Das Geheimnis der Goldmine - Agatha Christie - E-Book

Das Geheimnis der Goldmine E-Book

Agatha Christie

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Mr Rex Fortescue, ein ruchloser Geschäftsmann, wird beim Nachmittagstee vergiftet - in seinen Jackentaschen findet die ratlose Polizei eine Handvoll Roggenkörner. Zu den Verdächtigen zählt neben den Familienmitgliedern auch das Personal. Als wenig später auch sein Hausmädchen stirbt, bekommt Inspector Neele Unterstützung von Miss Marple. Hat Mr Fortescues Goldmine in Südafrika etwas mit den Morden zu tun?  Ein Kinderreim liefert Miss Marple schließlich den entscheidenden Hinweis.

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Seitenzahl: 266

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Agatha Christie

Das Geheimnis der Goldmine

Ein Fall für Miss Marple

Aus dem Englischen von Milena Moser

Atlantik

Für Bruce Ingram, der meine ersten Kurzgeschichten mochte und sie veröffentlichte

1

Miss Somers war an der Reihe, den Tee zu kochen. Miss Somers war die zuletzt eingetretene und mit Abstand am wenigsten brauchbare Schreibkraft im Büro. Sie war nicht mehr ganz jung, und ihr Gesicht hatte den sanftbesorgten Ausdruck eines Schafes. Das Wasser hatte noch nicht ganz gekocht, als Miss Somers den Tee aufgoss – die arme Miss Somers war sich nie ganz sicher, wann das Wasser kochte. Das war nur eine der vielen Sorgen, die ihr das Leben schwer machten.

Sie schenkte den Tee ein und verteilte die Tassen, mit zwei lappigen, süßen Keksen auf jeder Untertasse.

Miss Griffith, die effiziente Bürovorsteherin, ein grauhaariger Feldwebel und seit sechzehn Jahren bei Consolidated Investment Trust, sagte scharf: »Wasser wieder nicht ganz gekocht, Somers!«, und Miss Somers unterwürfiges Gesicht lief rosa an: »Herrje, und dabei dachte ich diesmal wirklich, es hätte gekocht.«

Miss Griffith dachte bei sich: Sie wird es vielleicht noch einen Monat machen, weil wir so viel zu tun haben … Nein, wirklich! Das Durcheinander, das die dumme Person mit dem Brief an Eastern Development angerichtet hat – und das war eine ganz einfache Aufgabe. Und dann immer dieses Theater mit dem Tee. Wenn es nicht so schwierig wäre, intelligente Schreibkräfte zu finden – und die Keksdose war auch letztes Mal nicht ordentlich verschlossen. Wirklich –

Wie so manche von Miss Griffith’ missbilligenden inneren Kommentaren blieb auch dieser unvollendet. Denn in diesem Augenblick schwebte Miss Grosvenor herein, um Mr Fortescues geheiligten Tee zu bereiten. Mr Fortescue bekam anderen Tee, anderes Porzellan und besondere Kekse. Nur der Kessel und das Wasser aus dem Hahn im Waschraum waren dieselben. Und selbstverständlich kochte bei dieser Gelegenheit, für Mr Fortescues Tee, das Wasser. Dafür sorgte Miss Grosvenor.

Miss Grosvenor war eine unglaublich glamouröse Blondine. Sie trug ein gut geschnittenes schwarzes Kostüm und ihre wohlgeformten Beine steckten in den besten und teuersten Nylonstrümpfen, die man auf dem Schwarzmarkt finden konnte.

Sie segelte durch das Schreibzimmer, ohne jemanden eines Blickes oder Wortes zu würdigen. Die Tippsen hätten ebenso gut Ungeziefer sein können, denn Miss Grosvenor war Mr Fortescues höchst persönliche Sekretärin. Missgünstigen Gerüchten zufolge war sie sogar ein bisschen mehr als das, aber die entsprachen nicht der Wahrheit. Mr Fortescue hatte vor kurzem zum zweiten Mal geheiratet, eine ebenso anspruchsvolle wie schöne Frau, die seine volle Aufmerksamkeit verlangte. Miss Grosvenor war für Mr Fortescue nicht mehr als ein notwendiger Bestandteil seiner Büroeinrichtung – ebenso luxuriös und ebenso teuer.

Miss Grosvenor schwebte zurück, das Tablett vor sich hertragend wie eine Opfergabe. Durch das innere Büro und das Wartezimmer, in dem die wichtigeren Kunden sitzen durften, durch ihr eigenes Vorzimmer und schließlich, nach leisem Anklopfen, in das Allerheiligste, Mr Fortescues Büro.

Es war ein großer Raum mit schimmerndem Parkettboden, auf dem kostbare Orientteppiche lagen, ausladenden Clubsesseln aus glänzendem cremefarbenem Leder und elegant mit hellem Holz getäfelten Wänden. Hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Edelholz, Zentrum und Brennpunkt des Raumes, saß Mr Fortescue selbst.

Mr Fortescue war nicht ganz so eindrucksvoll wie sein Büro, aber er tat sein Bestes. Er war ein korpulenter, schwammiger Mann mit einer glänzenden Glatze. Er hatte die Gewohnheit, im Büro salopp geschnittene Tweedanzüge zu tragen, die eher für das Landleben gedacht waren. Er saß mit gerunzelter Stirn über seinen Akten, als Miss Grosvenor schwanengleich zu ihm hinglitt. Sie platzierte das Tablett neben seinen Ellbogen und murmelte diskret: »Ihr Tee, Mr Fortescue«, bevor sie sich zurückzog.

Mr Fortescues Beitrag zu diesem Ritual war ein Grunzen.

Wieder an ihrem Schreibtisch, widmete sich Miss Grosvenor den laufenden Geschäften. Sie telefonierte zweimal, korrigierte einige Briefe, die zur Unterschrift für Mr Fortescue bereitlagen, und nahm einen Anruf entgegen.

»Leider ganz unmöglich«, sagte sie hoheitsvoll, »Mr Fortescue ist in einer Konferenz.« Sie legte den Hörer auf und blickte auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach elf.

In diesem Augenblick drang ein ungewöhnlicher Laut durch die beinahe schalldichte Tür von Mr Fortescues Büro. Gedämpft, doch unzweifelhaft als unterdrückter Schmerzensschrei zu erkennen. Im selben Moment erklang der Summer auf Miss Grosvenors Schreibtisch wie ein lang gezogener, verzweifelter Hilferuf. Miss Grosvenor, die vor Schreck einen Augenblick wie gelähmt dagesessen hatte, erhob sich unsicher. Ein unerwartetes Ereignis wie dieses brachte ihre Sicherheit ins Wanken. Doch sie bewegte sich in ihrer gewohnt statuenhaften Art auf Mr Fortescues Tür zu, klopfte und trat ein.

Was sie sah, erschütterte ihre Haltung noch mehr. Ihr Arbeitgeber saß vor Schmerzen gekrümmt hinter seinem Schreibtisch. Der Anblick seiner Zuckungen wirkte beängstigend.

»Oh Gott, Mr Fortescue, sind Sie krank?«, fragte Miss Grosvenor und war sich gleichzeitig bewusst, wie idiotisch ihre Frage war. Es bestand gar kein Zweifel, dass es Mr Fortescue sehr schlecht ging. Sein Körper wurde von schmerzhaften Krämpfen geschüttelt. Sie trat näher. Die Worte kamen ruckhaft, keuchend:

»Tee – was zum Teufel – haben Sie in den Tee – holen Sie Hilfe – schnell, einen Arzt –«

Miss Grosvenor stürzte aus dem Zimmer. Sie war nicht länger die hochnäsige blonde Sekretärin – sie war eine durch und durch verängstigte Frau, die den Kopf verlor.

Sie rannte ins Schreibzimmer und rief: »Mr Fortescue hat einen Anfall – er stirbt – wir müssen einen Arzt holen – er sieht furchtbar aus – er wird bestimmt sterben!«

Reagiert wurde sofort und auf sehr unterschiedliche Weise.

Miss Bell, die jüngste Schreibkraft, sagte: »Wenn es ein epileptischer Anfall ist, sollten wir ihm einen Korken in den Mund stecken. Hat jemand einen Korken?«

Niemand hatte einen Korken.

Miss Somers sagte: »In seinem Alter ist es wahrscheinlich eher ein Schlaganfall.«

Miss Griffith sagte: »Wir müssen einen Arzt holen – sofort!«

Doch ihre übliche Effizienz wurde dadurch gebremst, dass es in ihren sechzehn Dienstjahren noch nie nötig gewesen war, einen Arzt ins Büro zu rufen. Sie hatte wohl einen Hausarzt, aber der war in Streatham Hill. Wo gab es hier in der Nähe einen Arzt?

Niemand wusste es.

Miss Bell griff nach dem Telefonbuch und suchte Ärzte unter A. Aber es war kein Branchenverzeichnis, und Ärzte waren nicht untereinander aufgelistet wie Taxiunternehmen. Jemand schlug vor, ein Krankenhaus anzurufen – aber welches Krankenhaus? »Es muss schon das richtige Krankenhaus sein«, sagte Miss Somers nachdrücklich, »sonst kommen die nicht. Wegen des Staatlichen Gesundheitsdienstes, meine ich. Es muss im Bezirk sein.«

Der Vorschlag, 999 anzurufen, schockierte Miss Griffith, das war doch die Polizei, nein, das kam ganz und gar nicht in Frage. Als Bürgerinnen eines Landes, in dem jeder die Vorzüge des Staatlichen Gesundheitsdienstes genoss, zeigten diese doch relativ intelligenten Frauen ein erstaunliches Unwissen, was das richtige Vorgehen in dieser Situation anging. Miss Bell suchte weiter unter S wie Sanität. Miss Griffith sagte: »Sein Hausarzt – er muss doch einen Hausarzt haben.« Jemand rannte nach dem privaten Adressbuch. Miss Griffith schickte den Büroboten, einen Arzt aufzutreiben, egal wie, egal wo. Im privaten Adressbuch fand Miss Griffith Sir Edwin Sandeman mit einer Adresse in der Harley Street. Miss Grosvenor war auf einem Stuhl zusammengebrochen und jammerte in einem deutlich weniger arroganten Ton als sonst: »Ich hab den Tee wie immer gemacht – wirklich, wie immer –, da kann doch nichts Schlechtes drin gewesen sein.«

»Schlechtes drin?« Miss Griffith hielt inne, die Hand auf der Telefonwählscheibe. »Warum sagen Sie das?«

»Er hat es gesagt – Mr Fortescue – er sagte, es war der Tee.«

Miss Griffith’ Hand schwebte unentschlossen über der Wählscheibe. Miss Bell, jung und optimistisch, meinte: »Wir sollten ihm ein bisschen Senf und Wasser geben. Ist denn gar kein Senf im Büro?«

Es war kein Senf im Büro.

Wenig später begegneten sich Dr. Isaacs von Bethnal Green und Sir Edwin Sandeman im Aufzug, während gleich zwei Krankenwagen vor dem Haus hielten. Das Telefon und der Bürobote hatten ihre Wirkung getan.

2

Inspector Neele saß in Mr Fortescues Heiligtum hinter Mr Fortescues riesigem Edelholz-Schreibtisch. Einer seiner Leute saß mit einem Notizbuch unauffällig an der Wand neben der Tür.

Inspector Neele sah soldatenhaft ordentlich aus, das drahtige braune Haar streng aus einer eher tief liegenden Stirn zurückgekämmt. Wenn er »reine Routine« sagte, dachte man gewöhnlich abschätzig: Ja, reine Routine ist auch alles, wozu der fähig ist! Doch das war ein Irrtum. Hinter seinem einfallslosen Äußeren verbarg sich ein höchst einfallsreicher Denker. Eine seiner Arbeitsmethoden bestand darin, phantastische Schuldtheorien zu konstruieren und an der Person, die er gerade verhörte, auszuprobieren.

Mit sicherem Blick hatte er Miss Griffith als die Person erkannt, die ihm am ehesten einen zusammenhängenden Bericht über die Ereignisse geben könnte, die dazu geführt hatten, dass er nun hier saß. Nach einer bewundernswerten Zusammenfassung der Geschehnisse dieses Vormittags hatte sie eben das Zimmer verlassen. Inspector Neele legte sich selber drei verschiedene, hochdramatische Gründe vor, aus denen die altgediente Bürovorsteherin den Vormittagstee ihres Arbeitgebers hätte vergiften können, und verwarf alle drei als unwahrscheinlich.

Er schätzte Miss Griffith nicht als a) typische Giftmörderin, b) in ihren Arbeitgeber verliebt, c) schwer geistesgestört oder d) nachtragend ein. Damit schied Miss Griffith als Täterin aus, nicht aber als verlässliche Informationsquelle.

Inspector Neele schaute zum Telefon. Jeden Augenblick erwartete er einen Anruf vom St. Jude’s Hospital.

Es war zwar möglich, dass Mr Fortescues plötzliche Erkrankung natürliche Ursachen hatte – aber Dr. Isaacs von Bethnal Green glaubte das nicht, und Sir Edwin Sandeman aus der Harley Street glaubte das auch nicht.

Inspector Neele drückte den in bequemer Nähe zu seiner linken Hand angebrachten Summknopf und verlangte Mr Fortescues Privatsekretärin.

Miss Grosvenor hatte ein wenig Haltung wiedergefunden, aber nicht viel. Als sie eintrat, wirkte sie ängstlich, in ihren Bewegungen war nichts Schwanengleiches, und sie sagte sofort abwehrend: »Ich hab’s nicht getan!«

Inspector Neele murmelte höflich: »Nicht?«

Er deutete auf den Stuhl, auf dem Miss Grosvenor gewöhnlich Platz nahm, wenn sie zum Diktat gebeten wurde. Sie setzte sich nur zögernd und sah ängstlich zum Inspector auf. Inspector Neele, der im Geist die Themen »Verführung«, »Erpressung« und »Platinblonde vor Gericht« durchspielte, schaute beruhigend und beinahe ein wenig dümmlich zurück.

»Es war nichts Schlechtes in dem Tee«, sagte Miss Grosvenor. »Das kann nicht sein.«

»Ich verstehe«, sagte Inspector Neele. »Name und Adresse, bitte.«

»Grosvenor, Irene Grosvenor.«

»Wie buchstabiert sich das?«

»Oh – wie der Platz, Grosvenor Square.«

»Und die Adresse?«

»14 Rushmoor Road, Muswell Hill.«

Inspector Neele nickte zufrieden.

Keine Verführung, sagte er sich, kein Liebesnest. Anständiges Elternhaus. Keine Erpressung. Und wieder hatte sich eine gute Folge von Theorien in nichts aufgelöst.

»Sie haben also den Tee zubereitet?«, fragte er freundlich.

»Nun, das musste ich wohl. Ich wollte sagen, das tu ich immer.«

In aller Ruhe ließ sich Inspector Neele durch die Einzelheiten des morgendlichen Teerituals führen. Tasse, Untertasse und Teekanne waren bereits verpackt und den zuständigen Stellen zur Analyse zugestellt worden. Jetzt erfuhr Inspector Neele, dass Irene Grosvenor – und nur Irene Grosvenor – diese Tasse, Untertasse und Teekanne in der Hand gehabt hatte. Der Kessel war zur Zubereitung des Bürotees benützt und von Miss Grosvenor aus dem Hahn im Waschraum nachgefüllt worden.

»Und der Tee selbst?«

»Es war Mr Fortescues eigener Tee, eine besondere chinesische Mischung. Er steht auf dem Regal in meinem Zimmer nebenan.«

Inspector Neele nickte. Er erkundigte sich nach dem Zucker und erfuhr, dass Mr Fortescue keinen Zucker nahm.

Das Telefon klingelte. Inspector Neele nahm den Hörer ab. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich ein wenig.

»St. Jude’s?«

Er entließ Miss Grosvenor mit einem Nicken.

»Das ist im Augenblick alles. Danke, Miss Grosvenor.«

Miss Grosvenor eilte aus dem Raum.

Während Inspector Neele der dünnen, sachlichen Stimme aus dem St. Jude’s Hospital aufmerksam zuhörte, machte er ein paar geheimnisvolle Bleistiftzeichen auf die Ecke der Schreibtischunterlage vor ihm.

»Vor fünf Minuten gestorben, sagen Sie?« Er blickte auf seine Armbanduhr. Zwölf Uhr dreiundvierzig, schrieb er auf das Löschblatt.

Die gleichmütige Stimme teilte ihm mit, dass Dr. Bernsdorff gern selbst noch mit Inspector Neele sprechen wollte.

Inspector Neele sagte: »Schön, stellen Sie ihn durch«, was den Besitzer der Stimme, der bereits eine gewisse Ehrerbietung in seinem offiziellen Tonfall zugelassen hatte, doch einigermaßen schockierte. Dann war nur Klicken, Summen und weit entferntes, geisterhaftes Murmeln zu hören.

Inspector Neele wartete geduldig. Plötzlich dröhnte ohne Vorwarnung ein tiefer Bass, der ihn den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr entfernen ließ.

»Hallo, Neele, Sie alter Geier! Wieder mit Ihren Leichen beschäftigt?«

Inspector Neele und Professor Bernsdorff vom St. Jude’s hatten sich vor etwas mehr als einem Jahr während der Ermittlungen in einem Giftmordfall kennen- und schätzen gelernt.

»Unser Mann ist tot, wie ich höre, Doc.«

»Ja. Wir konnten nichts mehr für ihn tun. Es war zu spät.«

»Und die Todesursache?«

»Wir werden natürlich eine Autopsie durchführen müssen. Sehr interessanter Fall. Wirklich sehr interessant. Bin froh, dass ich den gekriegt habe.«

Die berufliche Begeisterung in Bernsdorffs voller Stimme war für Inspector Neele vielsagend genug. »Sie glauben also nicht, dass er eines natürlichen Todes gestorben ist?«, bemerkte er trocken.

»Keine Chance!«, rief Bernsdorff jovial. »Ich spreche natürlich ganz inoffiziell«, fügte er mit verspäteter Vorsicht hinzu.

»Natürlich. Natürlich, ich verstehe. Wurde er vergiftet?«

»Eindeutig. Und außerdem – auch das ganz inoffiziell, verstehen Sie, ganz unter uns – ich wette, ich weiß auch, womit.«

»Wirklich?«

»Taxin, mein Junge. Taxin.«

»Taxin? Noch nie gehört.«

»Ich weiß. Höchst ungewöhnlich. Ich möchte nicht behaupten, dass ich selber gleich draufgekommen wäre, wenn ich nicht vor drei oder vier Wochen einen entsprechenden Fall gehabt hätte. Zwei Kinder, die Puppen-Teeparty gespielt und Eibenbeeren dazu gegessen haben.«

»Ist es das? Eibenbeeren?«

»Früchte oder Nadeln. Hochgiftig. Taxin ist natürlich das Alkaloid. Glaube nicht, dass ich je von einem Fall gehört habe, in dem es absichtlich angewandt wurde. Wirklich höchst interessant und ungewöhnlich. Sie können sich nicht vorstellen, Neele, wie müde man der ewigen Unkrautvertilger wird. Taxin ist eine echte Überraschung. Natürlich könnte ich mich irren – zitieren Sie mich ja nicht –, aber ich glaube es eigentlich nicht. Ist auch für Sie interessant, denke ich. Eine Abwechslung.«

»Eine interessante Abwechslung für alle. Außer für das Opfer.«

»Ja, ja, der arme Kerl.« Bernsdorffs Stimme klang sachlich. »Wirklich Pech.«

»Hat er noch etwas gesagt, bevor er starb?«

»Nun, einer Ihrer Leute saß mit einem Notizbuch neben ihm. Er wird Ihnen die Einzelheiten geben können. Er hat einmal etwas von seinem Tee gemurmelt – dass man ihm im Büro etwas in den Tee gegeben habe –, aber das ist natürlich Unsinn.«

»Warum ist das Unsinn?«, fragte Inspector Neele scharf. Vor seinem geistigen Auge prüfte er das Bild der eleganten Miss Grosvenor, wie sie ein paar Eibenbeeren in den Tee mischte, und verwarf es als unwahrscheinlich.

»Weil das Zeug unmöglich so schnell gewirkt haben könnte. Die Symptome sind doch sofort, als er den Tee getrunken hatte, aufgetreten, nicht?«

»So wurde es mir berichtet.«

»Nun, es gibt nur wenige Gifte, die so schnell wirken, abgesehen von Blausäureverbindungen, natürlich, und vielleicht reinem Nikotin.«

»Und es war eindeutig weder das eine noch das andere?«

»Mein lieber Freund, da wäre er tot gewesen, bevor die Ambulanz kam. Beides steht außer Frage. Ich habe zuerst Strychnin vermutet, aber die Krämpfe waren untypisch dafür. Nein, ich wette meinen Ruf darauf, dass es Taxin war – immer noch ganz inoffiziell, natürlich.«

»Und wie lange würde das brauchen, um zu wirken?«

»Je nachdem. Eine Stunde. Zwei Stunden, drei Stunden. Der Verstorbene sah nach einem starken Esser aus. Wenn er ein üppiges Frühstück hatte, würde das die Wirkung verlangsamen.«

»Frühstück«, wiederholte Inspector Neele nachdenklich. »Ja, sieht ganz nach Frühstück aus.«

»Frühstück mit den Borgias.« Dr. Bernsdorff lachte fröhlich. »Nun denn, Waidmanns Heil, mein Junge.«

»Danke, Doctor. Ich würde gern noch mit meinem Sergeant sprechen, bevor Sie auflegen.«

Wieder Klicken, Summen, weit entfernte, geisterhafte Stimmen. Und dann das Geräusch heftigen Schnaufens, das unfehlbar Sergeant Hay ankündigte.

»Sir«, sagte er dringlich, »Sir.«

»Hier Neele. Hat der Verstorbene noch irgendetwas gesagt, das ich wissen müsste?«

»Er sagte, es sei der Tee gewesen. Der Tee, den er im Büro getrunken hat. Aber der Arzt sagt nein.«

»Ja, ich weiß. Sonst noch was?«

»Nein, Sir. Aber etwas ist seltsam. Der Anzug, den er trug – ich hab mir den Tascheninhalt angesehen. Das Übliche – Taschentuch, Schlüssel, Kleingeld, Brieftasche –, aber etwas war wirklich eigenartig: In der rechten Seitentasche hatte er Getreide.«

»Getreide?«

»Ja, Sir.«

»Was meinen Sie mit Getreide – Frühstücksflocken? ›Farmer’s Glory‹ oder ›Wheatifax‹? Oder meinen Sie richtige Körner, Mais oder Hafer?«

»Ja, das meine ich, Sir, richtige Körner. Sah mir nach Roggen aus. Eine ganze Menge.«

»Ich verstehe. Wirklich eigenartig. Könnte natürlich ein Warenmuster sein – etwas, das mit einem Geschäft zu tun hat.«

»Natürlich, Sir. Aber ich dachte, ich erwähne es besser.«

»Ganz richtig, Hay.«

Nachdem Inspector Neele den Hörer aufgelegt hatte, starrte er ein paar Sekunden vor sich hin. Sein methodischer Verstand schritt von der ersten zur zweiten Phase der Untersuchung vor – vom Verdacht auf Vergiftung zur Gewissheit einer Vergiftung. Professor Bernsdorff mochte seine Vermutung inoffiziell ausgesprochen haben, aber er war nicht der Mann, der sich in seinen Annahmen täuschte. Rex Fortescue war vergiftet worden, und man hatte ihm das Gift vermutlich eine bis drei Stunden vor dem Auftreten der ersten Symptome gegeben. Damit war das Büropersonal wahrscheinlich aus dem Schneider.

Neele stand auf und trat ins Schreibzimmer hinaus. Um den Schein zu wahren, wurde ein bisschen gearbeitet, aber die Schreibmaschinen liefen nicht auf vollen Touren.

»Miss Griffith? Kann ich Sie noch einmal einen Moment sprechen?«

»Natürlich, Mr Neele. Könnten einige der Mädchen wohl jetzt zum Mittagessen gehen? Es ist längst über ihre Zeit. Oder möchten Sie, dass wir uns etwas kommen lassen?«

»Nein, sie können ruhig gehen. Aber sie müssen nachher wieder zurückkommen.«

»Selbstverständlich.«

Miss Griffith folgte Neele zurück ins Chefbüro. Sie setzte sich in ihrer ruhigen, tüchtigen Art.

Ohne Umschweife sagte Inspector Neele: »Das St.-Jude’s-Krankenhaus hat angerufen. Mr Fortescue ist um zwölf Uhr dreiundvierzig gestorben.«

Miss Griffith nahm die Nachricht gefasst auf, schüttelte nur leicht den Kopf: »Ich habe schon befürchtet, dass er sehr krank war.«

Sie schien nicht sonderlich traurig, wie Neele bemerkte.

»Würden Sie mir bitte etwas über sein Heim und seine Familie erzählen?«

»Gewiss. Ich habe bereits versucht, Mrs Fortescue zu erreichen, aber sie scheint beim Golf zu sein. Sie wurde zum Mittagessen nicht zurückerwartet. Man weiß nicht genau, auf welchem Golfplatz sie spielt.« Erklärend fuhr sie fort: »Sie leben in Baydon Heath, wissen Sie, da gibt es drei große Golfplätze.«

Inspector Neele nickte. In Baydon Heath wohnten fast ausschließlich reiche Geschäftsleute. Die Zugverbindungen waren ausgezeichnet, es lag nur dreißig Kilometer außerhalb Londons und war selbst zur Hauptverkehrszeit morgens und abends relativ leicht zu erreichen.

»Die genaue Adresse, bitte, und die Telefonnummer?«

»Baydon Heath 3400. Das Haus heißt Zur Eibe.«

»Wie bitte?« Die Frage fuhr Inspector Neele ungewollt scharf heraus. »Sagten Sie Zur Eibe?«

»Ja.«

Miss Griffith sah ihn etwas verwundert an, aber Inspector Neele hatte sich bereits wieder im Griff.

»Können Sie mir Einzelheiten über die Familie geben?«

»Mrs Fortescue ist seine zweite Frau. Sie ist einiges jünger als er. Sie haben vor ungefähr zwei Jahren geheiratet. Die erste Mrs Fortescue ist vor langer Zeit gestorben. Aus erster Ehe sind zwei Söhne und eine Tochter da. Die Tochter lebt zu Hause, ebenso der älteste Sohn, der Teilhaber der Firma ist. Unglücklicherweise ist er heute auf Geschäftsreise in Nordengland. Er wird morgen zurückerwartet.«

»Wann ist er abgereist?«

»Vorgestern.«

»Haben Sie versucht, ihn zu erreichen?«

»Ja. Nachdem Mr Fortescue ins Krankenhaus eingeliefert wurde, habe ich das Midland Hotel in Manchester angerufen, wo er übernachtet hat, aber er war schon frühmorgens abgereist. Soviel ich weiß, wollte er noch nach Sheffield und Leicester, ich bin aber nicht ganz sicher. Ich kann Ihnen die Namen der Firmen in diesen Städten geben, die er vermutlich besuchen wollte.«

Eine tüchtige Frau, dachte der Inspector, und wenn sie jemanden umbringen wollte, würde sie das bestimmt auch sehr effizient erledigen. Aber er zwang sich, diese Überlegungen fallen zu lassen und sich mehr auf Mr Fortescues Familienfront zu konzentrieren.

»Sie sagten, es ist noch ein zweiter Sohn da?«

»Ja. Aber er hat sich mit seinem Vater zerstritten und lebt im Ausland.«

»Sind beide Söhne verheiratet?«

»Ja. Mr Percival ist seit drei Jahren verheiratet. Er und seine Frau leben in einer abgetrennten Wohnung im Haus Zur Eibe, werden aber bald ihr eigenes Haus in Baydon Heath beziehen.«

»Und Mrs Percival Fortescue konnten Sie auch nicht erreichen?«

»Sie war nach London gefahren.« Miss Griffith fuhr fort: »Mr Lancelot hat vor weniger als einem Jahr geheiratet. Die Witwe von Lord Frederick Anstice, vielleicht haben Sie Fotos von ihr gesehen. Im Tatler – mit Pferden, wissen Sie. Am Rennen.«

Miss Griffith klang etwas atemlos, ihre Wangen waren leicht gerötet. Neele, der menschliche Regungen schnell erfasste, sah, dass diese Verbindung sowohl den Snob wie die Romantikerin in Miss Griffith anrührte. Adel war für sie nun mal Adel, und die Tatsache, dass der verstorbene Lord Frederick Anstice in Sportkreisen einen recht üblen Ruf genossen hatte, war ihr wohl nicht bekannt. Freddie Anstice hatte sich erschossen, kurz bevor die Rennleitung eine Untersuchung eines seiner Pferde angeordnet hatte. Neele erinnerte sich dunkel an seine Frau. Sie war die Tochter eines irischen Adligen und zuvor mit einem Flieger verheiratet gewesen, der in der Luftschlacht um England gefallen war.

Und jetzt war sie also mit dem schwarzen Schaf der Familie Fortescue verheiratet. Denn Neele nahm an, dass das Zerwürfnis, das Miss Griffith so diskret erwähnt hatte, auf einen unrühmlichen Zwischenfall in der Vergangenheit des jungen Mr Lancelot zurückzuführen war.

Lancelot Fortescue! Was für ein Name! Und der andere Sohn – Percival? Er hätte zu gerne gewusst, was für ein Mensch die erste Mrs Fortescue gewesen war. Sie hatte jedenfalls einen eigenartigen Geschmack, was Taufnamen anging.

Er zog das Telefon zu sich heran und wählte das Fernamt. Er verlangte Baydon Heath 3400.

Gleich darauf sagte eine Männerstimme: »Baydon Heath 3400.«

»Ich möchte Mrs Fortescue oder Miss Fortescue sprechen.«

»Bedaure. Sind beide nicht hier.«

Die Stimme schien Inspector Neele leicht alkoholisiert.

»Sind Sie der Butler?«

»Jawohl.«

»Mr Fortescue ist ernstlich erkrankt.«

»Ich weiß. Man hat bereits angerufen. Aber ich kann nichts machen. Mr Val ist im Norden und Mrs Fortescue ist zum Golf. Mrs Val ist nach London gefahren, aber sie wird zum Dinner zurück sein, und Miss Elaine ist mit den Pfadfinderinnen unterwegs.«

»Ist denn niemand im Haus, mit dem ich über Mr Fortescues Erkrankung sprechen könnte? Es ist wichtig.«

»Nun – ich weiß nicht.« Der Mann zögerte. »Da ist Miss Ramsbottom – aber sie telefoniert nie. Oder Miss Dove – sie ist sozusagen die Haushälterin hier.«

»Dann möchte ich mit Miss Dove sprechen, bitte.«

»Ich werde sie suchen.«

Seine sich entfernenden Schritte waren durchs Telefon zu hören. Inspector Neele hörte keine sich nähernden Schritte, dafür wenig später eine Frauenstimme.

»Hier spricht Miss Dove.«

Die Stimme war dunkel und ruhig und klar artikuliert. Inspector Neele machte sich ein positives Bild von Miss Dove.

»Ich muss Ihnen leider mitteilen, Miss Dove, dass Mr Fortescue vor kurzem im St.-Jude’s-Krankenhaus gestorben ist. Er ist in seinem Büro ganz plötzlich erkrankt. Ich muss dringend mit seinen Angehörigen sprechen.«

»Natürlich. Ich hatte keine Ahnung –« Sie brach ab. Ihre Stimme klang angemessen schockiert, nicht mehr. Sie fuhr fort: »Es ist höchst bedauerlich. Sie sollten mit Mr Percival Fortescue sprechen. Er wird alles Nötige veranlassen. Sie können ihn im Midland in Manchester erreichen, oder vielleicht im Grand Hotel in Leicester. Oder versuchen Sie es bei Shearer and Bonds in Leicester. Die Telefonnummer habe ich leider nicht, aber ich weiß, dass er diese Firma besuchen wollte. Vielleicht können die Ihnen sagen, wo er heute erwartet wird. Mrs Fortescue wird bestimmt zum Dinner zurück sein, vielleicht schon zum Tee. Es wird ein furchtbarer Schock für sie sein. Es muss ganz plötzlich gekommen sein. Mr Fortescue fühlte sich vollkommen wohl, als er heute früh das Haus verließ.«

»Haben Sie ihn gesehen, bevor er ging?«

»Oh ja. Was war es – sein Herz?«

»Hatte er Probleme mit dem Herzen?«

»Nein, nein – ich glaube nicht – ich dachte nur, weil es so plötzlich –« Sie brach ab. »Rufen Sie vom Krankenhaus an? Sind Sie Arzt?«

»Nein, Miss Dove, ich bin kein Arzt. Ich rufe von Mr Fortescues Büro an. Ich bin Inspector Neele von der Kriminalpolizei, und ich werde, so bald ich kann, zu Ihnen hinausfahren.«

»Kriminalpolizei? Wollen Sie etwa sagen – was sagen Sie?«

»Es war ein plötzlicher Todesfall, Miss Dove, und bei einem plötzlichen Todesfall ruft man uns, vor allem, wenn der Verstorbene in letzter Zeit nicht in ärztlicher Behandlung war – das war doch hier der Fall?«

Es war nur die leiseste Andeutung eines Fragezeichens, doch die junge Frau reagierte sofort darauf.

»Ich weiß. Percival hat ihn zweimal beim Arzt angemeldet, aber er ist nicht hingegangen. Er war sehr unvernünftig – alle machten sich Sorgen –« Sie brach wieder ab und fuhr dann in ihrer gewohnt ruhigen Art fort: »Was soll ich Mrs Fortescue sagen, falls sie vor Ihnen hier eintrifft?«

Verliert keine Zeit, dachte Inspector Neele. Laut sagte er: »Sagen Sie ihr nur, dass wir in einem plötzlichen Todesfall gewisse Nachforschungen anstellen müssen. Reine Routine.«

Er legte auf.

3

Neele schob das Telefon zur Seite und sah Miss Griffith scharf an.

»Man hat sich also in letzter Zeit Sorgen um ihn gemacht«, sagte er. »Wollte, dass er einen Arzt aufsucht. Das haben Sie mir nicht gesagt.«

»Ich habe nicht daran gedacht«, sagte Miss Griffith und fügte hinzu: »Er schien mir auch gar nicht wirklich krank zu sein –«

»Nicht krank, sondern?«

»Nun, einfach seltsam. Nicht ganz wie sonst. Er benahm sich eigenartig.«

»Wirkte er besorgt?«

»Oh nein, nicht besorgt. Wir waren die, die sich Sorgen machten …«

Inspector Neele wartete geduldig.

»Es ist schwer zu sagen«, fuhr Miss Griffith fort. »Er hatte seine Launen, wissen Sie. Manchmal war er ganz aufgeräumt. Ein- oder zweimal dachte ich sogar, er habe getrunken. Er prahlte mit den unglaublichsten Geschichten, die bestimmt nicht wahr sein konnten. Die meiste Zeit, die ich hier arbeitete, war er sehr verschlossen und gab nichts Geschäftliches preis. Aber in letzter Zeit war er ganz anders, gesprächig und – nun – er hat mit Geld nur so um sich geworfen. Ganz anders als sonst. Als der Bürobote zum Begräbnis seiner Großmutter fahren wollte, rief Mr Fortescue ihn ins Büro und gab ihm einen Fünfpfundschein, den er auf den zweiten Favoriten setzen sollte. Und dann brüllte er vor Lachen. Er war einfach … nun, er war nicht der Alte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Als ob ihn etwas beschäftigte?«

»Nicht im üblichen Sinn. Es war vielmehr, als ob er etwas Angenehmes, etwas Aufregendes erwartete.«

»Vielleicht war er dabei, ein großes Geschäft abzuschließen?«

Miss Griffith stimmte dem mit mehr Überzeugung zu: »Ja, ja, das ist viel eher, was ich meine. Als ob alltägliche Dinge keine Rolle mehr spielten. Er war aufgeregt. Und ein paar recht eigenartige Typen kamen geschäftlich zu ihm – Leute, die er früher nie empfangen hätte. Mr Percival war außer sich.«

»Oh, das hat ihm nicht gefallen, was?«

»Nein. Mr Percival war immer Mr Fortescues Vertrauter, verstehen Sie. Sein Vater hat sich immer ganz auf ihn verlassen. Aber in letzter Zeit …«

»In letzter Zeit kamen sie nicht mehr so gut miteinander aus?«

»Nun, Mr Fortescue hat einige Entscheidungen getroffen, die Mr Percival nicht billigte. Mr Percival ist immer sehr vernünftig und vorausschauend. Aber plötzlich hörte sein Vater nicht mehr auf ihn, und Mr Percival war sehr beunruhigt.«

Inspector Neele bohrte weiter: »Und dann hatten sie diesen schlimmen Krach?«

»Krach würde ich nicht sagen. Natürlich verstehe ich jetzt … Mr Fortescue kann nicht ganz bei sich gewesen sein … so rumzuschreien.«

»Er schrie rum? Was schrie er denn?«

»Er kam sogar ins Schreibzimmer heraus –«

»Sodass ihn alle hören konnten?«

»Nun … ja. Und er beschimpfte Mr Percival aufs übelste, er tobte und fluchte.«

»Was soll Mr Percival denn getan haben?«

»Es war eher, was er nicht getan hatte. Er nannte ihn einen armseligen kleinlichen Bürogummi. Er hätte keine Vision, keinen Weitblick, keine Vorstellung davon, wie man im großen Stil Geschäfte machte. Er sagte: ›Ich werde Lance zurückholen. Er ist zehnmal so viel wert wie du – und er hat gut geheiratet. Lance hat Mumm, selbst wenn er mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist –‹ Oje, das hätte ich wohl nicht erwähnen sollen!«

Miss Griffith hatte sich wie andere vor ihr in Inspector Neeles geschickter Behandlung gehen lassen und war nun ganz konfus.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, tröstete Inspector Neele. »Was vorbei ist, ist vorbei.«

»Oh ja, es ist lange her, Mr Lance war jung und übermütig, er wusste nicht wirklich, was er tat.«

Inspector Neele hatte diese Einschätzung oft gehört und teilte sie nicht. Aber er ging zu einer anderen Frage über: »Erzählen Sie mir ein bisschen mehr über die Angestellten hier.«

Miss Griffith, die nach ihrer Indiskretion nur zu gern das Thema wechselte, überschüttete ihn förmlich mit Einzelheiten über die verschiedenen Persönlichkeiten im Büro. Inspector Neele dankte ihr und sagte dann, er würde gern noch einmal mit Miss Grosvenor sprechen.

Constable Waite spitzte seinen Bleistift. Nachdenklich bemerkte er, dies sei schon eine gediegene Firma. Sein Blick wanderte anerkennend über die riesigen Clubsessel, den ausladenden Schreibtisch, die indirekte Beleuchtung.

»Und die Leute hier haben auch alle so stinkfeine Namen«, sagte er. »Grosvenor – das hat mit einem Herzog zu tun. Und Fortescue ist auch so ein adliger Name.«

Inspector Neele lächelte.

»Sein Vater hieß nicht Fortescue, sondern Fontescu – er stammte irgendwo aus Mitteleuropa. Unser Mann hier dachte wohl, Fortescue klinge besser.«

Constable Waite sah seinen Vorgesetzten voller Hochachtung an.

»Sie wissen wohl alles über ihn?«

»Ich hab ein paar Dinge nachgeschlagen, bevor ich herkam.«

»Doch nicht etwa im Strafregister?«

»Oh nein. Dazu war Mr Fortescue zu gerissen. Er hatte Verbindungen zum Schwarzmarkt, und er hat ein, zwei Geschäfte abgeschlossen, die nicht ganz lupenrein waren, aber immer im Rahmen des Gesetzes.«

»Ich verstehe«, meinte Waite. »Also doch kein feiner Mann.«

»Ein Schieber«, sagte Neele. »Aber wir konnten ihm nichts anhaben. Das Finanzamt war lange Zeit hinter ihm her, aber er war auch für die zu schlau. Ein echtes Finanzgenie, der verstorbene Mr Fortescue.«

»So ein Mann«, überlegte Waite, »hat doch bestimmt Feinde?«

Seine Stimme klang hoffnungsvoll.

»Oh ja, Feinde hatte er. Aber vergessen Sie nicht, er wurde zu Hause vergiftet. So sieht es wenigstens aus. Wissen Sie, Waite, ich beginne das Muster zu erkennen. Ein altmodisches, vertrautes Muster. Der gute Junge, Percival. Der böse Junge, Lance – wirkt auf Frauen. Die Frau, die viel jünger ist als ihr Mann und nicht genau sagt, auf welchem Golfplatz sie spielt. Ja, es kommt mir alles nur zu vertraut vor. Nur eines passt ganz und gar nicht dazu.«

»Was denn?«, fragte Waite, als sich eben die Tür öffnete und Miss Grosvenor, die sich wieder ganz gefangen hatte, hochmütig eintrat. »Sie wollten mich sprechen?«

»Ich möchte Ihnen ein paar Fragen über Ihren Arbeitgeber stellen – Ihren verstorbenen Arbeitgeber, muss ich wohl sagen.«

»Arme Seele«, meinte Miss Grosvenor wenig überzeugend.

»Ich möchte wissen, ob Sie in letzter Zeit eine Veränderung an ihm festgestellt haben.«

»Nun, ja, das habe ich tatsächlich.«

»Inwiefern?«

»Schwer zu sagen … Er redete eine Menge Unsinn. Ich konnte wirklich nicht die Hälfte von dem glauben, was er erzählte. Und dann regte er sich auch sehr leicht auf. Vor allem über Mr Percival. Nicht über mich, natürlich. Ich diskutiere nie. Ich sage immer nur: ›Ja, Mr Fortescue‹, egal was er behauptet – behauptete, meine ich.«

»Hat er je … ich meine, ist er Ihnen je zu nahe getreten?«

Beinahe bedauernd antwortete Miss Grosvenor: »Nein, das kann ich eigentlich nicht sagen.«

»Nur noch eine Frage, Miss Grosvenor: Hatte Mr Fortescue normalerweise Korn in seinen Taschen?«

Miss Grosvenor war sichtlich überrascht.

»Korn? In seinen Taschen? Meinen Sie Vogelfutter oder so was?«

»Könnte sein.«

»Oh nein, bestimmt nicht. Mr Fortescue? Tauben füttern? Oh nein!«

»Könnte er aus irgendeinem Grund heute Hafer oder Roggen in seinen Taschen gehabt haben? Vielleicht ein Warenmuster? Ein Geschäft mit Korn?«

»Oh nein! Heute Nachmittag erwartete er die Leute von Asiatic Oil. Und den Präsidenten der Atticus Building Society. Sonst niemanden.«

»Nun gut.« Neele verabschiedete sich vom Thema und von Miss Grosvenor mit einer Handbewegung.

»Tolle Beine«, seufzte Waite. »Und großartige Strümpfe –«