Das Geheimnis der schwarzen Pyramide - David Reimer - E-Book

Das Geheimnis der schwarzen Pyramide E-Book

David Reimer

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Beschreibung

Doktor Clark, der Leiter der Ausgrabungsstätte des Djoser-Pyramidenkomplexes, macht eine Entdeckung, die die Entstehungsgeschichte des alten Ägyptischen Reiches neu schreiben lässt. Er bittet den Archäologen Henry Voigt dem Geheimnis zu folgen, das zu einem uralten Relikt führen soll. Sehr bald finden Henry und seine Freunde sich auf der Spur zu einer finsteren und düsteren Welt, die ihnen tiefe Einblicke in das Reich der Mythologie und der alten Götter Ägyptens gewährt. Doch nicht nur ein unbekannter Feind betritt die Bühne, auch der Tod ist ihnen stets dicht auf den Fersen. Wird es Henry gelingen, das Rätsel zu lösen und den Tod zu besiegen? Für alle Fans von Indiana Jones, der Geheimakte Reihe, der Tom Wagner Abenteuern und für die die eine aufregende Schatzsuche lieben. Jedes Buch behandelt ein eigenes Abenteuer und ist eigenständig lesbar.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Sünden

Geburtstag

Die Herrin des Zitterns

Der Fund

Böse Geister

Der schwarze Stein

Der Tod ist nah

Der vergessene Pharao

Abydos

Versuchung

Unverhoffte Wendung

Die Weiße Wüste

Antipode

Die Beschützerin der Verborgenen

Duat

Dunkel ist die Finsternis

Gleichgewicht

Blaue Lotosblume

Epilog

Wissenswertes/Nachwort

Impressum

Weitere Werke des Autors

Hörbücher

Das Geheimnis

der schwarzen Pyramide

Ein

Henry-Hieronymus-Voigt-

Abenteuer

Band 4

von

David Reimer

Abenteuer-Roman

Dieses Buch ist meiner treuen Gefährtin Tiziana gewidmet, die mir stets den Weg aus der Dunkelheit ins Licht weist.

»Ein Mensch, der für nichts zu sterben gewillt ist,

verdient nicht zu leben.«

(Martin Luther King)

Sünden

Ein dumpfes Pochen hämmerte in seinem Kopf, in seinem Mund schmeckte er Sand. Er öffnete die Augen und wurde im ersten Moment von der aufgehenden Sonne im Osten geblendet. Er spuckte den Dreck aus und hob den Kopf an, als er erneut die Augen öffnete. Er lag bäuchlings im Sand, der an seiner nackten Haut klebte. Schwerfällig richtete er sich auf und blickte an sich hinunter. Als er seinen nackten Körper erblickte, tastete er ihn ungläubig ab.

Er brauchte einen Atemzug lang, um zu begreifen, dass er unversehrt war und er sich selbst fühlen konnte. Er lachte und spürte, wie die Lebensenergie durch ihn strömte. Als er die blaue Lotosblüte neben der Stelle, an der er gelegen hatte, erblickte, die ihre bereits leicht geöffnete Blüte aus dem Sand der aufgehenden Sonne entgegenstreckte, stutzte er und bückte sich ungläubig. Das Zeichen der Auferstehung, hier mitten in der trockenen Wüste, ob das etwas mit mir zu tun hat?, dachte er.

Die Erinnerung an die Finsternis, der er gerade entkommen war, tauchte schlagartig vor seinem inneren Auge auf. Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er an den Tod dachte, der ihn entdeckt hatte. Panisch blickte er sich um. Hinter ihm ragten die zerklüfteten schwarzen Felswände des Gebirges in den morgendlichen Himmel. Einzelne Sterne konnte er noch am Firmament erkennen. Es schüttelte ihn, die Luft war kühl und ein leichter Wind ging. Plötzlich nahm er eine Bewegung auf einer der Felsklippen wahr. Dann noch eine etwas weiter links und noch eine. Er zuckte zusammen, als er begriff, was gerade geschah. Sie kommen, ich muss hier weg!, schoss es ihm durch den Kopf. Wo ist es?, dachte er aufgeregt und suchte den Boden um sich herum ab. Sand, überall Sand, dann erblickte er gut zehn Schritte neben sich mehrere lose Papyrusblätter.

Lautes Gebrüll wie von einem Rudel Raubtiere drang an seine Ohren. Hastig eilte er zu ihnen und sammelte sie auf, ehe er sich umsah und nach einer Fluchtmöglichkeit suchte, doch er erblickte nur Sand, so weit das Auge reichte, und hinter ihm war das Gebirge, aus dem er gekommen war und in das er auf keinen Fall zurückwollte, dort wartete nur der Tod auf ihn und seine Verfolger. Er musste hier weg, so weit weg wie möglich von diesem Ort. Er musste dem Mann die Seiten bringen, dann würde alles wieder gut werden.

Doch wo war er? Er kannte die Felsen hinter sich nicht. Sein Auftraggeber hatte ihm gesagt, wenn er es geschafft hatte, sollte er nach Osten gehen, bis er zu einem kleinen Fischerdorf kam, dort würde er auf ihn warten. Die Sonne hatte es bereits über eine große Sanddüne geschafft. Dort musste er hin, nach Osten, dort war der Nil, also musste dort auch das Fischerdorf sein.

Methiris, los, jetzt renn, rief er sich innerlich zu. Er lief los, er lief, so schnell ihn seine Beine trugen, die Papyrusseiten fest in den Händen haltend. Er spürte unbändige Kraft in seinen Beinen, sein Körper fühlte sich an, als wäre er gerade neu geboren worden, gewissermaßen entsprach dies auch der Wahrheit. Ohne sich umzudrehen und zu wissen, ob seine Verfolger ihm noch auf den Fersen waren, lief er durch den immer heißer werdenden Sand der Wüste.

Wie lange er gelaufen war, wusste er nicht. Als er eine Herde von Kamelen ausmachte, nahm er sich eines und galoppierte los. Das Tier trug ihn, so schnell es konnte, durch den tiefen Sand der Wüste, der aufgehenden Sonne entgegen. Als er den Rand des kleinen Dorfes erreichte, hatte die Sonne den Zenit bereits überschritten. Zu seiner Verwunderung fühlte er sich nicht müde, auch seine Beine fühlten sich noch kräftig an, nur verlangte sein Körper nach Wasser.

Er ließ das Kamel frei und entwendete ein weißes Gewand, das zum Trocknen in der Sonne auf einem Stock hing, und ging zum Brunnen, wo er den Inhalt eines kleinen Wassereimers in einem Zug leerte. Anscheinend hatte er seine Verfolger abgeschüttelt, oder stimmte es, dass sie ihm bei Tageslicht nicht folgen würden?

Der Gedanke an seinen Freund, der sein Leben verloren hatte bei ihrem kleinen Abenteuer, schmerzte, als ihn die Erinnerungen an letzte Nacht einholten. Er konnte nicht so recht glauben, was er erlebt oder gesehen hatte. Hatte er das alles wirklich erlebt oder war es in Wahrheit nur ein verrückter Traum?

Es war schon öfter vorgekommen, dass er mit seinem Freund Amunath ein Kamelrennen durch die Wüste durchgeführt hatte, nachdem sie einiges an Bier getrunken hatten. Doch dieses Mal war es anders, sein Freund war nicht da und er hatte die Seiten bei sich.

Sein Blick fiel auf den Papyrus in seiner Hand. Er wollte keine Zeit verlieren, wenn er die Blätter erst einmal abgeliefert und seinen Auftrag erledigt hatte, dann würde alles wieder gut werden.

Vor einer Woche hatte ein alter Mann ihn und seinen Freund Amunath beim Plündern eines Grabes in der Wüste erwischt, als sie gerade ihre Beute aus der letzten Ruhestätte des höchsten Priesters des Königs brachten.

Niemand außer ihnen hatte sich getraut, in die Mastaba einzudringen. Eine Legende eines Totenfluchs hatte sich schnell verbreitet und alle Grabräuber abgeschreckt, bis auf ihn und Amunath. Methiris hatte sich noch nie viel um Götter, Legenden oder Flüche gekümmert, für ihn zählte nur, jeden Tag genug Wertvolles nach Hause zu bringen, damit seine fünf Kinder und seine Frau etwas zu essen hatten. So hatten sie es gewagt, das Grab zu plündern, um ihre Familien zu ernähren.

Ein alter Mann hatte sie einen Tag später aufgesucht und ihnen einen Auftrag angeboten. Sollten sie ihn zu seiner Befriedigung erfüllt haben, würden sie und ihre Familien nie mehr Hunger leiden. Ganz im Gegenteil, sie würden über andere herrschen, sofern sie lebend aus der Duat zurückkehren und ihm bringen würden, wonach ihm begehrte. Das Angebot war zu verlockend, das ihnen der alte Mann namens Sethout angeboten hatte. Er hatte sie gen Westen an die Stelle geschickt, an der die Sonne den Horizont berührte, dort, wo der westliche Torweg des Horizontes lag.

Nun machte er sich auf zu dem Hafen des Fischerdorfes, wo der alte Mann sich mit ihm treffen wollte, wenn die Sonne am höchsten stand, also jetzt. Er beschleunigte seine Schritte und erreichte sein Ziel schneller als erwartet. Am Ende eines Bootsanlegers erblickte er seinen wartenden Auftraggeber. Methiris ging zu ihm, grüßte ihn und gab ihm die Seiten.

Der Mann schien etwas überrascht zu sein, so als hätte er nicht vollends daran geglaubt, dass er den Auftrag erledigen konnte. Ein Gedanke kam ihm in den Sinn: War er vielleicht nicht der Erste, der diesen Auftrag von ihm erhalten hatte? Hatten es vielleicht schon Dutzende vor ihm versucht und ihr Leben verloren?

»Gehe zu deiner Frau und deinen Kindern, morgen, wenn du aufwachst, wirst du deine Belohnung erhalten, dann, wenn die ersten Strahlen der Sonne erscheinen.« Sethout zeigte auf einen Punkt hinter Methiris Richtung Osten.

Er folgte dem Fingerzeig des Mannes und erblickte am Horizont Sanddünen. Als er sich umdrehte, war der Mann wie vom Erdboden verschluckt. Ungläubig legte sich Methiris auf den Bauch und lugte unter den Bootsanleger, doch er konnte Sethout nicht finden. Er richtete sich auf und blickte sich um, er fand keine Spur von Sethout.

Irritiert ging er zum Marktplatz, dort erfuhr er, dass er sich in Thinis befand und sein Zuhause Asyut etwas flussabwärts lag, bis heute Abend konnte er dort sein, sofern er ein Boot auftreiben konnte. Doch er trug außer dem Gewand nichts am Leib, was von Wert war.

Er ging zu dem Bootsanleger, an dem Sethout spurlos verschwunden war, und versuchte dort, zwei Fischer zu überreden, ihn nach Asyut zu bringen, die jedoch die Fahrt nicht ohne Entlohnung auf sich nehmen wollten.

Niedergeschlagen ging er zum Rand des hölzernen Steges und setzte sich. Etwas Funkelndes verlangte nach seiner Aufmerksamkeit. Am Grund des Flusses lag etwas Kleines, Rundes, dessen Goldschimmer durch das trübe Wasser bis an die Oberfläche drang. Liegt dort etwa eine Goldmünze am Boden?

Er ließ sich ins Wasser fallen und tauchte nach dem Gegenstand und in der Tat umfassten seine Finger einen runden festen Gegenstand. Als er auf den Bootssteg geklettert war, blickte er auf das Objekt, das in seiner offenen Hand lag. Es war tatsächlich eine Goldmünze. Hatte die jemand hier verloren oder war Sethout dafür verantwortlich? Er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, er wollte nach Hause.

Einer der beiden Fischer nahm das Goldstück an sich und brachte ihn nach Asyut. Auf der Fahrt waren seine Gedanken fest bei seinem Freund, den er bereits schwer vermisste. Er war stets ein treuer Freund gewesen und hatte wie auch er nach einem besseren Leben gesucht, doch am Ende hatte er nur den Tod gefunden und er musste ihn in der Duat zurücklassen. In der Abendsonne erreichte er sein kleines Haus und legte sich erschöpft neben seiner Frau schlafen.

Ein stechender Schmerz an seiner Nase ließ ihn aus dem Schlaf aufschrecken. Ein Igel hatte sich in seine Hütte geschlichen und sich neben seinen Kopf gelegt. Einer seiner Stacheln musste ihn in die Nase gepikt haben.

Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und bemerkte, dass bereits ein schwaches Licht durch die Holzbalken seiner Hütte ins Innere fiel. Der Igel war es nicht, der ihn nervös werden ließ, dieser war ein Schutzsymbol vor dem Bösen, daher ließ er ihn liegen, wo er war, und erhob sich. Nein, das Ungewisse, was heute passieren würde, plagte ihn.

Er hörte zwei laute Männerstimmen, die sich seiner Hütte näherten. Neugierig trat er ins Freie, zwei Männer kamen auf ihn zu. Der Linke der beiden war Sotus, einer der Dorfältesten, der andere jedoch schien ein Gesandter des Pharaos Narmer zu sein. Methiris erkannte das Banner des Pharaos, das im Hintergrund am Schiffsmast im Wind wehte. Methiris zweifelte und glaubte dem Gesandten erst, als der ihm die Papyrusrolle zeigte, die mit dem Siegel des Pharaos verschlossen war.

Der Pharao hatte geschrieben, dass Methiris sein Sohn sei, der als Säugling bei einem Raubzug seines Erzfeindes entführt worden war. Somit sei er der rechtmäßige Thronfolger des Pharaos Narmer und Prinz von Oberägypten.

Der Gesandte bat ihn, ihm in den Palast nach Theben zu folgen. Der Pharao lag im Sterben, Methiris und seine Familie zogen daraufhin in das Haus des Königs.

Als der Pharao zwei Tage später verstarb, wurde Methiris neuer Pharao und nannte sich fortan Horus Menes, was sein Thronname sein sollte. Auch der Name seines Vaters Narmer wurde für ihn gebraucht und unter seiner Regentschaft blühte Oberägypten auf. Das Land stieg zu einer mächtigen Militärmacht auf, so unterwarf er fünf Jahre später Unterägypten und einte die beiden Königreiche.

Wie Seth ihm geraten hatte, vereinte er die beiden Pflanzen, die als Wahrzeichen der beiden Königreiche standen, die Lotosblüte Oberägyptens und die Papyruspflanze Unterägyptens zu einer Pflanze als Symbol seines neuen Reiches. Er verschmolz die weiße Krone seines Landes mit der roten Krone des eroberten und herrschte fortan mit der Doppelkrone der Pharaonen.

Er gründete am Nildelta die Stadt Inebu-hedj, die später als Memphis Bekanntheit erlangen sollte, die schnell zu einer wichtigen Handelsstadt aufstieg. Menes führte viele erfolgreiche Schlachten und Raubzüge durch, die Ägypten zu der dominierenden Kultur in Nordafrika und dem Nahen Osten werden ließ. Er war der Begründer der ersten Dynastie und brachte seinem Land Macht und Reichtum.

Bereits nach seiner Krönung hatte er dem Gott Seth einen Tempel errichten lassen. Mittlerweile war er sich sicher, dass der alte Mann niemand anderes als der Bruder des Osiris gewesen war, der ihm dieses Leben ermöglichte.

Doch erfuhr er erst ein Jahr, nachdem er den Thron bestiegen hatte, welchen Preis sein neues Leben mit sich führte: ein Leben in stetiger Angst vor dem Tod.

Mehrere hochrangige Priester aus verschiedenen Teilen des Landes hatten Visionen, die von einem schrecklichen Verrat handelten. Seth soll es gelungen sein, seinen Bruder Osiris durch eine List umzubringen und seinen Leichnam mithilfe von Magie zu zerstückeln. Anschließend hatte er die Teile auf der ganzen Welt verteilt. Doch sein Sohn Anubis suchte nach ihnen und wenn er es geschafft hatte, würde er im Namen seines Vaters Rache an demjenigen nehmen, der ihn bestohlen hatte.

Menes zeigte sich unbeeindruckt von den Visionen der Priester, denn niemand außer ihm selbst und Seth wussten von dem Diebstahl. Doch in seinem Innersten war die Saat von Todesangst gesät worden.

Einige Jahre vergingen, die für den Pharao ein halbes Leben waren, doch für einen Gott wie Anubis nur ein Wimpernschlag sein durften. Menes hatte sich in den Jahren verändert, denn die Angst vor der Rache des Anubis hielt ihn nachts wach, wodurch er aggressiver gegenüber seinen Feinden und seinem eigenen Volk wurde. Er ließ im ganzen Land Tempel zur Huldigung der Götter Anubis, Osiris, Isis und Seth errichten, um sie zu besänftigen.

Doch seine knapp zehn Jahre jüngere Frau starb bei der Geburt ihres zwölften Kindes durch einen Schlangenbiss. Er selbst war zu dieser Zeit in seiner neuen Hauptstadt und musste sich um einen sehr hartnäckigen Feind an der nordöstlichen Grenze des Reiches kümmern. Als er von den Umständen des Todes seiner Frau erfuhr und ihm an dem darauffolgenden Tag die Hiobsbotschaft überbracht wurde, dass seine drei ältesten Kinder, die seine einzigen Söhne waren, in einer Schlacht getötet worden waren, brach er zusammen.

Er verstand das Zeichen, Anubis musste es geschafft haben, den Leichnam Osiris’, dem Herrscher des Jenseits, zusammenzusetzen und zum Leben zu erwecken. Jetzt nahm er Rache an seiner Familie. An dem Abend, bevor er nach Theben aufbrach, wo seine verstorbene Frau und Söhne ihre letzte Ruhe finden sollten, lag er lange wach.

Er dachte an die Zeit zurück, als er noch stehlen musste, um seine Familie zu ernähren, an die Nacht, die sein Leben verändert hatte, an Seth, der ihm ein neues Leben geschenkt hatte. Sein Volk verehrte ihn wie einen Gott, man hatte ihm Statuen errichtet, man feierte Feste ihm zu Ehren.

Doch nun war alles zu Ende, man hatte ihm das Wertvollste genommen, seinen Thronfolger und seine Frau. Seine einzige Frau, eine andere hatte er nie begehrt, auch wenn er sich jede hätte aussuchen können, die er wollte. Ein weiteres Mal wie jede Nacht durchdrang ihn das Gefühl der Todesangst. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er in seinem Himmelbett lag, den Blick fest auf die prunkvoll verzierte goldene Decke seines Schlafgemachs gerichtet. Wann wird Anubis mich holen kommen oder würde Osiris selbst mein Leben nehmen? Würden sie sogar Apophis, den Gott des Chaos und der Finsternis, schicken, um meinen Ka ins Jenseits zu holen und ihn in die Urfinsternis zu verbannen, wo er bis ans Ende aller Zeit ausharren muss? Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter bei diesem Gedanken.

Ihm stockte der Atem, als er eine heiser flüsternde Stimme vernahm, die seinen Namen sagte, oder hatte er es sich bloß eingebildet? Mit einem Satz stand er neben seinem Bett. Der Marmorboden unter seinen schweißnassen Füßen fühlte sich kühl an. Sein Blick fiel auf die beiden vom Kerzenlicht erhellten Seidenvorhänge, die in der nächtlichen Brise, die von draußen hineinwehte, mitgingen. Er ging zwei Schritte auf die Vorhänge zu, hinter denen der große Balkon lang.

Er verharrte in der Bewegung, als er einen Schatten wahrnahm, der an den Feuerschalen auf dem Balkon vorbeihuschte. Einer meiner Wachsoldaten? Doch dann fiel ihm ein, dass er alleine sein wollte und nur die beiden Wachen vor seiner Tür abgestellt hatte.

»Hallo, wer ist da?«, fragte er vorsichtig.

»Methiris, ich weiß von deiner Tat«, zischte die unheimliche Stimme.

Warum kamen seine Wachen nicht, sie mussten die Stimme doch auch wahrnehmen, oder konnte nur er sie hören?

»Wer bist du?«

»Du weißt, wer ich bin«, erwiderte die Stimme, die nun von der anderen Seite des Raumes zu kommen schien.

Jetzt fiel ihm erst auf, dass die Stimme ihn bei seinem richtigen Namen genannt hatte.

»Bist du es, Anubis?«

»Nein!«

Er versuchte, die Stelle auszumachen, von wo das Flüstern kam, doch er erblickte nur die große steinerne Skulptur des Sonnengottes Re, die auf einem Sockel vor der Wand stand.

»Osiris?«

Ein heiseres Lachen schallte durch den Raum. »Ich bin der Tod.«

Jetzt wusste er, zu wem die Stimme gehörte. »Apophis!«, sagte er mehr zu sich selbst und stolperte zwei Schritte zurück.

»Ja«, erwiderte die Stimme mit freudiger Genugtuung.

»Wach–« Mehr brachte er nicht mehr heraus, als sich seine Kehle zuschnürte und er nach Luft schnappte. Er stürzte zu Boden und rang auf dem Rücken liegend um sein Leben. Er spürte einen Windhauch an seinen Füßen, als sich im nächsten Moment etwas Schweres auf ihn legte.

»Deine Zeit ist gekommen, doch nicht jetzt. Du wirst sterben, so qualvoll wie mein Meister, doch solltest du daran denken, dir vorher das Leben zu nehmen, werde ich auf der anderen Seite warten. Die Qualen werden schlimmer sein als der Tod selbst und nicht nur für dich, sondern für alle deine Nachkommen!«

Die Stimme hämmerte in seinem Kopf, er bekam keine Luft mehr, er presste die Augen krampfhaft zu, dann verlor er sich in der Dunkelheit.

Ein kühler Luftzug streifte über seinen Körper. War das der Hauch des Todes? Dumpfe Stimmen drangen an seine Ohren. Als er die Augen aufschlug, sah er seinen Berater Ini-Herit, seinen besten Freund Hondo, der zugleich Oberster General seiner Streitkräfte war, sowie drei Wachsoldaten und den Hofarzt. Sie standen um sein Bett herum und blickten ihn erwartungsvoll an. Über ihren Köpfen schwang der große Fächer in Form eines goldenen Falken mit ausgebreiteten Flügeln, den einer der Wachen über eine Schnur zum Schwingen brachte.

Was ist passiert, war es ein weiterer Albtraum? Er griff an seine Kehle, die sich trocken anfühlte. Der Hofarzt ließ ihn aus einer Schüssel etwas Wasser trinken. Das kühle Nass belebte seine Stimme und er bat um Aufklärung.

»Mein Pharao, mein treuer Freund Menes, einer der Wachen hat dich auf dem Boden neben deinem Bett liegend gefunden«, klärte ihn Hondo auf.

Menes ließ seinen Blick über die drei Gesichter der Wachen schweifen, die ihren Blick gesenkt hielten.

»Was, wieso?«, fragte er mit brüchiger Stimme.

»Das kannst nur du uns sagen. Kannst du dich an nichts erinnern?«, fragte Hondo.

»Der Pharao braucht Ruhe, sein Körper ist noch sehr schwach und der Ausschlag an seinem Hals muss weiterhin versorgt werden«, sagte der Arzt.

Hondo blickte ihn an und erhob sich von dem Bett seines Freundes, auf dem er gesessen hatte.

Menes griff nach Hondos Hand und zog ihn näher zu sich heran.

»Ja, mein Pharao?«, sagte Hondo mit leiser Stimme, der sich zu ihm gebeugt hatte und ihm sein Ohr entgegenstreckte.

»Sie sollen uns alleine lassen.«

Hondo richtete sich auf und schickte die anderen weg. Als die Männer verschwunden waren und es still in seinem Schlafgemach wurde, setzte sich Hondo erneut auf die Bettkante.

»Wie lange war ich ohnmächtig?«

»Fast zwölf Stunden. Kannst du dich denn an nichts erinnern?«

Menes spürte, wie seine Augen feucht wurden. Hondo war der einzige Mensch auf dieser Welt, bei dem er seinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte.

»Nein«, sagte er und schüttelte langsam den Kopf. Er konnte sich an alles erinnern, nur wusste er nicht, wie er es Hondo sagen sollte. Doch eines wusste er mit Bestimmtheit, seine Zeit war vorüber. »Ich werde nach Theben zurückkehren und mich dort erholen. Du wirst hier an meiner statt für Ordnung sorgen. Ini-Herit wird dir treu zur Seite stehen und dich beraten.« Er hielt einen Moment inne und zog Hondo näher an sich heran und griff mit beiden Händen nach dessen Hand. »Du warst so viele Jahre mein engster Verbündeter, meine rechte Hand und mein bester Soldat. Mein Ende naht und du wirst nach meinem Tod neuer Pharao von Ägypten.«

Hondos Augen wurden groß und er blickte ihn überrascht an. »Ich?«

»Ja, meine Söhne sind tot, zwar sind meine Töchter stark genug, das Reich zu regieren, doch habe ich mich vor langer Zeit mit dunklen Kräften eingelassen. Diese Sünden holen mich jetzt ein und so wird es meiner Blutlinie verwehrt bleiben, jemals wieder einen Pharao zu stellen. Du wirst ein guter Herrscher, du kennst das Land und die Menschen. Ich habe bereits alles Notwendige veranlasst, damit man dir das Amt nach meinem Tod überlässt. Doch hüte dich, es wird viele geben, die dich als Bedrohung sehen werden, da du nicht mein Sohn bist. Meine letzte Geschichte habe ich Homatep erzählt, es ist alles vorbereitet. Du musst dafür sorgen, wenn ich nicht mehr bin, dass er bei mir begraben wird, er hütet eine Waffe, die ich im Jenseits brauche, denn mein Herz ist nicht rein.«

Er machte eine Pause und wartete, Hondo nickte, dann fuhr er fort: »Doch hab keine Angst, ich verlasse dich noch nicht, wir werden uns wiedersehen.« Er zog ihn noch näher an sich heran und gab ihm einen Kuss auf die schweißnasse Stirn.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, solch eine große Ehre und Bürde zugleich. Wenn es dein Wunsch ist, werde ich dem mit bestem Gewissen nachkommen.«

Menes nickte zufrieden. »Das weiß ich. Sorge dafür, dass man mich in Abydos unter meinem Pharaonennamen begräbt. Jetzt geh und bereite alles für meine Abfahrt morgen bei Sonnenaufgang vor. Ich werde jetzt schlafen, meine Glieder sind schwach und mein Hals schmerzt.«

»Soll ich den Arzt noch einmal zu dir schicken?«

»Nein, ich brauche nur etwas Schlaf. Mach dir keine Sorgen, noch lebe ich, und du hast noch genügend Zeit, um dich auf deine Aufgabe vorzubereiten.«

Bereits als die Sonne den Horizont zur Hälfte überwunden hatte, legte die prunkvolle königliche Barke stromaufwärts ab. Nun hatte er dreizehn Tage Zeit, seine Gedanken zu ordnen und seine Zukunft zu planen. So lange würde es unter Segeln dauern, bis sein Schiff die Strecke von Memphis nach Theben zurückgelegt hatte.

Er hatte viel in seinem Leben erreicht und er wurde von vielen Menschen geliebt. Der Tod bereitete ihm keine Angst, nur das Wie ließ ihm einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. In seinem Traum, mittlerweile war er sich sicher, dass die Erlebnisse der Nacht eine Vision im Schlaf gewesen sein mussten, hatte ihm der Dämon Apophis gesagt, dass er so qualvoll sterben werde wie der Gott Osiris. In den ersten Tagen schlief er viel, doch die frische Flussluft stärkte seinen Geist und seinen Körper, sodass er sich tagsüber längere Zeit an Deck aufhielt und Regierungsgeschäfte erledigen konnte. Die Grenzen im nordöstlichen Gebiet waren für den Moment wieder sicher, da es den Truppen gelang, die Angreifer der Schasu-Beduinen, die versuchten von der Sinai-Halbinsel ins Nildelta vorzudringen, zurückzuschlagen.

Nach zehn Tagen erreichte das Schiff die Nilenge vor der Stadt Dendera im Süden. Dort vor der großen Nilbiegung verengten mehrere kleine und große Inseln das Fahrwasser. Dadurch wurde der rege Bootsverkehr gezwungen, hintereinander zu fahren, um Kollisionen zu vermeiden. Hier kreuzten Handelsboote, Fischerboote, Transportbarken, die mit tonnenschweren Steinblöcken beladen waren, den Weg der königlichen Barke. Nicht selten versuchten leichtere Boote die großen zu überholen.

So auch als der Kapitän von Menes’ Barke um die Küste einer mittelgroßen Insel steuerte, versuchte ein Fischerboot eines der Transportboote zu überholen. Das wendigere Boot der Fischer konnte sich unbeschadet aus der Affäre ziehen, doch für die beiden großen Schiffe war es zu spät. Mit voller Wucht prallte das Transportschiff in die Steuerbord-Flanke der königlichen Barke und riss ein riesiges Loch in den Rumpf.

Menes konnte sich gerade noch zur Brüstung des Sonnendecks auf der Backbordseite retten, von wo er ins Wasser des Nils sprang und zum Ufer der nahen Insel schwamm. Dort musste er mit ansehen, wie sein Schiff unter Getöse sank und sehr bald in den Fluten des Flusses verschwunden war.

Nach der anfänglichen Aufregung und dem Durcheinander retteten sich einige der Besatzungsmitglieder ebenfalls ans Ufer der Insel. Er atmete auf, als er sich erschöpft in den Sand am Ufer fallen ließ und das herannahende Handelsboot dabei beobachtete, wie es samt winkender Besatzung Kurs auf ihn nahm.

Ein ohrenbetäubendes Gebrüll, das von stampfenden Vibrationen begleitet wurde, ließ ihn herumwirbeln. Der Schock traf ihn tief und lähmte ihn, als er die beiden monströsen Flusspferde auf sich zurennen sah. Zwischen den beiden Tieren erblickte er in einigen Schritt Entfernung ein weiteres, kleineres Flusspferd.

Er wusste, dass seine Beine ihn nicht schnell genug von hier wegtragen würden. Sein letzter Gedanke, bevor sich die kräftigen Kiefer der Tiere in sein Fleisch gruben, war seiner Frau gewidmet, die er jeden Moment wiedersehen würde, so hoffte er. Dann ließ ihn der unsägliche Schmerz, der seinen Körper durchflutete, das Bewusstsein verlieren.

Geburtstag

(Bürgel, nahe Frankfurt, Mainufer, Restaurant Bootshaus Bürgel, 04.09.2015, 12:35 Uhr)

Die Sonne brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel herab. Die Luft war klar und roch nach dem Main, dessen Fluten zwei Meter vor seinen Füßen ans Ufer schwappte. Henry atmete tief ein, er zog förmlich den friedlichen Augenblick in sich auf. Zwei Möwen kreuzten seinen Blick und er folgte ihnen, bis seine Augen an einem großen Schiff hängen blieben, das offensichtlich Sand transportierte. Während er dem langsam dahinschippernden Frachter hinterherschaute, nippte er an seinem Glas Sekt.

»Hier bist du.« Isaacs Stimme holte ihn aus seinem Tagtraum. »Wir haben dich schon überall gesucht.«

Henry schenkte ihm einen Blick, als sein Assistent neben ihn trat. »Ich genieße die Ruhe vor dem Sturm.«

»Dann fürchte ich, dass die Ruhe jetzt vorbei ist. Rosa und Manfred sind da«, sagte Isaac und blickte zur Grünfläche vor dem rundlichen Gebäude, das früher einmal ein Bootshaus gewesen war.

Heute befand sich in den Räumen ein beliebtes Ausflugslokal, das auch für Events gebucht werden konnte. Auf dem Rasen vor dem Gebäude waren mehrere Tische mit weißen Decken darauf und Stühle aufgebaut. Am rechten Rand der Wiese wurden gerade die letzten Vorbereitungen der Bühnentechnik für die Band abgeschlossen, die Henry extra aus Berlin hatte anreisen lassen.

Er folgte Isaacs Fingerzeig und sah zwischen den emsigen Kellnern, die die Tische eindeckten, zwei Frauen und einen stattlichen Mann stehen. Die blonde, jüngere der beiden Frauen winkte ihm freudig zu. Henry erwiderte den Gruß und wandte sich an Isaac. »Ich komme gleich nach«, sagte er und widmete sich dem Panorama des Mains.

Er konnte bis zur Frankfurter Skyline mit ihren Hochhäusern blicken. Er hörte Isaacs sich entfernende Schritte ihm Kies, atmete tief durch und trank den Rest des Sekts im Glas in einem Schluck aus. Nach einem letzten Augenblick und Genuss des friedvollen Ausblicks folgte er Isaac, der die knapp fünfzig Meter zur Eventwiese bereits zurückgelegt hatte.

»Lass dich ansehen, Bruderherz«, sagte Rosa freudig und nahm ihn in den Arm.

Ihre Umarmung tat ihm gut, viel zu selten hatte er sie in Köln besucht. Er löste sich von ihr. »Hallo Manfred, schön, dass du kommen konntest«, sagte Henry und streckte ihm die Hand entgegen.

»Selbstverständlich, schließlich wird man nur einmal 40 und die bei der ESA werden hoffentlich auch mal einen Tag ohne mich auskommen.« Manfred lachte.

»40 Jahre, kannst du das glauben? So lange muss ich dich schon ertragen«, sagte Rosa und grinste.

»Na komm, ich kann mich daran erinnern, dass du immer froh warst, einen kleineren Bruder zu haben, wenn du Ärger in der Schule hattest.«

»Dass du so eine reizende Freundin hast, hast du mir mit Absicht verschwiegen?«, fragte sie und blickte ihn prüfend an.

Henrys Blick huschte zu Charline, die neben ihm stehend ihn wartend anblickte.

»Ich hätte es dir schon noch gesagt, es war nur so viel zu tun.«

»Wann heiratest du denn und reist nicht mehr die ganze Zeit um die Welt?«

»Hey, da sind Ezra und Frank«, rief Isaac freudig und ging den beiden entgegen, Charline folgte ihm mit schnellen Schritten und umarmte Ezra herzlich zur Begrüßung.

Henry blickte an seiner Schwester vorbei und atmete innerlich auf, als er Isaac und Charline folgte. Jetzt spürte er ganz deutlich die kleine Schatulle in der Innentasche seines Jacketts, wie sie sich gegen seinen Brustmuskel drückte. Wie er diese Frage immer gehasst hatte, auch wenn er sich selbst bereits alles genau überlegt hatte, nervte ihn, dass seine Mutter ihn stets dazu gedrängt hatte, sich eine Frau zu suchen, zu heiraten und ihr Enkel zu schenken. Seine Schwester war ihre engste Verbündete gewesen, da sie bereits vor dreißig Jahren ihren Manfred geheiratet hatte. Zusammen hatten sie einen Sohn namens Leonard.

»Na komm, lasst uns etwas zu trinken suchen, schließlich sind wir hier zum Feiern«, sagte Manfred und lächelte Henry an.

»Das ist eine gute Idee, wo ist eigentlich Leonard, ich habe ihn so lange schon nicht mehr gesehen?«

»Leonard arbeitet jetzt für die ESA als Astrophysiker«, antwortete Manfred.

»Ja, er ist jetzt auch Doktor«, fügte Rosa stolz hinzu.

»Hey, Henry«, drang eine laute rufende Stimme an sein Ohr, deren starker amerikanischer Akzent unverwechselbar war.

Er blickte zu dem hochgewachsenen kräftigen Mann im blauen Anzug, der ihm zuwinkte. Henry hob die Hand für einen Moment und wandte sich noch einmal an seine Schwester und ihren Mann.

»Ihr entschuldigt mich, da wird nach dem unverheirateten Henry verlangt.« Mit diesen Worten ließ er seine Schwester und ihren Mann stehen und ging zu den Neuankömmlingen hinüber. Eine Kellnerin fing ihn auf halbem Weg ab.

»Herr Voigt, Herr Jankuhn wartet auf dem Parkplatz auf Sie.«

Henry nickte. »Danke, ich komme gleich.«

Die Kellnerin nickte ebenfalls und verschwand. Leise Gitarrenklänge begleiteten Henry auf den letzten Metern zu seinen Freunden. Die Band musste eingetroffen sein und ihre Instrumente für den Auftritt einstimmen. Auch vereinzelte Schlagzeugklänge mischten sich unter den Sound der Gitarre.

»Mensch, Henry, da bist du ja«, grüßte ihn sein alter Freund Ezra und nahm ihn herzlich mit einer Umarmung in Empfang.

»Ezra, tut gut, dich zu sehen.«

»Ja, es ist schon viel zu lange her. Alles Gute zum Geburtstag«, sagte Ezra und löste sich von Henry.

»Auch von mir alles Gute zum Vierzigsten, mein Lieber«, sagte Frank und nahm ihn ebenfalls in den Arm.

»Danke, ihr beiden.«

»Ezra hat uns gerade erzählt, dass die Museumsleitung eine Ausstellung rund um König Salomon im Smithsonian in Washington plant«, erklärte Isaac.

»Ja, sogar samt Salomon als Prunkstück der Sammlung selbst«, fügte Charline hinzu.

»Wirklich, ist ja klasse, im Smithsonian?«, sagte Henry.

»Ja und Ezra soll dort die Leitung der Ausstellung übernehmen. Dann werden wir uns vielleicht öfter mal in den Staaten sehen«, sagte Frank und klopfte Henry auf die Schulter.

»Das ist ja fantastisch, was für eine Gelegenheit, ich hätte mir keinen Besseren für diese Aufgabe vorstellen können.« Henry lächelte.

Ezra hob die Hände. »Danke für die Lorbeeren, bis es so weit ist, werden noch fünf Jahre vergangen sein, bis ich durch die Ausstellungsräume gehen kann. In den kommenden zwei Jahren wird die Ausstellung in Jerusalem bleiben. Allerdings laufen die Vorbereitungen bereits.«

»Klingt nach viel Arbeit.« Henry musterte den alt wirkenden Mann. Tiefe Augenringe wölbten sich in seinem Gesicht, dessen Wangen eingefallen waren, und seine Gesichtsfarbe war nicht wie sonst südländisch gebräunt, eher wirkte er blass und kränklich. Ihm war auch nicht entgangen, dass er gut zehn Kilo abgenommen haben musste, unter dem Hemd war ein kleiner Bauchansatz übrig geblieben.

»Ja, sehr viel Arbeit, aber ich habe ein gutes Team, und mein Assistent Aaron, den wir jetzt auch Doktor Rosen nennen können, hat alles im Griff.«

»Glückwunsch an deinen Aaron«, sagte Henry und sah hinter Ezra bereits die Kellnerin, die auf ihn zusteuerte, dann blickte er erneut Ezra an. »Dafür hast du ein paar Überstunden mehr gemacht, damit die Arbeit weitergeht. Du solltest etwas kürzertreten. Siehst ganz schön müde aus, alter Freund, und schließlich bist du nicht mehr der Jüngste.«

»Es geht mir gut, ich habe in der Tat etwas wenig Schlaf in letzter Zeit gefunden«, erwiderte Ezra.

»Wir sollten heute nicht den ganzen Tag von Arbeit sprechen«, sagte Frank und schenkte der Runde ein breites Grinsen, »sondern feiern, schließlich wird unser Super-Archäologe heute 40 Jahre alt.«

»Bitte entschuldigen Sie, Herr Voigt«, sagte die Kellnerin, die sich neben ihn positionierte.

Henry blickte seine Freunde an. »Bitte entschuldigt mich einen Moment.« Dann folgte er der jungen Dame ein paar Schritte.

»Herr Jankuhn wartet noch immer«, sagte sie, als sie am Eingang zum Innenraum des Bootshauses angekommen waren.

»Danke«, sagte Henry und trat in den runden Raum, in dem einige dekorierte Tische und Stühle und ein kaltes Büfett aufgebaut waren.

»Henry, da bist du ja«, hörte er die Stimme seiner Schwester. Er erblickte sie zusammen mit ihrem Mann und seinem Großonkel mütterlicherseits an der Theke.

Neben seiner Schwester gab es aus der Familie seiner Mutter nur noch seinen Großonkel Josef. Von der Familie seines Vaters wusste er nur von Matthew, dem Bruder seines Vaters, der mit seiner Familie in den Staaten lebte. Zu ihm hatte er keinen Kontakt, zu groß war die Entfernung. Hier in Deutschland gab es eigentlich nur seine Schwester und Tante Iris, mit der er Kontakt hatte.

Großonkel Josef lebte in der Nähe von München, wo er einen kleinen Bauernhof hatte. Als Jugendlicher hatte Henry sich dort sein Taschengeld in den Ferien verdient. Heute war der Kontakt sehr spärlich geworden. Er besaß ein aufbrausendes Temperament, sobald er ein paar Bier getrunken hatte, doch schätzte Henry ihn als intelligenten Mann, der immer ein offenes Ohr für ihn hatte.

Seine Schwester kam auf ihn zu. Das weiße Kleid stand ihr ausgesprochen gut. Für eine Frau im Alter von vierundfünfzig war sie ziemlich gut in Form. Sie trieb viel Sport neben ihrer Arbeit im Supermarkt. Ihrem Mann Manfred hingegen würde Sport neben seiner Arbeit bei der ESA, wo er der Leiter der Missionsanalyse war, nicht schaden.

»Komm zu uns, Tante Iris ist auch gerade mit dem Rest vorgefahren.«

Mit Rest meinte seine Schwester Tante Iris’ Mann Heiner, ein ruhiger Zeitgenosse, der Anwalt war oder etwas in der Richtung, so genau wusste er das nicht mehr. Dann gab es da noch die drei Kinder der beiden. Sophie, ein neun Jahre altes Kind, das viel zu viel wusste für ihr Alter und dies jeden wissen lassen musste. Lukas, ein Siebenjähriger, der ein totaler Fußball-Fanatiker war und die Hälfte der Spieler der Bundesliga kannte. Henry konnte mit Fußball so viel anfangen, wie ein Fisch tanzen konnte. Dann gab es da noch Baby Luisa, sie war Henry die liebste der drei, für ein einjähriges Baby schlief sie ungewöhnlich viel und schrie nur ganz selten, eigentlich nur wenn sie Hunger hatte. Henry hatte zwar nichts gegen Kinder und eigentlich wünschte er sich selbst irgendwann mal welche, doch seine Arbeit ließ es einfach nicht zu und er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, zurzeit Vater zu werden.

»Vielleicht gleich, Nickolas wartet auf mich.«

»Nickolas, du meinst unseren Nickolas?«

Henry nickte.

»Wo ist er? Ich habe ihn ja so lange nicht mehr gesehen.«

»Er wartet draußen, er war einkaufen, die Kühltruhe ist defekt und das ganze Eis ist geschmolzen. Ich bin gleich wieder da, er wartet schon auf mich«, sagte Henry und eilte zur Eingangstür des Gebäudes. Auf dem Parkplatz hinter einem weißen Kleintransporter sah er Nickolas’ Kopf hervorlugen.

»Mann, wo warst du denn? Ich warte hier schon eine halbe Ewigkeit.«

»Du weißt doch, wie das ist«, sagte Henry und schlüpfte zu Nickolas in die Deckung hinter dem kleinen Transporter. »Hast du alles bekommen?«, fragte Henry. Er spürte die Nervosität, die in ihm aufstieg. Hoffentlich beobachtete sie niemand oder hatte sie verfolgt.

»Ja, ich habe alles, sieh selbst. Ich sag dir …«, Nickolas zog die seitliche Schiebetür des Transporters auf, »leicht war es nicht. Ich musste quer durch die ganze Stadt.« Nickolas ließ Henry einen Blick ins Innere der Ladefläche werfen.

»Sehr gut«, sagte Henry zufrieden und nickte.

Nickolas schloss die Tür leise und verriegelte das Auto.

»Also läuft alles wie besprochen?«

Henry nickte.

»Okay, dann lass uns reingehen, bevor uns hier jemand sieht.«

Henry hielt seinen Freund am Arm. »Warte einen Moment. Meine Schwester wartet an der Theke auf dich, ich habe ihr gesagt, die Kühltruhe sei defekt und du warst Eis kaufen.«

»Deine Schwester?«

»Keine Sorge, sei ein Gentleman, unterhalte dich mit ihr ein wenig und dann hast du es hinter dir.«

»Na gut. Nun geh schon.«

 

Henry blickte sich um, bevor er seine Deckung verließ. Als er niemanden sah, lief er zur Eingangstür, eilte in einem günstigen unbeobachteten Moment an der Theke vorbei und eilte zurück zu Charline und seinen Freunden.

Die meisten geladenen Gäste trudelten innerhalb der nächsten Stunde ein. Henry hatte alle eingeladen, alte Studienfreunde, neue Freunde, ein paar seiner ehemaligen Studenten und Studentinnen, die er schätzte, und selbst Doktor Strauß, den Vorsitzenden der Archäologischen Gesellschaft Frankfurt, die seine Expeditionen finanzierte. Henry hatte bereits mehrere Exponate für deren Museen gefunden.

Ebenfalls war der Kurator des Museums seiner Einladung gefolgt. Doktor Klaus Nordmann, ein hochgewachsener Mann Mitte sechzig und mit vollem grauen Haar, teilte dieselbe brennende Leidenschaft wie Henry für die alten Kulturen dieser Welt. Unzählige Stunden hatten sie zusammengesessen und sich über die Mysterien der alten Völker unterhalten und philosophiert. Es freute ihn sehr, als er ihn mit seiner Frau in der Menge erblickte.

Er bahnte sich einen Weg zu ihnen, durch die ausgelassenen Gäste die zu den Klängen der Rockband tanzte. Als er ihren Stehtisch am Rande der Tanzfläche, die aus einem quadratisch ausgelegten Parkett aus ausgelegten Platten bestand, erreichte, ließ der Kurator seine Gabel auf halbem Wege zum Mund auf den Teller fallen. Freudig nahm er Henry in den Arm.

»Da ist ja der werte Doktor. Ich dachte schon, du hast dich von deiner eigenen Party verdrückt«, sagte Nordmann und ließ Henry los.

Henry grinste. »So sind Partys, am Ende räumst du auf und hast keine Ahnung, wer alles da war«, sagte er und reichte Frau Nordmann die Hand. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen.«

»Das tut es, das Essen ist köstlich und die Band erinnert mich an meine Jugend in den Sechzigern«, sagte sie.

Herr Nordmann lachte und blickte an Henry vorbei. »Ich glaube, meine Knochen schaffen es nicht mehr, eine heiße Sohle wie früher aufs Parkett zu legen.«

»Na lasst euch nicht von mir abhalten«, sagte Henry.

Herr Nordmann winkte ab. »Vielleicht später, erzähl du mir doch erst einmal, was es an der archäologischen Front so Neues gibt. Ich habe schon lange kein neues Exponat von dir bekommen. Unser guter Herr Strauß wird schon ganz unruhig, da er von dir momentan keine Expeditionsplanung bekommen hat.«

»Du weißt doch ebenso gut wie ich, dass der Beruf als Archäologe nicht ist wie in alten Abenteuerromanen oder Filmen. Nicht jedes Jahrhundert wird ein Grab wie Tutanchamun entdeckt. Dieses Jahr will ich mich auf Charline und mich konzentrieren, du weißt, eine kleine Auszeit, etwas die Seele baumeln lassen.«

»Ich verstehe«, sagte Nordmann und zwinkerte ihm zu. »Familienplanung.«

»Klaus, du bist unmöglich«, sagte Frau Nordmann amüsiert.

»Schon gut, aber so weit würde ich noch nicht gehen«, erwiderte Henry grinsend.

»Aber ich muss dir recht geben. Die Entdeckung des Grabes des Kindpharaos war ein wahrhaft fantastischer Fund. Ich war selbst schon mit meiner lieben Dolores mehrmals da und kann mich einfach nicht sattsehen. Vielleicht solltest du wieder nach Ägypten gehen, wo, wenn nicht dort, solltest du einen spektakulären Fund machen? Ich weiß, wovon ich spreche. Ich weiß nicht, ob ich dir schon die Geschichte erzählt habe, als ich in meiner aktiven Zeit dabei sein durfte, als die Jahrtausende verschollene Hafenstadt Herakleion nahe Alexandria wiederentdeckt wurde. Einfach ein unbezahlbarer Moment.«

Henry wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, etwas derart Bedeutendes entdeckt zu haben, doch der feine Unterschied war, dass Henry nicht alle seine Funde publik machte. Doch als er damals das Grab von Alexander dem Großen entdeckt hatte, war sein Name in aller Munde gewesen, und dieser Fund galt als der Jahrhundertfund. Tatsächlich hatte Henry bereits weitaus mehr gesehen, doch blieben es seine Erinnerungen.

»Du hast mir die Geschichte schon Dutzende Male erzählt, aber ich höre sie gerne immer wieder.«

»Sie, Herr Voigt, sollten vorsichtig sein mit Ihrer Wortwahl, sonst lässt er Sie hier nicht mehr vom Tisch«, sagte Frau Nordmann und lächelte verschmitzt.

»Wenn er doch möchte«, sagte Herr Nordmann.

»Ich bitte mich zu entschuldigen …«, sagte Henry, als er Nickolas auf der anderen Seite der Tanzfläche im Eingang des Bootshauses erblickte, der ihn mit einer schnellen Handbewegung zu sich winkte. »Man verlangt nach dem Gastgeber.«

»Na dann sehen wir uns vielleicht später. In der Zwischenzeit werden wir mal unsere Beweglichkeit auf dem Parkett testen«, sagte Herr Nordmann.

»Habt viel Spaß«, sagte Henry und lächelte.

»Danke, den werden wir haben.« Frau Nordmann zwinkerte Henry verheißungsvoll zu, ehe sie ihren Mann in die Menge zog.

Henry blickte den beiden einen Moment nach, bis sie tanzend verschwunden waren. In dem Moment, als er sich seinen Weg zu Nickolas suchen wollte, verstummte die Musik und ein lautes elektrisches Pfeifen gellte durch die Luft. Seine Aufmerksamkeit galt schlagartig der Bühne, wo die Band Isaac und Charline die Show überlassen hatte. Isaac klopfte auf das Mikrofon.

»Hallo alle zusammen«, hallte seine Stimme durch die Boxen. »Wir haben uns heute hier alle eingefunden, um unseren lieben Professor Doktor Henry …«

»Wehe du sagst es«, rief Henry.

»Hieronymus Voigt«, fuhr Isaac unbeirrt vor.

»Er hat es gesagt«, rief Henry mit gekünstelt entsetzter Stimme, was ein lautes Lachen der Umstehenden nach sich zog.

»Ah, da ist er ja«, sagte Isaac und winkte ihm von der Bühne aus zu.

»So leicht kommst du uns nicht davon«, sagte Charline, die sich näher zum Mikrofon beugte. »Wir haben da etwas vorbereitet«, fügte sie hinzu und nahm Isaac das Mikrofon aus der Hand.

Henry stand am Rande der Tanzfläche inmitten eines Halbkreises. Seine Gäste hatten großzügig Platz gelassen und blickten ihn gespannt an. »Eine Überraschung für mich?«

»Selbstverständlich und da hinten sehe ich sie auch schon kommen«, sagte Charline.

Henry folgte ihrem Blick, seitlich von ihm standen Herr Nordmann mit seiner Frau, Frank, Ezra und Nickolas, die sich umgedreht hatten und sich zu einem Spalier positionierten. Zwei Kellnerinnen schoben einen kleinen Wagen mit einer Torte durch den entstandenen Gang und hielten vor Henry an. Beifall ertönte von den Gästen, als sie das Kunstwerk erblickten.

Eine gute sechzig Zentimeter hohe Torte in Form eines Bergs, der an einer Seite halbkreisförmig geöffnet war und den Blick auf eine Höhle freigab. Auf der verbliebenen Bergflanke stand mit Zuckerguss geschrieben: »Für Henry den Großen zum 40.«

Henry erkannte sofort, worum es sich handelte. Vor fast zehn Jahren hatte er selbst in dieser Höhle gestanden und den monumentalen Sarkophag aus Marmor, Gold und Silber betrachtet. Damals hatte er den richtigen Spürsinn gehabt und war der Spur gefolgt, die ihn von der ehemaligen Grabstätte in Alexandria, die über die Zeit verschwunden war, nach Griechenland geführt hatte. Lange Zeit galt das Grab als verloren, vernichtet in einer Naturkatastrophe oder einem der Eroberungskriege, doch war der einstige Herrscher des Großreiches, das sich von Griechenland über Ägypten bis nach Indien zog, nur verlegt worden. Zweifelsfrei war das einer der wegweisendsten Momente in Henrys Leben.

Er blickte auf den kleinen kunstvoll gefertigten Sarkophag, der in der Mitte der Kuchenhöhle auf einem Plateau aus Schokolade stand. Um ihn herum lagen nachempfundene Tongefäße, Truhen, eine kleine Waffe, die wie beim Original in die Hand eines Kriegers gehörte, der als Verzierung auf der Seitenwand des Sarges zu sehen war. Alles glich der Grabstätte in natura bis ins kleinste Detail, ein wahres Meisterwerk.

»Wenn ich deinen Gesichtsausdruck aus der Ferne richtig deute, hast du erkannt, was dieses Meisterwerk aus Mürbeteig, Schokolade und Zuckerguss darstellt«, drang Isaacs Stimme durch die Lautsprecher.

»Aber das ist noch nicht alles«, ergänzte Charline. »Zwar ist der Kuchen schon ein Highlight, aber wir haben da noch etwas ganz Besonderes.«

Henry blickte erwartungsvoll zur Bühne.

»Schau doch mal in den Sarkophag«, sagte Charline.

Henry blickte zur Torte. »In den Sarkophag? Wird das etwa ein buchstäblicher Leichenschmaus?«, rief er. Sein Lachen ging in dem seiner Gäste unter.

»Wer weiß, vielleicht wird das hier noch zur Rocky Horror Show«, rief Nickolas aus der Menge. Ein amüsiertes Raunen ging durch die Menge.

Henry umfasste den Deckel, der einem länglich verzierten Spitzdach glich. Er umfasste es mit dem Zeigefinger und Daumen. Mit einem Hauch von Kraft ließ sich die klebrige Abdeckung entfernen. Etwas Goldenes lag anstelle des Leichnams Alexanders darin. Er fischte es aus dem gut zehn Zentimeter langen Sarg. Henry spürte, wie der Kreis um ihn herum schrumpfte und ihn die neugierigen Blicke durchbohrten.

»Erkennst du es? Es hat uns viel Überredungskunst gekostet, dies möglich zu machen«, erklärte Charline.

In Henrys offener Hand lag ein goldenes Armband, in das eine goldene Münze eingelassen war. Er erkannte den Kopf des Feldherrn auf der Vorderseite. Er konnte seine Begeisterung nicht verbergen.

»Das ist einer der drei einzigen gefundenen goldenen Tetradrachmen aus der Grabkammer. Aber wie, warum, ich meine, wie hab ihr es geschafft, dass das Museum und die Makedonier euch diese hier überlassen haben?«, sagte er mit lauter, stammelnder Stimme. Es kribbelte in seinem Körper, so aufgeregt war er. Diese Münze war unbezahlbar, nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern aus archäologischer. Bis heute waren lediglich diese drei Münzen des makedonischen Geldes aus der Zeit von Alexander dem Großen gefunden worden, auf denen nicht der Kopf von Herakles mit einem Löwenfell abgebildet war, sondern der Alexanders. Auf der Rückseite war ein Kriegselefant zu sehen, ein Tribut der indischen Könige, die er auf seinen Feldzügen besiegt hatte. Zudem war man bis zu diesem Fund davon ausgegangen, dass diese Art von Münzen ausschließlich aus Silber gefertigt worden waren.

»Das mit den Makedoniern lassen Sie meine Sorge sein«, sagte Herr Strauß, der Leiter des Archäologischen Museums Frankfurt, und trat näher an ihn heran. »Dieses Andenken ist für den Mann, der die letzte Ruhestätte des großen Visionärs entdeckt hat, und da fiel es mir und meinen Kollegen der Frankfurter Archäologischen Gesellschaft nicht schwer, Ihnen dies als Geschenk zu überlassen. Ich kann nicht leugnen, dass einige Stunden intensiver Gespräche mit Ihren Freunden, Frau Krüger, Herrn Jankuhn, Herrn Williams und Herrn Meindl, die Entscheidung bekräftigt haben.«

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, das ist einfach wow«, sagte Henry und wandte sich zu Charline, die zu ihm gekommen war.

»Dann sag einfach nichts«, sagte sie und küsste ihn.

»Da wir alle satt sind und bereits der ein oder andere schon ein paar Drinks verköstigt hat, sollten wir uns wieder den rhythmischen Klängen der fantastischen Band Illusion widmen«, rief Frank laut, was tosenden Jubel nach sich zog.

Die Band stimmte ein rockiges Lied an, zu dem einige sich zu ausgelassenen Dancemoves hinreißen ließen. Die Älteren unter den Gästen verteilten sich an die Tische oder einige verabschiedeten sich schon, wie der Stellvertreter von Doktor Strauß, der bereits stolze 87 Jahre alt war. Henry verabschiedete die kleine Gruppe, die ihm folgte, und bedankte sich anschließend bei seinen Freunden und für das Geschenk, ehe er sich mit Charline unter die tanzende Menge mischte.

 

Gut eine halbe Stunde hatten sie sich ausgelassen den Klängen des Schlagzeuges und der elektrischen Gitarren hingegeben, bis Henry etwas zu trinken brauchte. Charline blieb mit Isaac noch auf der Tanzfläche, was ihm für seinen Plan nur in die Karten spielte. Er ging zur Bar und bestellte sich einen Whisky, den er mit einem Schluck exte. Nickolas gesellte sich zu ihm und nahm ihn auf die Seite in den Schatten der Bar.

»Alles ist vorbereitet, du kannst jederzeit loslegen«, sagte Nickolas.

»Okay, dann gib mir fünf Minuten Vorsprung. Sind die Kanonen geladen?«

»Ich sagte doch, alles ist vorbereitet, mach dir keine Sorgen. Sei einfach du selbst. Alles klar?« Nickolas legte ihm die Hand auf die Schulter und schenkte ihm ein warmes Lächeln.

»Ja, alles klar. Danke, Nickolas, für alles«, sagte er und umarmte ihn.

»Hey, dank mir noch nicht, noch ist es nicht vorbei«, erwiderte Nickolas und löste sich von ihm. »Na los, hau schon ab.«

»Fünf Minuten«, sagte Henry, ehe er sich von ihm entfernte.

»Geh schon«, hörte er Nickolas’ leiser werdende Stimme hinter sich, als er die Wiese zum Ufer des Mains hinunterging und den Bootsanleger anpeilte, der etwas versetzt von der Wiese gut zehn Meter in den Fluss reichte. Aus der Ferne konnte er die beiden Scheinwerfer erkennen, die Nickolas für ihn am Beginn des Anlegers installiert hatte.

Ein schmales Wolkenband zog sich durch den Himmel, das die langsam untergehende Sonne versteckte. Ein Pärchen kreuzte seinen Weg, das offensichtlich die laue Sommernacht mit einem Spaziergang an der Mainpromenade genoss, als er diese unweit des Bootsanlegers erreichte. Das Geräusch eines Schiffsdieselmotors in der Ferne begleitete ihn auf dem Weg zum Ende des Bootsanlegers. Im Hintergrund drang die gedämpfte Rockmusik der Party zu ihm.

Er blickte sich auf der hölzernen Plattform um, dessen Schwimmplateau im Wellengang des sich entfernenden Frachters mitschwang. Er stellte zufrieden fest, dass Nickolas ganze Arbeit geleistet hatte, alles war vorbereitet.

Nun spürte er seinen Herzschlag deutlich und das Kribbeln des Adrenalins, das durch seinen Körper jagte. Wenn diese Aktion vorbei sein würde, gab es kein Zurück mehr, dann würde sein Leben sich grundlegend verändern. Er überprüfte die Munition der beiden Kanonen, die Nickolas an dem Geländer befestigt hatte. Die beiden rechteckigen Boxen waren ausreichend bestückt.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es waren erst anderthalb Minuten vergangen. Nach seiner Erinnerung war die Zeit noch nie so langsam vorangeschritten. Ein Panikschub durchfuhr ihn, aufgeregt griff er sich an die Brust, doch als seine Finger den harten Gegenstand unter dem Stoff seines Jacketts ertasteten, beruhigte er sich ein wenig und drehte sich zur Wiese um.

Bäume und Sträucher verdeckten ihm die direkte Sicht auf das Fest, wild aufblitzende Lichter der Bühne zuckten durch das dunkle Unterholz des schmalen bewaldeten Streifens am Ufer. In diesem Moment musste Nickolas Charline in der Menge suchen und ihr mitteilen, was er zusammen mit Nickolas zuvor ausgeheckt hatte. Als er im Kopf seinen Plan im Detail durchging, blickte er abwesend den Fluss hinunter.

 

Charlines laut rufende Stimme in der Ferne riss ihn aus seinen Gedanken. Er wirbelte herum und sah, wie sie gefolgt von Nickolas, Frank und Isaac das Stück Wiese hinunterlief, das er von hier aus einsehen konnte. Mittlerweile war das Sonnenlicht so schwach geworden, dass er sich anstrengen musste, um die Konturen seiner herannahenden Freunde zu unterscheiden. Doch die Stimme, die nach ihm rief, gehörte eindeutig Charline.

Als sie am oberen Ende des Anlegers angekommen war, erkannte Henry, dass Panik in ihrem Gesichtsausdruck lag. Er schluckte und atmete tief durch. Atemlos erreichte sie einen Herzschlag später das Schwimmplateau und starrte ihn entsetzt an.

»Sag schon, was ist mit Ezra, wo ist er? Nickolas sagte, er wäre zusammengebrochen«, begann sie aufgeregt, dabei nach Luft schnappend.

»Beruhige dich, Ezra geht es gut«, begann er mit ruhiger Stimme. Jetzt, als er sie vor sich stehen sah, aufgeregt und voller Energie, durchströmte ihn ein Gefühl von Wärme. Er griff nach ihrer Hand, sie zitterte.

»Ich verstehe nicht, Nickolas meinte …«

»Nickolas hat dir erzählt, worum ich ihn gebeten habe. Sieh, dort oben steht Ezra neben Nickolas, Frank und Isaac«, unterbrach Henry sie und zeigte in Richtung des Ufers.

Charline folgte seinem Finger. »Was? Ich, ich versteh nicht …«, sagte sie verwirrt und schaute ihm in die Augen.

Er nahm auch ihre andere Hand und hielt sie fest. »Als ich dich vor gut vierzehn Jahren zum ersten Mal sah, hatte ich nur meine Notizen und Bücher im Kopf. Ich war solch ein Dummkopf, dass ich nicht erkannt habe, dass du das Beste warst und jemals für mich sein wirst, was mir passieren konnte. Damals war ich ein Narr, der mit Scheuklappen durch die Welt gegangen ist, ohne auch nur nach rechts und links zu schauen. Du warst es, die mir diese abnahm und meine Gedanken geordnet hat. Ohne deine Hilfe, dein Einfühlungsvermögen und deine Zielstrebigkeit hätte ich womöglich das Grab von Alexander dem Großen nie entdeckt.«

Er sah ihr in die Augen, die ihn abwartend anblickten. Sie wirkte ruhiger, doch schien sie noch immer nicht recht zu wissen, was hier passierte.

»Auch wenn wir beide für einige Zeit getrennten Pfaden gewandelt sind, weil ich einfach zu vernagelt war und nicht auf deine Bedürfnisse eingegangen bin, macht es mich umso glücklicher, dass sich unsere Wege vor vier Jahren erneut gekreuzt haben.«

»Das bin ich auch«, sagte sie vorsichtig. »Henry, was hast du vor?«

»Ich hoffe, du kannst mir meinen männlichen Stolz und meine Sturheit verzeihen?«

»Das habe ich bereits, du Esel. Sonst wären wir nicht seit fast vier Jahren wieder ein Paar.«

»Du hast recht«, sagte er und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

»Willst du mir nicht verraten, was wir hier machen?«

Henry ließ ihre Hände los und ging einen Schritt zurück, sogleich wurde der Anleger in ein gleißendes Licht gehüllt, das von den beiden Scheinwerfern in Charlines Rücken kam.

Sie erschrak und drehte sich um. »Was soll das?«, rief sie. Das Licht blendete auch Henry, doch er drehte sie zu sich, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Das Licht umhüllte ihren Körper wie eine Aura und verlieh ihr etwas Geheimnisvolles. Er wich einen Schritt zurück und räusperte sich, ehe er die rechte Hand unter seinem Jackett auf Brusthöhe verschwinden ließ.

»Die Zeit, die wir beide zusammen hatten, die Abenteuer, die wir erlebt haben, sind unvergesslich, doch das reicht mir nicht«, sagte er, als seine Finger die kleine würfelförmige Schatulle in seiner inneren Brusttasche umfassten. Entschlossen holte er sie heraus und ließ sich auf das rechte Knie nieder. Mit einem Mal schien Charline zu verstehen, was Henry vorhatte, und schlug die Hände vor der Brust zusammen. Er hörte, wie sie laut die Luft einzog und diese anzuhalten schien.

»Charline Krüger, du bist die Blüte meines Lebens …«

Das Klingeln seines Handys schnitt ihm das Wort ab. Er vernahm das laute Ausatmen von Charline. Hastig fischte er es aus seiner Jackentasche und wies den Anrufer ab, ohne auf das Display zu schauen, und ließ es wieder in die Tasche zurückgleiten. »Bitte verzeih, das war das beste Beispiel dafür, wie sehr ich dich brauche. Du ergänzt mich. Du hättest mich daran erinnert, das Handy auszumachen«, sagte er verlegen. Aus seiner knienden Position konnte er ihr Gesicht nur schemenhaft erkennen.

Er nahm die Schatulle in beide Hände und klappte den Deckel auf und präsentierte ihr den Inhalt. »Charline Krüger, willst du meine Frau werden und mit mir bis ans Ende der Welt reisen und mit mir die Geheimnisse der Erde erforschen?«

Seinen Worten folgte eine Pause. Stille, Schweigen, er blickte erwartungsvoll zu ihr auf und jetzt war er es, der die Luft anhielt. Das leise stetige Plätschern des Wassers, das gegen die metallischen Schwimmkörper unter ihm schwappte, untermalte den Moment. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass die Musik im Hintergrund verstummt war. In der Ferne drang die Melodie eines klingelnden Handys zu ihm herüber. Er hörte, wie sie Luft holte.

»Nein«, sagte sie.

»Nein?«, wiederholte er. Sein Magen zog sich wie von einer Kordel verschnürt zusammen.

»Nein, ich werde dir nicht bis ans Ende der Welt folgen«, sagte sie leise, aber bestimmt. »Ich werde dir folgen, egal wie weit, selbst wenn ich dafür zum Ende des Universums reisen müsste.«

Er musste schlucken, doch sein Magen entkrampfte sich. Als sein Geist die Worte verarbeitete, hatte sein Herz längst einen Satz gemacht. Er erhob sich und schaute in ihre feuchten Augen.

»Ich liebe dich«, sagte sie mit zittriger Stimme und küsste ihn.

Ein lauter Knall ließ sie unwillkürlich zusammenzucken und sie wich einen Schritt zurück, um sich in einem Meer von niederregnenden bläulichen Lotosblüten wiederzufinden. Laute Jubelrufe und Beifall waren zu hören. Der schwimmende Holzsteg bewegte sich unter näher kommenden Schritten, die auf den Holzplanken hörbar waren. Henry griff nach ihrer Hand und sie ließ ihn ihr den Ring anstecken, ehe sie sich küssten. Er spürte Hände auf seinem Rücken, um ihn herum waberte ein Stimmengewusel aus Glückwünschen und unverständlichen Dingen. Sie lösten sich voneinander, Nickolas nahm ihn direkt in den Arm.

»Ich bin so froh, dass alles geklappt hat, Glückwunsch«, sagte er. Er musste mit erhobener Stimme sprechen, so laut war es geworden.

Auch Ezra, Frank und Isaac gratulierten ihm. Seine Schwester nahm ihn in den Arm, er hatte zwar von ihr erwartet, dass sie ihm irgendetwas Vorwurfsvolles an den Kopf werfen wollte, weshalb er sie nicht früher darüber informiert hatte, doch nichts dergleichen geschah. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, ehe auch ihr Mann ihm gratulierte.

Nach einiger Zeit sammelte sich die Gesellschaft auf der Tanzfläche und da die Nacht noch jung war, stimmte die Band ein Lied an.

Ein energisches Klopfen riss Henry am nächsten Tag unsanft aus dem Schlaf. Sein Schädel drohte zu explodieren und das Klopfen wollte einfach nicht aufhören. Er drehte sich zu seiner Verlobten, die ihm aus kleinen Augen blinzelnd zusah, wie er sich aus dem Bett quälte.

»Mach, dass das aufhört«, raunte sie und zog sich die Decke über den Kopf.

»Ich bin schon auf dem Weg, schlaf weiter.

---ENDE DER LESEPROBE---