Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS - Russel A. Barkley - E-Book

Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS E-Book

Russel A. Barkley

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Beschreibung

Erfolgreich und glücklich in Beruf und Familie – mit ADHS Gehören Sie auch zu den Zehntausenden von Erwachsenen mit ADHS? In diesem Ratgeber finden Sie praktische Anleitungen, damit Sie sich besser organisieren und konzentrieren können sowie mehr Kontrolle über die eigenen Gefühle und Verhaltensweisen erlangen – basierend auf den neuesten -wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Autor Russell A. Barkley ist praktizierender Psychiater und ehemaliger Professor für Psychiatrie in den USA. Er gilt als weltweit führender Experte zum Thema ADHS. Er zeigt Ihnen anhand eindrücklicher Fallbeispiele und einfacher Techniken, wie Sie Ihre Symptome besser beherrschen lernen, und legt dar, wie Sie neue Fähigkeiten entwickeln können, um im Beruf zielgerichteter und im Familienleben glücklicher zu werden. Die dritte, überarbeitete Auflage enthält die neuesten Ansätze und Fakten zu Medikamenten sowie erweiterte Diskussionen über Achtsamkeit, emotionale Selbstkontrolle, Zeitmanagement, den Aufbau einer erfolgreichen Karriere, die Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils und vieles mehr. Nutzen Sie dieses Handbuch als wertvolle Unterstützung, um Ihren persönlichen und beruflichen Alltag trotz und mit ADHS zu meistern!

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Seitenzahl: 537

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Russell A. Barkley

unter Mitarbeit von Christine M. Benton

Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS

Aus dem amerikanischen Englisch von Cathrine Hornung

3., überarbeitete Auflage

Das große Handbuch für Erwachsene mit ADHS

Russell A. Barkley

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Björn Rasch, Freiburg i. Üe.; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. Martina Zemp, Wien

Russell A. Barkley, Ph.D.

www.russellbarkley.org

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright-Hinweis:

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri, Wiebke Erchinger

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Getty Images/SeventyFour

Umschlaggestaltung: Claude Borer, Riehen

Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen

Format: ePUB

Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch. Der Originaltitel lautet Taking Charge of Adult ADHD, Second Edition von Russell A. Barkley, erschienen bei The Guilford Press, New York.

Copyright © 2022 The Guilford Press, A Division of Guilford Publications, Inc. Published by arrangement with The Guilford Press.

3., überarbeitete Auflage 2024

© 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

© 2017/2024, Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96221-4)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76221-0)

ISBN 978-3-456-86221-7

https://doi.org/10.1024/86221-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Meinen Enkelkindern Will, Claire, Craig und Liam, dem Licht und der Liebe meines Lebens

R. A. B.

|6|Danksagungen

Die Erkenntnisse in diesem Buch stammen weitgehend aus Forschungsstudien, an denen zahlreiche Personen mitgewirkt haben: Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Zuallererst möchte ich Mariellen Fischer und Kevin Murphy für die Zusammenarbeit bei zahlreichen Forschungsprojekten danken. Einige dieser Forschungen wurden während meiner Tätigkeit an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts durch drei staatlich finanzierte Forschungsstipendien des National Institute of Mental Health und des National Institute of Child Health and Human Development ermöglicht. Außerdem danke ich Tracie Bush, Laura Montville, Lorri Bauer, Keith Douville, Cherie Horan, Hope Schrader, Kent Shiffert und Peter Leo für ihre Mithilfe bei der Durchführung dieser groß angelegten Studien. Mein besonderer Dank gilt den unzähligen Menschen mit ADHS, die an unseren Studien teilgenommen und uns Einblick in ihr Leben gewährt haben. Ihnen und den Teilnehmern in den Kontrollgruppen verdanken wir viele wertvolle Erkenntnisse über ADHS bei Erwachsenen. Mein aufrichtiger Dank geht erneut an Kitty Moore und Seymour Weingarten vom Verlag Guilford Press und an Christine Benton für ihr kluges Lektorat und das hilfreiche, konstruktive Feedback: Ihnen allen danke ich für ihre Unterstützung bei diesem Buch und für die langjährige konstruktive Zusammenarbeit.

Russell A. Barkley

Die Übersetzerin dankt den ADHS-Expertinnen und -Experten Doris Ryffel-Rawak und Meinrad Rawak, Bern, sowie Manfred Döpfner von der Leitungsgruppe des zentralen adhs-netzes in Köln für ihre wertvollen Informationen und Hinweise.

Cathrine Hornung

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Danksagungen

Hinweis zu Gender und Privatsphäre

Einführung

Schritt Eins

1 Könnte es sein, dass Sie eine ADHS haben?

1.1 Wie würden Sie Ihre Probleme beschreiben?

1.1 Wie lange haben Sie diese Probleme schon?

1.3 Welche Symptome haben Sie?

1.4 Wie wirken sich diese Symptome auf Ihr Leben aus?

1.5 Was kommt als Nächstes?

2 Können Sie das Problem allein bewältigen?

2.1 Werden Ihre Symptome durch etwas anderes verursacht, etwa durch ein medizinisches Problem?

2.2 Lassen sich all Ihre Probleme mit ADHS erklären?

2.3 Medikamente sind die effektivste Behandlung und müssen von einem Arzt verschrieben werden

2.4 Wo genau liegen Ihre Stärken und Schwächen?

3 Wo finden Sie Hilfe?

3.1 Wie Sie eine Fachperson finden, die Erfahrung mit ADHS hat

3.2 Was Sie fragen sollten, bevor Sie einen Termin vereinbaren

4 Was brauchen Sie für die Evaluation?

4.1 Die Vorbereitung: Was Sie erwartet und was Sie mitbringen sollten

4.2 Bringen Sie eine offene Einstellung mit

4.3 Denken Sie daran, dass Sie Antworten wollen

5 Die Ergebnisse der Evaluation

5.1 Erfüllen Ihre Symptome die Kriterien für ADHS?

5.2 Wie genau wirken sich diese Symptome auf Ihr Leben aus?

5.3 Können Sie die Ergebnisse der Evaluation akzeptieren?

5.4 Was, wenn Sie mit den Schlussfolgerungen der Fachperson noch immer nicht einverstanden sind?

Schritt Zwei

6 ADHS verstehen

6.1 Welches sind die Ursachen von ADHS?

6.2 Die fünf Problembereiche bei der Bewältigung von Alltagsaktivitäten

6.3 ADHS bei Erwachsenen ist keine banale Störung der Aufmerksamkeit!

7 Impulsen widerstehen: Der erste Schritt zur Selbstkontrolle

7.1 Von Ablenkungen mitgerissen

7.2 Zu rasch am Abzug

7.3 Eingleisiges Denken

8 Selbstkontrolle: Wie Sie bekommen, was Sie wollen

8.1 Die sechs Komponenten der Selbstkontrolle

9 Exekutive Funktionen: Die sieben Fähigkeiten zur Selbstkontrolle

9.1 Selbstwahrnehmung: Den geistigen Spiegel nutzen

9.2 Nonverbales Arbeitsgedächtnis: Das geistige Auge nutzen

9.3 Verbales Arbeitsgedächtnis: Die innere Stimme nutzen

9.4 Selbstregulation von Emotionen: Das geistige Herz nutzen

9.5 Planen und Problemlösen: Den geistigen Spielplatz nutzen

10 Die Merkmale von ADHS, und wie Sie ihnen begegnen können

10.1 Kurzsichtigkeit gegenüber der Zukunft

10.2 Mit ADHS umgehen: Worauf es ankommt

10.3 Die richtige Lösung für jedes Problem

11 Akzeptieren Sie Ihre ADHS

11.1 Eine Erklärung, keine Ausrede

11.2 Dass Sie ADHS haben, ist nicht Ihre Schuld – aber es liegt in Ihrer Verantwortung, diesen Zustand zu akzeptieren

11.3 Ein Wegweiser für ADHS-Betroffene

Schritt Drei

12 Warum es sinnvoll ist, Medikamente auszuprobieren? 

12.1 Weshalb sind diese Medikamente so effektiv?

12.2 Welche Medikamente stehen mir zur Wahl?

13 Stimulanzien

13.1 Wie wirken Stimulanzien?

13.2 Sind Stimulanzien sicher?

13.3 Welche Nebenwirkungen können auftreten?

13.4 Welche Darreichungsformen stehen mir zur Wahl?

14 Nichtstimulanzien

14.1 Atomoxetin

14.2 Guanfacin retard

14.3 Bupropion

15 Was Sie von der medikamentösen Behandlung erwarten können

15.1 Körperliche Untersuchung und Interview

15.2 Genau das richtige Medikament finden

15.3 Die Behandlung überwachen

15.4 Wie Sie die medikamentöse Behandlung unterstützen können

Schritt Vier

16 Regel Nr. 1: Die Handlung stoppen!

16.1 Wo schadet Ihnen Ihre Impulsivität am meisten?

17 Regel Nr. 2: Erst zurück und dann nach vorne schauen

17.1 Wo genau liegen Ihre Schwächen beim nonverbalen Arbeitsgedächtnis?

18 Regel Nr. 3: Die innere Stimme aktivieren

18.1 Wo genau liegen Ihre Schwächen beim verbalen Arbeitsgedächtnis?

19 Regel Nr. 4: Schlüsselinformationen sichtbar machen

19.1 Wo haben Sie trotz aller Anstrengungen nach wie vor große Schwierigkeiten?

20 Regel Nr. 5: Ein Gefühl für die Zukunft entwickeln

20.1 Finden Sie heraus, in welchen Bereichen es Ihnen besonders schwerfällt, sich zu motivieren

21 Regel Nr. 6: Die Zukunft Schritt für Schritt heranholen

21.1 Warum erscheinen Ihnen Ihre Ziele so weit entfernt?

22 Regel Nr. 7: Probleme nach außen verlagern und greifbar machen

22.1 In welchen Lebensbereichen treten bei Ihnen die kompliziertesten bzw. dringendsten Probleme auf?

22.2 Finden Sie heraus, welche externen Hilfsmittel am nützlichsten für Sie sind

23 Regel Nr. 8: Tragen Sie’s mit Humor!

Schritt Fünf

24 Studium und Ausbildung

24.1 Ihre persönliche Ausgangssituation

24.2 Voraussetzungen fürs Lernen schaffen

24.3 Erfolgstipps

25 Beruf

25.1 Den richtigen Beruf finden

25.2 Voraussetzungen für beruflichen Erfolg schaffen

25.3 Lassen Sie sich nicht unterkriegen

26 Geld

26.1 Warum Ihnen der Umgang mit Geld so große Probleme bereitet, und was Sie dagegen unternehmen können

26.2 So gewinnen Sie die Kontrolle über Ihr Geld

27 Beziehungen

27.1 Wenn ADHS Ihre Emotionen beherrscht

27.2 Wenn ADHS Ihre Selbstwahrnehmung beeinträchtigt

27.3 Wenn ADHS Ihre Wahrnehmung trübt

27.4 Intime Beziehungen: Ehe und Partnerschaft

27.5 Elternschaft

27.6 Freundschaften

28 Autofahren, Gesundheit und Lebensweise: Risiken erkennen und ausschalten

28.1 Autofahren – aber sicher!

28.2 Verletzungen vermeiden

28.3 Sexuelle Risiken minimieren

28.4 Die Lebensweise umstellen und Gesundheitsrisiken reduzieren

29 Weitere psychische und emotionale Probleme

29.1 Störung mit oppositionellem Trotzverhalten

29.2 Störung des Sozialverhaltens

29.3 Angststörungen

29.4 Depression

30 Drogen und Kriminalität

30.1 Warum bestimmte Substanzen für ADHS-Betroffene so attraktiv sind

30.2 Wie Sie aus der Drogenfalle herauskommen – oder gar nicht erst hineingeraten

Anhang

ADHS-Symptome im Überblick

Die offiziellen diagnostischen Kriterien

Weitere Symptome von ADHS bei Erwachsenen

Literatur

Weiterführende Literatur

Weitere Lektüre-Tipps

Auswahl deutschsprachiger Literatur

Bewertungsskalen

Deutschsprachige Bewertungsskalen mit Formularen für Erwachsene

Weitere Ressourcen

Lehrfilme von und mit Russell A. Barkley

Deutschsprachige Lehrfilme

Netzwerke, Interessenverbände und Selbsthilfegruppen

Über die Autoren

Stimmen zum Buch

Sachwortverzeichnis

|13|Hinweis zu Gender und Privatsphäre

In diesem Buch verwende ich abwechselnd männliche und weibliche Pronomen, wenn ich mich auf einzelne Personen beziehen. Ich habe diese Wahl getroffen, um das Lesen zu erleichtern, und nicht aus Missachtung gegenüber Leserinnen und Lesern, die sich mit anderen Personalpronomen identifizieren. Ich hoffe aufrichtig, dass sich alle einbezogen fühlen.1

Sämtliche Beispiele in diesem Buch basieren auf realen Personen, wobei ich einzelne Fälle mit anderen kombiniert und die Identität der Betroffenen unkenntlich gemacht habe, um ihre Privatsphäre zu schützen.

1

Anm. d. Übers.: In der deutschsprachigen Ausgabe wird bei geschlechtsunspezifischen Personen- und Berufsgruppen das generische Maskulinum beziehungsweise eine neutrale Sprachform verwendet, die sowohl Frauen als auch Männer einschließt.

|15|Einführung

Dieses Buch ist das richtige für Sie,

wenn Ihnen als Erwachsener eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert wurde,

ODER

wenn Ihnen als Kind eine ADHS diagnostiziert wurde und Sie noch Symptome haben,

ODER

wenn Sie glauben, Sie könnten eine ADHS haben, weil es Ihnen schwerfällt …

sich zu konzentrieren

aufmerksam zu sein

sich zu organisieren

zu planen

Probleme zu lösen

Ihre Gefühle zu kontrollieren.

Dieses Buch kann Ihnen helfen, wenn Sie

wissenschaftlich fundierte Erklärungen für Ihre Probleme suchen

die beste Behandlung finden wollen

Strategien und Fertigkeiten lernen wollen, um Ihre Symptome zu bewältigen

wissen wollen, wie Sie Ihre Stärken erkennen und gezielt einsetzen können.

ADHS gibt es wirklich. Und nicht nur Kinder sind davon betroffen.

Seit mehr als 40 Jahren forsche ich über die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, behandle ADHS-Betroffene und gebe mein Wissen über diese Störung an andere weiter. Früher hat kaum jemand geglaubt, dass auch Erwachsene an ADHS leiden können. Heute, nach 120 Jahren ADHS-Forschung, wissen wir, |16|dass bis zu zwei Drittel aller Kinder mit ADHS auch im Erwachsenenalter Symptome zeigen. Das bedeutet, dass vier bis fünf Prozent aller Erwachsenen ADHS haben. Allein in den USA sind das 13 Millionen Erwachsene (Stand: 2020).

Wenn Sie ADHS haben oder herausfinden wollen, ob Sie von der Störung betroffen sind, dann ist dieses Buch goldrichtig für Sie. Ich habe es geschrieben, weil ich der Meinung bin, dass Sie von den Erkenntnissen profitieren sollten, die wir aus jahrzehntelangen Forschungen gewonnen haben. Kaum eine andere psychische bzw. emotionale Störung ist so ausgiebig untersucht worden wie ADHS. Tatsächlich stützen sich die Informationen und Ratschläge in diesem Buch auf mehr als 400 000 Forschungsartikel und Bücher, von denen allein 200 000 seit der letzten Ausgabe (2015) erschienen sind.

Inzwischen haben wir sehr genaue Vorstellungen davon, was ADHS ist. Wir wissen einiges über die Abläufe im Gehirn, die damit zusammenhängen. Und wir können erklären, wie und warum die Symptome dazu führen, dass Betroffene ihren Alltag als eine einzige Strapaze empfinden.

Aber was das Beste ist: wir verfügen heute über ungemein wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die vielen Erwachsenen mit ADHS zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl geben, die gleichen Voraussetzungen und Chancen zu haben wie alle anderen. In diesem Buch werden Sie alles darüber erfahren. Ausgehend von einer Theorie über ADHS, die ich entwickelt habe, zeigt Ihnen dieses Buch außerdem verschiedene Strategien auf, die Ihr Leben in allen Bereichen verändern können, sei es am Arbeitsplatz, an der Universität, in Ihrer Familie oder im Freundeskreis. Diese Strategien sind wissenschaftlich fundiert und können Ihnen helfen, in allen Lebensbereichen, die Ihnen wichtig sind, erfolgreich zu sein.

Das ist Ihr gutes Recht.

|17|Schritt Eins

Los geht’s: Machen Sie den Test

„Die Zeit rinnt mir durch die Finger, und ich kann nicht so effektiv damit umgehen wie andere Erwachsene.“

„Meine Gedanken und mein Leben sind ein einziges Durcheinander. Ich habe oft das Gefühl, dass ich meine Arbeit und andere Aktivitäten nicht annähernd so gut organisieren kann wie andere Erwachsene.“

„Ich springe von einer Sache zur nächsten und von einem Projekt zum anderen. Die Menschen, mit denen ich arbeite, macht das wahnsinnig. Aber ich muss alles, was mir in den Sinn kommt, immer sofort erledigen; sonst vergesse ich es, und dann bleibt es liegen.“

„Als Kind fiel es mir immer schwer, still zu sitzen. Ich hatte so viel Energie und wusste nicht, wohin damit. Ich fühlte mich immer als Außenseiterin, und das machte mir schwer zu schaffen. Am schlimmsten war der tägliche Gang zur Schulkrankenschwester, um meine Medikamente einzunehmen. Niemand wollte mit mir befreundet sein, weil ich einfach nicht in die Gruppe passte. Ich werde nie das ruhige, zurückhaltende Mädchen sein, das nicht auffällt. Ich bin das extravertierte, manchmal (okay, öfter als ich zugeben möchte) laute, überschwängliche, irgendwie sonderbare, sarkastische, lustige Mädchen, das Schwung in die Bude bringt.“

„Letztes Wochenende ist etwas passiert, das meine Frau sehr wütend gemacht hat. Am Samstagmorgen will ich den Rasen mähen, stelle aber fest, dass der Benzinbehälter im Rasenmäher leer ist. Also packe ich ihn in meinen Ford Explorer und fahre zu der Tankstelle beim Supermarkt. Während ich den Behälter auffülle, fährt ein guter Freund von mir zum Tanken vor. Wir sind beide begeisterte Angler. Er sagt, er habe zwei Angelruten und ein zweites Paar Anglerstiefel dabei, und fragt, ob ich nicht mitkommen wolle zum Forellenfischen unten am Fluss. Ich sage ‚Ja‘. Wir nehmen seinen Wagen, meinen lasse ich an der Tankstelle stehen. Nachdem wir etwa eine Stunde geangelt haben, bekommen |18|wir Durst und finden so eine tolle kleine Kneipe, wo Jungs gerne mal abhängen und ein Bier trinken. Inzwischen ist es Nachmittag geworden, drei Uhr, und wir fahren zurück zur Tankstelle, damit ich meinen Wagen holen kann. Von weitem sehe ich schon die Polizisten, die mein Auto inspizieren. Folgendes war geschehen: Nachdem ich am Morgen ‚mal eben‘ zur Tankstelle gefahren war, um Benzin für den Rasenmäher zu holen, und dann nicht mehr nach Hause zurückgekommen war, hatte meine Frau die Polizei verständigt, weil sie fürchtete, mir sei etwas zugestoßen. Als sie erfuhr, dass ich mit meinem Freund zum Angeln gefahren war, machte sie das so wütend, dass sie tagelang kein Wort mit mir sprach! Aber so bin ich nun mal. Ich lasse mich einfach von den Geschehnissen um mich herum mitreißen und vergesse, was ich eigentlich erledigen wollte; oder ich ziehe das, was ich mir vorgenommen habe, nicht durch, weil etwas anderes auftaucht, das ich spannender finde.“

|19|1  Könnte es sein, dass Sie eine ADHS haben?

Kommt Ihnen das, was Sie gerade gelesen haben, irgendwie bekannt vor? Es sind Berichte von Erwachsenen mit ADHS. Im ersten Beispiel wird ein Kernproblem beschrieben, das Betroffenen im Alltag zu schaffen macht: der Umgang mit Zeit. Die Probleme mit dem Zeitmanagement rühren daher, dass Erwachsene mit ADHS offenbar „zeitblind“ sind, bzw. „kurzsichtig“, was die Zukunft betrifft. Sie leben im Hier und Jetzt und haben Schwierigkeiten im Umgang mit Dingen, die als Nächstes kommen.

Haben Sie oft das Gefühl, nicht in der Zeit zu liegen und mit Zeitabläufen und -vorgaben nicht zurechtzukommen? Sind Sie ständig unpünktlich, desorganisiert oder unsicher, wie Sie die begrenzte Zeit, die Ihnen pro Tag zur Verfügung steht, strukturieren sollen? Wenn ja, wissen Sie auch, dass es kein Vergnügen ist, sich selbst und andere immer wieder zu enttäuschen, weil Sie Fristen nicht einhalten, Termine verpassen oder Verabredungen vergessen. Von Erwachsenen wird erwartet, dass sie fristgerechte Leistungen erbringen. Sie wissen, wie unangenehm es ist, als erwachsener Mensch mit dem Makel der Unzuverlässigkeit behaftet zu sein. Vielleicht ist es an der Zeit, das alles zu ändern.

1.1  Wie würden Sie Ihre Probleme beschreiben?

Natürlich können Schwierigkeiten mit der Zeiteinteilung auch andere Ursachen haben als ADHS. Aber wenn Sie sich in mehreren Berichten wiedererkennen, könnte es sein, dass Sie eine ADHS haben. Wenn das der Fall ist, gibt es viel, was Sie tun können, damit sich Ihr Leben zum Besseren wendet.

Gehen Sie die folgenden Fragen zügig durch und setzen Sie dort, wo Sie mit „Ja“ antworten, ein Häkchen.|20|

Fällt es Ihnen schwer, sich zu konzentrieren?

Sind Sie leicht ablenkbar?

Würden Sie sich als sehr impulsiv bezeichnen?

Macht es Ihnen Mühe, Aktivitäten zu planen und zu organisieren?

Kommt es Ihnen so vor, als könnten Sie nicht klar denken?

Haben Sie das Gefühl, Sie müssten ständig aktiv sein und vieles erledigen – aber dann fangen Sie das meiste nur an und bringen es nicht zu Ende?

Sagen die Leute, dass Sie zu viel reden?

Fällt es Ihnen schwer, anderen aufmerksam zuzuhören?

Fallen Sie anderen oft ins Wort oder unterbrechen sie im Gespräch oder bei einer Tätigkeit – und wünschten hinterher, Sie hätten zuerst überlegt und dann gehandelt?

Scheint Ihre Stimme die der anderen zu übertönen?

Bereitet es Ihnen Schwierigkeiten, etwas auf den Punkt zu bringen?

Spüren Sie oft eine innere Unruhe?

Neigen Sie dazu, Dinge zu vergessen, die erledigt werden müssen?

Haben Sie den Eindruck, dass Sie leicht aus der Haut fahren und schnell ungeduldig, frustriert, verärgert oder wütend werden?

Im Anhang finden Sie eine Liste mit 91 weiteren Symptomen, die für ADHS bei Erwachsenen kennzeichnend sind. Sie stammen aus einer Verlaufsstudie, die wir über einen Zeitraum von sieben Jahren durchgeführt haben (Barkley et al., 2008).

Ob Sie tatsächlich ADHS haben, lässt sich nur mithilfe einer fachmännischen Beurteilung feststellen. Aber je mehr Fragen Sie mit „Ja“ beantwortet haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie von dieser Störung betroffen sind. So viel ist sicher: Unmengen von wissenschaftlichen Daten zeigen, dass zwischen diesen – und vielen ähnlichen – Beeinträchtigungen und ADHS im Erwachsenenalter ein Zusammenhang besteht.

Die Daten machen auch deutlich, wie schwerwiegend die Folgen dieser Störung sein können. ADHS kann beispielsweise dazu führen, dass Betroffene spontan ihr gesamtes Einkommen für etwas ausgeben, das sie sich eigentlich gar nicht leisten können, aber in dem Moment unwiderstehlich finden. Gleichzeitig legen diese Personen nie genug Geld zurück, um ihre Rechnungen zu bezahlen oder um sich später einmal etwas leisten zu können (z. B. ein Haus oder ein Auto), das ihnen langfristig viel mehr Nutzen bringt als eine unüberlegte Investition, die sich |21|bei genauerem Hinsehen als riskant erweist. ADHS kann Betroffene dazu verleiten, Dinge zu tun oder zu sagen, die sie später bereuen. ADHS kann auch dazu führen, dass Betroffene im täglichen Leben eine Vielzahl von ungesunden Entscheidungen treffen, z. B. impulsives Essen und schlechte Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum, schlechte Schlafgewohnheiten, riskanter Sex, gefährliches Fahrverhalten und mangelnde Bewegung. Kommt Ihnen das bekannt vor?

„Moment mal“, denken Sie jetzt vielleicht, „Ich kann keine ADHS haben. Ich bin doch nicht hyperaktiv! Mein Bruder (meine Schwester, mein Cousin, meine Schulfreundin, mein Klassenkamerad) hatte ADHS, als wir Kinder waren, und er (oder sie) war ein richtiger Zappelphilipp, immer kribbelig, aufgedreht und irgendwie peinlich. Und ich bin nicht so!“

ADHS im Erwachsenenalter setzt nicht voraus, dass man hyperaktiv ist.

Mittlerweile wissen wir, dass Hyperaktivität häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen mit ADHS auftritt; mit zunehmendem Alter nimmt die Hyperaktivität erheblich ab, oder sie äußert sich anders als in der Kindheit. Oft bleibt von der Hyperaktivität nur ein Gefühl von Ruhelosigkeit zurück, und das Bedürfnis, ständig etwas zu tun.

Es gibt viele gute Gründe, sich auf ADHS testen zu lassen:

Die ADHS-Forschung macht rasante Fortschritte und gewinnt laufend neue Erkenntnisse, von denen Sie als Betroffener profitieren können. Obwohl erst seit relativ kurzer Zeit bekannt ist, dass ADHS auch bei Erwachsenen auftritt, hat die Wissenschaft auf diesem Gebiet schon wichtige Etappensiege erzielt.

ADHS kann Ihnen größeren Schaden zufügen als viele andere psychische Probleme – und die Störung schadet Ihnen tagtäglich, in allen Lebensbereichen. ADHS führt in mehr Bereichen zu größeren Beeinträchtigungen als die meisten anderen psychischen Störungen, die wir im ambulanten Bereich beobachten. Bleibt eine ADHS unbehandelt, kann sie auch zu einem höheren Sterberisiko in der Lebensmitte und insgesamt zu einer geringeren Lebenserwartung führen.

Für ADHS gibt es viel mehr wirksame Behandlungsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien als für andere psychische Störungen im Erwachsenenalter.ADHS gehört zu den psychischen Störungen, die am besten behandelbar sind.

|22|Unser Wissen über Erwachsene mit ADHS basiert auf wissenschaftlichen Fakten, z. B. auf:

Daten, die seit 1991 an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts gesammelt wurden; hier wurde auch eine der ersten Spezialambulanzen in den USA für Erwachsene mit ADHS eingerichtet

Erkenntnissen aus einer Verlaufsstudie mit 158 Kindern mit ADHS (und 81 Kindern ohne ADHS), die bis ins Erwachsenenalter begleitet wurden; diese Studie war eine der größten, die je zu ADHS durchgeführt wurden (Barkley et al., 2008)

Daten aus zahlreichen Studien, die am Massachusetts General Hospital durchgeführt wurden. Anfang der 1990er-Jahre wurde dort ebenfalls eine Ambulanz für Erwachsene mit ADHS eröffnet (ungefähr zeitgleich mit meiner eigenen Ambulanz)

Erkenntnissen aus mehr als 100 000 wissenschaftlichen Artikeln und Büchern über ADHS bei Erwachsenen, die seit der letzten Ausgabe dieses Buches im Jahr 2010 (dt. 2012) veröffentlicht wurden (Barkley 2010/2012).

1.1  Wie lange haben Sie diese Probleme schon?

Wenn Sie einmal darüber nachdenken, wie lange Sie schon Schwierigkeiten mit Ihrer Zeiteinteilung, Konzentration und Impulskontrolle haben, würden Sie sagen, dass diese Probleme erst seit ein paar Wochen bestehen oder schon seit Monaten oder gar Jahren andauern? Können Sie sich daran erinnern, ob Sie diese Probleme schon als Kind hatten? Fiel es Ihnen schwer, in der Schule ruhig zu sitzen? Die Hausaufgaben zu erledigen oder ein Vorhaben durchzuziehen (z. B. im Rahmen eines Hobbys)? Spielregeln zu befolgen? Freundschaften zu schließen und aufrechtzuerhalten? Ihre Emotionen zu kontrollieren, wenn Sie frustriert oder wütend waren?

Die Erwachsenen mit ADHS, die an meinen Studien teilnehmen oder bei mir in Behandlung sind, haben ganz unterschiedliche Erinnerungen daran, wie mit ihrer Symptomatik umgegangen wurde, als sie noch Kinder waren. Bei vielen wurde die Diagnose in der Kindheit nicht gestellt. Vor den 1980er-Jahren wurde die Störung meist gar nicht anerkannt. Viele Betroffene berichten von Kinderärzten, die ADHS für eine Erfindung hielten. Andere erzählen, dass ihre Eltern nie auf die |23|Idee gekommen wären, mit ihnen zum Arzt zu gehen, „nur“, weil sie aufgedreht und unkonzentriert waren. Vermutlich dachten die Eltern, dass sich die Probleme mit der Zeit auswachsen würden oder sich mit etwas gutem Willen in den Griff bekommen ließen. Bei manchen Betroffenen wird die Diagnose weder in der Kindheit noch im Erwachsenenalter gestellt, weil sie in eine Grauzone zwischen ADHS-Symptomen und Normalverhalten fallen, oder weil noch weitere psychische Probleme vorhanden sind, die die ADHS-Symptomatik überlagern und verschleiern.

Wenn Ihnen als Kind keine ADHS diagnostiziert wurde, bedeutet das nicht, dass Sie keine ADHS (mehr) haben.

Wenn Ihre Probleme mit der Zeiteinteilung, der Konzentration und der Impulskontrolle heute nicht mehr so gravierend sind wie in der Kindheit, bedeutet das nicht, dass Sie keine ADHS (mehr) haben.

Wenn Sie als Kind hyperaktiv waren und es heute nicht mehr sind, bedeutet das nicht, dass Sie keine ADHS (mehr) haben.

Plötzliche und kurzfristig auftretende Symptome sprechen gegen eine ADHS.

Wenn Sie aber als Kind überhaupt keine ADHS-Symptome hatten, haben Sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch als Erwachsener keine ADHS. ADHS-ähnliche Symptome, die erst im Erwachsenenalter aufgetreten sind oder noch nicht lange bestehen, haben vermutlich andere Ursachen – z. B. eine Gehirnverletzung oder eine andere körperliche Erkrankung.

Bei 98 % aller ADHS-Fälle, die wir in unseren diversen Ambulanzen und im Rahmen von Studien diagnostiziert haben, traten die Symptome erstmals vor dem 16. Lebensjahr auf.

Falls Sie sich nicht genau erinnern können, ob Sie die oben genannten Probleme schon als Kind hatten: Gibt es jemanden, der Sie als Kind gut kannte und den Sie fragen können? Ein Elternteil? Geschwister? Wie wir wissen, fällt es ADHS-Betroffenen nicht nur schwer, Aufgaben rechtzeitig zu erledigen, vorausschauende Entscheidungen zu treffen oder mit anderen Menschen zurechtzukommen. Es bereitet ihnen auch Schwierigkeiten, sich an ihre Kindheit zu erinnern, zumindest bis sie Mitte, Ende 20 sind. Warum das so ist, erkläre ich in Schritt Zwei.

|24|Als Kind hatte ich keine Probleme, und Gehirnverletzungen kann ich ebenfalls ausschließen. Könnte es sein, dass ADHS mir bis jetzt keine Schwierigkeiten bereitet hat, weil ich überdurchschnittlich intelligent bin? In der Grundschule habe ich bei IQ-Tests hohe Werte erzielt.

In der Schule und im Beruf kann Intelligenz einen gewissen Schutz vor den Beeinträchtigungen bieten, die üblicherweise mit ADHS in Verbindung gebracht werden. In Bereichen wie Familie und soziale Beziehungen, Autofahren, Kriminalität und Drogenkonsum, Ehe und Partnerschaft, ist Intelligenz dagegen kein ausschlaggebender Faktor. In diesen und vielen anderen Lebensbereichen hätte Sie Ihre Intelligenz nicht unbedingt vor Beeinträchtigungen durch ADHS geschützt. Wenn im Erwachsenenalter plötzlich ADHS-ähnliche Probleme auftreten, liegt die Ursache mit großer Wahrscheinlichkeit woanders.

Kinder und Jugendliche mit ADHS, die ich bis ins Erwachsenenalter begleite, sind sich der Tragweite ihrer Symptome oft nicht bewusst und merken gar nicht, wie sehr diese Symptome ihr Leben beeinträchtigen. Erst im Alter von 27 bis 32 Jahren stimmt das, was Erwachsene mit ADHS über sich selbst berichten, allmählich mit dem überein, was andere über sie berichten.

Ich vermute, dass ich ADHS habe, obwohl ich früher überhaupt keine Konzentrationsschwierigkeiten oder andere Probleme hatte. Vielleicht habe ich die Störung auf andere Weise kompensiert?

In unseren Studien geben Erwachsene mit ADHS durchschnittlich sechs bis sieben von zehn wichtigen Lebensbereichen an, in denen sie schon früher häufig beeinträchtigt waren. ADHS führt quer durch alle Bereiche des Erwachsenenlebens zu schweren Beeinträchtigungen, von der Ausbildung über den Beruf bis hin zur Familie und sozialen Beziehungen. Es ist nahezu unmöglich, die Kindheit und Jugend und sogar das frühe Erwachsenenalter mithilfe von „Kompensation“ zu überstehen. Aus fachlicher Sicht ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich ADHS in der Kindheit und Jugend überhaupt nicht auf die Funktionsfähigkeit ausgewirkt hat, und dass man es mit ADHS durch die Schulzeit geschafft hat, ohne dass Eltern und Lehrer eine außergewöhnliche Hilfestellung geleistet haben. ADHS wird |25|ja gerade durch einen Mangel an Kompensation während der Kindheit definiert, und nicht durch eine erfolgreiche Kompensation in dieser Lebensphase!

Die Symptome müssen seit mindestens sechs Monaten bestehen, um für eine ADHS-Diagnose in Betracht zu kommen.

1.3  Welche Symptome haben Sie?

Diese Frage können Sie nur mithilfe einer qualifizierten Fachperson vollständig beantworten. Trotzdem können die folgenden Fragen darüber Aufschluss geben, ob eine diagnostische Evaluation bei Ihnen angemessen wäre. In unseren Forschungen speziell zu Erwachsenen-ADHS haben sich die folgenden neun Kriterien bei der Identifizierung der Störung als besonders treffsicher erwiesen.

Kommt es oft vor, dass Sie …

sich leicht von äußeren Reizen oder nebensächlichen Dingen ablenken lassen?

impulsiv Entscheidungen treffen?

Schwierigkeiten haben, eine Aktivität oder ein Verhalten einzustellen, obwohl es angebracht wäre, damit aufzuhören?

ein Projekt oder eine Aufgabe beginnen, ohne zuvor die Anweisungen sorgfältig gelesen oder genau zugehört zu haben?

Versprechen oder Zusagen nicht einhalten?

Probleme haben, Dinge in der richtigen Reihenfolge zu erledigen?

viel schneller fahren als andere, oder Schwierigkeiten haben, ruhig einer Freizeitaktivität nachzugehen?

Probleme haben, bei Aufgaben oder Freizeitaktivitäten längere Zeit die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten?

Probleme haben, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren?

Haben Sie vier der ersten sieben Fragen oder sechs von allen neun Fragen mit „Ja“ beantwortet? Dann haben Sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine ADHS. In diesem Fall sollten Sie eine erfahrene Fachperson aufsuchen und sich einer ausführlichen Evaluation unterziehen, falls Sie das nicht schon getan haben.

|26|In Kapitel 3 finden Sie Informationen darüber, an wen Sie sich für eine professionelle Beurteilung wenden können.

Das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-5, dt., APA, 2015), das von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (American Psychiatric Association, APA) herausgegeben wird und derzeit in der fünften Auflage vorliegt, listet unter den diagnostischen Kriterien für ADHS 18 Symptome auf, von denen die eine Hälfte mit Unaufmerksamkeit und die andere Hälfte mit Hyperaktivität und Impulsivität zusammenhängt. Diese Kriterien (siehe Anhang) wurden jedoch ursprünglich im Hinblick auf Kinder erstellt. Und obwohl die neueste Ausgabe des Handbuchs Erläuterungen (in Klammern, unter dem Stichwort „Beachte“) zu einigen Symptomen bei Erwachsenen enthält, wurden diese Erläuterungen erst vor Kurzen getestet: Laura Knouse und ich haben untersucht, wie gut sie Erwachsene mit ADHS identifizieren. Wir fanden heraus, dass sie nur unzureichend mit den ursprünglichen Symptomen in Verbindung stehen und besser ignoriert werden sollten, bis mehr Forschungen dazu vorliegen.

Meine Mitarbeiter und ich haben Forschungsdaten zusammengetragen, die zeigen, dass die oben genannten neun Fragen bzw. Symptome in Bezug auf Erwachsene besser geeignet sind. Einer meiner Forschungskollegen, Stephen Faraone, hat mit seinen Erwachsenengruppen eine unabhängige Studie durchgeführt und gezeigt, dass diese neun Symptome bei der Diagnostik von Erwachsenen-ADHS zuverlässige Kriterien darstellen (Faraone et al., 2006).

1.4  Wie wirken sich diese Symptome auf Ihr Leben aus?

ADHS ist keine Entweder-Oder-Kategorie wie z. B. eine Schwangerschaft. Vielmehr handelt es sich um eine Größe wie die menschliche Intelligenz oder Körpergröße. Stellen Sie sich ADHS als ein Kontinuum vor, bei dem unterschiedliche Personen in unterschiedlichen Lebensabschnitten auf verschiedenen Punkten liegen. Wo aber wird auf diesem Kontinuum die Grenze gezogen zwischen dem, was wir als „Störung“ bezeichnen und dem, was als „normal“ gilt? Diese Grenze ver|27|läuft dort, wo es in wichtigen Lebensbereichen zu Beeinträchtigungen kommt. Symptome bezeichnen die Art und Weise, wie eine Störung im Denken und Handeln des Betroffenen zum Ausdruck kommt. Beeinträchtigungen sind die negativen Folgen dieser Symptome. Tabelle 1-1 listet typische Beeinträchtigungen auf, wie sie ADHS in der Kindheit und im Jugend- und Erwachsenenalter verursacht.

In Schritt Fünf finden Sie spezifische Strategien, um zu verhindern, dass ADHS-Symptome die Beeinträchtigungen nach sich ziehen, die in der nachfolgenden Tabelle aufgelistet sind.

Tabelle 1-1:  Typische Beeinträchtigungen durch ADHS in Kindheit, Jugend- und Erwachsenenalter

Typische Beeinträchtigungen in der Kindheit

Typische Beeinträchtigungen im Jugend- und Erwachsenenalter

Stress und Konflikte in der Familie.

Verminderte Funktionsfähigkeit im Beruf.

Schlechte Peer-Beziehungen.

Häufige Jobwechsel.

Wenige oder keine engen Freundschaften.

Riskantes Sexualverhalten; höhere Zahl an Teenager-Schwangerschaften und sexuell übertragenen Krankheiten.

Störverhalten in Geschäften, in der Kirche und in anderen öffentlichen Einrichtungen, in dem Maße, dass das Kind aufgefordert wird, zu gehen, oder sogar ein Hausverbot bekommt.

Riskante Fahrweise (zu schnelles Fahren, häufige Unfälle).

Geringe Rücksichtnahme auf die eigene Sicherheit; vermehrt unfallbedingte Verletzungen.

Leichtsinniger Umgang mit Geld (impulsives Kaufen, unverhältnismäßiger Einsatz von Kreditkarten, unregelmäßige oder keine Schuldenrückzahlung, geringe oder keine Ersparnisse etc.).

Langsame Entwicklung der Selbstpflege.

Probleme mit Liebesbeziehungen/Partnerschaft/Ehe.

Betroffene gehen nicht auf die Bedürfnisse des Partners/der Partnerin ein; sie hören nicht zu oder reden übermäßig viel und fallen dem anderen ins Wort. Versprechen, Zusagen und Verpflichtungen werden nicht eingehalten.

|28|Langsame Entwicklung von persönlicher Verantwortung.

Neigung zum übermäßigen Konsum von Substanzen wie Tabak, Alkohol oder Marihuana.

Signifikant unterdurchschnittliche schulische Leistungen.

Schwierigkeiten, zu einer angemessenen Zeit ins Bett zu gehen (Schlaflosigkeit), häufiges nächtliches Erwachen und Unruhe, zu wenig Schlaf, was zu Müdigkeit am Tag führt.

Signifikant höhere Schulabbruchrate.

Seltener, aber erwähnenswert:

Antisoziales Verhalten (Lügen, Stehlen, Schlägereien), das zu Konflikten mit dem Gesetz, Verhaftungen oder sogar Gefängnisstrafen führt; tritt oft in Verbindung mit einem höheren Risiko für den Konsum und Missbrauch von Drogen auf.

1.5  Was kommt als Nächstes?

Jetzt müssten Sie eine ziemlich gute Vorstellung davon haben, ob Sie eventuell an ADHS leiden, und eine professionelle Evaluation in Betracht ziehen sollten:

Haben Sie mindestens vier bis sechs der oben genannten neun Symptome?

Treten diese Symptome in Ihrem jetzigen Leben häufig auf?

Bestehen diese Probleme seit mindestens sechs Monaten?

Haben sich diese Symptome in der Kindheit oder Jugend (vor dem 16. Lebensjahr) herausgebildet?

Haben Ihre jetzigen Symptome zu negativen Konsequenzen (Beeinträchtigungen) in einem oder mehreren wichtigen Lebensbereichen (Ausbildung, Beruf, soziale Beziehungen, Liebesbeziehungen/Partnerschaft/Ehe, Umgang mit Geld, Autofahren etc.) geführt?

Haben diese Symptome schon in der Kindheit zu negativen Konsequenzen geführt?

Wenn Sie alle diese Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, dann haben Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ADHS. Lesen Sie weiter und finden Sie heraus, was Sie dagegen unternehmen können.

|29|2  Können Sie das Problem allein bewältigen?

Der Gedanke, ADHS zu haben, kann eine enorme Erleichterung sein: Endlich hat man eine Erklärung dafür, warum das Leben bislang so mühsam war. Problem gelöst, oder? Alles, was Sie jetzt noch tun müssen, ist, ein paar Bücher zu lesen, um herauszufinden, wie Sie mit den Defiziten umgehen sollen, die ADHS verursacht.

Nicht so schnell! Es gibt einige sehr gute Gründe dafür, warum Sie sich professionelle Hilfe suchen sollten – sowohl für die Diagnostik als auch für eine nachfolgende Behandlung. Dieses Kapitel wird ausführlicher darlegen, was ein Mittdreißiger so treffend formuliert hat:

„Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten extreme Anstrengungen unternommen, um alleine mit meiner ADHS fertig zu werden, und ich denke, ich habe mich ganz gut gehalten. Aber jetzt brauche ich wirklich Hilfe. Ich habe genug davon, wie ein Stein übers Wasser zu hüpfen, was meine berufliche Laufbahn betrifft, und ich würde wirklich gerne Fuß fassen und zeigen, was ich draufhabe. Ich weiß, dass ich das kann.“

Und dies sind, in Kürze, die Gründe, warum Sie sich professionelle Hilfe suchen sollten:

Um sicherzugehen, dass Ihre Symptome tatsächlich durch ADHS und nicht durch einen anderen Zustand verursacht werden, der behandelt werden muss.

Um festzustellen, ob Ihre Probleme durch ADHS in Kombination mit einem anderen Zustand hervorgerufen werden.

Um im Falle einer ADHS-Diagnose ein Medikament verschrieben zu bekommen, das Ihre Bewältigungsbemühungen nachweislich wirksam unterstützen wird.

Um mit Hilfe der neuesten Psychotherapie-Methoden Ihre Probleme mit der Selbstkontrolle zu bewältigen.

|30|Um herauszufinden, wo Ihre Stärken und Schwächen liegen, damit Sie Ihre Bewältigungsbemühungen gezielt danach ausrichten können.

Um die gesetzlich geregelte Unterstützung in Ausbildung und Beruf in Anspruch nehmen zu können (etwa im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes).

Um Zugang zu weiteren Ressourcen zu bekommen, die Ihnen helfen, Ihren ungesunden Lebensstil zu ändern (z. B. Ernährungsberatung, Hilfe bei Suchtproblemen oder Schlaflosigkeit).

Alles gute Gründe, um eine Fachperson zu konsultieren, damit diese die richtige Behandlung einleiten kann, und damit Sie die Hilfen in Anspruch nehmen können, die Ihnen rechtlich zustehen.

Überzeugt? Wenn ja, können Sie direkt zu Kapitel 3 springen. Wenn Sie aber mehr darüber erfahren wollen, warum Sie nicht versuchen sollten, Ihre Probleme allein zu bewältigen, lesen Sie dieses Kapitel zu Ende.

2.1  Werden Ihre Symptome durch etwas anderes verursacht, etwa durch ein medizinisches Problem?

Lassen Sie uns darauf zurückkommen, dass der Gedanke, eine ADHS zu haben, eine Erleichterung sein kann. Eine Bezeichnung und eine neurobiologische Erklärung für all das zu haben, was einem so schwerfällt, kann an sich schon therapeutisch sein. Wenn man weiß, was nicht stimmt, kann man endlich damit aufhören, sich aufzureiben, weil es einem partout nicht gelingen will, die Probleme einfach abzuschütteln. Aber ohne professionelle Evaluation können Sie nicht wissen, ob ADHS tatsächlich die Ursache Ihrer Probleme ist. Nur eine erfahrene Fachperson, die entsprechend ausgebildet wurde und das erforderliche Urteilsvermögen besitzt, kann die diagnostischen Kriterien, von denen in Kapitel 1 die Rede war, zuverlässig prüfen. Ohne eine solche Fachperson wird es Ihnen nicht gelingen, die oftmals feinen Unterschiede zwischen ADHS und anderen Störungsbildern zu erkennen oder ADHS-Symptome von Verhaltensweisen abzugrenzen, die in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung sehr verbreitet sind und als „normal“ gelten. Neben ADHS gibt es noch andere psychische und psychiatrische Störungen, die Probleme mit Aufmerksamkeit, Konzentration und Arbeitsgedächtnis hervorrufen, und es ist sehr wichtig, diese Störungen von ADHS zu unterscheiden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass eine qualifizierte Fachperson sämtliche Tests und Untersuchungen veranlassen kann, um sicherzustellen, dass Ihre Pro|31|bleme nicht von einer Gehirnverletzung oder von einer anderen körperlichen Erkrankung herrühren, wie bereits in Kapitel 1 erwähnt.

Wäre es nicht eine noch größere Erleichterung zu wissen, dass Sie ADHS haben, anstatt es nur zu vermuten?

2.2  Lassen sich all Ihre Probleme mit ADHS erklären?

Selbst wenn die Informationen in Kapitel 1 Ihnen das sichere Gefühl vermittelt haben, dass Sie eine ADHS haben, führt das nicht an einer professionellen Evaluation vorbei. Schließlich wäre es furchtbar frustrierend, wenn Sie sich ausschließlich auf ADHS konzentrieren würden, aber keine Besserung erzielen könnten, weil ein anderes Problem nicht erkannt wurde und unbehandelt bleibt. Sollte sich bei der Evaluation herausstellen, dass noch weitere Störungen vorhanden sind (in diesem Fall spricht man von Komorbidität), wird Ihnen die Fachperson nicht nur eine Diagnose stellen und Sie über Ihre Störung(en) aufklären, sondern auch verschiedene Behandlungsempfehlungen aussprechen – der erste Schritt auf dem Weg zu einem neuen Lebensgefühl.

Die meisten Erwachsenen mit ADHS, die bei Fachpersonen vorstellig werden, haben mindestens zwei Störungen: 80 bis 85 % aller Betroffenen haben eine weitere Störung, und mehr als die Hälfte von ihnen hat drei psychische Störungen.

Weitere Störungen, die häufiger bei ADHS-Betroffenen als in der Allgemeinbevölkerung auftreten:

Angststörungen

Störung mit oppositionellem Trotzverhalten

Störung des Sozialverhaltens (aggressives Verhalten, Zerstörung von Eigentum, Betrug oder Diebstahl, schwere Regelverstöße)

Lernstörungen (die Fertigkeiten des Lesens, Rechnens oder Schreibens liegen wesentlich unter denen, die aufgrund des Alters, der gemessenen Intelligenz und der altersgemäßen Bildung einer Person zu erwarten wären)

|32|Depressive Störung, Dysthymie oder Mutlosigkeit

Bipolare Störung mit Beginn in der Kindheit oder Jugend

Antisoziale Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter

Alkoholismus und andere Suchterkrankungen

Tic-Störungen oder ein Tourette-Syndrom (multiple motorische und vokale Tics)

Störungen des Autismus-Spektrums

2.3  Medikamente sind die effektivste Behandlung und müssen von einem Arzt verschrieben werden

In Schritt Drei erfahren Sie alles über die Medikamente, die bei der ADHS-Behandlung eingesetzt werden. Soviel vorweg: Die medikamentöse Therapie ist einer der Grundpfeiler der ADHS-Behandlung, und die Medikamente sind wirksam. Der Anteil der Erwachsenen mit ADHS, bei denen keines der üblichen Medikamente einen positiven Effekt zeigt, liegt bei weniger als zehn Prozent; die übergroße Mehrheit der Erwachsenen profitiert von der medikamentösen Therapie und zeigt eine deutliche Besserung der Symptome. Offenbar korrigieren oder kompensieren die Medikamente sogar vorübergehend die zugrundeliegenden neurologischen Probleme, die an der Störung wesentlich beteiligt sind.

Bei keiner anderen Störung im psychiatrischen Bereich ist die Erfolgsrate von Medikamenten so hoch wie bei ADHS.

Viele Behandlungs- und Bewältigungsmethoden zeigen nur eine geringfügige Wirkung, es sei denn, der Betroffene nimmt zusätzlich Medikamente ein. Unserer Erfahrung nach werden Erwachsene mit ADHS, die sich nach der Diagnose zunächst gegen eine medikamentöse Behandlung entscheiden, innerhalb von durchschnittlich drei bis sechs Monaten wieder vorstellig, um mit einer medikamentösen Behandlung zu beginnen, weil sie erkennen, dass alle anderen Optionen nicht ausreichen, um ihre Probleme wirksam anzugehen.

Studien zeigen, dass ADHS-Medikamente

bei 50−65 % der Betroffenen das Verhalten normalisieren und

bei weiteren 20−30 % das Verhalten erheblich verbessern.

|33|2.4  Wo genau liegen Ihre Stärken und Schwächen?

Eine fachgerechte Evaluation umfasst mehrere Schritte. Diese Schritte sind so angelegt, dass Ihre Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass keine wichtigen Fakten übersehen oder Zeichen falsch interpretiert werden. Sollte Ihnen dieser Prozess iterativ oder langatmig vorkommen, denken Sie daran, dass der Gutachter versucht, Faktoren auszuschließen, die nicht für Ihre Probleme verantwortlich sind, und Faktoren zu identifizieren, die diese Probleme verursachen. Es gibt noch einen Grund, warum Sie diesen Prozess geduldig mittragen sollten: Indem der Gutachter alle möglichen Ursachen für Ihre Symptome ausdifferenziert, sammelt er zugleich wichtige Informationen über Ihre persönlichen Stärken. Zu wissen, wo Ihre Lebenskompetenz und Ihre natürlichen Fähigkeiten liegen, hilft Ihnen und Ihrem Therapeuten, Coping-Strategien auszuwählen, die auf Sie zugeschnitten sind und Ihnen den größtmöglichen Nutzen bringen. Eine künstlerische Begabung oder eine einnehmende Persönlichkeit kommt nicht daher, dass Sie ADHS haben. Sie können aber lernen, diese Stärken zu nutzen, um ADHS-Symptome zu kompensieren; oder Sie können ein Berufsprofil erstellen, das diese Stärken berücksichtigt.

Ich bin vielen Pharmavertretern begegnet, die ADHS haben und ihre Arbeit hervorragend machen. Ihr Beruf sorgt dafür, dass sie ständig unterwegs sind und viel mit Menschen (z. B. mit Ärzten und Praxismitarbeitern) zu tun haben; das hält sie beschäftigt und „auf Achse“. Dagegen würde sie ein normaler Achtstundentag im Büro wahrscheinlich so sehr langweilen, dass sie sich nur schwer konzentrieren und die notwendige Arbeitsmotivation aufbringen könnten, und das, obwohl sie ein Verkaufstalent besitzen und es verstehen, Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. Als Außendienstmitarbeiter erleben diese ADHS-Betroffenen ständige Szenenwechsel, die sie „unter Strom“ setzen und dafür sorgen, dass sie sich auf ihre Tätigkeit konzentrieren. Noch besser ist es, wenn sie im Team arbeiten und zusammen mit mehreren Kollegen für ein bestimmtes Gebiet zuständig sind, weil die Arbeitsteilung ihrer Tätigkeit Struktur verleiht, was für ADHS-Betroffene besonders wichtig ist.

Beim Evaluationsprozess geht es also darum, Ihre Probleme zu präzisieren und herauszufinden, wo Ihre Stärken liegen, damit ein Behandlungsplan erstellt werden kann, der Ihnen so schnell wie möglich den Weg zu Gesundheit und Erfolg ebnet.

|34|3  Wo finden Sie Hilfe?

Falls Ihre Symptome noch nicht diagnostisch abgeklärt wurden, sollten Sie nun eine Fachperson aufsuchen. Haben Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrem Hausarzt? Dann kann er die erste wichtige Anlaufstation sein. Mit einem Arzt, der Sie gut kennt, können Sie zunächst die störungsspezifischen Fragenkataloge durchgehen, um herauszufinden, ob Sie mit Ihrem ADHS-Verdacht richtig liegen könnten. Wenn der Arzt körperliche Ursachen für Ihre Symptome ausschließen kann, können Sie sich die medizinische Untersuchung, die der psychologische Gutachter mit Sicherheit empfehlen wird, schon einmal sparen. Und ein Arzt, der Sie gut kennt, kann Sie an einen ADHS-Spezialisten überweisen, der für Sie geeignet ist. Meiner Erfahrung nach ist ein vertrauensvolles Verhältnis zum Hausarzt die Grundvoraussetzung dafür, dass Sie sich auch bei der Fachperson, die er Ihnen empfiehlt, gut aufgehoben fühlen.

3.1  Wie Sie eine Fachperson finden, die Erfahrung mit ADHS hat

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um eine geeignete Fachperson zu finden. Wenn die eine Option für Sie nicht infrage kommt oder nicht funktioniert, versuchen Sie es mit den anderen.

Wie bereits erwähnt, können Sie als Erstes Ihren Haus- bzw. Familienarzt (Allgemeinmediziner, Internist) konsultieren und ihn um die Kontaktdaten einer Fachperson in Ihrer Nähe bitten. Wichtig: Die Fachperson muss auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert sein.

|35|Rufen Sie einen Fachverband oder eine Selbsthilfegruppe an und erkundigen Sie sich nach geeigneten Fachpersonen in Ihrer Nähe. Lassen Sie sich ggf. eine Liste mit Fachärzten in Ihrem Bundesland oder Kanton zuschicken. Achten Sie darauf, dass Sie sich nur mit Fachpersonen in Verbindung setzen, die auf Erwachsenen-ADHS spezialisiert sind.

Rufen Sie die medizinische Fakultät bzw. die Abteilung für Psychiatrie einer Universität an und lassen Sie sich die Kontaktdaten von Fachpersonen in Ihrer Nähe geben, die ADHS-Evaluationen bei Erwachsenen vornehmen. Oder gehen Sie auf die Webseite, um zu sehen, ob ADHS zu den Spezialgebieten der Einrichtung gehört.

Rufen Sie die Psychiatrische Abteilung der örtlichen Klinik/des örtlichen Krankenhauses an und lassen Sie sich die entsprechenden Informationen geben. Oder gehen Sie auf die Webseite der Klinik, um zu sehen, ob ADHS dort behandelt wird.

Wenden Sie sich an Ihre Krankenversicherung. Krankenkassen und Privatversicherungen verfügen über Listen mit Fachärzten und spezialisierten Psychotherapeuten.

Recherchieren Sie online oder werfen Sie einen Blick in die Gelben Seiten. Unter der Rubrik Ärzte/Psychologen/Psychotherapie finden Sie Ansprechpartner und Fachpersonen vor Ort.

Gibt es in Ihrem Freundes-, Verwandten- oder Kollegenkreis jemanden, dem Sie vertrauen und von dem Sie wissen, dass er wegen ADHS behandelt wird, und den Sie nach einer Fachperson fragen können? Oder kennen Sie eine Familie, in der ein Kind wegen ADHS behandelt wird? Sie könnten den Arzt/Therapeuten des Kindes anrufen und sich nach einem Fachkollegen erkundigen, der auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert ist.

Im Anhang dieses Buches finden Sie Adressen und Webseiten, über die Sie kompetente Ansprechpartner und Fachpersonen in Ihrer Nähe ermitteln können.

|36|3.2  Was Sie fragen sollten, bevor Sie einen Termin vereinbaren

Wenn Sie das Glück haben, unter mehreren Fachärzten in Ihrer Nähe wählen zu können, sollten Sie bei der telefonischen Kontaktaufnahme folgende Fragen stellen, bevor Sie einen Evaluationstermin vereinbaren. Aber auch wenn Sie nur eine einzige Fachperson in Ihrer Nähe ausfindig machen konnten, lohnt es sich, ihr diese Fragen zu stellen:

Wie hoch ist in der betreffenden Praxis der Anteil der Patienten mit ADHS (verglichen mit anderen psychischen Störungen)?

Falls die Fachperson sowohl Kinder als auch Erwachsene mit ADHS behandelt, wie hoch ist der Anteil der Erwachsenen?

Wie lange behandelt die Fachperson bereits Erwachsene mit ADHS?

Welches medizinische/psychiatrische/psychologische Spezialgebiet hat die Fachperson? Zu den Gebieten, die ADHS und verwandte psychiatrische Störungen abdecken, gehören Psychiatrie, klinische Psychologie, Neuropsychologie und Neurologie (vor allem Verhaltensneurologie).

Ist der Therapeut ein anerkannter Facharzt auf diesem Gebiet? Die Facharztanerkennung ist eine höhere Zertifizierung als die staatliche Zulassung als Arzt oder Psychotherapeut.

Wie lange muss man auf einen Termin warten? (Diese Frage ist vor allem dann relevant, wenn Sie mehrere Fachpersonen zur Auswahl haben und so rasch wie möglich einen Termin möchten.)

Behandelt die Fachperson die Patienten selbst weiter, nachdem sie die Diagnose gestellt hat? Falls nicht, an wen werden die Patienten überwiesen?

Gibt es in der Region noch weitere potenzielle Ressourcen? Die meisten Ärzte bieten selbst kein Coaching, Fertigkeitstraining etc. an, wohingegen niedergelassene Psychologen häufig eine Praxisgemeinschaft mit Fachleuten verwandter Gebiete betreiben und ihre Patienten untereinander vermitteln.

Wie rechnet der Arzt die Behandlungskosten ab? Ist die Evaluation eine Kassen- oder eine Privatleistung?

|37|4  Was brauchen Sie für die Evaluation?

Wenn Sie wissen, was Sie erwartet, läuft der Evaluationsprozess wahrscheinlich reibungsloser und schneller ab.

4.1  Die Vorbereitung: Was Sie erwartet und was Sie mitbringen sollten

Dies sind die typischen Bestandteile einer diagnostischen Evaluation:

Vor oder während der Evaluation werden die Ergebnisse von störungsspezifischen Fragebogen sowie Überweisungsinformationen (Warum hat Ihr Hausarzt Sie an eine Fachperson überwiesen?) gesammelt.

Es wird ein Interview mit Ihnen durchgeführt.

Ihre Krankengeschichte sowie Unterlagen (z. B. Krankenakten), die Ihre Beeinträchtigungen dokumentieren, werden ausgewertet.

Es werden psychologische Tests durchgeführt, um allgemeine kognitive Verzögerungen oder Lernstörungen auszuschließen.

Personen, die Sie gut kennen, werden befragt, um Ihre Berichte (z. B. über Ihre Schulzeit) zu bestätigen und um zusätzliche biografische Daten zu erheben.

Wenn eine medikamentöse Behandlung erforderlich sein könnte oder wenn medizinische Begleitzustände abgeklärt werden müssen, wird eine allgemeine medizinische Untersuchung veranlasst. Wenn Ihr Hausarzt eine solche Untersuchung bereits durchgeführt hat, entfällt dieser Punkt.

|38|Was Sie mitbringen sollten, um den Evaluationsprozess zu erleichtern und zu beschleunigen:

Alle relevanten Dokumente, die Aufschluss über Ihre Schulzeit geben (z. B. Zeugnisse, Schulberichte, Beurteilungen durch Lehrer etc.); Patientenakten von Ärzten und/oder Psychotherapeuten, bei denen Sie in Behandlung waren; Dokumente, die Aufschluss über Ihr Fahrverhalten (Unfälle, Verkehrsdelikte) oder über Vorstrafen geben (z. B. polizeiliches Führungszeugnis); weitere Unterlagen zu Problemen, die mit ADHS oder anderen Störungen zusammenhängen könnten.

Die Namen von Personen (z. B. von Eltern, Geschwistern oder anderen engen Bezugspersonen aus der Kindheit), die Sie gut kennen und denen Sie zutrauen, dass sie aufrichtig und objektiv über Sie Auskunft geben.

Die Ergebnisse der medizinischen Untersuchung (falls diese bereits durchgeführt wurde).

Eine Liste von Familienmitgliedern, bei denen psychische Störungen bekannt sind/waren.

Eine Beschreibung der Beeinträchtigungen, die Sie in Ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben; Angaben zu jüngeren und aktuellen Beeinträchtigungen.

4.2  Bringen Sie eine offene Einstellung mit

Sie haben diesen Termin vereinbart, weil Sie Antworten wollen: Warum bekommen Sie die Dinge, die für die meisten Erwachsenen eine Selbstverständlichkeit sind, nicht geregelt? Warum ist in Ihrem Leben alles so mühsam, obwohl Sie große Anstrengungen unternehmen und sich richtig „reinknien“, um ans Ziel zu gelangen? Was müssen Sie tun, um wichtige persönliche und berufliche Ziele zu erreichen? Um diese Fragen zu beantworten, muss die Fachperson, mit der Sie den Termin vereinbart haben, viele Informationen aus unterschiedlichen Quellen sammeln. Vielleicht fragen Sie sich, wozu das alles gut sein soll. Möglicherweise werden Sie im Laufe des Evaluationsprozesses ungeduldig, weil Sie das Gefühl haben, nicht voranzukommen. Versuchen Sie trotzdem, sich auf Ihr Ziel – Antworten und Lösungen – zu konzentrieren und gehen Sie die Evaluation mit einer offenen Einstellung an.

Seien Sie darauf gefasst, dass der erste Evaluationstermin mehrere Stunden in Anspruch nimmt.

|39|Geben Sie bereitwillig Auskunft über Ihre Schul- und Ausbildungszeit, auch wenn Sie sich nur ungern an diesen Lebensabschnitt erinnern. Seien Sie ehrlich, was Ihre Beeinträchtigungen angeht, und lassen Sie zu, dass der Gutachter Gespräche mit Personen aus Ihrem Umfeld führt, damit er eine Außenperspektive bekommt, die sehr hilfreich sein kann. Jeder Test, jeder Fragebogen und jedes Interview im Rahmen des Evaluationsprozesses ist wissenschaftlich begründet und so angelegt, dass möglichst zuverlässige und aufschlussreiche Informationen daraus gewonnen werden.

In Anbetracht all dieser Tests, Bewertungsskalen, Fragebogen, Unterlagen und Interviews weiß der Gutachter doch alles, was er über mich wissen muss. Warum ist es notwendig, dass er auch noch mit einer Bezugsperson spricht?

Die Antwort lautet schlicht: Je mehr Informationen, desto besser. Wenn der Gutachter auf unterschiedliche Quellen zurückgreifen kann, die Ihre Angaben über Symptome und Beeinträchtigungen bestätigen, fällt es ihm leichter, zuverlässige Schlüsse zu ziehen. Um an Informationen aus möglichst vielen Blickwinkeln zu gelangen, führt der Gutachter nicht nur Befragungen mit Ihnen und anderen Personen durch, sondern greift auch auf Instrumente wie Skalen und Fragebogen zurück.

Die Instrumente werden von Ihnen selbst „gefüttert“, d. h., der Gutachter muss sich auf Ihre Angaben verlassen können. Es empfiehlt sich daher, nichts zu beschönigen oder zu erfinden. Viele Erwachsene (aber auch Kinder) mit ADHS schätzen ihr eigenes Können bei bestimmten Aufgaben häufig besser ein, als Außenstehende und objektive Messungen bestätigen können. Ein gutes Beispiel ist das Autofahren. ADHS-Betroffene sind oft davon überzeugt, gute (oder sogar überdurchschnittlich gute) Fahrer zu sein und finden es unfair, dass sie so viele Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung bekommen. Sie argumentieren damit, dass es die Verkehrspolizei auf sie abgesehen hat oder einfach nur versucht, die Quote zu erfüllen. Wenn sie Unfälle mit Blechschäden verursachen, schieben sie die Schuld auf den anderen Verkehrsteilnehmer: er habe nicht aufgepasst, sei zu zögerlich gefahren oder habe missverständliche Signale gegeben. Die vielen Strafzettel wegen Falschparkens werden damit gerechtfertigt, dass nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, um einen ordentlichen Parkplatz zu suchen, und überhaupt: alle Menschen bekommen doch Strafzettel, oder nicht? Jemand, der Sie gut kennt und – ganz wichtig – auf Ihrer Seite ist und dem es darum geht, |40|Ihnen zu helfen und nicht darum, Sie zu kritisieren, wird dem Gutachter berichten, dass Sie in Wirklichkeit viel schneller fahren als die meisten anderen; dass Sie sich beim Fahren leicht ablenken lassen; dass Sie mehrere Dinge gleichzeitig tun, während Sie am Steuer sitzen, z. B. Telefonieren oder SMS schreiben; dass sie rasch ungeduldig werden, wenn der Verkehr nicht richtig fließt. Oberflächlich betrachtet mögen Ihnen solche Berichte anmaßend erscheinen, aber denken Sie daran: Objektive Angaben von anderen Personen sind in Ihrem eigenen Interesse. Daher ist es so wichtig, dass der Gutachter mit jemandem spricht, der Sie und Ihre Vorgeschichte gut kennt. Wenn keine Familienmitglieder (z. B. Eltern oder Geschwister) zur Verfügung stehen, kann das auch ein guter Freund oder der (Ehe-)Partner sein. Ohne diese Außensicht könnte der Eindruck entstehen, dass Sie keine ADHS haben, obwohl das in Realität der Fall ist. Vergessen Sie nicht, dass Sie hier sind, um Antworten zu bekommen – und zwar die richtigen.

Warum um alles in der Welt interessiert es den Gutachter, dass Tante Ellen ein Leben lang depressiv war? Was hat das mit mir zu tun?

Vererbung (Gene) spielt bei den meisten psychischen Störungen eine Rolle. Das bedeutet, dass biologische Verwandte von Menschen mit psychischen Störungen mit höherer Wahrscheinlichkeit dieselben Störungen entwickeln. Wenn in Ihrer Familie psychische Störungen aufgetreten sind, kann das für den Gutachter ein Anhaltspunkt sein. ADHS ist noch stärker genetisch bedingt als andere psychische Störungen (es sei denn, sie wurde durch eine Gehirnverletzung hervorgerufen), d. h., wenn Sie diese Störung haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie in Ihrer Verwandtschaft recht verbreitet ist. Da aber Erwachsene mit ADHS häufig mindestens eine Begleitstörung haben (siehe Kapitel 2), wird sich der Gutachter nicht nur für ADHS-Fälle in Ihrer Familiengeschichte interessieren, sondern auch für andere psychische Störungen, von denen Sie ebenfalls betroffen sein könnten. Wenn Ihnen in Ihrer Familiengeschichte keine Fälle bekannt sind, liegt das möglicherweise daran, dass psychische Probleme früher meist als Makel galten und nicht thematisiert wurden. Daher lohnt es sich, Eltern und ältere Verwandte gezielt danach zu fragen, bevor Sie zu Ihrem Termin gehen.

|41|4.3  Denken Sie daran, dass Sie Antworten wollen

Die Tests, denen Sie unterzogen werden, sind vielleicht nicht besonders spannend. Aber denken Sie immer daran, dass Sie und die Fachperson, die Sie konsultieren, ein gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich Antworten zu bekommen. Und es dürfte kaum in Ihrem Interesse liegen, dass diese Antworten lediglich auf der Meinung der Fachperson basieren. Versuchen Sie also, bei den Tests offen und ehrlich zu sein. Auf der anderen Seite sollten Sie sich auch nicht einreden lassen, dass die Ergebnisse dieser Tests ein absolut sicherer Beweis dafür sind, dass Sie (k)eine ADHS haben. Für ADHS gibt es kein diagnostisches Verfahren, das so akkurat ist, dass es in der klinischen Praxis verwendet wird. Die Diagnostik ist eine Wissenschaft, aber auch eine Kunst. Eine genaue Diagnose hängt von der eingehenden Analyse der erhobenen Daten durch eine Fachperson ab, die genügend Erfahrung besitzt, um die Ergebnisse der verschiedenen Verfahren, die bei der Evaluation zum Einsatz kommen, sorgfältig abzuwägen. Das ist die beste Methode, um ein zutreffendes Bild von Ihren Problemen zu bekommen.

4.3.1  Psychologische Tests, die normalerweise bei einer ADHS-Evaluation durchgeführt werden

Kurzer Intelligenztest und Erfassung der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit:Manche Menschen tun sich in der Schule oder im Beruf schwer, weil ihr Lernvermögen oder ihre mentalen Fähigkeiten eingeschränkt sind. Die Fachperson muss diese Art von Einschränkungen als Ursache von ADHS-ähnlichen Symptomen ausschließen.

Tests im Lesen, Rechnen und Schreiben: Diese Tests werden höchstwahrscheinlich durchgeführt, wenn Sie gerade eine Ausbildung (Hochschule, Berufsschule, Lehre) oder eine berufliche Weiterbildung absolvieren. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben Menschen mit ADHS häufiger spezifische Verzögerungen bei diesen schulischen Fertigkeiten; in diesem Fall spricht man von spezifischen Lernstörungen. Es ist wichtig, zu wissen, ob Sie eine solche Lernstörung haben.

Tests von Aufmerksamkeit, Inhibition und Gedächtnis:werden nicht von allen Fachpersonen durchgeführt. Wer glaubt, dass diese Tests die Symptome von ADHS direkt oder indirekt messen können und daher verlässlicher sind als die mündlichen Berichte der Testperson und andere Daten, die bei der Evaluation erhoben werden, überschätzt ihre Signifikanz. Anormale Werte können auf |42|ADHS oder andere Störungen hindeuten; das bedeutet aber nicht, dass normale Werte eine ADHS ausschließen.

35 bis 85 % der Testpersonen mit ADHS bestehen die Aufmerksamkeits-, Inhibitions- und Gedächtnistests, obwohl sie die Störung haben. Zwar haben Forscher herausgefunden, dass Personen, die bei diesen Tests schlecht abschneiden, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Störung haben. Das muss aber keine ADHS sein, weil auch andere Störungen für ein schlechtes Abschneiden verantwortlich sein können. Auf der anderen Seite kann eine ADHS auch nicht ausgeschlossen werden, wenn die Testperson gute Ergebnisse erzielt.

|43|5  Die Ergebnisse der Evaluation

In der Regel erhalten Sie die Antworten, auf die Sie so lange gewartet haben, gleich im Anschluss an die Evaluation in einem ausführlichen Bewertungsgespräch mit dem Gutachter. Es kann aber auch vorkommen, dass die Ergebnisse nicht sofort vorliegen und das Gespräch später stattfindet. In jedem Fall wird der Gutachter

die Ergebnisse aller Informationen, die er gesammelt hat, mit Ihnen besprechen.

Ihnen mitteilen, ob er Ihnen eine ADHS diagnostiziert oder nicht und ob die Evaluation Hinweise auf eine weitere bzw. eine andere Störung ergeben hat.

Empfehlungen aussprechen, was Sie als Nächstes tun können.

Um Ihnen die Diagnose ADHS im Erwachsenenalter zu stellen, muss der Gutachter zu folgenden Ergebnissen gekommen sein:

Sie zeigen ein hohes Maß an Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität und Impulsivität.

Sie haben diese Symptome viel häufiger als andere Erwachsene in Ihrem Alter.

Diese Symptome bestehen in ihrer jetzigen Form seit mindestens sechs Monaten.

Die Symptome haben sich vor dem 12. bis 16. Lebensjahr entwickelt.

Ihre Symptome haben sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenleben in mehreren Bereichen zu negativen Auswirkungen geführt.

Eine ADHS kann auch diagnostiziert werden, ohne dass Probleme mit Hyperaktivität oder Impulsivität vorliegen. Es gibt einen ADHS-Subtyp, der hauptsächlich durch Unaufmerksamkeit gekennzeichnet ist.

|44|Mein Kollege Dr. Kevin Murphy hat darauf hingewiesen, dass die Evaluation vier grundlegende Fragen beantworten muss (Murphy & Gordon, 2018):

Gibt es überzeugende Hinweise darauf, dass Sie bereits in der Kindheit bzw. in der Schulzeit ADHS-artige Symptome hatten, die zu erheblichen und anhaltenden Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen führten?

Gibt es überzeugende Hinweise darauf, dass ADHS-artige Symptome derzeit zu erheblichen und anhaltenden Beeinträchtigungen in mehreren Bereichen Ihres Lebens führen?

Lassen sich Ihre aktuellen Probleme besser durch eine andere Störung als durch ADHS erklären?

Falls Sie die Kriterien für ADHS erfüllen, gibt es Hinweise darauf, dass Sie noch weitere Störungen haben?

5.1  Erfüllen Ihre Symptome die Kriterien für ADHS?

Zuallererst wird der Gutachter Ihre Symptome mit den diagnostischen Kriterien in der aktuellen Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM) abgleichen. Nach dem aktuellen DSM-5 (dt. 2015, S. 77 – 87) müssen mindestens fünf der neun Symptome vorhanden sein, die mit Unaufmerksamkeit zusammenhängen, sowie mindestens fünf der neun Symptome, die mit Hyperaktivität und Impulsivität zusammenhängen (vgl. Kapitel 1 und Anhang). Allerdings sind diese Richtlinien in zweierlei Hinsicht problematisch:

Die vollständigen DSM-5-Kriterien für eine ADHS-Diagnose finden Sie im Anhang.

Forschungen haben gezeigt, dass viele Personen die Kriterien einer ADHS auch dann erfüllen, wenn sie weniger als fünf von neun Symptomen aus beiden Symptomgruppen (Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität/Impulsivität) aufweisen. Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass vier Symptome aus jeder Gruppe völlig ausreichen, damit die damit verbundenen Beeinträchtigungen einer ADHS entsprechen.

|45|Diese diagnostischen Kriterien wurden speziell für Kinder entwickelt (das weiß ich genau, weil ich Mitglied der Diagnosekommission war), und nicht für Erwachsene.

Wenn der Gutachter sagt, Sie hätten keine ADHS, weil Sie pro DSM-5-Symptomgruppe weniger als fünf Kriterien erfüllen, bitten Sie ihn darum, die Evaluation erneut durchzuführen, diesmal anhand unserer Neun-Punkte-Liste auf Seite 25.

Daher orientieren meine Kollegen und ich uns vor allem an der Liste mit den neun Kriterien, die Sie auf Seite 25 finden. Diese Liste basiert auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist speziell auf die ADHS-Diagnostik bei Erwachsenen ausgerichtet. Seitdem wir diese Items vor zwölf Jahren erstmals identifiziert haben, hat sich die Liste schon in Hunderten von Fällen als nützlich erwiesen, um eine zuverlässige ADHS-Diagnose zu stellen.

Im Grunde geschieht bei der Evaluation Folgendes: Ihre persönlichen Erfahrungen werden in Kriterien übertragen, anhand derer man Personen mit ADHS von Personen ohne ADHS unterscheiden kann. Auf diese Weise bekommen Sie die Hilfe, die Sie brauchen, und werden nicht wegen einer Störung behandelt, die Sie gar nicht haben.

Wir verwenden eine Vielzahl statistischer Methoden, um jene Symptome zu bestimmen, die bei der Identifizierung von Erwachsenen mit ADHS entscheidend sind. Dabei vergleichen wir die Betroffenen nicht nur mit „normalen“ Erwachsenen, sondern auch mit Erwachsenen, die keine ADHS, sondern eine andere psychische Störung haben. In unseren Analysen haben wir auch die 18 DSM-Kriterien berücksichtigt, um zu sehen, wie nützlich sie bei der Diagnostik von Erwachsenen sind. Zu unserem Erstaunen hat sich herausgestellt, dass nur neun der 91 Symptome, die wir identifiziert haben (siehe Anhang), notwendig sind, um Erwachsene mit ADHS zu identifizieren – die neun Kriterien, die Sie bereits in Kapitel 1 kennengelernt haben.

|46|5.1.1  Erkennen Sie sich in der Diagnose wieder?

Lassen Sie uns diese abstrakt klingenden Symptome einmal genauer betrachten. ADHS bezeichnet im Wesentlichen Probleme in drei verschiedenen Bereichen: Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Aktivität. Diese Probleme können sich folgendermaßen äußern:

Kurze Aufmerksamkeitsspanne oder mangelnde Ausdauer bei Aufgaben: Diese Symptome treten vor allem bei monotonen, langweiligen oder langatmigen Tätigkeiten in Erscheinung.

Sind Sie bei eintönigen Aufgaben rasch gelangweilt?