Salomons Geheimnis - David Reimer - E-Book

Salomons Geheimnis E-Book

David Reimer

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Beschreibung

Auf der Suche nach dem Schicksal seines Großvaters entdeckt Henry die Spur zu dem vielleicht größten Geheimnis der Menschheitsgeschichte, gejagt von seinem Erzfeind und einem skrupellosen Multimilliardär. Wird es ihm gelingen, König Salomons Geheimnis rechtzeitig zu entschlüsseln? Welches Schicksal traf seinen Großvater? Eine geheimnisvolle und actionreiche Schatzsuche rund um den Globus entfacht. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Für alle Fans von Indiana Jones, der Geheimaktereihe, Tom Wagner und die die eine aufregende Schatzsuche lieben. ***Dies ist die Vorgeschichte zur Reihe: Die Wächter des Wissens***

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Inhaltsverzeichnis

Blutvolk

Der Zug

Das Auge des Aton

Die Heilige Stadt

Der Brunnen der Seelen

Der Garten Getsemani

Die Nekropole

Die geheime Kammer

Nickolas Jankuhn

Flucht

Cerberus

Die Santiago

Im Reich des schwarzen Königs

Salomons Geheimnis

Vorsehung

Epilog

Wissenswertes/Nachwort

Leseprobe

Impressum

Weitere Werke des Autors

Hörbücher

Salomons Geheimnis

Ein

Henry-Hieronymus-Voigt-

Abenteuer

von

David Reimer

Abenteuer-Roman

»Phantasie ist wichtiger als Wissen,

denn Wissen ist begrenzt.«

Albert Einstein

Blutvolk

(Im Jahr 1940 in Fogoso am Rio Juruá, tief in einem unerforschten Dschungelgebiet im Amazonasbecken, nahe der peruanischen Grenze, ca. 50 km westlich der Stadt Eirunepé, Brasilien)

Der schwere Bagger blies unaufhaltsam dicke schwarze Wolken Ruß in die tropische Luft des Regenwaldes. Der Baggerführer lenkte seine Höllenmaschine geradewegs auf einen kleineren Baumstamm zu. An dem vorderen Ausleger des Baggers befanden sich zwei rotierende Sägeblätter. Der Bagger gehörte der Firma Landa Consolidated Mines Limited. Diese war in den 1940ern einer der größten und bedeutendsten Diamantenproduzenten und -händler der Welt mit Sitz in den Niederlanden. Eines ihrer Seismologen-Teams hatte nahe der Stadt Eirunepé im brasilianischen Urwald ein gewaltiges Diamantenfeld gefunden. Jedenfalls vermuteten sie es anhand ihrer ersten ausgewerteten Daten.

Das Team hatte Schallwellen aus einem Flugzeug in den Erdboden entsandt, um mit ihrer Hilfe die Materialien der unteren Schichten des Erdbodens zu bestimmen. Die Schallwellen veränderten je nach Materialdichte die Geschwindigkeit und gaben so Hinweise auf die Zusammensetzung des Erdbodens preis. Die Ergebnisse waren nur ein erster Test, um das Gebiet einzugrenzen. Danach kamen Landvermessungs- und Geologen-Teams, die Steinproben aus tieferen Regionen analysierten.

Es hatte fast fünf Jahre gedauert, bis alle Genehmigungen und Maschinen vorhanden waren. Das Gebiet war zuvor noch nie erforscht worden und der Urwald galt dort als besonders dicht, unwegsam und düster. Die Einwohner der Stadt Eirunepé erzählten sich alte Legenden eines dort draußen lebenden Stammes, welcher Eindringlinge bei lebendigem Leib verspeiste und eine uralte Stadt beschützte. Keiner der Stadtbewohner würde sich freiwillig auch nur in die Nähe des Gebietes wagen. Jeder, der ihrem Territorium zu nahe gekommen war, kehrte nie wieder nach Hause zurück. Beweise für die Existenz dieses Volkes oder dieser Stadt gab es nicht. Aber wie heißt es so schön: An jeder Legende ist auch etwas Wahres dran.

Die schweren Maschinen der Landa Consolidated Mines Limited konnten sich nur langsam durch das dichte Unterholz arbeiten. Riesige Urwaldriesen versperrten ihnen immer wieder den Weg. Das Team, welches die zwei Bulldozer und einen Forstbagger begleitete, bestand aus einem dreiköpfigen Geologen-Team, fünf Landvermessern und fünf Sicherheitsleuten. Zwar glaubte man nicht an die alten Legenden, aber sicher war sicher, sagten sich die Inhaber der LCML. Zu wertvoll war der nahe vermutete Schatz, als dass sie sich diesen von ein paar nackten Wilden entreißen lassen wollten.

Langsam arbeitete sich die Säge des Forstbaggers durch das Holz des Baumstammes; mit einem Knacken und lautem Getöse krachte der Baum zu Boden und riss dabei allerhand Gehölz und Blätter der umliegenden Bäume mit sich in die Tiefe. Der Führer des Forstbaggers schaltete in den Rückwärtsgang und stellte seinen Bagger etwas abseits ab, dann schaltete er den Motor aus. Er öffnete die Tür seines kleinen Glascockpits, stellte sich auf den linken Vorderreifen, fingerte eine Zigarette aus der Packung in seiner Brusttasche und zündete diese an. Die beiden Bulldozer fuhren an ihm vorbei und gingen in Position, den Baumstamm auf die Seite zu schieben, einer unten am Stamm, der andere etwas weiter oben unterhalb des oberen Geästes.

Die Sonne brannte unaufhaltsam auf die Männer herab; die Luft war unangenehm schwül. Außer dem tiefen Brummen der beiden Motoren der Bulldozer war nichts zu hören.

Der Baggerführer beobachtete die beiden Bulldozer bei ihrer Arbeit. Sein Blick ruhte kurz auf dem vordersten der beiden und schweifte dann weiter durch das umliegende dunkle, bedrohlich wirkende Unterholz. Rechts von ihm sprachen seine Begleiter in kleinen Gruppen über das weitere Vorgehen. Die Sicherheitsmänner unterhielten sich, ebenfalls desinteressiert am Geschehen, miteinander.

Ein kalter Schauer lief dem Baggerführer den Rücken herunter, als er von seiner erhöhten Position in die Dunkelheit des Dschungels spähte. Kaum wahrnehmbar, eher wie einen schwachen Schatten, bemerkte er einen Umriss. Krampfhaft fixierte er die Stelle und versuchte, nicht zu blinzeln, doch nichts bewegte sich.

Plötzlich zuckte er zusammen, als die heiße Glut seiner zu Ende gehenden Zigarette das Fleisch seiner Lippen ansengte. Kurz vor Schmerz prustend spuckte er sie aus. Wie aus dem Nichts nahm er ein heranrauschendes Zischen wahr. Bevor er auch nur seine Augen in die Richtung bewegen konnte, traf ihn der Aufprall wie der Tritt eines Pferdes. Etwas Massives und Spitzes bohrte sich direkt in seine Brust. Durch die Wucht des Aufpralls wurde er von den Füßen gerissen und schlug leblos neben dem Reifen auf den Waldboden auf.

Ein gut einen Meter zwanzig langer Holzspeer ragte aus seiner Brust heraus, an der Stelle, an der sein Herz saß. Bevor überhaupt einer der anderen Männer bemerkte, was geschehen war, verschwand der Angreifer wieder im Schatten des dichten Dschungels.

Schon seit längerer Zeit wurden die Männer der LCML von Dutzenden wachsamen Augen aus der Dunkelheit beobachtet.

Es dauerte einige Minuten, bis einer der Sicherheitsmänner bemerkte, dass das Führerhäuschen des Baggers leer war. Als der Baggerführer ein paar Minuten später immer noch nicht an seinem Platz saß, machte der Sicherheitsmann seine Kollegen auf den führerlosen Bagger aufmerksam. Sie trommelten die anderen zusammen und wiesen die Wissenschaftler an, sich im Hintergrund zu versammeln und auf weitere Anweisungen zu warten. Die beiden Fahrer der Bulldozer hatten sich ebenfalls bei der Gruppe eingefunden. Zwei der bewaffneten Wachleute blieben zur Sicherheit bei der Gruppe.

Langsam näherten sich die anderen drei Sicherheitsleute dem Bagger. Vorsichtig schlichen sie mit ihren Sturmgewehren im Anschlag auf die Rückseite der Maschine zu. Kurz vorher teilten sie sich auf, einer ging zur Front und die anderen beiden bewegten sich um das Heck herum.

Die Gruppe der Wissenschaftler verfolgte gespannt das Geschehen. Sie alle kannten die Legenden um diesen Teil des Regenwaldes. So recht daran glauben wollte keiner von ihnen, allerdings vollends daran zweifeln, konnten sie auch nicht. So ging ein angsterfülltes Murmeln durch die Gruppe, als von den Wachleuten, die mittlerweile auf der anderen Seite des Baggers angekommen waren, ein alarmierendes und hektisches Gebrüll herüberhallte. Sofort machten sich die beiden zurückgebliebenen Wachleute auf, um den dreien zur Verstärkung zu eilen. Auch die Neugier der Wissenschaftler überwiegte die Angst und sie näherten sich ebenfalls, nur etwas langsamer, der anderen Seite des Baggers.

Die fünf bewaffneten Männer zielten mit ihren Gewehren ins umliegende Dickicht und versuchten, irgendjemanden zu identifizieren oder etwas, was den Tod des Baggerführers herbeigeführt hatte. Als der Rest des Teams die Leiche sah, brach schnell Panik aus und ein wildes Stimmengewusel entflammte.

Hernandez, der Anführer des Sicherheitstrupps, brachte die Gruppe sofort durch eine schnelle, schneidende Bewegung, begleitet von einem scharfen Ruhe, zur Räson. Das Stimmengewusel verstummte sofort und die Augen der gesamten Gruppe richteten sich nun suchend auf das dichte Unterholz. Es herrschte vollkommene Stille - nichts war zu hören, kein Vogel, kein Knacken von Holz oder ähnliches, nur das sanfte Rauschen der vom Wind raschelnden Blätter. Etwas Beklemmendes und Tödliches lag in der Luft.

In den nächsten Sekunden rauschten ein Dutzend Holzspeere aus dem Dschungel auf die Gruppe zu. Sofort eröffneten die Wachleute das Feuer auf die breite Front vor ihnen. Als die Gewehre nur noch klickende Geräusche von sich gaben, forderte Hernandez seine Männer auf, nachzuladen und die Umgebung im Auge zu behalten. Hernandez drehte sich zu dem Rest der Gruppe um, um zu überprüfen, ob alle den Angriff gut überstanden hatten.

Speere steckten in den Reifen des Baggers. Ein Speer war ihnen mit solch einer Wucht entgegengeschleudert worden, dass er den Torso eines der Geologen durchbohrt und ihn am Blech der Motorabdeckung festgenagelt hatte. Schlaff hing der Körper des Wissenschaftlers herab. Zwei Mitglieder des Landvermessungsteams lagen von mehreren Speeren durchbohrt auf dem Waldboden.

Die Überlebenden standen regungslos da und begriffen nicht so recht, was gerade passiert war. Hernandez verstand die Situation sofort. Er drehte sich um und wies seine Männer an, sich langsam in einem Halbkreis nach hinten zu bewegen. Sie nahmen die anderen in ihre Mitte und hielten die Umgebung im Rückwärtsgang im Auge.

Als sie sich ein paar Meter aus der Gefahrenzone entfernt hatten, traten ein paar rötlich schimmernde, nackte Gestalten aus dem Unterholz. Drohend hielten sie ihre Speere der Gruppe entgegen. Dann schleuderte ihnen eine der Gestalten seinen Speer entgegen, drehte sich direkt danach um und rannte zurück ins Dickicht. Die anderen Gestalten taten es ihm gleich.

Hernandez rief seinen Männern zu, dass sie das Feuer auf diese Wilden eröffnen und den Angreifern folgen sollten. Die restliche Gruppe wusste, dass sie, wenn sie an Ort und Stelle blieben, sterben würden. Aus dem Dickicht drangen die lauten Rufe der Wachleute zu ihnen herüber, die immer wieder von Gewehrsalven unterbrochen wurden.

Ein paar der Wissenschaftler riefen panisch, dass sie bei den Männern mit den Waffen bleiben wollten. Denn ohne Feuerschutz wären sie den Wilden ausgeliefert. Sie liefen den Sicherheitsleuten hinterher. Lediglich ein Bulldozer-Führer und Dr. Fin aus dem Geologen-Team blieben auf der Lichtung zurück.

Die beiden zögerten nicht lange. Sie liefen durch die Schneise, die die schweren Maschinen im Dschungel zuvor freigelegt hatte, zurück. Der Lärm der Gewehrsalven und das Gebrüll der Sicherheitsleute aus dem Unterholz wurde immer leiser, bis es bald vollends vom düsteren Urwald verschluckt wurde. Die beiden liefen so schnell, wie sie ihre Beine trugen. Einen Moment später tauchten drei Gestalten hinter ihnen aus dem Dickicht auf und verfolgten sie.

Dr. Fin drehte den Kopf panisch zu seinen Verfolgern um. Die Haut der beiden äußeren Gestalten schien rötlich zu sein. Der Verfolger in der Mitte jedoch war von Kopf bis Fuß pechschwarz. Überall waren dünne weiße Linien aufgemalt, die bestimmte Muster ergaben.

Genau in dem Moment, als er seinen Kopf nach vorne drehte, konnte er gerade noch im Augenwinkel erkennen, wie die mittlere schwarze Gestalt ihnen ihren Speer hinterherschleuderte. Einen Moment später brach der etwas zurückgebliebene Führer des Bulldozers mitten im Lauf zusammen.

Dr. Fin konnte aus ein paar Metern Entfernung nur noch mit ansehen, wie die dunkle Gestalt den Speer aus dem Bein des Mannes zog. Der Mann schrie vor Schmerz und wurde kurz darauf ohnmächtig. Die beiden anderen halbnackten Gestalten hoben den Mann auf, dann verschwanden die drei mit ihrem Gefangenen im Unterholz.

Dr. Fin überlegte keine Sekunde; er drehte sich um und lief in Richtung des Ortes Fogoso. Er wollte so schnell wie möglich Alarm schlagen und Hilfe holen. Bald hatte er einen der zurückgelassenen Jeeps erreicht.

(Eine Woche später traf Dr. Wilhelm Hieronymus Voigt im Hafen von Fogoso ein.)

Wilhelm Voigt wurde vom Hafen mit einem Jeep zu einem kleinen Militärcamp am Rande des Dschungels gebracht. »Hallo, Wilhelm, wie war die Reise?«, grüßte ihn ein junger, gutaussehender Mann.

»Ah, Eckbert Jankuhn, mein alter Freund. Wie geht es dir? Tut gut, dich zu sehen! Die Reise war sehr spannend, besonders die Bootsfahrt über den Rio Juruá!«, grüßte ihn Wilhelm zurück und umarmte seinen alten Freund und Kollegen herzlich.

»Mir geht es sehr gut. Danke der Nachfrage. Das Wetter in diesem Land ist nichts für mich. Allerdings glaubst du mir nie, was hier für eine Sensation auf uns wartet!«, antwortete Eckbert, während er sich aus der Umarmung löste und eine Landkarte aus seiner Umhängetasche zog.

Er breitete sie auf der Motorhaube des Jeeps aus und umkreiste mit einem Filzstift ein kleines Gebiet. Er tippte mit seinem Zeigefinger in den gemalten Kreis und schaute mit funkelnden Augen zu Wilhelm. »Dort, mein Lieber, liegt sie versteckt. Nach ihr haben wir unser ganzes Leben gesucht!«, sagte er.

Wilhelm schaute auf die markierte Stelle und musterte sie, dann schaute er mit fragendem Blick zu Eckbert auf. »Was soll ich in diesem Dschungel sehen?«

»Vor einer Woche hat sich ein Team von Wissenschaftlern in dieses Gebiet aufgemacht, um die Region nach Diamanten zu untersuchen. Vorläufige Daten zeigten der Landa Consolidated Mines Limited, dass dort unterhalb des Dschungels ein gewaltiges Diamantenfeld verborgen liegen könnte. Das Wissenschaftlerteam wurde von Sicherheitsleuten und schweren Maschinen begleitet. Allerdings fanden sie dort keine Diamanten, sondern etwas anderes.«

Wilhelm schaute, während er den Worten seines Freundes lauschte, wieder zur Karte.

»Sind dir die Legenden der Einheimischen hier in Fogoso geläufig?«, fragte Eckbert ihn.

Wilhelm überlegte einen Moment, dann schüttelte er verneinend den Kopf.

»Die Menschen hier erzählen sich, dass dort in diesem Gebiet …«, wieder tippte Eckbert auf die eingekreiste Stelle, »… ein altes verschollenes Volk leben soll. Sie sollen die Stadt ihrer alten Götter beschützen. Sie gelten als Kannibalen und als äußerst kriegerisch!«

Wilhelm schaute abrupt zu Eckbert. »Du meinst doch nicht, dass es … Nein, das kann doch nicht sein. Hier draußen im brasilianischen Dschungel? Das glaube ich nicht!«, unterbrach er Eckbert ungläubig und schüttelte mit dem Kopf.

»Doch, mein alter Freund, ich glaube schon! Ich glaube, wir haben Askara gefunden! Dort draußen, nicht weit von hier, liegt sie verborgen!«

»Okay, okay …« Wilhelm war immer noch irritiert über das, was sein alter Studienfreund ihm gerade versuchte, glaubhaft zu machen. »Gehen wir mal davon aus, dass du recht hast und dort draußen wirklich die uralte, erste Stadt Askara liegt. Was macht dich so sicher?«

»Ich verstehe, dass du zweifelst. Mir ging es nicht anders, als mich die Nachricht der LCML erreichte. Sie haben mich gebeten, hier für sie dieses Gebiet zu untersuchen. Das erste Team von Wissenschaftlern ist bis auf ein Mitglied des Geologen-Teams verschwunden. Daraufhin wurde mit Absprache der brasilianischen Regierung eine kleine militärische Einheit entsandt, um dem Verschwinden der Gruppe auf den Grund zu gehen. Ich habe gerade eben mit dem Kommandanten dieser Eingreiftruppe gesprochen. Sie haben dort draußen niemanden gefunden – kein Mitglied des ersten Teams, geschweige denn diese Eingeborenen. Sie fanden allerdings mehrerer Ruinen, die offenbar zu einer ganzen Stadt gehören. Im Mittelpunkt dieser Ruinen steht eine weitestgehend gut erhaltene seltsame Pyramide. Der Soldat erzählte mir, dass die Form dieser Pyramide keiner ihm bekannten Bauform entspricht und dass sie stark bewuchert ist. Allerdings weiß ich nicht, wie ich diese Aussage deuten kann, da ich seinen Wissensstand in dieser Hinsicht nicht kenne. Aber mein guter Wilhelm«, meinte er und legte diesem dabei die Hand auf die Schulter, »ich sage dir, es ist Askara. Sie muss es sein. Alles passt zusammen und die Hinweise, die wir in den letzten Monaten gefunden haben, können uns nur hierher führen!«

»Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Wenn wir diese versunkene Stadt wirklich gefunden haben, sollten wir nicht ohne Schutz dort hingehen. Du weißt, dass das Wächtervolk in dieser Stadt einen mächtigen alten Schatz bewacht und bestimmt nicht darauf aus ist, neue Freunde zum Reden zu finden!«

Eckbert lächelte. »Das mag ich an dir so gerne – deine gesunde Skepsis und deine Vorsicht. Wer weiß, wo ich heute wäre, wenn ich dich nicht hätte. Die Eingreiftruppe dort drüben wird uns begleiten, denn die brasilianische Regierung möchte wissen, was es mit den Ruinen und diesem Volk auf sich hat. Bevor das nicht geklärt wurde, liegt die Genehmigung für die Landa Consolidated Mines Limited zum Fördern von Diamanten auf Eis. Deswegen finanziert die LCML auch diese Expedition – zur Sicherung des kulturellen Erbes. Ich glaube allerdings nicht, dass die Landa Limited an den Ruinen interessiert ist. Ich denke eher, dass sie sich vielleicht ein paar extra Edelsteine in einer alten Kammer erhoffen. Dort drüben, die beiden Männer im Anzug …« Er zeigte auf zwei Männer, die am Waldrand nahe einem Jeep standen und diskutierten. Sie trugen schwarze Anzüge und Sonnenbrillen. Der eine war groß und kräftig, der andere mittelgroß und sportlich.

»… wurden von der Landa-Gesellschaft zur Sicherung der Expedition mitgeschickt. Wer weiß, was die für einen Auftrag haben!«, fuhr Eckbert fort. »Deswegen sind alle hier um unsere Sicherheit äußerst bedacht! Wir müssen herausfinden, was in diesem Gebiet versteckt ist. Wir dienen quasi als Vorhut für eine großangelegte Ausgrabung und Eingrenzung des zu erforschenden Gebietes! Im Rest des Gebietes will die Landa Limited dann Diamanten fördern, falls es hier welche gibt!«

»Hmm, ein mulmiges Gefühl habe ich allerdings immer noch bei diesem Vorhaben«, erwiderte Wilhelm etwas verängstigt. »Die Legenden über dieses Volk gibt es nicht umsonst. Falls du dich erinnerst: Es heißt, dass die Haut der Krieger die Farbe von Blut haben soll und dass sie Gefangene nehmen, um diese anschließend ihren Göttern zu opfern!«

»Angst ist gut; sie lässt uns vorsichtiger und bestimmter handeln. Wird schon schiefgehen, vertrau mir!« Eckbert lächelte ermutigend.

»Du hast auch für alles den passenden Satz«, sagte Wilhelm und lächelte ihm etwas gezwungen zu.

Der Jeep holperte über den unwegsamen Waldboden. Die angelegte Schneise war nicht besonders breit. Die Jeeps mussten daher alle hintereinander fahren. Im ersten saßen Wilhelm und Eckbert mit zwei Soldaten.

»Ich glaube, du hast recht, Eckbert. Wir sind schon so lange auf der Suche nach dieser Stadt und ihren Erbauern. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, wir suchen jetzt schon so lange nach ihr. Auf der ganzen Welt versteckt gibt es Hinweise. Ich habe nur noch zwei Seiten in meinem Notizbuch frei.«

Er hielt Eckbert sein kleines schwarzes Notizbuch entgegen. »Jetzt wird es Zeit, die letzten Seiten mit den Details ihres Fundortes zu füllen!«, fuhr er entschlossen fort und verstaute das Buch wieder in der Innentasche seiner Weste. Eckbert nickte ihm zu und lächelte.

Der Soldat, der den Jeep fuhr, verlangsamte das Tempo und brachte das Auto kurz vor dem Forstbagger schließlich gänzlich zum Stillstand. Auch die beiden Bulldozer standen noch an ihrem Platz vor dem gefällten Baum. Alles sah so aus, als wären die Männer nur kurz in die Pause gegangen.

Hinter dem ersten Jeep kamen fünf weitere Geländefahrzeuge zum Stehen. Die darin sitzenden Soldaten und die beiden Männer der LCML sprangen sofort aus den Fahrzeugen und sicherten die Umgebung. Auch die beiden Soldaten, die sich zusammen mit Wilhelm und Eckbert im Fahrzeug befanden, stiegen aus. Sie forderten die beiden Archäologen auf, noch kurz im Jeep zu warten.

Wilhelm schaute sich um und sah einige getrocknete Blutflecken an der Außenwand des Baggers. Holzspeere steckten in dem dicken Gummi der Reifen.

»Na, dann wollen wir mal! Sieht ja hier aus wie auf einem Schlachtfeld. Die Leichen haben sie wohl schon entfernt«, murmelte Eckbert und studierte den Schauplatz.

Wilhelm legte ihm seine Hand auf die Schulter. Eckbert drehte sich zu ihm.

»Eckbert, eins wollte ich dir noch sagen, bevor wir dort hineingehen!« Wilhelm nickte dabei in Richtung der Baumgrenze. »Ich wollte nur Danke sagen. Danke, dass du mich angerufen und darauf bestanden hast, dass ich mit dir zusammen diese Entdeckung mache! Ich wollte nur wissen, dass du das weißt, falls mir etwas passiert!«

Eckbert lächelte ihn an und nahm seine Sonnenbrille ab. »Wilhelm, mein alter Freund. Das ist doch Ehrensache. Seit wir zusammen vor gut 20 Jahren in Chicago promoviert und seitdem die Spur des Schlüssels Salomons verfolgt haben, bist du wie ein Bruder für mich geworden. Also Wilhelm, lass uns endlich zum Ziel unserer langen Suche gelangen! Wir werden zusammen dort hineingehen und auch gemeinsam wieder herauskommen!«, erwiderte er, setzte sich die Sonnenbrille wieder auf die Nase, rückte kurz seinen Sonnenhut zurecht und folgte dann zusammen mit Wilhelm den Soldaten in den Dschungel.

Die Luft war schwülwarm und die Luftfeuchtigkeit an diesem Tag war extrem hoch. Immer wieder klatschten ihnen riesige feuchte Blätter und Sträucher ins Gesicht. Die beiden vordersten Soldaten versuchten, mit ihren Macheten eine schmale Passage in das dichte Blätterwerk zu schneiden. Es gelang ihnen nur teilweise. Insekten schwirrten durch die Luft, überall zirpten Zikaden. Das gleichmäßige Geräusch der Zikaden wurde ab und zu von Vogelrufen und dem Gebrüll entfernter Affen unterbrochen. Die Soldaten sehen angespannt aus, dachte Wilhelm. Sie hatten die Gewehre schussbereit auf Brusthöhe und behielten wachsam die Umgebung im Auge. Niemand sagte etwas.

»Hey, Eckbert, wenn ich es mir recht überlege, hättest du doch besser Jones anrufen sollen!«, flüsterte Wilhelm Eckbert zu, der vor ihm ging.

Er drehte sich leicht nach hinten und flüsterte zurück: »Was meinst du?«

»Na ja, Jones war von uns dreien immer der Hau-drauf-Typ. Für ihn wäre das hier genau das Richtige. Ich meine, er stand schon früher auf riskante und ausweglose Entdeckungsreisen. Kannst du dich noch an die Geschichte mit Marijane erinnern? Als die beiden bei ihrem zweiten Date auf dem Heuboden von Marijanes Familie beim Rummachen von seiner Ex-Freundin erwischt wurden? Die auch noch gleich Marijanes gesamte Familie im Schlepptau hatte, samt Großmutter? Mann, habe ich gelacht! Ich hätte gerne die Gesichter gesehen! Die beiden halbnackt zwischen dem Heu eng umschlungen liegend, unter den schockierten Augen ihrer Familie. Mann, muss das peinlich gewesen sein!« Wilhelm musste schmunzeln, auch Eckbert grinste.

»Ja, ich glaube, die Geschichte wird er nie vergessen. Aber ich habe ihn auch angerufen, gleich nachdem ich dich angerufen hatte. Allerdings sagte er, dass er gerade auf der Spur nach etwas wirklich Bedeutendem sei – irgendwas mit einer Truhe – und daher absagen musste. Allerdings glaube ich nicht, dass uns seine Peitsche hier draußen etwas bringen würde!«, erwiderte er immer noch amüsiert.

Der Soldat, der vor Eckbert ging, drehte sich um und forderte ihn auf, ruhig zu sein, dann blieb er stehen. Der erste Soldat war stehen geblieben und reckte seine Faust in die Höhe.

»Was ist denn? Siehst du was?«

»Nein, Wilhelm, nur grün. Warten wir mal!«

Es dauerte nur einen Moment, dann gingen sie weiter. Sie fanden einen schmalen Trampelpfad, dem sie weiter folgten. Immer tiefer und weiter drangen sie in das Gebiet des sagenumwobenen Volkes ein. Nach ein paar Minuten passierten sie eine schmale Steinsäule.

Eckbert und Wilhelm blieben davor stehen und betrachteten das Gebilde etwas genauer. Die Säule war gut drei Meter hoch. Auf der Vorderseite waren mehrere Figuren und Symbole in den Stein gemeißelt worden.

»Du, Eckbert, ich glaube, das ist einer ihrer Revierpfeiler.«

»Von welchem Volk stammt dieser hier bloß? Irgendwie sind mir die Symbole fremd, aber irgendwie auch nicht!«, murmelte Eckbert grüblerisch.

Die Soldaten hinter ihnen signalisierten, dass sie weiter mussten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Sie folgten dem Pfad und schon ein kurzes Stück hinter dem Totempfeiler kamen sie an einem Baum vorbei, an dem mehrere Schädel und Knochen aufgehängt worden waren. Wilhelm schauderte einen Moment, als er die Gebeine betrachtete.

Wortlos folgten sie den Soldaten. Die Warnung hatte bei Wilhelm seine Wirkung nicht verfehlt, Angst kroch ihm den Rücken herauf. Erst war es Wilhelm nicht aufgefallen und er konnte auch nicht sagen, wie lange ihn dieses eigenartige Gefühl schon heimgesucht hatte. Immer stärker wuchs das ungute Gefühl in ihm heran, dass sie bereits beobachtet wurden.

Aufmerksam lauschte er, ob er irgendetwas Verdächtiges hören konnte. Dann stutzte er und blieb abrupt stehen. Eckbert bemerkte es und blieb ebenfalls stehen. Er beobachtete Wilhelm, der seinen Blick durch das Unterholz schweifen ließ und ihn schließlich nach oben richtete.

»Hörst du das?«, fragte er Eckbert flüsternd.

Eckbert lauschte und erwiderte irritiert: »Nein, nichts! Was hast du denn?« Dann schaut auch er sich um.

»Das ist es ja eben! Nichts. Es ist totenstill! Kein Vogel oder Ähnliches ist zu hören. Einfach nichts!«

Eckbert schaute Wilhelm erschrocken an. »Du hast recht. Es ist mucksmäuschenstill. Es ist gespenstisch still!«

Auch die Soldaten, die die Stille nun ebenfalls bemerkt hatten, schauten sich um. In manchen Gesichtern war der kalte Schauer fast zu sehen, der ihnen den Rücken herunterlief.

»Die Ruhe vor dem Sturm!«, flüsterte Wilhelm sichtlich verängstigt. Dann zerschnitt das aus der nahen Umgebung kommende spitze Geräusch eines zerbrechenden Astes die Stille. Wilhelm gefror das Blut in den Adern.

Die Soldaten hoben ruckartig die Gewehre und zielten in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Alles blieb ruhig. Der Anführer der gesamten Gruppe forderte sie auf, weiterzugehen.

Wilhelm konnte zwischen den dichten Blättern immer wieder vereinzelte Nebelfelder erkennen. Mit jedem weiteren Schritt nahm der Nebel zu. Es dauerte nicht lange, dann waberten Nebelschwaden über den Boden des Pfades und umhüllten die Männer wenige Augenblicke später vollends. Die dichte grauweiße Suppe um sie herum beschränkte ihre Sicht auf gut zehn Meter. Den wolkenverhangenen Himmel konnten sie seit einer Stunde nicht mehr sehen. Sie waren zunehmend angespannt, und nicht nur die feuchte Hitze trieb ihnen den Schweiß auf die Stirn.

Wilhelm war so beeindruckt und eingeschüchtert von diesem geheimnisvollen Ort, dass er fast vergaß zu atmen. Manchmal hörten sie das Knacken von Holz in der Nähe. Jedes Mal zielten die Soldaten panisch und sichtlich verängstigt mit ihren Gewehren in die Richtung.

Nur ihren Anführer schien das alles nicht zu ängstigen, selbstbewusst und ruhig führte er die Gruppe an. Zweimal war ihm so, als hätte er eine schemenhafte Gestalt gesehen, die sich im Nebel bewegte und dann im nächsten Moment wieder verschwunden war.

Plötzlich blieb der Hauptmann stehen und wies vor sich in den Nebel. Eckbert und Wilhelm versuchten, an den Soldaten vorbeizuschauen und zu erkennen, worauf der Gruppenführer zeigte. Wilhelm erkannte flache Steinplatten, die treppenförmig angeordnet waren. Rechts und links neben der ersten Steinplatte stand jeweils eine aus Stein gehauene Skulptur.

Wilhelm vermutete, dass es zwei Götter des versunkenen Volkes waren. Er konnte nicht lange darüber nachdenken, denn einen Augenblick später spürte er einen Schlag gegen seine Brust. Eckbert schaute ihn begeistert an.

»Mensch, Wilhelm, siehst du das? Das muss der Weg zur Stadt sein. Wenn mich nicht alles täuscht, sind das dort vorne die zwei Torwächter der Amun. Ich glaube, wir sind hier wirklich richtig!«, teilte Eckbert ihm aufgeregt seine Vermutung mit.

Wilhelm nickte ihm lächelnd zu. Wohl war Wilhelm schon lange nicht mehr bei ihrem Unterfangen. Seine Abenteuerlust und seine Neugier hatten sich in Angst verwandelt. Allerdings wollte er um jeden Preis der Welt erfahren, was sich in diesem Dschungel versteckte. Er wollte kein Feigling sein, daher gab es für ihn kein Zurück. Dieser Ort strahlte förmlich in alle Richtungen aus: Haltet euch fern von hier!

Die Gruppe setzte sich erneut in Bewegung und folgte der flachen steinernen Treppe. Erst als Wilhelm ganz nah an den beiden Steinfiguren vorbeiging, sah er, dass unterhalb der Steingesichter Symbole in den Felsen gehauen waren. Er erkannte verschiedene Hieroglyphen, eines von ihnen sprang ihm sofort ins Auge. Es war das Symbol, welches sie erst auf die Spur hierher geführt hatte.

Bevor er einen zweiten Blick auf sie werfen konnte, drängte ihn der Soldat, der hinter ihm ging, weiter. Er wollte nicht den Anschluss zum Rest der Gruppe verlieren. Der Weg führte leicht bergauf und mündete in einen gepflasterten Platz.

Die Gruppe versammelte sich. Dicke Nebelbänke versperrten ihnen die Sicht. Vorsichtig und mit erhobenen Gewehren bewegten sich die Soldaten im Halbkreis voran. Hinter ihnen folgten Eckbert und Wilhelm, die wiederum gefolgt wurden von den beiden Männern im Anzug. Sie hatten ihre beiden Faustfeuerwaffen gezogen und behielten die Rückseite im Auge.

Sie mussten nur ein paar Meter gehen, dann tauchte aus dem Nebel vor ihnen rechts und links jeweils eine Steinmauer auf. Zwischen ihnen führte ein weiterer Pfad vom Platz wieder weg. Als sie näher auf den Pfad zugingen, schien es, als würde sich der Nebel zunehmend lichten.

Dann tauchten plötzlich mehrere massive Umrisse aus dem Nebel auf. Als sie dem Pfad folgten, wurden aus den Umrissen Gebäude, die sich aus dem dichten Dschungel erhoben. Früher dürften hier nur vereinzelt Bäume gestanden haben. Allerdings hatte sich die Natur über die Zeit hinweg das zurückgeholt, was ihr einst gehörte.

Immer dünner wurde der Nebel. Wilhelm und Eckbert trauten ihren Augen nicht. Die Gruppe stand auf einer Anhöhe und schaute in eine etwas tiefer liegende Senke hinab. Zwischen Urwaldriesen und dem dichten Grün des Dschungels ragten Dutzende Gebäude empor. Einige von ihnen waren zerfallen oder halb eingestürzt. So weit das Auge reichte, erkannten sie zwischen den Bäumen aus Steinquadern errichtete Bauwerke.

Dann brachen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und tauchten das Tal in ein goldenes Licht. Wilhelms Blick fiel auf die Mitte des Tals. Mit weit geöffneten Augen suchte seine Hand nach Eckberts Arm. »Siehst du das?«

»Was denn, Wilhelm?«

Dann zeigte Wilhelm auf den Berg, der sich in der Mitte der Senke erhob. Eckbert richtete seinen Blick auf diesen Berg und kniff die Augen zusammen. Dann erkannte auch er, was Wilhelm bereits entdeckt hatte.

»Mann, Wilhelm, der Soldat hatte Recht. Es ist eine Pyramide. Das muss der Tempel der Sterne sein! Wir haben sie gefunden! Wie viele Jahrhunderte hier wohl kein Mensch mehr war? Nun haben wir sie wiedergefunden, es ist Askara, die erste Stadt! Sie muss es sein!«, sagte Eckbert voller Ehrfurcht.

Tatsächlich konnten sie bei genauerem Hinsehen unter dem dichten Blätterwerk vereinzelte Linien von sorgfältig angelegten Steintreppen, die zu einem Eingang unterhalb des höchsten Punktes führten, erkennen. Wilhelm bemerkte, dass die Form des Pyramidentempels tatsächlich eine merkwürdige Struktur aufwies. Es schien, als würde der Tempel aus drei Ebenen bestehen. Bevor Wilhelm seine Vermutung seinem Freund mitteilen konnte, durchbrach ein markerschütternder Schrei die Stille und hallte im Tal wider.

Schockartig erstarrte Wilhelm. Die nächsten Minuten erschienen ihm vollkommen surreal. Bevor er wusste, was passierte, sah er, wie der Hauptmann seine Soldaten anwies ins Dickicht zu feuern, gleichzeitig flogen aus verschiedenen Richtungen Holzspeere und Pfeile über sie hinweg. Dann drehte sich der Hauptmann um und befahl den Rückzug.

Wilhelm wurde von dem kleineren Anzugträger umgerannt und fiel zu Boden. Eckbert half ihm auf und beide zögerten keine Sekunde und folgten dem Mann. Überall brachen halbnackte rötliche Gestalten aus dem Unterholz und griffen die Gruppe an. Die Soldaten feuerten kurze, gezielte Salven auf die Angreifer.

Als Wilhelm und Eckbert den gepflasterten Platz erreicht hatten, holten sie die Soldaten wieder ein. Nur der zweite Anzugträger tauchte nicht mehr auf. Hinter ihnen verschwand das Tal samt der versunkenen Stadt langsam wieder ihm Nebel. Die Luft war jetzt von wildem Kriegsgeschrei erfüllt. Die Schreie kamen immer wieder aus verschiedenen Richtungen, als würden die Eingeborenen versuchen, ihre Beute in eine Richtung zu treiben.

Die Soldaten hatten Wilhelm, Eckbert und den Mann der Landa Limited wieder in ihre Mitte genommen. Die Gruppe lief nun im Laufschritt den schmalen Pfad entlang. Als sie die beiden steinernen Figuren passiert hatten, verstummten abrupt die Schreie der Verfolger.

Eckbert atmete auf. »Ich glaube, wir haben es geschafft!«

»Ich bin mir da nicht so sicher! Noch sind wir in ihrem Territorium!«, erwiderte Wilhelm keuchend.

Keine Minute später tauchte ein Speer aus dem Nebel auf und traf den Soldaten hinter Eckbert in die Wade. Mit schmerzerfülltem Gesicht stolperte er zu Boden, die anderen Soldaten zögerten nicht, sofort feuerten sie in die Richtung. Sie schossen blind in den Nebel hinein. Kurz darauf rauschte aus der anderen Richtung ein weiterer Pfeil heran und verfehlte den Hauptmann nur um Haaresbreite. Dieser gab den Befehl zum sofortigen Weiterlaufen. Zwei Soldaten halfen dem am Boden kauernden Mann auf, einer der beiden zog ihm den Speer aus dem Bein. Mehrere Speere rauschten nun aus dem dicken weißen Nebel auf sie zu. Es war wie ein Wunder, dass keiner dieser Speere sein Ziel traf.

Als sie die Fahrzeuge erreichten, starteten die Soldaten die Motoren und brachten alle Überlebenden umgehend aus der Gefahrenzone. Die Wächter der alten Stadt verfolgten sie allerdings immer noch, die Soldaten feuerten mit allem, was sie hatten. Mehrere Angreifer gingen im Kugelhagel zu Boden, bis die Welle von Angreifern abebbte und der Dschungel nur noch von dem lauten Brummen der Motoren erfüllt wurde.

Als die Gruppe in dem kleinen Militärcamp in Fogoso eintraf, wurde sie von einem Ärzteteam und weiteren Soldaten in Empfang genommen. Nach einer kurzen Untersuchung wurden Wilhelm und Eckbert in zwei getrennte Zelte geführt. Dort mussten sie einem Vertreter der brasilianischen Regierung, einem hochrangigen Mitglied des Militärs und einem Vertreter der Landa Consolidated Mines Limited schildern, was sie erlebt hatten.

Nach einem stundenlangen Verhör wurden sie in ein Zelt mit Feldbetten geführt. Eckbert ließ sich erschöpft auf eines von ihnen nieder. Wilhelm setzte sich auf das Feldbett daneben und musterte ihn.

»Was hast du ihnen erzählt?«, fragte er ihn mit einem besorgten Gesichtsausdruck.

Eckbert schnaufte und richtete sich auf. »Nichts. Ich habe ihnen nur erzählt, dass wir in diesem Tal alte Ruinen gefunden haben, die vielleicht zu den Maya gehören. Dass es zu gefährlich ist, sie zu erforschen. Ich habe die Empfehlung ausgesprochen, dieses Gebiet unter den Schutz der Regierung zu stellen, um dem dort lebenden Volk ihre heiligen Stätten zu lassen!«, erwiderte Eckbert ihm ernst.

Wilhelm schaute ihn etwas irritiert an. »Ich habe ihnen etwas Ähnliches gesagt, allerdings bin ich der Meinung, dass wir diese Stadt untersuchen sollten!«

»Der Meinung bin ich auch. Leider ist jetzt nicht die Zeit dafür. Ich habe einen Marschbefehl der SS erhalten. Sie wollen, dass ich Leiter der Abteilung Sicherung des Ahnenerbes werde. In Deutschland herrscht Krieg und ich soll die archäologischen Ausgrabungen und Expeditionen leiten. Ich erhalte unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten. Die Ideologie der Nazis ist mir zwar egal und ich teile sie keineswegs, aber ich will diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Zudem hat die Landa Limited die Gelder für die Expedition und weiterer Projekte hier auf Eis gelegt. Die Deutschen sind in Holland eingefallen und die Landa Limited muss erst einmal sehen, wie es dort weitergeht! Ich denke, sie müssen ihr Kapital in Sicherheit bringen«, erklärte ihm Eckbert etwas enttäuscht, aber auch mit Vorfreude auf die Zukunft.

Wilhelm wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte. Er schaute seinem alten Freund in die Augen. »Also endet unsere Reise hier?«

Eckbert nickte ihm zu und antwortete kurz und unbestimmt: »Vorerst, ja!«

Seitdem hat kein Mensch der modernen Welt einen Fuß in dieses Gebiet gesetzt. Bald geriet die versunkene Stadt, samt ihrem Geheimnis, in Vergessenheit.

Der Zug

(In der Gegenwart im Eulengebirge, Woiwodschaft Niederschlesien. Nahe der polnischen Stadt Wałbrzych.)

Sie streiften schon seit einiger Zeit durch den Wald nahe des Schlosses Fürstenstein.

»Glaubst du wirklich, dass hier was ist? Das Gebiet wurde doch schon mit Hilfe zahlreicher Wissenschaftler untersucht und die Vermutung der Schatzsucher wurde zunichte gemacht.«

»Ich glaube sogar fest daran, dass wir den Zug hier finden. Die Wissenschaftler hatten auch nicht unsere Hinweise. Du wirst sehen, mein junger Freund, Hartnäckigkeit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zahlt sich aus!«, antwortete Henry ihm.

Er schob dabei zwei Sträucher auseinander und glitt zwischen ihnen hindurch. Auf der kleinen Lichtung hielt er inne. Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach der Bäume auf sie herab. Die Blätter raschelten in der sanften Brise.

Isaac konnte nichts Auffälliges erkennen. Der Boden war von Gras und Laub bedeckt, ein paar wilde Blumen reckten ihre Blüten den Sonnenstrahlen entgegen. »Hier ist nichts.«

Henry antwortete ihm nicht, stattdessen holte er sein Notizbuch aus der Umhängetasche und blätterte darin. Dann las er eine Passage und holte ein GPS-Gerät aus der Tasche. »Es muss hier sein, der Zug muss hier sein. Es ist der Motor des Lebens und kann es auch wieder nehmen, es ist die stärkste Kraft auf Erden. Es versteckt den Eingang, du musst genau hinschauen«, murmelte er.

»Aber was soll das heißen? Ich glaube ja, dass der alte Mann in dem Kloster nicht ganz auf der Höhe war.«

Henry beachtete ihn nicht, er murmelte noch einige Sätze, dann klappte er das Notizbuch zu und verstaute es wieder in der Tasche. Danach zog er eine Karte des Gebietes aus ihr heraus. Er studierte sie kurz und rief: »Natürlich, los komm, ich weiß, wo der Eingang ist!« Er stopfte die Karte in die Tasche zurück und lief los.

Isaac wusste nicht so recht, was los war, und folgte Henry. Sie liefen durch den Wald, bis sie an eine Klippe gelangten.

»Das ist der Fürstensteiner Grund, eine circa 50 Kilometer lange Schlucht. Was ist die stärkste Kraft auf Erden? Es schenkt Leben und nimmt es auch wieder?«

Bevor Isaac antworten konnte, sprach Henry weiter: »Wasser. Es ist der Grundstein unseres Lebens und es kann eine unvorstellbare Kraft entwickeln, zum Beispiel in Form von Tsunamis oder wilden, reißenden Flüssen. Es ist auch dafür verantwortlich, dass dutzende Lebewesen ihren Tod finden können. Wenn Wasser genügend Zeit hat, dann bahnt es sich seinen Weg sogar durch massive Felswände, so wurde zum Beispiel der Grand Canyon oder eben die Schlucht vom Fluss Pelcznica dort unten geformt!«

Sie schauten die Klippe hinunter und sahen gut fünfzig Meter unter ihnen einen reißenden und wilden Fluss, der sich schäumend und sprudelnd um eine Linksbiegung wand. Als sie flussaufwärts schauten, sahen sie, dass nicht weit von ihnen das Schloss Fürstenstein hoch oben auf einer Klippe thronte. Ihr Blick fiel nun auf die Felswand unterhalb des Schlosses, wo sich der Fluss gegen die Felswand drückte.

»Jetzt verstehe ich. Dort unten in der Flussbiegung gibt es einen Eingang zu dem Tunnel. Das Wasser muss sich durch die Felswand gearbeitet haben. So konnte der alte Mann damals vor den Nazis fliehen«, erkannte Isaac.

»Jetzt hast du es. Was dort unten wirklich ist, werden wir sehen, wenn wir dort sind!« Henry zeigte auf eine Stelle in der Biegung, an der sich das Wasser in einem kleinen Wirbel bewegte. Offenbar traf das Wasser dort unterhalb der Wasseroberfläche auf ein Hindernis.

»Wir haben doch nichts zum Klettern dabei?«, fragte Isaac.

Doch Henry lief schon den Rand der Klippe entlang. Oberhalb der Stelle machte er sich daran, die raue Felswand hinabzuklettern.

»Das ist doch Wahnsinn, Henry. Was ist, wenn wir abstürzen?«

»Es gibt hier genügend Vorsprünge, um Halt zu finden. Du kannst aber auch hierbleiben und die Vögel beobachten. In der Zwischenzeit schreibe ich Geschichte.« Er kletterte weiter hinab.

Isaac zögerte und kletterte ihm schließlich etwas widerwillig hinterher. Henry wusste, dass Isaac kein Feigling sein wollte.

Es dauerte gut zehn Minuten, dann kamen sie auf einem größeren Felsvorsprung oberhalb der Wasserverwirbelung an. Sie konnten unter der Wasseroberfläche eine Betonmauer erkennen. Diese reichte bis knapp unter die Wasseroberfläche und ragte gut einen Meter in den Fluss hinein.

»Isaac, das ist eine Treppe aus Beton. Gut zwei Meter tiefer ist eine glatte Betonfläche, ein Bootsanleger oder so was ähnliches. Natürlich, der Wasserstand muss vor dem Bau des Staudammes flussabwärts geringer gewesen sein. Jetzt liegt sie unter Wasser. Der Bau wurde 1950 fertiggestellt. Seitdem dürfte die Treppe im Wasser liegen und in Vergessenheit geraten sein!«

»Also doch kein Lüftungsschacht. Aber warum haben die Russen die Tür nicht gefunden oder jemand anderes?«

»Na ganz einfach, weil der Tunnel nicht direkt zu dem Stollen führt, in dem der Panzerzug versteckt ist! Das wird nur ein Zugangstunnel zur Anlage sein! Den Russen war dieser bestimmt bekannt, allerdings dürfte er uninteressant für sie gewesen sein. Und niemand, der nicht unsere Information besitzt, würde hier so etwas vermuten. Pläne der Anlage gibt es nicht.«

Isaac ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht selbst darauf gekommen war.

»Okay, Isaac, ich muss ins Wasser und schauen, ob die Tür dort unten zu öffnen ist. Hier, ich binde mir das Seil um den Bauch und du sicherst mich! Okay?«

»Ins Wasser? Das ist doch eiskalt!«

Henry band sich das Seil um den Bauch und schaute erwartungsvoll zu Isaac.

»Okay, pass auf dich auf, Hen…«

Bevor Isaac seinen Satz beenden konnte, hatte Henry seine Tasche abgelegt und verschwand mit den Füßen voran im Wasser. Isaac verfolgte, wie Henry sich an der Innenwand der Treppe Richtung vermuteter Tür abstieß. Dann verschwand Henry unter Isaac und dieser konnte ihn nicht mehr sehen.

Knapp eine Minute später zog Isaac prüfend an dem Seil, da Henry immer noch nicht aufgetaucht war. Fünf Sekunden später tauchte Henry auf und hielt sich am Felsvorsprung fest. Durch die Betonmauer staute sich das Wasser an der Stelle so sehr, dass die Strömung nicht allzu stark war.

»Da ist in der Tat eine schwere, halb verrostete Stahltür. Der Reichsadler ist nur noch ansatzweise zu erkennen. Ich muss noch einmal runter, der Hebel sitzt fest, aber ich denke, ich habe es gleich! Gib mir mal bitte meine Taschenlampe aus der Tasche!«

Isaac bückte sich, kramte kurz in der Tasche und reichte Henry seine Lampe, dann tauchte dieser wieder ab. Kurz darauf drang ein Schwall Luftblasen an die Wasseroberfläche und mittendrin tauchte Henrys Kopf auf.

»Okay, ich habe die Tür geöffnet. Der Tunnel ist gut zwei Meter mit Wasser vollgelaufen. Zum Glück führt er aufwärts. Los komm, bind dir das andere Ende des Seils um den Bauch, ich ziehe dich dann rein!« Erneut verschwand Henrys Kopf unter Wasser und aus Isaacs Blickfeld.

Henry glitt in den Gang hinein und schwamm das kurze Stück, bis er die Wasseroberfläche sehen konnte. Er zog sich so weit aus dem Wasser, dass er sich auf den Boden des Korridors setzen konnte. Dann leuchtete er mit der Lampe ins Wasser, um Isaac den Weg zu zeigen.

Kurz darauf erkannte er Isaacs Umrisse im diffusen Tageslicht, welches mit dem Wasser von draußen hereindrang. Er half ihm heraus und Isaac setzte sich auf den Boden neben ihn. Henry löste den Knoten des Seils, stand auf und schaute sich den Korridor hinter sich genauer an. Isaac keuchte und versuchte, seinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Henry leuchtete den Korridor entlang. Es schien, als würde dieser eine gedehnte Rechtsbiegung machen.

»Los komm! Ich hoffe, du hast deine Lampe dabei!«, sagte Henry und machte sich auf, dem Gang zu folgen.

Nach ein paar Metern mündete der Gang in einem weiteren Gang. Die Luft roch modrig und alt. Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Die beiden blieben an der Kreuzung stehen. Henry leuchtete den Gang links hinunter. Nach zehn Metern traf der Lichtkegel auf einen Geröllhaufen. Die Tunneldecke war eingestürzt. Riesige Betonbrocken und verbogene Stahlträger versperrten den Weg.

Der rechte Gang war frei, soweit sie das erkennen konnten. An der Wand, die ihnen gegenüber lag, war ein Hakenkreuz mit schwarzer Farbe aufgemalt. Links daneben stand unter einem Pfeil: Schloss Fürstenstein. Rechts daneben konnten sie nur noch den Hauch eines Pfeiles erkennen, auch das Wort darunter war nur noch schwer zu entziffern.

»Rechts ist eine Sackgasse, das würde auch erklären, warum hier unten so lange keiner mehr war. Was steht da unter dem rechten Pfeil? Ei… Eisenbe… Eisenbä…«, versuchte Isaac das Wort zu entziffern.

»Eisenbahn!«, sagte Henry.

»Du meinst, dort geht es zum Bahnhof?«

»Ja. Oder sie haben eine unterirdische Achterbahn mit dem Namen ‚Eisenbahn‘ gebaut. Ich hoffe allerdings, dass es der Bahnhof ist! Na komm, lass es uns herausfinden!«

Isaac grinste und folgte Henry. Der Gang führte gut 100 Meter leicht bergab und endete in einer riesigen Halle. Es war ein Kopfbahnhof mit zwei Gleisbetten. In der Mitte war ein Gehsteig errichtet. Die Halle war leer, kein Zug oder auch nur ein Anzeichen eines Zuges war zu sehen.

»Mann, das ist ja riesig hier, wozu haben die Nazis das hier gebaut?«, fragte Isaac staunend.

»Dieser Bahnhof, samt dem Tunnelsystem und dem Schloss Fürstenstein, gehörten von 1943 bis 1945 zu dem Projekt Riese. Hitler wollte hier sein neues Führerhauptquartier errichten als Ersatz für die Wolfsschanze, dem ehemaligen Führerhauptquartier in Ostpreußen. Die meisten Tunnel hier sind noch im Auffahrzustand. Das heißt, die Tunnel sind noch nicht fertig. Leider wurden die Pläne für dieses Projekt vernichtet, daher ist es schwer, die genaue Größe der Anlage zu erschließen. Die gefundenen Teile dieser Anlage deuten darauf hin, dass sie gigantisch ist und sich über eine Strecke von zehn Kilometern erstreckt! Die gesamte Führungsriege der Nationalsozialisten sollte hier unterkommen«, erklärte Henry, während er die Halle ableuchtete.

»So ein Mist, dann kann der Zug ja praktisch überall sein! Hier ist auf jeden Fall nichts, kein Zug. Der alte Mann hat uns an der Nase herumgeführt und sich einen Scherz erlaubt!«

»So schnell gebe ich nicht auf. Er muss hier sein, ich bin mir sicher.«

»Okay, du bist der Doktor und Professor von uns beiden. Wo sollen wir nun suchen? Laufen wir die Schienen entlang und schauen, ob es eine Abzweigung gibt?«

»Genau das werden wir machen!«, antwortete Henry und sprang auf die Gleise. Isaac tat es ihm gleich und sie folgten der Bahntrasse.

Die Wände der Tunnel, die sie bisher passiert hatten, waren immer wieder mit Nazisymbolen verziert. Am Ende des Gehsteiges vereinigten sich die beiden Bahngleise und führten in einen Tunnel. Nach einiger Zeit passierten sie einen weiteren Reichsadler, der auf die rechte Tunnelwand aufgemalt worden war. In seinen Krallen hielt er das Hakenkreuz. Die beiden schenkten dem Symbol wenig Aufmerksamkeit und folgten dem Tunnel weiter.

Nach einer guten halben Stunde blieb Isaac enttäuscht stehen. »Henry, hier ist nichts. Wer weiß, wie weit wir dem Tunnel noch folgen können, ohne überhaupt etwas zu finden. Letzten Endes verlaufen wir uns noch in dem Tunnelsystem!«

Henry blieb wie angewurzelt stehen. Isaac leuchtete ihn von hinten an. Henrys langer Schatten warf eine gespenstische lange Silhouette an die Tunnelwand.

»Henry? Was ist? Okay, ich bin ja auch dafür, dass wir weitersuchen, aber ich weiß nicht, ob wir hier richtig sind!«

Henry drehte sich um und schaute ihn lächelnd an. Dann ging er nichts sagend an Isaac vorbei. Ihn hatte die Erkenntnis wie ein Schlag vor den Kopf getroffen. Innerlich ärgerte er sich darüber, dass es ihm nicht gleich aufgefallen war. Schnell musste er zu der Stelle zurück.

Er folgte dem Gang, bis er an die Stelle kam, an der der letzte Adler aufgemalt war. Er leuchtete das Symbol mit seiner Lampe ab und hielt über dem Hakenkreuz inne. Er musterte es und grinste. Isaac kam zu ihm und verstand nicht, was Henry in dem Symbol sah. Für ihn sah es ganz normal aus. Er erkannte den Adler mit seinen ausgebreiteten Flügeln, der in seinen Krallen einen runden Kranz hielt, in dessen Mitte das Hakenkreuz abgebildet war. Es handelte sich für ihn um nichts Besonderes oder Auffälliges.

Dann durchfuhr es ihn wie vom Blitz getroffen. Das Hakenkreuz sah irgendwie verdreht aus, die Balken waren zu gerade. Es hätte eigentlich leicht schräg stehen müssen.

»Mann, Henry siehst du das? Ist das ein Fehler oder Absicht?«

»Das, mein guter Isaac, ist bestimmt kein Fehler des Konstrukteurs oder Malers, sondern ein versteckter Türmechanismus der Nazis. Sehr clever! Für jeden Nicht-Regime-Zugehörigen wäre das hier nur eine Nazi-Schmiererei, doch jeder Nazi würde sofort erkennen, dass das Hakenkreuz hier verdreht ist. Moment …«

Henry legte vorsichtig eine Hand auf das Hakenkreuz und drehte es leicht. Das gesamte runde Steinsymbol samt Kranz drehte sich um 90 Grad, stoppte dann und versank leicht in der Wand. Kurz darauf rollte die gesamte Betonwand gut einen Meter zur Seite und gab den Blick auf einen fast drei Meter breiten Tunnel frei. Staub und muffige Luft schlugen ihnen entgegen.

»Das ist ja genial!«, staunte Isaac.

Sie schlichen den Tunnel entlang. Dieser bestand nur aus rauem, schroffem Felsen und wurde immer schmaler. Wasser tropfte von der Decke. Die Lichtkegel der Taschenlampen huschten über die Felswände und trafen am Ende des Tunnels auf ein Eisentor. Ein riesiges Hakenkreuz war auf dem kalten Stahl zu sehen.

»Noch ein Tor? Warum das? Ich verstehe das nicht!«

»Ich vermute, dass dieser Tunnel hier eine Art Hintertür ist. Wir sollten nachschauen, was hinter dem Tor ist!«, sagte Henry und drückte Isaac seine Stablampe in die Hand.

Er ging zu dem Handrad, welches an der rechten Seite des Tores angebracht war. Mit aller Kraft versuchte er, das Rad zu drehen, doch nichts geschah.

»Mist, das Rad muss festgerostet sein. Gib mir mal die Taschenlampe!« Henry nahm die längliche Eisenstablampe und steckte sie quer in das Handrad. »Los, komm her. Du drückst auf der anderen Seite nach oben und ich ziehe hier nach unten!«

Isaac stellte sich neben Henry, nahm seine Lampe zwischen die Zähne und griff nach der verkeilten Stablampe.

»Okay, auf drei!«, sagte Henry und Isaac nickte ihm zu. »Eins, zwei, drei!«

Beide drückten und zogen so fest, wie sie konnten, bis das Rad sich mit einem leisen Quietschen löste. Schnell drehte Henry weiter an dem Rad, bis die Stahlverstrebungen der Tür nachgaben und das Tor langsam zu ihnen aufschwang. Henry schob sich durch den schmalen Spalt und leuchtete die Rückseite des Tores ab.

»Habe ich mir doch gedacht. Die Rückseite sieht aus, als wäre es naturbelassener Fels. Ich wette, das Tor fügt sich nahtlos wieder in den Felsen ein, wenn es geschlossen wird. Die perfekte Tarnung!«

Kaum hatte Henry seinen Satz beendet, hörte er Isaacs begeisterte Stimme: »Wow, ist er das? Das ist ja eine Festung auf Schienen. Ein Monster!«

Henry drehte sich um und der Schein seiner Taschenlampe traf die schwer gepanzerte Lokomotive.

»Mann, der muss gut 200 Meter lang sein. Und diese Geschütztürme sind einfach gewaltig!«, staunte Isaac, der am Zug entlangging.

Der Zug bestand aus zehn Waggons, die unterschiedliche Funktionen hatten. Fünf von ihnen und die Lokomotive hatten schwere Geschütztürme montiert. Die restlichen waren schwer gepanzerte Transport- oder Quartierwaggons für Truppen und Ausrüstungen. Jedenfalls vermutete Henry das anhand der Form und der optischen Beschaffenheit der einzelnen Abteile. Die Außenhülle war in braungrüner Tarnfarbe bemalt.

Das Ende des Tunnels konnte Henry mit seiner Taschenlampe nicht erfassen, er konnte nur noch Isaacs Lichtkegel am Ende des Zuges erkennen, der gerade hinter dem letzten Waggon verschwand. Henry ging etwas näher an die Lokomotive heran. Neben ein paar Stahlstreben, die zum Führerhaus hinaufführten, fand er eine Aufschrift. In schwarzen Buchstaben geschrieben stand da: »Pz. 0 / AH«; darunter war ein Balkenkreuz zu sehen. In altdeutscher Schrift stand darunter nur ein Wort: Wolf.

Henry schritt etwas zurück und leuchtete nachdenklich die folgenden Waggons hinunter. »Der Zugname lautete Wolf, ein Pseudonym, das an Adolf anlehnt. Er muss es sein! Ich glaube, wir haben ihn gefunden! Über 70 Jahre lag er versteckt unter der Erde. Wo ist denn Isaac schon wieder? Ich muss wissen, was in diesem Zug ist!«

In diesem Moment hörte er eine Stimme, die von hinten näher kam: »Henry, auf der anderen Seite ist ein weiterer Tunnel, der allerdings verschüttet ist. Neben dem Tunneleingang steht: ‚Schloss Fürstenstein‘ und weitere Orte des Komplexes!«

»Das erklärt, wie die SS-Leute damals diesen Bahnsteig betreten haben. Ich vermute auch, dass dieser Tunnel von dem restlichen Schienennetz isoliert werden kann, sodass er als Tunnelabzweigung im System nicht auftaucht. Aber schau mal hier.« Henry zeigte auf die Zug-Bezeichnung.

Isaac ließ das Licht seiner Lampe darüber gleiten, dann las er den Namen des Zuges und hielt inne. Nach ein paar Sekunden wandte er seinen Blick Henry zu. Er konnte nicht so recht glauben, was er da las, und wiederholte es leise: »Pz. 0 / AH, Wolf? Hitlers Zug!«

Henry grinste und rief: »Ja, in der Tat.«

»Mann«, sagte Isaac immer noch etwas ungläubig.

»Los, lass uns die Waggons untersuchen!«, forderte Henry seinen Assistenten aufgeregt auf.

Sie gingen an dem ersten Geschützwaggon vorbei und kletterten an den Stahlstreben des folgenden Transportwaggons hinauf. Henry öffnete die schwere Stahltür und leuchtete ins Innere. Henrys Lichtkegel fiel in einen Lagerraum, in dem mehrere Überseekisten aus Holz standen. Diese waren mit Nummern und spezifischen Kennzeichen versehen. Henry ging zu einer der vordersten Kisten, die gut zwei Meter hoch und drei Meter lang war. Er las die Aufschrift: Schloss Friedland, Böhmen, Kiste 12/28. Dann ging er zur nächsten Kiste, die das gleiche Format hatte. Auf dieser stand: Schloss Friedland, Böhmen, Kiste 24/28. In dem Waggon standen 28 Kisten, die einen groß wie ein Schrank, die anderen klein wie eine handliche Kiste.

Er schaute sich nachdenklich in dem Waggon um. »Hmm, ich bin mir nicht sicher, was hier gelagert ist. Lass uns mal in den nächsten Transportwaggon gehen!«, sagte er zu Isaac und ging zur hinteren Stahltür. Er kletterte in den nächsten Lagerwaggon und ließ seinen Lichtkegel wieder durch das Abteil schweifen.

»Was hast du, Henry?«

»Ich weiß es noch nicht. Die Kisten hier sind kleiner und es scheint, dass diese hier nicht zusammenhängen. Gib mir mal bitte das Stemmeisen da von der Wand hinter dir!«

Isaac drehte sich um und gab Henry die massive Eisenstange. Henry rammte das Eisen in den Spalt unterhalb des Holzdeckels und drückte es kräftig nach unten. Das Holz knirschte und gab ein wenig nach. Henry wiederholte diesen Vorgang an ein paar verschiedenen Stellen unterhalb des Deckels, bis dieser nachgab und mit einem hölzernen, dumpfen Krachen auf dem Metallboden aufschlug. Holzwolle kam zum Vorschein.

Isaac nahm Henry das Stemmeisen aus der Hand und ging zu einer anderen Kiste.

Henry ließ seine Hand in die Holzwolle gleiten, seine Finger trafen auf etwas Kaltes und Festes. Er griff danach und zog es heraus. Eine kleine goldene Statue kam zum Vorschein. Er musterte sie und legte sie auf die Seite, dann ließ er seine Hand erneut in die Holzwolle gleiten. Seine Hand ergriff eine Kugel. Er zog sie heraus und erkannte, dass es keine Kugel war, sondern ein Reichsapfel eines Königs. Er runzelte die Stirn, legte ihn schnell auf die Seite und schaute sich die Beschriftung der Kiste an. Dort stand Gorki, darunter folgten Zahlen und kyrillische Buchstaben. »Was ist in deiner Kiste?«

»Moment, ich habe es gleich!« Ein knirschendes Geräusch schallte durch den Waggon. »Wenn ich das hier richtig … Oh Mann, Henry, Gold!«, rief Isaac aufgeregt. »Dutzende Goldbarren sind hier in der Kiste!«

»Lass uns die anderen Kisten aufmachen!«

Sie öffneten die restlichen Kisten und fanden hunderte Gold- und Silbermünzen, Gold- und Platinbarren, diamantbesetzte Schmuckstücke, Gemälde und andere Kostbarkeiten.

»Mann, so viel Gold, oh schau, da ist noch eine kleine Kiste!«, sagte Isaac, hockte sich vor die kleine Holzkiste und machte sich daran, sie zu öffnen. »Wie viel das alles wohl wert ist?«, fragte er, während er den Holzdeckel mit dem Stemmeisen bearbeitete. Es war eine kleine Kiste ohne Beschriftung. Sie sah aus, als würde sie nicht zu den restlichen Kisten im Waggon gehören.

»Unbezahlbar, Isaac! Aber ich glaube, ich weiß, wem es gehört!«

»Das weißt du?«, fragte Isaac ihn ungläubig und schaute skeptisch zu ihm auf.

»Ja, auf den Kisten steht ein Wort, das mir etwas sagt: Gorki. Nischni Nowgorod ist eine russische Stadt an der Wolga und eine der wichtigsten Städte in Russland. Zur Nazizeit hieß sie Gorki. Dorthin wurde zu Beginn des ersten Weltkrieges ein großer Teil des Zarengoldes gebracht, der andere Teil fiel an die Stadt Kasan. Der größte Teil des Schatzes ging während der Revolution verloren und ist bis heute verschollen. Offenbar ist es den Nazis gelungen, auf ihren Feldzügen in den Osten Teile des Schatzes zu finden und hierher zu bringen«, erklärte Henry.

Isaac war es gerade gelungen, den Deckel der Kiste zu öffnen. Er leuchtete in die Kiste, fand jedoch kein Gold, keine Diamanten oder Ähnliches. Henry schaute grüblerisch zu Boden und strich sich dabei geistesabwesend über sein Kinn.

»Hmm, offenbar haben sie auch wertlose Sachen hier gelagert. In der Kiste ist nur ein alter Hut, Fotos, lose Notizblätter, ein paar Bücher und anderer Kram!«, merkte Isaac enttäuscht an. Dann nahm er ein altes kleines, schwarzes Ledernotizbuch heraus und schlug es auf. Dort stand handschriftlich geschrieben: Tagebuch von Eckbert Jankuhn.

»Hmm, die Kiste gehörte wohl einem Eckbert Jankuhn, zumindest ist sein Tagebuch darin gewesen!«, bemerkte Isaac murmelnd an.

Henry blickte hellhörig auf. »Was hast du gesagt?«, fragte Henry begierig und schaute Isaac erwartungsvoll an.

»Die Kiste hier muss einem Eckbert Jankuhn gehören. Hier ist sein Tagebuch!« Er hielt es Henry hin. Dieser nahm es und blätterte kurz darin. Dann klappte er es zu, steckte es in seine Jackentasche und sagte euphorisch: »Komm, Isaac! Wir müssen zurück in den anderen Waggon. Wenn ich richtig liege, haben wir die dritte Sensation gefunden.« Henry kletterte hastig, während er redete, die Stufen hinab und lief zurück zu dem vorderen Transportwaggon. Jetzt habe ich endlich eine Spur zu dir gefunden Großvater, wo auch immer du bist, ich werde dich finden.

Isaac folgte ihm. »Was meinst du? Wovon redest du? Das Tagebuch ist eine Sensation?«, wollte Isaac wissen, während er die Stahlstreben hinter Henry emporkletterte.

»Eckbert Jankuhn war ein Freund meines Großvaters. Sie haben zusammen in Amerika studiert. Zusammen haben sie den Schlüssel des Salomon gesucht, aber nicht gefunden, soweit ich weiß. Ihre Suche wurde vom Zweiten Weltkrieg unterbrochen«, erklärte er und versuchte gleichzeitig, eine der großen Kisten zu öffnen.

»Isaac, leuchte mal bitte! Im Zweiten Weltkrieg wurde Jankuhn dann von den Nazis einberufen, um die Abteilung der archäologischen Ausgrabung und Artefakt-Sicherung zu leiten. Keiner weiß so recht, was die Nazis im Krieg alles erbeutet und gefunden haben. Ich glaube allerdings, dass Jankuhn ein imposantes und lang verschollenes Kunstwerk wiedergefunden hatte. Die Nazis haben es dann hier versteckt, um es in Sicherheit zu bringen! Hilf mir mal bitte mit der Seitenwand. Wir lehnen die Holzwand gegen die Kisten auf der anderen Seite!«

Sie schleiften die Holzwand auf die andere Seite und stellten sie ab. Dann leuchteten sie in die offene Kiste hinein. Holzwolle quoll aus ihr.

»Was finden wir da drin?«, fragte Isaac.

»Nach Schloss Friedland in Böhmen sollte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges das achte Weltwunder gebracht und dort im Keller eingemauert werden. Bis heute ist es nicht mehr aufgetaucht und gilt als verschollen. Auf den Kisten steht der Name des Schlosses. In dem anderen Waggon haben wir einen Teil des Zarenschatzes gefunden und eine Kiste mit Eckbert Jankuhns Sachen!«

»Das achte Weltwunder?«, fragte Isaac nach.

Henry antwortete nicht. Er ging zu der offenen Kiste, entfernte die Holzwolle und trat ein paar Schritte zurück. Der Schein der Taschenlampen brach sich nun in den goldbraunen Mosaiksteinchen des Kunstwerkes. Der Raum erstrahlte jetzt in einem goldenen Schimmer.

»Was ist das? Gold? Oder Moment, ist das Bernstein?«

»Ganz genau, das ist Bernstein!«, erwiderte Henry mit strahlenden Augen und etwas Ehrfurcht vor der Schönheit des Bernsteinmosaiks. »Es ist ein Wandmosaik des lang verschollenen Bernsteinzimmers von Zarin Elisabeth. Es ist unbeschreiblich kostbar und an Schönheit kaum zu übertreffen. In Puschkin, nahe St. Petersburg, kann man heute eine Nachbildung dieses Zimmers besichtigen. Mann, das ist echt eine Sensation: Wir haben Hitlers Panzerzug gefunden, sowie einen großen Teil des Zarengoldes mitsamt dem verschollenen Bernsteinzimmer. 28 Kisten wurden damals benötigt, um es einzupacken. Ich habe mich umgesehen, es sind 28. Los, wir müssen nach Wałbrzych und zur Akademie der Wissenschaften. Der Zug muss geborgen werden!«

Die beiden kletterten aus dem Waggon, folgten dem geheimen Zugangstunnel zum benachbarten Gleistunnel und kletterten vom Gleisbett auf den Bahnsteig des Kopfbahnhofes.

»Wer kommt denn auf die Idee, ein Zimmer aus Bernstein zu bauen?«, fragte Isaac etwas flapsig, als sie dem Tunnel zurück zum Ausgang folgten.

»Das, Isaac, war der erste Preußenkönig Friedrich I. König Friedrich Wilhelm I. schenkte es dem russischen Zaren Peter dem Großen, und so gelangte es nach Russland. Zarin Elisabeth baute es dann in ihren Winterpalast ein.«

»Okay und wie sind die Nazis an das Bernsteinzimmer gelangt, wenn die Russen es schon weggebracht hatten?«

»Ich vermute, dass es den Russen nicht schnell genug gelungen ist und die Deutschen den Zug abgefangen haben. Sie haben den Zug geplündert und die Kisten hierher gebracht. Eckbert Jankuhn dürfte gewusst haben, was sie da gefunden hatten, allerdings ist er danach nicht mehr gesehen worden. Ich denke, Jankuhn wollte, dass so ein bedeutender Fund der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Den Nazis dürfte das nicht geschmeckt haben und sie beseitigten ihn! Denn Eckbert Jankuhn wurde zum Ende des Krieges nicht mehr gesehen.«

»Und das Zarengold?«

»Das, fürchte ich, bleibt ein Geheimnis der Nazis. Ich denke, in dem Zug sind noch mehr verschollene Schätze versteckt. Okay, wir sind am Eingang, du schwimmst als Erster und kletterst den Vorsprung hoch, dann ziehst du einmal feste an dem Seil. Ich folge dir dann!«

Isaac nickte ihm zu, band sich das Seil um die Hüften und glitt langsam in das kalte Wasser. Bald darauf verschwand seine Silhouette und Henry blieb allein in dem Gang zurück.

Henry holte eine kleine Plastiktüte, in der einmal ein Apfel gewesen war, aus seiner Tasche und steckte das Notizbuch Jankuhns hinein. Kurz überlegte er, es wieder in seiner Jackentasche zu verstauen, doch ein Gefühl der Vorsichtigkeit überkam und durchdrang ihn. Was, wenn sie jemand verfolgt hatte?, dachte er. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Er kramte in seiner Umhängetasche und holte eine Klebebandrolle heraus. Er klebte sich das Buch kurzerhand an die obere Innenseite seines Oberschenkels. Als er seinen Gürtel wieder zuschnallte, spürte er einen kräftigen Ruck am Seil.

Er glitt in das kalte Wasser und schwamm auf die Öffnung zu, durch die nun diffus orange-rotes Tageslicht schimmerte. Er tauchte auf, griff nach dem Klippenvorsprung und kletterte mit Isaacs Unterstützung auf den Felsvorsprung hinauf. Er setzte sich und atmete einmal tief durch. Die Luft war angenehm warm.

Er ließ seine Beine über das sich kräuselnde Wasser unter ihm baumeln. Er schaute sich um, die Sonne begann bereits hinter den Bergen des Eulengebirges zu versinken. Isaac stand neben ihm, Wasser tropfte von seiner Kleidung herab und bildete eine Pfütze unter ihm.

»Kannst du das glauben? Wir haben das Bernsteinzimmer in Hitlers Panzerzug gefunden, tief in der Erde in einem Stollen, unter einem Schloss versteckt. Das ist für die Geschichte und für die Archäologie ein bedeutender Fund. Ich hoffe, dass wir nun die Gelder bekommen werden, die wir brauchen, um die Suche nach dem Schlüssel unbegrenzt fortzusetzen!«