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Ein legendärer Pirat, ein gewaltiger Schatz und ein geheimnisvolles Phantom, begegnen Henry Voigt und seinen Freunden in seinem dritten Abenteuer. Was führt das Phantom im Schilde? Der angesehene Archäologe Henry Voigt und seine Freunde nehmen an der Einweihungsfeier eines neuen Museums in Uganda teil, in dem der Dolch des Mondes ausgestellt wird, als ihn ein mysteriöser Anruf erreicht: Er soll auf einer Auktion in London ein altes Buch ersteigern. Doch hinter diesem Auftrag scheint viel mehr zu stecken. Hinweise auf einen uralten Geheimbundtauchen auf und scheinen auf die Spur zu einem gewaltigen Schatz zu führen. Dann erfährt Henry, dass sein alter Freund Frank entführt wurde und nur im Tausch gegen das Buch freigelassen wird. Jetzt müssen Henry und seine Freunde alles daransetzen, hinter das Geheimnis des Buches zu kommen, um Frank zu retten.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Der Anhänger
Der geheimnisvolle Anruf
Der Auftrag
Schlechte Nachrichten
Carbonari
Die Spur
Das Fest
Erkenntnisse
Der Geist
Das Kloster
Bruder Ibrahim
Der Mann und die See
Steine und Legenden
Celine
Der Fluss der Seelen
Das Geheimnis des Bussards
Apocalypso
Epilog
Nachwort/Wissenswertes
Impressum
Weitere Werke des Autors
Hörbücher
Das Geheimnis des Bussards
Ein
Henry-Hieronymus-Voigt-
Abenteuer
Band 3
von
David Reimer
Abenteuer-Roman
»Nur wer weiß, wo er hinsegeln will, setzt die Segel richtig.«
(Jürg Meier geb. 1954, Schweizer Titularprofessor für Zoologie)
Irgendwo musste sie doch sein. Vielleicht unter dem Bett, er ließ sich auf den Holzboden fallen, doch außer Staub, einem Schuh, an dessen Spitze ein Loch zu sehen war, fand er nichts. Enttäuscht stand er auf und ging zur Tür seines Zimmers.
»Mama, hast du sie wieder weggetan?«, rief er mit lauter Stimme und blieb im Flur vor seinem Zimmer stehen. Niemand antwortete ihm, er stampfte auf den Boden und rannte los. Er spürte den Zorn, der in ihm aufstieg, als er den kurzen Flur entlanglief, an dessen Ende die kleine Küche lag. Dort fand er seine Mutter, die Gemüse in einen schweren Eisenkessel warf, der auf einem Ofen stand.
»Mama, jetzt sag schon, wo hast du sie versteckt? Markus kommt doch gleich und wir wollen doch sehen, wie der Dieb hängt«, sagte er und trommelte ungeduldig mit den Fingern gegen den Türrahmen. Jeden Moment musste Markus, sein bester Freund, an die Tür klopfen und ihn abholen.
»Monsieur Étienne Bertin, in meinem Haus wird nicht geschrien. Ich weiß nicht, wo du deine Spielzeugpistole wieder hingeworfen hast. Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal, mein junger Herr, wenn du nicht lernst, deine Sachen bei dir zu halten, wirst du bald nackt auf der Straße leben, und jetzt geh, dein Vater kommt bald. Er wird sehr hungrig sein, am Hafen ist heute viel los, alles wegen dieses Halunken, den sie heute aufknüpfen.«
Die letzten Worte seiner Mutter nahm er nicht mehr wirklich wahr, niedergeschlagen ging er durch das Esszimmer und blieb vor dem schweren hölzernen Tisch stehen. Er legte die Arme auf die Tischplatte und vergrub sein Gesicht in ihnen. Irgendwo musste doch seine Pistole sein. Spielzeugpistole, wenn meine Mama wüsste, dass wir damit schon auf Kokosnüsse geschossen haben, hätte sie die schon lange versteckt, oder hat sie mich gesehen?
Er schreckte hoch, als es an der Haustür klopfte. »Das ist Markus, bis später«, rief er und rannte zur Tür. Er blickte in das braune Gesicht seines Freundes.
»Komm, wir müssen uns beeilen, sie sind schon bald an der Brücke«, sagte er und drehte sich um.
Étienne folgte ihm, mit einem Satz beide Stufen der Veranda auf einmal nehmend, seine Zehen gruben sich in den warmen Sand des kleinen Weges, der durch den Vorgarten zur Straße führte. Die Mittagssonne brannte heiß vom strahlend blauen Himmel auf sie herab. Eine Menge Menschen drängten die Straße ihnen entgegen zum Marktplatz, wo bald die Hinrichtung stattfinden würde. Ihr Ziel war der Stadtrand, dort gab es eine kleine Brücke, die über einen Bach führte. An dieser wollten sie die Eskorte abfangen und einen Blick auf den Verbrecher werfen. In ihrer kleinen Stadt auf der Insel gab es solch ein Ereignis nicht sehr oft und dann war es auch noch die des meistgesuchten Verbrechers im gesamten Umkreis.
»Hast du schon gehört, er soll sogar schon mit einem riesigen Tintenfisch gekämpft haben und ist einmal um die Welt gesegelt«, erzählte Markus, als sie die Straße entlangliefen. Die Brücke war ein gutes Stück von Étiennes Haus entfernt. Einige Menschen, die sie auf der Straße sahen, unterhielten sich aufgeregt oder saßen in kleinen Gruppen auf ihren Veranden zusammen.
»Ach, das ist doch gar nichts, mein Papa hat mir gestern erzählt, dass er zwei Männer, die von einer der Inseln im Norden hergekommen sind, am Hafen belauscht hat. Sie meinten, er habe mit seinen Freunden den größten Schatz versteckt, den je ein Mensch gesehen hat.«
»Wirklich? Haben sie auch gesagt, wo er ist?«, fragte Markus und richtete seine Pistole geradeaus.
»Sei kein Dummkopf, meinst du, dann wären sie hergekommen?«, fragte Étienne. »Meine Pistole habe ich leider nicht mehr gefunden«, schob er trübselig nach.
»Hier, nimm meine, wenn wir den Schatz gefunden haben, werde ich mir gleich drei neue Büchsen kaufen. Die hier ist eh schon alt und klemmt.« Markus gab Étienne die Pistole. Das matte Metall schimmerte leicht silbrig im Sonnenlicht.
»Ich würde mir ein Schiff kaufen, mit dem ich um die ganze Welt fahren kann, und ganz viele Abenteuer erleben.«
»Dafür müssen wir erst einmal den Schatz finden, komm, da vorne ist die Brücke, ich schlage vor, wir verstecken uns dort hinter dem Busch am Ende der Brücke. Dann haben wir die ganze Umgebung gut in Sicht«, schlug Markus vor und zeigte auf ein paar Sträucher nicht weit vor ihnen rechts neben der Mündung des Weges, bevor die Überführung anfing.
»Ist gut«, erwiderte Étienne. »Wusstest du, dass er gleich vier Schiffe gekapert haben soll und sogar einem Geheimbund angehören soll?«
Markus schlüpfte hinter den Strauch und Étienne folgte ihm. »Woher hast du den Klamauk denn?«, fragte Markus ihn flüsternd.
Étienne behielt die Straße weiterhin im Auge, als er seinem Freund antwortete. »Das haben zwei Soldaten erzählt, die am Hafen von einem Handelsschiff kamen.«
»Du meinst nicht, dass das nur Seemannsgarn war?«, fragte Markus etwas lauter.
»Psst, nicht so laut, dahinten kommen sie, wir werden sehen, ob es Seemannsgarn ist«, antwortete Étienne aufgeregt. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, er hatte noch nie einen echten Seeräuber gesehen, geschweige denn den berüchtigten, der seit Monaten die Meere rund um die Inseln in Angst und Schrecken versetzt hatte. Mehrere Männer näherten sich in der Ferne der Brücke. Der Mann in der Mitte trug Fesseln aus Eisen an Händen und Füßen. Zehn Soldaten der französischen Armee begleiteten ihn und blickten sich nervös um, offenbar befürchteten sie, überfallen zu werden.
»So nervös, meine Herren, ich kann euren Angstschweiß schon riechen?«, fragte der gefesselte Mann. Seine Stimme klang tief und rau, doch hatte sie etwas Warmes an sich.
»Das muss er sein«, flüsterte Markus.
»Ja, sei leise«, zischte Étienne zurück.
»Du sollst das Maul halten und gehen. Genieße die letzten Minuten deines Lebens«, raunte der Soldat hinter dem Häftling.
Die Männer näherten sich der Brücke, die über den Ravine à Malheur führte.
Der Dieb lachte auf. »Mit dem Schatz, den ich auf dem Eiland versteckt habe, könnte ich mir diese Insel hier kaufen und ihr wärt meine Untertanen«, sagte er, als sie die Brücke überquerten. Der Gefangene trug um den Hals eine Kette, deren Anhänger ein Kreuz war. Das silbrig matte Metall wirkte nicht wertvoll auf Étienne, doch er wollte sie haben.
»Du sollst deine dreckige Klappe halten und gehen, dein Geschwätz will niemand hören. Gleich hängst du und dann wird dir auch dein Schatz nicht mehr helfen, du räudiger Blackspotten.«
Markus drehte sich zu ihm und schaute ihn mit großen Augen an.
»Hast du gehört, sein Schatz ist hier irgendwo auf der Insel versteckt«, flüsterte er, als die Gruppe außer Hörweite war.
»Das hat er nicht gesagt, egal, komm, wir müssen uns beeilen, wenn wir noch vor ihnen am Marktplatz sein wollen«, erwiderte er und verließ seine Deckung.
»Du meinst nicht, dass er hier ist?«, rief sein Freund ihm nach.
»Das habe ich nicht gesagt, er kann überall sein auf einer der Inseln, los komm jetzt«, rief er Markus über die Schulter zu.
Auf dem Marktplatz herrscht ein dichtes Gedränge, viel zu klein war der Platz vor dem Rathaus der Stadt Saint-Paul. Étienne und Markus drängten sich durch die grölende Menge, die den Soldaten, die ihren Gefangenen zum Schafott am Ende des Marktplatzes vor dem Eingangsportal des Rathauses führten, zujubelte. Étienne sah den Gouverneur und seine Frau auf dem Balkon oberhalb des Einganges unter einem Sonnenschirm sitzen. Ein dunkelhäutiger Sklave fächerte ihnen kühle Luft zu.
»Da siehst du, wir sind noch rechtzeitig«, beteuerte Markus, der neben Étienne zum Stehen kam, inmitten der Menge. Er versuchte, auf Zehenspitzen etwas zu erkennen. Étienne konnte nichts von der Plattform sehen außer dem oberen Ende des Galgens, das in den blauen wolkenlosen Himmel stach.
»Ach, ich kann nichts sehen«, fluchte er und blickte sich um. Fieberhaft suchte er im dichten Gedränge irgendetwas, worauf er sich stellen konnte, und fand die Umrisse eines hölzernen Rads.
»Da«, rief er und lief los.
»Warte, wo willst du hin?«, rief ihm Markus nach.
Étienne antwortete ihm nicht, er drängte sich zwischen den Menschen hindurch, das Rad in den kurzen Augenblicken der freien Sicht immer im Auge behaltend. Das Rad gehörte zu einem Karren eines Bauern, der damit Obst und Gemüse transportiert hatte. Étienne kletterte auf die Ladefläche und stellte sich auf eine leere Holzkiste.
»Das ist perfekt«, hörte er Markus hinter sich, der ihm gefolgt war.
»Ja, da vorne, siehst du, sie sind fast an der Plattform.« Étienne zeigte auf die Schneise in der Menge, durch die die Soldaten der französische Armee ihren Gefangenen führten.
Neben dem Henker, der eine kräftige Statur aufwies und eine schwarzen Stoffmaske trug, stand ein dürrer vornehm gekleideter Mann mit schulterlangen silbergrauen Locken. In der Hand hielt er ein zusammengerolltes Blatt. Einige der anwesenden Frauen riefen dem Mann etwas Anrüchiges zu. Andere brüllten ihm ihren Hass über seine begangenen Taten zu. Er wurde die Treppe zur Plattform hinauf und zu dem von einem Balken herabhängenden Strick geführt. Die Soldaten zogen sich zurück und positionierten sich um das Schafott herum. Der Henker nahm den Strick und legte dem Mann das dicke Seil um den Hals.
Der Dürre, der das Geschehen bis dahin wortlos verfolgte, drehte sich zu der Menge und hob die Hand. Das Geschrei und die aufgebrachten Stimmen des Pöbels kamen nach und nach zum Erliegen. Eine Spannung lag in der Luft, die sich wie eine Sehne eines Bogens immer mehr spannte.
Étienne behielt den Mann mit dem Strick um den Hals fest im Blick. Seine langen gewellten schwarzen Haare steckten zum Teil mit seinem Hals in der Schlaufe des Stricks. Sein Körper wurde nur von einer halb zerrissenen braunen Leinenhose, einem schmutzigen weißen Leinenhemd und einer dünnen abgewetzten Lederweste bedeckt. Étienne war vielleicht zehn Meter von der Plattform entfernt und konnte das faltige Gesicht des Mannes gut sehen. Ein Bart war dem Piraten in seiner dreitägigen Gefangenschaft gewachsen, in der ihm der Prozess gemacht worden war. Seine Augen schweiften durch die Menge.
Als die schaulustige Meute vollends verstummt war, erhob der dürre Mann am linken Ende der Plattform das Wort.
»Nun, dann wollen wir beginnen«, eröffnete er mit lauter vornehm klingender Stimme. »Wir haben uns heute am 7. Juli 1730 hier eingefunden, um das Urteil Tod durch Strang zu vollstrecken.« Er drehte sich zu dem Mann in der Mitte des Schafotts und hielt sich das Blatt Pergament vor das Gesicht und las ab. »Oliver Le Vasseur alias La Buse wurde wegen Piraterie in mehreren Fällen, Ermordung von Dutzenden Soldaten der französischen Krone, Diebstahl von imensen Schätzen sowie Eigentum der Kirche von Goa und Seiner Majestät Johann V., Entführung des Vizekönigs von Portugiesisch-Indien und Graf von Ericeira Luís Carlos Inácio Xavier de Meneses …«
»Ihnen gebührt mein Respekt, das hat er aussprechen können, ohne sich die Zunge zu verdrehen«, spottete La Buse lauthals und lachte.
Der Dürre würdigte die Unterbrechung mit keiner Silbe und fuhr mit seinem Vortrag fort. »… und des Erzbischofs von Goa Dom Sebastião de Andrade Pessanha und Erpressung der Krone auf Lösegeld. Schmuggel von Waren, Landraub und Kaperung Dutzender Schiffe. Diese Vergehen werden mit dem Tod durch Erstickung bestraft, da der Verurteilte es ablehnte, die ihm vom König von Frankreich angebotene Amnestie anzunehmen, der Piraterie abzuschwören und sich hier auf Bourbon niederzulassen. Er lehnt jegliche Aussage ab und verschweigt weiterhin, wo er die gestohlenen Reichtümer versteckt hält. Hat der Verurteilte noch etwas zu sagen, dann möge er es jetzt tun oder für immer schweigen«, schloss der Mann, senkte den Arm samt dem Blatt und trat einen Schritt zur Seite.
»Hast du das gehört, er hat selbst dem König nicht verraten, wo er den Schatz versteckt hat«, flüsterte Markus.
»Psst, er will was sagen«, erwiderte Étienne.
Der Mund des verurteilten Mannes formte sich zu einem Grinsen. »Nun, ihr hochwohlgeborenen Menschen, Freunde und Gleichgesinnte. Es ist so einfach, den reichen Tyrannen auf der anderen Seite der Welt ihren wertvollsten Besitz zu nehmen, ohne dass sie merken, was das wirklich Wertvolle in ihrem Besitz ist. Nicht Gold und Edelsteine machen den Wert eines Königreiches aus, sondern ihr alle macht den Wert und die Macht einer Nation aus. Die Menschen, die es zu dem machen, was es ist«, rief er mit kratziger Stimme.
Er griff mit der rechten Hand nach dem unscheinbaren Kreuz und zog daran, bis sich die Kette um seinen Hals löste. Er schraubte den Anhänger auf und zog einen kleinen Zettel aus dem Inneren, bevor er ihn wieder zusammenschraubte. »Ihr wollt den Schatz? Den könnt ihr haben! Sucht ihn doch, irgendwo habe ich den größten Schatz der Welt versteckt.« Er warf den kleinen zusammengerollten Zettel mit den Worten »Mein Schatz demjenigen, der dies versteht« in die Menge und lachte.
Eine Traube aus Menschen drängte sich zusammen, um den Zettel zu fangen. Étienne konnte in dem Chaos nicht erkennen, wer ihn gefangen hatte. Das Lachen des Piraten hallte durch das aufgebrachte Geschrei der Menge.
Étienne blickte zu dem lachenden Mann auf der Plattform. Ihre Blicke trafen sich und Étienne war sich sicher, dass ihm der Pirat zuzwinkerte, ehe er ihm den Anhänger entgegenwarf. Mit einem gekonnten Sprung fing Étienne das Kreuz und landete etwas wackelig auf der Kiste.
»Super, du hast ihn gefangen«, freute sich Markus.
Ein lauter Schrei nach Ruhe übertönte die Kakofonie aus Stimmen auf dem Platz. Die Menge beruhigte sich und der dürre Mann trat an den Rand der Plattform. »Genug mit dem Geschrei, es wird Zeit, das Urteil zu vollstrecken«, verkündete er und wies den Henker mit einer Handbewegung an.
Der kräftige Mann trat an einen Hebel, der aus dem Boden der erhöhten Plattform ragte, und griff nach ihm. Der todgeweihte Pirat schloss die Augen und wartete auf sein Ende. Étienne war sich sicher, als der Henker den Hebel zog und sich die Luke unterhalb der Füße des Piraten öffnete, ein zufriedenes Lächeln im Gesicht des Verurteilten gesehen zu haben.
Als sich das Seil spannte, war es totenstill auf dem sonst so lebhaften Marktplatz. Leises Schnaufen und Ächzen des mit dem Tod kämpfenden Mannes am Strick drang an Étiennes Ohren. Es war nicht seine erste Hinrichtung, doch irgendwie fühlte er mit dem Mann, er verspürte Wut darüber, dass er sterben musste, auch wenn er ihn nicht kannte.
Es dauerte eine Weile, bis das Zucken der Beine abnahm und er regungslos am Seil baumelte. Bereits einen Augenblick nach dem Tod des Mannes kehrte die Munterkeit der Menge zurück und überall um Étienne herum diskutierten die Menschen oder machten sich bereits auf den Weg nach Hause.
»Komm, lass uns gehen, hier gibt es nichts mehr zu sehen«, hörte er eine Frau zu ihrem Mann sagen, die neben dem Wagen standen.
»Étienne, hey, Étienne, hier drüben«, hörte er eine vertraute Stimme ihn rufen. Am Ende des Marktplatzes sah er einen winkenden Mann stehen. Étienne wirkte ihm und sprang von der Kiste.
»Ich muss gehen, mein Vater wartet auf mich«, sagte er und kletterte von der Ladefläche.
»Ich komm dich gleich morgen früh abholen, dann suchen wir den Schatz, ja?«, fragte Markus, der gerade neben ihm auf dem staubigen Boden landete.
»Ja, ist gut, bis dann«, verabschiedete Étienne sich von seinem Freund und drängte sich durch die Menschen.
(Hima-Katunguru Road, nahe der Stadt Kasese, Ostrand des Ruwenzori-Gebirges, Uganda, Ostafrika, Gegenwart)
Dicke Regentropfen prasselten auf die Windschutzscheibe des Geländewagens. Die Scheibenwischer gaben ihr Bestes, um die Wassermassen von der Scheibe zu wischen, um Henry die Sicht auf die Fahrbahn zu gewähren. Es war zwecklos, so schnell wie das Wasser von der Windschutzscheibe gefegt wurde, klatschte es erneut auf die Scheibe. Dicke schwarze Wolken hingen über ihnen und bissen sich an der nahen Gebirgskette des Ruwenzori-Gebirges fest. Das Licht der Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos blendete Henry für einen Moment, bis er sie passiert hatte. Er fuhr langsam, Zeit hatte er genug, nach der langen Reise wollte er jetzt nicht im Graben landen.
»Was für ein Sauwetter, da hätte ich auch in Hamburg bleiben können«, murmelte Charline missmutig.
Henry warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Sie blickte aus dem Beifahrerfenster, an dem die grüne Landschaft vorbeischlich.
»Ja, so habe ich mir das nicht vorgestellt«, stimmte Isaac ihr zu. Henry warf einen Blick in den Rückspiegel und suchte seinen Assistenten, der hinter ihm auf der Rückbank saß.
»Jetzt habt euch nicht so, wir haben es den beiden versprochen und Charline, du wolltest unbedingt diesen Artikel über die Eröffnung und den Dolch schreiben. Das ist doch nur ein bisschen Regen«, beschwichtigte Henry mit aufmunternder Stimme.
»Bisschen Regen ist gut, das sieht aus, als ob man unter der Dusche steht«, erwiderte Charline.
»Das sind die Folgen des Klimawandels, in den letzten Jahren hat sich das Klima hier so weit geändert, dass es im Norden des Landes Flecken gibt, wo jahrelang kein Tropfen Regen fällt. In diesem Teil des Landes gab es sonst immer ein typisch feucht-tropisches Klima, jetzt gerät das Land immer mehr in die Monsunabhängigkeit, und in der stecken wir gerade.«
»Du weißt wirklich zu allem etwas, oder?«, sagte Charline.
Er spürte ihren Blick, der ihn grinsen ließ. »Das ist mein Job, vieles zu wissen über Länder. Wir sind gleich da.«
»Wurde auch Zeit, meine Blase explodiert gleich«, sagte Isaac.
»Ich habe dir gesagt, dass es nicht klug ist, einen Liter Cola auf der Fahrt zu trinken. Du wolltest nicht hören«, sagte Charline.
»Ja, Mama, du hast ja recht«, erwiderte Isaac mit gekünstelter genervter Stimme.
Sie drehte sich zu ihm um und lachte laut auf. »Wenn ich deine Mutter wäre, hättest du Manieren, mein Lieber. Dann wären uns deine beiden Röpser auf der Fahrt erspart geblieben.«
Henry musste lachen, auch Isaac lachte. »Ja, vielleicht.«
Henry parkte auf dem Parkplatz des neu gebauten Museums. Vor dem flachen gläsernen Gebäude parkten Dutzende Autos und Menschen mit Regenschirmen rannten in Richtung des Eingangsportals, vor dem zwei große weiße Pavillons aufgebaut waren.
»So, da wären wir, scheinen schon einige da zu sein«, sagte Henry, als er den Motor ausstellte.
»Ich hatte angemerkt, dass wir zu spät losgefahren sind«, sagte Charline vorwurfsvoll. »In zwanzig Minuten soll es auch losgehen, ich hoffe, wir bekommen noch einen guten Platz.«
»Ich hoffe, wir müssen nicht im Regen stehen«, maulte Isaac.
»Mann, ihr seid ja heute gut drauf, als wäre ich im Familienurlaub.« Henry schnallte sich ab.
»Gibt es hier in diesem Wagen auch einen Regenschirm?«, fragte Isaac.
»Ja, ich hole einen aus dem Kofferraum, ich möchte ja nicht, dass dein Kleid nass wird.« Henry stieg aus. Auf dem kurzen Stück bis zum Heck des Wagens hatte es der Regen geschafft, sein Oberteil halb zu durchnässen. Er griff sich den Regenschirm von der Ladefläche und spannte ihn auf, lief zur Beifahrertür und half Charline beim Aussteigen, ohne dass sie nass wurde.
»Sehe ich das richtig, dass ich durch den Regen laufen darf?«, hörte Henry Isaac sagen, als er die Beifahrertür schloss. Charline drückte sich an ihn, um so viel von ihr wie möglich unter den schützenden Schirm zu drängen.
Isaac stieg aus und warf die Tür zu. Er rannte an ihnen vorbei in Richtung des Pavillons, der gut zwanzig Meter vor ihnen errichtet worden war. Holzstühle waren in fünf Reihen vor einem Rednerpult aufgebaut, die meisten von ihnen waren bereits belegt. Henry gab den Regenschirm einem Mann am Empfang, der ihre Namen mit denen auf der Gästeliste abglich. Nachdem er ihre auf der Liste fand, durften sie nach einer Leibesvisitation passieren. Charline blieb hinter dem Eingang stehen und drehte sich zu Henry um, sie griff nach seiner Krawatte und richtete sie.
»Wir wollen ja, dass du hier ein gutes Bild machst. Steht dir echt gut, so ein Anzug, vielleicht solltest du ihn mal öfter tragen«, sagte sie, während sie an dem Kragen des Jacketts zupfte.
»So, wann denn zum Beispiel, abends wenn wir alleine sind?«, fragte er und grinste verschmitzt.
»Vielleicht.« Sie legte den Kopf schief und lächelte, als sie ihm über die Schultern strich. »Da sind Omwasu und Simbou«, sagte Charline und zeigte auf zwei farbige Männer in Rangeruniform des Ruwenzori-Nationalparks.
Sie standen mit zwei weiteren Männern neben dem Pult und unterhielten sich mit den beiden Anzugträgern. Der Mann, der zwischen den beiden Rangern stand, steckte in einem schneeweißen Anzug und trug dazu einen kleinen weißen Hut mit einem dünnen roten Rand. Der Hut glich eher einer Schiffchen-Mütze. Unter der Brusttasche konnte er mehrere aufgestickte Abzeichen erkennen.
»Ob sie uns noch kennen?«, sagte Isaac und rubbelte sich die Haare, was allerdings nicht viel half.
»Das werden sie, in der Tat hat der Bau des Museums sich etwas hingezogen, doch werden uns die beiden so schnell nicht wieder vergessen haben.« Henry ging auf die beiden Ranger zu. »Schließlich haben sie uns zur Eröffnung eingeladen«, fügte er hinzu, als er sich durch das dichte Gedränge schob. Jetzt erkannte er den Mann, der in der Mitte der beiden Rangers stand. Als Omwasu ihn in der Menge sah, formte sich sein Mund zu einem breiten Grinsen und er winkte ihm zu.
»Verzeihung, darf ich mal?«, fragte er den schlanken Mann, der sich ihm gerade mit dem Rücken in den Weg geschoben hatte, höflich auf Englisch.
Er steckte in einem auffallenden blau-karierten Anzug. Er machte einen Schritt zur Seite und neigte seinen Kopf etwas. »Oh bitte verzeihen Sie, Doktor Voigt«, entschuldigte der Mann sich in feinstem britischen Englisch und lächelte ihm zu.
Henry blickte ihn einen Herzschlag lang verdutzt an und überlegte, ob er den Mann kannte. Es war nicht untypisch für ihn, dass ihn wildfremde Menschen kannten, zu häufig waren sein Gesicht und Name in verschiedenen Zeitungsartikeln aufgetaucht. Doch wirkte alles an diesem Mann merkwürdig steif, entweder war dieser Gentleman steinreich oder arbeitete für einen reichen Arbeitgeber. Ein Symbol, das in die goldene Krawattennadel eingraviert worden war, fiel Henry ins Auge. Ein goldener Kreis, in dem ein hängendes Tier, vielleicht ein Schaf, abgebildet war.
»Hey, Henry, da seid ihr ja endlich, ich dachte, ihr kommt gar nicht mehr«, grüßte ihn die vertraute Stimme Omwasus und Henry spürte, wie ihn jemand zu sich zog. Er fand sich im nächsten Augenblick in einer herzlichen Umarmung mit dem Ranger wieder.
»Hallo, Omwasu, freut mich sehr, dich zu sehen«, grüßte er ihn zurück.
»Hallo, Charline, hallo, Isaac«, sagte der Ranger, löste sich von Henry und ging an ihm vorbei. Simbou entschuldigte sich aus dem Gespräch mit seinem Präsidenten und kam auf Henry zu.
»Hallo, Henry, schön, euch zu sehen«, grüßte er ihn und schüttelte ihm die Hand.
»Geht mir auch so«, sagte er etwas lauter durch das Stimmengewusel und das laute Prasseln der Regentropfen, die auf das Dach des Zeltes trafen. »Ist ja ganz schön was los hier, selbst der Präsident ist da.«
»Selbstverständlich, ich glaube, dir ist nicht ganz bewusst, welche Bedeutung euer Fund und die Errichtung dieses Museums für unser Land hat. Der Präsident erhofft sich für die Zukunft, dass durch die zahlreichen Touristen, die ins Land kommen, um sich dies hier anzusehen, den so lang herbeigesehnten wirtschaftlichen Aufschwung. Den Menschen in meinem Land könntet ihr somit das größte Geschenk gemacht haben, das unser Volk jemals von einem Fremden erhalten hat. Oh, es gibt auch eine Überraschung für euch vier«, sagte er, während er mit Henry zur Zeltwand links vom Rednerpult ging. Dort war eine Stuhlreihe aufgebaut, die etwas verwaist wirkte.
Henry zog eine Augenbraue hoch. »Überraschung?«
»Komm, setz dich, gleich geht es los. Wo ist den Nickolas?«, fragte Simbou und setzte sich auf einen der Stühle.
»Ich muss dich enttäuschen, Nickolas ist nicht hier, er ist verhindert und lässt beste Grüße an euch ausrichten«, sagte er und setzte sich neben ihn. Charline und Isaac kamen mit Omwasu in der Mitte auf sie zu. Ein klopfendes elektrisches Geräusch gefolgt von einem unangenehmen Pfeifen ertönte. Henrys Blick fiel auf das Pult, an dem jetzt ein Mann in einem schwarzen Anzug stand und in die Menge blickte.
»Bitte setzen Sie sich, meine verehrten Damen und Herren«, forderte er das Publikum auf Englisch auf. Nach einem hektischen Durcheinander und Stühlerücken kam die Menge zur Ruhe.
»Ich möchte Sie recht herzlich zur Eröffnung des neuen Kulturmuseums Ugandas begrüßen. Ich bin Ransoru Kilimoku und werde der Kurator des Museums werden. Ich möchte das Wort an unseren ehrenwerten Präsidenten Gouidou übergeben«, verkündete Kilimoku und trat begleitet von Beifall vom Rednerpult in den Hintergrund.
Der kräftige, leicht übergewichtige Mann im weißen Anzug trat an das Pult und genoss sichtlich den Applaus und die vielen Blitzlichter der Reporter. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf und ließ langsam seinen Blick durch sein Publikum schweifen. Nach einigen Augenblicken hob er die Hände und der Applaus ebbte ab.
»Liebe ausländische Freunde, Presse und Kulturliebhaber. Uganda ist stolz darauf, einen weiteren Beitrag für die Welt zu leisten. Dieses Gebäude repräsentiert die Geschichte unseres Volkes und unserer Urahnen. Mit Stolz kann ich heute sagen, dass ich der Präsident eines solch alten und geschichtsträchtigen Volkes wie das Ugandas sein darf. Mit der Hilfe unseres international bekannten Archäologenfreundes Doktor Henry Voigt und seinem Team ist es gelungen, mit der Unterstützung zweier tapferer Ranger des Ruwenzori-Nationalparks die Geschichte unserer Urahnen wiederzufinden.«
Präsident Gouidou machte eine Pause und zeigte auf Henry und die anderen. Beifall ertönte, erst zögerlich, dann entschlossen erhoben sich Henry, Charline, Isaac und die beiden einheimischen Wildhüter von ihren Stühlen und verbeugten sich. Ein kurzes Blitzlichtgewitter brach los und ein einzelner lauter »Wuhuu«-Ruf hallte durch das Zelt, ehe sich das Publikum nach gut einer halben Minute wieder beruhigte und sich setzte.
»Das Volk Ugandas und ich verdanken dieser Dame und den Herren viel. Erst durch sie haben wir unsere Wurzeln wiedergefunden und dieses Museum wird die Geschichte in Ehren halten. Ich möchte Sie nicht weiter auf die Folter spannen«, sagte er und trat auf die Zeltwand neben Henry zu.
Zwei Männer öffneten den Reißverschluss in der Mitte der Wand und zogen die beiden Hälften zur Seite, sodass sich ein freier Blick auf die breite Eingangstreppe zum gläsernen Eingangsportal bot. Das Publikum erhob sich von seinen Stühlen und drängte hinter den Sicherheitsleuten des Präsidenten her, um möglichst den besten Blick zu erhaschen.
Auch Henry und die anderen erhoben sich und fanden sich auf der Außenseite des Zeltes rechts neben dem Durchgang ein. Ein Fernsehteam eines einheimischen Senders positionierte sich auf der anderen Seite der Menge. Die Sicherheitsmänner verteilten sich rechts und links neben ihrem Präsidenten, sodass sie das Publikum bestens im Auge behalten konnten. Präsident Gouidou stand vor einem roten breiten Band, das quer über den Treppenaufgang gespannt worden war. Ein roter Teppich war bis hinauf zum Eingang des Gebäudes ausgerollt worden.
»Nun ist es so weit, meine Damen und Herren, Kraft meines verliehenen Amtes und voller Stolz erkläre ich das Museum für ugandische Kultur für eröffnet«, proklamierte er mit lauter Stimme und nahm eine große Schere, die ihm eine Dame im Rock und weißer Bluse feierlich auf einem roten Kissen brachte. Er zerschnitt das Band, was lauten Applaus nach sich zog. Er legte die Schere zurück aufs Kissen und schüttelte dem Kurator Herrn Kilimoku die Hand, dabei blickten sie in die zahllosen Kameras der Journalisten, die sich unter dem Publikum verteilt hatten.
»Ein Haufen Presse ist anwesend. Ich habe sogar einen Reporter von der BBC gesehen, auch Tom vom ZDF ist hier. Zum Glück hatte ich die Exklusivrechte an der Story«, sagte Charline zu Henry gewandt.
»Was heißt hier eigentlich Henry und sein Team? Haben wir nicht genauso viel dazu beigetragen wie du?«, fragte Isaac ihn etwas eingeschnappt.
»Du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass die Menschen in erster Linie das bekannteste Gesicht sehen und mir die Lorbeeren überreichen«, versuchte Henry ihn zu beruhigen, »dafür ernte ich aber auch als Erster Kritik. Du solltest das nicht zu sehr an dich heranlassen, denn solange dein Name noch unbekannt in den Medien ist, kannst du ungestört Erkundigungen einholen.«
Er wusste, wie sich Isaac fühlte, damals war es bei ihm und seinem Mentor nicht anders gewesen. Er selbst genoss den Ruhm nicht, der ihm zuteilwurde. Der ständige Medienrummel um ihn und seine Entdeckungen waren ziemlich erdrückend geworden und erhöhten stetig den Druck auf ihn, nicht zu versagen. Denn so schnell, wie er die Karriereleiter hinaufgestiegen war, konnte er sie auch wieder hinabstürzen.
»Kommt, es geht ins Foyer«, hörte er Omwasu ihnen zurufen. Er stand auf der ersten Stufe und schaute zu ihnen. Die Gesellschaft an geladenen Gästen folgte dem Präsidenten und dem Kurator bereits zum Eingangsportal die Treppe hinauf. Henry warf einen flüchtigen Blick auf das Trübsal blasende Gesicht seines Assistenten.
»Hey, Isaac, deine Zeit wird kommen, vertrau mir, bis dahin gibt es noch viel zu lernen.« Ermunternd klopfte er ihm auf die Schulter, ehe er Charline die Treppe hinauf folgte.
Das Foyer war ein großer rechteckiger Raum mit einer gewölbten Glasdecke, durch die man die dunklen Regenwolken sehen konnte. Gegenüber dem Eingangsbereich war eine elegant geschwungene hölzerne Theke vor einer hohen rohen Betonwand, die nicht bis zur Decke reichte, aufgebaut. Dort waren die Kassen untergebracht, rechts ging es zu den Toiletten und links war eine weitere hölzerne Theke aufgebaut, hinter der Henry mehre Metallkonstrukte erblicken konnte. Dort musste sich die Garderobe befinden.
Der Präsident steuerte auf ein größeres Modell des Museums und der näheren Umgebung zu, das inmitten des Foyers auf einem großen Holzsockel aufgebaut worden war. Er ging um das Modell, sodass er die ihm folgende Menschentraube gut sehen konnte. Ein stolzes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
»Hier können Sie das Gebäude und den extra angelegten tropischen Garten rund um das modernste Museum Ugandas bestaunen. Es ist nicht nur das modernste Ugandas, sondern eines der innovativsten der Welt. Wahrlich ein architektonisches Meisterwerk, wir haben für den Bau keine Kosten und Mühen gescheut. Mit Stolz kann ich sagen, dass es von einem der bedeutendsten Architektenbüros der Welt entworfen wurde, die auch unter anderem das Burj Khalifa in Dubai oder das One World Trade Center in New York City entworfen haben.« Der Präsident ließ seine Hand über dem Modell kreisen, als wollte er ihnen seinen besten Sportwagen zum Verkauf anpreisen.
»Spinne ich oder sieht das aus wie ein liegender Wassertropfen?«, hörte Henry Isaac neben sich leise fragen.
»Fantastisch«, staunte Charline.
»Nein, du spinnst nicht, Isaac«, erwiderte Henry schmunzelnd.
»Bitte folgen Sie mir, meine Damen und Herren, als Nächstes würde ich unseren Ehrengästen, die diese Ausstellung erst möglich gemacht haben, eine Überraschung zeigen«, sagte der Präsident und lächelte in Henrys Richtung.
»Aha, jetzt wird es endlich spannend«, sagte Isaac, »und ich dachte schon, wir müssen ihm noch ’ne Stunde zuhören. Langsam habe ich das Gefühl, der hört sich gerne reden.« Die Halle wurde von den munteren Unterhaltungen der Gäste durchflutet, die neugierig langsam um das Modell gingen und anschließend dem Präsidenten folgten, der bereits das Drehkreuz des Einlasses rechts neben der Kassentheke anvisierte.
»Das haben nun mal Präsidenten und Staatsoberhäupter so an sich, ich bin mir sicher, dass der Kurator auch gerne das ein oder andere erzählen würde, nur zu höflich ist und den Mund hält«, sagte Henry und ging um das Modell herum.
»Hast du eine Ahnung, was es mit der Überraschung auf sich hat?«, fragte Charline.
»Nein, sonst wäre es keine Überraschung«, sagte er und grinste.
»Ah, da ist wieder der Herr Professor.« Sie grinste und reihte sich in der Menschenschlange ein. Isaac lachte und folgte ihr.
Die Gesellschaft wurde durch einen langen Gang geführt, an dessen pastellblau gestrichenen Wänden Dschungelmotive hingen. Nach ein paar Metern bog die Gruppe in einen kleinen Raum links des Korridors ab.
»Bitte verteilen Sie sich in dem Ausstellungsraum, damit jeder etwas sehen kann. Doktor Voigt, Sie würde ich einmal zu mir in die Mitte bitten.« Der Kurator baute sich neben dem Präsidenten in der Mitte vor einem runden Tisch mit einem Glasdeckel auf. Die Gruppe verteilte sich um ihn herum. Keine der gräulich gestrichenen Wände reichte bis zur gläsernen Decke.
»Na los, Henry, hol dir unsere Lorbeeren«, hörte er Isaacs flüsternde Stimme hinter ihm.
»Isaac, jetzt hör auf zu schmollen, wir sind hier zum Feiern«, hört er noch Charlines leise Worte durch das leiser werdende Geschwätz der Menge. Henry schenkte dem Kurator ein Lächeln und ging zu ihm.
Er konnte Isaac seinen Unmut nicht verdenken, als er in seinem Alter war, wollte er genauso wie er sich einen Namen unter den Archäologen machen. Doch auch er hatte erst lernen müssen, dass Erfolg und die damit positive öffentliche Wahrnehmung nur mit harter guter Arbeit und Geduld zustande kamen.
Henry warf einen Blick auf die ausgestellten Exponate, die hinter den beiden auf dem runden Tisch ausgestellt wurden. Er konnte zwei kleine Steinfiguren erkennen, Glasscherben und eine steinerne Tafel, die in der Mitte des Tisches lag. Für mehr hatte er keine Zeit, ehe er von dem Präsidenten an der Schulter gepackt wurde und er ihm seine Aufmerksamkeit schenkte.
»Was war am Anfang? Woher kamen wir? Wie sahen wir aus? Wie haben wir gelebt? All diese Fragen haben unser Volk schon seit jeher beschäf…«
»Stolz möchte ich unseren Gästen nun die angekündigte Überraschung überreichen«, begann der Präsident und unterbrach den Kurator, als hätte er nichts gesagt. Ein verhaltenes belustigtes Raunen ging durch die Menge, auch Henry musste schmunzeln, als er das zu Eis erstarrte Gesicht des Kurators aus dem Augenwinkel sah.
Der Präsident drehte sich zu Henry. »Herr Doktor Voigt, ohne Ihren Spürsinn und Ihren Eifer hätte unser Volk nie die Wurzeln seiner Existenz gefunden. Dafür danke ich Ihnen im Namen des gesamten Volkes von Uganda. Dieser Raum hier«, sagte er und machte eine weit ausladende Bewegung mit seinem Arm, »ist Ihnen und Ihrem Team gewidmet und beschreibt Ihre Reise bis zum Ziel.«
Henry blickte sich um und erkannte erst jetzt an der Wand, dass auf den Bildern auch er, Isaac und Charline zu sehen waren. Ein Bild zeigte Nickolas, der neben einem Gorilla und den beiden Rangern stand. Aber auch Fotos von den anderen Stationen ihrer Reise und mehrere Infotexttafeln waren in dem Raum zu finden.
»Ja, Herr Voigt, Doktor Ezra Dreyfus, Ihr alter Freund, war so nett, uns auch ein paar Bilder von Ihren Zwischenstationen zu überlassen, und hat uns geholfen, einige der Texte zu verfassen. Nicht zu vergessen, dass Frau Krügers Artikel uns viel Informationsstoff gegeben hat. Gefällt es Ihnen?«, fragte der Präsident und schaute Henry einen Moment wartend an.
Henry konnte in den wenigen Augenblicken nicht wirklich alles erfassen, was in den Schaukästen um ihn herum zwischen den ihn anschauenden wartenden Menschen ausgestellt war.
»Es gefällt mir sehr gut, das kann ich nicht leugnen, und alle Mitwirkenden haben einen Platz erhalten, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Er drehte sich zu dem Präsidenten und streckte ihm die Hand entgegen. »Danke, das hier ist mehr, als ich erwartet habe. Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen, das Ziel meiner Suche war bereits für mich Geschenk genug.«
»Bescheiden ist er auch noch.« Der Präsident lachte und ergriff Henrys Hand. »Deswegen haben Sie diesen Raum verdient.« Er ließ die Hand los und wandte sich wieder dem Publikum zu, das applaudierte. »Jetzt wollen wir aber zum Hauptteil unserer Einweihung kommen, der Übergabe des Prunkstückes des Museums, dazu möchte ich Sie bitten, mir in den Saal des Mondes zu folgen.« Er deutete auf den schmalen Ausgang hin.
Das Geräusch der auf die Glasdecke prasselnden Regentropfen war in den vergangenen Minuten etwas schwächer geworden, in denen die Gruppe dem ugandischen Präsidenten und dem Kurator Kilimoku durch das Museum folgte. Sie gelangten in einen größeren Raum, dessen Boden mit rotem Teppich ausgelegt war. Vor der rund zulaufenden Glaswand war ein großes Büfett aufgebaut worden. Rechts und links neben dem mittigen Zugang zu dem Raum waren vor den Wänden Vitrinen mit Exponaten aufgebaut.
Henry schaute sich um und vermutet, dass sie am Ende des Gebäudes angelangt waren, in dem oberen dünneren Ende des Wassertropfens, den das Gebäude symbolisierte. Große Lampen hingen von der Decke und erhellten den Raum, ohne sie wäre es wohl durch die Regenwolken sehr düster geworden. Zwei Spots waren auf einen viereckigen brusthohen Schaukasten in der Mitte des Raumes gerichtet, der leer zu sein schien. Der Präsident ging zu einem schmalen hohen Pult, das an der rechten Wand aufgebaut war. Ein aufgeschlagenes schwer wirkendes Buch lag darauf.
»Bitte verteilen Sie sich ein wenig, Platz ist hier genug«, bat der Präsident und ließ seinen Blick durch die Menge schweifen.
»Nun würde ich unsere beiden Ranger und unser Entdeckerteam noch einmal nach vorne bitten«, sagte er und setzte ein breites Lächeln auf. Henry folgte Charline und den anderen nach vorne, wo sie in Empfang genommen wurden.
»Sie alle werden in die Geschichtsbücher von Uganda eingehen und daher gebührt mir die Ehre, Ihnen alle die Medaille für besondere Verdienste für das Land Uganda zu überreichen«, verkündete er und klatschte. Fotoblitzlicht zuckte und zwei Damen traten mit kleinen Schatullen aus dem Hintergrund nach vorne.
Als eine der beiden Damen vor Henry stehen blieb, öffnete sie den Deckel und Henry erblickte einen kleinen in Gold gefassten Anhänger, der das Wappen von Uganda zeigte mit dem Schriftzug For God and my Country. Darunter hing ein kleines goldenes Abbild eines Kronenkranichs, dem Nationaltier des Landes. Die Dame nahm den Anhänger aus der Schatulle und pinnte Henry diesen mit einer Anstecknadel an sein Sakko.
»Danke.« Henry konnte nicht leugnen, dass sich dieser Moment der Wertschätzung gut anfühlte, alle Augen waren auf sie gerichtet und der tosende Applaus galt ihnen. Er war zwar noch nie jemand, der gerne im Rampenlicht stand, doch Anerkennung für seine geleistete Arbeit zu erhalten, schadete nie. Als der Applaus langsam abebbte, ergriff der Kurator das Wort.
»Sehr geehrte Damen und Herren, in diesem Buch können Sie sich später als Ehrenbürger des Landes Uganda verewigen.« Er zeigte auf das aufgeschlagene Buch hinter sich, das auf dem schmalen Pult lag. Jetzt erkannte Henry erst, dass die beiden aufgeschlagenen Seiten leer waren. »Zunächst würde ich gerne mit der Übergabe des Prunkstückes der Ausstellung fortfahren«, fügte er hinzu und bahnte sich einen Weg durch das Publikum zu dem leeren Schaukasten in der Mitte.
»Wenn Sie erlauben, Herr Präsident«, wandte Kilimoku sich höflich an den obersten Regierungsbeauftragten, der nickte ihm zu und positionierte sich neben dem Schaukasten.
Er bedankte sich und machte eine schnelle Handbewegung, die einen Museumsangestellten dazu veranlasste, in den Kreis zu treten. Auf den Händen balancierte er vor der Brust ein samtenes rotes Kissen, auf dem ein prunkvoll verzierter Dolch lag. Henry kannte ihn, denn er selbst hatte ihn gefunden, doch hatte er vergessen, wie schön er war. Der goldene Griff und die darin eingelassenen Rubine funkelten in dem Licht der Deckenlampen. Er konnte die Hieroglyphen, die in den Schaft eingeritzt worden waren, deutlich erkennen.
»Bitte, Doktor Voigt, würden Sie uns die Ehre erweisen, ihn auf seinen letzten Platz zu betten«, sagte der Kurator und blickte dabei in seine Richtung. Etwas überrumpelt trat er auf den Kurator zu.
»Selbstverständlich, damit habe ich jetzt nicht gerechnet.« Er blieb vor dem Kissen stehen. Kilimoku entriegelte die Abdeckung aus Sicherheitsglas und ließ diese mithilfe von zwei weiteren Mitarbeitern entfernen.
»Bitte«, sagte Kilimoku und zeigte einladend auf den Dolch. Henry griff nach ihm, doch bevor seine Finger ihn berührten, hielt er einen Moment inne. Vereinzelte Bilder kamen ihm in den Kopf. Er erinnerte sich an seine Reise, an die Gefahren, an das, was er erlebt hatte. Entschlossen nahm er den Dolch vorsichtig von dem Kissen, das Metall fühlte sich kalt und glatt an. Er hielt ihn für einen Moment in der Hand und ließ seinen Blick auf ihm ruhen.
»Wahrhaft ein Meisterwerk«, hörte er den Kurator sagen.
»Ja, das ist es«, bestätigte Henry und legte ihn vorsichtig auf der für ihn vorgesehenen Halterung ab. Die beiden Mitarbeiter stülpten die Abdeckung über ihn und Kilimoku verschloss den Glaskasten.
Das Publikum applaudierte und die Fotografen machten ihre Aufnahmen, auch die Reporterin des einheimischen Fernsehsenders nahm eine kurze Sequenz auf.
»Nun, meine Damen und Herren …«, fuhr der Präsident mit lauter Stimme fort und schob sich vor den Schaukasten, »… ist es an der Zeit, zu dem entspannten Abschnitt überzugehen. Wir haben für Sie ein Büfett aufgebaut und eine Liveband wird für Ihre Unterhaltung sorgen. Bitte genießen Sie Ihren Aufenthalt hier. Ich muss mich jetzt leider von Ihnen verabschieden, Sie wissen ja, ich muss auch noch ein Land regieren«, sagte er lachend. »Bitte greifen Sie zu, das Büfett ist eröffnet und vergessen Sie nicht, ein paar nette Worte über Ihren schönen Tag hier zu schreiben.« Lächelnd winkte er in die Runde, ehe er von seinem Sicherheitspersonal zum Ausgang eskortiert wurde.
»Na endlich gibt es etwas zu beißen«, freute sich Isaac und folgte einer Frau zum Büfett. Die Band stellte sich vor und stimmte Reggea-Melodien an, die sie mit etwas schnelleren tanzbaren Beats untermalten. Die Menge verteilte sich im Raum, einige von ihnen hatten sich bereits am Büfett bedient und aßen sich unterhaltend, andere ließen es sich nicht nehmen, ihren Körper zu der Musik zu bewegen. Der Kurator wurde von der Reporterin interviewt und einige Journalisten nahmen das Gesprochene mit Aufnahmegeräten auf. Charline stand neben Henry und wandte sich ihm zu.
»Hey, was machst du denn für ein langes Gesicht?«
Er ließ seinen Blick von dem Dolch ab, der in seinem neuen Zuhause gute zwei Meter von ihm entfernt in Szene gesetzt wurde, und blickte ihr in die Augen. Charlines Blick war durchdringend, doch lag eine gewisse Wärme in ihm. Er nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen über ihre zarte Haut des Handrückens.
»Weißt du, irgendwie ist das alles hier nicht so befriedigend, wie ich dachte. Die Suche nach der Geschichte gibt mir etwas, was ich nicht in Worte fassen kann. Ich dachte, nichts könnte mich je mehr erfüllen als meine Leidenschaft, Altes wiederzufinden, Legenden zu erforschen und Kostbarkeiten aufzuspüren, doch dann kamst du.
Durch dich habe ich gelernt, dass es auch noch etwas anderes gibt im Leben als die Suche nach verlorenen Städten, Gegenständen oder Relikten. Ich bin froh, dass ich damals den Schritt gewagt habe, dir erneut zu vertrauen, und ich bin für jeden Tag dankbar, den ich mit dir verbringen kann.« Er machte eine Pause und beobachtete ihr schlankes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, ihre strahlenden blauen Augen, in denen er sich so viele Male verloren hatte. Eine blonde Strähne war ihr ins Gesicht gefallen, als sie den Kopf etwas schräg legte. Er strich sie ihr mit der anderen Hand sanft hinter das Ohr.
»Womit habe ich dich nur verdient, Henry Hieronymus Voigt, du wirst für mich immer ein ungelöstes Rätsel bleiben«, sagte sie und drückte sich an ihn. Ihre linke Hand griff nach seinem Po.
Er lächelte. »Na dann hoffe ich nicht, dass es dir irgendwann langweilig mit mir wird.«
»Langweilig würde ich nicht sagen, ich finde, es macht dich geheimnisvoll und das zieht mich wahnsinnig an dir an«, sagte sie und küsste ihn leidenschaftlich.
»Okay, was ist denn hier los? Könnt ihr nicht warten, bis wir wieder im Hotel sind?«, hörte er Isaacs schmatzende Stimme. Er löste sich von ihr und lächelte ihm zu. »Sei nicht so ein Spießer, sag mir lieber mal, wie die Mandazis sind?«
Isaac schaute auf das Stück Siedegebäck in seiner Hand. »Sehr lecker und erst das Huhn mit Reis ist fantastisch«, antwortete er und stopfte sich das Stück in seiner Hand in den Mund.
Charline lachte. »Manieren hast du auch keine, was?«
Isaac zuckte mit den Schultern und nahm sich ein Glas Bier von dem Tablett, das ein Kellner zwischen den Gästen hindurchbalancierte.
»Na komm, lass uns auch etwas zu essen holen. Sonst gibt es gleich nichts mehr«, sagte sie und zog an Henrys Hand.
Henry wollte sich gerade ergeben und ihr folgen, da vibrierte sein Handy in der Innentasche seines Jacketts.
»Moment, mein Handy.« Er löste sich aus ihrem Griff, holte es hervor und blickte auf das Display. Der Anrufer war nur als anonym erkennbar. »Ich gehe eben raus, hier ist es zu laut«, sagte er und Charline nickte ihm zu. Er eilte durch die Menge und visierte den langen Flur an und bog in einen kleineren Raum ab, in dem sich niemand aufhielt. Er konnte die Musik zwar noch hören, doch drang sie nur sehr gedämpft hierher. Er nahm das Gespräch an. »Ja, hallo.«
»Herr Doktor Voigt?«, fragte ihn eine männliche Stimme mit sehr starkem britischen Akzent.
»Der bin ich.«
»Ich habe einen Auftrag für Sie. In zwei Tagen findet eine Auktion statt, bei der Sie ein Objekt ersteigern sollen«, die Stimme klang höflich und sachlich.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht. Was für ein Objekt soll ich ersteigern und warum ich?«, fragte Henry misstrauisch nach. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.
»Die nötigen Informationen liegen am Empfang des Grosvenor Hotels an der Victoria Station in London für Sie bereit. Dort stehen zwei Zimmer für Sie zur Verfügung, es sei denn, Sie und Miss Krüger ziehen es vor, in getrennten Zimmern zu nächtigen.«
»Nein, das geht schon in Ordnung, aber ich verstehe immer noch nicht, weshalb Sie mich darum bitten«, sagte Henry grüblerisch. Er überlegte fieberhaft, was hier gerade geschah. »Darf ich erfahren, wer Sie sind?«
»Mein Name tut nichts zur Sache, kann ich mit Ihrer Zusammenarbeit rechnen?«
Ein Moment der Stille verging, bis Henry sich räusperte und eine Entscheidung getroffen hatte. Seine Neugierde war geweckt, ohne Zweifel wollte er erfahren, was es mit dem Auftrag auf sich hatte. »Ja, das können Sie.«
»Wunderbar, morgen um 09:25 Uhr Ortszeit startet ein Direktflug vom Entebbe International Airport in Kampala. Am Schalter der British Airline liegen drei Tickets für Sie bereit.«
»Was mache ich mit dem Objekt, wenn ich es ersteigert habe, und mit welchen finanziellen Mitteln tu ich dies?«
»Diese Informationen werden Sie in London erhalten. Wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, liegen diese dort für Sie bereit. Genießen Sie die Party.« Kaum hatte der Mann sein letztes Wort gesprochen, ertönte aus dem Lautsprecher ein Tuten.
Ungläubig schaute Henry auf das Display seines Mobiltelefons. Er verstaute es in der Innentasche seines Jacketts und trat auf den Flur, als ihm ein junges Pärchen entgegenkam. Die beiden neckten sich und lachten laut. Henry schenkte ihnen ein flüchtiges Lächeln und versuchte, sich an ihnen vorbeizuschieben. Die beiden schienen etwas angetrunken zu sein, der junge Mann hatte seinen Arm um die Hüfte der jungen Dame gelegt, die sich in einem aufreizenden roten Kleid an ihn drückte.
»Hallo, Herr Voigt«, rief ihm der Mann entgegen, als er Henry bemerkte.
»Hallo«, grüßte Henry kopfnickend und huschte an ihnen vorbei, er wollte schnellstmöglich zu Charline und Isaac.
»Was werden Sie als Nächstes entdecken? Vielleicht den Heiligen Gral?«, fragte ihn die Frau gut gelaunt.
»Ich denke nicht«, erwiderte Henry lächelnd. »Genießen Sie die Party«, wünschte Henry mit lauter Stimme. Er hatte bereits ein paar Schritte zwischen dem Pärchen und sich gebracht. Henry warf ihnen einen letzten Blick zu, die beiden hatten sich jedoch schon einem leidenschaftlichen Kuss hingegeben und verschwanden in dem Raum, aus dem er gekommen war.
Partys sind doch immer gleich, dachte er schmunzelnd und eilte den Flur entlang. Doch die Frage der hübschen Dame pochte in seinem Kopf nach. Was würde er als Nächstes finden? Eigentlich wollte er die nächsten Monate nutzen, um ein Buch zu schreiben, das von seinen Entdeckungen handeln sollte. Doch nun geriet dieser Plan ins Wanken, seine Erfahrung und sein Instinkt sagten ihm, dass die Auktion erst der Anfang war. Doch der Anfang von was?
Als er in den großen Raum am Ende des Flures trat, sah er Charline und Isaac an der kleinen provisorisch errichteten Bar mit den beiden Rangern stehen. Sie unterhielten sich gut gelaunt mit Omwasu und Simbou.
»Hallo, Henry, freut mich wirklich sehr, dich endlich wiederzusehen. Wir haben gerade über Charlines fantastischen Artikel um den Dolch des Mondes und seine Schöpfer gesprochen«, sagte Omwasu, als Henry sich zu ihnen gesellte.
»Ja, ich habe ihn gleich drei Mal gelesen«, beteuerte Simbou und grinste.
»Danke, danke, so viel Lob habe ich gar nicht verdient. Schließlich war ich es nicht alleine, die diese Entdeckung gemacht hat. Ich habe nur aufgeschrieben, was ich gesehen habe.«
»Durch deinen Artikel ist es erst lebendig geworden, nur zu schade, dass ich es nicht sehen konnte«, sagte Omwasu etwas traurig.
»Dafür haben wir ja deinen Artikel«, schob Simbou hinterher.
Der Kurator rief nach den beiden Rangern auf Swahili und winkte sie herbei. Neben ihm stand der Mann im blau-karierten Anzug, dem Henry im Zelt bereits begegnet war. Er blickte ihn mit einem durchdringenden Blick an.
»Ihr entschuldigt uns bitte, wenn ich richtig sehe, möchte der feine Herr aus England unsere Geschichte hören.«
»Ihr kennt den Mann?«, fragte Henry.
»Nicht wirklich, er hat sich uns bei der Begrüßung im Zelt kurz vorgestellt. Er heißt Mister Chilton oder so ähnlich, er arbeitet für einen der Geldgeber des Museums. Ihr wisst, irgendjemand, der zu viel Geld hat und nicht weiß wohin damit«, scherzte Simbou. »Der gute Mann muss wohl seinem Boss alle zehn Minuten per Telefon Bericht erstatten. Ich habe ihn schon fünfmal telefonieren sehen«, fügte er hinzu.
»Interessant«, murmelte Henry. War es dieser Mister Chilton, der ihn eben angerufen hatte?
»Alles klar, vielleicht bis später, ihr beiden«, sagte Charline.
»Was ist los, Henry? Du wirkst so nervös«, fragte Isaac.
»Ihr glaubt nicht, was gerade passiert ist …« Er senkte etwas die Stimme.
Die beiden schauten ihn wartend an.
»Du meinst am Telefon?«, fragte Charline.
»Ja, ich habe gerade einen sehr merkwürdigen Anruf bekommen«, begann Henry und trat etwas näher an die beiden heran. In kurzen Sätzen erzählte er von dem Anruf und von ihrem Auftrag.
»Das ist wirklich sehr merkwürdig und du hast keine Ahnung, wer dieser Mann war?«, fragte Charline.
»Nein, also was sagt ihr, fliegen wir?«
»Ich weiß nicht, was ist, wenn der Mann von Landa beauftragt wurde, um uns eine Falle zu stellen?«, wandte Isaac ein.
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Henry, »der kann sich fast nirgendwo mehr blicken lassen, da er so gut wie in allen westlichen Ländern per Haftbefehl gesucht wird. Aber mit Gewissheit kann ich es dir nicht sagen, wenn wir es nicht selbst herausfinden.«
»Ich weiß nicht, ob es meine journalistische Neugierde ist, aber ich finde, wir sollten uns das anschauen«, sagte Charline entschlossen.
»Was ist mit dir, Isaac?«, fragte Henry.
»Ach Mann, ich kann euch ja nicht alleine lassen, ohne mich seid ihr doch aufgeschmissen«, sagte er mit einem gekünstelten Lächeln.
»Also ist es beschlossen.« Henry nickte. »Ich hatte gehofft, dass ihr so entscheidet. Ich habe dem Anrufer nämlich unsere Zusage bereits mitgeteilt. Ich hoffe, ihr nehmt mir das nicht böse, dass ich euch dabei einfach übergangen habe.«
»Dieses Mal lasse ich es dir noch einmal durchgehen«, sagte Charline und zwinkerte.
»Dann fliegen wir also morgen nach London. Das bleibt allerdings unter uns dreien, ich will das nicht an die große Glocke hängen«, sagte Henry.
(06.08.2014, London Heathrow, Terminal 3, Großbritannien)
An diesem Mittwoch empfing London Henry, Charline und Isaac mit bestem britischen Regenwetter. Die Baumkronen der Pappeln, die auf der Parkplatzfläche vor der riesigen Glasfront der Terminalhalle in Beeten gepflanzt waren, wogten in den starken Windböen mit.
»Hast du alles?«, fragte Charline ihn, als er auf sie und Isaac zukam.
»Unser Wagen steht im Parkhaus 4 auf der anderen Seite des Parkplatzes«, erwiderte er und zeigte auf ein Gebäude, an dessen gräulicher mit Gittern verkleideten Außenwand eine große gelbe Acht zu sehen war.
»Du meinst, wir müssen bei diesem Wetter quer über den Parkplatz laufen?«, fragte Isaac und verzog mit Blick nach draußen das Gesicht.
»Gewöhne dich an den Regen, du bist in England. Hier regnet es häufiger, als die Sonne scheint. Aber für Menschen aus Zucker wie dich gibt es einen unterirdischen Verbindungstunnel«, scherzte Henry und drehte sich zu einem Treppenabgang um.
»Ich habe zwar nichts gegen eine ordentliche Dusche, aber ich bin da ganz bei Isaac.« Charline klopfte Isaac auf die Schulter.
Henry verstaute die Unterlagen der Autovermietung in seiner Tasche und folgte den beiden durch das dichte Gedränge von Reisenden, mit Blick auf das große gelb erleuchtete Schild mit dem Aufdruck Parkinggarage 4.
Henry lenkte den grauen VW Passat aus dem engen Parkhaus und folgte der Beschilderung Richtung London City. Die Regentropfen trommelten in fast unbändigen Massen auf die Windschutzscheibe. Es dämmerte bereits, auch wenn es durch die dicken Regenwolken ohnehin schon düster war, schwand das Licht der Sonne, als sie die 15 Kilometer bis zu ihrem Ziel zurücklegten. Henry parkte den Wagen in der Tiefgarage unterhalb des Hotels.
»Isaac, wo bleibst du denn?«, rief Henry in Richtung des Autos. Charline stand neben ihm und wartete ein paar Meter entfernt des geparkten Wagens.
»Hast es ja ganz schön eilig«, sagte sie.
»Wie lange kann man denn schon brauchen, seinen Rucksack aus dem Kofferraum zu holen«, erwiderte er etwas genervt.
»Da kommt er schon«, stellte sie fest, als durch das Parkdeck ein lauter metallischer Knall einer zugeworfenen Kofferraumhaube schallte.
»Ich komm ja schon, in der Ruhe …«
»Na komm schon, ich will endlich wissen, was wir hier sollen«, unterbrach er ihn und drehte sich zur blau lackierten Tür des Liftes um.