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Wo die Grenzen des rational Vorstellbaren erreicht sind oder gar überschritten werden, kann allein die Fantasie Lücken schließen. Wer sich je mit dem Thema deutsche Flugscheiben auseinandergesetzt hat, weiß dies sehr gut. Und er wird verstehen, dass die Form des Romans die einzige ist, die allen Facetten dieses Themas gerecht werden kann - frei von unhaltbaren Behauptungen, aber auch frei von Einengung. Wer diesem Gedankengang folgen kann, sollte "Das Erbe" lesen. Ein packender Roman in Teilen über das Geheimnis der deutschen Flugscheiben.
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Seitenzahl: 232
Das Erbe
Wolfgang Ziegler
Das Erbe
Teil II
Mission Mars
Impressum
© 2014 Wolfgang Ziegler
Covergestaltung: Wolfgang Ziegler
Digitalisierung: Wolfgang Ziegler
Wolfgang Ziegler
Selbstverlag
55566 Bad Sobernheim
Unter dem Friedhof der Mönche
„Dieses Bauwerk ist kein echtes Grabmal. Es ist vielmehr der als solches getarnte Eingang zu den geheimen Gewölben der alten Abtei“, sagte Achim Werner von Trauenfeld leise, bückte sich bei diesen Worten vor dem Steingebilde und griff mit einer Hand unter den Rand des oberen Teils einer verwitterten Plastik aus Sandstein, die das Kopfende der efeuüberwucherten Stätte zierte. Zum Staunen seiner Zuschauer ließ sich diese stabile und recht schwer erscheinende Plastik wie ein Deckel relativ leicht anheben. Sie klappte nach dem Prinzip einer Falltür nach oben auf. Offenbar war irgendwo war der mit Hilfe eines Gegengewichtes funktionierende Mechanismus verborgen angebracht. Gedeckt durch zwei links und rechts stehende stilisierte, steinerne Bänke, die allerdings ebenfalls schon mächtig vom Zahn der Zeit angenagt und mit grünlichem Moos überzogen waren, ging es nun in die dunkle Tiefe hinab. Die aufgetane Öffnung war so eng, daß mit Mühe ein Mensch sich hineinzwängen konnte. Gleich nach dem Einstieg ging eine schmale Steintreppe steil nach unten. Die Stufen waren zudem feucht, und es roch etwas dumpf und modrig. Werner von Trauenfeld führte seine Begleiter im Schein einer von ihm mitgebrachten Taschenlampe bis zu einem kleinen Raum, der, nach einer Treppenwindung, bald erreicht war. Dort fanden sich eine Anzahl Fackeln an den Wänden. „Zünden wir die an, dann geht es weiter“, raunte er. Zuckendes Licht hüllte nun die kleine Gesellschaft ein. Die düsteren Gewölbe, die sie nun durch einen kurzen Tunnel erreichten, machten den Eindruck, als wären sie schon seit Hunderten von Jahren nie mehr betreten worden. Doch das täuschte. Auch hier zeigte von Trauenfeld, welche ausgeklügelte Technik die alten Mönche schon damals installiert hatten.
Sie standen bald vor einer mit steinernen Schmuckelementen verzierten Wand. Ein breiter Sims zog sich über den Natursteinen entlang, der mit herausgemeißelten Darstellungen von Blättern und Blütenkelchen üppig bedeckt war. Vorsichtig faßte von Trauenfeld in das steinerne Blattwerk. Es dauerte einen Moment, dann machte sich hinter der Steinwand des Gewölbes ein leicht schurrendes Geräusch bemerkbar. Ein verborgener Öffnungsmechanismus gab abermals einen verdeckten Zugang frei. Diesmal konnte man durch die in der Wand unvermutet entstandene Öffnung einfach leicht gebückt weitergehen. Die Gruppe stand nun in einem niedrigen Keller, der von dicken Natursteinpfeilern in einzelne Sektionen unterteilt war. Die Abschnitte zwischen den Säulen lagen in der Dunkelheit. Es ließen sich aber dicke Eisen erkennen, die die Kammern zum Gang hin abtrennten. „Dort drin befinden sich jeweils Regale mit uralten Schriften, Folianten und anderen Aufzeichnungen dieser Brüder“, erläuterte von Trauenfeld seinen immer erstaunteren Begleitern. „Wahrscheinlich sind es unschätzbare Kostbarkeiten. Jedenfalls haben wir hier aber auch noch genug Platz für unsere Einlagerung, die dem Umfang auch viel bescheidener ausfallen wird. Auf jeden Fall ist sie hier sicher, wie in Abrahams Schoß. Seid Ihr mit diesem Platz einverstanden?“ Fragend schaute er in die Runde. Allgemeines zustimmendes Gemurmel war die Antwort. „Der Ablageort ist von mir schon hergerichtet. Es werden keinerlei Feuchtigkeit oder andere Einflüsse an das Gut dringen können, habt also keine Sorge. Ich hoffe, ich habe alles bedacht.“
„Warum aber ausgerechnet hier? Sicher gäbe es in der Burg doch auch einige Gewölbe, die das Versteck aufnehmen könnten“, wollte Lohfeld wissen. „Ich verstehe den Einwand“, antwortete der Gefragte. „Wenn es tatsächlich geschehen sollte, daß unsere Feinde einmal zu einem ernsthaften Schlag gegen uns ausholen, und auszuschließen ist das keineswegs, würden sie nicht davor scheuen, die Burg auch bis auf den letzten Mauerstein abzutragen und zu untersuchen. Ein Versteck, und sei es noch so gut angelegt, hätte dann wohl sehr wenig Chancen, nicht entdeckt zu werden. Zumal man sich eben besonders für die tiefen Gewölbe, Brunnenschächte und Kellerräume interessieren täte. Sie würden dort alles um und umdrehen. Hier jedoch, so glaube ich jedenfalls, sind wir auf der sicheren Seite. Den alten Friedhof und die Kirchenruine wird man wohl, wenn überhaupt, in einem solchen Falle nur oberflächlich prüfen. Zumal in dieser Gegend bekannt ist, daß in der Vergangenheit hier jahraus und jahrein Schatzsucher sich förmlich die Spaten in die Hand gaben. Außer ein paar alten Mönchsknochen und vielleicht dieser oder jener Kleinigkeit, wurde jedoch nie bedeutender Fund gemacht. Der Ort gilt in diesen Kreisen inzwischen als schlichtweg abgesucht. Ich habe mich darüber genau informiert.“ Von Trauenfeld lachte leise. „Außerdem ist unser geheimes Depot mit modernen Mitteln ausreichend gesichert, auch wenn es nicht so aussehen mag. Und es sind auch sehr wirksame Fallen installiert. Dies habe ich selbstverständlich alles alleine hergerichtet. Außer uns Anwesenden weiß niemand davon. Und ich hoffe, daß dies auch so bleiben wird.“
Der Sprecher verstummte. Knisternd brannten die Fackeln in der eingetretenen Stille. Ihr Rauch zog schnell ab, was auf eine gute Belüftung des Raumes schließen ließ. Die Atmosphäre in dem uralten, nur vom zuckenden Flammenschein erhellten unterirdischen Gemäuer war so geheimnisvoll, daß niemand von der Gruppe viel sprechen mochte. Schweigend sah man sich um, wobei einzelnen so mancher Schauer über den Rücken rann. Besonders Maria zog deutlich fröstelnd die Schultern zusammen und hielt sich dicht an die sie begleitenden Männer. „Man könnte meinen“, flüsterte sie plötzlich, „einer der alten Mönche würde plötzlich erscheinen. Wir sind hier wohl den Mächten des Jenseits sehr nahe. Aber ich spüre dennoch keine Angst, nur etwas die Kühle. Irgendetwas ist hier, was uns aber wohlgesonnen scheint.“ Die Frau streckte ihre beiden Arme leicht nach vorne, als wollte sie unsichtbare Spinnweben zerteilen. „Ja, der Ort ist von den Kräften des Jenseits geschützt. Wir haben einen guten Platz gefunden für unsere Absichten. Keiner unserer Feinde würde überhaupt hierher gelangen können. Sie ließen es einfach nicht zu.“
„Sie hat wahr gesprochen“, sagte nach kurzem Schweigen von Trauenfeld verhalten. „Es ist eine Art magischer Ort. Ein Kraftplatz der Alten, die schon lange, lange nicht mehr auf Erden weilen. Aber ihr Wissen hat sich an diesem Ort manifestiert. Nicht nur in den alten Pergamenten und Schriftrollen. Der Platz selbst hält die Kräfte der Erde schon seit Ewigkeiten fest und gibt sie an die weiter, die wissend genug sind, mit ihnen umzugehen.“ Er unterbrach sich, ließ den Satz ganz offenbar unvollendet und sagte dann leise: „Doch ich werde nun müde, liebe Freunde. So laßt uns alle wieder gehen.“
Sie verließen die düsteren Hallen und Gänge der Mönche über den, Weg, den sie zuvor beschritten hatten. Von Trauenfeld schloß alle geheimen Türen sicher hinter ihnen ab und bald erreichten sie die letzten Steinstufen, die unter der verborgenen Öffnung im Boden des Grabmals endeten. Ihr Führer, der nun vorausgegangen war, drückte sie von innen vorsichtig auf, versicherte sich, daß draußen alles ruhig war; erst dann gab er den Weg frei. Als sie gingen, sah alles so unberührt aus, als hätte seit unzähligen Jahren niemand den alten Kirchhof überhaupt nur betreten. Sogar der Efeu rankte wieder dicht über dem geheimen Verschlußstein hinweg.
Der Morgendunst war noch nicht vollständig gewichen, als sie die Burg wieder erreichten. Noch auf dem kleinen Hof verständigte man sich, den verlorenen Nachtschlaf bis Mittag nachzuholen; dann wollte man sich wieder in der Bibliothek treffen. Während alle Gäste ihre Zimmer aufsuchten, ging von Trauenfeld in seinen Arbeitsraum und griff zum Telefon. Nach einigen Gesprächen hatte er die sofortige Bewachung „Schwarzecks“ veranlaßt. Ein ihm sehr gut bekannter Fachmann in Sicherheitsfragen mit eigener Firma hatte sofort zugesagt, noch während des Tages schon einen Mitarbeiter zu schicken. Später wollte er selbst kommen und schauen, wie und wo in den mittelalterlichen Mauern moderne und wirksame Sicherheitstechnik zu installieren sei. Etwas beruhigt begab sich der Burgherr auf den kleinen Wehrgang hinaus, um noch einmal frische Luft zu schöpfen. Die Wunde am Arm schmerzte, aber seine Gedanken kreisten nun um die ferne Gegend, in der sich so bedeutsame Ereignisse zutrugen. Bei seinem letzten geheimen Kontakt zu Rechtsanwalt Meurat unterrichtete dieser ihn, daß Wolf nun schon einige Tage in Polen weilte und die Untersuchung der unterirdischen Anlage anscheinend erfolgreich begonnen hatte. Von Trauenfeld wartete seitdem ungeduldig auf eine weitere Nachricht aus Frankfurt an der Oder. Diese würde ihn per Kurier erreichen. Inständig hoffte der alte Mann, daß die Mission im fernen Eulengebirge von Erfolg gekrönt sein möchte und sie bald in den Besitz der verschollenen Unterlagen gelangen würden. Diese einmal in den Händen haltend könnte man sich mit den Leuten am anderen Ende des Globus in Verbindung setzen und besäße zugleich das wohl wichtigste Unterpfand für eine Beteiligung an dem geplanten Raumflug. Man würde sie, die Herren vom Schwarzen Stein brauchen, um nicht ziellos über die Weiten des fernen Planeten zu fliegen. Nur sie hatten dann Kenntnis von der genauen Lage der uralten Stätten, die damals eine erste Expedition entdeckte und die ihr Logbuch in eben dieser Anlage sicherheitshalber zu Händen von Wolfs Vater gaben, als in den Wirren des Kriegsendes alles drunter und drüber zu gehen schien und schließlich gar die Russen das Gebiet in einer mächtigen Offensive überrollten. Die wertvollen Dokumente auf dem Landweg beiseite zu schaffen, war damals zu riskant und gefährlich geworden. So lagen sie noch immer tief im Schoß des abgelegenen Gebirges.
Der alte Mann auf dem windumwehten Wehrgang war mittlerweile tief in Gedanken versunken. Sie, die Herren vom Schwarzen Stein, hatten sich noch vor Kriegsende der Idee verschworen, Vergangenes deutscher Geschichte nicht auf sich beruhen zu lassen. Mit ihrem Tun legten sie vielleicht den Grundstein für das Wirken künftiger Generationen. Die Idee jedenfalls mußte überleben. So feindselig auch die neue, von den Kräften der Finsternis installierte Gesellschaft darauf reagierte. Seit seinem letzten Besuch beim Arzt wußte von Trauenfeld, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb, seine wenigen Vertrauten in die restlichen Dinge einzuweisen. Einen wichtigen Teil hatte er aber nun getan. Nun blieb noch der Kontakt zu der so weit entfernten deutschen Basis, im Kontinent des ewigen Eises. Wenn Wolf mit den erwarteten Dingen unbeschadet eintraf, würde auf sicherem Wege eine Botschaft von ihm das andere Ende des Planeten erreichen. Möglicherweise erlebte er aber die Reaktion der Männer aus dem Eis schon nicht mehr. Dann mußten eben die anderen das Werk fortsetzen. Unbedingt notwendig war es, an dem bevorstehenden Raumflug teilzunehmen. Das mußte er nochmals seinen Mitstreitern verdeutlichen. Von Trauenfeld wandte sich um und ging zurück in seine Räume in der Burg. Die Uhr zeigte inzwischen die siebte Morgenstunde, und die Sonne tauchte das grüne Land in ein warmes, weiches Licht. Wie der in seinem Arbeitszimmer angekommen griff er abermals zum Telefon und wählte die Nummer eines alten Freundes in der kleinen Stadt, die unten am Ufer des Sees lag. Dessen Büro war schon besetzt. Mit freundlicher Stimme meldet sich die Sekretärin und verband ihn sofort weiter. „Guten Morgen, Edmund“, begrüßte von Trauenfeld seinen Gesprächspartner. „Was für eine Überraschung, was kann ich für dich tun?“ klang es zurück aus der Leitung. „Wir hätten ein paar Dinge zu besprechen, möglichst persönlich“, antwortete er. „Kein Problem. Eilt es sehr?“ „Wäre es dir morgen Vormittag möglich? In dem kleinen Kaffee am Markt, du weißt schon. Ich würde gehen zehn Uhr da sein.“ Auf der Gegenseite raschelte offenbar das Papier eines Terminkalenders. „In Ordnung, ich warte dann schon auf dich“, kam schließlich die Zusage. „Also, dann bis morgen.“ Von Trauenfeld legte den Hörer des Apparates wieder zurück auf die Gabel. Edmund hatte verstanden. Die Erwähnung des kleinen Cafés am Markt war das vereinbarte Codewort gewesen, das höchste Dringlichkeit bescheinigte. Aus einer kleinen Kapsel nahm von Trauenfeld einige Tabletten, schluckte diese, spülte mit einem Glas Wasser nach und begab sich dann in seinen abgedunkelten Schlafraum. Hier legte er sich angekleidet auf die breite Bettstatt und fiel bald in einen unruhigen Halbschlaf.
Gegen Mittag des Tages trafen sich alle nochmals in der Bibliothek. Von Trauenfeld ermahnte seine Gefährten, über alles Besprochene gegenüber Jedermann absolutes Stillschweigen zu bewahren. „Es ist einfach zu wichtig“, sagte er. „Und denkt auch daran, wir müssen bei dem Flug zu dem fernen Planeten unbedingt dabei sein. Ohne unsere Informationen, die ja nun bald eintreffen werden, würde die Mannschaft aus dem Eis nach den alten Anlagen zwar unendlich lange suchen müssen, aber sicher ist sicher. Sobald Wolfs Sohn mit den Unterlagen eintrifft, werdet ihr alle auf dem üblichen Wege verständigt. Kommt dann schnell, vielleicht bleibt nicht mehr viel Zeit. Sollte mir etwas geschehen, immer hin bin ich ein alter, kranker Mann, wird sofort unsere Sigrun die Leitung aller weiterer Aktionen übernehmen. Sie ist von Anfang an dabei, war immer der treibende und verständige Kern gewesen. Sie hat noch aus vergangener Zeit die notwendigen Kontakte und weiß, wie vorzugehen ist. Zudem macht ihre charmante Weiblichkeit ihr manche Dinge leichter, als es bei uns Männern der Fall wäre. Sind Sie, Sigrun, mit dieser, meiner Entscheidung einverstanden? Sind alle anderen einverstanden?“ Schweigend hoben alle die nach vorne und mit den Fingerspitzen nach oben gerichtete Handfläche in halbe Körperhöhe. „Ich sehe, wir sind uns einig. Das ist gut. Sigrun wird koordinieren, die Fäden in der Hand halten. Alle werden ihr helfend mit Rat und Tat zur Seite stehen, wie wir es immer handhabten.
Sigrun, Sie bleiben bitte noch einen Moment bei mir, um noch einige Einzelheiten zu besprechen. Die anderen bitte ich nun, uns zu verlassen. Ich danke für das Kommen und wünsche allen Erfolg und eine gute Heimfahrt. Möge das Licht der Schwarzen Sonne uns leuchten.“ Mit dem Gruß der Bruderschaft verabschiedete sich jeder Einzelne beim Meister des Ordens. Die Männer hatten ihre Zimmer schon geräumt, und die Autos standen auf dem Burghof abfahrbereit. Nachdem das Gepäck in den Wagen verstaut war, verabschiedete man sich herzlich voneinander. Dann verließen die Fahrzeuge in längeren und bewußt unregelmäßigen Abständen die kleine Burg, um zu der Fernstraße am Seeufer zu gelangen, die später in das Autobahnnetz mündete.
Von Trauenfeld schritt an einen kleinen, unauffälligen Sekretär, der an der Wand zwischen den hohen Bücherregalen stand. Dort betätigte er einen verborgenen Handgriff. Zum Vorschein kam eine Tafel mit Knöpfen, die jeweils ein Runenzeichen trugen. Er gab ein Wort ein. Daraufhin klickte es leise metallisch und eines der alten, die Wände zierenden Ölgemälde schob sich ein Stück nach vorn. Wie sich jetzt zeigte, war das Bild an einer kleinen, aber sehr massiven Stahltür befestigt, die jetzt offen stand und Zugriff in einen versteckten Wandtresor erlaubte. Der alte Mann entnahm diesem ein Stapel Akten und einen in schwarzen Samt gehüllten Gegenstand. Am großen Schreibtisch breitete er alles aus, bat Sigrun Platz zu nehme und erläuterte. „Ich fasse mich kurz, meine Liebe. Hier ist alles, was derzeit wichtig und von Bedeutung ist. Sie sollen darüber informiert sein. Hier drin ist die Aufstellung aller zugänglichen natürlichen Höhlensystem in Deutschland, in denen sich geheime Anlagen befinden mit unterschiedlichsten Inhalten beziehungsweise Funktionen“, sagte er und zeigte einen schmalen, dunkelbraunen Hefter vor. „In diesem“, wobei er auf einen anderen dunkelroten Umschlag wies, „befinden sich aufgeschlüsselt nach den einzelnen Objekten mit Tarnnamen die jeweils zugehörigen Einzelheiten. Also, wo sich was befindet oder eingelagert wurde. Eine Vollständigkeit kann ich jedoch leider nicht garantieren. Auch wir haben damals nicht mehr alle Informationen zuverlässig beschaffen können. Daß alle diese Unterlagen mehr als nur streng geheim sind, brauche ich Ihnen wohl nicht zu betonen.“
„Das ist natürlich klar“, antwortet die jetzt in ein langes schwarzes Kleid gehüllte Frau. „Sie können sich freilich ganz auf mich verlassen. Darf ich aber nun einen Blick hineinwerfen?“
„Schauen Sie nur, Sie werden auf die Dinge ab sofort ohnehin Zugriff haben.“ Sigrun nahm den ersten Hefter und blätterte die Seiten vorsichtig auf. Pergamente und Blaupausen mit teilweise offenbar sehr alten und neueren Skizzen und Zeichnungen befanden sich darin. Alle trugen die bekannten Stempel: „Geheime Kommandosache“ und „Streng geheim“. Es waren zum überwiegenden Teil alles Ausschnitte alter Landkarten und neuzeitlicher Meßtischblätter, in denen genauestens die Zugänge zu den der Allgemeinheit völlig unbekannten Höhlensystemen eingetragen waren. Jedes der Systeme war hier zudem mit einem Tarnnamen bezeichnet worden. Am Ende der Akte standen dann diese alphabetisch aufgeschlüsselt und mit der jeweiligen Seitenzahl versehen, ähnlich einem Inhaltsverzeichnis. Sigrun überflog kurz die Seiten. Ihre staunenden Augen huschten dabei über geographische Bezeichnungen wie Schwäbische Alb, Harz, Ammergebirge, Helgoland, Thüringer Wald, Feldberg und andere. Ein weiterer Hefter enthielt eine Reihe technischer Zeichnungen, die exakte Darstellungen bestimmter Untergrundanlagen und der dort befindlichen technischen Einrichtungen zeigten. Alles war penibel sauber und übersichtlich abgeheftet. Selbst ein Außenstehender hätte kein Problem, sich schnell eine Übersicht zu verschaffen und sich darin zurechtzufinden. Besonders bemerkenswert waren die älteren Fotos, die sich in beiden Heftern befanden. Auf den Bildern, ebenfalls immer den einzelnen Objekten zugeordnet, waren so zum einen Details der geheimen Zugänge in der Landschaft erkennbar. In einer anderen Sammlung, wo das Innere der Systeme dargestellt wurde, gab es Bilder, die technische Einrichtungen, Räume und ähnliches abbildeten.
„Die ist die eine Sache“, sagte von Trauenfeld. „Hier geht es weiter. In diesem dritten Ordner liegen alle schon vorhandenen Berichte und Informationen, die unsere angestrebte Aufgabe betreffen.“ Dieser Abheftung war dann die dünnsten von allen. Sie enthielt einen ersten Flugbericht, der jedoch keine präzisen Positionsangaben beinhaltete. Da waren aber auch eine ganze Reihe phantastisch anmutender Photos, die - aus geringer Höhe aufgenommen - die fremdartige Oberfläche des Roten Planeten zeigten und ruinenhafte Gebilde, die vom Sand teil schon fast zugeweht waren.
„Und genau hier liegt der Kern des Rätsels begraben. In irgendeinem dieser uralten Bauwerke ist die geheime Kammer, in der sich die Information über den Weg zum begehrten magischen ‚Schwarzlila Stein‘ befindet. Zu ihm müssen wir wieder Zugang erhalten. Dies bedeutet, diese Information zu finden, sie zu bergen und sie zurück auf die Erde schaffen. Dann, nach seiner Auffindung, muß die Versammlung zum rechten Zeitpunkt einberufen und die alten, überlieferten Rituale vorgenommen werden. Erst dann werden wir über die Kräfte verfügen, die diese herrschende, geradezu satanische Finsternis von der Erde und ihrer Menschheit vertreibt. Wir müssen unseren Gegnern zuvorkommen, denn auch die haben Kenntnis, daß dem Stein ungeahnte Kräfte innewohnen. Sie wissen zwar nichts mit ihm anzufangen, da sie nicht die geheimen magischen Rituale unsere Altvorderen kennen, aber sie können ihn unserem Zugriff entziehen, was eine Katastrophe wäre. Doch es wird alles nicht so einfach sein, wie ich es gerade in kurzen Worten sagte. Unsere Gegner werden sich wehren, mit allen nur möglichen Mitteln. Und ich sehe leider auch deutlich, daß es unserem Kreis teure Opfer kosten wird. Ich werde zu dieser Zeit schon nicht mehr unter Euch weilen ...“ Sigrun sah den alten Herren fragend an: „Ist es so schlimm?“
„Nein, schlimm nicht. Es ist einfach das Alter und ich bin sehr krank. Belassen wir es dabei, Sigrun. Die Wesenheit Isais möge mit Ihnen sein. Ihren Stein brauchen wir aber wieder hier auf Erden. Und das möglichst schnell.“
Die beiden trafen noch einige Absprachen. Von Trauenfeld machte die Frau so auch mit dem Zugangskennwort und seiner Handhabung zum versteckten Tresor vertraut und gab ihr noch einige andere Informationen. Es war schon Nachmittag, als auch Sigrun „Schwarzeck“ verließ und mit ihrem schnellen, kleinen Auto zurück Richtung Norden fuhr.
Wolf hatte per Eisenbahn unbehelligt die Grenze passiert und näherte sich nun wieder seiner Heimat. Draußen zogen die vertrauten flachen Landstriche vor den schmutzigen Fenstern des Abteils vorbei. Seine Gedanken weilten bei Sabine. Er hatte sie vom Grenzbahnhof aus anrufen wollen. Zu seinem Erstaunen und Beunruhigung ging aber niemand an den Apparat. Er versuchte es mehrfach, doch es stellte sich kein Erfolg ein. Vielleicht war sie gerade mal in der Stadt, um irgendeine Besorgung zu erledigen, versuchte er sich zu beruhigen. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl. So kam es, daß er nun immer mehr der Ankunft auf dem Frankfurter Hauptbahnhof entgegenfieberte. Gleich von dort aus wollte er es nochmals versuchen, noch ehe er Rechtsanwalt Meurat verständigte. Es dauerte aber doch noch eine Stunde, ehe der Zug langsam rumpelnd über das Gleisgewirr schließlich in der Bahnhofshalle einfuhr. Er stand noch nicht ganz als Wolf die Tür aufriß, absprang und eiligst in Richtung der Empfangshalle rannte. Nur den alten Rucksack auf seinen Rücken hielt er an den Schulterriemen immer mit einer Hand gut fest. Erneut warf er Münzen in den Telefonapparat, doch wieder ging nur der lange Rufton nach draußen. Es meldete sich niemand. ‚Sie müßte doch aber schon lange zurück sein‘, ging es ihm zunehmend besorgt durch den Sinn. Er versuchte es noch einmal, vergeblich, dann verließ er den Bahnhof und eilte zum Taxistand. Wieder mußte er warten. Wie immer war kein Fahrzeug sofort zur Verfügung. Endlich kam eine schwarze Limousine angerollt. Der Fahrer machte einen müden, griesgrämigen Eindruck. „Was, bis da raus?“ fragte er mürrisch. „Da habe ich doch inzwischen schon fast Feierabend“. Erst ein zugesteckter Geldschein besänftigte etwas und ließ ihn endlich das Fahrzeug in Bewegung setzen. Dann fuhr er aber auch wie ein Teufel durch die Stadt; nahm nach Wolfs Hinweisen mehrere Abkürzungen, und eine dreiviertel Stunde später rumpelte der Wagen über den einsamen Weg zu dem Hof vor den dunklen Waldrändern. Wolf zahlte eilig, wobei er noch ein gutes Trinkgeld gab, dann rannte er auf das Haus zu, das hinter den Gartenzäunen und Hecken sich hier in aller Stille erhob.
„Sabine, ich bin wieder da!“ rief er laut. Doch nichts rührte sich. Aber ihr kleines Auto stand in der offenen Scheune neben dem Hof. Also mußte sie da sein. Wolf drückte die Türklinke, die auch sofort nachgab. Knarrend öffnete sich die Haustür. „Sabine ...?“ Seine Stimme fand keine Antwort. Es war draußen inzwischen schon fast dämmrig geworden, so daß die Zimmer in ein düsteres Licht getaucht waren. Die Küche zeigte sich leer. Aber auf dem Küchentisch lagen Einkäufe verteilt und offenbar hatte Sabine begonnen, gerade ein Abendbrot vorzubereiten. Neben dem Messer lagen geschälte Zwiebeln und Kartoffeln. Ein mit Wasser gefüllter Topf stand bereit, und unter dem Herd stapelte sich ein Häufchen frisches Holz. Er fand Sabine aber trotz aller Absuche nicht.
Wolf vermochte nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, als er in die Wirklichkeit zurückfand. Draußen war es mittlerweile völlig dunkel geworden. Der Wind strich rauschend um die nahen Bäume, und in der Scheune nebenan schlug ständig eine wohl offenstehende Tür klappend hin und her. Wie betäubt erhob er sich endlich. Sabine war verschwunden. Ihre Entführer hatten dabei weder Geld noch Gut gesucht. Und es war kein gewöhnlicher Überfall gewesen. Für ihn gab es sogar eine Nachricht. Sie steckte in Sabines alter Schreibmaschine. Das weiße Blatt Papier ragte überdeutlich hervor, so daß Wolf es unbedingt finden mußte. Auf dem Blatt waren nur wenige Zeilen getippt worden.
„Suche sie nur..., dann bist DU dran!“ Das „Du“ war dick unterstrichen. Ganz offenbar hing Sabines Verschwinden – oder besser wohl Entführung - mit seinem eben erledigten Auftrag zusammen. Eine grausamere Warnung hätte man ihm nicht zukommen lassen können. „Ihr Schweine“, murmelte Wolf. „Aber ich werde euch und Sabine suchen und finden. Und dann gnade euch Gott!“ Aber warum hatten sie ihm hier nicht aufgelauert? Denn offenbar glaubten die Unbekannten, und er war der festen Überzeugung, daß hier mehrere Personen am Werk gewesen waren, daß Sabine etwas gewußt hatte, das sie interessieren könnte. Nun, dies war zumindest nicht der Fall gewesen. Leise ging Wolf durch die Räume. Wie im Trance schaute er sich noch um, konnte aber sonst nichts Auffälliges mehr entdecken. Das Telefon war tot. Irgendjemand mußte noch vor seiner Ankunft die Leitung durchtrennt haben. Oder hatten die Entführer gar auf ihn versteckt gewartet, um ihn noch zu beobachten? Warum aber hatten sie sich dann nur an Sabine gehalten? Schnell nahm er den Rucksack wieder auf den Rücken und überlegte, wie er auf schnellsten Wege zu Meurat kam. Das wertvolle Material, das er bei sich trug, mußte jetzt ganz besonders gut gesichert werden. Da aber das Telefon im Haus nicht mehr benutzbar war, konnte er sich nicht einmal von hier aus melden, um das Schreckliche Meurat mitzuteilen. Da fiel ihm blitzartig Sabines Auto ein. Die Schlüssel dazu hingen wie immer an dem kleinen Brett neben der Eingangstür. Er schloß diese fest hinter sich zu und lief rasch zu dem Wagen. Schon wollte er den Schlüssel in das Zündschloß stecken, als ihm auffiel, daß das Auto nicht abgeschlossen gewesen war. Sie schloß aber immer den Wagen ab. Er war einfach zu wertvoll in dieser Zeit, auch wenn es ein altersschwaches Modell war, um ihn leichtsinnig offen stehen zu lassen. Schließlich konnte nachts jeder schnell über die niedrigen Umzäunungen springen und sich an dem Fahrzeug zu schaffen machen. Zitternd zog er die Hand vom Zündschloß zurück. Vielleicht ... Wollte man ihn so aus dem Weg räumen? Wußten die Verbrecher nicht, daß er so kostbares Material bei sich trug? Eine Explosion hätte nicht nur ihn getötet, sondern auch alles andere restlos vernichtet. Oder welche Fallen hatte man gelegt? Gehetzt sah er sich auf dem dunklen Gelände des alten Gehöftes um. War da nicht eben ein Schatten hinter dem Holzschuppen? Oder narrten ihn schon die Sinne? Mit kaltem Schweiß auf der Stirn rannte er schließlich den Weg zur Fernstraße entlang. Nur weg von dem für ihn nun so verhängnisvollen Ort! Völlig erschöpft kam er nach etwa 20 Minuten an der breiten Chaussee an. Und er hatte Glück, ein Lastwagen nahm ihn mit in die Stadt. Aus der nächsten Telefonzelle rief er Meurat an. Es klingelte einige Male, dann meldete sich die ruhige Stimme des Anwalts. „Meurat, hier ist Wolf! Ich bin wieder da, aber es ist etwas ganz Böses geschehen! Bitte holen Sie mich hier schnell ab!“
„Was ist passiert? Haben Sie alles dabei?“ Am anderen Ende geriet der Jurist sichtlich aus der Fassung. „Sagen Sie mir nur noch, wo Sie jetzt sind.“ Wolf beschrieb seinen Standort am Stadtrand von Frankfurt an der Oder. „Ich bin schnellstens da“, sagte der Anwalt am anderen Ende und warf unvermittelt den Hörer auf die Gabel.
Erst in Meurats Wagen kam Wolf wieder etwas zur Ruhe. Der Anwalt war wie ein Irrer durch die abendliche Stadt gerast, um ihn rasch abzuholen. Die Begrüßung fiel den Umständen entsprechend nur kurz und hektisch aus. Noch im Auto schilderte Wolf aber das schreckliche Geschehen. Gab dem Fahrer gleichzeitig aber auch zu verstehen, daß die Dinge sich nun in dem Rucksack befänden, den er fest auf dem Schoß hielt. Sie fuhren in die Kanzlei. Als sie den Wagen abstellten, sahen sie sich aufmerksam um. Doch niemand schien sie verfolgt zu haben oder sonst erkennbar zu beobachten. Allerdings waren die Parkanlagen neben den Abstellflächen ins Dunkel des Abends gehüllt. Hinter den Bäumen und Büschen hätte so eine ganze Schar von Beobachtern hocken können, ohne erkannt zu werden. Eilig schritten sie daher zum Haus, wo Meurat sorgfältig die schwere Eingangstür wieder hinter ihnen verschloß. In der Kanzlei im ersten Stock angekommen setzte er rasch Kaffee auf und stellte die Cognacgläser auf den mächtigen Schreibtisch seines Büros. Die bräunliche Flüssigkeit brannte im ausgetrockneten Hals, weckte bei Wolf aber wieder die Lebensgeister. „Das ist ja wirklich eine furchtbare Geschichte“, sagte Meurat schließlich, als sie beim dampfenden Kaffee saßen. „Natürlich kümmere ich mich um alles. Wir werden die Feststellung von Sabines Verschwinden aber etwas nach hinten verlegen, wenn Sie dort draußen keiner gesehen zu haben scheint. Sind Sie sicher, daß sich nichts Wichtiges in ihrem Haus oder auf dem Grundstück befindet?“
„Völlig sicher“, antwortete Wolf. „Sie wußte ja nicht einmal, wo genau ich mich befand. Geschweige in was für einem Auftrag. Ich verstehe das einfach alles nicht.“
„Nun beruhigen Sie sich bitte etwas, auch wenn es schwer fällt. Ich verstehe Sie ja sehr gut.“ Meurat stand auf und legte ihm die große, breite Hand auf die Schulter. Auf jeden Fall müssen wir es der Polizei melden. Sie haben schließlich ihr Verschwinden entdeckt. Und es war bekannt, daß sie ihre Freundin war. Trotzdem, alles ist sehr schrecklich. Ich muß Sie aber irgendwie aus dem Schußfeld bringen. Schließlich haben Sie noch so Wichtiges zu erledigen.“