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Heike wollte in den Fahrstuhl steigen, da hörte sie aus dem Keller Dieters Trompete. Er blies, und der Hauswart schimpfte nicht. Irgend etwas war faul an der Sache! Heike sprang die Treppe hinunter, aber es war wieder still. Sollte sie sich geirrt haben? Auf einmal hörte sie einen wilden Schrei. Das war Dieter. Er schrie: „Sangitaratnakara!“ Und da geschah die Zauberei: Jemand drehte vorsichtig von außen den Schlüssel um und öffnete, Heike stand wie ein freundliches Gespenst im Türrahmen. Dieter zitterte und flüsterte: „Hast du mich etwa eingesperrt?“ Diese Trompete, ein Geschenk von Tante Amalie, spielt in der Geschichte eine besondere Rolle. Sie bringt den Jungen in komische, aber auch schwierige Situationen, und nicht immer hilft das Zauberwort. INHALT: Herr Muckedie sitzt in einem Garderobenständer und Dieter mitten in einer Kalamität Dornröschen Lindenbecker betuschelt mit dem Direktor Dieters Zukunft Hum - mumpf - umpf und die Vorbereitung einer Hochzeit Schäfer Schäfers Ratschlag und die Folgen Das Wunder vor der Tür und Muschelpost von Rossners Eine nächtliche Begegnung mit Dornröschen Niemand glaubt an Wunder, und Dieter verschwindet ohne Tarnkappe Unterwegs zu fremden Ländern und Landung bei Bekannten Vater Preczbilzowski sucht „das Eigentliche“ Bahnfahrt mit dem Kapitän und die Entdeckung einer Schönheit Rossners Geheimnis und Oma Böse in Aktion Hochzeit, Prügel und ein neuer Freund SANGITARFATNAKARA oder Das Konzert mit Hindernissen Der Hosenknopf, die Liebe und das Ei in der Trompete
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Seitenzahl: 228
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Manfred Richter
Das Ei in der Trompete
Ein Roman für Kinder, aber auch für Erwachsene, die noch wissen möchten, worauf es im Leben manchmal ankommt
ISBN 978-3-95655-070-6 (E-Book)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Das Buch erschien erstmals 1980 in Der Kinderbuchverlag Berlin.
© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Dieters Tante hieß Amalie.
Tante Amalie war die Schwägerin von Frau Preczbilzowski, also die Gattin des verstorbenen Bruders der Mutter von Dieter und Angelika. Es ist schon so: Verwandtschaft müsste eigentlich Verzwicktheit heißen, weil es so schwer ist, sich unter allen Tanten, Basen, Großonkels und Vettern zurechtzufinden.
Wenn die Gattin des Bruders der Mutter, also Tanta Amalie, zu Preczbilzowskis auf Besuch kam, flötete sie jedes Mal entzückt: „Das Kind ist musikalisch!“ Damit meinte sie den lieben Neffen Dieter.
Natürlich war das reiner Unsinn, denn damals war Dieter noch ziemlich klein und spielte höchstens ein bisschen mit seinem Brummkreisel. Aber Tante Amalie war Pianistin, das heißt, sie spielte vor anderen Leuten auf dem Klavier. Dazu muss man musikalisch sein, sonst geht es nicht. Und weil sie selbst musikalisch war, wünschte sie, dass ihr Neffe Dieter auch musikalisch wäre. In solchen Dingen sind Erwachsene mitunter komisch. Die Tante jedenfalls meinte, er habe einen ausgeprägten Hinterkopf, klopfte mit ihren harten Knöchelchen dagegen und sagte: „Das Kind ist musikalisch!“
Davon ließ sie sich auch nicht abbringen, als der liebe Neffe ihr eines Tages wegen dieser dauernden Klopferei kräftig in den Finger biss.
Dieter wohnte mit seinen Eltern Herbert und Elfriede Preczbilzowski, seiner Schwester Angelika und der Hündin Trixi am Rande der kleinen Stadt Liebrübenau, an einem großen See, in einem kleinen Haus. Hinter dem kleinen Haus stand ein noch sehr viel kleineres - das war der Hühnerstall mit acht weißen Legehühnern von der besten Sorte. Diese hatten jedoch keine Namen.
Da wir gerade davon sprechen, möchte ich auch rasch auf Dieters etwas komplizierten Familiennamen eingehen. Er wird zwar in der Mitte mit cezett geschrieben, aber wie ein tsch gesprochen, also Pretschbilzowski. ich hätte mir natürlich einen einfacheren Namen überlegen können, Müller, Meier, Pingelberg oder Kollerbach. Aber die ganze Geschichte ist eben einem Jungen mit dem Namen Preczbilzowski passiert. Was soll man machen? An das Komplizierte muss man sich gewöhnen!
Wenn Tante Amalie von einer Gastspielreise aus Polen, aus Ungarn, der Sowjetunion oder sogar aus Indien zurückkehrte, erholte sie sich gern in Liebrübenau. Das gab immer einen kleinen Aufstand. Elfriede Preczbilzowski putzte erst die ganze Wohnung, dann die Schwester, dann Dieter und zuletzt sich selbst. Nur der Hühnerstall und Vati blieben ganz normal. Herbert Preczbilzowski kam von der Arbeit in der Kesselschmiede, wusch sich die Hände und sagte zu Tante Amalie: „Na, da bist du ja, grüß dich, alte Rübe!“
Die Mutter rief empört: „Aber Herbert!“
Und Tante Amalie bekam einen roten Kopf. „Lass mal“, sie lächelte fein, „ich weiß ja, wie er es meint!“
Tante Amaiie war ziemlich hübsch, obwohl sie schon alt war, älter als Trixi, mindestens 28 Jahre. Sie brachte immer viele Geschenke mit, das war reizend. Sie sagte allen, wie süß sie es findet, wieder einmal hier zu sein, legte sich am See in einen Liegestuhl und seufzte: „Ach, diese himmlische Ruhe! Hört ihr - tiü, tiü, tiü -, das ist ein Regenpfeifer.“
Solange Tante Amalie zu Gast war, lief Mutter auf Zehenspitzen, um die himmlische Ruhe nicht zu stören. Das war sehr anstrengend und hatte auch gar keinen Zweck, weil es doch am Ende immer irgendeinen Krach gab - zum Beispiel, als Dieter ebenfalls auf Zehenspitzen lief und gleichzeitig mit den Händen das Kaffeegeschirr balancierte.
Nachmittags unterhielt sich Tante Amalie oft mit ihrer Schwägerin über den Bruder, der verstorben war, nachdem er Tante Amalie geheiratet hatte. Sie weinten ein bisschen, bis Mutti Preczbilzowski aufschrie: „Du liebe Zeit, das Kaffeewasser!“, und in der Küche verschwand.
Dieter guckte Tante Amalie sehr gern an. Sie hatte ganz große blaue Augen. Allerdings nur im Wohnzimmer. Unten am See trug sie eine Sonnenbrille, in der sich die Wolken spiegelten. Wenn Tante Amaile lächelte, bekam sie winzige Grübchen. Außerdem war sie immer sehr schön braun gebrannt. Zu ihrem Schwager sagte sie mit dunkler Stimme: „So bin ich am ganzen Körper, ob du es glaubst oder nicht!“
Aber Herbert Preczbilzowski glaubte es.
Leider konnte Tante Amalie immer nur für eine kurze Zeit nach Liebrübenau kommen, weil Preczbilzowskis kein Klavier zum Üben hatten.
Als Dieter schon zur Schule ging und die Schwester nicht mehr so viel an ihm herumnörgeln durfte, brachte ihm Tante Amalie aus Rumänien eine Trommel mit.
Wenn jemand in Rumänien trommelte, konnte man ihn hier am See nicht hören. Aber nun hatte Tante Amalie diese Trommel mitgebracht!
Vormittags blieb ja alles noch sehr gemütlich, da war Schule. Nachmittags jedoch schrie Mutter, lauter, als die Trommel klang: „Hör bloß auf. oder geh runter zum See!“ Dort lag Tante Amalie und machte ein ganz verzagtes Gesicht, „Ist wohl nicht das Richtige“, sagte sie, „so eine Trommel ist sehr einseitig.“
Und Vater Preczbilzowski sagte am Abend: „Ich komme gerade aus der Kesselschmiede, verschone bloß mein Trommelfell! '
Damit meinte er seine Ohren.
Dieter lernte, dass auch die Ohren ein Trommelfell haben. Mit anderen Worten: Aus dem einen Trommelfell kam der Krach heraus, und in das andere Trommelfell ging er hinein. Das war ziemlich verwirrend.
Und dann kam eine Zeit, da wurde für Dieter alles entsetzlich kompliziert. Das Leben war manchmal so schwer zu begreifen, dass Dieter am liebsten den ganzen Tag im Bett geblieben oder wenigstens immerfort mit geschlossenen Augen umhergelaufen wäre. Einmal hat er das auch versucht. Aber weil dort, wo er gerade ging, der Türpfosten war, hat er es sich sehr schnell wieder abgewöhnt.
Früh, in der Schule, lernte Dieter so viel Neues, dass er dachte: Jetzt weiß ich alles in der Welt! Wenn er jedoch nach Hause kam, war alles ganz anders.
In der Schule gab es die Mathematikaufgabe: Herr und Frau X kaufen sich ein Auto für achttausendneunhundert Mark. Jeder zahlt die Hälfte. Frau X hebt von ihrem Sparbuch zwei Drittel des Guthabens und Herr X von seinem Guthaben die Hälfte der Gesamtsumme ab. Wie viel verbleiben Herrn und Frau X auf ihren Sparbüchern?
In der Schule war das eine leichte Aufgabe und zu Hause eine schwere. Das kam davon, dass Vater von einem Auto träumte, aber weder er noch Mutter ein Sparbuch hatten.
„Du mit deinem Autofimmel!“, sagte Elfriede Preezbilzowski erregt. „Wir brauchen neue Bettwäsche, der Junge hat keine heile Hose am Leib, und guck doch bloß, wie ich rumrenne! Man muss sich ja schämen! Wir haben’s eben nicht so dicke wie andere!“
Danach schwiegen die Eltern, bis Vati eine Zigarette geraucht hatte und ganz leise sagte: „Ist ja gut. Ich stell’s mir man bloß vor ...“
In solchen Momenten waren die Eltern zusammen ein wenig traurig. Mitunter durfte Dieter schon ein bisschen länger fernsehen, vor allem, wenn Vater gute Laune hatte. Und wenn Tante Amalie im Sommer zu Besuch kam, merkte er, dass sie noch viel hübscher war als früher. Sie war nicht nur im Gesicht hübsch, sondern überall, und ihre Haut roch sehr gut nach Sonnenöl und frisch gemähtem Gras. Sie klopfte Dieter auch nicht mehr auf den Kopf, obwohl ihm das jetzt vielleicht gar nicht unangenehm gewesen wäre.
Unangenehm war nur, dass er bei jeder Gelegenheit rot wurde, einfach schrecklich. Er konnte es nicht mehr leiden, wenn Mutter ihn umarmte oder gar Tante Amalie. Da sagte er patzig: „Rumknutschen ist blöde!“ Und dann guckte er zu, wie sie die Schwester drückten, und war neidisch. Sehr kompliziert!
Dieters Schwester hatte im April Geburtstag und Dieter im Oktober. Als wieder einmal Oktober war, kamen zwei Dinge mit der Post: ein Brief für die Eltern und ein Paket für Dieter. Beides war von Tante Amalie.
In dem Brief stand, dass Tante Amalie im Dezember ein Kind erwartet und vorläufig nicht kommen könne. Die Eltern guckten sich merkwürdig an, weil das Kind ja nicht von Mutters totem Bruder sein konnte. Aber Vater brummte: „Sie ist erwachsen, und Witwe ist sie auch. Warum soll sie nicht?“
Elfriede Preczbilzowski seufzte und guckte noch merkwürdiger. „Dass sie gar nichts von einem Mann schreibt“, sagte sie.
„Ohne geht’s nicht“, antwortete Vater Herbert lächelnd.
Die Mutter winkte ab und lächelte ebenfalls. „Was du nicht sagst“, meinte sie. „Na, wir wollen ihr alles Gute wünschen. Ich bin nur traurig, weil sie vielleicht gar nicht mehr kommt, wenn sie eine andere Verwandtschaft hat.“
Das war nun äußerst ungerecht! Wieso sollte Tante Amalie, nur weil sie ein Kind bekam und außerdem noch einen neuen Mann, plötzlich nicht mehr Dieters Tante sein? Gegen einen Onkel war doch nichts einzuwenden - er hätte sogar musikalisch sein können.
Und dann machte sich Dieter über das Paket her - Tante Amalies Geschenk. Er packte es aus, alle standen um den Tisch herum und guckten zu. Erst kam die Strippe, dann das Packpapier, dann ein Karton und dann ein großes, schwarzes Futteral. Du liebe Zeit - ein Futteral, dem man schon von außen ansah, was drinnen war: In weichen, grünen Stoff gebettet lag eine herrliche, goldglänzende, funkelnde Trompete.
Dieter schaute seine Eltern an und wollte im ersten, freudigen Schreck gar nicht glauben, dass so etwas Schönes ihm gehören sollte.
Elfriede Preczbilzowski hielt voller Erstaunen die Hand vor den Mund und schwieg. Das war eine äußerst seltene Erscheinung.
Vati brummte gerührt: „So ein liebes Luder!“
Auf der Innenseite des Futterals klebte ein Zettel.
Dieter las: „Meinem lieben Neffen Dieter zum Geburtstag mit allen guten Wünschen für die Zukunft von seiner Tante A.“
Tante A und Punkt! Es gab also überhaupt keine Zweifel: Die wunderbare Trompete gehörte ihm! Mutter flüsterte sanft: „So eine gute Seele."
Damit verbesserte sie Vati, weil man Luder, wie sie meinte, auch nicht aus Spaß sagen sollte. Außerdem hatte sie wirklich recht: Tante A Punkt war eine gute Seele, obwohl niemand, nicht einmal die Erwachsenen sagen können, was eigentlich eine Seele ist. Bloß Dieter ahnte es in diesem Augenblick.
Er schluckte heftig und bereute sehr, dass er Tante Amalie einmal kräftig in den Finger gebissen hatte.
Mit einer Trompete ist es so: Am Anfang findet man sie wunderbar. Dann kommt eine Zeit, in der man sie nicht ausstehen kann, und dann - liebt man sie! Das ist die Reihenfolge.
Wer schon einmal einen jungen Hund hatte, egal ob Dackel oder Spitz, weiß genau, was ich meine: Zuerst freut man sich über die klugen Augen, über das wedelnde Schwänzchen und das weiche Fell. Danach beginnt leider das, was die Erwachsenen Pflicht nennen: jeden Tag füttern, Fell pflegen, Pfützchen aufwischen und Hund ausführen, auch wenn es schon seit zwei Tagen regnet. Das ist die Zeit, in der man mit seiner Freude ziemliche Schwierigkeiten bekommt. Wenn aber alles schon sehr lange dauert, die Freude und die Pflicht, beginnt auf einmal die Liebe.
So ist es mit allen Dingen im Leben, gleichgültig, ob es sich um einen Hund, um ein Meerschweinchen oder um eine Trompete handelt.
Bei Dieter war es die Trompete!
Natürlich hat eine Trompete keine klugen Augen, und mit dem Schwanz kann sie auch nicht wackeln. Aber darauf kommt es nicht an. Alle Dinge, die man liebt, haben ihre eigene Schönheit.
Dieter nahm die Trompete aus dem Futteral, wischte mit dem Ellenbogen über das Metall, damit es noch besser funkelte, und dann spielte er erst einmal mit drei Fingern an den drei Knöpfen, an den Tasten. Das gab ein ganz leises, knackendes Geräusch.
Endlich hatte er so viel Mut, dass er auch zu blasen versuchte.
Das ging so: Vati, Mutti und Angelika standen um den Tisch herum.
Trixi saß auf den Hinterpfoten und hielt den Kopf erwartungsvoll schief. Dieter holte dreimal Luft, blies die Backen auf, nein, die Wangen, kniff die Augen zu und drückte los. Er pustete ganz, enorm, mit aller Kraft.
Na und?
Nichts!
Die Trompete gab keinen einzigen Laut von sich. Nur hinten, da, wo Dieter den Hosenboden hat, gab es einen kleinen Ton. Das kam von der Anstrengung.
Die Schwester lachte schadenfroh, und Dieter war sehr verwirrt.
Vater blinzelte und sagte: „Na ja, für den Anfang war das auch schon was!“
Am Nachmittag kamen Dieters Schulfreunde Birne, Keiler, Stotti und Esse zum Geburtstagskuchen. Mit ihren richtigen Namen hießen sie natürlich anders. Esse hieß zum Beispiel Karlheinz Schiefelbein. Das klingt auch ganz gut, besonders Schiefelbein. Aber Esse passte besser, weil Karlheinz so lang und dünn wie ein Schornstein war - und oft auch so schwarz.
Alle bewunderten die Geburtstagsgeschenke, am meisten Tante Amalies Trompete. Jeder wollte sofort lostrompeten. Und wie das so ist, an dem Instrument wurde ziemlich viel herumgezerrt.
Esse hatte zwar immer schwarze Pfoten, sogar noch nach dem Waschen, aber er entdeckte dafür am Futteral das kleine Messingschild mit dem seltsamen Wort SANGIT ARATNAKARA. Darüber waren Schriftzeichen, die niemand lesen konnte, nicht einmal Vater.
„Sehr interessant“, sagte er nur, „das ist Sanskrit. Sanskrit ist Indisch, Tante Amalie hat die Trompete aus Indien mitgebracht.“
Aber er schien sich nicht ganz sicher zu sein, ging schnell auf den Hof und fütterte die Hühner.
Eine Trompete aus Indien! Das war eine Sensation.
Birne. Keiler, Stotti und Esse legten vor Respekt die Hände auf den Rücken. Keiner berührte mehr die Trompete. Dadurch blieb sie ungeachtet der schönen Geburtstagsfeier sehr gut erhalten.
Das seltene Wort SANGIT ARATNAKARA lernten sie sogleich auswendig. Eigentlich wollte Birne damit nur Stotti ärgern, und es war gemein. Stotti hatte nämlich nicht nur viele Sommersprossen, sondern er stotterte auch stark.
Aber dann gab es noch eine zweite Sensation: Stotti lächelte, er holte tief Luft und - sang das schwere Wort. Es klang nicht gerade so, als würde Karel Gott singen, aber er stotterte kein bisschen, sang vielmehr einwandfrei: „Sangitarat - na - kara!“
Da war Birne angeschmiert. Sie sangen es sofort im Chor. Dieter, Stotti, Birne, Keiler und Esse brüllten: „Sangi - tai at - na - kara, Sangi - tarat - na - kara ...!“ Trixi bellte kräftig mit, und Dieters Schwester, die ja immer eine andere Meinung hatte, hielt sich die Ohren zu und schrie: „Quatsch mit Soße, Quatsch mit Soße, Quatsch mit Soße ...!“ Es war ein hervorragender Lärm, der noch hervorragender wurde, als die Eltern ins Zimmer stürzten und dazwischenriefen: „Aufhören! Wollt ihr wohl!“ Vater brüllte am lautesten: „Ruhe, zum Donnerwetter!“ Danach war es dann stiller, und sie machten ein paar Gesellschaftsspiele. Solchen Spaß gab es jedoch nicht mehr, weil der schwarze Esse nur scharf auf Angelika war und immer küssen wollte. Aber Angelika hatte eine weiße Bluse an und deshalb eine Abneigung.
Zum Abschied boxte Keiler aus tiefer Freundschaft Dieter derb in die Rippen und sagte: „Mach’s gut, Sangi!“
Von da ab hieß Dieter in der Schule nie mehr Dieter, sondern nur noch Sangi. Das war eine große Ehre, die er Tante Amalies Trompete und dem Schild auf dem Futteral verdankte.
Natürlich war es eine Schande, dass die Trompete stumm blieb. Dieter blieb gar keine andere Wahl: Er musste das Trompeteblasen üben! So schwer, dachte er, kann es ja auch nicht sein. Schließlich hat eine Trompete nur drei Knüpfe. Tante Amalies Flügel hingegen mehr als hundert Tasten, schwarze und weiße.
Dicht am See gab es einen Wald. Er wuchs den Hügel hinab bis zum Ufer; das sah aus, als wären die Bäume nur mal eben zum Trinken vorbeigekommen. Hier saßen Dieter und Trixi am liebsten. Dieter übte, das heißt, er übte sozusagen noch das Üben, denn was aus der Trompete herauskam. klang ziemlich kläglich. Der Waldboden duftete warm nach Kiefernnadeln und Harz. Das rote Straußgras zitterte sacht, wenn vom See her ein Wind darüberfuhr. Ab und zu raschelte es, und ein Eichhörnchen huschte vorbei. Ganz in der Nähe gab es Haselnusssträucher. Trixi spitzte die Ohren, blieb aber ruhig, weil sie längst begriffen hatte, dass Hunde nicht auf Bäume klettern können.
Und natürlich gab es auch Pilze.
Dieter hatte gerade wieder einmal Platz genommen, da tauchte Herr Rossner mit einer Plastetüte voll Butterpilze auf.
Herr Rossner war ein ehemaliger Seemann und jetzt ein rüstiger Rentner, ein gewaltiger Riese, mit Händen so groß wie Suppenteller, richtigen Pranken. Außerdem war er eine stadtbekannte Persönlichkeit und ein besonderer Mensch. Nicht etwa wegen seiner Glatze und der abstehenden Ohren, das ist nichts Besonderes. Das Besondere bestand darin, dass Herr Rossner einfach fast alles konnte: mit den Ohren wackeln, beim Skatspielen mogeln, zaubern. Vogelstimmen nachahmen, einen Zentnersack Kartoffeln stemmen und ähnliches. Zusätzlich konnte er noch viele nützliche Dinge: Traktor fahren, Ziehharmonika spielen, Fahrräder reparieren und ungeheuer gutmütig sein.
Herr Rossner hatte mit seinem Seemannsblick sofort die Lage erfasst. Er setzte sich ächzend neben Dieter und Trixi auf den Waldboden und guckte zum See hinunter. Dieter merkte trotzdem, dass er nur auf die Trompete schielte.
„Zeig mal her. das Ding!“, knurrte Herr Rossner gutmütig.
Zur Probe spielte er an den Ventilknöpfen, fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, als wolle er die Trompete verspeisen. Dann setzte er sie an den Mund, und wahrhaftig, Dieter hörte Töne - die Trompete klang zum ersten Male so, wie eine Trompete klingen sollte.
Nein. Herr Rossner schmetterte nicht los, er blies nicht laut, nicht derb, gar nicht, wie man sich Musik von so einem Riesenrentner vorstellt. Es klang zart, wie von sehr weit her, schwer zu beschreiben.
Nach einer Weile erkannte Dieter sogar die Melodie. Es konnte gar nicht anders sein. Herr Rossner spielte „La Paloma“. Er lehnte sich mit seinem breiten Seemannsrücken gegen einen Kiefernstamm wie an einen Schiffsmast und blies selbstvergessen, mit geschlossenen Augen und roter Glatze „... mein Kind, sei nicht traurig - fort muss die Reise gehen ...“
Merkwürdig, obwohl der See wirklich nur ein See war, sah Dieter ein mittelgroßes Schiff, einen weißen Schoner mit drei Masten und vom Wind geblähten Segeln. Das Wasser flirrte im Sonnenlicht und hob sich und senkte sich und wiegte den Schoner in der Dünung. Möwen glitten pfeilschnell über die Wellen, Dieter hörte sie kreischen - die Möwen natürlich, nicht die Wellen. Es roch auch nicht mehr nach Kiefernnadeln und Harz, sondern nach dem unendlichen Meer, nach Fischen und Tang.
Herr Rossner konnte wirklich zaubern, sogar mit einer Trompete.
Schade, dass Trixi auf einmal zu heulen begann. Da setzte Herr Rossner die Trompete ab, und aus dem unendlichen Meer wurde wieder der Liebrübenauer See mit nur einem Angler am Ufer gegenüber.
„Dein Hund irritiert mich ein wenig“, entschuldigte sich Herr Rossner. Er wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß von der Stirn und brummte: „Piano ist schwer, und je pianinonaner, ich meine je leiser, um so schwerer!“
Auf dem Gebiet des Krachmachens hatte Dieter Erfahrungen. „Ich weiß“, sagte er ehrfurchtsvoll, „leise sein ist immer schwer.“
Da lachte Herr Rossner ein sehr schallendes Seemannslachen. Als er damit fertig war, sagte Dieter stolz: „Sie ist aus Indien!“
„So?“ Herr Rossner betrachtete die Trompete gründlich. Er bewegte die Lippen, dann las er langsam und laut von der Trompete ab: „VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik Markneukirchen.“
„Tja“, sagte Herr Rossner gedehnt.
Dieter riss Herrn Rossner, diesem Spaßvogel, die Trompete aus den Pranken und guckte selbst nach. Tatsächlich - da war mit winziger Schrift MARKNEUKIRCHEN eingraviert.
Das war eine ungeheure Enttäuschung! Dieter legte die Trompete zur Seite, weil er mit so einem Gefühl erst einmal fertig werden musste. Was war denn nun richtig - SANGlTARATNAKARA auf dem Futteral oder MARKNEUKIRCHEN auf der Trompete?
„Beides, mein Sohn!“, tröstete ihn Herr Rossner. „Dieses Instrument hat einen Umweg über Indien gemacht - vom Vogtland nach Delhi und von Delhi zu dir. Ich glaube, deine Trompete ist aufs Reisen versessen. Mir als altem Fahrensmann kannst du glauben!“
Er unterstrich seine Behauptung, indem er mit großer Sachkenntnis scharf an Trixis rechtem Ohr vorbeispuckte.
Da war Dieter etwas erleichtert.
Vielleicht, überlegte er, ist eine Trompete aus Markneukirchen über Indien sogar noch besser als eine, die bloß aus Indien stammt.
Plötzlich nahm Herr Rossner die Trompete und schmetterte so heftig los, dass Trixi vor Schreck einen großen Satz machte. Hinterher erklärte er: „Das war ein Jagdsignal. Es heißt ,Sau ist tot!‘. Die Jäger blasen es. wenn sie ein Wildschwein zur Strecke gebracht haben. Natürlich nicht immer, nur, wenn sie gerade ein Jagdhorn zur Hand haben.“
Danach vollführte er einen seiner berühmten Zaubertricks: Er fuchtelte mit den dicken Fingern dicht vor Dieters Augen und zog ihm - einen Butterpilz aus der Nase. Dieter war sehr verblüfft.
Herr Rossner erhob sich ächzend, begutachtete den Pilz mit hochgezogenen Augenbrauen und schob ihn zu den übrigen im Plastebeutel. Er sagte: „Merci, mein Sohn! Für dieses Prachtexemplar aus deiner Nase übernehme ich die Ausbildung. Wenn du willst, mache ich aus dir einen Louis Armstrong!“
Mehr kann man nicht verlangen.
Gegen Herrn Rossner gab es absolut nichts einzuwenden, zumal er, wie gesagt, eine stadtbekannte Persönlichkeit war und ein besonderer Mensch. Außerdem, meinte Dieter, ist es ohne Zweifel für eine Familie sehr vorteilhaft, wenn sie einen zukünftigen Louis Armstrong aufzuweisen hat.
Herr Preczbilzowski sagte allerdings: „Nananana, nimm den Mund nicht so voll!“
Aber die Mutter packte für Herrn Rossner zwölf sehr frische Eier als Dank und Gruß in eine alte Zeitung. Dieter steckte die Eier in seine Mütze, nahm Mütze und Trompete unter den Arm und machte sich auf den Weg.
Frau Rossner öffnete ihm die Tür. Sie kannte Dieter noch nicht und fragte freundlich: „Ah, du bist also der kleine Trompeter? Mein Mann sitzt auf dem Klo, geh nur inzwischen in die Stube!“
Ihre Hände zitterten und fühlten sich kühl an. Auf den Handrücken sah Dieter dicke blaue Adern. Er wusste, das kam von der Arbeit und vom langen Leben.
Frau Rossner war keine stadtbekannte Persönlichkeit. Sie sah auch ganz anders aus als ihr Gatte. Sie war viel, viel kleiner, hatte Haare unter der Nase, beinah ein Bärtchen, und dafür weder eine Glatze noch abstehende Ohren. Ob sie zaubern konnte und Trompete blasen, war noch sehr fraglich. Aber sie rückte gleich mit einer anderen guten Eigenschaft heraus, indem sie verschwörerisch flüsterte: „Jetzt koch ich uns eine schöne Tasse Kakao. Magst du?“
Dieter nickte, und Frau Rossner trippelte in die Küche.
Zugegeben. Dieter sagte weder Danke! noch Oh, bitte!, vielleicht war das unhöflich. Aber man muss bedenken, er besuchte Rossners zum ersten Mal und war noch beträchtlich verlegen. Hinzu kommt, dass er in einem ganz ungewöhnlichen Wohnzimmer stand. Er legte seine Mütze mit den Eiern auf den Stuhl und schaute sich um.
Rossners wohnten unter dem Dach. Deshalb waren alle Wände schräg, auch über dem Sofa. An diesen Wänden hingen die fantastischsten Waffen: Säbel, Speere, uralte Pistolen und sogar Pfeil und Bogen. Obwohl die Wände sehr schräg waren, fiel nichts herunter. Die Lampe über dem Tisch war gar keine Wohnzimmerlampe, sondern die alte Positionsleuchte von einem Schiff. Auf dem Tisch, neben einer Vase mit echt künstlichen Blumen, lagen große Meeresmuscheln. Diese Muscheln gab es überall: auf dem Fensterbrett, auf dem Fernsehapparat und auf dem Sims mit den blauen Krügen. Nur auf dem Schrank lagen keine. Dort stand Herrn Rossners Ziehharmonika. Hinter den Glasscheiben entdeckte Dieter Bücher und sehr viele hauchdünne Tässchen und Teller.
Er überlegte gerade, wie der gewaltige Herr Rossner es fertigbrachte, mit seinen Pranken aus so winzigen Tassen zu trinken, da wurde die Tür aufgerissen, und er kam selbst herein.
„Entschuldige“, sagte er, „ich hatte noch etwas zu erledigen.“ Er rieb sich zufrieden seine Pranken und meinte: „Am besten, wir halten uns gar nicht lange bei der Vorrede auf. Zeig mal deine Zähne!“
Das war sehr verwunderlich. Aber Dieter öffnete gehorsam den Mund, der große Herr Rossner bückte sich und schaute hinein.
„Die Zähne“, sagte er, „sind nämlich wichtig. Wer die falsche Zahnstellung hat, kann leider nicht sehr gut Trompete blasen.“
Er nahm das Instrument zur Hand, lief im Zimmer auf und ab und erklärte: „Jetzt pass auf! Das ist eine B-Trompete. Dieses hängt mit der Tonlage zusammen und kommt später dran. So, und jetzt die Lippenstellung ...“
Er blieb stehen und blickte Dieter verblüfft an. „Was ist los?“, fragte er.
Dieter hatte vergessen, seinen Mund wieder zuzumachen. Es war nur ein kleines Missverständnis. Aber Herr Rossner glaubte, Dieter wolle ihn veralbern „Hör gut zu, Söhnchen“, sagte er deshalb, „entweder willst du oder du willst nicht. Wenn du jedoch Quark machst, gibt’s eine gesemmelt!“
Er rollte so gewaltig mit den Augen, dass Dieter sogleich wusste: Gesemmelt heißt geohrfeigt! Er schloss schnell den Mund und dachte gerade noch: Manometer!
Da setzte sich Herr Rossner.
Es gab ein sehr eigentümliches Geräusch, das kam von den Eiern in Dieters Mütze. Eier waren das ja nun nicht mehr, eher eine Pampe, die mitsamt der Mütze und der alten Zeitung an Herrn Rossners Hose klebte.
„Oh!“, sagte Dieter und befürchtete heftig, dass jetzt die Semmelei losgehen würde.
Herr Rossner schlug aber nur die Augen nieder und flüsterte: „Tut mir ungeheuer leid!“
Es war für beide sehr peinlich.
Dieter antwortete deshalb schnell: „Ach, das macht nichts, die hatte ich sowieso für Sie mitgebracht.“
„Aber“, sagte Herr Rossner und lächelte gequält, „doch nicht zum Ausbrüten. Oder?“
Dieter schwieg betreten.
„Na also“, meinte Herr Rossner. Dann sagte er eine Weile nichts und dann: „Na ja!“
So gutmütig war er.
Er lief mit etwas gespreizten Beinen in die Küche, und Dieter hörte, wie Frau Rossner rief: „Ach, du Blödian!“
Dann kicherte sie, und Herr Rossner lachte dröhnend mit.
Dieter fand es enorm, dass die kleine Frau Rossner so mutig war, ihren starken Mann „Blödian“ zu nennen. Und er ahnte, dass auch sie eine Persönlichkeit war.
Als Herr Rossner zurückkam, trug er eine andre Hose und im Gesicht ein breites Lächeln. Frau Rossner brachte den Kakao - glücklicherweise in großen Kaffeetöpfen und nicht in winzigen Tässchen.
Sie sprachen gemeinsam von diesem und jenem, von den Muscheln auf dem Sims, von Tante Amalie und vom übrigen Leben - bloß nicht von Eiern.
Leider stellte sich in diesem Gespräch heraus, dass Dieter bisher versäumt hatte, sich bei Tante Amalie für das wunderbare Geschenk zu bedanken.
Herr Rossner machte: „Tstststs...“
Frau Rossner strich sich über ihr dünnes, weißes Haar. „Das muss man aber, Bub!“
Endlich räumte sie das Geschirr ab, und die erste Übungsstunde begann.
Wir wollen es gleich verraten: Ehe Dieter halbwegs ordentliche Töne blasen konnte, musste er noch siebenmal zu Rossners gehen. Es gab jedes Mal Kakao, beim siebten Male klappte schon die Tonleiter, aber eine Meisterleistung war das nicht.
Es wurde Winter, der See fror zu. Stotti, Keiler, Birne, Esse und Angelika spielten Eishockey. Dieter übte Trompeteblasen. Manchmal hätte er sie am liebsten Tante Amalie zurückgeschickt - möglichst nach Indien. Immer jedoch, wenn er gerade so weit war, blies er zufällig ein bisschen besser als vorher. Deshalb übte er weiter, richtig verbissen.
Auf diese Weise konnte er sich zum Jahresende eine große Überraschung vornehmen. Vater hatte angekündigt, dass seine Leute aus der Kesselschmiede Silvester bei Preczbilzowskis feiern würden. Es sollte sehr lustig werden. Die Leute brachten auch ihre Frauen mit, im Wohnzimmer baumelten Girlanden und Papierschlangen, und darunter hielten sich die Gäste auf.
Abends um acht aßen alle Kartoffelsalat und Würstchen. Die Männer sprachen von der Arbeit, es klang, als würden sie sich zanken, aber sie hatten nur eine Diskussion. Die Frauen waren sehr höflich zueinander. Sie sagten: „Ach, bitte sehr!“ – „Ach, danke schön!“ - „Ihr Friseur ist eine Perle, wenn man bedenkt, was er aus Ihrem Kopf gemacht hat“. Und zu Frau Preczbilzowski sagten sie: „Der Salat ist vorzüglich. Würden Sie das Rezept verraten?“
Dieter aß vier Bockwürste, weil er hoffte, beim Essen verginge die Zeit schneller. Er konnte es kaum erwarten, denn Punkt Mitternacht sollte seine Überraschung beginnen.
In der Stube hing eine Kuckucksuhr, die sehr genau, jedoch nach Dieters Meinung viel zu langsam ging. An den Ketten waren Gewichte befestigt, Tannenzapfen aus Eisen - ein Zapfen für den Kuckuck und ein Zapfen für die Uhr. Außerdem gab es noch ein hin- und herschwingendes Perpendikel.
Als es endlich zehn Uhr kuckuckte, setzten sich die Erwachsenen Papierhüte auf und sahen absichtlich doof aus. Es wurde getanzt und sehr durcheinandergeredet.
Dieter und Angelika hockten vor dem Fernsehapparat. Das Fest in der Röhre unterschied sich jedoch gar nicht von dem Fest zu Hause. Das Beste war noch, dass beide bis nach Mitternacht aufbleiben durften, dies war eine schöne Sitte, obwohl man von ihr müde wurde.
Die Zeit kroch wie eine Schnecke. Dieter guckte auf die Uhr, und wenn er nach einer Weile wieder hinguckte, war es nur ein ganz kleines bisschen später als vorher
Gegen elf Uhr erzählten sich die Männer Witze, und die Frauen gingen in die Küche. Dort erzählten sich die Frauen Witze, und die Männer gingen hinterher und hörten zu.
Einen Augenblick blieben Dieter und Angelika allein in der Stube, so ergab sich die Gelegenheit , mit der Kuckucksuhr zu schummeln. Heimlich hakte Dieter das äußerst langweilige Perpendikel ab, und aus dem gleichmütigen Ticktack-Ticktack entstand sogleich ein flottes Ticktickticktick. Jetzt kam endlich Tempo in die Sache.
Kurz vor zwölf Uhr bekam jeder ein gefülltes Sektglas in die Hand. Auch Dieter und Angelika. Aber nur ausnahmsweise, weil sie keine sehr kleinen Kinder mehr waren. Als der Zeiger von der Kuckucksuhr auf Mitternacht stand und der Kuckuck aus dem Kasten guckte, rief Frau Bettzieche laut: „Prost Neujahr!1'
Niemand antwortete, Frau Bettzieche blinzelte ganz verdattert und bekam einen roten Kopf. Im Fernsehapparat lief das Programm wie vorher, alle starrten auf die Uhr. Herbert Preczbilzowski entdeckte die Sache mit dem Perpendikel und dachte gleich das Richtige. Er warf seinem Sohn einen ziemlich finsteren Blick zu.
Dieter begriff, dass zwar die Uhr bedeutend schneller ging-aber leider nicht die Zeit.