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Für Leandra ist das Leben wirklich kein Zuckerschlecken.ihre Eltern streiten sich, sie hat keine Freunde und der Sommer ist lang und öde. Eines Tages erscheint ein kleiner Kobold und entführt das Mädchen in eine magische Welt. Dort lernt Leandra Dinge kennen, die es in ihrer Welt vorher nicht gab: Freundschaft, Spaß und spannende Abenteuer. Doch eine unbekannte Macht bedroht Leandras` neues Zuhause und das Mädchen lernt, für das zu kämpfen, was ihm wichtig ist.
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Seitenzahl: 265
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»Oh Mann, ist das langweilig! Mir schlafen gleich die Füße ein!«, murmelte Leandra und schlug sofort entsetzt ihre beiden Hände auf den Mund. Sie hatte es schon wieder getan!
»Leandra Kühn, was gibt es da zu flüstern?«
Schrill ertönte die Stimme ihrer Klassenlehrerin Frau Semmeleisen. Sie hatte graue Haare, die stets zu einem strengen Schopf zusammengebunden waren. Eine schwarze Strähne ließ erahnen, dass sie einst schwarzes, dichtes Haar gehabt haben musste. Mit ihrer dicken Brille durchbohrte sie das Mädchen mit stechenden Blicken.
»Du wagst es auch jetzt noch, kurz vor dem Beginn der Sommerferien, meinen Unterricht zu stören! Das ist eine Unerhörtheit! Aber darin hast du ja Übung, kleine Göre!«, setzte sie ihre Schimpftirade auf Leandra fort.
Beschämt blickte das Kind zu Boden, das Gelächter und leise Gespött seiner Mitschüler im Nacken. Ja, Leandra war nicht gerade beliebt in der Klasse. Zum einen fiel sie immer wieder durch ihr lautes Denken auf, was Leandra trotz intensiver Bemühungen nicht unterdrücken konnte, zum anderen war sie nach Meinung ihrer Klassenlehrerin Frau Semmeleisen bei jeder Auseinandersetzung, die sich innerhalb des Klassenraumes abspielte, die Anstifterin. Jedes Leugnen hatte härtere Strafen zur Folge und ihre Klassenkameraden wussten inzwischen die Schuld stets auf Leandra zu lenken. Anfangs protestierte Leandra mit Tränen, stampfte auf den Boden und schrie ihre Wut heraus. Sie versuchte es dann mit vernünftigen Argumenten, weinte bitterlich über die Ungerechtigkeiten und resignierte letztendlich vor der Lehrkraft und der gesamten Klasse. Leandras manchmal seltsames Verhalten und lautes Denken hatten sie langsam zur Außenseiterin werden lassen und ihrer Lehrerin war das scheinbar egal.
»Einen Sündenbock muss es immer geben!«, pflegten sie ihre Eltern stets zu trösten, was jedoch Leandra nicht gerade aufmunterte. Sie hatte ihre Rolle satt, konnte sich jedoch nicht gegen die gesamte Klasse wehren. Dafür fühlte sie sich einfach zu schwach.
»Nun?«
Frau Semmeleisen griff nach ihrer Brille und rollte die Augen, sodass sie fast aus den Augenhöhlen herauszufallen drohten. Artig erhob sich Leandra von ihrem Platz in der ersten Reihe, schüttelte ihre blonden, langen Locken, machte einen kleinen Knicks und entschuldigte sich in einem monotonen Ton für die Unterbrechung.
»Deinetwegen müssen die anderen nun warten, auch wenn der Gong gleich läutet!«
Just in diesem Moment ertönte das ersehnte Ringen im Schulhaus und man hörte von den Gängen lautes Türenknallen und erleichtertes Jubeln. Die anderen Schüler des St. Vincent-Gymnasiums in Meinhausen hatten es für dieses Schuljahr geschafft. Ein lautes Raunen und Stöhnen von Leandras Klassenkameraden war die Antwort darauf.
»Kannst du nicht mal am Ende des Jahres die Klappe halten?«, giftete sie Annemarie, Klassenprimus und Liebling der Lehrerin, von links an. Sie war dürr, viel zu groß für ihr Alter und trug stets links und rechts geflochtene Zöpfe. Für eine Dreizehnjährige wirkte sie viel zu erwachsen. Leandra drehte den Kopf zur Seite und streckte ihr die Zunge raus.
»Blöde Ziege!«, dachte sie.
Es war aber nicht Annemaries Reaktion, die Leandra fürchtete. In geduckter Haltung, den Kopf tief gegen die Schultern gepresst, drehte sie sich langsam um und sah geradewegs in stechend blaue Augen, die zu Angst einflößenden, schmalen Strichen zusammengepresst waren.
»Gregor Mikowsky!«, schoss es Leandra durch den Kopf und sie spürte, wie ihr Herz anfing zu rasen.
Mikowsky, der seine Mitschüler an Größe um Längen überragte, war in der gesamten Schule gefürchtet. Er war Anführer einer Bande von Jungen, die sich wahllos schwächere Opfer aussuchten, um sie auf ihre subtile Art zu quälen. Er ging dabei so geschickt vor, dass ihm nie jemand eine Schuld nachweisen konnte. Im Gegenteil: Es gelang ihm jedes Mal, den Opfern den schwarzen Peter zuzuschieben! Frau Semmeleisen legte stets schützend die Hand auf Gregors braune, stets nach oben gegelte Haare und entschuldigte seine Entgleisungen mit der Ausrede, Gregor hätte es nicht leicht zu Hause. Dabei sah er sie so unschuldig an und zog seine Mundwinkel gequält nach unten, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Leandra wusste aus eigener Erfahrung, dass sie von Gregor heute noch etwas zu erwarten hatte. Nachdem Frau Semmeleisen tief eingeatmet hatte, setzte sie ihre Litanei aus Tipps fürs neue Schuljahr fort. Leandra spürte die bohrenden und vorwurfsvollen Blicke ihrer Klassenkameraden im Rücken und machte sich deswegen klein wie eine Maus. Als die Lehrerin ihren Satz mit »… und nun wünsche ich euch erholsame und schöne Ferien« beendet hatte, erhob sich auch in der Klasse 7c lautes Jubeln, Lachen und Johlen. So schnell wie heute hatte sich das Klassenzimmer im ganzen Jahr nicht geleert. Leandra bekam den einen oder anderen Stoß in die Rippen, den ihr einige der ungeliebten Klassenkameraden als Erinnerung für die Ferien mitgaben. Plötzlich fiel ein gewaltiger Schatten über Leandras Tischpult und sie spürte einen langsamen, feuchten Atem neben ihrem Ohrläppchen.
Sie zitterte, als Gregor sich zu ihr hinunterbeugte und mit leiser Stimme flüsterte: »Heute ist dein Glückstag, Dummkopf. Da Ferien sind, will ich keine Sekunde länger für solche Nieten wie dich verschwenden! Aber freue dich schon mal aufs nächste Schuljahr! Du weißt, ich vergesse nie jemanden!«
Mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen richtete er sich wieder auf, schlug ihr mit seinen Turnschuhspitzen gegen das Schienbein und zog dicht gefolgt von drei seiner Bandenmitglieder aus Leandras Klasse von dannen. Frau Semmeleisen hatte von dieser Drohung wieder einmal nichts mitbekommen, denn sichtlich genervt von dem lauten Getöse, hatte sie das Zimmer noch vor Gregor und seiner Bande verlassen. Jetzt erst wich die Spannung aus Leandras Körper. Ihr Schienbein schmerzte. Langsam packte sie ihren Stift und Block in die Tasche und stand auf. Dann humpelte sie zur Tür. Sie wartete am Ausgang des Klassenraumes und schielte in den langen, dunklen Flur. Bevor sie das schützende Zimmer verließ, wollte sie sich vergewissern, dass sie im Gang keine böse Überraschung erwarten würde. Sie schlich in den Flur und horchte. Leandra atmete aus und blies die Luft durch ihre aufgeblähten Backen. Sie war nun alleine in dem großen, menschenleeren Schulhaus. Leandra schossen Tränen in die Augen.
»Das Schlimmste ist, dass ich an meiner verhassten Situation nichts ändern kann«, schluchzte sie leise und stampfte ärgerlich mit ihren Turnschuhen auf den harten Steinboden des Schulhauses. »Warum kann ich meine Klappe einfach nicht halten. Kein Mensch außer mir spricht so viel unüberlegtes Zeug wie ich«, ärgerte sie sich und wischte hastig eine dicke Träne, die ihr langsam über die Wangen lief, aus dem Gesicht.
Sie wusste nicht, von wem sie diese ungeliebte Verhaltensweise geerbt hatte, aber insgeheim verfluchte sie dieses schlummernde Gen in ihrem Körper, denn es hatte ihr schon zu viel Ärger eingebracht. Als Leandra an der Pforte angekommen war, versteckte sie sich hastig hinter einer kleinen Mauer, denn sie entdeckte ihren Todfeind Gregor Mikowsky, der mitten auf dem Schulhof herumlungerte. Er wartete sichtlich ungeduldig auf jemanden. Scheinbar war er der letzte Schüler außer ihr, der sich noch auf dem Gelände befand. Sofort wurde ihr Atem schneller und ein flaues Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Diesem Fiesling wollte sie heute wirklich nicht mehr begegnen! Leandra schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass er sie während der Ferien vergessen würde! Eine laute Hupe ließ sie zusammenzucken. Leandra sah einen uralten VW-Bus heranbrausen. Mit einem lauten Quietschen kam der Wagen schließlich zum Stehen. Das Auto schien überladen mit Gepäck zu sein, sogar auf das Dach waren Koffer geschnürt. Der Vierräder sah aus wie ein voll bepackter Supermarkt-Einkaufswagen. Scheinbar genervt und von diesem Monsterauto peinlich berührt, ließ Gregor seine Adleraugen über das Gelände streifen. Er wollte sicher sein, dass ihn keiner beobachtete. Leandra machte sich so klein wie eine Maus und Schweißperlen rannten ihr über die Stirn.
»Hoffentlich entdeckt er mich nicht«, wimmerte sie leise und merkte, wie ihre Zähne vor Schreck zu klappern begannen.
Mikowsky wirkte zufrieden, schlenderte langsam auf den Wagen zu, riss die Türe auf und kroch behäbig ins Innere. Das laute Zuschlagen der Tür ließ Leandra abermals zusammenzucken. Schließlich rauschte das seltsame Auto davon. Leandra löste sich aus ihrer verkrampften Haltung und richtete sich auf. Sie streckte ihr Kreuz durch und reckte sich ausgiebig.
»Wer immer auch Gregor abgeholt hat, hatte es sehr eilig«, dachte sie laut und schritt die Stufen des Eingangsportals herunter.
Nun stand Leandra da und trat ihren Heimweg – wie immer – alleine an.