nach diesen Andeutungen, die Sie gefällig dem Werke vorsetzen wollen, müssen wir das Weitere dem gebildeten deutschen Publikum selbst überlassen; ich glaube mich jedoch kaum zu irren, wenn ich voraussage, daß diese beiden Bände ganz dieselbe günstige Aufnahme finden werden, die ihren früheren Vorgängern auf eine so schmeichelhafte Weise zuteil geworden.

  Den 1. Mai 1841.

Die Prärie am Jacinto

Über den Madeiras und Sherries und Chambertins und Lafittes und den gewonnenen und verlorenen Wetten und Cottonpreisen und Sklavenpreisen und Banksystemen und Subtreasury-Systemen begannen denn doch allmählich die Köpfe heiß zu werden – noch immer aber herrschte ein heiter zuvorkommender, gentlemanischer Ton. Da ließ sich, gerade wie der bardolphsnasige Mayordomo eine frische Ladung Bouteillen aufstellte, vom untern Ende der Tafel herauf eine entschiedene Stimme hören:

»Wir wollen nicht.«

»Ihr wollt nicht?« donnerte es heftig, beinah rauh entgegen.

»Wir wollen nicht«, war die feste Antwort.

Die zwei Stimmen wirkten wie die erste Windbraut vor dem hereinbrechenden Sturme. Alle schauten in der Richtung, wo der Stoß herkam. Es war jedoch nichts zu sehen, die dichten Rauchwolken der Havannas verhüllten Streiter und Zecher.

»Wer ist der Mann?« wisperte es am obern Ende der Tafel.

»Darf ich so frei sein zu fragen, Gentlemen, um was es sich handelt?« fragte ein zweiter.

»Gewiß,« versetzte die entschiedene Stimme, »mein achtbarer Nachbar ist der Ansicht, Texas müsse sich dem Süden anschließen.«

»Das muß es auch«, fielen mehrere ein.

»Daß ich nicht wüßte«, entgegnete im ironischen Tone der Disunionist.

Die Kühnheit, in diesem Tone zu vierundzwanzig oder mehr Grandees, die zusammen leicht ein Heer von fünf- bis sechstausend rüstigen Negern ins Cottonfeld stellen konnten, zu sprechen, schien nicht geringes Befremden zu erregen; die Frage, wer ist der Mann, ließ sich, und zwar sehr mißbilligend, wiederholt vom oberen Ende der Tafel herab hören.

»Und warum soll es nicht?« fragte wieder eine Stimme.

»Ich gebe die Frage zurück, Sir! Warum soll es?«

»Es ist ein integrierender Teil Louisianas.«

»Um Vergebung! Seht den Bericht der Kommissäre bei Abschluß des Ankaufes Louisianas und der Zession Floridas an, und ihr werdet finden, daß Frankreich nie in den Sinn kam, den Rio del Norte anzusprechen, und daß Spanien, bloß um vor euch Ruhe zu haben, eure Ansprüche durch Florida befriedigte. Ihr seid in jeder Hinsicht vollkommen zufriedengestellt.«

»Er ist kein Bürger«, murmelten wieder die einen.

»Wer ist er?« die anderen.

»Ein kecker Bursche auf alle Fälle«, die dritten.

»Und wer«, schrie wieder die heftige Stimme, »und wer – wer hat Texas bevölkert? Wem hat es seine Unabhängigkeit zu verdanken als uns, den südlichen Staaten, seinen Nachbarn?«

»Ah, das ist eine andere Frage, Oberst Oakley, aber ich glaube, Nachbarschaft und Konvenienz entscheiden hier doch nicht allein.«

»Und was entscheidet, General Burnslow?« fielen nun ein Dutzend Stimmen ein, »wer soll entscheiden? Wer? Der Norden? Sollen wir uns vom Norden vorschreiben lassen?«

»Vom alten Weibe Adams?« schrien die einen.

»Oder dem langweiligen Webster?«

»Oder dem pedantisch schulmeisterlichen Everett?«

»Weder von dem einen noch dem andern, sondern vom südländischen Gerechtigkeitssinne, der da sagt: Wir haben kein Recht auf Texas!« sprach der General.

»Ihr seid auf einmal schrecklich gerecht, General Burnslow«, lachten mehrere.

»Trotz dem alten Adams«, fielen andere ein.

»Und ihr ungerecht«, replizierte der General.

»Trotz dem kleinen fliegenden Holländer«, fiel wieder lachend einer seiner Nachbarn ein.

Dieser letztere Hieb, unserer illustren Exzellenz im Weißen Hause dargebracht, fand so allgemeinen Anklang, daß Unionisten und Nicht-Unionisten in ein lautes Gelächter ausbrachen.

In einem viel gemäßigteren Tone rief wieder eine Stimme: »Aber was wollt ihr denn eigentlich mit Texas, Gentlemen? Euch euren Cottonmarkt ganz verderben? Oder glaubt ihr, nach Texas ebensoleicht wie nach Jackson oder dem Indian Purchase hinauf zu siedeln? Ich für meinen Teil gäbe nicht viel darum, wenn das ganze Texas im Pfefferland wäre – verdirbt uns nur den Markt.«

»Wahr, wahr!« bekräftigten mehrere.

»Oder«, nahm ein anderer das Wort, »wollt ihr euch eine neue Rotte von Exilierten, Spielern, Mördern und heillosem Gesindel auf den Hals laden, nachdem ihr kaum mit der alten fertig geworden? Wieder neue Vixburgh-Auftritte haben?«

»Hist, hist, Oberst Cracker!« mahnten mehrere.

Der Oberst hörte jedoch nicht.

»Käme uns das gerade recht – brauchten das Völkchen, ist ja nichts als Gesindel.«

»Hist, hist!« warnte es abermals, und dann ließ sich ein mißbilligendes Gemurmel hören, worauf eine etwas unheimliche Stille eintrat.

Diese Stille wurde auf einmal durch die sehr artig, aber auch sehr bestimmt und fest ausgesprochenen Worte unterbrochen:

»Oberst Cracker, wollt Ihr so gut sein, Eure Ausdrücke, die Ihr in Verbindung mit Texas zu bringen beliebt, zu qualifizieren?«

Jetzt wurde die ganze Gesellschaft sehr ernst, die Zigarren verschwanden, und beim Lichte der achtzehn Wachskerzen, die auf den silbernen Armleuchtern brannten, wurde ein junger Mann sichtbar, der langsam vor den letzten Sprecher getreten.

Der erste Anblick verriet den Gentleman. Nicht groß, nicht klein, hatten seine Formen jenes Gefällige, Gedrungene, das den Mann verrät, der seine Gemüts- sowohl als körperlichen Bewegungen vollkommen zu beherrschen weiß.

Unwillkürlich richtete sich der lässig im Fauteuil hingestreckte Oberst Cracker auf, den Sprecher vom Kopf zu den Füßen messend.

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«

»Oberst Morse von Texas.«

»Oberst Morse von Texas?« riefen ein Dutzend Stimmen – »Oberst Morse von Texas?«

»Oberst Morse von Texas?« wiederholte, langsam sich erhebend, Oberst Cracker.

»Derselbe, der zuerst bei Fort Velasco?« rief der General.

»Und dann bei San Antonio?« Oberst Oakley.

»Und dann in der letzten Entscheidungsschlacht?«

»Derselbe«, versetzte der junge Mann.

»Ah, das ist etwas ganz anderes«, lachte nun Oberst Cracker. »Mit Vergnügen qualifiziere ich zu Euren Gunsten, Oberst Morse, Ihr seid ein Gentleman, ein geborner Gentleman.«

»Danke«, versetzte dieser trocken, »doch muß ich Euch bitten, Eure Güte auch auf die hundertundzwölf, die bei Fort Velasco, sowie auf die zweihundert, die in der Affäre von San Antonio, und auf die fünfhundert, die vor dem Fort Goliad, sowie auf die fünfhundertundfünfzig, die in der letzten Entscheidungsschlacht gefochten, auszudehnen, mit einem Worte, zu ihren Gunsten eine Ausnahme zu machen.«

»Auch das«, sprach, sich die Lippen beißend, der Oberst.

»Jetzt sind wir zufrieden«, versetzte lächelnd der texanische Oberst, »und als Gegenkompliment will ich Euch das Vergnügen gewähren, Euch zu gestehen, ja auf Ehre zu versichern, daß wir wirklich viel Gesindel in Texas haben.«

»Bravo, bravo, Oberst!« riefen alle.

»Gesindel in Hülle und Fülle«, versicherte der Oberst.

»Aber wißt Ihr, Oberst«, nahm lachend Oberst Oakley das Wort, »daß Ihr für einen Texaner da mehr zugebt, als meines Erachtens nötig ist, gar zu –«

»aufrichtig seid, wollt Ihr sagen, Oberst Oakley«, fiel der junge Mann ein, »und aufrichtig sage ich Euch, daß wir Gesindel in Hülle und Fülle haben, Abenteurer aller Art, Exilierte, Spieler, Mörder, und doch nicht zu viele.«

»Den Teufel auch!« lachten wieder alle.

»Nicht zu viele, versichere Euch auf Ehre! Und daß uns dieses Gesindel sehr gut zustatten kam, vielleicht besser zustatten kam, als uns Eure ruhigen, friedlichen, respektablen Bürger zustatten gekommen wären.«

»Alle Teufel!« lachten wieder alle.

»Eure Worte in Ehren, Oberst Morse«, sprach Oakley, »aber Ihr gefallt Euch, wenn nicht in Paradoxen, doch in Rätseln.«

»Wirklich in Rätseln«, fiel der General in einem Tone ein, der offenbar den Wunsch verriet, der Unterhaltung eine weniger pikante oder, was hier dasselbe war, gefährliche Wendung zu geben. »Aufrichtig gesagt«, fuhr er fort, »sollten wir auf unsern lieben Gastgeber ein bißchen ungehalten sein, daß er uns einen so werten Besuch nicht aufgeführt, aber unser Freund, Kapitän Murky, ist überhaupt so schweigsam.«

»Ich kam, als Ihr bereits bei der Tafel saßet, General, und dies –«

»entschuldigt hinlänglich«, fiel der General ein. »Aber wie kamt Ihr, der Sohn einer unserer besten Maryland-Familien, nach Texas? Ich hörte etwas von einem Morse, aber erst vor kurzer Zeit wurde mir die Gewißheit. – Wie kamt Ihr nach Texas? Sollte doch glauben, der Sohn Judge Morses dürfte auch in den Staaten –«

»ein Plätzchen gefunden haben, um da seinen Herd aufzuschlagen, nicht wahr, General?«

»So sollte ich«, versetzte dieser.

»Ja, wie kamet Ihr nach Texas, Oberst?« riefen alle. Die Frage war, die Wahrheit zu gestehen, eine für Texas nicht sehr schmeichelhafte, aber sie war in einem so freundlich teilnehmenden Tone, so ganz ohne alle second thoughts gestellt, die Fragenden, Männer von so bedeutendem Gewichte – der Oberst, nachdem er den ihm von dem Mayordomo gestellten Sessel genommen, nippte mit einer Rundverbeugung an dem frisch gefüllten Glase:

»Wie ich nach Texas kam?« wiederholte er ernster.

»Ja, wie kamet Ihr nach Texas, Oberst?«

 

1

»Bah! Kam – oder ging vielmehr, in Gesellschaft eines Freundes, und gewissermaßen endossiert von einer Kompanie unserer aufgeklärten New Yorker item Yankees, die damals gerade ihren unternehmenden Spekulationsgeist auf Texas gerichtet – mit andern Worten, hatte ich das Glück oder Unglück, wie Sie es nennen wollen, einen sogenannten Texas-Land-Scrip zu besitzen, das heißt, ein Zertifikat, ausgestellt von der Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie, männiglich kund und zu wissen tuend, daß Mister Edward Morse, das ist, unsere werte Person, eine runde Summe von tausend Dollar in die Hände der Cashiers besagter Kompanie niedergelegt, für welche Niederlage er, bemeldter Edward Morse, berechtigt sein sollte, sich innerhalb des Gebietes obbesagter Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie eine Strecke von nicht mehr noch weniger denn zehntausend Acker Landes herauszulesen, sie eigentümlich in Besitz zu nehmen, sich darauf niederzulassen, kurz, alle und jede Befugnisse eines Eigentümers auszuüben oder ausüben zu lassen, bloß unter der einzigen Bedingung, daß bei der Auswahl seiner zehntausend Acker er nicht frühern Rechten oder Besitztiteln in den Weg trete.«

»Recht gut!« ermunterten ihn ein Dutzend Stimmen.

»Weiter, weiter!«

»Zehntausend Acker im schönsten Lande der Erde und unter einem Himmel«, fuhr der Oberst fort, »gegen den unser maryländischer eine Hölle sein sollte, war allerdings ein viel zu lockender Köder, um nicht zu einer Zeit angebissen zu werden, wo, wie jeder sich zu erinnern wissen wird, das Anbeißen bei uns halb Mode und ganz Epidemie war und unsere freien und erleuchteten Mitbürger ebenso zuversichtlich in den Millionen Acker von Texas als den hunderttausend Städten Ohios, Indianas, Illinois' und Michigans, den zehntausend Eisenbahnen und zwanzigtausend Banken spekulierten; ein Spekulationsfieber, das erst einige Jahre darauf für die nächstkommenden zehn oder fünfzehn, wollen wir hoffen, kuriert wurde. Ich hatte, wie zu erwarten stand, angebissen und infolge dieses Anbeißens mich mit einem Freunde, der eine gleiche Anzahl Acker auf dem Papiere besaß, und einem Teil meiner Garderobe nach dem vielbelobten Lande eingeschifft; jedenfalls willens, meinen Anteil herauszuschneiden, vorläufig davon Besitz zu nehmen; gefiele mir das Land nicht, ihn zu versilbern, gefiele es mir aber, nach Maryland zurückzukehren, meine fahrende Habe und was in solchen Fällen notwendig ist, mitzunehmen und dann allen Ernstes da meinen Herd aufzuschlagen.

Wir gingen in Baltimore an Bord des schnellsegelnden Schoners ›The Catcher‹ und kamen nach einer dreiwöchigen Fahrt glücklich in Galveston-Bai an.

Die Küsten von Galveston-Bai, in die der Rio de Brazos einmündet, sind nicht so grausenerregend zu schauen wie die Louisianas und der Mündungen des Mississippi, aber aus dem ganz einfachen Grunde, weil sie eben nicht zu schauen sind. Man sieht weder Mündung noch Land. Eine Insel dehnt sich etwa sechzig Meilen vor diesem wie eine ungeheure flachgedrückte Eidechse hin – sie wird Galveston-Insel genannt –, hat aber weder Hügel noch Tal, weder Haus noch Hof, nicht einmal einen Baum, mit Ausnahme dreier verkrüppelter Auswüchse am westlichen Ende, die aber bei der gänzlichen Flachheit des Bodens doch weit hinaus sichtbar sind. In der Tat würde ohne diese drei Zwergbäume das Auffinden der Mündung eine schwere Aufgabe sein. Die erfahrensten Seeleute geraten hier in nicht geringe Verlegenheit; denn da das Land nur linienweise aus dem Meere gleichsam herausschwillt, verschwindet es auch wieder hinter jeder noch so leichten Welle, ja das wogende Grün der Gräser ähnelt den Wellen des gleichfalls grünen Küstenwassers so täuschend, daß wirklich ein scharfes Auge dazu gehört, die einen von den anderen zu unterscheiden, und wir, wie gesagt, es bloß den erwähnten Zwergbäumen zu verdanken hatten, daß wir unsern Weg der Mündung zu fanden. Wir hielten uns ganz an sie, etwa zehn Meilen längs der Insel hinfahrend, bis uns ein Pilot entgegenkam, der dann die Leitung des Schoners übernahm. Doch kamen wir nicht so leicht über die Sandbänke, mehrmals streiften wir, zweimal saßen wir ganz fest, und nur mit der vereinigten Hilfe unserer dreißig, oder besser zu sagen, sechzig Hände gelangten wir endlich in die Mündung des Flusses. Ich mit meinem Freunde und zwei Mitpassagieren war, nachdem wir den Schoner über die letzte gefährliche Sandbank bugsieren geholfen, im Boote vorausgegangen, auch bereits dem Lande nahe, als das Boot in der Brandung umschlug und uns sämtlich in den Wellen begrub. Glücklicherweise war das Wasser nicht mehr tief, sonst hätte uns unsere Ungeduld teuer zu stehen kommen können; so kamen wir mit einem tüchtigen Bade und einem Erbsenwasserrausche davon.«

»Feuchtet an, Oberst Morse!« unterbrach ihn hier der rotnasige Mayordomo, »feuchtet an!«

Der Oberst befolgte lächelnd den Rat und fuhr dann fort:

»Ans Land gekrochen, waren wir bereits eine geraume Weile gestanden, aber uns allen war es, als ob wir noch immer auf offener See fuhren. Das Land hatte so gar nichts Landähnliches. In unserm Leben hatten wir keine solche Küste gesehen. Es war aber auch keine Küste, kein Land zu sehen, wenigstens war es uns nicht möglich, die eine und das andere von der See zu unterscheiden. Einzig der Wogenschaum, der, sich an den Gräsern absetzend, in einem endlosen Streifen vor unsern Augen hinzog, deutete auf etwas wie eine Grenzscheide.

Denken Sie sich eine unübersehbare, hundert oder mehr Meilen vor Ihren Augen hinlaufende Ebene, diese Ebene ohne auch nur die mindeste Erhöhung oder Senkung mit den zartesten, feinsten Gräsern überwachsen – von jedem Hauche der Seebrise gefächelt – in Wellen rollend – durch nichts unterbrochen – weder Baum noch Hügel, Haus noch Hof –, und Sie werden sich eine schwache Vorstellung von der seltsamen Erscheinung dieses Landes bilden können.

Etwa zehn bis zwölf Meilen gegen Norden und Nordwesten tauchten freilich einige dunkle Massen auf, die, wie wir später erfuhren, Baumgruppen waren, aber unsern Augen erschienen sie als Inseln. Auch heißen diese Baumgruppen, deren es unzählige in den Präries von Texas gibt, wirklich, charakteristisch genug, Inseln, und sie gleichen ihnen auch auf ein Haar.«

»Seltsames Land das!« bemerkte spöttisch Colonel Cracker.

»Ein rückwärts hinter einer schmalen Landzunge stehendes Blockhaus, von dem die Flagge der mexikanischen Republik stolz herabwehte, überzeugte uns endlich, daß wir denn doch auf festem Lande waren«, fuhr der Erzähler, ohne den Spötter zu beachten, fort.

»Dieses Blockhaus, damals das einzige Gebäude, das den Hafen von Galveston zierte oder verunzierte, hatte, wie Sie leicht denken mögen, der Bestimmungen viele. Es war Hauptzollamt, Sitz des Douanen-Direktors, des Zivil- und Militärintendanten und Kommandanten, Garnison der da stationierten Kompanie mexikanischer Truppen, Hauptquartier ihres Chefs, des Kapitäns, und schließlich Gasthof, Wein- und Rumschenke. Neben dem Zerrbilde, das den mexikanischen Adler vorstellen sollte, prangte eine Rumflasche, und die Flagge der Republik wallte schützend über Brandy, Whisky und ›Accommodation for man and beast‹ herab. Vor dem Blockhause biwakierte die gesamte Garnison, eine Kompanie, aus zwölf zwergartigen, spindelbeinigen Kerlchen bestehend, die ich mir mit meiner Reitpeitsche alle davonzujagen getraut hätte, keiner größer als unsere zwölf- oder vierzehnjährigen Buben und bei weitem nicht so stark, aber alle mit furchtbaren Backen- und Knebel- und Zwickel- und allen Arten von Bärten, auch greulichen Runzeln. Sie hockten um ein altes Brett herum, auf dem sie so eifrig Karte spielten, daß sie sich kaum die Zeit nahmen, uns zu besehen. Doch kam ihr Chef uns freundlich aus dem Hause entgegen.

Kapitän Cotton, früher Herausgeber der Mexican Gazette, jetzt Zivil- und Militärintendant des Hafens von Galveston, Douanen-Direktor, Hafeninspektor, auch Gast- und Schenkwirt und unser Landsmann obendrein, schien sich, zur Ehre seines gesunden Menschenverstandes sei es bemerkt, weit mehr auf seine vortrefflichen spanischen und französischen Weine, die er denn freilich zollfrei einlagerte, als auf seine vielen Ehrenstellen, deren er mehr hatte als Soldaten, einzubilden. Erbärmlichere Soldaten habe ich aber auch alle Tage meines Lebens nicht gesehen als diese ausgedorrten Zwerge; sie kamen mir ordentlich wie Kobolde oder Spukmännchen vor, die irgendein alter Zauberer hieher versetzt. Wir konnten uns an ihnen nicht sattsehen, und je länger wir sie anschauten, desto wunderlicher kamen sie uns vor, ja ordentlich unheimlich wurden sie uns, und mit ihnen das ganze Land, das uns wie eine endlose Billardtafel erschien. Es ist aber auch eine ganz eigentümliche Empfindung, nach einer dreiwöchigen Seefahrt in einen Hafen einzulaufen, der kein Hafen ist, und ein Land, das halb und halb auch kein Land ist. Noch immer schien es uns, als müßte es jeden Augenblick unter unsern Füßen wegschwellen. Unsere Mitpassagiere, deren mehrere nun gleichfalls ausgestiegen, starrten geradeso verblüfft und verwirrt wie wir und eilten mit einer Hast dem Blockhause zu, die offenbar verriet, daß sie von gleicher Angst getrieben wurden. Als wir uns im Blockhaus umschauten, deuchte uns die unermeßliche, unübersehbare Wiesen- und Wasserwelt ein einziges Ganzes, aus dem unser Blockhaus wie eine Felseninsel emporstarrte. Wirklich fühlten wir uns erleichtert, als wir uns wieder an Bord unsers Schoners befanden.

Die dreißig Meilen von der Mündung des Brazos hinauf nach Brazoria zu fahren, nahm uns drei volle Tage. Am ersten dieser drei Tage fuhren wir durch eine immerwährende Wiese, am zweiten rückten wir den Inseln näher; die Wiese wurde zum Parke, rechts und links tauchten in meilenweiter Entfernung die prachtvollsten Baumgruppen auf, aber keine Spur menschlichen Daseins in diesem herrlichen Parke – ein unermeßlicher Ozean von Gräsern und Inseln.

Es ergreift aber ein solcher Ozean von Gräsern und Inseln das Gemüt des Neulings noch weit mehr als der Ozean der Wässer. Wir sahen dies an unsern Reisekompagnons, Landjägern so wie wir, nur daß sie nicht überflüssig mit dem circulating medium gesegnet, auch ohne Scrips kamen; übrigens nichts weniger als empfindsame Yorick-Reisende, im Gegenteil meistens wilde Bursche, die es während der drei Wochen oft toll genug getrieben. Hier wurden sie jedoch alle ohne Ausnahme nüchtern, ja ernst und gesetzt. Die wildesten, und ein paar waren wirklich so wild-rohe Bursche, als je auf Abenteuer ausgingen, wurden stumm, ließen keine der rohen, schmutzigen und selbst gotteslästerlichen Zoten hören, die uns zur See so oft mit Ekel erfüllen. Sie betrugen sich wie Leute, die zur Kirche gehend soeben in den Tempel des Herrn eintreten. Ein feierlich solenner Ausdruck in aller Mienen. Aber wir hatten auch gewissermaßen die Vorhalle des Tempels des Herrn betreten, denn einem wahren Tempel glich die grandiose Natur um uns herum. Alles so still, feierlich und majestätisch! Wald und Flur, Wiesen und Gräser, so rein, so frisch, gerade als wären sie soeben aus der Hand des ewigen Werkmeisters hervorgegangen. Keine Spur der sündigen Menschenhand, die unbefleckte, reine Gotteswelt!

Fünfzehn Meilen oberhalb der Mündung des Rio Brazos fuhren wir in den ersten Wald ein. Sykomores, später Pecans wölbten sich zu beiden Seiten über den Fluß herüber, und den Genuß zu erhöhen, erschienen auch ein Rudel Hirsche und eine starke Flucht von Welschhühnern; beide aber bereits ziemlich scheu, brachen, kaum daß sie uns erblickten, auch aus. Der Boden des Landes war jedoch, wie Sie leicht ermessen können, unser Hauptaugenmerk. An der Küste hatten wir ihn leicht sandig gefunden, mit einer sehr dünnen Kruste fruchtbarer Dammerde, aber ohne alle Anzeichen von Sumpf oder Schlamm; weiter hinauf wurde die Schicht der fruchtbaren Dammerde dicker, sie lagerte von einem bis vier, acht, zwölf, endlich fünfzehn, und bei Brazoria zwanzig Fuß über der Sand- und Lehmunterlage. Noch hatten wir nichts, was einem Hügel oder Steine ähnelte, gesehen, und in der Tat dürfte es schwer werden, hundert Meilen weit und breit einen Stein, auch nur so groß wie ein Taubenei, zu entdecken. Dafür fehlte es jedoch nicht an Holz, um Häuser zu bauen und Einfriedigungen zu stellen, und dies beruhigte uns wieder. Unsere Hoffnungen wuchsen mit jeder Meile.«

»Das muß das Land sein, wo die Hufnägel, zur Erde geworfen, über Nacht zu Hufeisen werden«, bemerkte lachend Oberst Cracker.

Der Oberst fuhr fort:

»In Brazoria angekommen, erlitten sie jedoch wieder einen harten Stoß.

Brazoria, etwa dreißig Meilen oberhalb der Einmündung des Rio Brazos in die Bai, war zur Zeit unserer Ankunft, das heißt im Jahre 1832, eine bedeutende Stadt – für Texas nämlich, indem sie über dreißig Häuser, darunter drei backsteinerne, drei Frame- oder Fach-, die andern Blockhäuser, enthielt, alle zum Sprechen amerikanisch, auch die Gassen ganz in unserer beliebten Manier schnurgerade und in rechten Winkeln sich durchschneidend, das Ganze bloß mit der einzigen Unbequemlichkeit, daß es zur Flut- und Frühlingszeit unter Wasser gesetzt wurde. Dieses Ungemach wurde jedoch von den guten Brazorianern bei der unerschöpflichen Fruchtbarkeit des Bodens nur wenig beachtet. Obwohl noch in den ersten Tagen des Märzmonats, fanden wir doch bereits frische Kartoffeln oder vielmehr Pataten, denn der Boden von Texas hat das Eigentümliche, daß er gepflanzte Kartoffeln bei der ersten Ernte halb, bei der zweiten aber ganz süß, also als Pataten, wiedergibt; ferner grüne Bohnen, Erbsen und die deliziösesten Artischocken, die je einen Feinschmeckergaumen entzückten. Etwas aber fanden wir, das mir und meinem Freunde weniger gefiel, und dies war die Entdeckung, daß unsere Scrips sich nicht ganz als die Sicherheitsanker erwiesen, die unsere Lebensarche im Texashafen festzuhalten versprachen. Wir hörten Zweifel, die nach der Ankunft William Austins, des Sohnes des Obersten Austin, zur fatalen Gewißheit wurden. Er gab uns die Akten des mexikanischen Kongresses zu lesen, die uns nur zu klar überzeugten, daß unsere Scrips nicht mehr wert waren als jedes andere beschriebene Papier.«

Die Zuhörer wurden immer aufmerksamer. Der Oberst fuhr fort:

»Der Kongreß von Mexiko hatte nämlich im Jahre 1824 zur Aufmunterung fremder Einwanderer und als Norm der verschiedenen, von den einzelnen Staaten zu erlassenden Gesetze einen Akt passiert, dessen Tendenz dahin ging, die Einwanderung vorzüglich in Texas zu begünstigen. Dem Kolonisationsplane zufolge waren Kontraktoren oder, wie sie in der Landessprache genannt wurden, Empressarios engagiert worden, die sich verbindlich machen mußten, binnen einer gewissen Zeit eine gewisse Anzahl von Ausländern auf ihre Kosten und ohne dem Staate im geringsten zur Last zu fallen, ins Land zu importieren. Wenn importiert, hatte sich die Regierung anheischig gemacht, diesen Eingewanderten zu je hundert Familien fünf Quadratstunden Landes anzuweisen und hierüber die Besitztitel auszustellen, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß diese Einwanderer Bekenner der sogenannten alleinseligmachenden katholischen Kirche seien, weshalb auch die Ländereien erst angewiesen sowie die Besitztitel ausgestellt werden sollten, nachdem sie sich über dieses ihr alleinseligmachendes Glaubensbekenntnis hinreichend ausgewiesen haben würden. Für ihre Mühe sollten die Empressarios, wie sie genannt wurden, die aber eigentlich Brokers oder Makler waren, mit besondern Ländereischenkungen bedacht werden.

 

Von dieser sauberen Bedingung nun hatten uns unsere New-Yorker Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompagnons und ehrsam wohlgebornen Yankees wohlweislich kein Wort gesagt, uns unsere zehntausend Acker in fee simple verkaufend, als ihnen von der mexikanischen Regierung bloß unter der einzigen Bedingung zur Disposition überlassen, das Land binnen Jahresfrist mit Auswanderern zu besetzen. So lauteten ihre mündlichen und schriftlichen Versicherungen, so lauteten auch die Scrips, und wir, diesen trauend, waren so auf die wilde Länderjagd ausgezogen. Klar war sonach, daß wir mit unseren Scrips geprellt waren, ebenso klar, daß die mexikanische fromm-katholische Regierung mit uns ketzerisch verdammten Yankees nichts zu tun haben wollte. Aber zugleich ging aus dieser doppelten Klarheit eine dritte nicht weniger deutlich hervor, diese nämlich, daß diese fromme katholische mexikanische Regierung uns oder vielmehr unserer Union einen Streich zu spielen gedachte, einen Streich, der langsam, aber gefährlich wirken konnte, den jeder wahre Amerikaner nach Kräften von seinem Lande der Union abzuwenden nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet war.«

»Bravo, Oberst!« riefen die einen, »gesprochen wie ein wahrer Amerikaner!« die andern.

»Offenbar«, fuhr dieser fort, »hatte die Regierung von Mexiko bei ihrem Kolonisationsplane von Texas weiter aussehende Pläne, die nicht aus mexikanischen, sondern gefährlichern Köpfen entsprungen waren – es steckten römische Glatzköpfe dahinter. Texas sollte nicht bloß eine Art Außenwerk für das politische Unionsgebäude der Staaten Mexikos, es sollte gegen die ketzerische Union ein Vorwerk, mit seiner Mischlingsbevölkerung für die katholische Religion überhaupt eine Art fliegenden Korps werden, das nötigenfalls offensiv gegen uns auftreten und Verwirrung in unsere friedlich-religiösen Zustände bringen sollte. Die römische Kurie hatte sich damals sehr merkbar viel mit uns und unserer Union zu schaffen gemacht. Die Tätigkeit ihrer Emissäre und Priester war außerordentlich, ihre frommen Machinationen und Intrigen allenthalben zu spüren. Auf mehreren Punkten im Norden, selbst im Staate New York, hatten sich Klöster und Seminare erhoben, und das so schnell und offenbar mit so gewaltigen Mitteln, als Befremden und Staunen erregte. Niemand wußte, woher diese Geldmittel kamen. Das amerikanische Volk, mit dem sichern Takte, der es stets leitet, brannte diese Treibhäuser der krassesten geistigen Knechtschaft zwar weg, aber obwohl das Ungeziefer uns nun im Norden in Ruhe ließ, wurde es dafür im Süden desto lästiger. In Louisiana, in den südwestlichen Staaten war es allenthalben sichtbar, und es blieb kein Zweifel übrig, daß Texas in dem kombinierten Plane eine Rolle zu spielen bestimmt war. Zwar kümmerten uns eigentlich diese schwarzen Kombinationen nur wenig, aber unsere neuen Texasfreunde, worunter einige sehr hellsehende Männer, hatten viel von diesem Priestergeschmeiße auszustehen gehabt, und sie verfehlten nicht, uns die Sache aus einem Gesichtspunkte darzustellen, der bald ebenso unsern Stolz als Patriotismus aufstachelte. Durften wir als Bürger der freiesten, der erleuchtetsten, der größten herrschenden Nation Amerikas zugeben, daß eine nachbarliche Regierung, die uns eigentlich ihre Existenz verdankte und die ein paar unserer Bataillone wieder stürzen konnten, uns Gesetze diktiere, vorschreibe, was wir zu glauben und nicht zu glauben? Mußten wir nicht alles aufbieten, diesen knechtenden Gesetzen, durch eine heimtückisch fremde Politik hervorgerufen, entgegenzuarbeiten, den Streich, der uns gespielt worden, auf die Häupter derer, von denen er ausgegangen, zurückfallen zu machen? Die Frage hatte nur eine Antwort, und diese Antwort gegeben, war auch unser Entschluß gefaßt. Wir wollten bleiben – quand même. Jetzt waren wir ordentlich froh, daß unsere vielerwähnte löbliche Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie uns den Possen mit den Scrips gespielt, ja wir entschuldigten sie, wohl begreifend, daß sie eben bei dieser ihrer Schelmerei einen uns und unserem Lande wohlgemeinten second thought, eine arrière pensée im Hintergrunde bargen. Hätte sich nämlich die gute Kompanie als Empressarios der mexikanischen Regierung angekündigt mit keiner andern Vollmacht, als die ihnen die oberwähnte Kongreßakte gegeben, kein amerikanischer Neger, viel weniger Bürger hätte sich beifallen lassen, Texas auch nur mit einem Fuße zu betreten; denn welchem vernünftigen Menschen könnte es einfallen, katholisch zu werden, sich unter ein Joch zu beugen, das Geist und Leib gleich fesselt, gleich tötet? Das wohl einsehend, drückten unsere New Yorker just ihr Gewissen, wie wir zu sagen pflegen, ein bißchen flach dahin, daß sie uns auf die texasischen Äcker, auf die sie übrigens ebensoviel Recht hatten als der fromme Papst mit seiner Kardinalskompanie auf die weiland mexikanischen peruvianischen Königreiche – ihre Anweisungen gaben, wohl wissend, daß, einmal im Land, wir nicht so leicht wieder herauszubringen, unsere Besitztitel schon rechtskräftig zu machen wissen würden. Diese echt yankeeische Politik, die uns bloß mit einem leichten Gewissensrucke zu unerschöpflich reichen Äckern, Uncle Sam aber zu ein paar neuen Gliedern seiner sechsundzwanzig-, damals noch vierundzwanziggliedrigen Familie verhelfen sollte, versöhnte uns nicht nur mit unserer einigermaßen spitzbübischen Galveston-Bai- und Texas-Land-Kompanie, sie ließ uns auch in der Aussicht auf kommende Abenteuer unsere tausend Dollar leicht verschmerzen. Wir gaben unsere zweimal zehntausend Acker um so weniger verloren, als unsere neuen Freunde, alle Landsleute, uns lachend versicherten, daß sie ja auch nicht katholisch geworden und, beiläufig gesagt, geradesoviel Lust verspürten, Katholiken als Neger zu werden, sich auch darüber kein graues Haar wachsen ließen und daß Tausende unserer Landsleute auf diese Weise bereits von unsern Boston-, New York-, Philadelphia-, Baltimore- und New-Orleaner Texas-Land-Kompanien ins Land spediert, auch da ihren Herd aufgeschlagen, ohne sich je davon träumen zu lassen, ihre Sünden Ohren, die sie nichts angingen, zuzuraunen. Käme Zeit, käme Rat – wir hätten nichts Besseres zu tun, als Mustangs zu kaufen, deren die schönsten für Spottpreise zu haben wären, uns im Lande umzusehen und das Weitere dem lieben Gott und dem freien, souveränen Volke, die letzteren Worte waren natürlich leise gesprochen, zu überlassen. Es war wohl das klügste, was wir tun konnten; so kauften wir uns also vor allem Mustangs.

Diese Mustangs sind kleine, in der Regel nicht über dreizehn Hand hohe Pferde, die, von den Spaniern eingeführt, sich während ihrer dreihundertjährigen Oberherrschaft ins Unzählbare vermehrt, in Herden von Tausenden durch die Präries von Texas, vorzüglich aber von Cohahuila streifen. In Texas beginnen sie jedoch bereits weniger zahlreich zu werden. Man fängt sie mit dem sogenannten Lasso, dessen Gebrauch, obwohl bekannt, ich doch näher beschreiben will, da ich, häufig Augenzeuge solcher Jagden, ihn vielleicht deutlicher zu versinnlichen vermag.

Der Lasso ist ein zwanzig bis dreißig Fuß langer und aus fingerbreiten Rindshautschnitten gedrehter, biegsamer Riemen, von dem ein Ende am Sattelknopfe befestigt, das andere aber mit der Schlinge vom Lassojäger in der Hand gehalten wird. Sowie dieser einen Trupp wilder Pferde aufstöbert, sucht er ihm mit seinen Gefährten vor allem den Wind abzugewinnen, dann aber sich ihm möglichst zu nähern. Selten oder nie entwischen die Tiere den geübten Jägern, die, wenn sie dreißig bis zwanzig Fuß nahe gekommen, demjenigen, das sie sich zur Beute ersehen, mit unfehlbarer Hand die Schlinge über den Kopf werfen. Die Schlinge geworfen, wirft der Reiter zugleich sein Pferd herum, die dem Tiere über den Kopf geworfene Schlinge schnürt diesem plötzlich die Kehle zusammen, und der im nächsten Augenblick darauf erfolgende äußerst heftige Riß des in entgegengesetzter Richtung fortschießenden Reiters betäubt das atemlose Pferd so gänzlich, daß es, auch nicht des mindesten Widerstandes fähig, wie ein Klotz rücklings geworfen fällt und regungslos, beinahe leblos daliegt – nicht selten getötet oder hart beschädigt, jedenfalls mit einer Warnung, die es den Lasso sein ganzes Leben hindurch nicht vergessen läßt. Ein auf diese Weise eingefangenes Tier sieht diesen nie, ohne zusammenzuschrecken; es zittert bei seinem Anblicke an allen Gliedern, und die wildesten werden durch das bloße Umlegen schafzahm.

Ist das Tier gefangen, so wird es auf eine nicht minder brutale Weise gezähmt. Es werden ihm die Augen verbunden, das furchtbare, pfundschwere Gebiß in den Mund gelegt, und dann wird es vom Reiter – die nicht minder furchtbaren sechs Zoll langen Sporen an den Füßen – bestiegen und zum stärksten Galopp angetrieben. Versucht es sich zu bäumen, so ist ein einziger, und zwar gar nicht starker Riß dieses Martergebisses hinreichend, dem Tiere den Mund in Fetzen zu zerreißen, das Blut in Strömen fließen zu machen. Ich habe mit diesem barbarischen Gebisse Zähne wie Zündhölzer zerbrechen gesehen. Das Tier wimmert, stöhnt vor Angst und Schmerzen, und so wimmernd, stöhnend wird es ein oder mehrere Male auf das schärfste geritten, bis es auf dem Punkte ist, zusammenzubrechen. Dann erst wird ihm eine Viertelstunde Zeit zum Ausschnaufen gegeben, worauf man es wieder dieselbe Strecke zurücksprengt. Sinkt oder bricht es während des Rittes zusammen, so wird es als untauglich fortgejagt oder niedergestoßen, im entgegengesetzten Falle aber mit einem glühenden Eisen gezeichnet und dann auf die Prärie entlassen. Von nun an hat das Einfangen keine besonderen Schwierigkeiten mehr; die Wildheit des Pferdes ist gänzlich gebrochen, aber dafür eine Heimtücke, eine Bosheit eingekehrt, von der man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann. Es sind diese Mustangs gewiß die boshaftesten, falschesten Tiere unter all den Pferderassen, die es auf dem Erdenrunde gibt, stets nur darauf ausgehend, ihrem Herrn einen Streich zu spielen. Gleich nachdem ich das meinige übernommen, war ich nahe daran, ein teures Lehrgeld zu geben. Im Begriff, eine Exkursion nach Bolivar zu unternehmen, sollten wir über den Brazos setzen. Der vorletzte, der das Boot bestieg, zog ich meinen Mustang sorglos am Zügel nach und war soeben im Begriff, in das Boot einzusteigen, als ein plötzlicher Ruck und der Zuruf ›Mind your beast!‹ mich seitwärts springen machte. Ein Glück, daß ich mich nicht erst umsah, sonst hätte es mir leicht das Leben kosten können. Mein Mustang war nämlich plötzlich zurückgesprungen, hatte sich ebenso plötzlich gebäumt und mit einer solchen Wut und Kraft auf mich niedergeworfen, daß seine Hufen die Bretter des Bootes durchbrachen. In meinem Leben hatte ich nichts so Wütendes gesehen wie dieses Tier. Es fletschte die Zähne, die Augen sprühten ein satanisches Feuer, einen wahrhaft tödlichen Haß – sein Gewieher glich dem Lachen des höllischen Feindes, ich stand entsetzt. Der Lasso, den mein Nachfolger ganz ruhig dem Tiere über den Kopf warf, machte es wieder im nächsten Augenblicke so fromm-unschuldig dareinschauen, daß wir alle laut auflachten, obwohl ich – sonst nichts weniger als ein Pferdefeind – starke Versuchung spürte, es auf der Stelle niederzuschießen.

Mit diesem Tiere nun und begleitet von meinem Freunde unternahm ich mehrere Ausflüge nach Bolivar, Marion, Columbia, Anahuac, Städtchen von drei, sechs, zehn bis zwanzig Häusern. Auch Pflanzungen besuchten wir, anfangs solche, an die wir empfohlen waren, später jede, die uns in den Wurf kam. Soeben waren wir auf einer dieser Pflanzungen. Sie lag einige Meilen seitwärts von der Straße, die von Harrisburg nach San Felipe de Austin fährt, und gehörte einem Mister Neal.

Mister Neal war erst drei Jahre im Lande und hatte sich in dieser Zeit ausschließend mit der Viehzucht beschäftigt, in Texas einer der angenehmsten, einträglichsten und bequemsten Berufe, dem der erste Gentleman, ohne sich zu vergeben, folgen darf. Seine Herden mochten zwischen sieben- und achthundert Stück Rinder und fünfzig bis sechzig Pferde zählen, alle Mustangs. Die Pflanzung war wie beinahe alle, die wir bisher gesehen, noch im Werden; das Haus, in jenem Hinterwäldlerstile angelegt, der in unserm Südwesten so gang und gäbe, war geräumig und selbst bequem, von rohen Baumstämmen aufgeführt. Es lag am Saume einer Insel- oder Baumgruppe mitten zwischen zwei kolossalen Sykomores, die es vor Sonne und Wind schützten. Im Vordergrunde floß die endlose Prärie mit ihren wogenden Gräsern und Blumen in die unabsehbare Ferne hin, im Hintergrunde erhob sich die hehre Majestät eines texasischen Urwaldes, über und über mit Weinreben durchwunden, die hundert und mehr Fuß an den Bäumen hinaufrankend ihre Ausläufer so über die ganze Insel hingesendet hatten. Diese Inseln nun sind einer der reizendsten Züge in dem texasischen Landschaftsgemälde und so unendlich mannigfaltig in ihren Formen und der Pracht ihrer Baumschläge, daß man jahrelang im Lande sein und doch immer neue Schönheiten an ihnen auffinden wird.

Sie erscheinen zirkelförmig, in Parallelogrammen, als Sexagone, Oktagone, wieder wie Schlangen aufgerollt; die raffinierteste Parkkunst müßte verzweifeln, diese unendlich mannigfaltig reizenden Formen zu erreichen. Des Morgens oder Abends, wenn umwoben von leichten blauseidenen Dunstsäumen und durchzittert von den ersten oder letzten Strahlen der Sonne, gewähren sie einen Anblick, der auch das unpoetischste Gemüt in Verzückung bringen könnte.

Ein nicht minder idyllischer Zug dieses gesegneten Landes ist auch die bequeme, anspruchslose Gastlichkeit seiner Bewohner. Selbst da, wo wir keine Empfehlungen brachten – und ich verstehe nicht schriftliche, sondern auch bloß mündliche Empfehlungen oder Grüße – traten wir bald ganz unbefangen in die Häuser und wurden ebenso unbefangen, ganz als alte Bekannte, empfangen. Dies fand ich so durchgängig Regel auf allen Pflanzungen, die von Southerners, Südländern, besessen waren, daß mir während meines ganzen mehrjährigen Aufenthaltes und Wirkens auch keine einzige Ausnahme auffiel. Wo sie mir auffiel, das heißt, wo ich für die Bewirtung zahlen mußte, waren die Ansiedler aus den Mittelstaaten oder Neu-England. Merkwürdig ist auch der Umstand, daß alle Gast- und Boarding- oder Kosthäuser ausschließlich von Yankees oder Bürgern aus den Mittelstaaten gehalten werden. Der Abkömmling des ritterlichen Virginiens oder der beiden Carolinas ist auch da zu stolz, sich seine Gastfreundschaft bezahlen zu lassen. Unser Wirt war ein fröhlicher Kentuckier und machte seinem Geburtsstaate in jeder Hinsicht Ehre. Unsere Aufnahme war die herzlichste, die es geben konnte. Wir hatten dafür nichts zu entrichten als die Neuigkeiten, die wir von Hause mitbrachten. Aber Sie können sich auch schwerlich einen Begriff von der Gier, der Ängstlichkeit machen, mit der unsere Landsleute in der Fremde Berichte von Hause anhören. Die Spannung ist wirklich fieberisch, und nicht bloß bei Männern, auch bei Frauen und Kindern. Wer sich von dieser wirklich fieberischen Anhänglichkeit unserer Bürger an ihr Vaterland einen Begriff geben will, sollte in der Tat nach Texas oder irgendeinem fremden Lande auswandern und mit da angesiedelten Landsleuten zusammentreffen. Wir waren nachmittags angekommen, und die Morgensonne des folgenden Tages traf uns noch am Erzählen und Debattieren – die ganze Familie um uns herum. Kaum daß wir einige Stunden geschlafen, wurden wir von unsern lieben Wirtsleuten bereits wieder aufgeweckt. Einige zwanzig bis dreißig Rinder sollten eingefangen und nach New Orleans auf den Markt versandt werden. Die Art Jagd, die bei einem solchen Einfangen stattfindet, ist immer interessant, selten gefährlich. Wir ließen uns die freundliche Einladung, wie Sie wohl denken mögen, nicht zweimal sagen, sprangen auf, kleideten uns an, frühstückten und bestiegen dann unsere Mustangs.«

War es die frisch-lebendige Weise oder der eigentümliche, für amerikanische Ohren so ganz berechnete Zuschnitt der Darstellung; die ganze Gesellschaft hatte sich nun um den Erzähler herum versammelt.

Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort:

 

2

»Wir hatten vier bis fünf Meilen zu reiten, ehe wir zu den Tieren kamen, die in Herden von dreißig bis fünfzig Köpfen teils weideten, teils sich im Grase herumtummelten, die schönsten Rinder, die ich je gesehen, alle hochbeinig, weit höher als die unsrigen, schlanker und besser geformt. Auch die Hörner sind länger und gleichen in der Ferne gesehen mehr den Geweihen der Edelhirsche denn Rinderhörnern. Obwohl Sommer und Winter sich selbst überlassen und in der Prärie, arten sie doch nie aus; nur wenn sie Wölfe oder Bären wittern, werden sie wild und selbst gefährlich. Die ganze Herde tobt dann in wütenden Sätzen dem Verstecke zu, wo das Raubtier lauert, und dann ist es heilsam, aus dem Wege zu gehen. Übrigens sind sie beinahe gar keinen Krankheiten ausgesetzt; von der Leberkrankheit, die unter den Herden in Louisiana so große Verwüstungen anrichtet, weiß man da nichts; selbst die Salzatzung ist überflüssig, da Salzquellen allenthalben im Überflusse vorhanden sind.

Wir waren ein halbes Dutzend Reiter, nämlich Mister Neal, mein Freund, ich und drei Neger. Unsere Aufgabe bestand darin, die Tiere dem Hause zuzutreiben, wo die für den Markt bestimmten mit dem Lasso eingefangen und sofort nach Brazoria abgeführt werden sollten. Ich ritt meinen Mustang. Wir hatten uns der ersten Herde, die aus etwa fünfzig bis sechzig Stück bestand, auf eine Viertelmeile genähert. Die Tiere blieben ganz ruhig. Sie umreitend, suchten wir der zweiten den Wind abzugewinnen. Auch diese blieb ruhig, und so ritten wir weiter und weiter, und die letzte und äußerste Truppe hinter uns, begannen wir uns zu trennen, um sämtliche Herden in einen Halbkreis zu schließen und dem Hause zuzutreiben. Mein Mustang hatte sich bisher recht gut gehalten, munter und lustig fortkapriolend, keine seiner Tücken gezeigt, aber jetzt – wir waren noch keine zweihundert Schritte auseinander – erwachte der alte Spanier. Etwa tausend Schritte von uns weideten nämlich die Mustangs der Pflanzung, und kaum hatte er diese gesehen, als er auch in Kreuz- und Quersprünge ausbrach, die mich, obwohl sonst kein ungeübter Reiter, beinahe aus dem Sattel brachten. Noch hielt ich mich jedoch. Aber unglücklicherweise hatte ich dem Rate Mister Neals entgegen nicht nur statt des mexikanischen Gebisses mein amerikanisches angelegt, ich hatte auch den Lasso, der mir das Tier bisher mehr als selbst das Gebiß regieren geholfen, zurückgelassen, und wo dieser fehlte, war mit einem Mustang in der Prärie nichts anzufangen. Alle meine Reitergeschicklichkeit vermochte hier nichts, wie ein wilder Stier sprang es etwa fünfhundert Schritte der Herde zu, hielt aber, ehe es in ihrer Mitte anlangte, so plötzlich an, warf die Hinterfüße so unerwartet in die Luft, den Kopf zwischen die Vorderfüße, daß ich über denselben hinabgeflogen war, ehe ich mir die Möglichkeit träumen ließ. Auf Zügel und Trense mit beiden Vorderfüßen zugleich springen, den Zaum abstreifen und dann mit wildem Gewieher der Herde zuspringen, das war dem Kobolde das Werk eines Augenblicks.

Wütend erhob ich mich aus dem ellenhohen Grase. Mein nächster Nachbar, einer der Neger, sprengte zu meinem Beistande herbei und bat mich, das Tier einstweilen laufen zu lassen, Anthony der Jäger würde es schon wieder erwischen; aber in meinem Zorne hörte ich nicht. Rasend gebot ich ihm, abzusteigen und mir sein Pferd zu überlassen. Vergebens bat der Schwarze, ja um 's Himmels willen dem Tiere nicht nachzureiten, es lieber zu allen Teufeln laufen zu lassen; ich wollte nicht hören, sprang auf den Rücken seines Mustangs und schoß dem Flüchtling nach. Mister Neal war unterdessen selbst herbeigesprengt und schrie so stark, als er es vermochte, ich möchte ja bleiben, um 's Himmels willen bleiben, ich wisse nicht, was ich unternehme, wenn ich einem ausgerissenen Mustang auf die Prärie nachreite, eine Texas-Prärie sei keine Virginia- oder Carolina-Wiese. Ich hörte nichts mehr, wollte nichts mehr hören; der Streich, den mir die Bestie gespielt, hatte mir alle Besonnenheit geraubt; wie toll galoppierte ich nach.

Das Tier war der Pferdeherde zugesprungen und ließ mich auf etwa dreihundert Schritte herankommen, den Lasso, der glücklicherweise am Sattel befestigt war, zurechtlegen, und dann riß es abermals aus. Ich wieder nach. Wieder hielt es eine Weile an, und dann galoppierte es wieder weiter, ich immer toller nach. In der Entfernung einer halben Meile hielt es wieder an, und als ich bis auf drei- oder zweihundert Schritte herangekommen, brach es wieder mit wildem, schadenfrohem Gewieher auf und davon. Ich ritt langsamer, auch der Mustang fiel in einen langsameren Schritt; ich ritt schneller, auch er wurde schneller. Wohl zehnmal ließ er mich an die zweihundert Schritte herankommen, und ebensooft riß er wieder aus. Jetzt wäre es allerdings hohe Zeit gewesen, von der wilden Jagd abzustehen, sie Erfahrenern zu überlassen; wer aber je in einem solchen Falle gewesen, wird auch wissen, daß ruhige Besonnenheit richtig immer gleichzeitig Reißaus nimmt. Ich ritt wie betrunken dem Tiere nach, es ließ mich näher und näher kommen, und dann brach es mit einem lachenden, schadenfrohen Gewieher richtig wieder aus. Dieses Gewieher war es eigentlich, was mich so erbitterte, blind und taub machte – es war so boshaft, gellte mir so ganz wie wilder Triumph in die Ohren, daß ich immer wilder wurde. Endlich wurde es mir doch zu toll, ich wollte nur noch einen letzten Versuch wagen, dann aber gewiß umkehren. Es hielt vor einer der sogenannten Inseln. Diese wollte ich umreiten, mich durch die Baumgruppe schleichen und ihm, das ganz nahe am Rande grasete, von diesem aus den Lasso über den Kopf werfen oder es wenigstens der Pflanzung zutreiben. Ich glaubte meinen Plan sehr geschickt angelegt zu haben, ritt demnach um die Insel herum, dann durch und kam auf dem Punkte heraus, wo ich meinen Mustang sicher glaubte, Allein, obwohl ich mich so vorsichtig, als ritte ich auf Eiern, dem Rande näherte, keine Spur war mehr von meinem Mustang zu sehen. Ich ritt nun ganz aus der Insel heraus – er war verschwunden. Ich verwünschte ihn in die Hölle, gab meinem Pferde die Sporen und ritt oder glaubte wieder zurück, das heißt der Pflanzung zu, zu reiten.«

Der Oberst holte tiefer Atem und fuhr fort:

»Zwar sah ich diese nicht mehr, selbst die Herde der Mustangs und der Rinder war verschwunden, aber das machte mir noch nicht bange. Glaubte ich doch die Richtung vor Augen, die Insel vom Hause aus gesehen zu haben. Auch fand ich allenthalben der Pferdespuren so viele, daß mir die Möglichkeit, verirrt zu sein, gar nicht beifiel. So ritt ich denn unbekümmert weiter.

Eine Stunde mochte ich so geritten sein. Nach und nach wurde mir die Zeit etwas lang. Meine Uhr wies auf eins – Schlag neun waren wir ausgeritten. Ich war also vier Stunden im Sattel, und wenn ich anderthalb Stunden auf die Rinderumkreisung rechnete, so kamen drittehalb auf meine eigene Wilde-Jagd-Rechnung. Ich konnte mich denn doch weiter von der Pflanzung entfernt haben, als ich dachte. Auch mein Appetit begann sich stark zu regen. Es war gegen Ende März, der Tag heiter und frisch wie einer unserer Maryland-Maitage. Die Sonne stand zwar jetzt golden am Himmel, aber der Morgen war trübe und neblig gewesen, und fatalerweise waren wir erst den Tag zuvor und gerade nachmittags auf der Pflanzung angelangt, hatten uns sogleich zu Tische gesetzt und den ganzen Abend und die Nacht verplaudert, so daß ich keine Gelegenheit wahrgenommen, mich über die Lage des Hauses zu orientieren. Dieses Übersehen begann mich nun einigermaßen zu ängstigen, auch fielen mir die dringenden Bitten des Negers, die Zurufe Mister Neals ein; aber doch tröstete ich mich noch immer. Gewiß war ich jedenfalls nicht mehr als zehn bis fünfzehn Meilen von der Pflanzung, die Herden mußten jeden Augenblick auftauchen, und dann konnte es mir ja gar nicht fehlen. Diese tröstende Stimmung hielt nicht lange an, es kam wieder eine bange, denn abermals war ich eine Stunde geritten, und noch immer keine Spur von etwas wie einer Herde oder Pflanzung. Ich wurde ungeduldig, ja böse gegen den armen Mister Neal. Warum sandte er mir nicht einen oder ein paar seiner faulen Neger oder seinen Jäger nach? Aber der war nach Anahuac gegangen, erinnerte ich mich gehört zu haben, konnte vor ein paar Tagen nicht zurück sein. Aber ein Signal mit einem oder ein paar Flintenschüssen konnte mir der Kentuckier doch geben! Ich hielt an, ich horchte: kein Laut – tiefe Stille ringsumher – selbst die Vögel in den Inseln schwiegen, die ganze Natur hielt Siesta, für mich eine sehr beklemmende Siesta. So weit nur das Auge reichte, ein wallendes, wogendes Meer von Gräsern, hie und da Baumgruppen, aber keine Spur eines menschlichen Daseins. Endlich glaubte ich etwas entdeckt zu haben. Die nächste der Baumgruppen, gewiß war sie dieselbe, die ich bei unserm Ausritte aus dem Hause so sehr bewundert; wie eine Schlange, die sich zum Sprunge aufringelt, lag sie aufgerollt. Ich hatte sie rechts, von der Pflanzung etwa sechs bis sieben Meilen, gesehen – es konnte nicht fehlen, wenn ich die Richtung nun links nahm. Und frisch nahm ich sie, trabte eine Stunde, eine zweite in der Richtung, in der das Haus liegen sollte, trabte unermüdet fort. Mehrere Stunden war ich so fortgeritten, anhaltend, horchend, ob sich denn gar nichts hören ließe – kein Schuß, kein Schrei. Gar nichts ließ sich hören. Dafür aber ließ sich etwas sehen, eine Entdeckung, die mir gar nicht gefallen wollte. In der Richtung, in der wir ausgeritten, waren die Gräser häufiger, die Blumen seltener gewesen; die Prärie, durch die ich jetzt ritt, bot aber mehr einen Blumengarten dar – einen Blumengarten, in dem kaum mehr das Grün zu sehen war. Der bunteste rote, gelbe, violette, blaue Blumenteppich, den ich je geschaut, Millionen der herrlichsten Prärierosen, Tuberosen, Dahlien, Astern, wie sie kein botanischer Garten der Erde so schön, so üppig aufziehen kann. Mein Mustang vermochte sich kaum durch dieses Blumengewirre hindurchzuarbeiten. Eine Weile staunte ich diese außerordentliche Pracht an, die in der Ferne erschien, als ob Regenbogen auf Regenbogen über der Wiese hingebreitet zitterten – aber das Gefühl war kein freudiges, dem peinlicher Angst zu nahe verwandt. Bald sollte diese meiner ganz Meister werden. Ich war nämlich wieder an einer Insel vorbeigeritten, als sich mir in der Entfernung von etwa zwei Meilen ein Anblick darbot, ein Anblick so wunderbar, der alles weit übertraf, was ich je von außerordentlichen Erscheinungen hierzulande oder in den Staaten je gesehen.

Ein Koloß glänzte mir entgegen, eine gediegene, ungeheure Masse – ein Hügel, ein Berg des glänzendsten, reinsten Silbers. Gerade war die Sonne hinter einer Wolke vorgetreten, und wie jetzt ihre schrägen Strahlen das außerordentliche Phänomen aufleuchteten, hielt ich an, in sprachlosem Staunen starrend und starrend, aber, wenn mir alle Schätze der Erde geboten worden wären, nicht imstande, diese außerordentliche, wirklich außerordentliche Erscheinung zu erklären. Bald glänzte es mir wie ein silberner Hügel, bald wie ein Schloß mit Zinnen und Türmen, bald wieder wie ein zauberischer Koloß – aber immer von gediegenem Silber und über alle Beschreibung prachtvoll entgegen. Was war das? In meinem Leben hatte ich nichts dem Ähnliches gesehen. Der Anblick verwirrte mich, es kam mir jetzt vor, als ob es hier nicht geheuer, ich mich auf verzaubertem Grund und Boden befände, irgendein Spukgeist sein Wesen mit mir triebe; denn daß ich mich nun wirklich verirrt, in ganz neue Regionen hineingeraten, daran konnte ich nicht mehr zweifeln. Eine Flut trüber, düsterer Gedanken kam zugleich mit dieser entsetzlichen Gewißheit – alles, was ich von Verirrten, Verlorengegangenen gehört, tauchte mit einem Male und in den grausigsten Bildern vor mir auf; keine Märchen, sondern Tatsachen, die mir von den glaubwürdigsten Personen erzählt worden, bei welchen Gelegenheiten man mich auch immer ernstlich warnte, ja nicht ohne Begleitung oder Kompaß in die Präries hinauszuschweifen; selbst Pflanzer, die hier zu Hause wären, täten das nie, denn hügel- und berglos, wie das Land ist, habe der Verirrte auch nicht das geringste Wahrzeichen, er könne tage-, ja wochenlang in diesem Wiesenozeane, Labyrinthe von Inseln herumirren, ohne Aussicht, seinen Weg je herauszufinden. Freilich im Sommer oder Herbste wäre eine solche Verirrung aus dem Grunde minder gefährlich, weil dann die Inseln einen Überfluß der deliziösesten Früchte lieferten, die wenigstens vor dem Hungertod schützten. Die herrlichsten Weintrauben, Persimonen, Pflaumen, Pfirsiche sind dann allenthalben im Überflusse zu finden, aber nun war der Frühling erst seit wenigen Tagen angebrochen; ich traf zwar allenthalben auf Weinreben, Pfirsich- und Pflaumenbäume, deren Früchte mir als die köstlichsten geschildert waren und die ich in der Tat später so gefunden, aber für mich hatten sie kaum abgeblüht. Auch Wild sah ich vorbeischießen, aber ohne Gewehr stand ich inmitten des reichsten Landes der Erde, vielleicht, ja wahrscheinlich dem Hungertode preisgegeben. Der entsetzliche Gedanke kam jedoch nicht in folgerechter Ordnung, wie ich ihn hier entwickle, er schoß mir vielmehr verwirrt, versumpfend und doch wieder so blitzartig durch das Gehirn; jedesmal, wenn er mich durchzuckte, fühlte ich einen Stich, der mir Krämpfe und Schmerzen verursachte.«

»Das muß eine entsetzliche Lage sein«, bemerkte halb schaudernd Oberst Oakley.

»Doch kamen auch wieder tröstende Gedanken. Ich war ja bereits vier Wochen im Lande, hatte einen großen Teil desselben in jeder Richtung durchgestreift, diese Streifereien waren alle durch Präries gegangen. Natürlich, denn das ganze Land war ja eine Prärie, und dann hatte ich meinen Kompaß und war immer in Gesellschaft. Dies hatte mich auch sicher gemacht, so daß ich stupiderweise nun, gegen jede Mahnung und Warnung taub, wie toll der wilden Bestie nachgejagt, uneingedenk, daß vier Wochen kaum hinreichten, mich im Umkreise von zwanzig Meilen, viel weniger in einem Lande, dreimal größer als der Staat New York, zu orientieren. Immerhin tröstete ich mich doch noch; von der eigentlichen Größe der Gefahr hatte ich noch immer keinen deutlichen Begriff; die Blitzfunken eines sanguinischen Temperamentes zuckten denn doch noch häufig, ja oft trotzig hervor. Ich hielt es für unmöglich, mich in den wenigen Stunden so gänzlich verirrt zu haben, daß nicht Mister Neal oder seine Neger meine Spur einholen sollten. Auch die Sonne, die jetzt hinter den dunstumflorten Inseln im Nordwesten unterging, die Dämmerung hereinbrechen ließ, beruhigte mich wieder wunderbar. Ein seltsamer Beruhigungsgrund! Häuslich erzogen und von Kindesbeinen an Ordnung gewöhnt, war es mir zur Regel geworden, nachts zu Hause oder wenigstens unter Obdach zu sein. So sehr hatte sich diese Gewohnheit mit meinem ganzen Dasein verschwistert, daß es mir absolut unmöglich erschien, die Nacht hindurch ohne Obdach zu bleiben. So fix wurde die Idee, dieses Obdach sei in der Nähe, daß ich meinem Mustang unwillkürlich die Sporen gab, fest überzeugt, das Haus Mister Neals in der Dämmerung auftauchen, die Lichter herüberschimmern zu sehen. Jeden Augenblick glaubte ich das Bellen der Hunde, das Gebrülle der Rinder, das Lachen der Kinder hören zu müssen. Wirklich sah ich auch jetzt das Haus vor mir, meine Phantasie ließ mich deutlich die Lichter im Parlour sehen; ich ritt hastiger, aber als ich endlich dem, was Haus sein sollte, näher kam, wurde es wieder zur Insel. Was ich für Lichter gehalten, waren Feuerkäfer, die mir in Klumpen aus der düstern Nacht der Insel entgegenglänzten, nun in dem auch über der Prärie hereinbrechenden Dunkel auf allen Seiten ihre blauen Flämmchen leuchten ließen, bald so hell leuchten ließen, daß ich wie auf einem bengalischen Feuersee mich umhertreibend wähnte. Etwas die Sinne mehr Verwirrendes läßt sich schwerlich denken als ein solcher Ritt in einer warmen Märznacht durch die endlos einsame Prärie. Über mir das tief dunkelblaue Firmament mit seinem hellfunkelnden Sternenheere, zu den Füßen ein Ozean magischen Lichtes, Millionen von Leuchtkäferchen entstrahlend! Es war mir eine neue, eine verzauberte Welt. Jedes Gras, jede Blume, jeden Baum konnte ich unterscheiden, aber auch jedes Gras, jede Blume erschien in einem magisch-übersinnlichen Lichte. Prärierosen und Tuberosen, Dahlien und Astern, Geranien und Weinranken begannen sich zu regen, zu bewegen, zum Reigen zu ordnen. Die ganze Blumen- und Pflanzenwelt begann um mich herum zu tanzen. Auf einmal schallte ein lauter und langgezogener Ton aus dem Feuermeere zu mir herüber. Ich hielt an, horchte, schaute verwirrt um mich. Nichts war mehr zu hören. Wieder ritt ich weiter. Abermals der langgezogene Ton, diesmal aber melancholisch klagend. Wieder hielt ich an, wieder ritt ich weiter. Jetzt ließen sich die Klagelaute ein drittes Mal hören. Sie kamen aus einer Insel, von einer Whippoorwill, sie sang ihr Nachtlied. Wie sie das viertemal ihr Whippoorwill in die flammende Nacht herausklagte, antwortete ihr eine mutwillige Katydid. O wie ich da aufjauchzte, die Nachtsänger meines teuren Maryland zu hören! In dem Augenblick standen das teure Vaterhaus, die Negerhütten, die heimatliche Pflanzung vor mir. Ich hörte das Gemurmel der Creek, die an den Negerhütten vorbeiplätscherte. So überwältigend war die Täuschung, der ich mich, nicht hingab, nein, die mich hinriß, daß ich meinem Mustang die Sporen gab, fest überzeugt, das Vaterhaus liege vor mir. Auch ähnelte die Insel, aus welcher der Nachtgesang herüberkam, in dem magischen Zauberlichte den Waldsäumen, die meines Vaters Haus umgaben, so täuschend, daß ich wohl eine halbe Stunde ritt, dann aber hielt und abstieg und Charon Tommy rief. Charon Tommy war der Fährmann. Die Creek, die durch die väterliche Pflanzung floß, war tief und nur wenige Monate im Jahre übersetzbar. Charon Tommy hatte von mir seine klassische Taufe erhalten. Ich rief ein – zwei – ein drittes, ein viertes Mal – kein Charon Tommy antwortete. Erst nachdem ich nochmals vergebens gerufen, erwachte ich.

Ein süßer Traum, ein schmerzliches Erwachen! Die Gefühle zu beschreiben, die sich meiner bemächtigten, ist nicht möglich. Alles lag so dumpf, so sinneverwirrend auf mir, das Gehirn schien sich mir im Kopfe, der Kopf auf dem Rumpfe umherzudrehen. Ich war nicht so müde und matt, so hungrig und durstig, daß ich eine Abnahme meiner Kräfte gefühlt hätte; aber die Angst, die Furcht, die wunderbaren Erscheinungen, sie brachten einen Schwindel, einen Taumel über mich, der mich wie einen Nachtwandler umhertrieb. Absolut keines Gedankens mehr fähig, stand und starrte ich in die blaue Flammenwelt hinein, wie lange, weiß ich nicht. Mechanisch tat ich endlich, was ich während meines vierwöchigen Aufenthaltes im Lande andere tun gesehen, grub nämlich mit meinem Taschenmesser, das ich glücklicherweise bei mir hatte, ein Loch in den schwarzen Wiesenboden, legte das Lasso-Ende hinein, stampfte das Loch wieder zu, und nachdem ich die Schlinge dem Tiere über den Kopf geworfen und ihm Sattel und Zaum abgenommen, ließ ich es weiden, mich außerhalb des Kreises, den es beschreiben konnte, niederlegend. Eine etwas seltsame Art, die Pferde zu sichern, werden Sie sagen, aber immerhin die natürlichste und bequemste in einem Lande, wo Sie oft fünfzig Meilen im Umkreise kein Haus und fünfundzwanzig weder Strauch noch Baum sehen.

Schlafen ließ es mich jedoch nicht, denn von mehreren Seiten ließ sich ein Geheul vernehmen, das ich bald als das von Wölfen und Kuguaren erkannte – wahrlich nirgendwo eine sehr angenehme Nachtmusik, hier aber in diesem Feuerozeane, dieser rätselhaften Zauberwelt klang dieses Geheul so entsetzlich, daß es mir durch Mark und Knochen schallte, ich wahnsinnig zu werden befürchtete. Meine Fibern und Nerven waren in Aufruhr, und ich weiß in der Tat nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich mich nicht glücklicherweise besonnen, daß mir ja meine Zigarrenbüchse und ein Röllchen Virginia-Dulcissimus treu geblieben: unbezahlbare Schätze in diesem Augenblicke, die auch nicht verfehlten, meine trübe Phantasie wieder heiterer zu stimmen. Wahrlich, wenn der herrlich-ritterliche Sir Walter Raleigh kein anderes Verdienst um die Menschheit gehabt hätte, dieses allein sollte ihn allen jugendlichen Abenteurern für ewige Zeiten zum Patron heiligen! Ein paar Havannas – ich hatte natürlich, ein ziemlich starker Raucher, das Feuerzeug bei mir – brachten einen wohltätigen Rausch über mich, in dem ich endlich doch entschlummerte.«

Hier holten alle auf eine Weise Atem, die verriet, daß sie sich gleichfalls erleichtert fühlten. Es war aber auch in der Erzählung etwas, das selbst Pflanzer, die so manche rauhe Seite des Menschenlebens kennengelernt, wohl in Spannung, ja Beängstigung versetzen konnte.

Nachdem der Oberst sein Glas geleert, fuhr er fort:

 

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