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Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der dritte Roman der großen "Drachenkronen"-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert! Wer die in alle Winde verstreuten Teile der Drachenkrone wieder zusammenfügt, wird die Welt beherrschen. Deshalb setzt der finstere Zauberer Astorin alles daran, ihrer habhaft zu werden. Doch die Mondpriesterin Rolana und ihre vier Freunde wollen die Welt vor dem bösen Magier bewahren. Mit Hilfe des goldenen Drachens gelangen sie zum Drachentor zwischen den Welten, wo die Krone zusammengefügt werden muss, um ihre Kraft zu entfalten. Dort kommt es schließlich zum entscheidenden Kampf zwischen dem Zauberer und den fünf Freunden …
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Seitenzahl: 562
Ulrike Schweikert
Das Drachentor
Edel:eBooks
Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.
Copyright © 2007 by Ulrike Schweikert
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-131-6
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Prolog
1 Der weiße Drache
2 Die Macht kehrt zurück
3 Der Moradorden
4 Die Magier von Ehniport
5 Die Reise nach Draka
6 Der Mondtempel
7 Lamina und Seradir
8 Der Herr der Unterwelt
9 Dijol
10 Ferule kehrt zurück
11 Saranga und Vertos
12 Herzog Rudolf von Ingerstein
13 Der Magier Wan Yleeres
14 Die Gruft des Grafen von Draka
15 Kampf um Burg Theron
16 Lamina und der Spiegel
17 Der schwarze Drache
18 Die Seeschlange
19 Rolana und Cay
20 Tonya und der Graf von Draka
21 Alte Freunde und Feinde
22 Die Ruinenstadt Xanomee
23 Die Herrin der Drachen
24 Das Ende der Drachenkrone
Epilog
Wunderbare Fantasy voller Abenteuer und Magie: Der dritte Roman der großen „Drachenkronen“-Trilogie von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert!
Wer die in alle Winde verstreuten Teile der Drachenkrone wieder zusammenfügt, wird die Welt beherrschen. Deshalb setzt der finstere Zauberer Astorin alles daran, ihrer habhaft zu werden. Doch die Mondpriesterin Rolana und ihre vier Freunde wollen die Welt vor dem bösen Magier bewahren. Mit Hilfe des goldenen Drachens gelangen sie zum Drachentor zwischen den Welten, wo die Krone zusammengefügt werden muss, um ihre Kraft zu entfalten. Dort kommt es schließlich zum entscheidenden Kampf zwischen dem Zauberer und den fünf Freunden …
Inthan saß dösend in einem bequemen Sessel vor seinem Spiegel, wie immer, wenn er nicht gerade an einer seiner Erfindungen arbeitete. Mehr als viertausend Jahre steckte er nun schon zwischen den beiden Welten der Menschen und der Elben fest, seit das magische Drachentor im Feuersturm zerbrochen war, und es schien keine Möglichkeit zu geben, dem ewig Gleichen zu entfliehen. Nur seine Katze Cleo leistete ihm Gesellschaft und vertrieb ein wenig seine Einsamkeit. Vielleicht wäre Inthan in seinem unterirdischen Labyrinth irgendwann verrückt geworden oder hätte einfach aufgehört zu leben, wenn es ihm nicht gelungen wäre, ein Fenster zu den beiden Welten zu erschaffen. Der magische Spiegel zeigte ihm die Menschen, Elben und Zwerge. Er huschte durch alltägliche Szenen und große Ereignisse. Meist waren nur die Bilder zu sehen, doch in letzter Zeit drangen immer häufiger Satzfetzen und Geräusche in Inthans Labyrinth. Leider sprang der Spiegel willkürlich durch Orte und Zeiten, so dass der Magier die Szenen nur selten zuordnen konnte. Und immer, wenn es besonders spannend wurde, verblassten die Bilder, und der Spiegel wandte sich etwas anderem zu. Es war zum Verrücktwerden! Manchmal musste Inthan Jahre warten, bis er sah, wie eine Geschichte weiterging, und manches Mal erfuhr er es nie.
An diesem Morgen zeigte der Spiegel nichts Besonderes. Es war düster. Nur schemenhaft waren ein paar Konturen zu erkennen: ein steinerner Raum, der vielleicht einmal eine Halle gewesen, nun jedoch fast völlig eingestürzt war. Ganz vorn war ein Teil einer geborstenen Säule zu sehen. Glassplitter lagen in einem Kranz auf dem Boden, so als blickte der Betrachter durch ein zersprungenes Fenster in den Raum. Kein Lebewesen regte sich. Kein Laut drang durch den Spiegel.
Inthan gähnte und schloss die Augen. Bald gingen seine regelmäßigen Atemzüge in ein leises Schnarchen über. Cleo hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und putzte sich. Die raue Zunge fuhr über das kurze, getigerte Fell ihrer Beine bis zu den Tatzen. Sie spreizte die Krallen und säuberte sorgfältig die weichen Ballen. Im Spiegel war immer noch nichts zu sehen. Cleo streckte sich, machte einen Buckel und bohrte ihrem Herrn die Krallen in den Oberschenkel. Inthan fuhr aus dem Schlaf.
»Was ist los?« Sein Blick fiel auf den noch immer dunklen Spiegel. Mit einem Seufzer ließ er sich zurücksinken. »Ich habe dir gesagt, du sollst mich erst wecken, wenn etwas Spannendes passiert!«
Maunzend sprang die Katze von seinem Schoß und schlenderte in Richtung der Kammer, die der Magier als Küche nutzte.
»Du hast doch nicht etwa schon wieder Hunger? Verfressenes Vieh!« Kopfschüttelnd sah er der Katze nach. Dann räkelte er sich und stemmte sich aus den Polstern hoch.
»Wir werden zu faul«, sagte er und ließ die Finger knacken. »Vielleicht sollte ich meinen Golem ein wenig verfeinern.« Er trat an eine eiserne Statue heran, die in einer Ecke stand, und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Bald war der Magier so in seine Arbeit vertieft, dass er nicht bemerkte, wie Cleo zurückkam und sich auf seinem Sessel niederließ. Er merkte auch nicht, dass das Bild im Spiegel sich aufhellte. Von irgendwoher fiel plötzlich ein Streifen Licht in den Raum, der sich auffächerte und die Farben eines Wandteppichs erstrahlen ließ. Staub wirbelte in einer Wolke auf und legte sich dann sacht auf den zerborstenen Boden. Cleo zuckte mit den Ohren. War es ihr zuerst so vorgekommen, als hätte sie ein fernes Poltern vernommen, so schien es ihr nun, als dränge eine fremde Stimme an ihr Ohr. Eine Frau, die sie noch nie gehört hatte. Die Katze hob den Kopf. Eine Gestalt trat ins Bild: eine junge Frau in einem schlichten, langen Kleid, das Haar zu einem Knoten geschlungen. Glassplitter knirschten unter ihren Schuhen, als sie näher trat. Nun sah die Katze, dass ihr Haar die Farbe von Kupfer hatte, die Augen dagegen waren schwarz und von langen Wimpern gerahmt, ihre Wangen blass.
Sie stand für eine Weile bewegungslos da, und es schien, als würde sie Cleo direkt in die Augen sehen. Die Pupillen der Katze weiteten sich, ihr Schwanz zuckte nervös, obwohl sie inzwischen gelernt hatte, dass die Wesen hinter dem Spiegel nicht wirklich dort waren. Selbst der Drache, den sie ab und zu sah, flößte ihr keine Furcht mehr ein. Und doch war es heute anders. Es war Cleo, als könnte sie die Frau riechen!
»Wo bist du?«, kam eine besorgte Stimme aus dem Hintergrund. »Hast du etwas gefunden?« Gedämpft und wie durch dichten Nebel, aber für das feine Gehör der Katze deutlich zu verstehen.
»Hier steht der geborstene Spiegel«, antwortete die Frau. »Es ist seltsam. Komm und sieh es dir an. Das Glas ist zersprungen, aber es ist etwas dahinter.«
Beim Klang ihrer Stimme fuhr Inthan von seiner Arbeit auf und starrte den Spiegel an. Die rothaarige Frau trat noch ein Stück näher.
»Es ist alles so trüb, aber ich kann eine Katze erkennen, die auf einem Sessel liegt.« Inthan stöhnte auf und klammerte sich an der hohen Lehne fest.
Astorin stand in seinem Studierzimmer vor dem bogenförmigen Fenster und sah hinaus. Sein Blick war starr auf die abweisende Vulkanlandschaft gerichtet, ohne dass er sie sah. Seine Augen waren ohne Glanz, fast wie die eines Toten, als wäre der Geist aus dem Schädel, zu dem er gehörte, gewichen. Lange schon stand der Magier da, ohne sich zu rühren. Fast müsste es ihn wundern, dass er überhaupt noch stehen konnte, hätte er darüber nachgedacht, aber sein Kopf war leer wie sein Blick. Wochenlang hatte Astorin gewütet. Er hatte sich weder Essen noch Schlaf gegönnt, war unablässig in seiner Burg auf und ab gelaufen und hatte in all seinen Büchern und Schriftrollen nach einer möglichen Rettung für seine Pläne gesucht. Nichts. Nicht der kleinste Hinweis. Er war gescheitert. Alles hatte sich in Rauch aufgelöst – oder sollte er besser sagen, war von einem kleinen weißen Drachen verschlungen worden?
Es spielte keine Rolle mehr. Wozu sollten noch Gedanken in seinem Schädel kreisen, jetzt, da sein Lebenswerk vernichtet war. Dabei war er schon so weit gekommen! Wie von einer fremden Macht angezogen, wandte er langsam den Kopf. Die Pupillen zogen sich ein paarmal zusammen und fixierten dann den Schrein, um den die Luft bläulich schimmerte. Noch immer schützte ein magisches Feld seinen Inhalt. Wozu? Mit hölzernen Schritten trat Astorin näher. Sein Blick blieb an den drei Drachenfiguren hängen, die so verführerisch, ja fast überirdisch schimmerten und die nun so nutzlos waren. Ein kupferner, ein roter und ein blauer Drache lagen dort. Astorin wusste, dass der schwarze Drache vom Herrn auf Draka geschützt wurde und dass der silberne Drache vermutlich in den Katakomben von Ehniport gestrandet war, aber dieses Wissen war nun nichts mehr wert. Die Figuren der Drachenkrone hatten ihre Macht in dem Augenblick verloren, da der einzige weiße Drache aller Welten aus seinem Ei geschlüpft war: Covalin, dessen Schuppen bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang wie Kupfer glänzten und der im hellen Licht des Tages schimmerte wie frisch gefallener Schnee. Solange er lebte, würden mit den sechs Figuren nicht mehr die Farben aller Drachen in der Krone vereint sein. Selbst wenn es ihm gelang, die restlichen Bruchstücke aufzuspüren und sie unter dem Drachentor zwischen den Welten zusammenzusetzen, die Macht der Krone war dahin.
Astorin hatte den weißen Drachen gejagt, um ihn zu töten, doch er war gescheitert. Covalin war in den nördlichen Vulkanbergen in Sicherheit, denn er stand unter dem Schutz des großen goldenen Drachen, des ältesten und weisesten Wesens der Welten. Solange Covalin dort blieb, war er für Astorin unerreichbar.
Der Magier brachte mit einer Handbewegung das Kraftfeld zum Erlöschen. Er öffnete den Schrein und nahm die rote Drachenfigur in die Hand. Sie fühlte sich nicht anders an als vor Covalins Erscheinen, warm und schwer. Astorins Finger tasteten über die winzigen Schuppen, die Fänge und Rückenstacheln, die wie im Kampf aufgestellt waren.
Was sollte er jetzt tun? Solange er zurückdenken konnte, war sein ganzes Streben auf die Entdeckung und die Wiedervereinigung der Bruchstücke der Drachenkrone ausgerichtet gewesen. Dafür hatte er studiert, sich geplagt, geraubt und getötet. Was würde er nun mit seinem Leben anfangen? War es denn überhaupt noch wert, es weiter zu leben? Achtlos legte Astorin die Figur zurück und ließ sich in den gepolsterten Scherenstuhl vor seinem Schreibpult fallen. Er machte sich nicht die Mühe, das Kraftfeld wieder zu errichten. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. Seine Lider sanken herab. Wenn er doch nur schlafen könnte. Für immer schlafen und nie wieder erwachen.
Zuerst war es in seinem Kopf angenehm dunkel und leer. Die Gedanken wurden träger und erstarrten dann, wie die Eisschicht auf einem winterlichen See. Er glitt hinab in die tröstliche Finsternis. Stille.
Stille? War da nicht ein Kichern? Kalt und boshaft?
Nein, das konnte nicht sein. Sein Studierzimmer war ruhig und verlassen. Keiner der Diener wagte es, ihn zu stören, und selbst der Wind, der so oft klagend über die verbrannten Ebenen strich, war verstummt. Es war nur der Nachklang einer Erinnerung.
Wieder spürte er das böse Kichern wie einen eisigen Lufthauch, doch nicht um sich herum. Es strich durch seinen Geist und ließ sich nicht verscheuchen. Nun war es ihm gar, als könnte er Worte vernehmen. Sie zischelten, als kämen sie von der gespaltenen Zunge einer Schlange.
Astorin, der große Zauberer – oder sollte ich besser sagen: der verblassende Schatten eines großen Zauberers? Wieder kicherte es in seinem Kopf. Astorin riss die Augen auf. Er sprang von seinem Stuhl und schüttelte heftig den Kopf, als gälte es, eine lästige Fliege zu vertreiben, die sich auf seinem Haupt niedergelassen hatte. Das schadenfrohe Gelächter wurde nur noch lauter.
Was bist du nur für ein Bild des Jammers. Ich wusste ja, dass du schwach und einfältig bist, doch dass du zu so einem Versager wirst? Ja, gib auf und überlass dich deinem Schmerz. Oder noch besser: Steig ein paar Treppen tiefer, verkriech dich in einer Höhle und überlass dich dem Sterben, wenn das alles ist, was noch in deinen Kräften liegt.
Astorin hielt mitten in der Bewegung inne. Seine tief liegenden Augen weiteten sich. »Tomord!«
Wer sonst?, hallte das Kichern durch seinen Geist.
»Bei den Göttern, wie schaffst du es, in meine Gedanken zu dringen?«
Seit wann hast du es mit den Göttern?, gab die Stimme zurück, die dem Magier gehörte, der einst die Drachenkrone geschaffen hatte. Nun war von ihm nur sein Schädel geblieben, der auf seinem Altarschrein in einer Vulkanhöhle tief unter der Burg ruhte.
Falsch, musste sich Astorin korrigieren. Seine Bosheit und seine Machtgier hatten die Zeiten ebenfalls überdauert. Und dass es ihm gelang, sich mit Astorins Geist zu verbinden, obwohl dieser sich viele Stockwerke über ihm in seinem Turmzimmer befand, konnte nur bedeuten, dass auch seine Stärke beträchtlich zugenommen hatte, seit Astorin zum letzten Mal in der Höhle war. War ihm gar ein unvorsichtiger Mensch vor die Knochen gestolpert, der ein willkommenes Opfer dargestellt und dessen Lebenskraft er in seinen leeren Schädel gesaugt hatte? Der Gedanke ließ Astorin schaudern. Es war eine furchtbare Vorstellung.
Nein, leider nicht, bedauerte der Schädel. Ich hätte nichts dagegen, wenn du mir ein paar deiner Diener schicktest. Hätte er noch eine Zunge besessen, er hätte vermutlich genüsslich mit ihr geschnalzt.
»Das könnte dir so passen, du verrotteter Schädel«, rief Astorin voller Zorn und ballte seine knochigen Finger zu Fäusten. Falls das überhaupt möglich war, so war der Magier in den vergangenen Wochen noch hagerer geworden, seine Adlernase noch schärfer. Sein Haar hatte eine schmutziggraue Färbung angenommen und hing ihm, wie die dünnen Barthaare, in fettigen Strähnen hinab.
Deine Dummheit ist noch schwerer zu ertragen als dein Mangel an Höflichkeit, gab der Schädel zurück. Wie konnte ich mich nur dazu hinreißen lassen, meine Hoffnung in dich zu setzen? Dir fehlt der Biss! Also lass dich fallen und ertrinke in deinem Elend. Was kümmert es mich, wenn ich noch eine weitere Ewigkeit auf einen Magier warten muss, der würdig ist, meinen Plänen zu dienen!
»Ja, du hast Zeit«, knurrte Astorin. »Was macht dir die Ewigkeit eines Drachenlebens aus? Du kannst es in Ruhe in deinem Grab aussitzen, bis Covalin aus diesen Welten verschwindet und die Krone wieder ihre Macht erlangt.«
Dummer Schwätzer, zischte der Schädel. Ich habe nicht vor zu warten, bis die Natur sich meiner Wünsche erbarmt.
»Und was kannst du sonst tun?«, höhnte nun der Magier und warf seine dürren Arme in die Luft. Doch das Gefühl der Überlegenheit zerfiel schon nach Augenblicken wieder wie ein ausgebranntes Holzscheit. »Mir bleibt diese Zeit nicht«, sagte er müde. »Meine Chance ist für immer dahin.«
Bei Tyr und Hel! Oh ihr Götter der Finsternis, ich flehe euch an, schickt mir einen Magier, der den Titel noch verdient!
Astorin ließ sich wieder in seinen Sessel sinken, verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch und legte sein spitzes Kinn darauf. »Was würde er dir nützen?«
Er könnte beispielsweise der Krone ihre Macht zurückgeben, schnaubte die Stimme in seinem Kopf.
Wie sollte das gehen?, dachte Astorin. Wenn nicht alle Farben...
Dann muss man eben dafür sorgen, dass alle Farben in ihr vertreten sind!, fiel der Schädel des toten Magiers ihm ins Wort.
»Wie ist das möglich?«, fragte Astorin ohne echtes Interesse.
Na wie wohl?, kreischte der tote Magier. So wie ich auch die anderen Figuren erschaffen habe. Ich hätte es damals selbst getan, wenn ich die Zeit dazu gehabt hätte. Doch die Drachen fielen über mich her, sobald die Macht der Krone erlosch, töteten mich und zerstörten mein Werk. Sie verstreuten die Teile der Krone in alle Winde!
Ganz langsam wanderte Astorins Blick zu dem Schrein mit den Drachenfiguren. Sollte das wirklich möglich sein? Oder versuchte der Schädel, ihn mit einer List in seine Höhle zu locken, um dann seinen Geist zu bezwingen und sich seines Körpers zu bemächtigen?
Kein dummer Gedanke, kicherte es in seinem Kopf. Wenn du dich ungeschickt anstellst, werde ich der Versuchung sicher nicht widerstehen können. Dennoch sind meine Worte wahr. Wie sollten sie es auch nicht sein? Bin ich nicht Tomord, der Schöpfer des mächtigsten Artefakts, das es je in den Welten gab? Sie haben meinen Körper zerstört, doch mein Geist hat den Tod überdauert! Ist dir das nicht Beweis genug?
Astorin überlegte. Es klang schlüssig, und es gab ihm neue Hoffnung. Es war noch nicht vorbei! Er würde eine zweite Chance bekommen, und dann würde er siegen! Er würde die Teile unter dem Drachentor vereinen und von diesem Augenblick an die Welten beherrschen, denn alle Drachen würden seinen Befehlen bedingungslos folgen müssen.
Hübscher Traum, nicht? Komm zu mir, dann verrate ich dir das Größte aller Geheimnisse.
Astorin musste sich zügeln, dass er nicht mit wehenden Gewändern die Wendeltreppe hinunter bis in die Vulkanhöhle eilte. Nein, das wäre nicht ratsam. Er war ausgelaugt und schwach. Er würde den Kräften des Schädels nichts entgegensetzen können. Er spürte so etwas wie einen Hauch von Enttäuschung durch seine Gedanken wehen. Ein grimmiges Lächeln verzog seine Lippen.
»Nein, mein Lieber, so einfach werde ich es dir nicht machen! Verschwinde aus meinem Geist und lass mich ruhen und Kräfte sammeln. Dann werde ich zu dir hinabsteigen, und du kannst mir die Geheimnisse verraten, die mir erlauben, eine weiße Drachenfigur für die Krone zu schmieden.«
Wie du wünschst, erwiderte der Schädel in ungewohnter Demut und zog sich mit seinem untoten Geist aus Astorins Kopf zurück. Der Magier ließ sich dadurch nicht täuschen. Er würde sehr vorsichtig sein müssen, damit es dem Schädel nicht gelang, ihn zu übertölpeln. Nicht zum ersten Mal stieg in Astorin der Verdacht auf, Tomords Geist könnte sich – trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und Schutzschilde – von seiner Lebenskraft genährt haben. So beschloss der Magier, zuerst einmal seine körperlichen Kräfte wiederherzustellen, die er in seiner Verzweiflung vernachlässigt hatte.
Astorin stieg in den Speisesaal hinab und scheuchte die Diener nach einer kräftigen Mahlzeit. Diese waren überrascht, ihren Meister so plötzlich zu sehen und noch dazu in völlig gewandelter Stimmung. So schnell wie möglich tischten sie ihm auf, was in der Küche zu finden war. Astorin aß hastig und wankte dann in sein Gemach, wo er in einen fast ohnmächtigen Schlaf fiel. Ab und zu wälzte er sich herum, und es war ihm, als könnte er den Schädel in der Ferne kichern hören. Nach fast zwanzig Stunden erwachte er, nur um wieder eine Mahlzeit zu verlangen. So aß und schlief der Magier im Wechsel fünf Tage lang. Am sechsten Morgen stieg er wieder zu seinem Studierzimmer hinauf, um mit den Vorbereitungen für seine Schutzzauber zu beginnen. Obwohl es ihn danach drängte, Antworten auf seine Fragen zu bekommen, zwang er sich zu Ruhe und Sorgfalt. Die Vorbereitung war entscheidend! Nur zweimal fühlte er die Gegenwart des untoten Geistes. Nun komm schon! Wie lange willst du mich noch warten lassen?
»Versuch es nicht! Ich lasse mich von dir nicht drängen. Hoffst du auf einen Fehler? Du wirst enttäuscht werden.«
Das werden wir sehen, schnappte der Schädel zurück. Zu Astorins Vergnügen schien er ärgerlich zu sein.
Am Abend des zwölften Tages waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Astorin warf noch einen nervösen Blick in den Spiegel und strich sein runenbesticktes Gewand glatt, dann begann er, die Wendeltreppe hinabzusteigen, an deren Ende der Zugang zur Lavahöhle lag.
* * *
Eine einsame Gestalt schritt den Wehrgang entlang. Sie kam an einem der Wächter vorbei, der ihr grüßend zunickte, sich jedoch nicht von der Stelle rührte und weiterhin seinen Blick über das sich verdüsternde Land schweifen ließ. Noch war er wachsam. Der Tag war noch nicht ganz zerronnen und hatte sich der Nacht noch nicht ergeben. Doch wenn der Mond sich den Wipfeln des Waldes näherte, würden die Lider längst schwer, die Beine müde und der Blick trüb geworden sein. Wenn ein Angreifer es auf Burg Theron abgesehen hatte, dann würde er die Stunde vor dem Morgengrauen wählen, um die Mauern zu erstürmen oder sich mit List Zugang zu verschaffen.
Der Wind blies den Umhang der abendlichen Wanderin auseinander und enthüllte einen schlanken Körper in einem einfachen Wollkleid. Die Frau blieb zwischen zwei Zinnen stehen und ließ wie der Wächter ihren Blick über den See, den Waldrand entlang und bis hinauf zu den Gipfeln der Silberberge schweifen. Alles war ruhig. Niemand würde die Burg angreifen. Es herrschte Friede in den Westlanden des Thyrinnischen Meeres.
Und doch...
Sie hörte die Schritte hinter sich, drehte sich aber nicht um. Sie wusste, dass es Cay war, der über sie wachte und der ihr hinterherkam, sobald sie sich zu lange von den anderen entfernte. Seine unerschütterliche Treue gab ihr das warme Gefühl von Geborgenheit, und dennoch regte sich auch ein wenig Unmut in ihr. Es verlangte sie danach, allein zu sein. Musste sie denn immer bei tiefer Nacht aus der Burg schleichen, wenn sie bei ihrem Gott sein wollte? Bei Soma, dem Gott des Mondes.
»Hier bist du«, erklang die Stimme des sehnigen Kämpfers. »Ist dir nicht kalt?«
Wie zum Trotz warf Rolana die Kapuze ihres Umhangs ab, so dass das letzte Licht des Tages sich in ihrem schwarzen Haar spiegelte. Sie hatte die Locken in einem strengen Knoten gebändigt.
»Wir haben Frühling.«
»Mag sein, die Nächte sind aber immer noch kalt«, brummelte er. Er hob die Hand, als wollte er die Kapuze wieder über ihren Kopf ziehen, ließ sie dann aber sinken, ohne Rolana zu berühren.
»Nun, bist du heute zur Nachtwache eingeteilt?«, versuchte Cay einen leichten Ton anzuschlagen. »Ich wusste gar nicht, dass man eine zusätzliche Schicht beschlossen hat. Droht uns denn Gefahr?«
Obwohl sein Ton deutlich sagte, dass er sie nur necken wollte, blieb Rolana ernst. Mit gerunzelter Stirn sah sie über den See, dessen Wasser nun glatt und schwarz unter ihnen lag.
»Vielleicht«, sagte Rolana leise. »Das Unheil ballt sich am Horizont zusammen. Ich kann es spüren.«
Cay folgte ihrem Blick zu dem wolkenverhangenen Himmel. »Ja, du hast Recht, es könnte heute Nacht noch ein Gewitter geben.«
Rolana seufzte. Wollte er sie absichtlich nicht verstehen? »Kein normales Gewitter könnte mir meine Ruhe rauben!«, sagte sie schärfer, als sie es beabsichtigt hatte, doch Cay schien nicht gekränkt. Er trat einen Schritt näher und legte ihr dann zögernd einen Arm um die Schulter.
»Was fürchtest du? Ich denke, Covalin ist in den Vulkanbergen vor Astorins Verfolgung sicher. Er steht unter dem Schutz des Goldenen! Oder denkst du, unser nichtsnutziger kleiner Drache hat wieder etwas angestellt?«
Rolana schüttelte den Kopf. Sie widerstand dem Drang zurückzuweichen und Cays Arm abzustreifen. Sie mochte den großen, kräftigen Kämpfer mit dem stets zerzausten Haar sehr gern. Ja, vielleicht liebte sie ihn sogar. Warum nur konnte sie seine Nähe kaum mehr ertragen?
Ihre Hand umfasste das gläserne Drachenamulett, das ihre Verbindung zu dem weißen Drachen war. »Nein, ich denke, mit Covalin ist alles in Ordnung. Das Amulett schweigt«, sagte sie langsam. »Und dennoch. Es ist diese Ahnung, tief in mir, die mir keine Ruhe lässt. Etwas geht vor sich. Ich kann es nicht greifen, doch ich weiß, dass böse Kräfte am Werk sind, die Leid und Elend über die Westlande bringen werden – und vielleicht nicht nur über unser Land.«
Cay öffnete den Mund, so als wollte er ihre Bedenken als überspannte Phantasie beiseitewischen, schloss ihn jedoch wieder, ohne ein Wort zu sagen. Schweigend standen sie beisammen und sahen den Gewitterwolken zu, die, von einem stürmischen Wind getrieben, den Sternenhimmel Stück für Stück verschlangen, bis sie den See und die Burg erreichten. Als die ersten Gewitterböen über die Zinnen hinwegfegten, verstärkte Cay den Druck seines Armes. Widerstandslos ließ sich Rolana zurück zur Treppe und dann zum Palas hinüberführen. Die ersten Tropfen fielen, als sie den Fuß der Freitreppe erreichten, und als Cay das große Tor aufstieß, strömte bereits der Regen herab, und der Donner hallte von den Burgmauern wider.
In der Halle war es düster. Nur wenige Kerzen brannten in den Haltern. Cay nahm Rolana den Umhang ab.
»Hast du eine Vorstellung davon, um was es sich handelt? Meinst du, Astorin ist wieder am Werk? Doch was will er anrichten, jetzt da die Krone ihre Macht verloren hat?«
Rolana zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht, und dennoch bin ich mir sicher, dass dies nicht nur eine trübe Stimmung ist, wie sie Frauen ab und zu befällt!«
»Das habe ich auch nicht angenommen«, verteidigte sich Cay nun doch ein wenig gekränkt. »Ich – wir alle haben deinem Urteil stets vertraut, sind dir über Berge und durch die Wüste gefolgt und waren bereit, unser Leben zu geben.«
Beschämt senkte Rolana den Blick. »Verzeih mir, ich bin eine Plage.« Sie umarmte Cay kurz, ließ ihn jedoch gleich wieder los. »Ich habe solch treue Freunde nicht verdient. Und dennoch bin ich froh, euch zu haben... dich zu haben«, fügte sie viel leiser hinzu, raffte ihr Gewand und strebte mit langen Schritten auf die Treppe zu. »Ich werde vor dem Essen noch nach Lamina sehen«, sagte sie und eilte davon. Cay sah ihr stumm hinterher.
* * *
Die Tür zu den Gemächern der Gräfin von Theron war nur angelehnt. Die junge Priesterin des Mondordens klopfte und trat dann ein, obwohl sie keine Antwort erhielt. Das erste Zimmer – mit einer prächtigen Sitzgarnitur vor dem offenen Kamin – war leer. Rolana trat durch die offene Tür ins Schlafgemach der Gräfin. Lamina saß auf der Fensterbank, ein Deckenbündel in den Armen, das Laute der Zufriedenheit von sich gab. Rolana blieb unter der Tür stehen und beobachtete den sich wandelnden Gesichtsausdruck der Gräfin, die sie offensichtlich noch nicht bemerkt hatte. Wehmut und Trauer huschten über ihre Züge, der Hass jedoch war verblasst, und eine neue Zärtlichkeit stand in ihrem Blick, als sie ihrem Kind mit dem Finger über die Wangen strich. Erleichterung durchflutete die junge Priesterin. Sie hatte nicht nur um das körperliche Wohlergehen von Mutter und Sohn gebangt, nachdem das Kind einige Wochen zu früh zur Welt gekommen war. All ihre Kräfte hatte Rolana eingesetzt und Soma um seine Gnade gebeten, um die beiden Leben zu retten. Den seelischen Kummer dagegen hatte sie nicht heilen können.
Das stand nicht in ihrer Macht. Bis zuletzt war vermutlich nicht einmal der Gräfin klar gewesen, ob sie ihr Kind annehmen würde, das gegen ihren Willen mit Gewalt gezeugt worden war. Nun schien die Natur mit ihren heilenden Kräften den Schrecken ein wenig von ihr zu nehmen. Dennoch war Rolana bewusst, dass Lamina die Tage, die sie in der Gewalt der Piraten gewesen war, nie würde vergessen können.
Die junge Priesterin räusperte sich. Laminas Hand zuckte zurück, als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt. Das zärtliche Lächeln verschwand, als sie sich der Besucherin zuwandte.
»Oh, Rolana, du bist es. Was gibt es?« Diese atemlose Unsicherheit passte nicht zu der jungen Frau, die während der vergangenen Monate die Grafschaft mit ruhiger Hand und festem Willen geführt hatte. Rolana trat näher.
»Es gibt nichts Natürlicheres in diesen Welten, als dass eine Mutter ihr Kind liebt. Jedes ihrer Kinder!«
Laminas Wangen röteten sich, doch sie stritt ihre widersprüchlichen Gefühle nicht ab. »Du hast sicher Recht, und doch denke ich manches Mal, ich dürfte es nicht lieben. Ist es nicht auch Teil seines Vaters, für den ich nichts anderes als Abscheu empfinden kann?«
Rolana wiegte den Kopf hin und her. »Sicher tragen wir alle das Erbe unserer Väter in uns – aber auch das unserer Mütter. Noch ist dein Sohn ein unschuldiges Wesen. Sorge mit deiner Liebe dafür, dass deine guten Kräfte in ihm stärker werden. Sieh in sein Gesicht. Ich kann dich darin erkennen.«
Das zärtliche Lächeln erschien wieder auf Laminas Lippen und ließ ihre schmalen Züge weicher erscheinen. »Gerald«, flüsterte sie.
»Es ist gut, dass du ihn nach dem Mann genannt hast, der sein Vater hätte sein sollen.«
»Ich habe es nicht getan, damit die Leute nicht reden, denn das tun sie sowieso!« Kampflustig reckte sie das Kinn.
»Ich weiß«, beschwichtigte sie Rolana. »Dennoch ist es auch aus diesem Grund gut. Er kam früher zur Welt, und keiner deiner Freunde wird darüber sprechen.«
Lamina schwieg, dann erhob sie sich und legte das inzwischen schlafende Kind in seine Wiege.
»Ist es schon Zeit für das Abendessen? Dann werde ich mit dir hinuntergehen. Es wird Zeit, dass ich mich wieder mit meinen Freunden an die Tafel setze. Veronique wird über Geralds Schlaf wachen.« Sie warf noch einen letzten Blick ins Kinderbett und folgte dann Rolana hinaus in den Gang. Bis zur Treppe schwiegen die Frauen.
»Auch du bist mager und blass geworden. Hat unsere Pflege dich so deiner Kräfte beraubt? Verzeih, das ist mir bisher nicht aufgefallen.« Die Gräfin musterte Rolana aufmerksam. Diese schüttelte jedoch den Kopf.
»Nein, das hat nichts mit dir und deinem Sohn zu tun.«
»Was ist es dann? Darf ich dich fragen? Sind wir nicht zu Freunden und Vertrauten geworden?«
Die Hand bereits an der Klinke der Esszimmertür hielt Rolana inne. »Wenn ich es nur selbst wüsste«, seufzte sie. Der Schatten des Bösen lag schwer auf ihrer Seele und raubte ihr seit Tagen den Schlaf.
»Ich hoffe, ich irre mich«, murmelte sie, auch wenn sie wusste, dass dem nicht so war.
* * *
Astorin blieb im Eingang der Höhle stehen, seine schwarzen Augen fest auf den Schädel gerichtet, der auf einem säulengesäumten Altar in einer Wandnische lag. Rechts und links standen zwei angelaufene Kerzenständer. Selbst das rötlich flackernde Licht in den Augenhöhlen des Schädels war noch so, wie es ihn in seinen Träumen verfolgt hatte. Nichts hatte sich seit seinem letzten Besuch hier unten verändert. Wie sollte es auch! Außer ihm konnte niemand die Höhle betreten. Astorin überprüfte im Geist noch einmal seine Zauber, die ihn vor der Macht des Schädels schützen sollten, ehe er zaghaft ein paar Schritte näher trat.
Ah, da bist du ja endlich, großer Zauberer, ließ der Schädel seine spöttischen Worte in seinem Geist vernehmen.
»Auf ein paar Tage kann es dir ja nicht ankommen«, gab der Magier zurück.
Der Schädel kicherte. Oh, du bist gereizt? Hast du feuchte Hände vor Angst? Das solltest du auch, denn es wird ein spannendes Spiel
»Das ich gewinnen werde!«, rief Astorin und kam, ohne darüber nachzudenken, ein paar Schritte näher.
Wir werden sehen, gab der Schädel zurück. Doch nun sei still und öffne deinen Geist. Dann werde ich dir zeigen, wie es dir gelingen kann, die weiße Drachenfigur zu erschaffen.
Bilder begannen durch Astorins Kopf zu schwirren, verwirrende Blitze, scheinbar ohne Zusammenhang. Er spürte, wie die Konzentration an seiner Kraft zehrte, oder versuchte der Schädel schon wieder einen seiner Tricks, um ihm das Leben auszusaugen? Bald fiel es Astorin schwer, seine Schutzzauber noch aufrechtzuerhalten.
»Schluss!«, rief er und presste die Hände an die Schläfen. »Lass deine Spielchen!«
Ich spiele nicht! Du wirst Kraft brauchen, der Figur ihre Magie einzuhauchen. Wenn du jetzt schon aufgibst, dann wäre es besser, du lässt es mich an deiner Stelle tun. Wie hungrige Wölfe schlichen die Nebelfetzen seines Geistes um die Schutzhülle.
Astorin straffte die Schultern. »Nein! Mach weiter, ich werde es schaffen.«
Nun gut, wie du willst.
Mit letzter Kraft wankte Astorin aus der Höhle. Es war ihm klar, wenn der Schädel in diesem Augenblick nach seinem Leben gegriffen hätte, dann wäre es ihm gelungen. Aber anscheinend verfolgte er andere Pläne und ließ den erschöpften Magier mit dem Auftrag gehen, die nötigen Zutaten zu besorgen. Vielleicht wollte er warten, bis alles bereit war? Schon möglich, dachte Astorin, ehe er auf sein Lager und in einen traumlosen Schlaf fiel.
Es war ein schöner, lauer Abend. Der erste in diesem Frühling, der dazu einlud, auch nach Einbruch der Dunkelheit noch im Hof zu verweilen. In einer Ecke hatten die Kinder der Wachen ein Feuer entzündet und tanzten um die Flammen. Die Zofe der Gräfin und zwei der Dienstboten trugen Stühle hinaus und schürten ein Kohlenbecken, um das die Gräfin und ihre Gäste Platz nahmen. Lamina übergab ihren Sohn der Zofe, die ihn ins Bett bringen sollte, und rückte sich den Schal um ihre Schultern zurecht. Sie ließ den Blick über die Freunde schweifen, die ihrem Herzen so nah standen. Links von ihr saß Rolana aufrecht in ihrem Stuhl, die Hände im Schoß ihres schlichten Kleides gefaltet. Seit langem trug sie ihr Haar endlich wieder einmal offen, sodass es ihr in prächtig schwarzen Locken über den Rücken fiel. Neben ihr saß Cay. Natürlich! Er würde auch bei Nacht nicht von ihrer Seite weichen, wenn Rolana ihre Tür nicht jeden Abend verschließen würde, dachte die Gräfin ein wenig traurig. Sie waren ein ungleiches Paar: der einfache Bauernsohn, der sich zu einem guten Schwertkämpfer emporgearbeitet hatte, und die Tochter eines reichen Senators aus Ehniport und jüngste Erwählte des heiligen Mannes Solano, der über den Mondorden gebot. Dennoch hätte Lamina die beiden gern zusammen glücklich gesehen. Es schmerzte sie zu beobachten, wie Cay sich nach Rolana verzehrte.
Neben dem Kämpfer saß Thunin, der Zwerg aus den Kupferbergen, der ihm kaum bis an die Schulter reichte. Seit er auf Burg Theron war, trug Thunin seinen Bart und das Haupthaar zu sauberen Zöpfen geflochten. Von seiner Streitaxt trennte er sich jedoch nicht einmal hinter den sicheren Burgmauern. Vermutlich legte er sie sich nachts sogar unter das Kopfkissen, dachte Lamina. Mit Thunin konnte man fröhlich trinken und feiern. Bei Tag dagegen war er eher wortkarg – was man von der grünhaarigen Elbe an seiner Seite ganz und gar nicht behaupten konnte. Auch das Stillsitzen war nicht ihre Stärke. So sprang sie nun auch von ihrem Stuhl auf und schlenderte zu den Kindern hinüber. Für eine Elbe war sie nicht groß, hatte jedoch den typischen feingliedrigen Körperbau. Ihre Ohren waren spitz, und ihre Haut hatte den sanften Schimmer, den Lamina so lieben gelernt hatte – bei Seradir, einem Elb aus Aitansonee, der Stadt in den Bäumen, die sie selbst nur aus Erzählungen kannte. Wie sehr vermisste sie ihren Freund, den sie gern ihren Geliebten genannt hätte. Wann würde er nach Theron zurückkehren? Würde er überhaupt wiederkommen, nachdem er nur knapp einem Anschlag entgangen war, den ihre eigenen Leute und ihr Vater zusammen angezettelt hatten? Bei diesem Gedanken ballte sich ihre Rechte zur Faust. Eine hagere, faltige Hand legte sich auf die ihre.
»Was ist mit dir? Hast du Schmerzen?«, fragte ihr Hofmagier. Lamina schüttelte den Kopf. »Nur schmerzliche Erinnerungen, Lahryn. Nichts, was uns an diesem schönen Frühlingsabend beunruhigen müsste.«
Sanft streichelte der alte Magier ihre Hand, die sich langsam wieder entspannte. »Gedanken fragen uns nicht erst, ob die Zeit günstig ist.«
Lamina lächelte. »Wann ist schon die rechte Zeit für Trübsinn und Schmerz? Nein, diese Gefühle würden aussterben, müssten sie uns erst um Erlaubnis fragen.«
Lahryn schob eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte zurück. »Ja, da könntest du Recht haben.«
Lamina spürte, wie der junge Mann an Lahryns Seite sie beobachtete. Sie unterdrückte einen Seufzer. Vlaros war mit den Freunden nach Theron gekommen und unterstützte nun Lahryn, um vielleicht später einmal seine Stelle als Hofmagier zu übernehmen. Als Magier und Berater machte er seine Sache gut, doch er neigte dazu, sich in eine Beschützerrolle hineinzusteigern und seine Umgebung – seine männliche Umgebung! – wie eine bissige Dogge eifersüchtig zu verdrängen. Lamina bezweifelte, dass Vlaros tiefe Gefühle für sie hegte, schließlich hatte er noch vor kaum einem Jahr mit Cay um Rolanas Gunst gebuhlt. Er steigerte sich in seine Verliebtheit hinein. Seit der Gräfin das klar geworden war, benahm sie sich bewusst kühl und zurückhaltend, wenn sie mit Vlaros zu tun hatte. Sie wollte ihn nicht auch noch ermuntern.
Vom anderen Ende des Hofs erklang das helle Lachen der Elbe. Die Kinder hatten sich um Ibis geschart, die sie sicher wieder mit einem ihrer Tricks verblüffte. Sie hatte nichts verlernt, obwohl ihr Leben in der Unterwelt von Ehniport schon einige Jahre zurücklag.
»Was ist?«, hörte die Gräfin Cay sagen. Sie sah zu ihm hinüber.
Rolana hatte sich von ihrem Stuhl erhoben. Ihr Blick war glasig und in die Ferne gerichtet. Sie schien Cay nicht zu hören. Es war, als wäre nur ihr Körper im Burghof von Theron zurückgeblieben, und ihr Geist reiste an einen Ort, den die anderen nicht sehen konnten.
»Rolana?« Cay sprang auf und nahm ihre Hand. »Geht es dir nicht gut?«
Nun erhob sich auch der Zwerg und trat einen Schritt vor. Wie aus Gewohnheit glitt seine Rechte an den Stiel seiner Axt.
»Lass sie«, sagte er zu Cay. »Reiße sie nicht aus ihrer Trance. Wer weiß, was sie sieht. Vielleicht hat Covalin sie gerufen.«
Cays braungebranntes Gesicht strahlte. »Oh, es wäre schön, von dem kleinen Ungeheuer zu hören.«
Ibis trat lautlos in den Kreis und sah rasch von einem zum anderen. Sie musste gespürt haben, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging.
»Was ist los?«, fragte sie den Zwerg.
»Eine Vision oder so etwas«, sagte er und sah sie mit hilflosem Blick an. »Ich kenne mich mit so etwas nicht aus, doch vielleicht spricht sie mit Covalin. Sieh nur, wie das Amulett glüht! Man kann es durch den Stoff hindurch sehen.«
Ibis musterte Rolana, deren Arme sich hoben und deren Hände sich nach vorn reckten. Mit hölzernen Bewegungen ging sie ein paar Schritte auf die Kohlenpfanne zu. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starr, ihr Gesicht verzog sich in stummer Qual.
»Etwas Schreckliches muss geschehen sein«, sagte Ibis leise, die in Rolanas Zügen zu lesen versuchte. »Ich hoffe nur, Covalin ist nichts zugestoßen.«
Mit bangen Blicken standen die Freunde um Rolana herum, doch keiner wagte sie zu berühren. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, der über den Hof bis zu den Wehrgängen hallte. Ihr Körper verkrampfte sich, sie fiel auf die Knie.
»Das Amulett!«, schrie Lahryn und hastete auf die Priesterin zu, deren Glieder zuckten. Rauch stieg von Rolanas Gewand auf. Der Stoff über ihrer Brust begann sich zu schwärzen. Ibis war mit einem Satz bei Rolana und riss ihr Gewand über der Brust entzwei. Sie zog ihren Dolch und zerschnitt das Lederband, an dem das Amulett hing. Es fiel zu Boden. Mit sprachlosem Entsetzen sahen die Freunde die Flammen, die in dem gläsernen Drachen auf loderten. Zischend grub sich das Amulett einige Zoll tief ins steinerne Pflaster. Rolanas Glieder hörten auf zu zucken. Für einen Moment kniete sie völlig erstarrt auf dem Boden, dann sanken ihre Lider herab und sie sackte zur Seite. Cay, der sich neben sie auf das Pflaster hatte fallen lassen, fing sie auf, ehe ihr Kopf auf dem Stein aufschlug. Er erhob sich, die leblose Gestalt in seinen Armen. Ihr Kopf fiel gegen seine Schulter. Über der Brust klaffte das verbrannte und zerrissene Gewand auseinander und legte die Wunde frei, die das Amulett in ihre Haut gebrannt hatte.
»Wir müssen sie in ihr Gemach bringen und die Wunde versorgen«, drängte Lahryn. »Vlaros, lauf in meine Kammer und hol mir den Kasten mit den Heiltränken.«
Cay lief schon neben Lamina die Freitreppe zum Portal hinauf. Die anderen folgten ihm. Nur Ibis blieb zurück und setzte sich neben dem in den Stein eingebrannten Amulett auf den Boden. Die Flammen waren erloschen. Es stieg auch kein Rauch mehr von den geschmolzenen Steinen auf. Nur noch ein paar Funken schwebten hinter den gläsernen Schuppen des Drachenkörpers. Ibis näherte vorsichtig ihre Fingerspitze, bis sie das Amulett berührte. Es war nur noch warm. Sie hob die zerschnittenen Enden des Lederbandes auf. Das Amulett löste sich vom Boden und ließ eine Mulde zurück, die den genauen Umriss des Drachen nachzeichnete. Zaghaft legte Ibis es auf ihre Handfläche. Es fühlte sich gut an, warm und lebendig, und sie war sich sicher, dass sie es nie wieder hergeben wollte, ja, es mit ihrem Leben beschützen würde! Ihre Finger umschlossen den gläsernen Drachen mit sanftem Druck. Dann eilte sie den Freunden nach.
* * *
Es dauerte eine ganze Weile, ehe Rolana wieder zu sich kam. Verwirrt schlug sie die Augen auf. Sie brauchte einige Augenblicke, ehe ihr klar wurde, dass sie auf ihrem Bett lag. Jemand hatte eine Decke über sie gebreitet. Ihre Brust schmerzte, und der süßliche Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft. Rolana ließ den Blick über die Freunde schweifen, die sich alle vor ihrem Bett versammelt hatten.
»Was ist geschehen?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Das wollen wir eigentlich von dir wissen«, antwortete der Zwerg.
»Du hast geschrien und bist ohnmächtig geworden«, ergänzte Cay. »Schmerzt es noch sehr? Lahryn hat dir irgendetwas Heilendes aufgelegt, aber es scheint nicht viel geholfen zu haben.«
Der alte Magier schüttelte besorgt den Kopf. »Ja, das ist ungewöhnlich. Es ist eine wirksame Mischung, und die Wunde hätte sich sofort schließen müssen, wenn es sich um eine normale Verletzung handeln würde.«
Rolanas Hand wanderte zu der Stelle, die den Schmerz aussandte. Sie schrie auf, als ihre Fingerspitzen die Brandwunde berührten. »Was ist das?« Vorsichtig schlug sie den zerrissenen Stoff auseinander und starrte auf die schwärzlich verfärbte Verbrennung, die zwischen den Ansätzen ihrer Brüste ihr Fleisch zerstört hatte. Es zeichnete genau die Form eines Drachen nach.
»Mein Amulett! Wo ist das Amulett?«, schrie sie und wollte aus dem Bett springen, doch Cay drückte sie mit starker Hand in die Kissen.
»Es liegt unten im Hof. Ibis hat es abgeschnitten, als es sich in deine Haut zu brennen begann.«
Rolana versuchte sich Cays Händen zu entwinden. »Ich muss es holen«, keuchte sie.
»Bleib im Bett«, fuhr Thunin sie an. »Ich hole dir dein Amulett, und dann sagst du uns, was das alles zu bedeuten hat.« Er sprach barsch, wie so oft, doch Rolana kam es vor, als könnte sie Furcht in seiner Stimme hören. Oder war es nur ihre eigene Angst, die ihr das Herz umklammerte und ihr die Brust so sehr zusammenpresste, dass sie kaum atmen konnte?
Sie lauschte den Schritten des Zwerges, die sich entfernten. Sie hörte das Tor schlagen. Für einige Momente war es still. Dann hörte sie die Tür noch einmal. Die Stiefel klangen eilig. Der Zwerg rannte die Treppe herauf und stürmte atemlos ins Zimmer.
»Es ist weg«, keuchte er. »Es hat sich in die Steine gebrannt und ein schwarzes Loch zurückgelassen, aber das Amulett ist weg.«
Panik schlug über Rolana zusammen. Es war weg! Der gläserne Drache war verschwunden. Sie hatte ihn mit ihrem Leben schützen wollen. Der Druck auf ihre Brust verstärkte sich, ihr Atem kam pfeifend. Das Bild vor ihren Augen verschwamm.
Cay ergriff ihre Hände. »Ganz ruhig. Du musst ruhig durchatmen!«
Seine Augen waren erstaunlich blau. Woher nahm er diese Ruhe, wenn doch alles zusammenbrach und die Panik sie wegspülte.
»Wir werden es wieder finden. Mach dir keine Sorge. Du musst ganz ruhig ein- und ausatmen, dann wird alles wieder gut.«
Die Stimme drang durch ihre Angst. Sie konnte gar nicht anders, als seinen Worten gehorchen. Der Druck ließ nach, das Bild klärte sich.
Sie löste sich sanft aus Cays Griff und richtete sich gerade auf. Sie ließ den Blick über ihre Freunde schweifen, die sie alle ansahen. Rolana konnte ihre Gefühle spüren: Zuneigung und Angst, Verwirrung und Ratlosigkeit. Aber da war noch etwas. Ihr Blick blieb an der Elbe hängen, die sie aus schimmernd grünen Augen anblickte. Rolana streckte die Hand aus.
»Ibis, gib es mir«, sagte sie sanft.
»Was?« Die Elbe reckte angriffslustig das Kinn empor.
»Gib mir das Drachenamulett. Es ist sehr wichtig, dass ich es zurückbekomme.« Die Elbe presste die Lippen zusammen und rührte sich nicht.
Thunins Stirn umwölkte sich. Er stemmte die Hände in die Hüften und baute sich drohend vor der Elbe auf. »Hat Ibis dein Amulett genommen? Bist du dir sicher?«
Rolana nickte. Sie spürte den Schmerz, der in dem Zwerg aufwallte.
»Bei Thors Hammer, ich kann es nicht glauben«, polterte er. »Du bestiehlst deine Freunde und weigerst dich dann auch noch, deine Beute wieder herauszugeben? Ich war noch nie in meinem Leben so enttäuscht!«
»Halt ein, Thunin«, rief Rolana und schwang die Beine über die Bettkante. »Lass sie, es ist nicht so, wie du denkst!« Cays helfenden Arm wies sie zurück. Mit wackeligen Schritten trat die junge Priesterin auf die Elbe zu, die noch immer mit verschlossener Miene an der Wand lehnte und kein Wort sagte.
»Ibis, ich kann deine Gefühle verstehen«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Es ist die Magie, die in ihm wohnt. Als du es berührt hast, da hast du dir geschworen, es nie mehr herzugeben und es bis an dein Lebensende zu beschützen. Ist es nicht so?«
Ibis standen Tränen in den Augen, doch sie regte sich nicht. Rolana hob langsam die Hand und streckte ihr die offene Handfläche entgegen.
»Ich ahne, wie schwer es dir fällt, und dennoch bitte ich dich von ganzem Herzen, gib es mir zurück. Etwas Schreckliches ist geschehen, und ich muss wissen, ob Covalin etwas zugestoßen ist.« Sie hörte die Freunde hinter ihr vor Schreck nach Luft schnappen.
Ganz langsam bewegte sich Ibis' Hand. Sie zitterte, als müsste sie großen Widerstand überwinden. Ihre Finger fuhren unter ihr Wams und zogen das zerschnittene Lederband heraus. Dann glitt das Amulett zwischen den Stoffschichten hervor und pendelte über Rolanas Handfläche in der Luft. Die Priesterin hielt Ibis' Blick fest. »Bitte«, sagte sie noch einmal.
Ein Stöhnen entwich Ibis' Lippen, als litte sie unter Schmerzen, doch dann legte sie den kleinen Drachen behutsam in Rolanas Hand.
»Such Covalin«, flüsterte sie.
»Ich danke dir.« Rolana wankte zum Bett zurück und ließ sich auf die Matratze sinken. Sie fühlte sich ausgelaugt und erschöpft, doch die warm pulsierende Figur in ihrer Hand verströmte Kraft, die ihren Körper aufrecht hielt.
»Was hat das zu bedeuten?«, wiederholte Lahryn. »Kannst du es uns sagen? Warum wurde das Amulett plötzlich so heiß? So etwas ist doch noch nie passiert. Nicht, als der alte Graf es getragen hat, und auch nicht, als Gerald noch lebte.«
Rolana holte tief Luft, um sich zu sammeln. Es war ihr, als würde der Schrecken erst seine ganze Kraft entfalten, wenn sie die Worte laut aussprach.
»Die Macht der Drachenkrone ist zurückgekehrt.«
Zuerst waren die Freunde sprachlos, dann redeten sie alle durcheinander.
»Wie meinst du das?«, wollte Lahryn wissen.
»Die zerstörerische Magie der Drachenfiguren ist wieder erwacht«, sagte Rolana laut. »Das bedeutet, dass die Krone ihre ganze Macht über die Drachen entfalten wird, wenn es jemandem gelingt, sie wieder zusammenzusetzen... wenn es Astorin gelingt«, fügte sie leiser hinzu.
»Das kann nicht sein«, protestierte Ibis. »Covalins Geburt hat sie ihrer Magie beraubt.«
Rolana nickte. »Ja, das ist wahr, und dennoch habe ich die Erschütterung der Magie gespürt. Die bösen Mächte dieser Welt haben frohlockt. Es gibt keine andere Erklärung. Ich habe es ganz deutlich gesehen.«
Thunin schluckte. »Bedeutet das, dass nun wieder alle Farben in der Krone enthalten sind? Dass es keinen weißen Drachen mehr gibt? Dass Covalin tot ist?«
Ibis stieß einen Schrei aus. Cay griff nach Rolanas Hand und umklammerte sie. Die Priesterin zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich wünschte, mir fiele eine andere Erklärung ein.«
Ibis trat mit schnellen Schritten näher und krallte ihre Finger in Rolanas Ärmel. »Ruf ihn! Jetzt, sofort. Wir müssen es wissen!«
Die Priesterin nickte. »Ja, ich werde ihn rufen. Tretet ein wenig zurück und seid ruhig. Ich werde Covalin suchen.« Nicht nur sie selbst konnte die Verzweiflung und die Angst in ihrer Stimme hören.
Rolana trat ans Fenster und ließ ihren Blick über das nächtliche Land schweifen. Der Mond stand silbern am Himmel und sandte sein tröstliches Licht auf die Burg und den See. Rolanas Finger rieben über die glatten Schuppen des Amuletts, während ihr Geist nach dem des kleinen weißen Drachen rief, den sie vor dem Winter im Schutz der nördlichen Vulkanberge zurückgelassen hatten.
Covalin! Öffne deinen Geist und komm zu mir.
Rolana, du bist es. Ich habe dich so vermisst, erklang ganz deutlich die Stimme des kleinen Drachen in ihrem Geist. Wo bist du? Wann kommst du mich holen? Ich muss so schrecklich viel lernen.
Kein Zweifel: Covalin lebte, und es schien ihm gut zu gehen.
Bist du gesund?, versicherte sie sich dennoch. Ist dir nichts zugestoßen?
Aber nein! Der Goldene lässt mich nicht aus den Augen. Der kleine Drache seufzte dramatisch. Bitte, holt mich ab. Ich will wieder mit euch Abenteuer erleben und Zwerge befreien. Ich kann jetzt auch schon richtig gut fliegen, und ich kann Feuer spucken. Ich wäre euch eine große Hilfe!
Das glaube ich dir. Du machst das sehr gut! Aber noch ist deine Ausbildung nicht zu Ende. Sei weiterhin brav und übe, was der Goldene dich lehrt.
Covalin maulte enttäuscht, dann brach die Verbindung ab. Tränen der Erleichterung rannen Rolana über die Wangen, als sie sich den Freunden wieder zuwandte. Ihre schwimmenden Augen missverstehend, starrten die Gefährten sie beklommen an.
»Ist er tot?«, wagte Lahryn endlich zu fragen.
Rolana schüttelte den Kopf. »Nein, er lebt, daran besteht kein Zweifel, und es geht ihm gut.« Die Freunde atmeten erleichtert auf. Ibis wischte sich hastig über die Augen.
»Dann verstehe ich nicht, was geschehen ist«, sagte Lahryn und zog die Stirn in Falten.
»Ich auch nicht«, stimmte Rolana ihm zu. »Ich werde auf die Lichtung hinausreiten und beten. Ich hoffe, Soma kann mir eine Antwort geben!« Sie deutete auf ihre Brust, auf der noch immer die Wunde schmerzhaft pochte. »Und nun lasst mich allein. Ich möchte mich umkleiden.«
Lamina trat zu ihr und legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich schicke dir Veronique, damit sie dir zur Hand geht. Es ist sicher schmerzhaft.« Rolana widersprach nicht.
Als die junge Priesterin kurz darauf in Reithose, Wams und Umhang aus dem Zimmer trat, erwartete sie Cay, ebenfalls zu einem Ausritt gekleidet.
»Ich werde dich begleiten. – Nein, widersprich mir nicht, denn du kannst mich nicht abhalten. Du wirst mich nicht sehen. Ich werde mich so weit zurückziehen, dass ich dich nicht störe, aber ich werde in dieser Nacht über dich wachen!«
Rolana schluckte ihre Widerworte hinunter und drückte Cay dankbar die Hand.
»Mein Freund, ich habe deine Treue nicht verdient.«
»Doch, das hast du, und auch meine Liebe, ganz egal, was du tust«, erwiderte er rau. »Und nun lass uns gehen. Dort draußen in der Welt geht etwas vor sich, das uns sicher zu Recht in Unruhe versetzt!«
* * *
»Was hast du erfahren?«, drängte Ibis, als sie sich alle zu einem frühen Morgenmahl in der Halle trafen. Rolana sah übernächtigt aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Nun lass sie sich doch erst einmal stärken«, widersprach der Zwerg und schob ihr einen Becher mit warmem Bier über den Tisch zu.
»Nein! Essen und trinken können wir, wenn die Gefahr gebannt ist«, begehrte die Elbe auf und sah Rolana erwartungsvoll an. Die anderen waren nicht weniger angespannt. Vermutlich hatten sie in dieser Nacht ebenfalls keinen Schlaf gefunden. Die Priesterin erhob sich von ihrem Platz und sah in die Runde.
»Ich hatte Recht. Die Krone hat ihre zerstörerische Macht zurückgewonnen. Astorin ist es irgendwie gelungen, eine weitere Figur für die Krone zu schmieden: einen weißen Drachen!«
»Nun sind also wieder alle Farben in ihr vereint«, nickte Lahryn. »Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich ist.«
»Ich auch nicht«, pflichtete ihm Rolana müde bei und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte der Zwerg und sah in die Runde, bis sein Blick an der Elbe hängen blieb. In seinem Gesicht zeichnete sich Missbilligung ab. Ibis griff nach einer Scheibe kaltem Braten, legte einen dicken Brotkanten dazu und angelte sich dann noch ein gebratenes Hühnerbein.
»Ach, hast du deine Meinung geändert? Ich dachte, du wolltest die Gefahr noch vor dem Essen bannen.«
Ibis kaute mit vollen Backen. Die meisten Elben bevorzugten Speisen ohne Fleisch. Wenn sie überhaupt Tiere zum Verzehr töteten, dann waren es Fische. Ibis jedoch hatte so lange in der Unterwelt von Ehniport gelebt, dass sie die Essgewohnheiten der Menschen dort übernommen hatte, und bei Ferules Bande wurde meist Fleisch aufgetischt.
»Wie schön, dass es dir schmeckt«, sagte Thunin säuerlich.
Die Elbe biss ein Stück aus dem Hühnerschenkel. »Ja, es schmeckt!«, bestätigte sie mit vollem Mund und nickte dankend zu Lamina hinüber. »Du solltest auch etwas essen, solange es so üppig auf dem Tisch steht. Ich denke, wir werden auf unserem Weg nicht immer die Möglichkeit dazu haben und unseren Gürtel wieder enger schnallen müssen.« Sie sah in die Runde. »Wann brechen wir auf? Ich würde gern meinen Pfeilvorrat noch ein wenig ergänzen.« Die anderen starrten sie an. »Was ist?«, wollte Ibis zwischen den nächsten Bissen wissen. »Ich denke, wir müssen nach den Drachenfiguren suchen, die Astorin noch nicht in seinen Händen hält – oder ihm die, die er bereits gefunden hat, wieder abjagen, oder etwa nicht?«
Lahryn nickte langsam. »Ja, so ähnlich. Etwas anderes wird uns nicht übrig bleiben, wenn wir den Gewittersturm, der auf die Welten zukommt, noch abwenden wollen.«
»Und wo sollen wir suchen?«, wollte der Zwerg wissen, »Wir haben nicht den kleinsten Anhaltspunkt.«
Cay zuckte mit den Schultern. »Wir wissen immerhin, wo Astorins Burg steht. Dort wird er wohl die Figuren aufbewahren, die er gefunden hat.«
»Und nun willst du dort hinreiten, hineinspazieren und ihm die Figuren entreißen?«, ereiferte sich der Zwerg.
»Warum nicht?«, erwiderte Cay gelassen. »Hast du einen besseren Vorschlag?«
Der Zwerg plusterte sich auf, aber Rolana brachte die beiden mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Ich werde den goldenen Drachen um Rat bitten. Vielleicht kann er uns einen Hinweis geben, wo wir mit unserer Suche beginnen sollen. Wenn es möglich ist, dann würde ich Astorins Burg lieber meiden. Wir hätten dort alle Nachteile auf unserer Seite. Er kennt sich aus, weiß, wo die Figuren sind, und hat sicher viele Männer auf seiner Seite.« Die anderen nickten zustimmend, nur Ibis zuckte mit den Schultern und stopfte sich Brot in den Mund.
Zurück in ihrem Zimmer, kniete sich Rolana auf den Teppich vor dem offenen Fenster und nahm das Amulett in die Hände. Sie sah es genau an, dann schloss sie die Augen. In ihrem Geist schuf sie das Bild des großen goldenen Drachen. Sie rief ihn und bat ihn um Antwort. Nach ihrem dritten Ruf schallte seine Stimme in ihrem Kopf.
Rolana, Tochter des Mondes, ich kann dich hören. Ich habe die Erschütterung der Macht mit Sorge gespürt. Die Kräfte des Bösen erstarken wieder. Sie machen sich auf, die freien Drachen erneut zu versklaven.
Rolana hörte ihn ganz deutlich. Seine tiefe Stimme rollte wie Donner durch ihren Geist und Körper.
Du Weiser unter den Drachen, was können wir tun, um das zu verhindern? Wir müssen Astorin aufhalten!
Alleine können wir Drachen den Teilen der Krone nichts anhaben. Aber ihr könnt sie finden und dann mit unserer Hilfe zerstören.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sag uns, was wir tun sollen! Wir folgen deinem Wort. Hat Astorin bereits alle Teile beisammen?
Nein. Ich fühle, dass sich drei der alten Drachen in seiner Aura befinden – und der neue, den er mit Hilfe der alten Kräfte geschmiedet hat.
Rolana überlegte. Du weiser Drache, kannst du uns einen Hinweis geben, wo wir mit unserer Suche nach den verlorenen Teilen beginnen können? Weißt du, wo sie einst verborgen wurden?
Als der große Feuersturm sich legte, zerbrach die Krone in sechs Teile, und die Drachen waren wieder frei, ihrem eigenen Willen zu folgen. Doch mit der Freiheit ihres Geistes kehrte auch die alte Feindschaft zwischen den farbigen und den glänzenden Drachen zurück. Jede Gruppe erhob Anspruch auf die Teile, die keiner von uns ohne fremden Befehl zerstören konnte. Schließlich einigten wir uns, dass jeder die Figuren seiner eigenen Art verwahren und so verstecken sollte, dass sie nicht mehr zu unserem Schaden wiedergefunden werden konnten. Rolana hörte den Drachen tief seufzen. Ich weiß nicht, wo die letzte der farbigen Figuren ruht. Ich kann nur eine starke, böse Kraft um sie herum fühlen.
Und die silberne und die goldene Figur? Wo sind sie?, drängte die Priesterin.
Die goldene Figur bewacht das Drachentor zwischen den Welten, weit im Osten, wo sich einst die prächtige Magierstadt Xanomee erhob. Den silbernen Drachen haben wir den Magiern der aufstrebenden Akademie von Ehniport übergeben.
Ein Prickeln überlief Rolanas Rücken. Ehniport! Nur ein paar Tagesreisen entfernt. Hatten die Magier die Figur noch immer in ihrer Obhut? Wie sollten sie die mächtige Gilde überzeugen, ihnen diesen Schatz auszuliefern? Nun, darüber würden sie nachdenken müssen, wenn sie die Figur ausfindig gemacht hatten.
Ist die Figur noch dort?, stieß sie aufgeregt hervor.
Ich kann ihre Aura spüren, doch ich weiß nicht, ob sie noch in Händen der Gilde ist. Es war mir vor einigen Jahren, als fiele ein Schatten über sie.
Rolana wurde das Herz schwer. Dann werden wir sie suchen müssen. Ich danke dir, goldener Drache.
Ruf mich wieder, wenn ihr die Figur in Händen haltet. Dann werde ich euch den Weg zum Tor weisen, denn nur dort kann die Krone vereint oder zerstört werden.
Die Verbindung brach ab. Rolana kniete noch einige Augenblicke auf dem Teppich. Sie fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Wieder einmal lag eine große Aufgabe vor ihnen, von deren Gelingen das Schicksal der Länder rund um das Thyrinnische Meer abhing, ja vielleicht sogar das Schicksal der Welten.
In den tiefen Sümpfen südlich des Adasees erhob sich auf einem Hügel ein düsteres, quadratisches Gebäude. Es war groß. Vier Flügel, von einer unüberwindlichen Mauer umgeben, umschlossen einen Hof. Eine der Mauern war von einem Tor durchbrochen, das jedoch stets mit starken, eisernen Türflügeln verschlossen war und von zwei Türmen bewacht wurde. Ringsum gluckste und schwappte das trübe, stinkende Wasser des Moores. Verwesungsgeruch drang durch jede Ritze und tränkte das Mauerwerk. Nur selten erleuchtete die Sonne diesen verfluchten Ort. Meist verhüllte Nebel den Blick zum Himmel, grünlich und schleimig wie das Wasser ringsumher. Vielleicht wollten die Götter gar nicht sehen, welch frevelhaftes Treiben dort herrschte. Der Moradorden hatte sich diesen Platz mit Bedacht gewählt, weitab von allen Menschen und ihren Siedlungen. Ungestört widmete er sich hier in der Einsamkeit den bösen Mächten, huldigte Dämonen und Teufeln und trieb seine zerstörerischen Experimente.
Eine Gestalt huschte den Gang entlang, der von den spartanischen Zellen der Schwestern zu der kleinen, überwölbten Halle führte, in der die Mutter Oberin meist auf ihrem thronartigen Sessel saß, Aufgaben verteilte und sich Berichte über Experimente anhörte. Hier empfing sie auch Besucher, von denen es allerdings nicht viele gab. Ja, in manchen Jahren verirrte sich gar niemand in die düsteren Adasümpfe.
Die Novizin betrat lautlos die Halle und näherte sich mit gesenktem Blick dem Thron. Sie kniete nieder und küsste die Schuhspitze, die unter dem schwarzen Umhang hervorlugte.
»Mutter Morad, Ihr habt mich rufen lassen?«
Die Äbtissin war eine Furcht einflößende Frau von über neunzig Jahren. Das Alter hatte tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben, das von langem weißen Haar umrahmt wurde. Sie war zierlich gebaut, und die Zeit hatte sie knochig und hager werden lassen. Das Beängstigende an ihr waren jedoch die Augen, die schon so viel Böses gesehen hatten. Ihr Blick grub sich tief in jede Seele und zerrte die Gedanken und Gefühle ihres Gegenübers ohne Gnade ans Licht. So lebten ihre Anhänger in demütiger Furcht vor ihr, aber auch in begeisterter Hingabe an die Mächte des Bösen.
Die Äbtissin besaß das zweite Gesicht. Diese Visionen vergrößerten ihre Macht über ihre Anhänger und ihre Feinde. Früher war sie oft gereist, um ihre magischen Künste zu vervollkommnen und ihr Wissen über die Unterwelt zu mehren, doch seit ein Dämon ihr bei einer Beschwörung ein Bein ausgerissen hatte, hatte sie das Kloster nicht mehr verlassen. Seither saß sie auf ihrem Thron und gab von hier aus Anweisungen.
»Du kannst dich erheben, mein Kind.«
Die Novizin richtete sich auf. Sie war ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet, nur das Amulett mit dem Abbild des Dämonen, den die Mutter Oberin für sie ausgewählt hatte, funkelte feuerrot zwischen den Falten des Stoffes.
»Womit kann ich Euch und dem Orden dienen?«, fragte das Mädchen gehorsam. Es stand aufrecht da, die Hände übereinander gelegt.
»Tonya, eine wichtige Aufgabe wartet auf dich. Ich habe es in meinen Träumen gesehen. Astorin, der große schwarze Magier, ist auf dem Weg, uns hier in unserer Einsamkeit der Sümpfe zu besuchen.«
Die Novizin versuchte, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Sie verwunderte nicht nur, dass der Magier den beschwerlichen Weg auf sich nahm, um hierher zu kommen, denn durch ein Tor in der Astralebene konnte man nicht nach Morad kommen. Dafür hatte die Äbtissin gesorgt. Sie wollte keine ungeladenen Gäste, die plötzlich vor ihrem Tor auftauchten. Was Tonya noch viel mehr verblüffte, war die Frage, was sie, eine einfache Novizin, mit der Sache zu tun haben könnte. Nun, vielleicht sollte sie sicherstellen, dass für sein leibliches Wohl gesorgt wurde und die einfachen Schwestern ihn zuvorkommend bedienten.
»Ich habe dich ausgewählt, weil du zu den wenigen Menschen gehörst, die die Kraft durch ihr Erbe bereits in sich tragen. Schon bei deiner Geburt wurde das Band geknüpft, das dich mit den unteren Ebenen verbindet. Du hast die Macht, über Untote zu gebieten.«