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Eine aufregende Reise durch die Savanne Die Savanne ist wunderschön und voller Geheimnisse. Doch das Leben der Tiere dort ist auch gefährlich. Komm mit auf eine Reise ins weite Grasland. Das Leben der Geparde ist gefährlich. Das weiß auch Schatten, ein junger und seltener Königsgepard mit einem besonderen Muster im Fell. Seine Mutter hat ihm und seinen Geschwistern von klein auf beigebracht, stets auf der Hut zu sein: denn Geparde sind zwar unheimlich schnell, aber nicht stark genug, um sich gegen Feinde zu wehren. Doch Schatten hat von dieser ständigen Vorsicht die Schnauze voll. Zusammen mit seinem Bruder wagt er sich aus dem Naturschutzgebiet heraus - und landet im Revier zweier mächtiger Geparde … Aufregende Abenteuer, erstaunliche Wunder der Natur und das spannende Leben der Tiere – diese Kinderbuchreihe entführt Mädchen und Jungen ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer, im dichten Wald oder in der Savanne: In diesen Geschichten erleben Tiere schöne und zugleich bewegende Abenteuer. Mit berührenden und coolen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Für Fans von Peter Wohlleben und Karsten Brensing. Alle Bände dieser Reihe: Das geheime Leben der Tiere (Savanne) - Nuru und Lela - Das Wunder der Wildnis Das geheime Leben der Tiere (Savanne) - Maru - Die Reise der Elefanten Das geheime Leben der Tiere (Savanne) - Im Reich der Geparde Das geheime Leben der Tiere (Savanne) - folgt Die Titel sind auf Antolin gelistet.
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Seitenzahl: 156
1. Kapitel: Wie Schatten in der Savanne
2. Kapitel: Der Weg der Geparde
3. Kapitel: Magisches Futter
4. Kapitel: In Lebensgefahr
5. Kapitel: Gepunktete Beute
6. Kapitel: Ein nächtliches Versprechen
7. Kapitel: Ein hoher Preis fürs Fliegen
8. Kapitel: Der Unterricht beginnt
9. Kapitel: Endlich Erfolg
10. Kapitel: Auf ins Ungewisse
11. Kapitel: Schrecklich dumme Entscheidungen
12. Kapitel: Schmerzen und Hunger
13. Kapitel: Streuner
14. Kapitel: Das Reich der Geparde
15. Kapitel: Unerwünscht
16. Kapitel: Die klingenden Herden
17. Kapitel: Besondere Pläne
18. Kapitel: Im Schutz der Dunkelheit
19. Kapitel: Mutig wie ein Honigdachs
20. Kapitel: Die rollenden Felsen
21. Kapitel: Geists Geschichte
22. Kapitel: Der verlorene Bruder
23. Kapitel: Zerbrochene Träume
24. Kapitel: In der Klemme
25. Kapitel: Ein ungleiches Rennen
26. Kapitel: Neue Wege
Und wie ist das alles wirklich?
Die Jägerin starrte in die Ferne.
Sie hatte einen Hügel gefunden, der ihr perfekte Sicht auf das Grasmeer bot. Nun suchte sie angespannt nach einer Bewegung, die nicht vom Wind in den trockenen gelben Halmen stammte. Aber da war nichts – die anderen schienen alle zu schlafen.
Gut so, dachte die Jägerin, während sie geschmeidig den Hügel hinunterglitt. Schlaft ihr ruhig, während es heiß und hell ist! Ich kann keine wachen Augen in der Nähe gebrauchen.
Vorsichtshalber blickte sie noch einmal nach allen Seiten, ehe sie sich auf den Weg machte. Ihr Geheimnis war viel zu kostbar, um auch nur das kleinste Risiko einzugehen. Als sie absolut sicher war, dass niemand ihr folgen würde, schlich sie geduckt in Richtung ihres Verstecks. Vor Kurzem war es ihr noch wie der beste Platz weit und breit erschienen: eine Mulde inmitten von dichtem Gestrüpp, aus der Ferne vollkommen unsichtbar. Das Problem war nur, dass die Jägerin selbst nicht viel sehen konnte, während sie sich zwischen den Sträuchern hindurchzwängte. Unruhig drehte sie die Ohren hin und her, dann hörte sie es: ein leises, hohes Piepsen.
Ihr Versteck war wie ein Nest, und die Bewohner klangen wie winzige Vögelchen. Aber kein Vogel hatte jemals das Herz der Jägerin so schnell schlagen lassen wie die drei dunklen Knäuel, die sie gleich darauf hinter den Zweigen sah!
„Mama“, zirpte ihre Tochter vorwurfsvoll. „Wo bist du nur gewesen? Du warst ewig lange weg!“
Das stimmte nicht – die Jägerin hatte rasch Beute gemacht und in aller Hast gefressen. Aber wenn man erst wenige Tage alt und klein wie eine Ratte war, kam einem ein Morgen ohne Mutter bestimmt endlos vor. „Jetzt bin ich ja da“, schnurrte die Jägerin und legte sich auf die Seite. Sofort krabbelte das Töchterchen zu ihren Zitzen. Gestern hatte sie das noch nicht so gut gekonnt. Die Jägerin war nicht überrascht; Mädchen lernten oft schneller als ihre Brüder. Aber alle drei waren schon ordentlich gewachsen! Wird Zeit, dass sie Namen bekommen, dachte die Jägerin und leckte ihrer Tochter über den flauschigen runden Kopf. „Flaum“, bestimmte sie, doch das frisch getaufte Mädchen ließ sich nicht stören. Sie war schon voll und ganz mit Trinken beschäftigt.
Als Nächstes kam ihr älterer Bruder angekrochen. Er war längst nicht so geschickt wie Flaum, und seine Pfoten wirkten für seinen Körper viel zu groß. Obwohl die Jägerin zwölf Zitzen hatte, schaffte er es, ausgerechnet dort zu landen, wo keine Zitze war. „Huch“, fiepte er erschrocken. „Mami, deine Milch ist weg! Du hast deine Milch im Gebüsch verloren! Oje, oje, geh sie schnell suchen!“
Sanft beförderte ihn die Jägerin an die richtige Stelle. „Tatze“, meinte sie belustigt.
„Hab sie gefunden“, nuschelte er und begann ebenfalls zu trinken. Die Jägerin schaute zufrieden zu. Flaum und Tatze waren keine besonderen Namen, aber die konnten ihre Kinder sich verdienen, wenn sie groß waren. Falls sie die Chance bekamen, groß zu werden. Die Welt war furchtbar gefährlich für Gepardenbabys …
Plötzlich beunruhigt, drehte die Jägerin den Kopf. Sie atmete auf, als sie das dritte Baby sah. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern machte es keine Anstalten, näher zu kommen. Es spielte gerade mit seiner Schwanzspitze und schien fest entschlossen, einem wichtigen Rätsel auf die Spur zu kommen: War dieses Ding eigentlich angewachsen oder nicht?
„Du solltest auch etwas trinken … Schatten“, sagte die Jägerin.
Das dritte Baby wandte sich zu ihr. Natürlich waren seine Augen noch genauso fest geschlossen wie die seiner Geschwister, aber die Jägerin hatte trotzdem das Gefühl, eindringlich angeschaut zu werden. „Schatten?“, piepste der Kleine. „Was ist denn das für ein Name?“
„Ein passender. Du hast mehr Dunkelheit in deinem Pelz als die anderen.“ Kritisch beäugte die Jägerin ihren jüngsten Sohn. Alle Gepardenbabys hatten dunkles Fell, aber man konnte ihr Muster schon erkennen. Schatten hatte allerdings keine Punkte, wie sich das gehörte, sondern große Flecken. Am Rücken fügten sie sich sogar zu drei dicken Linien zusammen!
Ein gestreifter Gepard? Die Jägerin zuckte irritiert mit den Ohren. Sie überlegte, ob sein Vater ähnlich ausgesehen hatte, aber sie konnte sich nicht erinnern. Die Väter ihrer Jungen traf sie immer nur kurz, höchstens für ein paar Tage, danach trennten sich ihre Wege wieder. Auf jeden Fall kam ihr dieses dritte Baby sehr eigenartig vor: nicht nur so dunkel, sondern auch so besonders wie Schatten in der Savanne. Das war nicht gut, gar nicht gut. Ein Gepard sollte niemals hervorstechen, sondern möglichst unauffällig sein!
Für einen Moment verstummte das Schnurren der Jägerin, und sie schob das gefleckte Söhnchen energisch an ihre Zitzen. „Trink jetzt, genau wie die anderen“, mahnte sie.
Zum Glück hörte Schatten diesmal auf sie. Anscheinend hatte er das Rätsel um seine Schwanzspitze inzwischen gelöst – und ob sein Fell gefleckt war, gepunktet oder kariert, war ihm vollkommen egal.
Schatten hatte nicht das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Oder besser gesagt: Es kam ihm so vor, als wären er und seine Geschwister alle sehr besonders. Andernfalls hätte ihre Mutter wohl kaum einen solchen Aufwand betrieben, um sie zu beschützen!
„Bringst du uns wieder in ein neues Versteck?“, maunzte er und beobachtete die Jägerin, die gerade dabei war, den Nacken von Schwester Flaum sanft zwischen die Zähne zu nehmen. Mittlerweile konnten die Babys ihre Augen öffnen, und Schatten fand, dass es hier im Gebüsch sehr schön und sicher aussah. Trotzdem waren sie nun schon mehrmals umgezogen. Anscheinend war Mama kein Ort gut genug für sie!
„Wenn ihr zu lange an einer Stelle liegt, sammelt sich dort euer Geruch“, erklärte die Jägerin und hob ihre Tochter hoch.
„Sammelt sich … unser Geruch?“, wiederholte Tatze stockend. „Was soll denn das heißen?“
„Dass du stinkst“, erklärte Flaum von oben herab. „So sehr, dass schon das ganze Gras nach dir müffelt!“
Gekränkt schnupperte Tatze im Kreis. „Das ist nicht nur von mir. Ihr habt da genauso hingemüffelt!“
„Niemand müffelt hier“, sagte ihre Mutter etwas ungeduldig. „Im Gegenteil, für Hyänen riecht ihr wahrscheinlich sogar zu gut. Und für Löwen riecht ihr nach zukünftigen großen Jägern, die sie nicht in ihrer Nähe dulden! Jedenfalls sollten wir kein Risiko eingehen. Merkt euch das, Kinder: Vorsicht ist der Weg der Geparde.“
Dann schlich sie mit Flaum im Maul los, und die Brüder warteten brav, bis auch sie abgeholt wurden. Stilles Warten gehörte zum Vorsichtigsein, so viel hatten sie bereits gelernt. Trotzdem störte es Schatten, dass etwas dermaßen Langweiliges der Weg der Geparde sein sollte. Warum nicht Trinken, Kuscheln oder sich gegenseitig Putzen? All das beherrschten sie ja genauso gut! Und es gab noch mehr, was ein kleiner Gepard machen konnte …
„Sich auf seinen Bruder zu setzen, ist der Weg der Geparde“, murmelte Schatten vor sich hin und krabbelte auf Tatzes Rücken.
„Aua!“, quiekte der. „Geh runter, sonst sieht dich vielleicht eine Hyäne!“
„Soll sie doch“, meinte Schatten großspurig und zog die Lefzen zurück – obwohl er ahnte, dass er erst ein paar winzig kleine Milchzähne hatte. Aber im Maul seiner Mama war ein vollständiges Gebiss! Wieso zeigte sie das nicht ihren Feinden, anstatt immer wieder neue Verstecke zu suchen?
Die Jägerin schien allerdings nicht gewillt, ihre Zähne einzusetzen. Lieber sorgte sie Tag und Nacht dafür, dass ihre Jungen keine anderen Raubtiere zu Gesicht bekamen. Dabei hätte Schatten zu gern gewusst, wie Löwen und Hyänen aussahen! Jetzt, da seine Augen immer besser wurden, fand er den Anblick der Sträucher rund um die Kinderstube bald langweilig. Da halfen auch die häufigen Umzüge nichts, denn alle Verstecke waren sehr ähnlich.
Tatze und Flaum ging es genauso wie ihrem Bruder. Statt die meiste Zeit zu dösen, fingen sie nun an, sich zu balgen. Während sie fiepend durcheinanderkullerten, saß die Jägerin oft regungslos zwischen ihnen und starrte zum Horizont. Leider war Schatten noch viel zu klein, um ihrem Blick zu folgen. „Was ist denn da?“, fragte er und versuchte, sich am Vorderbein seiner Mama aufzurichten.
„Nichts“, sagte sie.
Die Antwort hatte Schatten sich wahrhaftig spannender vorgestellt. „Warum guckst du dann dorthin? Ich würde nur gucken, wenn es auch was zu gucken gibt“, zirpte er altklug. „Spiel lieber mit uns!“
Die Jägerin wandte sich kurz zu ihm, um über seine Wange zu lecken. „Dann könnte ich etwas Wichtiges verpassen“, erklärte sie. „Wir Geparde müssen früher über alles Bescheid wissen als die anderen Tiere. Wir müssen Beute oder Feinde entdecken, bevor die auch nur eine blasse Ahnung von uns haben!“
„Und was machen wir, wenn du sie entdeckt hast?“, wollte Schatten wissen.
Abermals war die Antwort seiner Mutter eine Enttäuschung. „Ihr macht überhaupt nichts“, sagte sie und richtete ihren Blick wieder in die Ferne. „Je weniger ihr euch rührt, desto besser. Zum Glück seid ihr mittlerweile ziemlich gut getarnt. Ist dir denn nicht aufgefallen, dass euer Fell sich verändert hat?“
Prüfend betrachtete Schatten seine Geschwister, die mitten beim Rangeln eingeschlafen waren. Seit Kurzem hatten sie eine fluffige, silberweiße Mähne, die sich über den Kopf und den gesamten Rücken zog. Die untere Körperhälfte war immer noch dunkel, sodass sie aussahen, als hätten sie bis zur Brust im Schlamm gesteckt.
„Heißt das, ich bin genauso ulkig gemustert wie die zwei?“, piepste Schatten und verrenkte sich fast den Hals, um seinen eigenen Pelz anzuschauen.
Die Mutter zögerte. „So ähnlich“, sagte sie dann ausweichend. „Und darüber solltest du dich freuen, denn auf diese Weise könnt ihr euch besser im trockenen Gras verstecken. Außerdem seht ihr von Weitem aus wie Honigdachse. Das sind sehr tapfere, wehrhafte Tiere, denen nicht mal ein Löwe gern in die Quere kommt!“
Schatten blinzelte verblüfft. Gerade wollte er noch etwas fragen, da merkte er, dass die Haltung seiner Mutter sich verändert hatte: Ihre Muskeln strafften sich, sie stellte die Ohren nach vorn und senkte den Kopf, ehe sie zu schleichen begann. Kein Zweifel, nun hatte sie etwas gesehen.
„Beute oder Feind?“, maunzte Schatten ihr hinterher.
„Beute – wenn ich sie schnell genug erreichen kann. Bin bald zurück!“ Damit verschwand die Jägerin im hohen Gras, und Schatten krabbelte zu seinen Geschwistern hinüber. Gedankenverloren begann er, ihre silbrigen Mähnen zu putzen. Tatze schnurrte im Schlaf, aber Flaum öffnete die Augen und schniefte genervt. „Was wird das, wenn’s fertig ist?“
„Ich mach eure Mähnen noch heller“, verkündete Schatten. „Damit ihr genauso ausseht wie Honigtatze.“
„Wie wer?“
„Honig…bratze. Ein ganz tolles, mutiges Tier.“ Stolz auf sein neues Wissen blickte Schatten auf seine Schwester herab.
Flaum wirkte nicht sonderlich beeindruckt. „Aha. Kann ich jetzt weiterschlafen?“, zirpte sie.
Etwas enttäuscht legte Schatten sich zwischen seine Geschwister. Es hätte ihm auch viel besser gefallen, nicht nur wie ein tapferes, wehrhaftes Tier auszusehen, sondern tapfer und wehrhaft zu sein! Aber wie stellte man das bloß an?
Am besten, ich frag mal die Honigfratze, überlegte Schatten. Dann machte er die Augen zu und beschloss zu dösen, bis seine Mutter wiederkam.
„Ai!“
Erschrocken fuhr Schatten hoch. Der schrille Laut hatte sich in seinen Schlaf gebohrt wie ein Stachel. Mit klopfendem Herzen drehte er den Kopf und sah, dass seine Geschwister sich ebenfalls verwirrt umschauten.
„Hör auf damit, Tatze“, verlangte Flaum.
„Das war ich gar nicht! Immer soll ich alles gewesen sein!“ Beleidigt stampfte Tatze mit den dicken Pfoten. „Es kommt von Hinter-dem-Strauch.“
Die anderen beiden spitzten verblüfft die Ohren. Tatsächlich, das Geräusch schallte aus dem Grasmeer zu ihnen herüber, und die Stimme klang vertraut.
„Das ist Mama“, erkannte Schatten plötzlich. „Ich glaube, sie ruft nach uns!“
„Das hat sie aber noch nie gemacht.“ Ängstlich schielte Tatze zu den Zweigen, die ihr Versteck umgaben. In den vergangenen sechs Wochen hatten sie sich so sehr an diese Mauern gewöhnt, dass es fast unvorstellbar war, sie zu verlassen. Aber die Rufe hörten nicht auf – sie wurden sogar noch drängender. „Ai! Ai!“
„Ich gehe“, beschloss Flaum und reckte ihr Köpfchen. „Wenn ihr euch zu sehr fürchtet, kann ich euch nachher ja erzählen, was los war.“
Aber das durfte Schatten nicht auf sich sitzen lassen. Wer tapfer und wehrhaft sein wollte, blieb doch nicht einfach im Gebüsch, wenn das Abenteuer rief! „Tatze und ich kommen natürlich mit“, verkündete er, obwohl sein Herz immer noch heftig pochte.
„Äh, klar“, stimmte Tatze unglücklich zu. „Obwohl ich nicht gaaanz sicher bin, ob das zum Weg der Geparde gehört …“
Flaum achtete nicht mehr auf ihn. Entschlossen schob sie sich zwischen den Zweigen hindurch, und Schatten folgte ihr. Nach wenigen Schritten hielt er allerdings staunend inne. Die Welt „Hinter-dem-Strauch“ war wunderschön! Zwar hatte er schon einen Blick darauf werfen können, wenn die Jägerin ihn von einem Versteck zum nächsten getragen hatte, aber dabei war er meistens im Halbschlaf gewesen. Jetzt fühlte er sich hellwach, so wach wie nie zuvor in seinem Leben. Mit aufgerissenen Augen stapfte er weiter, während ringsum alles zu tanzen schien: Die Halme wiegten sich im Wind, die Luft flirrte, die Sonnenstrahlen malten neue Muster auf Flaums Fell. Beinahe hätte Schatten vergessen, wo sie eigentlich hinwollten. Ausgelassen schnupperte er in alle Richtungen, bis wieder dieses kurze, hohe Jaulen erklang. Diesmal ganz in der Nähe! Gemeinsam stürmten die Welpen los und hatten ihre Mutter gleich darauf gefunden.
„Na endlich“, sagte sie vergnügt. „Ich dachte schon, ich müsste wieder allein fressen. Dabei seid ihr mittlerweile groß genug für eine Kostprobe, oder etwa nicht?“
Ungläubig schaute Schatten erst zu ihr, dann auf das braun-weiße Etwas an ihrer Seite. Er hatte bisher keine genaue Vorstellung gehabt, was Beute eigentlich war. Sein Blick wanderte von den staubbedeckten Beinen bis zu den langen Hörnern, während er allmählich begriff: Das hier musste noch vor Kurzem ein Tier gewesen sein, aber jetzt war es eindeutig Futter. Und zwar sehr verlockendes Futter! In Schattens Adern kribbelte es vor Aufregung, während er den köstlichen Duft einsog.
Trotzdem war es Flaum, die sich als Erste auf die Beute stürzte. Sie zog und zerrte, doch ihre winzigen Milchzähne kamen nicht durch die zähe Haut. Ärgerlich begann sie zu fauchen, bis die Jägerin ihr zu Hilfe kam. Bei diesem Anblick gab es auch für Tatze und Schatten kein Halten mehr. Alle drei probierten von dem neuen Futter und schnurrten vor Begeisterung. Das hier war so anders als Milch, viel weniger süß, und dennoch schmeckte es nach mehr. Schatten glaubte fast, die Kraft und Geschwindigkeit des Beutetiers auf seiner Zunge zu spüren! Bestimmt wurde man auf völlig neue Weise satt, wenn man so etwas fraß … und vielleicht auch mit jedem Bissen tapferer. Warum hatte Mama ihnen erst jetzt gezeigt, dass man Hinter-dem-Strauch solche magischen Leckerbissen fand?
Ich gehe nie, nie wieder zurück ins Versteck, beschloss Schatten – da hörte die Jägerin plötzlich zu fressen auf. Sie hob den Kopf und schaute zum Himmel. Nur mit Mühe konnte Schatten sich von der Beute losreißen, um dem Blick seiner Mutter zu folgen. Große Vögel kreisten über ihnen, als vollführten sie in der Luft einen Freudentanz. Die Jägerin schien sich allerdings kein bisschen zu freuen. „Das ist nicht gut“, stieß sie hervor. „Fresst schneller!“
Flaum und Tatze gehorchten, aber die Fragen in Schattens Kopf waren auf einmal größer als sein Hunger. „Wieso denn? Die Vögel tun uns doch nichts!“
„Geier sind Verräter.“ Seine Mutter fraß hastig noch ein paar Bissen, während sie immer wieder unruhig nach allen Seiten blickte. Dann gab sie ein warnendes Gurren von sich. „Oje, da kommen sie schon. Wir müssen hier weg!“
Entsetzt quiekte Schatten auf. Er hatte längst nicht genug gefressen! Er war noch kein Stück tapferer geworden! Wie konnte Mama verlangen, dass sie diese herrliche Beute einfach zurückließen? Mit gestrecktem Hals spähte er über das Gras, um herauszufinden, wer die Jägerin so erschreckt hatte. Spitzohrige, spitznasige Gestalten liefen geradewegs auf sie zu. Es waren mehrere, aber sie waren klein. Jedenfalls sehr viel kleiner als die Jägerin!
„Sind das Löwen?“, piepste Tatze besorgt.
„Schakale. Die Geier haben ihnen gezeigt, dass es hier etwas zu holen gibt. Los jetzt, wir sind fertig!“ Unerbittlich scheuchte die Jägerin ihre Kinder vor sich her. Aus der Ferne hörten sie noch das triumphierende Kläffen und Jaulen der Spitznasen, während sie zurück zum Versteck eilten. Dann saßen sie wieder zwischen den Sträuchern, und die Jägerin begann seelenruhig, ihre Jungen zu putzen. Sie benahm sich, als hätte es diesen Überfall niemals gegeben. Konnte das bedeuten, dass sie daran gewöhnt war, ihre Beute zu verlieren?
„Ich hab immer noch Hunger“, verkündete Tatze mit klagendem Vogelstimmchen.
Die Jägerin schob ihn an ihre Zitzen, wo Flaum bereits zu trinken begonnen hatte. „Was lernen wir daraus? Beim nächsten Mal müsst ihr noch viel schneller fressen. Vor allem du, Schatten!“, mahnte sie.
Schatten gab keine Antwort. Auf einmal fand er es nicht mehr schlimm, dass er nur wenig von der Beute erwischt hatte. Dieses Futter hätte ihn sowieso kein bisschen tapferer machen können. Es hatte zwar geschmeckt, als wäre es magisch … Aber das stimmte nicht. Denn sonst hätte seine Mutter niemals so feige sein können, wie sie es beim Anblick der Schakale gewesen war.
Der Gedanke, dass seine Mutter ein Feigling sein könnte, hing wie eine Klette in Schattens Fell. Er versuchte, ihn abzuschütteln, doch es klappte nicht. Vor allem, weil die Jägerin ihre Kinder nun immer häufiger rief, wenn sie Beute gemacht hatte. Die Welpen lernten, das Fleisch möglichst schnell hinunterzuschlingen und sich dabei weder mit Fragen noch mit Rangeleien aufzuhalten. Trotzdem gelangen ihnen oft nur wenige Happen. Dann ertönte auch schon das Warngeräusch der Mutter, die beim Fressen ständig die Umgebung im Blick behielt: „Hyänenalarm!“, meldete sie, oder: „Achtung, Paviane!“, oder: „Ich glaube, da kommt ein Leopard!“
Irgendwann machte Schatten sich gar nicht mehr die Mühe, über die Grashalme hinwegzuspähen, um einen Blick auf diese angeblichen Räuber zu erhaschen. Auch Bitten und Betteln hatte keinen Zweck. Die Jägerin drängte zur Flucht, sobald die Lage auch nur ein kleines bisschen brenzlig wurde. Aber woher wollte sie denn wissen, dass sie ihre Beute nicht verteidigen konnte? Sie versuchte es ja nie!