Das Gesetz der Serie - Val McDermid - E-Book

Das Gesetz der Serie E-Book

Val McDermid

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Beschreibung

Gloria Kendal, Star der Seifenoper »Nordlichter«, erhält plötzlich aggressive Drohbriefe. Kate Brannigan soll ihr als Leibwächterin Schutz bieten. Genervt von der Egomanie der schauspielenden Zunft und den langweiligen Dreharbeiten, will Kate schon hinschmeißen – doch da ist bereits die erste Leiche im Kasten!

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Val McDermid

Das Gesetz der Serie

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Inhaltsübersicht

Für Tessa und Peps, [...]Prolog1. KapitelSonne in der Jungfrau im fünften Haus2. KapitelSonne im Trigon mit dem Mond3. KapitelVenus im Quadrat mit Neptun4. KapitelMond im Quadrat mit Mars5. KapitelJupiter im Krebs im dritten Haus6. KapitelVenus im Löwen im vierten Haus7. KapitelSonne-Merkur-Konjunktion8. KapitelMond im Stier im zwölften Haus9. KapitelMars am Imum Coeli10. KapitelMerkur in der Jungfrau im fünften Haus11. KapitelMond im Quadrat mit dem Medium Coeli12. KapitelMerkur im Quadrat mit dem Aszendenten13. KapitelSonne-Pluto-Konjunktion14. KapitelJupiter im Trigon mit Saturn15. KapitelPluto in der Jungfrau im fünften Haus16. KapitelSonne-Uranus-Konjunktion17. KapitelMond im Trigon mit Merkur18. KapitelUranus in Opposition zu Saturn19. KapitelNeptun im Skorpion im sechsten Haus20. KapitelJupiter im Trigon mit Neptun21. KapitelSaturn in den Fischen im elften Haus22. KapitelMars im Löwen im vierten HausEpilogSaturn im Trigon mit Neptun

Für Tessa und Peps, die Scylebert-Zwillinge

(alias Margaret & Nicky)

Danke für all das Gelächter –

über Isa werden wir nie einer Meinung sein

Ich war viele Jahre Journalistin bei einer Zeitung, die sich mit wachsender Besessenheit der Welt der Seifenopern widmete. Mit dem Ergebnis, dass ich mehr vom Privatleben verschiedenster Berühmtheiten vergessen habe, als ein anständiger Mensch wissen will. Trotzdem sind die fiktive Seifenoper Nordlichter und ihre Mitwirkenden zur Gänze Produkte meiner Phantasie. Jede Ähnlichkeit mit realen oder fiktiven Charakteren einer laufenden Fernsehserie wäre völlig zufällig und unbeabsichtigt. Nebenbei bemerkt lohnt es sich nicht, mich zu verklagen.

In rechtlichen Dingen berieten mich Brigid Baillie, Jai Penna und Paula Tyler; etwaige Fehler sind entweder der Dramatik wegen absichtlich eingebaut oder beruhen schlichtweg auf Unwissenheit. Auch Jennifer Paul steuerte entscheidende Informationen bei, wofür ich im Gegenzug verspreche, niemals die Geschichte über den Golden Retriever weiterzuerzählen.

Ich danke meinen Agentinnen Jane Gregory und Lisanne Radice und meinen Lektorinnen Julia Wisdom und Karen Godfrey, die mich dank der Wunder der elektronischen Post über Länge und Breite dreier Kontinente hinweg mit Fragen überschütten konnten.

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Prolog

Auszug aus der Computerdatenbank von Dorothea Dawson, Sterndeuterin

 

Was in den Sternen steht

für Kate Brannigan, Privatdetektivin

 

Geboren in Oxford, Großbritannien, 4. September 1966

Sonne in der Jungfrau im fünften Haus

Mond im Stier im zwölften Haus

Merkur in der Jungfrau im fünften Haus

Mars im Löwen im vierten Haus

Jupiter im Krebs im dritten Haus

Saturn rückläufig in den Fischen im elften Haus

Uranus in der Jungfrau im fünften Haus

Neptun im Skorpion im sechsten Haus

Pluto in der Jungfrau im fünften Haus

Chiron in den Fischen im elften Haus

Aszendent: Zwillinge

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1. Kapitel

Sonne in der Jungfrau im fünften Haus

Positive Eigenschaften: erfinderisch, wortgewandt, diplomatisch, ordentlich, methodisch, urteilskräftig und pflichtbewusst. Negative Eigenschaften: pingelig, überkritisch, detailversessen und mangelndes Selbstbewusstsein, oft durch Arroganz kaschiert. Das fünfte Haus deutet auf eine Spielernatur hin.

Aus: Was in den Sternen steht von Dorothea Dawson

Meine Klientin war gerade im Begriff, eine schallende Ohrfeige zu kassieren. Hilflos sah ich von der anderen Straßenseite aus zu. Mein Adrenalinspiegel stieg, aber ich konnte es unter keinen Umständen rechtzeitig zu ihr rüber schaffen. Das ist das Problem mit der Leibwächterei. Du kannst eine Klientin mit einem Aufgebot an Rutger-Hauer-Klonen und Möchtegern-Jean-Claude-Van-Dammes in kugelsicheren Westen umgeben, es kommt immer der Moment, in dem sie ungeschützt ist. Und wer ist dann wohl schuld? Deshalb gilt für Leute, die jemand zum Aufpassen suchen, bei Brannigan & Co. Ermittlungen und Sicherheitsberatung die Regel: »Das machen wir nicht.«

Aber Weihnachten rückte näher, und die Gans war magersüchtig. Das Geschäft schleppte sich dahin wie eine Warteschlange am Postschalter, und selbst unkonventionelles Personal wie meines erwartet pünktlich sein Gehalt. Außerdem verdiente auch ich einen Festtagsbonus. Zum Beispiel was zu essen. Also schickte ich mein besseres Wissen vorzeitig in die Weihnachtsferien und nahm eine Klientin an, die, wie sich herausstellen sollte, mehr Unglück auf sich zog als Coco der Clown.

Diesmal war es nicht meine Schuld, dass die Klientin an vorderster Front stand. Ich hatte keinen Einfluss auf die Ereignisse da draußen auf der Straße. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte sie nicht aufhalten können. Da ich diesmal von der Pflicht einzuschreiten entbunden war, stand ich mit den Händen in den Taschen da und beobachtete, wie Carla Hardcastles Arm in einem furchteinflößenden Bogen zu einem krachenden Schlag ausholte, der das überhebliche Grinsen von Brenda Barrowcloughs selbstzufriedenem Gesicht wischte. Ich hielt den Atem an.

»Und Schnitt«, sagte die Regisseurin. »Sehr schön, Mädels, aber ich möchte das noch mal haben. Gloria, dein selbstgefälliges Grinsen war gut, aber könntest du es an der Stelle ablegen, als du merkst, dass sie dich wirklich schlagen wird? Und ein wenig Empörung zeigen?«

Meine Klientin schenkte ihr ein geduldiges Lächeln, das so ehrlich war wie ein Bettler, der um Geld für Tee bittet. »Was immer du sagst, Helen, Schätzchen«, erwiderte sie mit der dunklen, raspelnden Stimme, die das ganze Land dreimal pro Woche in Atem hielt, wenn wir während Manchesters Hauptbeitrag zur Welt der Seifenopern unsere Mikrowellenmahlzeiten in uns hineinschaufelten. Dann drehte sie sich übertrieben zwinkernd zu mir um und rief: »Schon gut, Schätzchen, ist alles nur Show.«

Alle drehten sich um und starrten mich an. Es gelang mir zu grinsen und dabei die Zähne zusammenzubeißen. Diese Begabung ist im Privatdetektivgeschäft sehr nützlich. Mich mit skrupellosen Schwachköpfen abgeben zu müssen, macht mich manchmal echt fertig. Und ich rede nur von den Klientinnen und Klienten.

»Das ist mein Bodyguard«, verkündete Gloria Kendal alias Brenda Barrowclough der gesamten Besetzung und Crew von Nordlichter.

»Wir sind alle draufgekommen, dass sie nicht dein Körperdouble ist«, versetzte die Schauspielerin, die die Carla spielte und im richtigen Leben genauso säuerlich zu sein schien wie die Figur, die sie in der Serie verkörperte, welche das britische Publikum seit nahezu zwanzig Jahren fesselte.

»Na, hoffentlich wirst du nur von Zwergen angegriffen«, fügte Teddy Edwards hinzu. Er war einst als Komiker im Theater des Arbeiterclubs aufgetreten, hatte aber offensichtlich zu lange Glorias Serienehemann gespielt und dabei jedes komische Talent verloren, das er jemals besessen hatte. Ich bin auf Socken vielleicht nur eins sechzig, aber ich müsste nur wenige meiner Thaibox-Kenntnisse anwenden, um einen Fettkloß wie ihn in die Knie zu zwingen. Ich durchbohrte ihn mit Blicken und bin schamlos genug zuzugeben, dass ich es genoss, als er sich räusperte und wegsah.

»In Ordnung, beruhigt euch«, rief die Regisseurin. »Alle auf ihre Plätze, bitte, und die Szene noch mal von vorn.«

»Bitte etwas Ruhe da hinten«, fügte jemand anders hinzu. Ich fragte mich, wie seine Berufsbezeichnung lautete und wie lange ich mich in Fernsehstudios herumtreiben musste, um herauszufinden, wer was in einer Hierarchie macht, die »Schwenker«, »Lichtsetzer« und mehr Mädchen für alles umfasste, als ich zählen konnte. Wie es aussah, würde ich lange genug Zeit dafür haben. Dieser Job ließ viel Raum für müßige Gedanken. Wenn Gloria drehte, war Ruhe angesagt. Ich konnte keine Fragen stellen, niemanden belauschen oder irgendwo einbrechen, um an die Informationen zu kommen, die für den Abschluss des Falls nötig waren. Mir blieb nichts zu tun als gegen die Wand gelehnt zuzusehen. Es war nichts annähernd Glamouröses daran, dem siebten Take einer Szene beizuwohnen, die ohnehin weit entfernt von Shakespeare war. So ist das nun mal bei Jobs, das Bewachen der Königin der Seifenopern war ungefähr so exotisch wie zu beobachten, wie Regen an einer Scheibe hinunterrinnt.

Begonnen hatte es ganz anders. Als Gloria in unser Büro geschwebt kam, wusste ich sofort, dass dies kein Routinefall sein würde. Bei Brannigan & Co., der Privatdetektei, die ich betreibe, bieten wir ein breites Spektrum von Dienstleistungen an. Anfangs, als Bill Mortensen noch mein Geschäftspartner war, befassten wir uns vor allem mit Wirtschaftskriminalität, Computersicherheit, Industriespionage und –sabotage und unterschiedlichsten Ermittlungen, die Freundinnen und Freunde uns gelegentlich bescherten. Jetzt war Bill nach Australien gegangen, und ich musste mein Netz weiter auswerfen, um zu überleben. Bei ein paar Anwaltskanzleien hatte ich mir das Zustellen von Vorladungen wiedererkämpft, dem Briefkopf »Überwachung« hinzugefügt und Versicherungen überredet, mich mit der Aufklärung von Versicherungsbetrug zu beauftragen.

Trotzdem kündigte Gloria Kendals Auftauchen in unserem Büro etwas völlig Außergewöhnliches an.

Nicht, dass ich sie sofort erkannt hätte. Auch Shelley nicht, die Büromanagerin, und sie hat den Röntgenblick aller Teenagermütter. Als Gloria auf einer Woge White Linen von Estée Lauder zur Tür hereinrauschte, dachte ich zuerst, sie wäre ein Opfer häuslicher Gewalt. Ich konnte mir keinen anderen Grund vorstellen, warum sie an einem nassen Dezembernachmittag in Manchester einen breitkrempigen Hut und eine Wraparound-Sonnenbrille trug.

Über Shelleys Schulter hinweg sah ich mir gerade Informationen an, die sie aus dem staatlichen Firmenverzeichnis heruntergeladen hatte, als eine Frau die Tür aufstieß, innehielt und dramatisch im Türrahmen stehen blieb. Sie wartete, bis wir beide aufsahen und die teure Eleganz ihres Regenmantels und die Güte des leuchtend grünen Seidenkostüms darunter registrierten, dann setzte sie auf niedrigen, farblich genau auf das Kostüm abgestimmten Pumps drei wohlbemessene Schritte in den Raum. Ich weiß nicht, wie es Shelley erging, aber mir, fürchte ich, war mein Erstaunen anzusehen.

Die Pose der Frau hatte etwas Erwartungsvolles. Shelleys »Kann ich etwas für Sie tun?« änderte nichts daran.

Die Frau lächelte, ihre in der Farbe schwarzer Kirschen perfekt geschminkten Lippen bewegten sich. »Das hoffe ich, Schätzchen«, sagte sie, und ihr Geheimnis war enthüllt.

»Gloria Kendal«, hauchte ich.

»Brenda Barrowclough«, erkannte Shelley im selben Augenblick.

Gloria schmunzelte. »Sie haben beide recht. Aber das soll unser kleines Geheimnis bleiben, ja?« Ich nickte einfach. Die einzige Möglichkeit, ihre Identität je geheim zu halten, war, dass sie den Mund hielt. Nach drei kurzen Sätzen war klar, die Stimme, die Brenda Barrowclough zum Liebling der Imitatoren der gesamten Unterhaltungsbranche gemacht hatte, war etwas, das Gloria nicht aufsetzte und zusammen mit der wasserstoffblonden hochtoupierten Perücke, ihrem Markenzeichen, ablegte. Gloria sprach wirklich breitesten Nordmanchester-Dialekt, mit dem rauhen Grollen eines Bulldozers in niedrigem Gang.

»Was kann ich für Sie tun, Ms. Kendal?«, fragte ich, als mir meine guten Manieren wieder einfielen, und trat hinter der Rezeption hervor. Sie mochte zwar kein Generaldirektor im grauen Anzug sein, aber sie hatte eindeutig genug auf der Bank, um uns allen ein sehr schönes Weihnachtsfest zu sichern.

»Nennen Sie mich Gloria, Schätzchen. Das heißt, nennen Sie mich, wie Sie wollen – nur nicht Brenda.« Nach zwanzig Jahren fernsehen kannte ich ihr rauhes Lachen so gut wie das meiner besten Freundin. »Ich suche Brannigan«, erklärte sie.

»Sie haben sie gefunden«, erwiderte ich und streckte ihr die Hand entgegen.

Gloria ließ eine schlaffe Hand in meine fallen und zog sie weg, bevor ich sie schütteln konnte – das typische Zeichen für eine, die übers Jahr zu viele Hände schütteln muss. »Ich dachte, Sie wären ein Kerl«, meinte sie. Zum ersten Mal war das keine Missbilligung, sondern eine reine Feststellung. »Das macht alles viel einfacher. Ich habe mich schon gefragt, was tun, wenn Brannigan & Co. keine Detektivinnen hat. Können wir irgendwo reden?«

»In meinem Büro?« Ich deutete zur offenen Tür.

»Bestens«, befand Gloria, rauschte an mir vorbei und winkte Shelley zum Gruß.

Wir schauten uns an. »Du hast es gut«, murmelte Shelley.

Als ich die Tür hinter mir schloss, hatte Gloria bereits in einer Ecke des Sofas Platz genommen, das zwanglosen Besprechungen mit Klientinnen und Klienten dient. Sie hatte ihren Hut abgenommen und lässig vor sich auf den Tisch gelegt. Ihr eigenes Haar war zart aschblond und in jungenhaftem Audrey-Hepburn-Stil geschnitten. Irgendwie sah es nicht lächerlich aus, obwohl die Frau auf die sechzig zugehen musste. Sie hatte die klare Haut einer viel jüngeren Frau, aber ohne die Barbiepuppen-Straffheit, die bei übereifrigem Facelifting auftritt. Als ich mich ihr gegenübersetzte, nahm sie die Sonnenbrille ab, und um die vertrauten grauen Augen entstanden Fältchen, als sie lächelte. »Ich weiß, es ist albern, aber obwohl die Leute die Brille anstarren, erkennen sie nicht Brenda dahinter. Sie denken einfach, ich wäre eine blöde reiche Kuh mit Hang zum Größenwahn.«

»Es muss sehr schwierig sein, ein normales Leben zu führen«, bemerkte ich.

»Sie sagen es, Schätzchen. Sie sehen dich dreimal die Woche in ihrem Wohnzimmer und glauben, du gehörst zur Familie. Du gibst dich zu erkennen, und als Nächstes erzählen sie dir von ihrer Leistenbruchoperation und dem Zustand ihrer Venen. Es ist ein Alptraum.« Sie schüttelte sich aus ihrem Mantel, öffnete ihre Handtasche und nahm ein Päckchen dieser langen, schlanken braunen Zigaretten heraus, die wie Zimtstangen aussehen, und ein goldenes Dunhill-Feuerzeug. Sie sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.

Ein Seufzen unterdrückend, stand ich auf und nahm die Untertasse unter dem Weihnachtskaktus weg. Ich hatte ihn erst vor zwei Tagen gekauft, aber die Knospen, die eine wunderschöne Blütenpracht versprochen hatten, begannen unweigerlich aufs Fensterbrett zu fallen. Ich und Pflanzen vertragen sich so gut wie Nord- und Südkorea. Ich goss das Wasser aus der Untertasse in den Abfalleimer und stellte sie Gloria auf den Tisch. »Tut mir leid«, sagte ich. »Was Besseres hab ich nicht.«

Sie lächelte. »Ich habe in einer Katzenfutterfabrik gearbeitet. Ich hab meine Kippen in weit Üblerem ausgedrückt, glauben Sie mir.«

Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken. »Nun, Gloria, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich brauche eine Leibwächterin.«

Ich zog die Brauen hoch. »Das machen wir normalerweise …«

»Dies sind keine normalen Umstände«, entgegnete sie scharf. »Ich will keinen gehirnamputierten Bodybuilder, der um mich herumscharwenzelt. Ich will jemanden mit Verstand, jemanden, der rausfindet, was zum Henker vorgeht. Jemand, der keine Aufmerksamkeit erregt. Mein halbes Leben schnappt die verdammte Presse nach meinen Waden, und was ich am wenigsten brauche, sind Storys darüber, dass ich mein Geld für einen bezahlten Killer verschleudere. Deshalb will ich eine Frau.«

»Sie sagten ›jemanden, der rausfindet, was zum Henker vorgeht‹«, sagte ich und konzentrierte mich auf den Teil, zu dem ich vielleicht etwas Nützliches beitragen konnte. »Was ist Ihrer Ansicht nach das Problem?«

»Ich habe Drohbriefe bekommen«, berichtete sie. »Das ist an sich nichts Neues. Brenda Barrowclough ist eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt, und da draußen sind reichlich Leute unterwegs, die nicht zwischen Nordlichter und der Wirklichkeit unterscheiden können. Sie sind wahrscheinlich zu jung, um sich zu erinnern, aber als ich vor etwa fünfzehn Jahren in der Serie zum ersten Mal Witwe wurde, wurde ich mit Beileidsschreiben überschüttet. Leute haben tatsächlich Kränze für die Beerdigung geschickt, an die Adresse Sebastopol Grove 15. Die Post ist mittlerweile daran gewöhnt und liefert alles direkt ins Studio, aber damals wussten die armen Floristen nicht, was tun. Krebshilfeorganisationen schrieben uns, dass auf ihren Konten Spenden zum Gedenken an Harry eingegangen waren – das war der Name meines Serienehemanns. Jedes Mal, wenn Figuren ausziehen, bekommen wir Briefe von irgendwelchen Leuten, die nach dem Preis für das Haus fragen. Das heißt, jedes Mal, wenn Brenda irgendetwas Umstrittenes macht, bekomme ich Hassbriefe.«

Ich durchforstete mein Gedächtnis nach den letzten Schlagzeilen der Regenbogenpresse. »War da nicht eine Folge über Abtreibung? Tut mir leid, ich komme nicht oft zum Fernsehen.«

»Ist schon in Ordnung, Schätzchen. Ich auch nicht. Kennen Sie Brendas Enkelin Debbie?«

»Die, die seit ihrem zehnten Lebensjahr bei Brenda lebt? Nachdem ihre Mutter bei dem Überfall auf das Postamt erschossen wurde?«

»Sie waren also mal Fan?«

»Ich schaue es noch immer, wenn ich kann. Was damals, als Debbie zehn war, viel öfter war als heute.«

»Nun, Brenda fand heraus, dass Debbie abgetrieben hatte. Brenda hatte Debbies Freund wirklich auf dem Kieker, weil er schwarz war. Daher erwartete das Publikum, dass sie eher Debbie unterstützen als einen gemischtrassigen Enkel akzeptieren würde. Aber Brenda ereiferte sich bloß für das Recht auf Leben und warf Debbie raus. Also waren ich und Sarah Anne Kelly, die Darstellerin der Debbie, auf eine ziemliche Schlammschlacht gefasst.«

»Und kam es dazu?«

Gloria schüttelte den Kopf und hinterließ in Mundhöhe Rauchschwaden. »So ähnlich«, antwortete sie, was mich verwirrte. »Es ist so, dass das Studio die Post durchsieht und die richtig bösartigen Briefe aussortiert, damit wir uns nicht ängstigen. Aber natürlich fragt man nach. Ich meine, du willst doch wissen, ob da draußen irgendwelche komplett Verrückten auf dich warten.«

»Und das Studio hat Ihnen gesagt, da wäre jemand?«

»Nein, Schätzchen. Es war nicht das Studio. Die Briefe, die mir Sorgen machen, sind die, die nach Hause kommen.«

Jetzt war ich wirklich verwirrt. »Sie meinen, Ihr richtiges Haus? Wo Sie wirklich wohnen?«

»Genau. Nun, ich meine, es ist kein Staatsgeheimnis, wo ich wohne. Aber wenn man nicht gerade ein Nachbar ist oder ein Geier von der Presse, ist es ziemlich schwierig, es herauszufinden. Ich stehe natürlich nicht im Telefonbuch. Und der ganze offizielle Kram, wie Stromrechnungen und Wahlbenachrichtigungen, lautet nicht auf Gloria Kendal. Es läuft alles unter meinem richtigen Namen.«

»Und der wäre?«

»Doreen Satterthwaite.« Sie verengte die Augen. Ich glaube, nicht wegen des Rauches. Ich bemühte mich, ein ungerührtes Gesicht zu machen. Dann grinste Gloria. »Echt scheußlich, was? Wundern Sie sich, dass ich mich für Gloria Kendal entschied?«

»An Ihrer Stelle hätte ich genau dasselbe getan«, erklärte ich. Und es war keine Lüge. »Diese Drohbriefe kommen also direkt zu Ihnen nach Hause?«

»Nicht nur zu mir nach Hause. Auch meine Tochter hat einen bekommen. Und sie sind anders als die üblichen.« Sie öffnete wieder ihre Handtasche. Ich staunte über ein Leben, in dem es von Bedeutung war, dass Kostüm, Schuhe und Handtasche den gleichen Farbton hatten. Unweigerlich drifteten meine Gedanken in Spekulationen über ihre Unterwäsche ab. Ob die Farbabstimmung so weit ging?

Gloria holte ein Blatt Papier hervor. Sie hielt inne, ehe sie es mir gab. Ich hätte es nehmen können, aber es war ein ungünstiger Winkel, also wartete ich. »Für gewöhnlich sind solche Briefe von halben Analphabeten. Von Ungebildeten. Ich habe zwar mit fünfzehn mit der Schule aufgehört, aber ich kenne den Unterschied zwischen Punkt und Komma. Die meisten Spinner, die mir Briefe schreiben, würden einen Absatz nicht mal erkennen, wenn er direkt vor ihrer Nase läge. Sie können nicht schreiben, und sie haben einen Hang zu grüner Tinte oder Filzstiften. Bei manchen von denen sind wahrscheinlich dort, wo sie leben, keine scharfen Gegenstände erlaubt«, fügte sie hinzu. Mir ist aufgefallen, dass Schauspieler(innen) und ihr Publikum sich oft gegenseitig verachten. Es sah aus, als hätte Gloria nicht viel Respekt vor den Leuten, die ihr das Dach überm Kopf finanzierten.

Jetzt reichte sie den Brief herüber. Es war ein gewöhnliches DIN-A4-Blatt, der Text nichtssagend mit einem Laserdrucker ausgedruckt.

»Doreen Satterthwaite, es ist an der Zeit, dass du für deine Taten bezahlst. Du verdienst das gleiche Leid, das du verursacht hast. Ich weiß, wo du wohnst. Ich weiß, wo deine Tochter Sandra und ihr Mann Keith wohnen. Ich weiß, dass deine Enkelin Joanna in die Gorse-Mill-Schule geht. Ich weiß, dass sie in die Saint Andrew‘s Church zur Messe gehen und einen Wohnwagen auf Anglesey haben. Ich weiß, dass du einen roten Saab Cabrio fährst. Ich kenne dich, du Miststück. Und bald bist du tot. Aber es wird kein schneller Abgang für dich. Zuerst wirst du leiden.«

Sie hatte recht. Der Brief klang, als wäre sein Verfasser beunruhigend klar im Kopf.

»Irgendeine Vorstellung, worauf der Brief sich bezieht?«, fragte ich, ohne wirklich eine ehrliche Antwort zu erwarten.

Gloria zuckte mit den Schultern. »Wer zum Henker soll das wissen? Ich bin keine Heilige, aber mir fällt niemand ein, dem ich etwas wirklich Schlimmes angetan hätte. Abgesehen von meinem Ex-Mann, aber ich bezweifle, dass er mir einen Brief ohne die Worte ›du Scheißschlampe‹ schreiben könnte. Jedenfalls schafft er kein Gespräch ohne. Und außerdem würde er nie unsere Sandra oder Joanna bedrohen. Auf keinen Fall.« Ich fand, ihre Antwort klang wirklich ratlos, dann rief ich mir in Erinnerung, womit sie ihr Geld verdiente.

»Waren es viele?«

»Dies ist der dritte. Plus der an Sandra. Da ging es um die Sünden ihrer Mutter. Ehrlich gesagt habe ich die ersten beiden einfach weggeworfen. Ich dachte, jemand wollte mir einen Schreck einjagen.«

Plötzlich schaute Gloria weg. Sie nestelte eine neue Zigarette aus der Packung, und diesmal zitterte die Hand, mit der sie sie anzündete.

»Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?«

»Meine Autoreifen wurden aufgeschlitzt. Alle vier. Auf dem NPTV-Studiogelände. Und es steckte eine Nachricht unter dem Scheibenwischer. ›Nächstes Mal deine Garderobe? Oder du?‹ Und ehe Sie fragen, ich habe den Zettel nicht mehr. Es regnete. Er zerfiel in meinen Händen.«

»Das ist eine ernste Sache«, stellte ich fest. »Sollten Sie nicht vielleicht mit der Polizei sprechen?« Ich hasste es, eine potenzielle Klientin zu verlieren, aber es hätte an kriminelle Fahrlässigkeit gegrenzt, nicht darauf hinzuweisen, dass dies ein Fall für die Cops sein könnte.

Gloria spielte mit ihrer Zigarette. »Ich habe dem Management davon erzählt. Und John Turpin, der die Verwaltung und die Produktion koordiniert, überzeugte mich davon, nicht zu den Bullen zu gehen.«

»Warum? Ich hätte gedacht, die Direktion würde alles daransetzen, dass den Stars nichts zustößt.«

Glorias Lippen kräuselten sich zu einem zynischen Grinsen. »Das hat nix mit meiner Sicherheit zu tun, sondern mit negativer Publicity. Und wer möchte noch bei NPTV arbeiten, wenn bekannt wird, dass die Sicherheit so unter aller Sau ist, dass jeder ungeschoren aufs Firmengelände spazieren kann? Turpin versprach mir eine interne Untersuchung, also beschloss ich, seinen Rat zu befolgen.«

»Aber jetzt sind Sie hier.« Es ist diese Beobachtungsgabe, die mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe.

Sie warf mir einen prüfenden Blick zu, der mehr als einen Hauch sorgfältig kontrollierter Angst enthielt. »Sie werden mich für töricht halten.«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie wirken nicht töricht auf mich, Gloria.« Nun, es war nur eine Notlüge. Töricht genug, um das Wochengehalt der gesamten Belegschaft von Brannigan & Co. für ein aufeinander abgestimmtes Outfit auszugeben, aber wahrscheinlich nicht töricht, wenn es um die realistische Einschätzung ging, ob sie in Gefahr war. Aber immerhin, auch Ronald Reagan war es nicht, und wie ist es ihm ergangen …

»Kennen Sie Dorothea Dawson?«, fragte Gloria und sah mich aus dem Augenwinkel an.

»Die Sterndeuterin?«, erwiderte ich ungläubig. »Die, die in der Fernsehzeitschrift TV im Blick die Horoskope schreibt? Die, die dauernd im Fernsehen ist? ›Ein Pferd mit Sternzeichen Widder wird das Derby gewinnen‹?«, äffte ich Dorothea Dawsons Grabesstimme nach.

»Spotten Sie nicht«, warnte sie mit drohendem Finger. »Sie ist eine brillante Hellseherin, wissen Sie. Dorothea kommt einmal die Woche ins Studio. Sie ist die persönliche Astrologin der halben Besetzung. Sie hat wirklich eine Gabe.«

Dessen war ich sicher. Gaben von allen Nordlichter-Stars. »Und Dorothea sagte etwas über diese Briefe?«

»Ich habe diesen Brief zu meinem letzten Termin bei ihr mitgenommen. Ich fragte sie, welche Schwingungen sie empfangen würde. Das macht sie nämlich auch neben normalem Hellsehen. Sie hat das schon öfter für mich gemacht, und sie hat sich bis jetzt nie geirrt.« Trotz ihrer schauspielerischen Fähigkeiten klang Glorias Stimme besorgt.

»Und was meinte sie?«

Gloria zog so stark an ihrer Zigarette, dass ich den verbrennenden Tabak knistern hörte. Als sie den Rauch ausstieß, antwortete sie: »Sie hielt den Umschlag und zitterte. Sie sagte, dieser Brief bedeute Tod. Dorothea sagte, der Tod sei bei uns im Zimmer.«

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2. Kapitel

Sonne im Trigon mit dem Mond

Schwierige Situationen werden durch kreatives Denken bewältigt; Schwierigkeiten begegnet sie mit kühnen Lösungen. Die fragliche Person fühlt sich überall zu Hause, ist aber oft blind für das wahre Ausmaß der Probleme. Sie wird nicht immer bemerken, wenn ihre Ehe zerbricht; sie erstickt Probleme nicht immer im Keim.

Aus: Was in den Sternen steht von Dorothea Dawson

Eine, die leichtgläubig genug war, auf Mystik und Mythos professioneller Betrügerinnen wie Astrologinnen reinzufallen, hatte sicher kein Problem mit meiner Spesenabrechnung. Leicht verdientes Geld, würde ich meinen. Nach Glorias eigener Aussage gehörten Hassbriefe so sehr zu ihrem Arbeitsalltag wie das ständige Mitführen ganzer Stapel von Fotos im Postkartenformat, die sie für die Fans signierte. Gut, die aufgeschlitzten Reifen waren da schon ernster, mussten aber nicht unbedingt mit den Briefen in Zusammenhang stehen, konnten ein davon unabhängiger Racheakt sein. Nur weil die Sternenseherin die Sache aufbauschte, hatte diese Entgleisung einer giftigen Feder lebensbedrohliche Ausmaße angenommen. »Sieht sie oft einen bevorstehenden Tod voraus, wenn sie für Leute wahrsagt?«, fragte ich und versuchte, nicht loszukichern.

Gloria schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe noch nie gehört, dass irgendjemandem etwas Derartiges prophezeit worden wäre.«

»Und haben Sie anderen Leuten am Set davon erzählt?«

»Keinem«, antwortete sie. »So was erzählst du nicht herum.«

Nicht, wenn du vermeiden willst, ausgelacht zu werden, dachte ich. Andererseits konnte es bedeuten, dass die Todesprophezeiung die gängige Methode war, mit der Dorothea Dawson ihre Klientinnen und Klienten erschreckte, um sie abhängiger von sich zu machen. Besonders die älteren. Es ist doch so, dass viele Personen des öffentlichen Lebens in Glorias Alter alle paar Monate erleben, dass jemand, den sie kennen, im Sterben liegt oder gestorben ist. Gloria war vielleicht durch ihre Astrologin in Panik versetzt worden, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies mehr war als eine Inszenierung Dorothea Dawsons. Gloria zu bewachen klang nach einem Wahnsinnsverdienst ohne Risiko. Genau das, was der Bankbeamte verordnet hatte. Ich sprach ein kleines Dankgebet an Dorothea Dawson und versicherte Gloria, ich würde mich freuen, für sie eine Ausnahme von der Firmenpolitik zu machen. Ich würde sogar persönlich für ihre Sicherheit sorgen.

Die Neuigkeit schien sie aufzuheitern. »Na gut, dann brechen wir am besten gleich auf«, meinte sie, drückte ihre Zigarette aus und legte sich den Mantel um die Schultern.

»Dann brechen wir am besten gleich auf?«, wiederholte ich.

Sie schaute auf ihre Uhr, ein massives Goldteil mit Diamantsplittern, die wie eine zerbrochene Windschutzscheibe im Schein einer Straßenlaterne glitzerten. »Ich würde sagen, das hängt davon ab, wo Sie wohnen. Nur wenn ich um acht ein Lokal in Blackburn eröffnen soll und wir beide uns noch umziehen und einen Happen essen wollen, wird es ein bisschen knapp, wenn wir nicht voranmachen.«

»Ein Lokal in Blackburn«, sagte ich schwach.

»Richtig, Schätzchen. Ich habe einen Vertrag mit der Brauerei. Es ist wirklich nicht schwierig. Ich gehe hin, mache ein paar Witze, singe ein paar Lieder playback, gebe ein paar hundert Autogramme und fertig.« Während sie sprach, drapierte sie verwegen ihren Hut und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Als sie zur Tür ging, stürzte ich hinter den Schreibtisch und packte meinen Palmtop und mein Handy in meine Umhängetasche. Nur weil sie für Shelley ein glänzendes Foto signierte, auf dem sie als Brenda Barrowclough verkleidet war, holte ich sie noch ein.

Etwas Schreckliches war mit der taffesten Büromanagerin von Manchester geschehen. Als würde sich Cruella De Vil in einen dieser knuddeligen Dalmatinerwelpen verwandeln, nur noch schlimmer. »Und könnten Sie eins ›für Ted‹ signieren?«, bettelte sie. Ich wünschte, ich hätte Videoüberwachung im Büro. So ein Video würde mir Shelley für Monate vom Hals halten.

»Kein Problem, hier, bitte sehr«, sagte Gloria und signierte schwungvoll die Karte. »Sind Sie so weit, Kate?«

Ich schnappte meinen Mantel und schlüpfte hinein, während ich Gloria in den Gang folgte. Bevor sie weiterging, schaute sie nach links und rechts und die Treppe hinunter. »Als Letztes brauche ich, dass mich jemand aus Ihrem Büro kommen sieht«, meinte sie und marschierte zügig die Stufen hinunter. An der Eingangstür bog ich automatisch nach rechts zu meinem Auto. Gloria folgte mir auf den Privatparkplatz.

»Auf dem Schild steht: ›Nur für Beschäftigte von DVS-Systems – Widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge werden mit Wegfahrsperren versehen‹«, las sie vor.

»Hat schon seine Richtigkeit«, entgegnete ich in einem Ton, der das Thema beenden sollte. Ich hatte keine Lust, Gloria zu erklären, wie sehr ich die verheerende Parkplatzsituation in diesem Teil der Stadt satt hatte, so dass ich Büroparkplätze ausforschte, die selten komplett besetzt waren. Mit dem Makroobjektiv hatte ich durch eine Windschutzscheibe eine Parkberechtigung von DVS-Systems fotografiert und so eine passable Fälschung angefertigt. Ich parkte nun seit sechs Monaten unbehelligt auf deren Parkplatz, aber ich war nicht unbedingt stolz darauf. Außerdem bringt es nichts, wenn die Klientin deine kleinen Sünden kennt. Das macht sie nur nervös.

Gloria blieb erwartungsvoll vor einer sehr großen schwarzen Limousine mit getönten Scheiben stehen. Ich schüttelte den Kopf, und sie lächelte reuig. Ich richtete die Fernbedienung auf meinen dunkelblauen Rover, und er begrüßte mich mit dem üblichen Schnappgeräusch »Leider ist es keine Limousine«, sagte ich zu Gloria, als wir einstiegen. »Meistens muss ich unsichtbar sein.« Ich hatte kein Bedürfnis zu erwähnen, dass der Motor unter der Haube sich stark von dem unterschied, den der Hersteller eingebaut hat. Die Pferdestärken unter meiner Motorhaube reichten, um mein eigenes Rodeo zu veranstalten. Sollte sich jemand an Gloria heranmachen wollen, konnte ich ihn innerhalb weniger Kilometer abhängen.

Ich brauchte im dichten Verkehr nicht mal fünf Minuten nach Hause. Ich lebe sehr gern so nahe am Stadtzentrum, aber die Gegend ist im letzten Jahr immer zwielichtiger geworden. Ich wäre schon umgezogen, müsste ich nicht jeden ersparten Penny ins Geschäft stecken. Ich war die Juniorpartnerin von Mortensen & Brannigan gewesen, und als Bill Mortensen beschloss, seinen Anteil zu verkaufen und nach Australien zu ziehen, dachte ich, meine Karriere ginge den Bach runter. Ich konnte ihn nicht auszahlen, aber ich wollte auch verdammt noch mal nicht, dass irgendein Fremder den Löwenanteil der Firma bekam, an deren Aufbau ich so hart mitgearbeitet hatte. Es hatte eine Menge Kreativität und eine Ladung Schulden gekostet, Brannigan & Co. zu realisieren. Nun hatte ich einen stillen Teilhaber auf den Cayman Islands und eine Abmachung, dessen Anteil am Geschäft Stück für Stück zurückzukaufen, wann immer ich es mir leisten konnte. Ich konnte also noch lange nicht daran zu denken, in eine der südlichen Vorstädte zu ziehen, wie meine vernünftigen Freundinnen und Freunde es getan hatten.

Im Übrigen war das Wohnungsarrangement perfekt. Mein Liebster Richard, ein freiberuflicher Rockjournalist, wohnte im Haus nebenan, das durch einen langen Wintergarten mit meinem verbunden war. Wir genossen alle Vorteile des Zusammenlebens und hatten keinen der Nachteile. Ich musste mich nicht mit seiner Unordnung oder seinen Kumpeln aus dem Musikbusiness befassen und er sich nicht mit meinen Frauenabenden oder meiner Vorliebe für sehr ausgiebige Bäder.

Richards Auto, ein pinkfarbenes Käfer Cabrio, stand in seiner Parklücke, was zu dieser Tageszeit wahrscheinlich hieß, dass er zu Hause war. Unter Umständen waren andere Showbusiness-Reporter bei ihm, also ging ich auf Nummer sicher und bat Gloria, im Auto zu warten. Nach nicht mal zehn Minuten war ich zurück, gekleidet in ein flaschengrünes Cocktailkleid aus Knittersamt und eine marineblaue Matadorjacke aus Rohseide. Übertrieben für Blackburn, ich weiß, aber ich hatte nicht viel Auswahl. Wenn ich nicht bald in die chemische Reinigung kam, musste ich im Morgenmantel zur Arbeit gehen.

Gloria wohnte in Saddleworth, der teuren ländlichen Ansammlung von Dörfern am Rand der Yorkshire-Moors an der östlichen Grenze von Greater Manchester. Die Hügel sind dort noch grün und weich, aber am Horizont dräuen bereits die dunklen Kuppen der Moore, sogar am sonnigsten Tag. Das ist die Wildnis, die die Leichen der kindlichen Opfer von Myra Hindley und Ian Brady verschlang. Ich kann nicht durch diese düstere Landschaft fahren, ohne an die Morde im Moor zu denken. In ihrer unmittelbaren Nähe zu wohnen würde mir Alpträume verursachen. Gloria schien es nichts auszumachen. Aber warum auch? Es wirkte sich weder auf sie noch auf Brenda Barrowclough aus, und die halbstündige Fahrt hinaus nach Saddleworth reichte, um festzustellen, dass dies die einzigen Kriterien waren, die für sie zählten. Ich hatte davon gehört, dass Schauspielerinnen und Schauspieler, so wie Kinder, nur mit sich selbst beschäftigt seien. Nun erlebte ich den Beweis.

In der Dezemberdunkelheit sah Saddleworth aus wie eine Weihnachtskarte, frühabendliche Feenlichter funkelten über einer Zuckerkruste aus Schnee. Hätte ich bloß den Wetterbericht gehört; die Straßen können hier draußen durch Schneewehen blockiert sein, wenn auf meinem Dach nicht mal eine einzige Flocke liegt. Noch ein Argument gegen das Landleben. Gloria dirigierte mich in einer sanften Spirale das Tal hinunter nach Greenfield. Wir verließen die Hauptstraße und bogen in eine enge Durchfahrt zwischen zwei hohen Mauern. Ich hoffte, mir würde nichts eilig entgegenkommen. Nach etwa hundert Metern endete die Durchfahrt an zwei hohen schmiedeeisernen Toren. Gloria nestelte mit etwas in ihrer Tasche, und die Tore öffneten sich.

Mit offenem Mund schob ich mich langsam vor. Es sah aus, als wäre ich in die historische Kulisse einer BBC-Serie gefahren. Ich befand mich in einem großen gepflasterten Hof, der auf drei Seiten von hübschen zweistöckigen verwitterten Gebäuden aus grobem Sandstein umgeben war. Sogar mein ungeschultes Auge erkennt den Gewerbebaustil der frühen industriellen Revolution, und dies war ein Paradebeispiel. »Wow«, sagte ich.

»Das waren ursprünglich die Büros der Mühle«, erklärte Gloria und deutete auf zwei Doppeltüren links an der langen Seite des Platzes. »Lassen Sie den Wagen erst mal vor meiner Garage stehen. Dann wurde die Mühle zur Katzenfutterfabrik. Klingelt‘s?«

»Die Fabrik, in der Sie gearbeitet haben?«

»Erraten.« Sie öffnete die Autotür, und ich folgte ihr über den Hof. Sie ging bis zu einer massiven Eichentür mit solidem Steckschloss. Als wir eintraten, schrillte ein Alarm. Während Gloria ihn abstellte, durchquerte ich den großen Raum, der sich in die gesamte Tiefe des Gebäudes erstreckte. Durch das hohe Fenster sah ich glitzerndes Wasser. Hinter dem Haus war der Kanal. Mit einem Mal sah das Leben besser aus. Dieses Haus war so uneinnehmbar, wie ein Haus nur sein kann. Wenn Glorias Briefeschreiber nicht die venezianische Kunst des Leiterkletterns vom Boot aus beherrschte, würde ich nachts in meinem eigenen Bett schlafen können statt vor Glorias Schlafzimmertür.

»Es ist wunderschön«, sagte ich.

»Besonders dann, wenn dein Wohnzimmer das Büro des Kassenverwalters war, in dem du nach Innereien stinkend jede Woche deinen Lohn geholt hast«, erwiderte Gloria ironisch.

Ich trat zurück, um mich im Zimmer umzusehen. Deckenfluter an den Wänden verliehen den polierten Balken und dem freigelegten Stein der drei Außenwände einen sanften Schimmer. Die Möbel sahen aus wie von John Lewis, ganz aus Mahagoni und Damast mit Pastellornamenten. An den Wänden hingen große Aquarelle des Yorkshire-Moorlandes, und das weitläufige Parkett war mit dicken chinesischen Teppichen bedeckt. Es war nichts daran auszusetzen, aber es zeugte auch nicht von individuellem Geschmack wie etwa Glorias Kleider. »Leben Sie allein hier?«, fragte ich.

»Gott sei Dank«, bestätigte sie mit Nachdruck, öffnete einen begehbaren Schrank und hängte ihren Mantel auf.

»Hat sonst noch jemand einen Schlüssel?«

»Nur meine Tochter.« Gloria kam heraus und deutete zu einer Tür am anderen Ende. »Dort hinten ist die Küche. Da ist ein Gefrierschrank voll Fertiggerichten. Wollen Sie welche rausnehmen und in die Mikrowelle stellen, während ich mich umziehe?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie die Freitreppe hinauf ins obere Stockwerk.

Die Küche war fast so groß wie das Wohnzimmer. Ein Ende war als Essecke gestaltet, mit einer langen Tafel und einer Sammlung unterschiedlicher antiker Bauernstühle mit Patchworkkissen. Das andere Ende war eine funktional eingerichtete Arbeitsküche, dominiert von einer enormen freistehenden Kühl- und Gefrierkombination. Der Gefrierschrank war von oben bis unten mit Mahlzeiten von Marks & Spencer vollgestopft. Vielleicht konnte das Leben auf dem Land ja doch ganz angenehm sein, dachte ich. Alles, was du brauchst, um über den Winter zu kommen, sind ein richtig großer Gefrierschrank und eine endlose Auswahl an Computerspielen. Ich entschied mich für Nudelgerichte und befolgte die Anweisungen auf der Packung. Bis sie aufgetaut und heiß waren, war Gloria zurück, für ihren Auftritt mit einer grellrosa Kaskade aus Pailletten bekleidet. Es fehlte nur noch die hochtoupierte Brenda-Barrowclough-Frisur, um Tuntenkitsch besser zu illustrieren, als eine Fummeltrine je vermocht hätte.

»Erstaunlich«, sagte ich schwach und lud Nudeln mit Hühnerfleisch in Schüsseln.

»Scheußlich, wollen Sie sagen«, entgegnete Gloria und setzte sich in ihre Volants aus Zuckerwatte. »Aber die Fans zahlen für Brenda, nicht für mich.« Sie fiel über ihre Nudeln her wie ein Statist aus Oliver Twist. Sie war fertig, als ich gerade die Hälfte geschafft hatte. »Gut«, befand sie und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Ich brauche noch fünf Minuten, um mich zu schminken und die Perücke aufzusetzen. Der Geschirrspüler ist unter der Spüle.«

Bei jemand anders hätte es mich inzwischen genervt, herumkommandiert zu werden. Aber ich kam allmählich dahinter, wie Gloria tickte. Sie war nicht herrisch an sich. Bei ihr war einfach alles durchorganisiert, und sie war natürlich überzeugt, dass ihre Methode die beste war. Die Leute um sie herum lebten geruhsamer, wenn sie das begriffen und mitmachten, ohne Fragen zu stellen. Im Augenblick begnügte ich mich mit dem geruhsamen Leben. Vielleicht würde sich das später ändern, aber damit würde ich mich befassen, wenn Später nahte. In der Zwischenzeit räumte ich den Geschirrspüler ein, ging dann nach draußen und startete den Wagen.

Die Fahrt nach Blackburn war der letzte normale Teil des Abends. Gloria übergab mir eine gefaxte Wegbeschreibung und wies mich dann an, sie nicht anzusprechen, damit sie ihre Gedanken ordnen konnte. Ich legte eine passende CD ein und fuhr zur kühlen Atmosphäre von Dreamfish, während sie ihren Sitz zurücklegte und die Augen schloss. Eine Dreiviertelstunde später hielt ich vor dem Lokal, zehn Minuten vor ihrem schillernden Auftritt. Sie öffnete die Augen, stöhnte leise und sagte: »Ist ein bisschen monoton, diese Musik. Haben Sie nichts von Frank Sinatra?« Ich versuchte mein Gefühl von drohendem Unheil zu verbergen. Ohne Erfolg. Gloria brach in rauhes Gelächter aus und meinte: »Ich wollte Sie nur aufziehen. Ich kann Sinatra auf den Tod nicht ausstehen. Typisch Mann, I did it my way, ich hab es auf meine ureigene idiotische Art gemacht. Diese modernen Sachen sind viel besser.«

Gloria wartete im Auto, während ich mich kurz mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut machte. Ich hatte die vage Vorstellung, ich könnte irgendwelche verdächtigen Figuren sichten. Es wäre leichter gewesen, die Sahara an einem feuchten Mittwoch aufzusuchen. Im Lokal war der Teufel los. Typen mit schlechten Haarschnitten und Fußballhemden schubsten kichernde Gruppen von Mädchen, die das trugen, was ihnen die Warenhausketten in der City als neueste Mode verkauft hatten. In Wahrheit sahen sie aus wie nach einem Zusammenstoß mit den aussortierten Siebzigerjahre-Kleidungsstücken ihrer Mütter. Mir fiel nicht ein, warum sonst man Trevira tragen sollte. In einer Lautstärke, die meine Plomben zum Pochen brachte, offenbarten uns die Lightning Seeds, dass der Fußball nach Hause zurückkehre. Das Wort provinziell beschreibt es nicht mal ansatzweise. Das hier war so anders als die Szene in der Innenstadt, dass ich mich fragte, ob wir durch ein schwarzes Loch gefallen und in der Andromeda-Galaxie gelandet waren. Gute Kleidung war hier reine Verschwendung.

Das besondere Eröffnungsangebot von zwei Getränken zum Preis von einem hatte bereits seine Opfer gefordert, und die restlichen Partygäste sahen aus, als steuerten sie unerbittlich auf das gleiche Schicksal zu. Ich verzog mich wieder nach draußen und holte Gloria. »Ich versuche in größtmöglicher Nähe zu bleiben«, erklärte ich ihr. »Das ist ein Tollhaus da drinnen.«

Sie hielt an der Türschwelle inne, sah sich kurz im Raum um und stellte fest: »Sie leben offenbar sehr zurückgezogen.« Während sie sprach, wurde sie von jemandem entdeckt. Ein Aufschrei ging durch den Raum, und innerhalb weniger Sekunden brach die Jugend von Blackburn in Jubel aus und grölte die Nordlichter-Titelmelodie stümperhaft im Chor. Und dann gingen wir in der dröhnenden Umarmung der Menge unter.

Nach etwa zwanzig Sekunden gab ich den Versuch auf, Gloria vor dem Messer eines Mörders zu bewahren, als ich nämlich merkte, dass eher ich ein Stilett in den Rippen hätte, wenn ich zwischen sie und ihre Fans geriet. Ich schlängelte mich durch die Menge zurück und fand einen guten Aussichtspunkt auf dem erhöhten Podium, wo der DJ so cool war, wie ein Mann nur sein kann, der tagsüber für die örtliche Baufirma arbeitet. Ich ließ meine Augen automatisch über die Menge wandern und suchte nach auffälligem Verhalten. Leichter gesagt als getan angesichts des Ausmaßes trunkener Festlaune um mich herum. Aber soweit ich das in dem vollgepfropften Frog & Scrannage sehen konnte, waren die Einheimischen freundlich gesinnt, zumindest was Gloria/ Brenda betraf.

Ich beobachtete meine Klientin und war beeindruckt von ihrer Energie und Professionalität. Sie durchquerte den Raum langsamer als ein bekifftes dreizehiges Faultier. Für alle, die sich an sie heranquetschen konnten, hatte sie ein paar Worte und ein Autogramm übrig. Sie schien nicht einmal zu schwitzen, die einzig kühle Person in der größten Sauna von Nordwestengland. Als sie es endlich bis zum Podium geschafft hatte, mangelte es nicht an Händen, um ihr hinaufzuhelfen. Sie drehte sich kurz um und reichte dem DJ schnell eine Kassette. »Wann immer Sie wollen, Schätzchen. Spielen Sie sie einfach ab.«

Der Bursche schob die Kassette in sein Kassettendeck, die Eröffnungstakte der Nordlichter-Titelmelodie dröhnten aus den Lautsprechern, und das Publikum wiegte sich hin und her. Die Musik wurde leiser, und Gloria begann mit einer ausgeklügelten Show. Ein paar Witze mit Lokalbezug, eine Reihe Anekdoten über ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Serie und dann, genau aufs Stichwort, schwoll die Musik an, und sie schmetterte ein Medley aus »I Will Survive«, »No More Tears«, »Roll With It« und »No Regrets«.

Sie hätten dabei sein müssen.

Die Menge winselte nach mehr. Sie bekam mehr. »The Power of Love« machte unser Trommelfell bis in die folgende Woche unbrauchbar. Dann waren wir wieder draußen. Der Parkplatz war so kalt und still, dass ich versucht war zu verharren, wäre da nicht die Klientin gewesen. Also rannte ich zum Auto und fuhr es zum Eingang, wo sie die letzten Autogramme gab. »Schaut euch weiter die Serie an«, bat sie, als sie ins Auto stieg.

Sobald wir den Parkplatz verlassen hatten, legte sie laut seufzend die Perücke ab. »Wie fanden Sie es?«

»Wenn Sie jemand ernsthaft verletzen wollte, käme er oder sie problemlos nahe genug ran. Abzuhauen dürfte schwieriger sein«, sagte ich, während ich mich in einem tückischen Einbahnstraßensystem zurechtzufinden versuchte, das uns nach Chorley oder Preston oder in ein anderes Schicksal, schlimmer als der Tod, führen konnte, wenn ich nicht aufpasste.

»Nein, nicht das«, erwiderte Gloria ungeduldig. »Vergessen Sie das. Wie war ich? Ist es gut angekommen?«

Als ich Gloria hinter versperrten Türen und verriegelten Toren abgeliefert hatte und durch die leeren verarmten Straßen des östlichen Stadtrandes zurückfuhr, war es nach Mitternacht. Nichts rührte sich mehr als der Abfall im Wind. Dem Zigarettenrauch, der lauten Musik und den blitzenden Lichtern in dem Lokal verdankte ich ein dumpfes Pochen in der Stirnhöhle. Ich war vor kurzem dreißig geworden; vielleicht hatte dies eine grundlegende Veränderung in meinem Gehirn bewirkt, so dass mein Körper nun nicht mehr all die Dinge aushalten konnte, die für die Besucherinnen und Besucher von Blackburns neuestem Unterhaltungslokal einen »klasse Abend« ausmachten. Vielleicht hatte Altern ja doch seine positiven Seiten.

Ich gähnte, als ich die Siedlung mit den Sozialbauten hinter mir ließ und in die Enklave von Privathäusern bog, wo ich hin und wieder richtig ausschlafen kann. Heute würde es mir nicht gelingen; Gloria musste um neun im Studio sein, also wollte sie, dass ich sie um halb neun abholte. Ich biss die Zähne zusammen, dachte an den Stundenlohn und lächelte.

Auf dem gefrorenen Pflaster leicht schlitternd, stolperte ich den Weg hinauf. Ich spürte bereits das sinnliche Wohlgefühl, unter eine schwere Daunendecke zu kriechen. Als ich die Tür öffnete, war der Traum vorüber. Bereits von der Diele aus sah ich Licht im Wintergarten. Ich hörte stimmungsvolle Saxophonmusik und Gemurmel. Dass sie im Wintergarten waren und nicht in Richards Wohnzimmer hieß, dass, wer immer mit ihm redete, zu mir wollte.

Meine Tasche glitt zu Boden, als meine Schultern absackten. Ich ging ins Wohnzimmer und betrachtete die Szene durch die Terrassentür. Bierflaschen, Jointqualm, zwei Männerkörper ausgestreckt auf Rattan.

Was ich mir schon immer nach einem harten Arbeitstag gewünscht habe. Zwei Kriminelle im Wintergarten.

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3. Kapitel

Venus im Quadrat mit Neptun

Ein spannungsreicher Aspekt, der Konflikte in Herzensangelegenheiten verursacht, weil sie höhere Erwartungen an Liebe und Freundschaft stellt, als ihre Welt bietet. Sie ist fest entschlossen, die sich vor ihr auftürmenden Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

Aus: Was in den Sternen steht von Dorothea Dawson

Nicht jeden Abend hat man das Gefühl, eine Besuchserlaubnis für den eigenen Wintergarten zu benötigen. An diesem Abend brauchte ich wirklich eine Stärkung, ehe ich mich der Musik und den Männern stellen konnte. Ein kurzer Abstecher in die Küche, und ich war mit einem beschlagenen Glas eisgekühltem Pfeffer-Wodka mit rosa Grapefruitsaft gerüstet. Ich nahm einen großen Schluck und trat dem gegenüber, was Dennis und Richard mir entgegenschleudern würden.

Als ich sagte, der Wintergarten sei voll Krimineller, war das nur leicht übertrieben. Obwohl Richard darauf beharrt, Marihuana für seine Kreativität zu brauchen, und somit jeden Tag das Gesetz bricht, hat er keine Vorstrafen. Aber Journalist zu sein reicht eigentlich auch schon.

Dennis ist ein anderer Vogel. Er ist Berufsverbrecher, aber so paradox das auch klingen mag, ich vertraue ihm mehr als den meisten anderen Leuten. Bei Dennis weiß ich immer, woran ich bin; seine Moral entspricht vielleicht nicht den traditionellen Vorstellungen, ist aber unbeugsamer als das Gesetz der Schwerkraft – und verdammt versöhnlicher. Er war einst professioneller Einbrecher; nicht die Sorte, die in anderer Leute Häuser eindringt, um das Videogerät zu stehlen und in der Unterwäsche zu wühlen, sondern einer, der die sehr Reichen um ihre unrechtmäßig erworbenen und gut versicherten Gewinne erleichtert. Einige seiner Opfer hatten so viele teure Statussymbole herumliegen, dass sie den Diebstahl nicht mal bemerkten. Jetzt hatte er mehr oder weniger aufgehört, Leute auszurauben, abgesehen von anderen Ganoven, die zu stolz sind, um es der Polizei zu melden. Und zwar, weil ihm seine Frau nach seinem letzten Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen, wo er seine Geschäfte nur mit einer Telefonkarte abwickeln konnte, für den Fall einer neuerlichen Gefängnisstrafe mit der Scheidung gedroht hatte.

Dennis kannte ich sogar schon länger als Richard. Er ist mein Thaibox-Trainer, und er hat mir die für eine kleine Frau wie mich passenden Grundprinzipien der Selbstverteidigung beigebracht – ein lähmender Tritt gegen die Kniescheibe oder in die Eier und dann laufen, als wäre der Teufel hinter dir her. Das hat mir schon öfter als einmal das Leben gerettet, was ein weiterer guter Grund ist, warum Dennis in meinem Haus immer willkommen sein wird. Nun ja, fast immer.

Ich lehnte mich gegen den Türpfosten und blickte finster. »Ich dachte, du machst nicht in Drogen«, sagte ich milde zu Dennis.

»Du weißt, dass ich das nicht mache«, antwortete er. »Wer verbreitet hier Schweinereien über mich?«

»Niemand. Ich spreche nur von der Luft hier drin«, erwiderte ich und fächelte mir mit der Hand vorm Gesicht, während ich den Raum durchquerte. Ich drückte Dennis einen Kuss auf die Wange, die so glatt war, als hätte er sich gerade rasiert. »Ein Atemzug und du bist breit. Ganz zu schweigen davon, dass sich die Lebenserwartung um die Hälfte verringert.«

»Schön, dich zu sehen, Brannigan«, grüßte mein Liebster, als ich die Abendzeitung beiseiteschob und mich neben ihn aufs Sofa setzte.

»Nun, was heckt ihr Jungs denn so aus?«

Dennis grinste wie Karl der Kojote. Mein Mut sank. Ich war wirklich nicht in der Stimmung für eine überzeugende Road-Runner-Imitation. »Wollte mich von dir inspirieren lassen«, antwortete er.

»Und das hatte nicht bis morgen Zeit?«, stöhnte ich.

»Ich war gerade in der Nähe.«

Richards leises Kichern klang nach fünftem Bier und viertem Joint. Ich kenne den Mann. »Er war gerade in der Nähe und hörte, wie eine Flasche Pete’s Wicked Bohemian Pilsner seinen Namen rief«, prustete er.

»Nach der Flaschenanzahl zu urteilen hat sich ein ganzer Kasten die Seele aus dem Leib geschrien«, knurrte ich. Die Jungs sahen aus, als wollten sie die Nacht durchmachen. Es gab nur einen Weg, hier lebendig herauszukommen, nämlich Dennis’ Problem zu klären. Dann würden sie vielleicht nicht merken, wenn ich dem verzweifelten Ruf meiner Decke folgte. »Wie kann ich dir helfen, Dennis?«, fragte ich zuckersüß.

Er sah mich mit dem verstörten Blick eines Betrunkenen an, der merkt, dass sein Gegenüber ihn viel netter behandelt, als er es verdient. »Ich kann auch morgen wiederkommen«, sagte er.

»Das wird nicht nötig sein, denke ich«, entgegnete ich abwehrend. »Wie es bei Leonard Cohen heißt, tonight will be fine.«