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Giessu verliebt sich in Er, einen gleichaltrigen Teenager. Aber für sie als Frau ist es peinlich ihre Liebe offen zu zeigen. Tarnen ist die beste Antwort auf Intoleranz. Die gesellschaftlichen Veränderungen der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Iran, bedingt durch die iranische Revolution, Islamisierung der Gesellschaft und den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak, überschatten auch diese Liebe. Diese Liebesgeschichte reflektiert nicht nur diesen gesellschaftlichen Wandel, sondern auch die natürlichen Gegebenheiten der Hafenstadt Buschehr am persischen Golf mit ihren vielfältigen Dattelhainen, die nebeneinander seit vielen Jahrhunderten angelegt und in Frieden koexistieren. Giessus Liebe, die Traumatisierung durch die Kriegsgeschehnisse, die sozialen und politischen Veränderungen in einer geschlossenen religiösen Gesellschaft mit massiven Einschränkungen der Frauenrechte vermischen sich zu eigenartigen Ereignissen.
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Seitenzahl: 154
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Das Geheimnis der
Dattelpalmen
von Mojdeh Mavaji
Buchbeschreibung:
Giessu verliebt sich in Er, einen gleichaltrigen Teenager. Aber für sie als Frau ist es peinlich ihre Liebe offen zu zeigen. Tarnen ist die beste Antwort auf Intoleranz.
Die gesellschaftlichen Veränderungen der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Iran, bedingt durch die iranische Revolution, Islamisierung der Gesellschaft und den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak, überschatten auch diese Liebe.
Diese Liebesgeschichte reflektiert nicht nur diesen gesellschaftlichen Wandel, sondern auch die natürlichen Gegebenheiten der Hafenstadt Buschehr am persischen Golf mit ihren vielfältigen Dattelhainen, die nebeneinander seit vielen Jahrhunderten angelegt und in Frieden koexistieren.
Giessus Liebe, die Traumatisierung durch die Kriegsgeschehnisse, die sozialen und politischen Veränderungen in einer geschlossenen religiösen Gesellschaft mit massiven Einschränkungen der Frauenrechte vermischen sich zu eigenartigen Ereignissen.
Die Autorin:
Mojdeh Mavaji ist in Schiraz/Iran geboren und in der Hafenstadt Buschehr am Persischen Golf aufgewachsen. Mit 25 Jahren ist sie nach Deutschland emigriert und studierte Bauingenieurwesen an der Leibniz Universität Hannover.
Sie ist verheiratet und zwei Kinder großgezogen, lebt und arbeitet in Hannover als pädagogische Mitarbeiterin in der Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund. Sie ist Vorstandsmitglied des Autor:innenzentrums Hannover (e.V.).
Impressum
© 2024 Baltrum Verlag GbR
BV 2411 – Das Geheimnis der Dattelpalmen von Mojdeh Mavaji
Umschlaggestaltung: Baltrum Verlag GbR
Fotos: Mostafa Ghazanfari
Lektorat: Baltrum Verlag GbR
Korrektorat: Baltrum Verlag GbR
Herausgeber: Baltrum Verlag GbR
Verlag: Baltrum Verlag GbR, Weststraße 5, 67454 Haßloch
Internet: www.baltrum-verlag.de
E-Mail an [email protected]
Druck: epubli
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Geheimnis der Dattelpalmen
Mojdeh Mavaji
Baltrum Verlag
Weststraße 5
67454 Haßloch
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wie muss es sein, wenn man seine Liebe nicht frei wählen darf?
Giessu und Er wachsen in einer geschlossenen und traditionellen Gesellschaft im Iran auf, die durch eine Revolution in ihren Grundwerten erschüttert wurde. Der Umbruch führte zu Verfolgungen, Hinrichtungen und massiven Einschränkungen der Frauenrechte.
In dieser Gesellschaft ist für das Liebespaar kein Platz. Traditionelle Bräuche und religiöse Riten sehen ein anderes Leben für die beiden vor. Um das Leben zu führen, das sie sich wünschen, müssen sie sich verstecken und stoßen an gesellschaftliche Grenzen. Für eine Frau wie Giessu, die frei entscheiden möchte, mit wem sie ihr Leben teilt, sind die Herausforderungen fast unüberwindbar. Sie muss eine Entscheidung treffen, die in einer Gesellschaft, welche Unabhängigkeit aller Art nur geringschätzt, fast grotesk wirkt.
Giessu wächst in einer Bevölkerung auf, in denen Entscheidungen von Frauen angezweifelt oder für sie getroffen werden. Wie schwer es ist, aus einer solchen Gesellschaft auszubrechen und selbst Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, das zeigt die Liebesgeschichte in 'Das Geheimnis der Dattelpalmen'.
Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern wird überall auf der Welt kontrovers diskutiert. Unterschiede in der rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Behandlung sind weltweit allgegenwärtig. Im heutigen Iran können Frauen ihre Rechte nur sehr eingeschränkt ausleben. Es wird nach strengen Regeln kontrolliert, ob die Scharia eingehalten wird und ob sich Frauen den durch Männer gemachten Einschränkungen fügen. Die Frauengenerationen vor Giessu lebten teilweise noch in einer Gesellschaft, in der Frauen mehr Rechte zugesprochen wurden und sie diese auch ausleben durften. Diese Lebensweise hat sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch verändert, Regeln wurden verschärft und eine Sittenpolizei eingeführt. In der Erzählung von Giessu und Er wird deutlich, wie unterschiedlich diese Perspektiven auf Frauen und ihre Rechte in der iranischen Gesellschaft sind und wie alltäglich hierzu Diskussionen und Auseinandersetzungen stattfinden.
Als Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe begegne ich immer wieder unterschiedlichen Rollenverständnissen. Frauenbilder und Geschlechterrollen sind in verschiedenen Kulturen unterschiedlich definiert. Spätestens wenn das jeweilige Rollenverständnis dazu führt, dass Frauen und Mädchen nicht die gleichen Rechte haben sollen wie Jungen und Männer, ist deutlicher Widerspruch nötig. Wenn ausschließlich Männer entscheiden und Frauen in ihrer Entfaltung und Autonomie eingeschränkt und untergraben werden – bis hin zu Gewalt – müssen wir alle reagieren. Die Kulturwissenschaftlerin Ina Merkel schrieb einst eine Veröffentlichung mit dem Titel: 'Ohne Frauen ist kein Staat zu machen', womit sie recht hat. Eine starke Demokratie gibt es nur mit starken Bürger- und Frauenrechten, so viel ist klar. Und mit Blick auf Niedersachsen gilt: Frauenrechte haben immer Priorität und sind nicht verhandelbar.
Mojdeh Mavaji hat eine Novelle geschaffen, die politisch hochaktuell ist und zum Nachdenken einlädt. Die Detailgenauigkeit mit der Mavaji Orte und Menschen beschreibt, ist faszinierend und zieht einen sofort in den Bann. Es ist schwierig, das Buch aus den Händen zu legen, wohlgleich nur, um in den Gedanken nach Buschehr und Schiraz zu entfliehen.
Die Novelle spiegelt die derzeitige Lebensrealität von Frauen im Iran wider. Sie leben in einer männerdominierten Gesellschaft, die ihre individuellen und selbständigen Entscheidungen nicht respektiert und anerkennt. In einer solchen Lebenswelt eine unabhängige Entscheidung zu treffen, ist mutig und nicht selbstverständlich.
Wie erschreckend aktuell das Leid von Mädchen und Frauen im Iran ist, zeigt der aktuelle Fall der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie wurde wegen ihrer 'unislamischen' Kleidung Anfang September 2022 verhaftet und 'verstarb' während ihrer Haft. Im Internet und auf den Straßen formierten sich daraufhin erneut Proteste, die sich gegen ein Regime richten, welches mit Repressalien und Angst regiert und Frauen unterdrückt und sogar vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Vielleicht mag uns der Iran hin und wieder weit weg erscheinen, doch die Entwicklung von Frauenrechten geht uns alle etwas an. Wenn Frauen- und Freiheitsrechte mit Füßen getreten und Frauen und Mädchen ihrer Autonomie beraubt werden sollen, dann bedeutet das auch einen zivilisatorischen Rückschritt für uns alle. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Iran, sondern auch für Missstände in unserer eigenen Gesellschaft, wie beispielsweise die hohen Zahlen in Bezug auf häusliche Gewalt. Dem Bundeskriminalamt (BKA) zur Folge wird statistisch betrachtet jeden dritten Tag eine Frau durch ihren (Ex-)Partner getötet. Auch hier müssen wir als Gesellschaft zukünftig hinsehen.
Die Novelle 'Das Geheimnis der Dattelpalmen' zeigt uns alles in allem sehr deutlich, dass die Sehnsucht nach einem freien Leben, in dem wir die Wahl haben, ein essenzielles Menschenrecht ist. Ein Menschenrecht, das uns allen zusteht und dessen Untergrabung durch keine Tradition oder Religion der Welt legitimiert werden darf. Lassen Sie uns daher, wo immer es möglich ist, für dieses Menschenrecht eintreten. Die vermeintliche Sicherheit und Stabilität, die durch Unterdrückung dieses Menschenrechtes erlangt werden soll, ist ohnehin eine Illusion. Denn, wie sagte es schon Benjamin Franklin so treffend: »Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.«
gez. Doris Schröder-Köpf Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe
Hannover, im September 2022
Kapitel 1
Schiraz, 1983
Giessu nahm die Bürste vom Tisch und bürstete ihre langen Haare, deren Farbe an reife Datteln erinnerten, die sie an dem Abend zuvor mit einem nach Jasmin duftenden Shampoo gewaschen hatte. Sie zog sich einen Mittelscheitel, teilte ihre Haarpracht in zwei gleich dicke Hälften und dann jede Hälfte in drei Strähnen. Anschließend begann sie sie zu flechten. Die linke, rechte und mittlere Strähne überlappten sich. Es war so, als wäre ein Palmblatt zwischen ihren Fingern und sie würde eine Matte weben. Ihre großen dunkelbraun strahlenden Augen starrten auf die alte hölzerne Pendelwanduhr. Ihr Herz pochte mit dem Ticken der Uhr, aber es schlug lauter und schneller. Ihr Date sollte um zehn Uhr morgens sein, in einer Buchhandlung der Zand-Straße in der Stadt Schiraz, die Stadt der Liebe, der Rosen und der Nachtigallen. Giessus Hände zitterten und sie flocht sich ihre Haare zu lose, als ob sie zum ersten Mal ihre Haare flochte. Zum ersten Mal aber heimlich wie ihr heutiges Date. Je geheimer und verbotener eine Angelegenheit ist, desto wünschenswerter würde sie sein.
Die ersten Male werden niemals vergessen. Die ersten Erfahrungen, die ersten Gefühle, die ersten Schmerzen, die ersten Aufstände und die ersten Dates. Die ersten Male werden im Rucksack des Lebens ein ständiger Begleiter mit allen Aufregungen, Schmerzen, Sorgen und Tränen sein. Sie hatte lange auf diesen Tag gewartet und es darauf ankommen lassen, egal was passieren würde. In der Nacht drehte sie sich im Bett von der einen zur anderen Seite. Sie konnte nicht aufhören, sich herumzuwälzen, und einfach in das Kissen kuscheln. Die ganze Nacht konnte sie kein Auge zutun und in ihren Gedanken hatte sie sich den Gesprächsverlauf immer wieder ausgemalt und weitschweifend ausgeschmückt. Wieder und wieder. Zu träumen war angenehm für sie. In der Welt ihrer Träume war die Angst fremd und was auch immer sie in der Wirklichkeit fürchtete, ging in den Träumen so sorglos und leicht voran.
Als Giessu die Morgendämmerung mit ihren halb geöffneten Augen bemerkte, fegte eine kühle Brise über ihre Wangen und sie sprang wie vom Blitz getroffen auf. Seit ihrer Kindheit liebte sie die frische sommerliche Morgenröte von Schiraz. Die Morgenröte, die so lange kokettierte, bis sie die Sonne begrüßte, wollte nicht gehen. Sie war wie ein Stück Seide, die sich über die Stadt ausbreitete und leicht kniff. Die Morgenröte scherzte morgens mit allen.
Als der Sonnenaufgang begann, nahm Giessu ihre Sachen mit. Sie faltete die Decke, die sie um sich gewickelt hatte, zusammen und brachte sie mit ihrer dünnen Sommermatratze und ihrem Baumwollkissen von der Terrasse ins Zimmer und stellte sie in einen Wandschrank zurück. Sie war zusammen mit ihren Eltern in Schiraz bei ihrer Tante zu Besuch.
Schiraz wachte auf. Aus den Gassen drängten die Geräusche vorbeifahrender Autos und Motorradfahrer gegen das Fensterglas und verkündeten, dass die Stadt wach geworden ist. Giessu war sehr aufgeregt. Sie dachte, sie sei einer der glücklichsten Menschen der Welt. Ihr leidenschaftliches und junges Herz hatte nicht so viel Glück erwartet. Eine andere Welt existierte für sie nicht. Sie war verblendet.
Kapitel 2 Schiraz, 1980
Das erste Mal, als sie ihn sah, war es kurz vor Mittag an einem Sommertag. Im Sommer reiste sie mit ihrer Familie nach Schiraz, um der heißen und schwülen Hitze der Hafenstadt Buschehr am Persischen Golf zu entfliehen. So wie viele Einwohner von Buschehr fuhren sie bis zur nächsten großen Stadt, nördlich von Buschehr mit angenehmem Klima, die sich im Kontrast zu Buschehrs Klima zeigt. Es gibt nur sehr wenige Buschehri, die Schiraz noch nicht gesehen haben. Diese Stadt ist keine Großstadt wie Teheran, die ordnungs- und grenzenlos ist. In Teheran, der Millionenmetropole, ist fast jeder anonym. Schiraz hat die richtige Größe. Sie ist für viele Reisende ein willkommener Zwischenstopp. Ein Ort zum Stoppen und Ausruhen, um in die nördlichen Städte zu gelangen – Isfahan, Teheran und einige andere. Schiraz ist eine Station, an der die Reisenden sich wie Zugvögel ausruhen und die Stadt ein wenig erkunden.
Im Herzen jedes Reisenden hinterlässt Schiraz Spuren. Sie ist eine Stadt mit trockener Luft, es ist nicht so schwül wie in Buschehr. Ihre trockene Luft spannt die Gesichtshaut. Schiraz lädt die Besucher mit ihren Düften und Aromen, Farben und Stimmen ein, alles vermischt sich und leitet die Besucher auf den Vakil-Basar. Der Höhepunkt und die Attraktivität der Kombination von Farbenpracht und Aromen zeigt sich auf dem Vakil-Basar. Düfte, die durch das Einatmen in die Seele und in das Herz gelangen. Schiraz ist herzhaft und will Spaß haben. Ohne Voreingenommenheit lädt sie Menschen ein, Spaß zu haben. Im Schatten eines Baumes zu sitzen, Salatblätter in Essig einzutauchen und zu essen, ist herrlich. Es ist eine Stadt, deren Kräuter- und Blütendestillationen die angenehmen berauschenden Düfte wie Bitterorangenblüten und Rosen in der Luft ausströmen lassen. Zweige von Bitterorangen- und Walnussbäumen ragen aus den alten mit Stroh gedeckten Mauern heraus. Die Aromen von Sommerfrüchten, Kirschen, Aprikosen, Sauerkirschen und Pfirsichen vermischen sich mit dem Aroma von Minze und versetzen alle in einen Duftrausch.
Schiraz, die Stadt der Blumen und Nachtigallen, erleuchtet die Seele mit ihren endlosen Grünflächen und bunten Blumen. Die Böden sind so fruchtbar, dass jeder Samen darin sich fortpflanzen und gedeihen kann. Die Samen ertragen es nicht, unter der Erde zu sein, sie wollen sich zur Schau stellen und sich so viel wie möglich vermehren.
Schiraz ist von Bergen umgeben. Um von Buschehr nach Schiraz und umgekehrt zu gelangen, muss man das Herz des Berges überqueren. Von den dunklen Tunneln, die den Berg durchqueren, sowie durch den Pass von Abolhayat, wo der Berg auf beiden Seiten angestiegen und gespalten ist und seine Arme für Umarmungen geöffnet hat. Der Frühling in Schiraz ist eine Präsentation der Schönheit der Blumen und der Farbenpracht. Einheimische Blüten wie Petunien, Levkojen, Veilchen und Tagetes. Eine Stadt mit vielfältigen kulturellen, medizinischen und sozialen Einrichtungen, viel mehr als in Buschehr. Buschehri kombinieren ihre Reisen nach Schiraz fast immer mit einem Arztbesuch. Die Ärzte haben einen Ort für ihre Medizin gewählt, der wie ein Zwischenstopp für Zugvögel ist.
Was für exzellente Filme, die Giessu in letzter Zeit in den Kinos von Schiraz gesehen hatte. Filme, die zur gleichen Zeit in Teheran ausgestrahlt wurden. Giessu konnte sich diese Möglichkeit nur im Sommer leisten, wenn sie dort den Urlaub mit ihrer Familie verbrachte. Einmal im Jahr, während der Sommerferien. Nach der Revolution wurden, genauso wie die Filme, die einer nach dem anderen gezeigt wurden, auch Bücher mit weißem Cover gedruckt und in die Regale der Buchhandlungen gestellt. Sie waren die Bücher, die in der Schahzeit verboten waren und nach der Revolution ganz schlicht und einfach nur mit weißem Cover gedruckt wurden. Sie erschienen nacheinander mit unglaublicher Geschwindigkeit und Ungeduld, wie die Filme, die darauf warteten, gesehen zu werden.
Das Heimweh und das Gefühl, fern von Buschehr zu sein, hielt für Giessu und ihre Familie, wie für andere Buschehri, nicht lange an. Buschehr ist attraktiv. Es ist nicht sehr grün, aber die Anziehungskraft des Meeres, des Strandes, der Dattelpalmen, der Datteln, der Seidenakazie, ihre alte Architektur, der traditionelle Gesang von Khayyams Gedichten und Yazle, gemeinsames Singen und Klatschen, ist so stark, dass es kein Entrinnen gibt. Der Putz von alten Häusern verlor seinen architektonischen Glanz, die Farbe der alten Fensterrahmen blätterten ab und wirkten morsch. Sie haben einen Charme und eine Einfachheit, die melancholisch wirken. Eine Melancholie, die fest mit Zufriedenheit und Bescheidenheit verbunden ist. Die Flure, die sichelförmigen bunten Gitter der Gläser über den Türen in den fünftürigen Räumen und Flügelräumen haben einen bescheidenen Charme. Buschehr ist genügsam und demütig. Im Gegensatz zu Teheran, wo es frech und schamlos ist. Das Herz der Buschehri bleibt in der Knechtschaft ihrer Stadt. Sie flüchten vor der Hitze und Schwüle, wollen sich aber nicht zu lang von ihrer Stadt fernhalten. Wie ein Bumerang, den man geworfen hat und der wieder zurückkommt. Buschehri sehnen sich schon nach kurzer Zeit danach, in ihre Stadt zurückzukehren. Der Mensch ist vergesslich.
Giessu verließ regelmäßig das Haus, während sie mit ihrer Familie in Schiraz war. Sie wollte Schiraz erleben und konnte nicht zu Hause bleiben. Sie ging so viel herum, dass ihre Fußsohlen vor Schmerzen kribbelten.
Ihr Urlaub war nur einmal jährlich im Sommer, eine begrenzte Zeit während der Schulsommerferien. An einem Vormittag gingen sie und ihre Schwester Negin aus. Das Ziel war die Zand-Straße. Die Straße, die fast alle Einwohner tagtäglich überqueren. Manche gehen entweder auf dem Bürgersteig zu Fuß, manche nehmen sich ein Taxi und fahren die Straße entlang. Giessu bekam nie genug, wenn sie dorthin ging, sie wollte immer wieder hin. Eine überfüllte Straße, voller Menschen aus verschiedenen Städten und Dörfern. Frauen bekleidet mit traditionellen Volkskleidern. Die Röcke endeten bis zu ihren Knöcheln in den Farben Granatapfelrot, Sonnengelb, Lemongrün und Himmelblau. Sie kräuselten beim Gehen um ihre Hüften und Beine. Es war, als ob die Wendungen des Berges sich auf der Strecke von Buschehr nach Schiraz schlängelten. Ihre dunklen Haare ragten aus dem Gesichtswinkel unter dem dreieckigen Spitzenschal hervor. Die Frauen wurden oft von einem Mann mit Filzhut und ihren Kindern begleitet. Die Zand-Straße, eine lange Straße mit breiten Gehwegen, war ein guter Handelsort für Straßenverkäufer. Auf den Bürgersteigen war nicht nur viel Platz für Passanten, sondern auch für viele hohe Bäume entlang der Straße, die im Sommer ausreichend Schatten spendeten. Es war eine Straße voller Kinos und Cafés. Cafés identifizierten sich mit vielen Leckereien. Eine Mischung aus Eis und frisch gepressten Karottensaft hinterließ eine unvergessliche Spur im Mund. Die Limonaden von Rosen-, Bitterorangenblüten-, Erdrauch-, Chicorée- und viele anderen Kräuterextrakten, die als Scharbate Aragh bezeichnet werden, löschten der sommerliche Durst. Sie präsentierten sich durch ihre Blumen- und Kräuterdüfte, die die Seele streichelten. Sie werden einfach aus Extrakt, Wasser, Zucker und Eiswürfel zubereitet. Wenn Giessu dort langlief, roch sie eine Mischung aus den Düften von Kräuter- und Blütenextrakten.
Sie atmete diese Duftmischung ein und konnte nicht genug davon bekommen. Gleichzeitig lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Der saure und scharfe Geschmack von in Essig eingelegtem Gemüse, Torschi, die sie in Plastikbehältern von Läden sah. In Schiraz verpassten Giessu und ihre Familie nie ihr tägliches Ritual, ins Café zu gehen. In dieser Stadt war und ist Safraneis mit Pistazien und Falloodeh, ein Eis aus Glasnudeln ein unbedingtes Muss. Ein Tag wurde erst dann zu einem guten Tag, wenn sie in einem der Cafés ein Eis gegessen hatten. Diese Einmaligkeit an Fülle hat ihren Reiz und schmeckt noch mehr. Jede Übertreibung hat ihre Schattenseiten und dem Genuss sind Grenzen gesetzt. In Schiraz löschten sie ihren Durst nicht durch Wasser, sondern in dem sie die Limonade von Blüten- und Kräuterextrakten und vor allem am liebsten von Bitterorangenblüten und Rosen tranken. Aus den hochwertigen Konditoreien von Schiraz steigerte der Duft aus Rosen und Kardamom, der aus Koloocheh, ein nach Rosenwasser und Kardamom duftender Reiskeks und Masghati, ein weiches und transparentes Konfekt aufstiegen, den Appetit und die Sehnsucht. Koloocheh und Masghati aus Schiraz sind ein untrennbares Paar, deren Leidenschaft es ist, zusammen zu sein.
Giessus Mutter ging als erstes unbedingt zu Schah Tscheragh, dem Mausoleum vom Bruder des 8. Schiiten Imam Reza und zu dem Vakil-Basar. Sie sammelte bereits in ihrem Kopf viele Gebete und nahm sie von Buschehr mit. Zu Schah Tscheragh zu gehen und mit ihm trauern können beruhigte sie immer. Da konnte sie ihm ihre Wünsche mitteilen und auf ihre Erfüllung warten. Ihre Gebete, die im Pilgerort Imamzadeh von Prinz Ibrahim Daschtestan nicht in Erfüllung gingen. Bibi, die Oma von Giessu hatte wie Giessus Mutter viele Gebete, aber die Menge, der mit den Gebeten verbundenen Wünsche, waren kleiner als bei ihr. Sie saßen eine Weile zusammen im Schah Tscheragh, hielten Rosenkränze in der Hand und beteten flüsternd. Danach gingen sie zum Vakil-Basar, wo die Aromen der Gewürze so unwiderstehlich waren. Sie kauften Gewürze, um sie nach Buschehr mitzunehmen.
Ihr Vater ging ebenfalls kurz zu Schah Tscheragh und machte dann einen Spaziergang. Jedes Mal, wenn er zurückkam, hatte er viel zu erzählen über die Veränderungen, die in den Seitengassen und Straßen in dem letzten Jahr stattgefunden hatten.