Das Glück mit den Männern - Gaby Hauptmann - E-Book

Das Glück mit den Männern E-Book

Gaby Hauptmann

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie haben Appetit auf spritzig-bissiges Lesefutter? Hier wird er gestillt! Man nehme eine kräftige Prise Ironie, würze mit rasanten Episoden aus dem modernen Beziehungsdschungel nach, rühre mit leichter Hand um und schmecke mit einer Mischung aus weiblich-männlichem Augenzwinkern ab. Fertig sind 19 ebenso unterhaltsame wie hinterhältige Geschichten, die höchsten Lesegenuss garantieren. Freuen Sie sich auf »ganz besondere Sehnsüchte«, eine »französische Errungenschaft« sowie stürmische und heitere »Altersmarotten«.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

4. Auflage 2010

ISBN 978-3-492-95660-4

© Piper Verlag GmbH, München, 2008 Erstausgabe: Weltbild, Augsburg 2008 Umschlagkonzept: semper smile, München Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München Umschlagfoto: Datacraft / Getty Images (Fenster) und Lauren Nicole / Getty Images (Kaktus) Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

FRANZÖSISCHE ERRUNGENSCHAFT

Die Überraschung war ihm gelungen. Als er in Croix-de-Mer die holprige Sandstraße entlangfuhr, glaubte sie noch immer an das Hotel, das er für die nächsten vierzehn Tage gebucht hatte. Sie hatten alle Fenster des kleinen Leihwagens heruntergelassen, der warme Wind fuhr durch das Wageninnere und zerrte an ihren Haaren, es war herrlich.

Er fuhr konzentriert, und um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. Es war ihr zehnter Hochzeitstag. Andere ließen sich nach zehn Jahren scheiden, sie hatten sich vierzehn Tage Flitterwochen geschenkt. Einfach so – in einer Sektlaune.

»Zehn Jahre«, hatte er gesagt und die Flugtickets auf den Tisch gelegt, »zehn Jahre!« Mehr Worte waren nicht nötig gewesen, sie hatten beide gewusst, wovon er sprach. Davon, dass sie beide mit Befürchtungen in diese Ehe gegangen waren, davon, dass viele befreundete Ehepaare inzwischen getrennt waren, und davon, dass sie nach zehn Jahren Ehe noch immer kinderlos waren.

Vierzehn Tage Entspannung hieß loslassen vom Job, vom Alltag, vom Sex nach Fruchtbarkeits-Stundenplan.

Die Luft roch nach Pinienwäldern und Meer. Ein bisschen staubig zwar, aber sie war samtig weich. Ines streckte ihren Kopf aus dem Fenster, um in vollen Zügen genießen zu können.

»Wir hätten ein Cabrio mieten sollen«, sagte sie.

»Die kleinen waren schon weg, die großen zu teuer«, erklärte er. »Und zu groß. Was wollen wir mit einem Viersitzer.«

Er hatte recht. Sie verdienten beide gut, ihr Bankkonto konnte sich sehen lassen, aber Michael war gegen unnötige Ausgaben. »Falls wir doch noch umziehen müssen, brauchen wir unser Kapital«, sagte er immer.

Mit dem Umziehen spielte er auf die Kinderzimmer an. In ihrer jetzigen Maisonettewohnung, die über zwei Etagen ging, gab es keine abgetrennten Räume, außerdem wäre sie bei Zuwachs zu klein. Die Pläne für ein entsprechendes Haus hatten sie in der Schublade liegen, allerdings waren sie von den zwei Kinderzimmern schon wieder abgerückt, jetzt, nach zehn Jahren, wären sie auch mit einem zufrieden.

Der Blick öffnete sich, und linker Hand sahen sie nun weit unten das Meer wie ein silbernes Band liegen.

»Wunderschön«, sagte Ines. Sobald sie ihre Zimmer bezogen hatten, wollte sie an einen der berühmten Strände von Saint-Tropez. Sie hatte extra an ihrer Bikinifigur gearbeitet und war zweimal in der Woche zur Sonnenbank gegangen. Es war Mai, und sie wollte sich nicht sofort einen Sonnenbrand einfangen – außerdem wollte sie mit den französischen Strandschönheiten konkurrieren können.

»Ist das überhaupt die richtige Zufahrtsstraße?«, wollte sie von Michael wissen, denn inzwischen kam ihr die Straße doch verdächtig holprig vor.

»Goldrichtig«, sagte er und lachte.

Er sah noch immer gut aus, fand sie. Eigentlich hatte er sich überhaupt nicht verändert, außer, dass er vielleicht männlicher geworden war. Die Andeutung von Stirnfalten und die ersten grauen Strähnen im vollen, braunen Haar. Etwas früh vielleicht für vierzig, aber es stand ihm gut.

Ohne zu ihr hinüberzuschauen, griff er nach ihrer Hand.

»Wenn wir jetzt nicht anfangen zu leben, schaffen wir es nicht mehr«, sagte er.

Ines war sich nicht sicher, wie er das meinte. Klar, bisher hatten sie Tag und Nacht für den Job gelebt. Und sie war siebenunddreißig. Sie hatte noch drei Jahre, dann würde sie sich mit der Kinderlosigkeit abfinden. Diese Frist hatte sie sich selbst gesetzt. Mit einundvierzig noch. Höchstens mit zweiundvierzig. Älter wollte sie als junge Mutter nicht sein.

Michael bog in eine geteerte Straße ab. Er fuhr mit einer solch traumwandlerischen Sicherheit, als wäre er schon einmal da gewesen.

»Woher weißt du, dass es hier abgeht?«, wollte sie wissen. »Ich habe kein Hinweisschild gesehen.«

Er zuckte nur leicht mit den Schultern.

»Frauen haben halt keinen Orientierungssinn«, das war eines seiner liebsten Vorurteile. Sie antwortete nicht darauf. Frauen konnten auch nicht einparken, nicht rechnen, nicht grillen und hatten kein räumliches Vorstellungsvermögen.

Sie konnte damit leben. Dann grillte sie halt nicht.

Rechts der Straße, die parallel zum Meer verlief, reihten sich nun größere Grundstücke aneinander. Es war ein bisschen so, wie man sich Südfrankreich vorstellt: die Häuser etwas zurückversetzt in wild wuchernden Gärten, lange Tische unter schattigen Bäumen. Unzählige Rosen, die sich farbenprächtig an rissigen Hauswänden emporrankten, und verwitterte Fensterläden. Es roch würzig nach Kräutern.

»Ist das nicht ein Traum?«, fragte sie, und er nickte. Unwillkürlich sah sie ihre Maisonettewohnung vor sich. Chrom in der Küche und eine penible Aufgeräumtheit. Nirgendwo stand etwas herum, in der ganzen Wohnung nicht. Kein Nippes, keine Andenken, die nicht zur klaren Einrichtung mit den weißen Wänden passten. Der Innenarchitekt hatte ihr ein paar moderne Bilder empfohlen, an denen ihr Herz nicht hing, die aber dazugehörten.

Hier, in dieser bilderbuchhaften Umgebung, kam ihr ihre Vorzeigewohnung plötzlich leer und kalt vor. Sollten sie doch noch Kinder bekommen, dann würde sie das ändern. Mehr Leben, mehr Seele.

Sie schaute zu Michael, denn der Wagen hielt vor einem rostroten, verzierten Eisentor.

Er sagte nichts, und sie folgte seinem Blick zu dem Haus, das hinter dem Tor lag. Es war schlicht, aber gleichzeitig von einem bestechenden Charme. Vom Gartentor führte ein schmaler Kiesweg zu einer hölzernen Veranda, und ein wenig abseits blitzte etwas Blaues zwischen dem üppigen Grün hervor, offenbar der sichtgeschützte Swimmingpool.

»Hübsch«, sagte Ines. »Sehr hübsch!«

Sie wartete darauf, dass Michael weiterfuhr, aber er verharrte mit beiden Händen auf dem Lenkrad.

»Was willst du zuerst hören«, fragte er schließlich. »Die gute oder die schlechte Nachricht?«

Ines spürte, wie sich ihre Härchen aufrichteten. Eine schlechte Nachricht? Was konnte das sein? Hier in Südfrankreich, zu Beginn ihrer Flitterwochen?

»Die schlechte«, sagte sie und verkniff sich ein: »Was soll das?«

Michael schaltete den Motor aus und griff seitwärts in den Spalt zwischen seinem Sitz und der Autotür. Er legte ihr ein DIN-A4-Blatt auf den Schoß, auf dem sie nur »Gutachten« las.

»Gutachten, was?«, fragte sie.

»Die zehn Jahre Kinderlosigkeit liegen an mir«, sagte er leise. »Meine Samen sind nicht besonders beweglich.« Er machte eine Pause. »Eigentlich überhaupt nicht.« Er stockte wieder. »Oder wie der Befund sagt: Es wäre ein Wunder, wenn wir ein Kind bekommen könnten.«

Ines hielt die Luft an. Das war wirklich eine bittere Nachricht. Auf der anderen Seite hatte sie immer an sich selbst gezweifelt, so war es irgendwie auch ein Trost.

»Tja«, meinte sie schließlich und seufzte langsam. Sie überlegte, was sie dazu sagen könnte, aber es fiel ihr nichts ein.

So schnell nicht.

»Tja«, wiederholte sie. »Dann ist es wohl so.«

Wir hätten das mal früher prüfen lassen sollen, dachte sie. Schließlich waren sie selbst Ärzte. Vielleicht aber war das auch der Grund.

Zögernd fasste sie nach seiner Hand. »Und die gute Nachricht?«

Wieder griff er neben seinen Autositz und zog ein Dokument hervor.

Sie versuchte es zu lesen, verstand aber nichts. »Das ist französisches Behördenlatein«, sagte sie, fast ungehalten. »Das versteht kein Mensch – was steht denn da?«

In seinem Gesicht las sie Freude, aber auch einen Hauch von Unsicherheit.

»Das hier ist unser Anwesen«, sagte er und wies an ihr vorbei zu dem Haus.

»Das?« Automatisch schaute sie seinem Zeigefinger hinterher.

»Das!«, bestätigte er.

Sie horchte in sich hinein, spürte aber nichts.

»Und wie kommt das?«

»Da wir wegen Kinderlosigkeit kein Haus zu bauen brauchen, habe ich das Geld einfach anders angelegt.«

Es war ihr gemeinsames Geld, das war das Erste, was ihr einfiel. Und die Kinderlosigkeit lag an ihm. Sie hätten über Alternativen sprechen, sie hätten gemeinsam über eine Adoption nachdenken können.

»Gefällt es dir?«

»Ich bin sprachlos!« Ines schaute ihn an. Jetzt überwog die Unsicherheit in seinem Gesicht. Sie beschloss, sich zu freuen.

Alles Weitere würde man sehen.

»Es ist ein Traum!« Sie lachte und sprang aus dem Auto. »Komm, los, zeig es mir!«

Michael öffnete das Gartentor mit einem alten Schlüssel, dann nahm er Ines auf die Arme und trug sie über die grün überwucherte Grundstücksschwelle. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

Er wollte sie überraschen. Das war ihm gelungen. Und eigentlich war es doch schön, dass er auf einen solchen Gedanken gekommen war. Sie würde ihn auch bestimmt nicht nach dem Preis fragen, obwohl ihr diese Frage auf der Seele brannte.

Das Haus war vollständig eingerichtet, leichte Möbel, kräftige Farben, viel Licht. Die Küche beherbergte ein Sammelsurium an getöpferten Wasserkrügen, Tellern und Tassen, die meisten von ihnen mit einem blau-weißen Muster versehen. Mediterran, dachte sie, auch die vielen kleinen Kissen mit den Sonnenblumen.

»Schön«, sagte sie und drehte sich wie in Kindertagen um sich selbst. »Wunderschön!«

Und wenig später lag sie mit Michael auf dem Holzfußboden, sie liebten sich auf einem Sonnenfleck, der durch die Verandatür fiel und die breiten Holzbohlen aufleuchten ließ. Kleine Staubflocken flirrten im Licht, und es war wie früher – Liebe, einfach so, weil es schön war.

Es war schön. Und es war auch die nächsten Tage schön. Sie liebten sich häufig, mal da, mal dort, und sie verbat sich, dabei an seine Samenfäden zu denken, die ihren Dienst nicht tun wollten. Schlaffis, dachte sie, ließ sich aber nichts anmerken. Vielleicht geschah ja doch ein Wunder, wer wusste das schon so genau. Möglicherweise half ja die würzige Luft, das kräuterreiche Essen oder die vielen eiweißreichen Fische, die sie sich täglich brieten.

Sie waren am Strand gewesen, hatten auf dem Heimweg ein kleines Restaurant entdeckt, das einen gemütlichen Innenhof hatte. Aus der angepeilten halben Stunde wurden zwei, dann drei, denn das Essen war einfach und kräftig, viele verschiedene Gänge, die ständig aus der Küche kamen, und der empfohlene Wein war nicht nur gut, sondern auch schwer. Zu Hause gingen sie direkt nach oben, zogen in dem geräumigen Schlafzimmer die Vorhänge zu, um das späte Tageslicht auszusperren, und sanken ins Bett. Gerade, dass sie sich noch »Gute Nacht« sagen konnten, bevor ihnen die Augen zufielen.

Ines wachte auf, weil sie etwas gehört hatte.

Es war stockdunkel im Zimmer, und ihr erster Gedanke war, dass sich Michael auf dem Weg zur Toilette irgendwo angestoßen habe. Sie griff zur anderen Betthälfte hinüber, aber er lag schlafend neben ihr. Ines richtete sich auf, aber als es still blieb, ließ sie sich wieder zurücksinken. Sie musste geträumt haben. Da war nichts.

Doch! Schritte auf dem Kies. Jetzt hörte sie es ganz deutlich. Sie versteinerte, dann griff sie nach Michaels Arm und schüttelte ihn vorsichtig.

»Michi«, flüsterte sie atemlos. »Michi, wach auf. Da ist jemand!«

Ein leiser Schnarchton war seine Antwort, gleich darauf drehte er sich von ihr weg und schlief weiter.

»Michi!«

Leise tastete sie sich aus dem Bett ans Fenster. Sie überlegte, welche Nummer die Polizei in Frankreich hatte und ob es überhaupt so etwas wie einheitliche Notrufnummern gab. Sie hatte keine Ahnung.

Sie schob den Vorhang zur Seite. Es war nichts zu sehen, aber sie hörte etwas. Stimmen.

Wenn es Einbrecher waren, schienen sie offensichtlich davon auszugehen, dass niemand im Haus war. Wie gewaltbereit waren französische Gangster? Augenblicklich sah sie Horrorszenen von maskierten Männern vor sich. Sie wollte mit keiner Strumpfmaske konfrontiert werden und auch mit keiner Pudelmütze mit herausgeschnittenen Augenlöchern. Noch schlimmer war wahrscheinlich, wenn sie gar nicht maskiert waren – denn dann konnte man sie wiedererkennen.

»Michi!«

Sie stürzte sich auf ihren Mann und rüttelte ihn, bis er sich schlaftrunken aufrichtete.

»Geht’s dir nicht gut?«, fragte er mit schwerer Zunge.

»Da unten ist jemand. Wach auf  !! Ich glaube, es sind Einbrecher!«

Sie konnte ihn im Dunkeln nicht sehen, aber sie spürte, dass er sie ungläubig anstarrte.

»Du hast schlecht geschlafen«, sagte er schließlich und ließ sich wieder zurücksinken.

Im selben Moment dröhnte ein Schlag durchs ganze Haus. Das war die Haustür, sie fiel lautstark ins Schloss.

Jetzt schoss Michael hoch. »Was war das?«, wollte er von Ines wissen.

»Da ist jemand«, flüsterte sie.

»Ich schau nach!« Michael suchte nach dem Lichtschalter an der Wand, aber Ines schlug seine Hand weg.

»Lass!«, zischte sie. »Dann sehen sie gleich, dass wir hier oben sind. Sie denken wohl, das Haus sei leer!«

Er antwortete nichts darauf, sondern ging leise zur Tür. Ines heftete sich an seine Fersen. Im Treppenhaus war noch alles dunkel. Michael schlich die ersten Stufen hinunter, Ines folgte ihm.

»Ist das sinnvoll?«, fragte sie leise. Sie hätte sich lieber versteckt, als dem Tiger direkt in den Rachen zu laufen.

»Wir müssen schließlich nachschauen!«

Ines blieb stehen. Seine Logik war nicht ihre. Nachschauen? Sie in leichter Unterwäsche und auch er nur in Shorts – was hatten sie einem Einbrecher entgegenzusetzen?

Michael war halb unten, als helles Licht aufflammte. Zwei Leute standen in der Tür, genau sehen konnte Ines das nicht, denn sie rannte hoch, während unten die Tür wieder zufiel und Michael »Wer sind Sie?« und »Ich rufe die Polizei!« brüllte.

»Michael, komm hoch«, schrie sie, denn das Beste war wohl, sich im Zimmer einzuschließen.

Auf dem obersten Absatz blieb sie stehen, drehte sich nach ihrem Mann um und sah zu ihrer Verwunderung, wie die Tür unten wieder aufging. Ein Mann stand da, der in seinem hellen Leinenanzug nicht wie ein Einbrecher aussah – und hinter ihm stand eine Frau, die wortlos Michael anstarrte, der wie angewurzelt halb nackt auf der Treppe stand.

Die Szene hatte etwas Unwirkliches. Auch Michael schien es so zu empfinden, denn er rieb sich kurz mit dem Handrücken über die Augen.

»Was tun Sie da?«, wollte der fremde Mann wissen und behielt die Türklinke fluchtbereit in der Hand.

»Was ich da tue?«, fragte Michael, und seine Starre löste sich ein wenig. »Das muss ich doch wohl Sie fragen. Schließlich ist das unser Haus!«

»Ihr Haus?« Die Frau schob sich etwas nach vorn. »Seit wann?«, wollte sie mit heller Stimme und französischem Akzent wissen.

Michael schaute sich nach Ines um. »Also«, sagte sie und ging eine Treppenstufe hinunter. »Einbrecher sind Sie wohl nicht!«

»Wir?« Jetzt klang die Stimme der Frau schrill. »Sie sind doch unbefugt hier eingedrungen. Wieso denn wir?«

»Halt!« Michael hob beide Hände. »Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen.«

»Ja, und das mitten in der Nacht«, fügte der fremde Mann hinzu.

»Ich hole unsere Bademäntel«, erklärte Ines.

»Gut«, sagte Michael und ließ die seltsamen Besucher dabei nicht aus den Augen. In der Küche blieben sie stehen und musterten sich gegenseitig.

»Ich habe das Haus gekauft!«, erklärte Michael bestimmt. »Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir in unser eigenes Haus eingedrungen seien?«

Der Mann schüttelte leicht den Kopf. »Weil ich es nie verkauft habe.«

»Was soll das heißen?«, wollte Ines wissen, der unwohl wurde.

»Nun.« Er zeigte mit einer Kopfbewegung zu seiner Frau hinüber, die sich gegen den Küchentisch gelehnt hatte und leicht säuerlich auf den Abwasch schaute, den Ines am Morgen im Spülstein hatte stehen lassen. »Nun«, wiederholte er. »Das Haus gehörte den Eltern meiner Frau. Wir sind nicht oft da, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie es geerbt hat.«

Michael starrte ihn an. »Aber ich habe doch die Papiere. Die Unterlagen. Alle Dokumente!« Michael schüttelte den Kopf. »Da muss ein Irrtum vorliegen!« Er schaute die fremde Frau zweifelnd an. »Haben Sie vielleicht hinter dem Rücken Ihres Mannes …?«

»Das kann nur ein Deutscher fragen«, erklärte sie spitz.

»Entschuldigen Sie mal«, fuhr Ines dazwischen, »irgendeine Erklärung muss es schließlich geben!«

»Ich hole die Unterlagen«, schlug Michael vor.

»Und ich etwas zu trinken«, erklärte der Mann. »Oder ist von meinem Bordeaux nichts mehr da?«

Ines schüttelte nur den Kopf. »Ich habe gar keinen Bordeaux gesehen!«

»Dann haben Sie meinen kleinen Weinkeller noch nicht entdeckt?« Ein schräges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Welch ein Glück!«

Ines und die Fremde waren allein, und es wurde unangenehm still.

»Da fehlt ein Krug«, sagte die Frau plötzlich und wies auf das Regal über dem Herd.

»Ja, der große blaue«, bestätigte Ines. »Ich habe oben im Schlafzimmer Wiesenblumen drin.«

»Wiesenblumen in einem Wasserkrug!« Sie schüttelte den Kopf.

»Ja, ich weiß, so etwas machen nur Deutsche.« Ines verzog leicht den Mund. »Wenn Sie die Deutschen als so stillos empfinden, warum sind Sie dann mit einem verheiratet?« Es rutschte ihr so heraus.

»Ich habe es vorher nicht gewusst!«

Na, das hörte sich jedenfalls nicht nach glücklichen Ehejahren an, dachte Ines und war froh, als die beiden Männer zurückkamen. Michael legte seine schmale Aktentasche neben die Weinflasche auf den Tisch und ging zum Wandschrank, um Gläser zu holen. Abwartend blieben beide Männer davor stehen. »Und wer ist jetzt der Hausherr?«, fragte der Mann, aber seine Stimme klang, als ob er dem Lachen nahe sei.

»Ich hole den Korkenzieher«, wich Michael aus.

Schließlich saßen sie zu viert um den Tisch und stellten sich gegenseitig vor.

»Ludwig und Fleure Nieberg aus Hamburg«, sprach er für seine Frau mit.

Michael tat es ihm gleich. »Ines und Michael Reuss aus Bonn.«

»Angenehm«, sagte Ludwig Nieberg und streckte die Hand nach der Flasche aus. »Und jetzt lassen Sie mal sehen!«

Michael schien noch immer nicht ganz überzeugt. Ines merkte es daran, wie er die Papiere eher zögernd über den Tisch schob. Aber was konnten sie damit anfangen, wenn es Betrüger waren? Aufspringen und mit den Unterlagen davonlaufen? Oder hatte sie doch einen Revolver in ihrer Handtasche? Eine kleine Beretta? Aber so sahen sie wahrlich nicht aus.

»Was haben Sie bezahlt?«, wollte Ludwig Nieberg wissen und entkorkte die Flasche.

Das interessierte Ines ebenfalls brennend. Ihr Mann war Arzt, kein Geschäftsmann. Und in manchen Dingen emotionaler als sie.

Mit einem kleinen Seitenblick zu ihr sagte er leise: «Hunderttausend Euro!«

»Na, die sind jedenfalls futsch«, erklärte Ludwig und schnüffelte am Korken. »Da sind Sie einem Betrüger aufgesessen, die Unterlagen sind gefälscht!«

»Und woher wollen Sie das so genau wissen, Sie haben ja noch nicht einmal richtig hingesehen«, begehrte Ines auf. »Vielleicht sind Sie ja der Betrüger!«

Ludwig lachte, schenkte sich einen Schluck ein, testete, rollte mit der Zunge und schluckte. »Formidable«, sagte er zufrieden und nickte seiner Frau zu. »Ein wunderbares Tröpfchen, er wird dir schmecken.«

»Mir schmeckt nichts, solange die Sache hier nicht geklärt ist«, entgegnete sie und warf ihm einen unwilligen Blick zu.

Ludwig schenkte in aller Ruhe die vier Gläser ein und hob seines zum Anstoßen hoch. »Auf diese unglaubliche Nacht!« Er lachte. »Ich dachte, Sie seien Einbrecher, als Sie da oben plötzlich auftauchten.«

»Das Gleiche dachten wir von Ihnen!«, entgegnete Michael.

Ines hätte auch gern gelacht, aber die Zahl Hunderttausend stand wie gemalt vor ihren Augen.

Lass es nicht wahr sein, dachte sie, dass er unser sauer verdientes Geld einem Betrüger in den Rachen geworfen hat.

Inzwischen blätterte Ludwig die verschiedenen Dokumente durch, betrachtete die Stempel und Unterschriften und blieb dann schließlich an dem Konto hängen, auf das die Zahlung erfolgt war.

»Interessant«, sagte er. »Wie kamen Sie auf die Idee, gerade dieses Haus kaufen zu wollen?«

»Es sollte eine Überraschung für meine Frau werden«, erklärte Michael wahrheitsgemäß. »Wir feiern unseren zehnjährigen Hochzeitstag, ich dachte, ein kleines Haus in Südfrankreich wäre für uns beide eine wunderbare Sache!«

Ludwig nickte Ines wohlwollend zu. »Sie haben einen großzügigen Mann!«

Ines sagte nichts.

»Und es war doch eine gelungene Überraschung«, fuhr Ludwig fort. »Oder nicht?«

»Doch, kann man so sagen«, bestätigte Ines tonlos und trank einen großen Schluck. Hunderttausend, dachte sie. Ich glaube, ich falle tot um.

Ludwigs Zeigefinger hing noch immer an der gleichen Stelle.

»Von Deutschland nach Frankreich.« Er schaute auf das Datum des Überweisungsscheins, den Michael fein säuberlich kopiert hatte. »Wenn Sie nicht gerade bei uns einziehen wollen, könnte ich das vielleicht noch retten!«

»Sie können das noch retten?«, fragte Ines ungläubig. »Wie denn?«

»Wir kooperieren mit dieser französischen Bank«, erklärte er. »Ich rufe da morgen an. Vielleicht lässt sich das noch stoppen. Aber es wird nicht, falls es klappt, ohne Gebühr abgehen!«

»Was heißt wir?«, wollte Ines wissen, während Michael ein breites Grinsen aufsetzte.

»Das wäre ja wunderbar«, sagte er. »Eine Gebühr ist ja selbstverständlich! Jede Gebühr!«

»Ich arbeite für verschiedene Banken als Berater. Da habe ich einen gewissen Einfluss! Ich werde schauen, was ich da noch bewegen kann!« Sein Zeigefinger glitt über die beiden Bankverbindungen auf dem Papier.

»Der Makler hatte übrigens einen Schlüssel«, erklärte Michael. »Wir hatten in Nizza einen Ärztekongress, und bei der Gelegenheit kamen wir ins Gespräch. Er hat mir das hier gezeigt, und ich habe gedacht, dass dies eine wunderbare Gelegenheit sei, um aus unserer Routine auszubrechen!«

»Einen Schlüssel?« Ludwig zog die Augenbrauen hoch. »Das werden wir morgen gleich mal der Polizei melden!« Er schaute Michael an. »Aber klar, Sie haben ja auch einen.« Er griff nach der Hand seiner Frau. »Das ist ja unglaublich, mon chérie, da kann ich dich hier nicht mehr allein lassen. Wer weiß, wer da sonst noch alles kommt!«

Fleure nickte und schaute Ines an. »Dann werden mein Mann und ich den Rest der Nacht vermutlich im Gästezimmer schlafen, denn Sie werden heute ja wohl nicht mehr ausziehen wollen …?«

»Aber nein«, entgegnete ihr Mann, »das wäre ja herzlos!«

»Wenn er das schafft«, sagte Ines, als sie endlich wieder im Bett lagen, »dann ist es ein Riesenglück!«

»Es tut mir leid«, sagte Michael und zog sie in seine Arme. »Ich war so begeistert von dem Haus, der Lage und der Idee. Ich wollte dich einmal so richtig überraschen. Mit etwas völlig Ausgefallenem, einem neuen Lebensweg. Ich dachte, wir würden dann zwischendurch mal hier herunterfahren, vielleicht sogar länger Urlaub machen oder auch nur verlängerte Wochenenden. Und überhaupt … auch später …«

Ende der Leseprobe