Das Geheimnis von Cloomber Hall - Arthur Conan Doyle - E-Book

Das Geheimnis von Cloomber Hall E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Das Geheimnis von Cloomber Hall ist eine mystische Novelle des Altmeisters Conan Doyle. John Fothergill West, ein Schotte, zieht mit seiner Familie von Edinburgh nach Wigtownshire um sich um das Anwesen seines Vaters' Halbbruders zu kümmern. Schon bald zieht in das nahe gelegene Anwesen Cloomber Hall ein ehemaliger General der Indien-Armee ein. Bald schon tragen sich dort unheimliche Geschehnisse zu und der General entwickelt immer größere paranoide Züge ...

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Das Geheimnis von Cloomber-Hall

Arthur Conan Doyle

Inhalt:

Sir Arthur Conan Doyle – Biografie und Bibliografie

Das Geheimnis von Cloomber-Hall

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Nachwort

Das Geheimnis von Cloomber-Hall, Arthur Conan Doyle

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849628116

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Sir Arthur Conan Doyle – Biografie und Bibliografie

Schott. Romandichter, geb. 22. Mai 1859 in Edinburg, verstorben am 7. Juli 1930 in Crowborough, Sussex. Stammt aus einer Künstlerfamilie (sein Onkel ist der Zeichner Richard D. am »Punch«, sein Großvater der berühmte Karikaturist John D.), erhielt seine Schulbildung zu Stonyhurst und in Deutschland, studierte 1876–81 zu Edinburg Medizin, praktizierte 1882–90 in Southsea und machte weite Reisen. Durch Poe angeregt, schrieb er Detektivgeschichten, deren Held Sherlock Holmes, von D. menschlich vertieft, zuerst 1889 in der Sammlung »The sign of Four« auftritt. Das Hauptwerk ist »Adventures of Sherlock Holmes« (1891); »The Memoirs of Sherlock Holmes« (1893) erzählen seine Ermordung. Als Verfasser historischer Romane ist D. bedeutender Vertreter der von Stevenson geweckten romantischen Renaissance: »Micah Clarke« (1888) ist eine interessante Studie aus dem 17. Jahrh.; »The White Company« spielt unter Eduard III.; zum Waterloo-Monument steuerte er 1892 »The Great Shadow« und das von Henry Irving 1894 mit Glück ausgeführte Drama »A story of Waterloo« bei. »The exploits of brigadier Gerard« schildert einen Heros der Großen Armee von ergötzlichem Selbstgefühl. Durch Schilderung Nelsons und seiner Umgebung ist »Rodney Stone« (1896) und durch solche Napoleons I. »Uncle Bernac« (1897) interessant. »The tragedy of the Korosko« (1897) ist ein Niederschlag der Erfahrungen Doyles als Berichterstatter im ägyptischen Feldzug 1896. Für Doyles Technik war der ältere Dumas vielfach bestimmend: unter dem Einfluß seiner »Drei Musketiere« stehen am deutlichsten die Abenteurerromane »The Refugees« (1891), »The captain of the Polestar« (1888) und »The doings of Raffles Haw«. 1898 erschien von ihm auch eine Sammlung frischer Soldatenlieder: »Songs of action«, augenscheinlich unter dem Einfluß Kiplings stehend. Seine ärztlichen Erlebnisse verwertete er in den Erzählungen »The captain of the Polestar« (1890) und in der Novellensammlung »Round the Red Lamp« (1894). In »The Stark Munro Letters« (1895) lieferte er mehr eine Reihe von Charakterbildern als einen Roman. Zu seinen jüngsten Schöpfungen gehören der reizende Roman »A Duet« (1899) und »The Green flag« (1901) sowie »The Great Boer War« (1900). Vieles ist auch ins Deutsche übersetzt worden.

Das Geheimnis von Cloomber-Hall

Erstes Kapitel.

Ich, James Fothergill West, stud. jur. auf der St. Andrews-Universität zu Edinburg, will in folgenden Zeilen eine wahre Geschichte in möglichst kurzer und bündiger Form erzählen, ohne durch eine gekünstelte Reihenfolge der verschiedenen Ereignisse den Eindruck derselben zu erhöhen. Es sollen vielmehr diejenigen, welche außer mir noch von den fraglichen Begebenheiten unterrichtet sind, meinem Berichte beistimmen können, ohne zu finden, daß ich auch nur in den geringfügigsten Einzelheiten von der strengen, ungeschminkten Wahrheit abgewichen bin. Zu diesem Zweck werde ich die notariell beglaubigten Aussagen eines gewissen Israel Stakes, ehemaligen Kutschers von Cloomber-Hall, und des Herrn John Easterling, Edinburg – jetzt praktischer Arzt in Stanvaer, Wigtownshire – aufführen und einen wörtlichen Auszug aus dem Tagebuch des Generalmajors John Berthier Heatherstone hinzufügen. Dieser Auszug betrifft Ereignisse, die sich gegen das Ende des ersten Afghanenkrieges im Herbste 1841 zutrugen mit einer detaillieren Beschreibung des Scharmützels im Terada-Passe und des Todes eines gewissen Ghoolab Shah. Im übrigen stütze ich mich auf die Aussagen von Augenzeugen, welche durch ihren intimen Verkehr mit dem Generalmajor J. B. Heatherstone imstande waren, ihn und was mit ihm zusammenhing, zu beurteilen.

Mein Vater, John Hunter West, war ein bekannter Orientalist, und sein Wort ist jetzt noch von großem Ansehen unter seinen englischen sowohl wie kontinentalen Kollegen. Er war es, der zuerst gleich Sir William Jones die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt auf die herrlichen Erzeugnisse der neupersischen Literatur lenkte, und seine Übersetzungen von Hafis und Ferideddin Attar trugen ihm den wärmsten Beifall solcher Autoritäten auf dem Gebiete kritischer Philologie, wie des Barons von Hammer-Purgstall und anderer, ein. Ja, in der Januarnummer der Orientalischen Zeitschrift 1861 wurde er als »der berühmte und sehr gelehrte Mr. Hunter West, Edinburg« bezeichnet, welche Notiz er ausschnitt und mit verzeihlicher Eitelkeit unter den kostbarsten Schätzen seines Familienarchivs aufbewahrte.

Er hatte sich ursprünglich der juristischen Laufbahn gewidmet, aber seine gelehrten Passionen nahmen so viel Zeit in Anspruch, daß ihm nur wenig Frist für seine Praxis übrig blieb. Wenn seine Klienten ihn in seinem Bureau in Cambers-Street aufsuchten, glänzte er meistens durch seine Abwesenheit; dafür konnte man ihn gewöhnlich unter staubigen Papieren begraben in der »Advocates Library« oder der »Philosophical Institution« finden, wo ihn das Tausende von Jahren alte Gesetzbuch des Manu weit mehr fesselte, als die verzwickten schottischen Pandekten des neunzehnten Jahrhunderts.

Es war daher kaum zu verwundern, daß er zur selben Zeit, als er den Zenit seiner Berühmtheit erreicht hatte, auch auf dem Boden seines Säckels angelangt war. Da sich in jener Zeit noch keine Professur für Sanskrit in Schottland befand und die Nachfrage nach den Produkten seiner Geistestätigkeit eine sehr geringe war, hätten wir uns wahrscheinlich in ein Stilleben zurückziehen müssen, in welchem die Aphorismen und Sprüche des Firdusi, Omar Chian und anderer uns für den Mangel an nahrhafterer Diät vielleicht entschädigt hätten. Aber durch die unerwartete Freigebigkeit seines Stiefbruders William Farintosh, des Gutsherrn von Branksome, Wigtownshire, wurden wir plötzlich aller Sorgen enthoben.

Der letztere war der Eigentümer eines großen Rittergutes, dessen Ergiebigkeit unglücklicherweise zu seiner ungeheuren Ausdehnung in keinem Verhältnis stand; es war ohne allen Zweifel der ödeste und kahlste Teil einer außergewöhnlich öden und kahlen Provinz. Da er aber als eingefleischter Junggeselle keine großen Ausgaben hatte, so war er imstande gewesen, durch den Verkauf einer besonderen Art von Lastpferden, die er auf den ausgedehnten Heideflächen züchtete, und mit Hilfe des Pachtzinses von seinen vereinzelten Meiereien nicht nur standesgemäß zu leben, sondern auch noch ein hübsches Konto zu seinen Gunsten auf der Bank anzulegen.

Solange wir noch verhältnismäßig wohlhabend waren, hatten wir wenig von unserem Verwandten gehört; aber gerade jetzt, als Matthäi am letzten war, kam wie ein Evangelium sein Brief, der uns seiner Sympathie und, was bedeutend wichtiger, seiner werktätigen Hilfe versicherte. Wir erfuhren, daß Mr. Williams Lungen schon seit geraumer Zeit angegriffen seien, und daß Dr. Easterling, der schon erwähnte Arzt in Stanvaer, ihm energisch geraten habe, die kurze Spanne Zeit, die ihm vielleicht noch zugemessen war, in einem wärmeren Klima zu verleben. Er hatte sich deshalb entschlossen, nach dem Süden Italiens aufzubrechen, und ersuchte meinen Vater, sich während seiner Abwesenheit des Gutes anzunehmen und für ein Gehalt, das uns aller Sorgen überhob, als sein Verwalter tätig zu sein.

Ich brauche kaum zu sagen, daß wir nicht lange zögerten, sein freundliches Anerbieten anzunehmen. Mein Vater reiste schon am selben Abend nach Wigtown ab, während meine Schwester Esther und ich – meine Mutter war schon vor einigen Jahren gestorben – mit zwei Kartoffelsäcken voll gelehrter Bücher und etwas Hausgerät in einigen Tagen nachfolgten.

Zweites Kapitel.

Ein englischer Gutsbesitzer würde sicherlich beim Anblick unserer neuen Heimat Branksome die Nase gerümpft haben; aber uns erschien sie wie ein Palast im Gegensatz zu den dumpfen, engen Zimmern, in denen wir bisher gehaust hatten. Das Gebäude war weitschweifig und niedrig, mit rotem Ziegeldache, Butzenscheiben und einer Anzahl von Zimmern mit verräucherten Decken und Eichengetäfel. Vor dem Hause lag ein Rasenplatz, umsäumt von einigen dünnen, schlechtgewachsenen Birken, die durch den ewigen salzigen Sprühregen, den der eisige Nordwestwind von der See herübertrug, verkümmert waren.

Landeinwärts lag der zu dem Gute gehörige Weiler Branksome-Bere – höchstens ein Dutzend kleiner Höfe, in denen arme Fischer wohnten, die in dem Gutsherrn ihren natürlichen Beschützer erblickten. Im Westen erstreckte sich der breite gelbe Strand und die Irische See, während sich in allen anderen Richtungen unabsehbare, grausig einsame Moore, graugrün im Vordergrunde und purpurfarben in der Entfernung, ausdehnten. Kahl und einsam war es an der Küste hier. Manche lange Meile konnte man wandern, ohne ein lebendes Wesen zu sehen, außer vielleicht den weißen, schwer beflügelten Möwen, die einander mit schrillen, traurigen Stimmen zuriefen.

Das einzige Zeichen, daß Menschen hier gehaust, war, wenn man einmal über Branksome hinaus war, der weiße Turm von Cloomber-Hall, der wie der Gedenkstein eines Hünengrabes über die ihn umgebenden Fichten und Lärchen emporragte.

Ein reicher Sonderling aus Glasgow, ein Menschenfeind, hatte sich dieses große Haus gebaut, aber zur Zeit unserer Ankunft hatte es schon lange, lange Jahre leer gestanden, und es schaute mit seinen wetterzerrütteten Mauern und leeren, dunklen Fenstern gar geisterhaft über die Böschung des Ufers hinaus. Leer und unbenutzt, diente es jetzt nur noch den Fischern als ein Wahrzeichen, da diese durch Erfahrung gelernt hatten, daß sie leicht ihren Weg durch die gefährlichen Felsenbänke, auf deren zackigen Rücken schon manch gutes Schiff zerschellt war, finden konnten, wenn sie den Schornstein unseres Hauses und den weißen Turm von Cloomber in einer Linie behielten.

Auf diesen wilden Fleck Erde hatte uns das Schicksal verschlagen; aber seine Einsamkeit hatte keine Schrecken für uns. Im Gegenteil, nach der entnervenden fieberischen Tätigkeit und Unruhe in einer großen Stadt und besonders der schwierigen Aufgabe, mit unserem kleinen Einkommen eine unser würdige Stellung zu behaupten, war uns die besänftigende, großartige Ruhe auf den unabsehbaren Heiden und die kräftige, stählende Seeluft höchst willkommen. Wir waren hier wenigstens von der lästigen Neugier und dem Geschwätz der Nachbarn befreit. Mit einem Phaethon und zwei Ponys, die der Gutsherr zurückgelassen hatte, machten mein Vater und ich unsere tägliche Runde auf dem Gute und verrichteten die vielerlei kleinen Geschäfte, die einem Verwalter zufallen. Unsere sanfte Esther besorgte den Haushalt und erhellte das düstere, alte Haus mit dem Sonnenschein ihrer arg- und sorglosen Jugend.

So verging die Zeit ruhig und einförmig, bis ein unerwartetes Ereignis sich zutrug, das die geheimnisvollen Vorgänge, den Kernpunkt meiner Erzählung, gleichsam vorauskündete. Es war meine Gewohnheit geworden, allabendlich in des Gutsherrn kleiner Jolle auf das ruhige Meer hinauszurudern und ein paar Weißfische für unser bescheidenes Nachtmahl zu fangen. Eines Abends war meine Schwester mit hinausgefahren und saß mit ihrem Buche im Stern der Jolle, während ich vorn meine Angel ausgeworfen hatte.

Die Sonne war hinter der schroffen irischen Küste versunken, aber noch bezeichnete eine goldüberflutete Masse von Wolken ihre Schlummerstatt. Die Wasser waren, so weit der Blick reichte, von feurigen Purpurstreifen umsäumt, und entzückt war ich aufgestanden, um das großartige, so alte und doch so ewig neue Panorama wieder zu bewundern. Da zupfte mich meine Schwester mit einem Ausruf ängstlicher Überraschung am Ärmel.

»Sieh doch nur, John,« rief sie, »da ist ja ein Licht im Turm von Cloomber-Hall!«

Ich wandte mich hastig um und schaute ganz überrascht nach dem weißen Turm, der hoch über die ihn umgürtenden Bäume hinausragte. Als ich hinsah, konnte ich hinter einem der Fenster einen Lichtschein wahrnehmen, welcher plötzlich wieder verschwand, um nach kurzer Zeit in einem höheren Stockwerke aufs neue sichtbar zu werden. Dort flackerte er eine Zeitlang, verschwand wieder und erschien dann nacheinander in den beiden unteren Etagen, bis die Bäume ihn unseren Blicken verbargen. Augenscheinlich hatte jemand mit einer Lampe oder Kerze die Turmtreppe erstiegen und war dann wieder in das eigentliche Haus zurückgekehrt.

»Wer in aller Welt kann das nur sein?« rief ich aus, mehr im Selbstgespräch als zu Esther. Konnte ich doch an ihrem verdutzten Gesicht sehen, daß ihr die Sache ebenso rätselhaft vorkam wie mir. »Vielleicht haben sich ein paar Leute aus Branksome den alten Kasten einmal ansehen wollen!«

Meine Schwester schüttelte den Kopf.

»Keiner von ihnen würde sich dem Gebäude auch nur auf zwanzig Schritt zu nähern wagen!« sagte sie. »Außerdem, John, hat der Agent in Wigtown die Schlüssel, so daß unsere Leute, wären sie auch noch so neugierig, nicht hineingelangen könnten.«

Als ich an das schwere Tor dachte und an die massiven Fensterladen, die das untere Stockwerk von Cloomber gegen neugierige Eindringlinge verwahrten, konnte ich nicht umhin, die Richtigkeit dieser Bemerkung anzuerkennen. Der Eindringling mußte also entweder seinen Eingang gewalttätig bewerkstelligt, oder sich irgendwie die Schlüssel verschafft haben. Das Geheimnisvolle der Sache reizte mich, und ich ruderte so schnell wie möglich dem Lande zu, um den nächtlichen Gast selbst zu sehen und mich – wenn möglich – über seine Absichten zu orientieren.

Meine Schwester in Branksome zurücklassend, rief ich einen alten Seemann, namens Seth Jameson, der früher auf einem Kriegsschiffe gedient hatte und vielleicht einer der stärksten Männer im Dorfe war, zu mir und ging mit ihm über das Moor hinüber dem Schlosse zu.

Als wir uns dem letzteren näherten und ich Seth meine Absicht mitteilte, wurden seine Schritte ständig kleiner, bis er schließlich ganz haltmachte.

»Mit dem Hause da ist's nicht recht geheuer,« sagte er wichtig. »Der Eigentümer selbst wagt sich bis auf 'ne gute Meile nicht heran.«

»Mag sein, Seth, aber dort ist jemand, der sich nicht vor Geistern zu fürchten scheint,« erwiderte ich, nach dem großen, weißen Gebäude deutend, das eben durch den Nebel sichtbar ward.

Das Licht, das ich vom Meere her beobachtet hatte, bewegte sich hin und her vor den unteren Fenstern, deren Läden geöffnet waren. Ein zweites schwächeres Licht folgte dem anderen ein paar Schritte entfernt. Augenscheinlich hielten zwei Personen, eine mit einer Laterne, die andere mit einer Kerze oder einem Sturmlicht, sorgfältige Rundschau im Hause.

»Was mich nicht brennt, das blas ich nicht,« meinte Jameson hartnäckig, ohne sich vom Fleck zu rühren. »Was geht's mich an, wenn sich irgendein Spuk oder Alp in Cloomber einnisten will? Damit ist nicht gut Kirschen essen!«

»Aber zum Henker!« rief ich. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ein Spuk hier in einer Kutsche vorfahren wird? Was sind denn das für Lichter dort am Ende der Allee?«

»Wagenlampen, ohne Zweifel!« erwiderte mein Begleiter erleichtert aufatmend. »Wollen doch mal sehen, woher sie kommen!«

Es war jetzt völlig dunkel geworden, und nur ein leuchtender Streifen tief im Westen war von dem feurigen Schauspiel, das ich vor einer Stunde bewundert hatte, übriggeblieben.

Wir stolperten schwerfällig über das Moor und gelangten schließlich auf die nach Wigtown führende Landstraße, da, wo zwei hohe Steinsäulen den Anfang der Schloßallee bezeichneten. Ein großer Jagdwagen stand vor dem Eingang.

»Jetzt weiß ich schon Bescheid!« rief Jameson, das verlassene Gefährt genau betrachtend. »Das Gespann kenne ich gut. Es gehört Herrn Mc. Neil, dem Verwalter aus Wigtown, der die Schlüssel hat.«

»Dann können wir ihn am Ende auch sogleich sprechen, da wir doch nun einmal hier sind. Wenn ich mich nicht irre, kommen sie eben.«

Während ich die letzten Worte sprach, hörten wir eine Tür schwerfällig zuschlagen, und nach einigen Minuten kamen zwei Männer, der eine eckig und lang, der andere kurz und gedrungen, durch die Dunkelheit auf uns zu. In eifrigem Gespräch begriffen, sahen sie uns nicht, bis sie den Torweg passierten.

»Guten Abend, Herr Mc. Neil,« sagte ich, vortretend und den Verwalter, den ich oberflächlich kannte, begrüßend.

Der kleine Mann kehrte mir sein Gesicht zu, und ich sah, daß ich mich nicht getäuscht hatte; sein Begleiter jedoch fuhr hastig zurück und verriet die heftigste Erregung.

»Was soll das heißen, Mc. Neil?« würgte er mit erstickter Stimme heraus. »Ist das Ihr Versprechen? Was bedeutet dies?«

»Ruhig Blut, Herr General, nur ruhig Blut!« antwortete der fette, kleine Agent beschwichtigend, als ob er zu einem Kinde spräche. »Dies ist nur der junge Herr Fothergill West aus Branksome. Es ist mir freilich nicht recht klar, weshalb er gerade heute abend hier ist. Da Sie aber sowieso Nachbarn sein werden, lassen Sie mich die Gelegenheit benutzen, Sie gleich miteinander bekannt zu machen: Herr West – Herr General Heatherstone. Der Herr General ist der zukünftige Pächter von Cloomber-Hall.«

Ich hielt dem General meine Hand hin, die er zögernd, halb widerstrebend, ergriff.

»Ich kam herüber,« erklärte ich, »weil ich Licht hinter den Fenstern scheinen sah und fürchtete, daß am Ende hier etwas nicht in Ordnung sei. Ich freue mich jetzt, es getan zu haben, da es mir Gelegenheit geboten hat, Ihre werte Bekanntschaft zu machen, Herr General!«

Während ich sprach, bemerkte ich, daß der neue Bewohner von Cloomber-Hall mich genau beobachtete. Als ich schwieg, streckte er seinen langen zitternden Arm aus und drehte die Wagenlaterne so, daß das Licht voll auf mein Gesicht fiel.

»Gütiger Himmel, Mc. Neil,« rief er wie vorhin, »der Kerl ist ja so braun wie Schokolade! Das ist doch kein Engländer! Sind Sie ein Engländer, mein Herr?«

»Ich bin ein geborener Schotte!« erwiderte ich. nur durch die große Aufregung meines neuen Freundes verhindert, in Lachen auszubrechen.

»Ein Schotte also?« sagte er, wie von einem Alp befreit. »Na, das ist heutzutage dasselbe. Sie werden mir's nicht übelnehmen, Herr West. Ich bin nervös, verteufelt nervös! Vorwärts, Mc. Neil, wir müssen in einer Stunde wieder in Wigtown sein. Gute Nacht, meine Herren, gute Nacht!«

Beide sprangen in das Gefährt, der Verwalter knallte mit seiner Peitsche, und der Wagen rollte durch die Dunkelheit davon, glänzende Lichtkegel nach beiden Seiten werfend, bis das Gerassel der Räder endlich in der Ferne verhallte.

»Nun was denkst du von unserem neuen Nachbar, Jameson?« fragte ich, um das lange Stillschweigen zu brechen.

»Wahrhaftig, Herr West, mir scheint's, als ob er recht hätte. Er ist verdammt nervös. – Vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen!«

»Eine schlechte Leber eher!« erwiderte ich. »Er sieht aus, als ob er seiner Gesundheit übel mitgespielt hätte. Aber es wird jetzt kalt, mein Junge, und es ist die höchste Zeit, daß wir nach Hause kommen.«

Ich wünschte meinem Begleiter gute Nacht und trabte über das Heideland nach Branksome zu, von woher mir schon von weitem das gastliche Licht des Wohnzimmers entgegenstrahlte.

Drittes Kapitel.

Wie sich leicht denken läßt, rief die Neuigkeit, daß das Schloß wieder bewohnt werden sollte, große Aufregung im Dorfe hervor, und zahllos waren die Hypothesen und Vermutungen, die von den Klatschbasen männlichen und weiblichen Geschlechts aufgestellt wurden, weshalb die Heatherstones sich gerade diesen weltabgelegenen Winkel zum Wohnplatz erwählt hätten. Daß die letzteren nicht etwa für eine kurze Zeit hier zu verweilen gedachten, wurde bald klar; denn Scharen von Handwerkern kamen von Wigtown herüber, und des Hämmerns, Sägens, Klapperns war kein Ende von Tagesanbruch bis spät in die Nacht hinein. Mit überraschender Schnelligkeit verschwanden die Spuren, die Wind und Wetter an den Wänden hinterlassen hatten, und ehe man sich 's versah, stand das alte Haus wieder frisch und freundlich da, als ob es eben erst erbaut wäre. Man konnte sehen, daß es dem General auf Geld nicht ankam und daß Not sicher nicht der Grund seiner Flucht aus der großen Welt war.

»Es ist möglich, daß er ein Gelehrter ist,« sagte mein Vater eines Morgens beim Frühstück, »und daß er sich diesen wildeinsamen Fleck Erde ausgesucht hat, um irgendein magnum opus zu beendigen. In dem Falle würde ich ihm mit Vergnügen meine Bibliothek zur Verfügung stellen.«

Esther und ich mußten uns das Lachen verbeißen, als er in solch großartiger Weise von seinen zwei Kartoffelsäcken mit Büchern sprach.

»Wohl möglich,« erwiderte ich, »aber während unseres kurzen Interviews machte er kaum den Eindruck eines Literaten auf mich. Mir kommt es eher vor, als ob er irgendeiner chronischen Krankheit halber von seinem Arzte hierher geschickt wäre. Wenn du seine wildstarrenden Augen und nervös zuckenden Finger gesehen hättest, würdest du selber zugeben, daß er der Erholung im höchsten Grade bedürftig ist!« –

»Mich soll nur wundern, ob er eine Frau und Familie hat,« meinte meine Schwester. – »Arme Seelen! Wie entsetzlich einsam werden sie sein! Es gibt ja außer uns im Umkreise von sieben Meilen und mehr keine Familie hier, mit der sie verkehren könnten!«

»General Heatherstone ist ein berühmter Offizier!« warf mein Vater ein.

»Nanu, Papa; was weißt du denn von ihm?«

»Ja, seht ihr,« lachte mein Vater, »da witzelt ihr über meine Bibliothek, und doch kann die zuweilen sehr nützlich sein.« Er langte ein rot eingebundenes Folio von seinem Bücherbrett herunter und blätterte darin herum. »Dies ist das ostindische Armeeregister für die letzten drei Jahre,« erklärte er, »und hier haben wir den Herrn, den wir suchen. J. B. Heatherstone, Oberst a. D. der ostindischen Armee, einundvierzigstes bengalisches Regiment zu Fuß, als Generalmajor pensioniert. Erstürmung von Ghuznee, Verteidigung von Jellalabad, Sobrasu 1848, Sepoy-Aufstand und Einnahme von Oudh. Fünfmal in offiziellen Telegrammen erwähnt. – Wir haben guten Grund, auf unseren neuen Nachbarn stolz zu sein, denke ich.«

»Es steht nicht darin, ob er verheiratet ist, nicht wahr?« fragte Esther.

»Nein!« schmunzelte mein Vater, über seinen eigenen Humor entzückt und behaglich mit dem Kopfe wackelnd. »Ich kann es unter der Rubrik ›Waghalsige Unternehmungen‹ nicht finden, obwohl es eigentlich dorthin gehört.«

Alle unsere diesbezüglichen Zweifel wurden jedoch bald zerstreut, denn als ich an demselben Tage, an welchem die Ausbesserung und Ausstattung des alten Schlosses beendet war, zufällig Gelegenheit hatte, nach Wigtown zu reiten, traf ich auf dem Wege den General, der mit seiner Familie nach Cloomber fuhr. Eine ältliche Dame von abgezehrtem und kränklichem Aussehen saß an seiner Seite, und beiden gegenüber neben einem jungen Burschen von ungefähr meinem Alter ein Mädchen, das ein paar Jahre jünger zu sein schien. Ich grüßte und wollte gerade vorbeireiten, als der General seinen Kutscher halten ließ und mir seine Hand entgegenstreckte. Ich konnte jetzt sehen, daß sein Antlitz, obwohl es hart und finster war, doch auch freundliche Züge aufzuweisen hatte.

»Wie geht's, Herr West?« rief er. »Ich muß mich noch wegen meines barschen Benehmens von neulich abend entschuldigen. Sie werden es aber einem alten Soldaten, der sein ganzes Leben lang im Geschirr zugebracht hat, wohl nicht übelnehmen. Sie müssen jedenfalls zugeben, daß Sie für einen Schotten eine sehr dunkle Gesichtsfarbe haben!«

»Wir haben spanisches Blut in unseren Adern,« erwiderte ich, obwohl es mir unerklärlich war, weshalb er auf diesen Punkt zurückkam.

»Das ist wahrscheinlich die Ursache,« bemerkte er, um dann zu seiner Frau gewendet fortzufahren: »Meine Liebste, darf ich dir Herrn Fothergill West vorstellen? Dies ist mein Sohn und meine Tochter. Wir sind hierher gekommen, um Ruhe zu finden, Herr West, vollkommene Ruhe!«

»Einen besseren Platz hätten Sie sich dazu nicht aussuchen können,« sagte ich.

»Meinen Sie?« antwortete er. »Ich glaube selbst, daß es hier sehr ruhig und einsam ist. Man kann wohl nachts hier manchen Weg machen, ohne eine Menschenseele anzutreffen, nicht wahr?«

»Wohl möglich,« entgegnete ich, »es gibt wenig Nachtwandler hier.«

»Und Sie haben nicht viel von Vagabunden und dergleichen Gesindel zu leiden?«

»Ich finde es ziemlich kalt hier,« unterbrach Frau Heatherstone ihren Gatten fröstelnd, indem sie ihren mit Seehundsfell gefütterten Mantel fester um sich zog. »Und außerdem halten wir Herrn West auf!«

»Das ist wahr, Schatz, du hast recht! Vorwärts, Kutscher! Gott befohlen, Herr West!«

Der Wagen rasselte davon, dem Schlosse zu, und ich trabte nachdenklich weiter nach der kleinen Landstadt.

Als ich Hig-Street hinaufritt, kam Herr Mc. Neil aus seinem Bureau gelaufen und winkte mir zu, anzuhalten.

»Unsere neuen Pächter sind hinübergezogen,« sagte er, »heute morgen fuhren sie fort.«

»Ich weiß,« antwortete ich, »ich traf sie auf dem Wege.«

Als ich mir den kleinen Verwalter näher ansah, bemerkte ich, daß sein Gesicht gerötet war und daß er augenscheinlich ein Glas über den Durst getrunken hatte.

»Mit solchen Leuten lassen sich noch Geschäfte machen,« lachte er, »da versteht man einander. Wieviel soll ich's machen? fragt der General, nimmt ein Scheckformular aus seiner Brieftasche und legt es auf den Tisch. Zweihundert Pfund, sage ich, dabei fällt dann für mich noch ein kleines Diskonto ab.«

»Ich dachte, der Eigentümer bezahlt Ihnen das?« bemerkte ich.

»Nun freilich. Aber doppelt hält besser! Er füllt also den Scheck aus und wirft ihn mir auf den Tisch, als ob es eine Briefmarke wäre. Das nenne ich Geschäft zwischen ehrlichen Leuten! Wollen Sie nicht einen Augenblick eintreten und einen Tropfen zu sich nehmen?«

»Danke sehr!« sagte ich. »Ich habe Geschäfte zu besorgen!«

»Recht so! Das Geschäft muß immer vorgehen. Frühmorgens sollte man überhaupt nichts trinken. Es bekommt einem nicht. Ich selbst trinke morgens nie etwas, außer vielleicht einen Tropfen vor dem Frühstück, um mir Appetit zu machen, und einen oder zwei nachher, der Verdauung wegen. Ich glaube selbst, daß ich vielleicht in dieser Sache ein wenig zu penibel bin, aber besser ist besser. Was denken Sie denn von Ihrem neuen Nachbar, Herr West?«

»Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, ihn genauer kennen zu lernen,« entgegnete ich.

Herr Mc. Neil deutete mit dem Mittelfinger auf seine Stirn.

»Wollen Sie wissen, was ich von ihm denke?« fragte er vertraulich. »Verrückt ist er! Was würden Sie zum Beispiel als ein Zeichen von Verrücktheit ansehen, Herr West?«

»Einem Wigtowner Hausagenten einen leeren Scheck anzubieten,« sagte ich.

»Spaßvogel Sie! Aber ernsthaft! Wenn jemand Sie fragte, wieviel Meilen es bis zum nächsten Hafen seien, ob dort Schiffe aus dem Orient hinkämen, ob sich hier Vagabunden umhertreiben und ob es gegen den Mietskontrakt sei, eine hohe Mauer um das Grundstück auszuführen – wofür würden Sie einen solchen Menschen halten?«

»Für sehr exzentrisch jedenfalls!« antwortete ich, und Herr Mc. Neil blinzelte mir vielsagend zu.

»Wenn der Mann dort wäre, wohin er gehört, brauchte er sich kein Kopfzerbrechen wegen der hohen Mauer zu machen.«

»Und wo ist das?« fragte ich.

»Im Wigtowner Irrenhause!« rief der kleine Mann, laut auflachend über seinen eigenen Witz, und ich ritt weiter.

*

Die Ankunft der neuen Familie in Cloomber Hall rief keine bemerkenswerte Änderung in der Einförmigkeit unseres Stillebens hervor. Anstatt an den einfachen Vergnügungen, die das Landleben darbot, teilzunehmen oder, wie wir gehofft, sich für unsere Bemühungen zu interessieren, das Los der armen Fischer und Kätner im Dorfe zu verbessern, schienen sie im Gegenteil alle Annäherung ängstlich zu meiden und sich kaum aus dem Tore des Gutes hinauszuwagen.

Es wurde auch bald klar, daß des Agenten Behauptung hinsichtlich der Umzäunung des Grundstücks nicht grundlos gewesen war, denn eine ganze Schar von Arbeitern begann auf einmal rastlos daranzugehen, dieses mit einem hohen Staket zu umgeben.

Als es fertig und mit scharfen Eisenspitzen versehen war, war Cloomber-Park, außer für einen ungewöhnlich gewandten und waghalsigen Kletterer, unnahbar. Es war, als ob bei dem alten Soldaten das Kriegführen zu einer fixen Idee geworden wäre, so daß er es auch in Friedenszeiten nicht lassen konnte.

Er ging sogar noch weiter. Das Schloß wurde verproviantiert, als ob ihm eine langwierige Belagerung bevorstände, und Begbic, der größte Viktualienhändler in Wigtown, erzählte mir selbst, daß der General hunderte von Dutzenden aller möglichen Konserven bei ihm bestellt hätte.

Man kann sich leicht denken, daß diese Vorfälle nicht ohne Eindruck auf das abergläubische Landvolk blieben. Im ganzen Kreise bildeten die neuen Bewohner von Cloomber-Hall das Tagesgespräch. Aber der einzige Schluß, zu dem die Leute kommen konnten, war die unter diesen Umständen sehr naheliegende Annahme, daß entweder der alte General und seine ganze Sippschaft verrückt seien, oder daß er irgendein entsetzliches Verbrechen begangen und sich hierher vor seinen Verfolgern geflüchtet habe.

Es ist wahr, daß der General sich bei unserem ersten Zusammentreffen wie ein Geistesgestörter benommen hatte, aber niemand hätte vernünftiger sein können, als er sich bei unserer zweiten Begegnung zeigte. Außerdem führten seine Frau und Kinder ganz dieselbe abgeschlossene Lebensweise; der Grund konnte deshalb nicht in seiner gestörten Gesundheit liegen.

Die Theorie, daß er ein Justizflüchtling sei, war noch unhaltbarer. Wigtownshire war zwar einsam genug, aber doch nicht so weltabgelegen, daß ein weitbekannter Offizier hier spurlos zu verschwinden hoffen konnte.

Ein Mann, der die Öffentlichkeit scheute, würde sich auch nicht in der Weise, wie der General es getan zum Tagesgespräch gemacht haben. Im großen und ganzen war ich geneigt, anzunehmen, daß des Rätsels Lösung in einer krankhaften Sucht nach Einsamkeit zu suchen sei. Wir erfuhren bald an uns selbst, bis zu welchem Grade die Familie von dieser Sucht nach vollkommener Einsamkeit besessen war.