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In "Das Gastmahl" entfaltet Platon ein facettenreiches Gespräch über die Natur der Liebe und Erotik, das in Form eines symposionartigen Dialogs präsentiert wird. Die Dialogpartner, darunter Sokrates und Agathon, erörtern in eloquentem und philosophischem Stil unterschiedliche Aspekte der Eros, der sowohl als treibende Kraft der menschlichen Existenz als auch als Mittel zur Erkenntnis des Schönen betrachtet wird. Platons meisterhafte Prosa, durchdrungen von rhetorischen Feinheiten und tiefgründigen Gedanken, stellt den Leser vor die Herausforderung, die Grenzen zwischen Wissen und Begierde, zwischen materieller und platonischer Liebe neu zu definieren. Platon, ein Wegbereiter der westlichen Philosophie und Schüler Sokrates', zeigt in diesem Werk seine Auseinandersetzung mit der Antike, in der Liebe eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen und philosophischen Diskurs spielt. Geprägt von seiner eigenen Lebenssituation und den politischen Umbrüchen seiner Zeit, reflektiert er über Menschlichkeit und den Sinn von Beziehungen, während er gleichzeitig ein intellektuelles Erbe schafft, das bis heute nachhallt. "Das Gastmahl" ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für die Philosophie der Liebe und die dialogische Form der antiken Literatur interessieren. Platons scharfsinnige Einsichten und die kunstvolle Gestaltung des Textes fordern sowohl emotionale als auch intellektuelle Reflexion und regen zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den fundamentalen Fragen des Menschseins an.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Apollodor.
Nun diesmal, Freunde, wäre’ ich ja wohl der Mann dazu, eure Neugierde zu befriedigen! Und damit ihr seht, daß ich die Geschichte noch ganz auswendig weiß, so hört nur! Gestern gehe ich von Phaleron, wo ich zu Hause bin, nach der Stadt. Unterwegs bekömmt mich einer von meinen Bekannten von hintenzu zu sehen, und ruft mir von ferne in spaßhafter Laune nach: „He da, gestrenger Herr Apollodorus, Bürger und Zünfter von Phaleron1, so nehmen Sie doch einen andern auch mit!“ Ich stand also still, bis er nachkam. – „Wie erwünscht,“ sagt er, „Apollodor, daß ich dich treffe. Ich habe dich schon aufgesucht, und wollte dich bitten, mir doch die Gespräche über die Liebe mitzutheilen, die neulich bey Agathons großem Schmause zwischen ihm, dem Sokrates, Alcibiades und andern Gästen vorgefallen sind. Es hat mir zwar schon ein anderer etwas davon gesagt, der es von Phönix, des Philippus Sohn, gehört hatte, das war mir aber nicht deutlich, und nicht umständlich genug. Und du sollst ja auch davon wissen. Also erzähle mir doch. Du hast gewiß vor andern Beruf, deines Freundes Reden und Grundsätze weiter zu verbreiten. Aber vor allen Dingen sage mir doch, warst du etwa selbst von der Gesellschaft?“ – Ja nun sehe ich wohl, daß dein Erzähler weder deutlich noch umständlich gewesen ist, da du dir einbildest, die Zusammenkunft, von der die Rede ist, wäre so ganz von neulich her, daß ich selbst hätte dabey seyn können. – „Nun ja, das dacht ich doch.“ – Wie wäre das aber möglich, lieber Glaukon? Weißt du denn nicht, daß schon seit vielen Jahren Agathon nicht mehr hieher gekommen ist. Und noch ist es nicht drey Jahre her, daß ich mit dem Sokrates umgehe, und daß mich alles, was er spricht und thut, so sehr interessirt. Vorher war ich dir wirklich ein unstäter Landstreicher, und so viel ich mir auch auf meine Thätigkeit einbildete, ein recht erbärmlicher Mensch! Nicht um ein Haar besser daran, als du alleweile; denn Philosophie ist doch auch in deinen Augen das Letzte, was man treiben muß. – „Nu, den Stich will ich mir verbitten! Aber sag mir doch, wenn war denn also der berühmte Schmauß?“ – Ach, damals waren wir noch Kinder. Agathon hatte seinen ersten Preis im Trauerspiel gewonnen. Diesem Sieg zu Ehren gab er seinen Schauspielern ein großes Fest, und den Tag darauf bat er auch einige gute Freunde zusammen. – „Das ist also schon eine sehr alte Geschichte, wie ich merke! aber, wer hat es denn dir erzählt? Etwa Sokrates selbst?“ – Nein, ich habe mit dem Phönix einerley Referenten. Es war ein gewisser Aristodemus, ein kleines Männchen, das immer baarfuß gieng; der war mit bey der Gesellschaft gewesen. Auch war er, meines Wissens, damals einer von Sokrates wärmsten Freunden. Doch hab’ ich nachher über verschiedne Punkte den Sokrates selbst befragt, und er hat mir versichert, es wäre alles so richtig, wie es mir jener erzählt hätte. – „Nun denn, du erzählst es mir doch auch? Wir können ja auf dem Wege nach der Stadt nichts bessers thun, als plaudern!“ – – So schlenderten wir mit einander fort, und sprachen von der Geschichte. Also könnt ihr denken, wie ich schon gesagt, daß ich sie ganz auswendig weiß. Soll ich sie etwa euch auch erzählen, so muß ich ja wohl. Ohnedem macht es mir, den Nutzen abgerechnet, allemal ein ausnehmendes Vergnügen, wenn ich über Philosophie sprechen oder andre hören kann. Wenn ich aber so andere Gespräche mit anhören muß, zumal wie sie in der Gesellschaft solcher reichen Negocianten und Kapitalisten, wie ihr seyd, vorfallen, so möchte ich sterben vor Langerweile, und bedaure euch als meine guten Freunde zugleich, daß ihr eine so nichtswürdige Beschäftigung für wahre Thätigkeit haltet. Freylich werdet ihr, umgekehrt, mich auch für einen armen Stümper halten, und ich glaube selbst, daß ihr den wahren Glauben habt; was ich aber von euch denke, das ist nicht bloßer Glaube, das ist Wissenschaft.
Ein Freund des Apollodor.
Du bleibst dir doch immer gleich, Apollodorus; immer der ewige Strafprediger gegen dich selbst und uns andere; und im Ernste, glaub’ ich, außer dem Sokrates hältst du alle Menschen, dich selbst an der Spitze, für erbärmliche Leute. Nun weiß ich zwar nicht, wie du zu dem Ehrentitel kömmst, daß dich die Leute einen Phantasten nennen; aber in Gesellschaften, gestehe ich, bist du wirklich nichts anders, denn immer ereiferst du dich gegen dich selbst und die ganze Welt, nur den Sokrates ausgenommen.
Apollodor.
Nun freylich, daraus siehst du ja eben, lieber Freund, da ich so von mir und euch denke, daß ich nichts anders bin als ein Phantast und ein verrückter Schwärmer!
Der Freund.
Nun darüber wollen wir nun alleweile nicht mit einander hadern; thu’ uns lieber jetzt den Gefallen, und erzähle uns die bewußte Unterredung.
Apollodor.
Ich kam zu Sokrates, sagte mir Aristodem, und fand ihn gebadet, und, was man sehr selten bey ihm sieht, mit Schuhen an den Füßen. „Wohin so geputzt, Sokrates?“ fragte ich ihn. Zu einem Gastmahl bey Agathon. Gestern da er sein Siegesfest feyerte, war mirs zu laut bey ihm; darum hab ichs ihm auf heute zugesagt. Und nun siehst du mich aufs beste herausgepuzt, damit ich dem schönen Mann keine Schande mache. Wo werde ich aber dich jetzt hinthun, Aristodem? hättest du etwa Lust, als ungebetener Gast die Gesellschaft zu vermehren? –
„Was du mit mir machen willst, Sokrates.“ – Laß uns also gehen. Wir wollen einmal dem Sprichwort eine kleine Gewalt anthun2 und uns einbilden, als hieße es:
Bey dem Edeln bittet der Edle sich selber zu Gaste.
Hat es doch Vater Homer sogar umgekehrt, da er den weichlichen Menelaus ungeladen zu des tapfern Agamemnons Opfermahl kommen läßt, den Schlechtern zu dem weit Edlern. – „Und mit Homer werd ich es wohl auch halten müssen, da ich mich als ein Mann von gemeinem Schlage bey einem Philosophen zu Gaste bitte. Wie wirst du es aber verantworten, Sokrates, daß du mich mitbringst? denn mache dich immer darauf gefaßt, daß ich mich auf deine Einladung berufe.“ Dazu wird sich auf dem Wege schon Rath finden. Komm nur.
So giengen wir also fort. Sokrates, der seinen Gedanken nachhieng, blieb bald zurück, und hieß mich, da ich auf ihn warten wollte, vorangehen. Es machte sich aber seltsam genug. Die Thüre an Agathons Hause fand ich offen und ein Sklave, der mir entgegen kam, führte mich gleich in den Saal, wo die andern schon an der Tafel waren und eben zulangen wollten. Du kommst eben recht, Aristodem, rief mir Agathon entgegen, wenn du unser Gast seyn willst; führt dich aber etwas anders hieher, so laß es immer auf einandermal anstehen. Ich habe dich gestern lange gesucht, um dich zu mir zu bitten, aber du warst nirgends zu finden. Warum bringst du uns aber den Sokrates nicht mit? – Jetzt erst sah ich mich um, und bemerkte, daß er mir nicht nachgekommen war. „Mit Sokrates komm’ ich eben her, sagte ich, und er ists, der mich zu dir eingeladen hat.
Das hast du gut gemacht, Aristodem. Aber wo hast du denn deinen Mann gelassen? „Er war eben noch hinter mir, und ich begreife nicht, wo er mag hingekommen seyn.“ Geschwind such ihn auf, sagte Agathon zu einem Sklaven und führe ihn herein –. Und du, Aristodem, magst inzwischen neben Eryximachus Platz nehmen. Laß dir von jenem Sklaven die Füße waschen, damit du dich alsdenn niederlassen kannst.
Unterdessen kam der vorige Sklav mit der Nachricht zurück: „Sokrates stehe im Vorhof eines Nachbar-Hauses; und kein Bitten habe ihn vermögen können, herein zu kommen.“ Das ist ja ein sonderbarer Einfall von ihm, rief Agathon. Geh noch einmal hin und ruhe nicht, bis du ihn mitbringst.
Nicht doch, sagte ich, laßt ihm immer seine Freiheit. Ihr kennt ja schon seine Weise, allein und in sich selbst versenkt, bald da bald dort stehen zu bleiben. Seid unbesorgt. Er kommt ganz gewiß von selbst, wenn ihr ihn jetzt in Ruhe lasset.
Agathon.
Wie du meinst Aristodem. – Unterdessen könnt ihr uns aufwarten, Sklaven! Sezet uns vor, was ihr wollt, heute sollt ihr einmal keinen Herrn haben. Bildet euch ein, ich sey auch eurer Gäste einer, und bewirthet uns so, daß wir euch loben können.
Wir fingen an zu speisen und Sokrates kam noch immer nicht. Agathon wollte mehrmalen nach ihm schicken, wenn ichs zugelassen hätte. Endlich kam er, und früher als er es sonst in solchen Fällen zu halten pflegt; doch hatten wir schon zur Hälfte abgespeiset. „Komm hieher, Sokrates, sagte Agathon, der unten an der Tafel allein saß3, „setze dich neben mich, vielleicht theilt sich mir durch die Berührung auch etwas von der Weisheit mit, die dir im Vorhofe erschienen ist; denn entdeckt hast du gewiß etwas, sonst dürften wir dich schwerlich schon haben.
Sokrates, (indem er sich niederläßt,)
Ich wäre es ganz wohl zufrieden, wenn es mit der Weisheit wäre wie mit dem Wasser, das aus dem vollen Krug durch das wollene Tuch in die leeren Becher tröpfelt. Dann würde mir der Platz neben Agathon noch einmal so werth seyn. Meine Weisheit, die sich wohl überhaupt noch bezweyfeln ließe, und die vielleicht nicht viel mehr ist als ein Traum, würde sich gar nicht übel in der Nachbarschaft der deinigen befinden, die dir kürzlich in so jungen Jahren vor einer glänzenden Versammlung von mehr als 30,000 Griechen soviel Ehre und Beyfall erworben.
Agathon.
Spotte nur Sokrates! Welcher von uns der größte Meister in der Weisheit sey, wollen wir nachher ausmachen. Bacchus soll nachher Schiedsmann seyn! Inzwischen laß dir jezt nur das Essen wol schmecken.
Sobald die Mahlzeit geendiget war, wurde die Libation4 verrichtet. Die Gäste sangen ein Loblied und verrichteten die übrigen Cerimonien; und nun wurden Anstalten zum Trinkgelage gemacht. – „Ich dächte“ fieng jetzt Pausanias an, „es würde nicht übel gethan seyn, heute jedem seine freye Wahl beym Trinken zu lassen. Ich wenigstens darf mir nicht viel zumuthen, mir ist der Kopf vom gestrigen Rausche noch schwer, und ich sollte meinen, euch nicht weniger; ihr habt euch wenigstens gestern auch wacker genug gehalten. Es wird euch also wohl auch recht seyn, wenn wir heute lieber jeden trinken lassen, soviel er will.“
Aristophanes.