Das Gift der Drachen - Janine Cross - E-Book

Das Gift der Drachen E-Book

Janine Cross

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Beschreibung

Die Kultsaga über die Macht von Rache und Liebe

In einer Welt, in der Frauen grausam unterdrückt werden, ist Zarq das Unmögliche gelungen: Sie ist die erste Herrscherin über einen der mächtigen Drachentempel. Ihre Feinde mussten sich der außergewöhnlichen Gabe der jungen Frau beugen, doch jenseits der Tempelmauern lauert eine tödliche Gefahr.

Nach „Auf dunklen Schwingen“ und „Im Bann des Feuers“ der Höhepunkt in Janine Cross’ erotischer Dark-Fantasy-Saga.

Gefährlich, dunkel, erotisch – Janine Cross ist die Königin der Dark Fantasy.

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Seitenzahl: 616

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Inhaltsverzeichnis
 
Die Autorin
Widmung
 
Kapitel 1
Kapitel 2
 
Copyright
Das Buch
Die junge Zarq Darquel hat es endlich geschafft: In einer Gesellschaft, in der Frauen brutal unterdrückt werden und der mächtige Drachentempel über Leben und Tod entscheidet, ist sie zu einer Drachenmeisterin geworden. Doch ihr Glück währt nicht lange, denn ihr ehemaliger Herr, der Kriegerfürst Waikar Re Kratt, ist schon auf der Suche nach ihr. In einem verzweifelten Kampf, den sie nicht gewinnen kann, schlägt sie sich auf die Seite der Rebellen, und mit ihrem geheimen Wissen über die Aufzucht der heiligen Drachenbullen steht Zarq bald an der Spitze des Aufstands. Denn in Zarqs Blut fließt das mächtige Feuer der Drachen …
DIE DRACHENTEMPEL-SAGA
 
Erstes Buch: Auf dunklen Schwingen Zweites Buch: Im Bann des Feuers Drittes Buch: Das Gift der Drachen
Die Autorin
Fremde Welten begeistern Janine Cross seit ihrer Kindheit. Und so zog es sie schon früh in die Welt hinaus: Mit achtzehn Jahren wanderte sie im Mittleren Osten, molk Kühe in Israel, segelte den Nil hinab und radelte durch Asien und Australien, um erst nach mehreren Jahren in ihre kanadische Heimat zurückzukehren. Dort veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten. Aufsehen erregte sie mit ihren Romanen aus der Drachentempel-Saga. Seither gilt die Autorin als große Hoffnung der modernen Fantasy. Janine Cross lebt mit ihren beiden Kindern in North Vancouver.
Für meine Mutter und meinen Vater
1
Geh schneller, wenn du kannst, heho«, murmelte Dra chenjünger Gen. »Dein Kopf müsste eigentlich längst auf einem Spieß stecken!«
Der Tunnel roch nach abgestandener Luft. An den Wänden wuchsen weder Flechten noch Schimmelpilze. Die Steine waren von einem leblosen Grau, das unter Gens Fackel nur kurz zu einem tanzenden Teppich aus Schatten und Flammenlicht erwachte, bevor es wieder in der Dunkelheit versank.
Gen packte meinen Ellbogen und trieb mich voran. Ich stolperte; meine gebrochenen Rippen schmerzten, und ich schrie auf.
»Ruhig«, murmelte er.
»Das tut weh!«, fuhr ich ihn an.
Mitleid erhoffte ich vergebens. »Der Drachenbulle wird bald die letzte Drachenkuh bestiegen haben, und dann erwartet die Menge, dass dein Kopf herumgetragen und allen gezeigt wird. Wir sollten nicht in diesem Labyrinth erwischt werden, wenn das Spektakel ausfällt, also beweg dich gefälligst, Mädchen, beeil dich!«
Der Tunnel rumpelte.
Ein Erdstoß, dachte ich mit einem Anflug von Panik, doch noch während mir der Gedanke durch den Kopf schoss, wurde mir klar, dass dieses Grollen das Brüllen des Drachenbullen in der Arena über uns war. Ihm antwortete der Jubel von zweihunderttausend Besuchern. Mir brach der kalte Schweiß aus.
In dem Moment dachte ich an Dono.
Ich weiß nicht, warum. Vielleicht, weil ich seinen Angstschweiß gerochen hatte, als er mich vorhin in der Arena angegriffen hatte.
»Was ist mit Dono?«, erkundigte ich mich.
Ich konnte hinter dem elfenbeinfarbenen Schleier des Inquisitors, den Gen trug, sein Gesicht nicht erkennen. Ich sah nur die weißen Augäpfel, die wie nasse Lilienblüten glänzten, und seine Pupillen, die so schwarz waren wie die Panzer von Käfern. »Er kann dir nichts mehr tun, Babu. Geh weiter …«
»Er ist tot?«
»Der Mistkerl wollte nicht sterben«, gurgelte eine Stimme hinter mir. Ich blickte über die Schulter zurück auf den Drachenmeister Re, der von einem Mann gestützt wurde, der wie Gen als Inquisitor verkleidet war. Dunkles Blut quoll zäh wie Pflaumenmus über die Schenkel des Drachenmeisters; er war von der giftigen Zunge des Drachenbullen verletzt worden. Auf seiner Brust wellte sich ein blutiger Hautfetzen, und die Spitze seines Knebelbartes strich über die Wunde.
»Ich konnte ihn nicht erwürgen, also habe ich ihm die Kehle mit den Zähnen herausgerissen.« Die Augen des Drachenmeisters rollten unwillkürlich in ihren Höhlen. »Der Bastard wollte trotzdem nicht sterben.«
»Dono ist da oben? Lebendig?« Ich blieb stehen und blickte zu der Steindecke hoch, die so niedrig war, dass Drachenjünger Gen nur gebückt gehen konnte.
»Tot.« Gens Ton war endgültig. »Der Bulle wird ihn längst zertrampelt haben. Geh weiter.«
Ich riss meinen Ellbogen aus seinem Griff. »Der Bulle fliegt, wenn er sich paart. Dono kann nicht von ihm zertrampelt worden sein.«
»Nein, nicht zertrampelt. Er nicht, oh nein.« Der Drachenmeister keckerte. Sein Kopf schwankte haltlos hin und her; er war fast nicht mehr bei Sinnen durch das Gift des Drachen. »Als ich ihn verließ, kroch er durch den Staub, drückte sich an die Wand der Arena. Oh nein, er ist nicht tot, dieser Bastard, nicht tot!«
»Gen«, schnappte der andere als Inquisitor verkleidete Mann. »Wir müssen gehen!«
Gen riss an meinem Arm, und wir gingen weiter.
»Dieser Hurensohn hat sich gegen mich gestellt!«, kreischte der Komikon. Seine Stimme hallte dumpf durch den Tunnel.
»Halts Maul«, knurrte der Mann hinter ihm.
Wir kamen an eine Kreuzung in dem Tunnelsystem. Ein Weg war durch einen Einsturz blockiert. Ob das ganz frisch passiert war oder schon vor langer Zeit, konnte ich nicht erkennen, überlegte aber, dass vielleicht unter diesem Schutthaufen menschliche Knochen moderten. Oder auf der anderen Seite.
Ohne zu zögern, führte Gen uns in den Tunnel zu unserer Rechten. Die Luft hier war kühler und etwas feuchter. Ich stellte mir Dono vor, Dono, meinen Milchbruder, das Waisenkind, mit dem ich meine Kindheit verbracht hatte, wie er durch die glühendheiße, staubige Arena über uns kroch, im Sehen behindert durch die Verletzung an seinem Auge, die ich ihm am Tag zuvor zugefügt hatte, und mit von den Zähnen des Drachenmeisters zerfetzter Kehle.
»Sie werden ihn hinrichten«, sagte ich. »Er sollte mich in der Arena töten und hat versagt. Der Tempel wird ihn köpfen.«
»Das wäre eine Gnade«, erwiderte Gen schlicht. »Für einen verkrüppelten Drachenschüler ist kein Platz in einem Stall.«
Ich blieb wieder stehen. »Wir müssen ihn holen.«
»Sei keine Närrin!«
Mir klapperten die Zähne. Mein Kopf pochte schmerzhaft, meine Rippen brannten wie Feuer. Das Bild meiner Schwester Waivia stieg vor meinen Augen auf. Ich hatte sie in den Logen der Arena gesehen, wo sie sich aufreizend an Waikar Re Kratt schmiegte, den Mann, der unseren Vater ermordet und Gesundheit und Verstand aus meiner Mutter herausgeprügelt hatte. Ob Waivia wohl gerade beobachtete, wie Dono blindlings durch den Staub kroch? Wenn ja, würde sie nichts unternehmen, um ihn zu retten, dessen war ich mir sicher.
Plötzlich wurde es für mich ungeheuer wichtig, Dono zu retten. Tat ich es nicht, war ich dazu verdammt, durch die dunklen Gänge unter der Arena zu kriechen, bis ich erschöpft zusammenbrach. Ich war fest davon überzeugt.
Also log ich und benutzte die einzige Waffe, die ich besaß: Gens Überzeugung, ich wäre die Dirwalan Babu, die Tochter des Himmelswächters, eine Frau, der prophezeit worden war, die Drachen und die Menschen von der Knute des Tempels zu befreien. »Dono ist von Bedeutung für uns, Gen. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber wir brauchen ihn. Ich spüre es in meinem tiefsten Innern. Wir müssen umkehren.«
Der Drachenmeister plapperte vor sich hin wie ein Baby, das in den Schlaf hinüberdämmerte.
Drachenjünger Gen antwortete langsam und bedächtig. »Zarq. Du stehst unter dem Einfluss des Giftes …«
»Ihr habt mir doch kaum welches gegeben!«, stieß ich hervor. »Jeder Schritt ist die reinste Qual für mich. Ich fühle jeden gebrochenen Knochen, als hätte ich nur Wasser getrunken!«
Die Fackel flackerte und warf Wellen von Hitze und Licht über mein Gesicht, über seinen Schleier und die bedrückenden Steinwände.
Abrupt fuhr Gen zu dem Mann herum, der den Komikon stützte. »Bring sie zum Ende des Tunnels.« Er klang wütend. Nein. In die Enge getrieben. »Dort kommt ihr an einen Scheideweg mit drei Gängen. Nehmt den mittleren Tunnel und biegt an seinem Ende links ab. Beeilt euch. Und sagt den Männern, die draußen postiert sind, sie sollen auf mich warten.«
»Ihr scherzt!«, erwiderte der Angesprochene entsetzt.
»Beeil dich!«, brüllte Drachenjünger Gen, drückte mir die Fackel in die Hand und drängte sich an mir vorbei, den Weg zurück, den wir gekommen waren. »Wartet draußen auf mich, mit unseren Drachen!«
»Wie lange denn?«, schrie der Mann Gen nach. Doch der war bereits verschwunden.
Jetzt würde ich es schaffen. Wir würden den Weg aus dem Labyrinth finden, und ich würde nicht dazu verdammt sein, in den Tunneln zu sterben, zur Strafe dafür, dass ich Dono zurückgelassen hatte.
Warum klapperten mir dann die Zähne?
Ich wusste vage, dass ich unter dem Einfluss des Giftes stand, dass ich Hirngespinsten, Wahnvorstellungen nachhing, berauscht war, dass mir schwindelte. Doch das spielte keine Rolle. Dono gehörte zur Familie, und ich würde verdammt sein, wenn ich ihn zurückließ, damit der Tempel ihn unter dem gleichgültigen Blick meiner Schwester exekutierte. Ich war verdammt, wenn ich ihr auch nur im Entferntesten ähnlich würde.
Danach setzten wir unseren Weg fort, fast im Laufschritt. Vor uns huschten Kreaturen davon, manchmal hörten wir sie auch hinter uns. Einmal sah ich etwas in der Dunkelheit vor mir. Es war kniehoch, und seine Farbe glich dem gelblichen Grau gekochten Eigelbs. Sein Rückgrat sah aus wie die Knöchel einer geballten Faust. Es bewegte sich geduckt und stank nach verfilztem Fell und Palmöl. Ich hatte keine Ahnung, was es sein konnte, und meine Haut kribbelte.
Wortlos folgten wir Gens Anweisungen. Selbst der Drachenmeister war verstummt. Wir stolperten weiter, immer weiter durch das endlose Dunkel.
Unaufhörlich weiter.
Großer Drache, hatten wir etwa die Abzweigung verpasst? Nein. Vor uns gabelte sich der Tunnel in drei Gänge. Wir nahmen den mittleren und gingen durch einen noch schmaleren Tunnel, der zunächst sanft, dann zunehmend steiler anstieg und urplötzlich endete. Vor mir erhob sich eine Steinwand, und nach rechts und links führte jeweils ein Gang. Ich wandte mich nach links. Der Tunnel krümmte sich, hierhin, dorthin, immer wieder. Die Decke wurde niedriger, immer niedriger. Wir liefen gebückt im Kreis.
»Das ist der falsche Weg!«, stieß ich pfeifend hervor. Die Hitze der Fackel trocknete meine Gesichtshaut so sehr aus, dass sie spannte. Meine gebrochenen Rippen bohrten sich wie Drachenklauen in meine Eingeweide.
Plötzlich machte der Tunnel erneut einen Bogen, in die andere Richtung diesmal, und der Mann hinter mir, der den Drachenmeister schleppte, schrie erleichtert auf. Vor uns schimmerte Licht, und ich roch frische Luft, Vegetation und warme Erde. Ich verkniff mir ein Wimmern und stolperte voran.
Gebückt traten wir aus dem Eingang des Tunnels. Ich ließ die Fackel fallen und sank auf die Knie. Warmer Wind trocknete den Schweiß auf meiner Haut. Drachen schnaubten, Steigbügel klirrten, und Zaumzeug klingelte.
»Ihr seid nur drei!«, blaffte jemand. Stahl fuhr singend aus einer Scheide. »Wurdet ihr verfolgt? Gab es einen Kampf?«
Vor mir tauchte eine Silhouette in dem gleißenden Tageslicht auf, ein Mann, finster blickend und mit einem Schwert in der Hand. Er sah von mir zum Eingang des Tunnels hinter mir.
»Gen ist umgekehrt, um einen Schüler zu holen.« Der Mann neben mir, der den Komikon stützte, hustete und spie aus. »Das Mädchen bestand darauf. Helft mir, der hier ist ohnmächtig geworden.«
Ich blinzelte in das blendende Licht, da ich zusah, wie zwei Männer den Drachenmeister auf einen geflügelten Drachen wuchteten, während ein dritter den Drachen ruhig hielt. Als sie das geschafft hatten, streifte der Mann, der den Komikon durch das Labyrinth getragen hatte, die Robe des Inquisitors ab; darunter trug er Hose und Stiefel. Er hatte Arme so muskulös wie die eines Schmiedes und doppelt so dicke Oberschenkel. Er sah mich an und deutete brüsk mit dem Kinn auf eine gesattelte Drachenkuh. Ich straffte mich und humpelte hinüber.
War sie ein Reittier? Nein, sie roch nicht nach Gift. Also war sie eine Escoa, eine der geflügelten Drachenkühe, die für Malacars Paket- und Brief-Dienst flogen. Allen Escoas wurden ihre Giftsäcke entnommen.
Der Mann, der wie ein Schmied aussah, half mir ziemlich grob in den Sattel. Zwei Drachen auf der anderen Seite meines Reittiers schnaubten und stampften voller Unruhe. Sie waren an einem jungen Baum angebunden, den sie mit einem einzigen Satz hätten entwurzeln können, wenn sie das gewollt hätten.
Ich sah mich von der erhöhten Position im Sattel der Escoa um. In der Ferne erstreckten sich hügelige Obstplantagen bis zum Horizont, eingefasst von einer niedrigen Gebirgskette. Wir befanden uns auf der gegenüberliegenden Seite der Arena, fern von den Tavernen, den Buden der Straßenhändler und der Karawanserei von Fwendar ki Bol, dem Dorf der Eier. Und damit auch weit weg vom Haupteingang der Arena.
Rechts neben uns erhob sich ihre runde Mauer, grau und drohend.
Der Drachenmeister erwachte aus seiner Betäubung und murmelte irgendwelche Obszönitäten, hielt sich aber im Sattel der Escoa, auf die man ihn gehievt hatte. Die drei Männer standen neben seinem Reittier und beobachteten den Eingang des Tunnels. Einer hatte die Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt.
»Wir sind zu siebt. Falls Gen mit dem Schüler zurückkehrt«, erklärte der mit dem Schwert grimmig.
Sieben konnten nicht mit den Drachen fliegen. Sechs ja. Aber sieben? Nein.
»Zwei von uns werden mit dem Mädchen und dem Drachenmeister wegfliegen«, erklärte der Schmied langsam, als würde er die Logik seiner Worte überprüfen, während er sie aussprach. »Einer von uns schlägt sich in die Felder und überlässt die dritte Escoa Gen und dem Schüler.«
Der Schwertträger umklammerte den Griff seiner Waffe fester. »Hier wird es sehr bald von Tempelsoldaten nur so wimmeln.«
»Je schneller die beiden übrigen davonfliegen, desto früher können unsere Lockvögel die Soldaten ablenken. Das verbessert Gens Chancen.«
Die drei sahen sich an, als würden sie sich gegenseitig abschätzen.
Schließlich ergriff der dritte Mann das Wort. »Ich denke, ich könnte es bis zu den Obstplantagen schaffen, bevor hier Alarm geschlagen wird.«
Wir blickten zu den Obstgärten in der Ferne. Entweder war er wirklich ein ausgezeichneter Läufer, oder er war ein ziemlicher Optimist. Doch welche Wahl blieb ihm angesichts der Situation schon, als beides zu sein? Der Schmied schlug ihm auf die Schulter, und ohne ein weiteres Wort rannte der Mann los.
Das gedämpfte Trompeten des Drachen erklang hinter den Mauern der Arena. Die Zuschauer antworteten mit einem ozeanischen Brüllen. Ich erschauerte.
»Wie lange warten wir noch?« Der Schwertträger ließ den Tunneleingang nicht aus den Augen.
»Bis Gen zurückkehrt«, sagte ich. Die beiden Männer sahen mich an. Ihre Blicke waren nicht sonderlich wohlwollend. »Er wird zurückkommen.«
Während wir warteten, wiederholte ich diesen Satz immer wieder stumm in meinem Kopf. Die Escoas wurden zunehmend unruhiger, warfen ihre Schnauzen hoch, schlugen mit ihren Schwänzen nach Beißfliegen, die Atmosphäre wurde immer angespannter, und mein Mantra erschöpfte sich, als die Zeit versickerte, bis ich schließlich einfach nur im Sattel hockte, mein Verstand ebenso leer und schwarz wie der Tunneleingang, während mein Puls raste und mein Mund trocken wurde.
»Wir fliegen los. Jetzt«, befahl der Schmied, wirbelte herum und trat zu mir.
»Nein«, widersprach ich heiser. »Er wird kommen, er muss kommen …«
»Wenn wir noch länger warten, sind wir so gut wie tot. Die Hälfte unserer Lockvögel ist vielleicht schon jetzt entdeckt worden. Steig auf!«, blaffte er dann den Schwertträger an, der sich hinter dem Drachenmeister auf das Reittier schwang.
Ich hatte Gen in den Tod geschickt.
»Wir können nicht losfliegen!« Ich machte Anstalten, abzusteigen.
Der Schmied packte mich am Fußgelenk. »Wenn er lebt, wird er zu uns stoßen. Wurde er aber gefangen genommen, ist es sinnlos …«
»Soldaten!«, hallte ein heiserer Schrei aus dem Tunnel. Unsere Köpfe ruckten herum, und wir starrten auf den Eingang. Gen stolperte heraus. Dono hing schlaff in seinen Armen. Mein Milchbruder war nackt bis auf den Lendenschurz, staubbedeckt und blutverschmiert.
»Nehmt ihn, steigt auf und los! Bewegt euch!«, keuchte Gen. Der Schmied und der Schwertträger waren augenblicklich an seiner Seite. Der Schwertträger nahm Dono, Gen stützte sich auf den Schmied und schlurfte zu mir. »Soldaten kommen. Sieben, vielleicht mehr. Die Lockvögel sind bereit?«
»Sechs Escoas mit je einem Reiter«, erwiderte der Schmied. »Sie steigen auf und fliegen nach Süden und Osten, sobald sie uns in der Luft sehen.«
»Wo ist Granth?«
Der Schmied deutete auf eine Gestalt in der Ferne.
»Der Drache gewähre ihm den Verstand, sich fallen zu lassen und ruhig liegen zu bleiben, sobald wir in der Luft sind«, murmelte Gen. »Dann hat er eine kleine Chance, nicht gesehen zu werden.« Er sah mich an. »Leg dich so flach auf den Drachen, wie du kannst, Babu.«
Einen Drachen zu fliegen bedeutet, halb auf seinem Rückgrat zu liegen, die Knie an die schuppigen Flanken und den Ledersattel gepresst, die Füße in den Steigbügeln, die dicht unter dem Rückgrat des Drachen befestigt sind. Ich biss die Zähne zusammen und nahm vorsichtig meine Flugposition ein. Gen schwang sich in den Sattel und legte sich über mich, behutsam wegen meiner gebrochenen Rippen. Dann packte er die Zügel, die am Hals der Escoa herunterhingen. Der Schwertträger saß bereits im Sattel. Dono lag quer hinter ihm auf der Escoa, wie ein Sack Getreide mit Riemen gesichert. Der Schmied stieg wieder hinter den Drachenmeister und hob die Zügel.
Mit gewaltigen Sätzen stiegen die Drachen in die Luft empor.
Ich suchte den Boden ab, suchte den Mann, den Gen Granth genannt hatte. Ich konnte ihn nicht sehen. Ich wusste zwar nicht, wer er war, wo er zu Hause war, wen er liebte, ob er Kinder hatte, aber ich betete, dass er uns sah, wie wir nach Westen flogen, und klug genug war, sich auf den Boden zu werfen. Wenn er sich mit Staub und Pflanzen bedeckte, konnte er sich gewiss vor den Augen des Tempels verbergen. Ganz bestimmt.
Ich wollte einfach daran glauben.
 
Drachenfliegen wird sehr stark romantisiert.
In Wirklichkeit ist es laut und anstrengend, bedeutet verkrampfte Muskeln in erstarrten Gliedmaßen, die zu lange in einer unbequemen Position verharrten und, was die Unbequemlichkeit angeht, mit den Ohren wetteifern, die sowohl wegen der Höhenunterschiede als auch von dem Heulen des Windes schmerzen. Der Wind trocknet einem auch die Kehle aus und lässt die Zunge am Gaumen kleben. Jeder mühsame Atemzug muss diesem unablässigen Wind abgerungen werden. Die Augäpfel fühlen sich an wie vertrocknete Erbsen, die Nasenlöcher brennen vor Trockenheit. Außerdem bedarf es unermüdlicher Konzentration, um sich auf einem Drachen zu halten und nicht von einem plötzlichen Schwenk zu einer Seite hin überrascht zu werden, der einen aus dem Himmel durch die Wolken in den Tod Meilen tiefer stürzen ließe.
Wie viel schlimmer ist dann wohl der Flug mit einem Drachen, wenn man verletzt und vom Kampf mitgenommen ist, wenn man gebrochene Knochen hat und einem vor Hunger und Erschöpfung fast schlecht ist?
Unsere Flucht von der Arena aus dauerte so lange, dass ich bei einsetzender Dunkelheit meine Angst vor möglichen Verfolgern längst vergessen hatte. Meine Finger waren so weich wie Aloe-Gel, während ich die hölzernen Haltegriffe rechts und links am Sattel neben dem Hals der Escoa umklammerte. Ich konnte mich einfach nicht länger festhalten.
Außerdem hatte ich Angst um Dono. Er hatte sich nicht ein einziges Mal gerührt, seit er auf der Escoa von dem Schwertträger festgebunden worden war. Außerdem schienen sich die Lederriemen, die ihn hielten, gelockert zu haben, denn er schwankte heftig hin und her wie die losgerissene Fracht eines vom Sturm geschüttelten Trawlers.
»Wir müssen landen!«, schrie ich gegen den Wind. »Seht Euch Dono an!«
Gen antwortete nicht. Jedenfalls nicht hörbar. Aber ich fühlte, wie er sich anspannte.
»Verdammt, Gen, wir dürfen ihn nicht einfach fallen lassen!«
»Noch ein kleines Stück, dann sind wir in Brut Xxamer Zu.«
»Wie weit noch?«
Sein Schweigen war Antwort genug: Sehr weit.
»Dono wird es nicht schaffen!«, schrie ich. »Ich ebenso wenig! Wir müssen irgendwo landen und übernachten.«
Unter uns lag nur der Bergdschungel. Ich wartete auf eine Reaktion von Gen, aber es kam keine. Gereizt griff ich nach den Zügeln und zog daran. Der Kopf unserer Escoa ruckte nach links, und sie schwenkte scharf ab. Ich kreischte und fühlte, wie ich von ihrem Rücken rutschte. Gen brüllte mir etwas ins Ohr. Nur sein Gewicht auf mir hielt mich im Sattel.
Einige aufregende Momente später richteten wir uns wieder auf. Kurz darauf hob er den Arm und bedeutete den beiden anderen Männern, uns zu flankieren. Dann änderten wir den Kurs.
Es wurde Nacht, und schon bald landeten wir am Rand eines primitiven Dorfes auf einem dunklen Feld, das im Windschatten eines Bergkamms lag. Am anderen Ende des Feldes streckten mehrere abgestorbene Bäume ihre toten Glieder zu den Sternen empor. Dahinter lag der Dschungel.
»Ein ungeplanter Halt«, erklärte der Schmied, der im Sattel seiner heftig auf dem Gebiss kauenden Escoa sitzen geblieben war. »Was ist das hier für ein Ort?«
»Ein Weiler der Verlorenen.« Gen stieg ebenfalls ab. In der Siedlung kläffte ein Hund. Mehrere andere stimmten in sein Bellen ein. »Wir sind hier sicher genug.«
»Sicher? Ihr seid als Inquisitor verkleidet …«
»Ich weiß selbst, was ich trage.«
Ein Muskel zuckte in des Schmieds Wange. »Ihr solltet die Robe ausziehen.«
»Sie haben uns bei diesem Mondlicht landen sehen, vor allem mich in meiner Robe. Es ist besser, nicht zu versuchen sie zu täuschen.« Gen nahm den Zügel seiner Escoa und zog daran.
Wir hatten die Hälfte des Feldes überquert, als uns eine Klaue voll Männer entgegenkam. Sie waren mit Mistgabeln, brennenden Holzscheiten und gespannten Bögen bewaffnet. Einige hielten kläffende Hunde an groben Stricken zurück. Unsere Escoas blieben schnaubend stehen. Gen hob beide Hände, um den Männern zu zeigen, dass er unbewaffnet war.
»Wir müssen uns nur von unserer Reise kurz ausruhen!« Seine dröhnende Stimme übertönte das Kläffen der Hunde.
Einer der Verlorenen trat vor. Seine Gelenke waren geschwollen, und er wirkte unterernährt. Wie alle Verlorenen trug auch er eine Tonscheibe in seiner Unterlippe, die signalisierte, dass er nur den Angehörigen seines Weilers Loyalität schuldete. Mit einem Blick auf mich tat er mich als harmlosen Rishi-Jungen ab und betrachtete dann lange den Drachenmeister, der murmelnd und zuckend zwischen den Schulterblättern der Drachenkuh des Schmieds lag. Noch ausführlicher musterte er Dono, der quer hinter dem Schwertträger lag. Er versuchte nicht einmal, den Widerwillen auf seinem Gesicht zu unterdrücken, als sein Blick zu Gen zurückglitt.
Gen hätte seine Inquisitorenverkleidung ablegen sollen. Die Verlorenen hatten geschworen, frei vom Einfluss des Tempels zu leben.
Aber als das Schweigen immer angespannter wurde, änderte ich meine Meinung. Diese Leute waren muskulös und vernarbt, barfuß und zerlumpt und wirkten irgendwie verzweifelt; hinter ihrem Ring aus knurrenden Hunden beobachteten sie uns mit einer Mischung aus Verachtung und Gier. Es war gut, dass Gen die Robe, die Kapuze und den Schleier eines der gefürchteten Henker des Tempels trug. Nur die Angst der Verlorenen vor einer Vergeltung durch den Tempel würde uns davor bewahren, hier wegen unserer Habe ermordet zu werden.
Ich war erleichtert, dass man mich für einen Tempeldiener hielt, und gleichzeitig widerte Gen mich an, ebenso wie ich über mich selbst entsetzt war, weil wir die Furcht vor dem Tempel als Schutzschild gegen diese Leute benutzten.
»Wir mögen keine Besucher«, erklärte der Verlorene schließlich.
»Wir bleiben nicht lange«, antwortete Gen. Sein gleichgültiger Tonfall war jemandem angemessen, der selbstverständlichen Gehorsam erwartete und sich nicht darum kümmerte, was es kostete, einen solchen Gehorsam von anderen zu erhalten.
Der Verlorene ließ sich jedoch nicht so schnell einschüchtern. »Ihr habt unsere Setzlinge zertrampelt. Das kostet etwas.«
»Ihr werdet angemessen entschädigt.«
»Man kann keine Geldfetzen an den Füßen tragen. Und man kann sich damit auch nicht gegen Gesetzlose und Dschungelkatzen verteidigen.«
»Du akzeptierst, was dir gewährt wird.« Gen trat vor. Ich konnte den Verlorenen nicht verübeln, dass sie uns verabscheuten. Aber Dono musste behandelt werden. »Wir benötigen klares Wasser. Am besten abgekocht und gekühlt.«
Das Feuer leckte an den Holzscheiten, Hunde knurrten und zerrten an den groben Stricken. Die Escoas trampelten unruhig hin und her.
Schließlich nickte der Verlorene verächtlich und ließ seine Wut an dem nächstbesten Köter aus. Er trat ihm in die Rippen. Der Hund jaulte schrill auf und duckte sich unterwürfig auf den Boden.
Der Weiler wurde von einer Palisade aus behauenen jungen Stämmen geschützt, die vor allem wilde Tiere abhalten sollte. Hinter der Umzäunung standen primitive Hütten, deren Eingänge mit Fellen und Matten verhängt waren, durch die kein Licht herausdrang. Wir sahen keinen einzigen Bewohner außer den Männern und den knurrenden Hunden, die uns eskortierten.
Wir wurden in eine Hütte geführt, und man gab uns einen brennenden Holzscheit, damit wir Licht hatten. Der Schwertträger stand als Erster Wache, vor der Tür, mit den Escoas. Der Drachenmeister murmelte und zuckte zwar immer noch, konnte aber bereits allein laufen. Er stolperte in eine Ecke der Hütte und brach mit ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Boden zusammen. Der Schmied legte Dono auf die Erde.
Donos Gesicht wirkte durch die Schwellung seines zerfetzten Augenlides verzerrt. Eiter und Blut verkrusteten seine Wimpern. Die Schicht war so dick wie Haferschleim. Die dunkelviolette Haut über dem geschwollenen Auge war an mehreren besonders gespannten Stellen aufgeplatzt. Sein Hals sah noch schlimmer aus. Unter dem schwarzen, getrockneten Blut sah ich etwas Weißes schimmern. War das sein Kehlkopf? Ich wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen.
Er war bewusstlos, sah wächsern aus und atmete nur flach.
»Er wird die Nacht nicht überleben«, erklärte der Schmied.
Gen reichte ihm das brennende Holzscheit und kauerte sich neben Dono. »Ich fürchte, du hast recht.«
»Tut etwas«, stieß ich heiser hervor. »Irgendetwas … Djimbi.«
Etwas Magisches.
Gen drehte sich um und starrte mich hinter dem Schleier an. »Es gibt keine Anrufung auf der ganzen Welt, die den Tod abwehren kann, Babu. Was nicht heißen soll, dass ich es nicht versuchen würde …« Er hob die Hand, um meinem Protest zuvorzukommen. »Ich werde tun, was ich kann, mit allem, was diese Leute entbehren können. Aber sie brauchen ihre Heilkräuter dringender als Dono.«
»Das könnt Ihr nicht wissen!«
»Ich habe genug gesehen, um zu wissen, wann sich die Nacht auf einen Menschen heruntersenkt.«
Ich schwankte. Gen deutete mit einem Nicken auf den Boden. »Besser, du schläfst eine Weile. Ich wecke dich, sobald sich etwas ändert.«
Mein Torso fühlte sich so steif an wie altes Bambusholz, meine Eingeweide waren von meinen gebrochenen Rippen zerschunden. Es erschien mir unmöglich, mich auch nur auf den Boden zu legen. Gen stand auf und half mir. Dann lag ich auf dem Rücken und lauschte Donos Atemzügen, aber sie waren so schwach, dass sie in dem Schnauben und dem rauen Keuchen der Escoas vor der Hütte untergingen, in dem Gemurmel des Drachenmeisters, dem Knistern des Holzscheits, dem lauten Atmen Gens und des Schmieds. Der Rauch von dem Scheit erfüllte die Hütte, und ich schloss meine Augen, weil sie davon brannten.
»Wir sollten sie löschen, heho«, hörte ich Gens Murmeln. »Die Funken könnten diese Hütte in einen Scheiterhaufen verwandeln.«
Ich wollte protestieren, wollte einwenden, dass Dono Licht brauchte, dass wir das Dunkel in Schach halten mussten. Aber ich schlief bereits.
Dono starb im Morgengrauen.
Gen weckte mich, hielt mir eine Schale mit schlammigem Wasser an die Lippen und half mir dann an Donos Seite. »Er geht jetzt, Babu. Mehr kann ich nicht für ihn tun.«
»Aber Ihr habt es versucht.«
Sein weißer Schleier starrte mich an. Wie eine Mauer.
»Ihr habt es doch versucht?« Ich war wütend.
»Zweifelst du an mir?«
Ich hielt Donos Hand, als er seinen letzten Atemzug tat. Sie war immer noch größer als meine, diese Hand, selbst im Tode. Groß, schwielig, mit geraden, starken Knochen. Wir hatten uns seit unserer Kindheit nicht mehr an den Händen gehalten, und auch damals nur, wenn wir spielten.
Aber was auch immer Dono Leben und Kraft gegeben hatte, war aus ihm gewichen. Mein Milchbruder war von mir gegangen, und seine Hand war so kalt wie Lehm. Ich wollte etwas sagen, ein Gebet, eine Liedstrophe, irgendetwas zutiefst Empfundenes und Bedeutungsvolles. Mir fiel nichts ein. Gar nichts.
Stattdessen fragte ich mich, ob Dono wohl jemals Reue empfunden hatte, weil er mich in den Kerker des Tempels geschickt hatte.
Dann ließ ich seine Hand aus meiner gleiten.
2
Zuhause. Dieses Wort ist so mächtig, durchsetzt mit Emotionen, überlagert von Erinnerungen. In unserem Zuhause werden wir geformt. Wir hätscheln es in unserem Verstand als ein Beispiel für das, was wir für unsere Kinder wollen oder auch nicht wollen, für unsere Zukunft, unsere Familien. Wir wollen einen Herd, der wärmer ist, eine Zuflucht, die uns mehr willkommen heißt. Verbiege dies, ändere das. Behalte zwei oder auch drei Dinge bei.
Das Ergebnis ist, ganz klar, das perfekte Refugium, ein makelloses Zuhause, das gleichzeitig für immer unerreichbar bleibt.
Irgendwie hatte ich mir eingeredet, dass ich nach Hause flöge.
Dabei war ich noch nie in Brut Xxamer Zu gewesen, außer in einer Vision, die mich beim Tod meiner Mutter heimgesucht hatte. Als ich jetzt mit Gen, der schwer auf mir lag, dorthin flog und die Schwingen der Escoa neben uns wie gewaltige Bahnen karamellisierten Zuckers glitzerten, durchströmte mich erregende Vorfreude. Ich war unterwegs nach Hause, zu einem Drachensitz, auf dem es Dracheneier gab und den ich durch eine illegale Wette in der Arena gewonnen hatte. Zu einem Ort, an dem ich sicher sein würde und wo ich für die Sicherheit anderer sorgen konnte. Ich würde das eine verbiegen, das andere ändern, und das Endergebnis würde …
Die Morgendämmerung färbte den Himmel lavendelfarben und blassorange. Meilen unter uns erstreckte sich die Dschungelvegetation wie ein aufgewühlter Ozean bis zum Horizont. Die Morgendämmerung ging in den Morgen über, dann kam die Mittagszeit. Die Landschaft unter uns veränderte sich; Berge wurden zu Ebenen, der Dschungel zu wogender Steppe. Wir konnten im warmen Wind trotz der Höhe, in der wir flogen, den Duft von Staub und Samen ausmachen. Die Sonne brannte vom Himmel, die Luft war gnadenlos heiß und trocken. Ich war fast wahnsinnig vor Durst, und mein ganzer Körper schmerzte höllisch.
Dann tauchte vor uns ein brauner Fleck auf, der auf einer Seite von dem glitzernden Band eines Flusses gesäumt wurde.
»Das ist es!«, brüllte mir Gen trotz seiner Erschöpfung triumphierend ins Ohr.
Xxamer Zu. Meine Brutstätte. Mein Zuhause.
Ich hatte dort Nabelverwandte, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen, alle mütterlicherseits. Würden sie in meinem vernarbten, hageren Körper meine Mutter wiedererkennen? In meinem kurz geschorenen Haar? Meiner Hautfarbe, die weder die grünen Pigmente noch die Flecken der Djimbihaut meiner Mutter aufwies?
»Ghepp dürfte bereits gestern Mittag angekommen sein!«, schrie Gen. »Er dürfte gerade die Übernahme von dem früheren Vorsteher besiegeln.«
Ghepp. Das war der Mann, den ich als Verwalter meines Besitzes ausgewählt hatte. Denn der Tempel erlaubte nur einem anerkannten Lord oder Kriegerfürsten, eine Brutstätte zu regieren. Als Sohn des berühmten Roshu-Lupini Re erfüllte Ghepp die Kriterien des Tempels.
»Guter Wein und reichhaltiges Essen!«, brüllte Gen an meinem Ohr. Er war fast berauscht von unserem Erfolg. »Seidene Roben und reife Früchte! All das gehört jetzt dir, Babu!«
Und in den Stallungen meiner Brut würden Reittiere sein, giftige Drachen, die für den Kampf ausgebildet waren. Das bedeutete, es gab Gift.
Erneut durchzuckte mich die Erregung, unmittelbar gefolgt von Abscheu über mich selbst. Ich hatte dem Gift längst abgeschworen, hatte gelobt, mich nie wieder von seiner mächtigen Verlockung versklaven zu lassen. Ich verfluchte mich, dass ich überhaupt an das flüssige Feuer der Drachen dachte.
Die Brutstätte am Horizont wurde rasch größer.
Wir konnten das Zentrum der Brut erkennen. Auf einigen Anhöhen in der Steppe erhoben sich die Herrenhäuser der Elite, der Aristokraten, die man in der Sprache des Imperators Bayen nennt, Erste-Klasse-Bürger. Sie scharten sich um einen Tempel, dessen zentrale Kuppel in der Steppe lag wie ein gewaltiges Ei in einem Nest aus Gras. Als wir näher kamen, konnte ich den mit Gold bedeckten Turm sehen, der aus der Spitze der Kuppel emporragte und wie eine Lanze in den Bauch des Himmels stach.
Ein Flickenteppich aus Feldern umringte die Brut, und hinter ihnen lag etwas wie ein großes, weißes Laken.
»Salzteiche!«, dröhnte Gen, als wäre er meinem Blick gefolgt. »Die Haupteinkommensquelle der Brutstätte. Bereite dich jetzt auf die Landung vor!«
Wir waren da. Mein neues Leben sollte beginnen.
Geführt von Gen, schwenkten unsere Drachen über den Dächern ab, umkreisten in einem weiten Bogen die Tempelkuppel und landeten schließlich innerhalb der Tempelanlage im großen Hof der Botenstallungen, die mit ihren roten und schwarzen Dachziegeln auch aus großer Höhe zu erkennen waren. In Malacar erhalten nur Orte, die Drachen beherbergen können, solche Ziegel.
Der Schmied und der Schwertträger landeten neben uns. Wir hatten Donos Leichnam bei den Verlorenen gelassen und ihnen versprochen, sie dafür zu bezahlen, dass sie ihn an einen der Bäume in ihren Bestattungshainen nagelten. Ich hoffte, dass die Personen, die den Schakal erlegten und aßen, der Donos Leichnam verzehrt hatte, die rituellen Dankgebete sprechen würden, wenn sie die Rippen des Schakals für ihr Abendessen kochten.
In jeder Stallbox der Botenstallungen von Xxamer Zu stand eine Escoa, in manchen sogar zwei.
Gut, dachte ich müde, als Gen von meinem Rücken glitt und abstieg. Ich besitze also eine beeindruckende Menge von Escoas.
»Gib mir deine Hand, Babu.« Gens weißer Schleier blickte zu mir hoch. »Ich helfe dir herunter.«
Denk an gebratenes Fleisch und frische Früchte, sagte ich mir, als ich mich für den Abstieg wappnete. Meine gebrochenen Rippen fühlten sich in meinem Inneren wie ein glühender Schraubstock an. Denk an klares, frisches Wasser und Schlaf.
Ich stieg nicht ab, sondern rutschte vielmehr mit einem Grunzen in Gens ausgestreckte Arme. Ein junger Botenschüler tauchte aus der Stallhütte am anderen Ende des langen Hofs auf. Er lief zu uns und nahm die Zügel unserer Escoas. Der Schmied stieg ebenfalls ab und hielt dem Drachenmeister hilfreich die Hand hin. Der Komikon schlug sie aus.
»Ich habe mehr Drachen geritten, als du Frauen geritten hast und wahrscheinlich jemals reiten wirst«, knurrte er.
Der Schmied wandte sich wortlos ab und warf dem Botenschüler die Zügel seines Reittiers zu. »Sorge gut für sie, Junge. Sie hat einen langen und anstrengenden Flug hinter sich.«
Der Junge schluckte, warf Gen einen kurzen Blick zu und griff dann hastig nach den Zügeln der Escoa des Schwertträgers.
»Haben wir deinen Mittagsschlaf gestört?«, erkundigte sich dieser und schwang sich aus dem Sattel. »Was denn? Alle deine Kameraden ruhen sich in dieser Hitze aus, und du allein musst arbeiten?«
Der Schüler zog den Kopf ein, zerrte kräftig an den Zügeln unserer drei Reittiere und führte sie ins Erdgeschoss der schattigen Futterscheune, die eine ganze Seite des Hofs einnahm.
Gen schlang behutsam einen Arm um meinen Rücken und hielt mich unter meinen Achseln. »Stütz dich auf mich, wenn du …«
Der Schmied prallte gegen uns. Gen stolperte zur Seite, und ich fiel mit einem Schmerzensschrei zu Boden.
»Runter!«, brüllte der Schwertträger, »Deckung!« Im nächsten Moment flog sein Kopf so wuchtig auf seine Brust, dass er in die Knie sank. Aus seinem Nacken ragte funkelnder Stahl hervor. Ein Kriegswurfring.
Gen und der Drachenmeister warfen sich zu Boden, als ein Inquisitor aus einer Ecke des Hofs auftauchte. Ein zweiter trat aus einer anderen Ecke auf uns zu, und plötzlich tauchten von überall her noch mehr auf, eine ganze Klaue voll. Wir waren umzingelt.
»Bleib unten!«, brüllte Gen, noch während er des Schwertträgers Klinge aus seiner Scheide riss. Dann kniete er sich hin, während die Inquisitoren sich uns näherten. Mit einem unheiligen Djimbi-Ruf schleuderte Gen das Schwert wie einen Speer auf einen der Tempelhenker. Der Stahl flog mit übernatürlicher Geschwindigkeit durch die Luft und bohrte sich in den Bauch des Mannes, wo er in einem Schauer aus blau-weißen Teilchen explodierte. Die unmittelbar danach einen heulenden Wirbel bildeten.
Ich kroch auf dem Bauch durch den Staub zu dem Schmied und riss ihm den Wurfring aus dem Nacken. Er löste sich mit einem gruselig schabenden Geräusch. Gen schrie mir zu, ja unten zu bleiben. Meine Nackenhaare sträubten sich, denn ich wusste, dass ein Wurfring in meine Richtung flog. Ich ließ mich auf die Seite fallen - der Schmerz raubte mir fast die Besinnung - und warf meinen eigenen Wurfring mit all der Kraft und Genauigkeit, die ich mir während meiner Ausbildung als Schüler angeeignet hatte. Der rasiermesserscharfe Wurfring eines Inquisitors fegte über meinen linken Arm. Mein eigener Ring durchtrennte seinen Schleier und grub sich in seine Kehle. Ich wartete nicht ab, um zu sehen, ob ich ihn getötet hatte, denn vier weitere Tempelhenker stürzten sich auf mich. Währenddessen prallte der unnatürliche Wirbel aus Schwertstücken, den Gen gewirkt hatte, von einer Wand ab, traf zwei weitere Inquisitoren und explodierte. Dann hielt er mitten in der Luft inne und wurde eine Wand aus weißen Flammen. Im nächsten Moment gellten kreischende Schreie über den Hof, der Gestank nach verbranntem Fleisch und versengten Haaren stieg mir in die Nase. Ich krabbelte hastig zu einem auf dem Boden liegenden Wurfring, wirbelte ihn um meinen Zeigefinger und schleuderte ihn auf einen weiteren Tempelhenker. Er verfehlte sein Ziel.
Der Drachenmeister rannte derweil wie von Sinnen brüllend mit dem Schwert des Schmieds in der Hand auf einen Inquisitor zu …
Wie viele von ihnen gab es denn hier? Eine ganze Heerschar?
Wir würden es nicht schaffen. Das erkannte ich mit kalter Klarheit. Vier Inquisitoren hatten uns umzingelt und wirbelten ihre Wurfringe um ihre Zeigefinger.
Dann zuckte einer der Männer heftig zusammen, einmal, zweimal, dreimal, seine Hände verkrampften sich, und der Wurfring trudelte kraftlos durch die Luft. Die drei Tempelhenker hinter ihm wurden ebenfalls von krampfhaften Zuckungen gepackt; schwarze Pfeilspitzen lugten an verschiedenen Stellen aus ihren Gewändern hervor. Sie ließen die Hände sinken, während sie einen Schritt nach vorn taumelten, noch einen. Ein Wurfring grub sich dicht an meinem Fuß in den Boden und ließ eine Fontäne aus Dreck gegen meinen Schenkel spritzen. Ein zweiter Wurfring landete unmittelbar neben meinem Knie.
Die Inquisitoren fielen wie Ähren unter einer Sichel. Aus ihren Rücken ragten gefiederte Pfeilenden hervor.
Ich blickte hoch. Dort, am anderen Ende des Hofes, in der Nähe der Hütte der Stallburschen, stand eine Klaue voll Männer, von denen einige Bögen in den Händen hielten. Sie, Gen, der Drachenmeister und ich waren die Einzigen im Hof, die noch am Leben waren. Der Komikon schlug wütend auf die Leiche eines Inquisitors ein.
»Drachen und Schlange!«, schrie jemand. Dann trat ein elegant gekleideter Bayen aus dem Schatten auf uns zu. Er trug eine geschlitzte Hose in der Farbe reifer Datteln; sein smaragdgrünes Hemd bauschte sich um seinen Oberkörper, als er auf die toten Tempelhenker zeigte. »Verdammt, Gen, seid tausendfach verdammt! Ihr solltet bereits gestern vor Einbruch der Dunkelheit hier eintreffen.«
Der Bayen war Rutgar Re Ghepp, der Mann, der eingewilligt hatte, den Tempel zu täuschen, indem er als Herr meiner Brut fungierte.
»Ich bin verletzt«, keuchte Gen, während er sich aufrappelte. Das Weiß seines linken Ärmels war rot getränkt. »Zarq?«
»Ich bin unversehrt. Glaube ich. Ja.«
Gen zog schwer atmend seinen Schleier herunter und presste eine Hand auf seinen Oberarm. Sein schwarzer, in der Mitte geteilter Bart war ebenso verfilzt und ungebärdig wie die Haare auf seinem Kopf und glitzerte von Feuchtigkeit.
Es ist kein Blut, dachte ich. Nicht Gen. Nicht hier. Nicht in meiner Brutstätte.
Rutgar Re Ghepp, jetzt Lupini Xxamer Zu, stand vor uns. Seine schrägen Augen glühten, und seine Wangen waren gerötet.
»Sie sind am späten Vormittag eingetroffen.« Er klang entschuldigend, fast weinerlich.
»Ihr hättet uns warnen können«, stieß Gen zwischen den Zähnen hervor.
»Sie haben den Stall geschlossen.«
»Sind noch mehr von ihnen da?«
Ghepp fuhr sich mit der Hand durch sein schwarzes Haar und sah sich im Hof um. Seine vollen Lippen bewegten sich leicht, während er zählte. »Nein, das sind alle.«
»Und was ist mit den Tierstallungen?«
Ghepp schnaubte. »Sie sind leer. Diese Brut besitzt kein einziges verdammtes Reittier. Nicht ein einziges. Ihr blickt auf Xxamer Zus einzige geflügelte Drachen, und die meisten von ihnen wurden von den Inquisitoren geflogen, die Ihr gerade ermordet habt.«
Gen ließ sich nicht anmerken, ob er das »Ihr« bemerkte.
Der Drachenmeister näherte sich uns schwankend und schleifte das blutige Schwert durch den Staub hinter sich her. Er hatte Schaum vor dem Mund, und seine hässliche Brustwunde blutete stark.
»Was soll das, he? Was zum Teufel soll das hier?«, kreischte er.
»Dasselbe könnte ich Euch fragen!« Ghepp deutete mit dem Finger auf Gen. »Ihr habt gesagt, dass Ihr ohne Schwierigkeiten fliehen würdet. Ihr sagtet, niemand würde Xxamer Zu mit ihr in Verbindung bringen!« Jetzt deutete er mit dem Finger in meine Richtung.
»Xxamer Zu ist auch nicht mit Zarq in Verbindung gebracht worden«, grollte Gen. »Denkt nach, Mann! Der Tempel schickt seine Inquisitoren in jede Brutstätte, in der nach der Arena der Vorsteher wechselt, um zu überwachen …«
»Und warum sind die Stallungen dann verschlossen? Was sollte dieser Hinterhalt?«
Gen zog seine pechschwarzen Brauen zusammen. »Sind sie wirklich geschlossen worden? Habt Ihr versucht, uns einen Drachenreiter entgegenzuschicken, um uns zu warnen?«
Ghepp blähte die Nasenflügel. »So dumm war ich natürlich nicht!«
»Schwachsinniger Narr!«, fuhr der Drachenmeister ihn an. »Deine Furcht hat dich um den Verstand gebracht, und jetzt klebt uns das Blut einer ganzen Schar von Inquisitoren an den Händen!«
»Das reicht!« Gen schwankte, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. »Wisst Ihr ganz sicher, dass dies hier ein Hinterhalt war?«
»Seht Euch doch um!«, schrie Ghepp.
Gen rührte sich nicht. »Warum waren diese Inquisitoren hier bei Euch in den Stallungen?«
»Wir wollten die Außenbezirke der Brutstätte abfliegen und die Grenzen bestätigen …«
»Na also. Kein Hinterhalt. Sie waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort, haben Zarq erkannt und sofort reagiert.« Gen deutete mit dem Kinn auf die Bogenschützen, die uns aus dem Schatten beobachteten. »Sind das Eure Männer?«
Ghepp nickte grimmig. »Von Brut Re.«
»Habt Ihr acht Männer übrig?«
Ghepp fluchte.
»Lasst die Roben der Inquisitoren so schnell wie möglich waschen und trocknen. Dann steckt acht von Euren Männern hinein. Und sagt diesem Schüler, der sich in der Fütterungsscheune versteckt, dass er stirbt, wenn er nicht den Mund hält und verrät, wessen er eben Zeuge geworden ist. Dann zeigt mir, wo ich meine Wunde versorgen kann, bevor ich verblute. Überprüft alle Schüler, und stellt sicher, dass keiner etwas gesehen oder gehört hat.«
»Und sie?« Ghepps Blick verriet, dass er mich für den Tod der Inquisitoren und den Ärger verantwortlich machte, den er dafür bekommen würde. »Wisst Ihr, wie klein diese Brutstätte ist, wie primitiv? Hier gibt es keine Bastion, ich kann sie nirgendwo verstecken. Wenn ich sie in die Quartiere der Bayen bringe, wird sie mit Sicherheit von jemandem erkannt, der die Arena besucht hat. Und zwar augenblicklich.« Er schnippte mit den Fingern.
»Wer die Arena besucht hat, ist immer noch dabei, herumzuhuren und zu spielen …«
»Nein«, unterbrach ihn Ghepp. In seiner Stimme schwang ein eiserner Unterton mit. »Seht sie Euch an. Sie wird weder als Bayen noch als Junge durchgehen. Genauso wenig wie er. Versteckt sie unter den Rishi.«
Jetzt war es Gen, der fluchte. Dann erbleichte er, schwankte und schloss die Augen. Die Magie, die er gewirkt hatte, hatte seine Kräfte vollkommen erschöpft.
»Fangt ihn auf!«, schrie ich.
Ghepp und der Komikon fingen den schwankenden Hünen im letzten Moment auf. Sie taumelten unter seinem Gewicht und legten ihn dann, nach einem kurzen Wortwechsel, auf den Boden. Der Drachenmeister sank schwer atmend auf die Knie. Ghepp eilte im Laufschritt zu seinen Männern.
Gen rührte sich. »Arbiyesku.«
»Was?« Ich beugte mich dichter zu ihm herunter.
»Geht in den Arbiyesku.«
Mir schwand der Mut. Der Drachenmeister wollte protestieren, aber Gen öffnete ein Auge und brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. »Dort wird niemand nach euch suchen. Verstanden?« Gen hielt inne. »Ich benachrichtige sie.«
Ich verstand ihn, und nach einem Moment begriff auch der Komikon. Gen glaubte kein Wort von dem, was er gesagt hatte, um Ghepps Ängste zu zerstreuen. Er vermutete, dass der Tempel mich irgendwie doch mit dieser Wette in Verbindung gebracht hatte, bei der Ghepp Xxamer Zu gewonnen hatte. Und er fürchtete, dass die Inquisitorenschar genau aus diesem Grund hierhergeschickt worden war: um uns aufzulauern.
Vielleicht war einer unserer Lockvögel oder Granth, der Mann, den wir zurückgelassen hatten, gefangen und verhört worden. Vielleicht hatte uns auch der Händler verraten, der meine Wette unterstützt hatte. Vielleicht war diese gebeugte Kreatur mit dem knochigen Rückgrat im Labyrinth ein Mensch gewesen, hatte mich erkannt und gehört, wie ich Xxamer Zu erwähnt hatte …
Ich konnte tausend Spekulationen anstellen. Es spielte alles keine Rolle. Die Tatsachen blieben: Nachdem die Inquisitoren des Tempels mich angegriffen hatten, lagen sie jetzt tot in dem Botenhof meiner Brut, und der von Panik erfüllte Vorsteher der Brutstätte bestand darauf, dass ich mich unter den Arbeitern von Xxamer Zu versteckte.
Gebratenes Fleisch, saftige Früchte, sauberes Wasser und Schlaf würde ich nicht bekommen. Noch nicht.
Und was das Gefühl von Sicherheit und einem Zuhause anging...
 
Kurz nach dem Angriff sah der Hof wieder aus wie bei unserer Ankunft. Das unnatürliche weiße Feuer, von Gen mit seiner Djimbimagie beschworen, hatte drei Inquisitoren vollkommen verzehrt. Von ihnen waren weder Knochen noch Asche noch Rauch zu sehen. Der stechende Gestank nach verbranntem Haar und Haut war der einzige Hinweis darauf, dass hier vor kurzem jemand verbrannt war. Die anderen Leichen lagen verborgen unter der Spreu für die Stallungen in der Futterscheune. Wir würden sie im Schutz der Nacht entsorgen.
Damit kommen wir nicht davon, dachte ich. Auch wenn die Bayen und die anderen Leute in der Mittagsglut geschlafen haben, wird jemand die Schreie gehört haben.
Zu unseren Gunsten sprach nur das Entsetzen, das Inquisitoren in allen Menschen auslösten, ganz gleich, ob Bayen oder Rishi. Alle wussten, dass den Inquisitoren Verhöre und Schreie der Gefolterten auf dem Fuße folgten. Selbst die Drachenjünger des Tempels wirkten in der Gegenwart der heiligen Henker mit ihren weißen Schleiern beklommen. Vielleicht würden also keine Fragen gestellt werden. Vielleicht würde die Angst den Menschen die Münder verschließen, würde der Neugier einen festen Riegel vorschieben. Immerhin waren die Malacariten geübt darin, das Sicht- und Hörbare nicht zu sehen oder zu hören. Wenn es ihnen zupasskam.
Der Drachenmeister lag auf einem Heuballen. Aus der Wunde auf seiner Brust quoll immer noch Blut. Meine Schmerzen waren so schlimm, dass ich mir selbst eingestand, wie sehr ich mich nach Gift sehnte. Ghepp hatte versprochen, uns einen Heiler zu schicken, aber bis jetzt war noch niemand aufgetaucht.
Es gefiel mir nicht, dass ich keine Waffe hatte, mit der ich mich hätte verteidigen können. Vor allem, weil ich Ghepp nicht wirklich vertraute. Oh nein! Nicht nach dem Blick, den er mir zugeworfen hatte …
Und es war nicht nur der Blick. Die Tatsachen selbst passten nicht zusammen. Wenn er und die Inquisitoren gerade hatten aufsitzen und die Grenzen der Brutstätte hätten überprüfen wollen, warum hatten dann einige von Ghepps Männern Armbrüste und Bögen bei sich gehabt? Das war merkwürdig, weil die übliche Bewaffnung von Soldaten normalerweise aus Schwertern bestand. Es sei denn, man brauchte eine Waffe mit großer Reichweite zur Verteidigung. Genau solche Waffen benötigte man gegen Wurfringe.
Und dann diese Wurfringe …
Inquisitoren war es verboten, gewöhnliche Waffen zu tragen. Eine Ausnahme bildeten nur die Enthauptungsbeile, mit denen sie vor einem Tempeltribunal die heilige Exekution durchführten. Die einzige Waffe, welche die Tempelhenker tragen, aber nur zur Selbstverteidigung benutzen durften, waren Furgkri, eben diese rasiermesserscharfen Wurfringe.
Die Inquisitoren hatten beabsichtigt, ihren Hinterhalt wie bloße Selbstverteidigung aussehen zu lassen.
Hatte Ghepp von dem Hinterhalt gewusst, oder war es Zufall gewesen, dass sie alle bei unserer Ankunft im Hof der Botenstallungen gewesen waren? Und Ghepps Männer … hatten die Inquisitoren gewusst, dass einige von ihnen mit Armbrüsten bewaffnet waren, oder waren die Soldaten ohne das Wissen der Inquisitoren im Hof aufgetaucht?
Wieder konnte ich über tausend Möglichkeiten spekulieren. Ich bezweifelte allerdings, dass ich jemals die Antwort finden würde. Das Ergebnis wurde davon ohnehin nicht beeinträchtigt: Selbst hier, in meiner eigenen Brutstätte, war ich nicht in Sicherheit.
Lange nach Mittag brachte uns ein Inquisitor, einer von Ghepps als Tempelhenker verkleideten Männern, eine Flasche verdünnten Weins und eine Handvoll Pflaumen. In seiner Begleitung befand sich eine Djimbi. Die starre Miene der Frau verriet, dass sie am Rand blanken Entsetzens schwebte. Auf ihrer Hüfte balancierte sie einen Weidenkorb. Ihre Kleidung missfiel mir. Sie sah aus, als hätte sie sich nur eine pflaumenfarbene, mit schwarzen Fischgräten gemusterte Tuchbahn kunstvoll von ihrem Busen bis zu den Schenkeln um den Leib gewickelt. Eine solch schamlose Zurschaustellung wäre in Brut Re niemals geduldet worden, und ich fragte mich, ob dieses Gewand sie als Hure auswies.
Der »Inquisitor« deutete auf den Drachenmeister. Die Frau ging zu ihm, stellte den Korb auf den Boden und begann, mit sichtlich zitternden Händen seine Wunden zu untersuchen. Er schlug um sich. Sie murmelte ihm etwas auf Djimbi zu, woraufhin er sich beruhigte und ihr gestattete, weiterzumachen.
Ghepps Mann zog ein verschnürtes braunes Tuch aus dem weiten Ärmel seines Hemdes und warf es mir vor die Füße. »Von dem Gegabelten.«
Er meinte Gen und spielte auf seinen Bart an.
Ich bückte mich, steif vor Schmerz, und hob das Bündel auf. Es war ein Bitoo, einer dieser knöchellangen, mit einer Kapuze versehenen Kittel, der in Malacar als angemessenes Kleidungsstück für Frauen galt. Die Machart dieses Bitoo, braun, ohne Abnäher oder Falten und aus praktischer Muschelseide angefertigt, war unter den Rishi sehr beliebt.
Er war um ein Wams gewickelt, in dem sich wiederum ein Mitgiftschwert verbarg. Diese Mitgiftschwerter bestanden aus zwei mit rotem Garn zusammengebundenen Holzstäben, wie Klinge und Griff eines Spielzeugschwertes. Auf das rote Garn waren etliche durchlöcherte Münzen, Tempelgeld und Kupfertropfen aufgefädelt. Es war kein besonders langes Mitgiftschwert, und es gab auch keine Silber- oder Goldmünzen, aber es genügte. Es würde dem Drachenmeister und mir die Aufnahme in den Arbiyesku gewähren.
Der falsche Inquisitor duckte sich vor mir. Mir gefiel weder seine Nähe noch sein Schleier oder seine einstudierte Gelassenheit.
»Was?«, fuhr ich ihn an.
Er reichte mir aufreizend langsam eine kleine Pergamentrolle. Sie enthielt knappe Instruktionen.
Der Drachenmeister ist ein Hatagin Komikon, der seine Karawane und seinen Status aufgrund einer ungünstigen Wette in der Arena verloren hat. Du bist seine Roidan Yin. Gib deinen Arena-Umhang dem Überbringer dieser Nachricht. Ich werde dich rufen, sobald ich es für sicher halte, und werde dir ein Unterpfand senden, damit du weißt, dass wirklich ich dich verständigt habe.
Gen
Also sollte der Drachenmeister die Rolle eines Karawanenbesitzers spielen und ich die seiner erwählten Frau. Die Wunde auf seiner Brust würden alle akzeptieren, denn es kam nicht selten vor, dass ein Karawanenmeister von einem seiner gereizten, bis zur Erschöpfung angetriebenen Drachen verletzt wurde.
Ich zerriss das Pergament in winzige Stücke. »Verbrennt das«, befahl ich. »Und dreht Euch um. Ich muss mich umziehen.«
Einen Moment glaubte ich, der als Inquisitor verkleidete Soldat würde sich weigern. Wusste er, wer ich war? Oder ahnte er es? Vielleicht wusste er es tatsächlich und war von diesem Wissen beunruhigt. Er nahm mir die Schnipsel aus der Hand, stand auf und drehte sich um.
Im Schatten der Futterscheune verband derweil die Djimbi die Wunde des Drachenmeisters und half ihm in das Wams, das Ghepp für ihn besorgt hatte. Ich mühte mich währenddessen, den Umhang und das umgearbeitete Wams abzulegen, die ich in der Arena getragen hatte. Meine gebrochenen Rippen und vom Kampf noch steifen Glieder machten diese Aufgabe zu einer schwierigen Herausforderung.
Als ich fertig war, wurden der Drachenmeister und ich aus den Botenstallungen eskortiert. Das Mitgiftschwert hatte ich unter dem Bitoo verborgen, dessen Kapuze ich aufgesetzt hatte, allerdings nicht als Schutz gegen die Sonne. Die Stallungen lagen innerhalb der Tempelanlage in unmittelbarer Nähe der Quartiere der Drachenjünger, einer Ansammlung von blendend weißen Steingebäuden, die jeweils einen Hof umschlossen, der jeweils durch eine kurze Brücke mit dem nächsten Hof verbunden war. Unterwegs kamen wir an einigen prachtvoll gekleideten Heiligen Hütern vorbei, aber da wir von einem Inquisitor begleitet wurden und der Komikon und ich steifbeinig schlurften wie frisch Verletzte, glitten ihre Blicke über uns hinweg, als wären wir unsichtbar. Niemand mochte die Opfer der Inquisitoren ansehen und damit zugeben, dass der Tempel folterte.
Bewachte Tore öffneten sich für uns, und wir traten auf einen staubigen Marktplatz, der neben dem Tempel der Brutstätte winzig wirkte. Die Pflastersteine des Platzes schimmerten in der Mittagsglut. Djimbi-Rishi mit Heuballen auf ihren grüngefleckten Rücken überquerten langsam den Markt.
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE DRAGON TEMPLE SAGA 3: FORGED BY FIRE Deutsche Übersetzung von Wolfgang Thon
 
 
 
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Deutsche Erstausgabe 04/2009 Redaktion: Uta Dahnke
Copyright © 2007 by Janine Cross Copyright © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagillustration: Paul Youll, Agentur Schlück
 
 
 
eISBN : 978-3-641-02581-6
 
 
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