Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland -  - E-Book

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland E-Book

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Beschreibung

Das Grundgesetz ist ein zentraler Gegenstand der historisch-politischen Bildung. Während die historische Perspektive bereits gut für den Unterricht aufbereitet ist, gibt es für die politische Perspektive in der Ausbildung von Lehrpersonen Defizite. Insbesondere fehlt in der Ausbildung eine systematische Beschäftigung mit Verfassungsrecht. Der Band schließt diese Lücke, indem er das verfassungsrechtliche Feld in politischer Perspektive systematisch und empirisch absteckt, die sich so ergebenden erfassungsrechtlichen Fragestellungen fachdidaktisch erörtert und abschließend Folgerungen für eine gelingende Unterrichtspraxis zieht.

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Seitenzahl: 173

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Schriften zur Didaktik der Sozialwissenschaftenin Theorie und Unterrichtspraxis

herausgegeben vonSabine ManzelThomas Goll

Band 3

Thomas GollBenjamin Minkau (Hrsg.)

Das Grundgesetz für dieBundesrepublik Deutschland

Verfassung und Verfassungsrechtals Gegenstand politischer Bildung

Verlag Barbara BudrichOpladen • Berlin • Toronto 2020

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.

Alle Rechte vorbehalten.

© 2020 Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin & Toronto

www.budrich.de

ISBN      978-3-8474-2393-5 (Paperback)

eISBN    978-3-8474-1613-5 (E-Book)

eISBN    978-3-8474-1524-4 (PDF)

DOI       10.3224/84742393

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Walburga Fichtner, Köln

Satz: Linda Kutzki, Berlin – www.textsalz.de

E-Book-Conversion: CPI books GmbH, Leck

Inhalt

Yvonne GebauerGrußwort der Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula GatherGrußwort der Rektorin der Technischen Universität Dortmund

Thomas Goll, Benjamin MinkauEinleitung: Verfassung und Verfassungsrecht als Gegenstand politischer Bildung – Dokumentation des Verfassungstags an der TU Dortmund

Thomas GollBerlin ist nicht Weimar – Deutsche Verfassungen und politische Konstellationen

Joachim DetjenDie Werte des Grundgesetzes – eine Orientierung für die politische Bildung?

Katrin Hahn-LaudenbergPolitisches Wissen von Schüler*innen über Grundrechte und das parlamentarische Regierungssystem – Herausforderungen für die schulische Auseinandersetzung mit zentralen Inhalten des Grundgesetzes

Dorothee Gronostay, Benjamin MinkauWas wissen Studierende über das Grundgesetz? Pilotierung eines Wissenstests im Rahmen eines Lehr-Forschungs-Projekts in der Didaktik der Sozialwissenschaften

Thomas GollDer Rechtsstaat als Thema von Schule und Lehrerbildung – eine exemplarische Bestandaufnahme zum Stellenwert der Verfassungslehre in Schule und Studium

Thomas Krüger, Thomas Goll70 Jahre Grundgesetz – Von der Bedeutung des Grundgesetzes als Stoff für die politische Bildung und zur Arbeitsmappe „Das Grundgesetz für Einsteiger“

Autorinnen und Autoren

[7] Grußwort der Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Yvonne Gebauer

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Grundgesetz beschreibt – in einfachen Worten ausgedrückt –, wie wir miteinander leben wollen. Verkündet am 23. Mai 1949, wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, stellte es einen wahren Neuanfang dar. Nie wieder sollte es möglich sein, im Namen unseres Staates solche historisch beispiellosen Verbrechen zu begehen. Nie wieder sollte es möglich sein, in Deutschland die Demokratie abzuschaffen und eine menschenverachtende Gewaltherrschaft zu errichten.

Die Würde des Menschen und die Freiheit des Einzelnen stehen im Zentrum des Grundgesetzes. Es gibt uns Regeln, die unsere individuelle Freiheit sichern – auch die Freiheit zur eigenen Meinung und zum eigenen Lebensentwurf.

Seit 70 Jahren ist die Bundesrepublik ein erfolgreicher freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen immer wieder neu bereit sein, diese Demokratie zu erlernen, zu gestalten und zu verteidigen. Wir alle sind täglich gefordert, sie mit Leben zu füllen – gerade in Zeiten, in denen menschenverachtende und antidemokratische Grundpositionen wieder lauter werden.

Hierbei kommt der Bildung eine zentrale Bedeutung zu: Schulen sind Orte, an denen politische Bildung erworben werden muss. Wissen um die Institutionen und Funktionsweisen der parlamentarischen Demokratie ist entscheidend, um Politik kritisch zu begleiten.

Hinzu kommt die historische Bildung: Nur ein reflexives Geschichtsbewusstsein ermöglicht es, unser heutiges Gemeinwesen zu verstehen, aus der Vergangenheit zu lernen und die heutige Gesellschaft verantwortungsvoll mit zu gestalten. Eine wertebasierte, auf Kontroversen und vielfältige Perspektiven ausgelegte historisch-politische Bildung leistet einen unerlässlichen Beitrag für den Fortbestand unserer demokratischen Gesellschaft.

Wir müssen junge Menschen dazu befähigen, sich aktiv und konstruktiv an unserem Gemeinwesen zu beteiligen und sich politisch zu engagieren. Das Grundgesetz und die Menschenrechte tragen und prägen dabei auch das pädagogische Handeln in unseren Schulen und sind nicht verhandelbar.

[8] Schule ist kein wertneutraler Ort. Demokratiebildung ist auch eine Querschnittsaufgabe des schulischen Handelns. An Schulen setzen wir uns für ein gleichwertiges Miteinander ein und treten damit auch Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus entschieden entgegen.

In diesem Sinne ist heute, 70 Jahre nach Veröffentlichung des Grundgesetzes, unsere Verantwortung größer denn je: Bald wird es keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Verbrechen des Nazi-Regimes mehr geben. Und als Demokratinnen und Demokraten sind wir politisch mehr denn je gefordert, für unsere Staatsform und die Werte des Grundgesetzes einzutreten.

Die politische Bildung und die Demokratiebildung an unseren Schulen leisten hierzu einen wichtigen Beitrag: Sie machen unsere Wertebasis erlern- und erfahrbar – durch elementare Regeln für alle!

Ihre Yvonne GebauerMinisterin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen

[9] Grußwort der Rektorin der Technischen Universität Dortmund

Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather

Sehr geehrter Herr Lammert,sehr geehrter Herr Krüger,lieber Herr Kollege Goll,liebe Studentinnen und Studenten,meine Damen und Herren,

der Verfassungstag ist bereits seit heute Morgen im vollen Gange und dennoch möchte ich Sie zu dieser vorgerückten Stunde noch einmal herzlich begrüßen und im Namen des Rektorats der TU Dortmund einige Worte an Sie richten.

Ich freue mich außerordentlich, dass wir heute den ehemaligen, langjährigen Präsidenten des Deutschen Bundestages bei uns begrüßen dürfen. Herzlich willkommen wieder an der TU Dortmund, Herr Lammert!

Die heutige Veranstaltung erinnert an einige historische Meilensteine unserer Demokratie, mit denen wir inzwischen sehr selbstverständlich leben:

• Vor 100 Jahren wurde die Weimarer Verfassung wirksam – damit wurde die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland konstituiert und außerdem das Frauenwahlrecht eingeführt.

• Gestern vor 70 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft, das die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sichert und das Zusammenspiel der wesentlichen politischen Organe in der Bundesrepublik Deutschland festschreibt.

• Vor 40 Jahren wurde das Europäische Parlament erstmals in Direktwahl gewählt.

• Und vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer.

Ich freue mich zu sehen, dass die Veranstaltung auf so großes Interesse stößt. Denn es ist wichtig, sich von Zeit zu Zeit ins Gedächtnis zu rufen, welch wertvolles und schützenswertes Gut unsere Demokratie ist. Aktuell ist sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern zu beobachten, dass Gruppierungen lauter werden und an Macht gewinnen, die nicht im Sinne der Freiheit und der Demokratie wirken (wollen). Gerade jetzt ist es deshalb von großer Bedeutung, dass wir es uns nicht zu bequem machen mit all diesen gesellschaftlichen Errungenschaften, sondern unsere Demokratie aktiv pflegen. Dies tun wir beispielsweise, indem wir für die Grundrechte eines jeden [10] Menschen einstehen oder indem wir am Sonntag bei den Europawahlen unsere Stimme abgeben.

Auch der Wissenschaft kommt eine Rolle bei der Wahrung unserer Demokratie zu: Sie muss die Freiheit nutzen, die ihr mit dem Grundgesetz gegeben wurde, darf und muss sich alleine der Wahrheit verpflichten und muss falschen Behauptungen entgegentreten. Dies umfasst auch, Gegebenes kritisch zu hinterfragen und immer wieder zu zweifeln und aus jeder Erkenntnis neue Fragen abzuleiten. In den letzten Jahren gab es einige weltpolitische Ereignisse, die wohl auch daraus resultieren, dass Fakten an Bedeutung verloren haben – für wichtige Entscheidungen scheinen Meinungen und Bauchgefühle relevanter als wissenschaftliche Erkenntnisse und wahre Sachverhalte. Alle fortschrittlichen und demokratischen Kräfte sind gefordert, sich dem Trend des „Gefühls statt Fakten“ entgegen zu stellen. Wir müssen Neugier, Wahrheitssuche und Erkenntnisgewinn fördern und verteidigen, damit wir weiterhin in einer offenen Gesellschaft leben können – dies auch und insbesondere den nachfolgenden Generationen zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe von Ihnen als zukünftige Lehrerinnen und Lehrer. Sie wirken als besonders wichtige Multiplikatoren für den Erhalt unserer Demokratie – und dass Sie heute hier sind zeigt, dass Sie diese Herausforderung gerne annehmen werden.

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Goll und seinem Team, die diese Veranstaltung ins Leben gerufen und organisiert haben, sowie allen Mitwirkenden am heutigen Tag und der Gesellschaft der Freunde der TU Dortmund, die die Veranstaltung finanziell unterstützt.

Ich wünsche Ihnen nun weiterhin eine interessante Veranstaltung und eine anregende Podiumsdiskussion als nächsten Programmpunkt. Herzlichen Dank.

Ihre Ursula GatherRektorin der Technischen Universität Dortmund

[11] Einleitung: Verfassung und Verfassungsrecht als Gegenstand politischer Bildung – Dokumentation des Verfassungstags an der TU Dortmund

Thomas Goll, Benjamin Minkau

Politische Bildung durch Gedenktage – Der Verfassungstag der TU Dortmund

Am 23.05.2019 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 70 Jahre alt. Ein wahrhaft bemerkenswertes Alter für ein ursprüngliches Provisorium. Das Jahr 2019 war zudem auch das Gedenkjahr für 100 Jahre parlamentarische Demokratie in Deutschland, deren staatsrechtliches Gründungsdokument, die Weimarer Reichsverfassung, am 31. Juli 1919 von der Nationalversammlung mit großer Mehrheit angenommen wurde. Beide Verfassungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Sie sind Ergebnisse großer politischer Umwälzungen und Meilensteine der demokratischen Entwicklung Deutschlands. Sie dokumentieren politische Verhältnisse und rahmen politische Prozesse. Wissen über und Verstehen von Verfassungen und Verfassungsrecht sind damit notwendige Elemente der historischen und politischen Urteilsfähigkeit. Diese Elemente zu vermitteln, muss daher Aufgabe der politischen Bildung und notwendiger Bestandteil politikdidaktischen Denkens sein (vgl. Goll 2017).

Anders als die Bundesrepublik Deutschland sollte sich die Republik von Weimar als wenig stabil erweisen. Schon bei der ersten Reichstagswahl verlor die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP nicht nur ihre verfassungsgebende, sondern die absolute Mehrheit, die sie in Wahlen nie mehr erreichen sollte. Bezeichnend ist auch, dass der Verfassungstag der Weimarer Republik, der 11. August, erst zwei Jahre nach der Verfassungsgebung eingeführt wurde und sich während des Bestehens der Weimarer Republik nicht in allen Ländern des Reichs als gesetzlicher Feiertag etablieren ließ (vgl. Poscher 1999). Dieser Umstand offenbart Mängel einer demokratischen politischen Kultur. Den Verfassungstag der eigenen Republik nicht angemessen zu feiern, ist als Menetekel für deren Akzeptanz zu werten. Wie sehr auch heute wieder um politische Symbolik gerungen wird, zeigt sich in vielen Beispielen, die Grenzen des Sagbaren neu zu ziehen und über Framing und Wording politische Kultur nicht nur [12] oberflächlich zu beeinflussen, sondern bis in ihre Tiefenstruktur zu verändern.

Um sowohl der Geschichte der Demokratie in Deutschland zu gedenken als auch den Zusammenhang von Verfassung und Verfasstheit ins Bewusstsein zu heben, führte der Lehrstuhl für integrative Fachdidaktik Sachunterricht und Sozialwissenschaften angesichts beider Jubiläen am 23. Mai 2019 eine Grundgesetz-Verteilaktion auf dem TU-Campus durch und veranstaltete am 24. Mai 2019 einen Verfassungstag an der TU Dortmund. Eine besondere Würdigung erfuhr diese Veranstaltung dadurch, dass Bundestagspräsident a.D. Prof. Dr. Norbert Lammert zu einer Podiumsdiskussion an die TU Dortmund kam, um mit Studierenden und Lehramtsanwärtern der Fächer der politischen Bildung ins Gespräch zu kommen. Ihm wie auch der Schulministerin des Landes Nordrhein-Westfalen Yvonne Gebauer sowie der Rektorin der TU Dortmund Frau Professor Dr. Dr. h.c. Ursula Gather ist für ihre Wertschätzung des Verfassungstages und ihre Beiträge zu danken. Dieser Dank gilt auch der Freundegesellschaft der TU Dortmund, die den Verfassungstag großzügig finanziell unterstütze.

Der vorliegende Band dokumentiert die ausgearbeiteten Vorträge des Verfassungstages und die Ergebnisse einer Gelegenheitsbefragung unter Studierenden der TU Dortmund über ihr Verhältnis zum Grundgesetz. Er adressiert in seinen Beiträgen Studierende, Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sowie Lehrkräfte der Fächer der politischen Bildung. Er vereint historische, politikwissenschaftliche und politikdidaktische Perspektiven auf die Bedeutung des Grundgesetzes für die politische Bildung und identifiziert Desiderate und Herausforderungen für die Aus- und Weiterbildung zukünftiger und gegenwärtig unterrichtender Lehrkräfte, von denen viele fachfremd eingesetzt sind. Damit versteht er sich auch als bildungspolitischer Appell, die Themen Verfassung und Verfassungsrecht systematischer und stärker in die Lehramtsausbildung zu integrieren und angesichts der Herausforderungen für die Demokratie dabei nicht nur an Fachlehrkräfte der politischen Bildung, sondern im Einklang mit dem 2018 aktualisierten Beschluss der KMK „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ an alle Lehrkräfte zu denken.

Aufbau dieses Buches

Der Band ist als Einheit zu verstehen. Da sich immer fachliche und fachdidaktische Perspektiven ergänzen, wurde auf eine nicht angemessene Untergliederung verzichtet. Dennoch ist der Aufbau nicht beliebig. Auf grundlegende fachliche Beiträge zur historischen Dimension der Thematik (Goll) und zu den [13] Verfassungswerten des Grundgesetzes (Detjen) folgen evidenzbasierte Beiträge zum Wissen von jungen Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen (Hahn-Laudenberg) und von Studierenden der TU Dortmund (Gronostay/ Minkau) über das Grundgesetz und politische Strukturprinzipien der Bundesrepublik Deutschland. Grundlegende fachdidaktische Überlegungen zum postulierten Stellenwert und zur tatsächlichen Präsenz von Verfassung und Verfassungsrecht für und in Schule und Lehrerbildung (Goll) leiten über zu konzeptionellen und methodischen Fragen im Zusammenhang mit der Mappe „Grundgesetz für Einsteiger“ der Bundeszentrale für politische Bildung (Krüger/Goll).

Der Band beginnt mit dem grundlegenden Beitrag von Thomas Goll „Berlin ist nicht Weimar“. Der Autor erörtert die Bedeutung der Verfassungen in beiden deutschen Demokratien, indem er zunächst die politischen Lagen von damals und heute vergleichend gegenüberstellt. Darauf folgend wird der Stellenwert der Verfassung in Hinsicht auf die politischen Konstellationen und die politische Kultur der Weimarer Republik und der Bundesrepublik reflektiert. Die daraus erwachsenden Folgerungen werden anschließend einer politikdidaktischen Reflexion unterzogen, um die Relevanz der Überlegungen für die politische Bildung begründen zu können.

Die folgende Abhandlung von Joachim Detjen gibt einen Überblick über 14 maßgebliche Verfassungswerte des Grundgesetzes. Zunächst wird grundlegend das Verhältnis von Verfassung und Werteordnungen erörtert. Dem folgt die Identifikation der Verfassungswerte, die der politischen Ordnung des Grundgesetzes Legitimität verschaffen und damit dessen Fundament bilden. Aufgrund seines überragenden Stellenwertes wird der Wert der Menschenwürde besonders erörtert. Anschließend werden die staatlichen Ordnungswerte des Grundgesetzes, die den Charakter der in Deutschland ausgeübten staatlichen Herrschaft prägen, vorgestellt. Der Text schließt mit der Bedeutung des Erörterten für die politische Bildung.

Grundlegend ist auch der folgende Beitrag von Katrin Hahn-Laudenberg „Politisches Wissen von Schüler*innen über Grundrechte und das parlamentarische Regierungssystem. Herausforderungen für die schulische Auseinandersetzung mit zentralen Inhalten des Grundgesetzes“. Er präsentiert empirische Erkenntnisse zum konzeptuellen politischen Wissen bei Schülerinnen und Schülern über zwei zentrale Aspekte der politische Ordnung Deutschlands. Nach einer knappen Vorstellung der dabei berücksichtigten Studien werden zunächst herkunftsbedingte Disparitäten im politischen Wissen betrachtet, um im Anschluss die beiden genannten Aspekte genauer in den Blick zu nehmen.

Dorothee Gronostay und Benjamin Minkau stellen in ihrem gemeinsamen Beitrag die Ergebnisse einer Gelegenheitsumfrage im Rahmen des Verfassungstags vor und verdeutlichen die hohe Bedeutung des Wissens zum Grundgesetz [14] für das historische und demokratische Verständnis der Bundesrepublik. Als Testinstrument wurde ein Fragebogen zur Erhebung konzeptuellen Wissens zum deutschen Grundgesetz entwickelt. Die empirischen Befunde bieten überraschende Erkenntnisse zum Wissen zu fundamentalen Grundprinzipien des Grundgesetzes im Allgemeinen und insbesondere zum Wissen von Lehramtsstudierenden.

Der Beitrag von Thomas Goll „Rechtsstaat als Thema von Schule und Lehrerbildung“ geht von der These aus, dass die Beschäftigung mit dem Grundgesetz zu den notwendigen Inhalten der politischen Bildung gehört. Am Beispiel des Verfassungsprinzips Rechtsstaat untersucht er, ob die selbstverständliche Präsenz des Grundgesetzes im fachdidaktischen Kanon zu einer faktischen Präsenz in einem qualitativ hochwertigen Politikunterricht führt. Dazu wird die normative Begründung dieses Inhaltsfeldes mit einer exemplarischen Analyse der Schul- und Lehrerbildungswirklichkeit in Nordrhein-Westfalen kontrastiert, um daraus bildungspolitische und politikdidaktische Folgerungen abzuleiten.

Im abschließenden Beitrag von Thomas Krüger und Thomas Goll „70 Jahre Grundgesetz – Von der Bedeutung des Grundgesetzes als Stoff für die politische Bildung und zur Arbeitsmappe ‚Das Grundgesetz für Einsteiger‘“ formuliert und erörtert zunächst der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung drei zentrale Thesen zur Bedeutung des Grundgesetzes für die politische Bildung, bevor Thomas Goll Konzeption und fachdidaktische Grundsätze der Mappe „Grundgesetz für Einsteiger“ vorstellt und anhand eines konkreten Beispiels erläutert.

Anmerkung: Die sprachliche Markierung des Genderaspekts wurde den Mitwirkenden aus prinzipiellen Gründen freigestellt. Daher sind Differenzen im Sprachgebrauch möglich und zugleich Anlass, diesen im Lichte des Verfassungsrechtes zu reflektieren.

Literatur

Goll, Thomas (2017): Rechtliches Lernen. In: Lange, Dirk / Reinhardt, Volker (Hrsg.): Basiswissen Politische Bildung, Band 1: Konzeptionen, Strategien und Inhaltsfelder Politischer Bildung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 587–596. Poscher, Ralf (1999): Verfassungsfeiern in verfassungsfeindlicher Zeit. In:

Ders. (Hrsg.): Der Verfassungstag. Reden deutscher Gelehrter zur Feier der Weimarer Reichsverfassung. Baden-Baden: Nomos, S. 11–50.

[15] Berlin ist nicht Weimar – Deutsche Verfassungen und politische Konstellationen

Thomas Goll

„Berlin ist nicht Weimar“ (Stürmer 2018) – so kann man in Anlehnung an das oft zitierte Buch „Bonn ist nicht Weimar“ des Schweizer Journalisten Fritz René Allemann (1956) formulieren und man konnte jahrzehntelang gute Gründe dafür finden: die Stabilität des sich um zwei Volksparteien gruppierenden Parteiensystems, die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Sicherheitssystem und die Europäische Integration, die Sicherheitsarchitektur des Grundgesetzes und die boomende Wirtschaft. Dennoch sind „Weimarer Verhältnisse“ (vgl. Wirsching et al. 2018) zum Menetekel der deutschen Gegenwart 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands geworden. Anders ausgedrückt: Ist das Weimar von 1929/30 eine Blaupause für das Berlin von 2019/20?

Der Beitrag geht dieser Frage in Hinsicht auf den Stellenwert und die Bedeutung der Verfassungen in beiden deutschen Demokratien in mehreren Schritten nach. Zunächst erfolgt ein Vergleich der politischen Lagen von damals und heute. In einem zweiten Schritt wird der Stellenwert der Verfassung in Bezug auf die politischen Konstellationen und die politische Kultur der Weimarer Republik und der Bundesrepublik reflektiert. Daraus erwachsende Folgerungen werden anschließend einer politikdidaktischen Reflexion unterzogen, um die Relevanz der Überlegungen für die politische Bildung begründen zu können.

1. Politische Lagen – Deutschland 1930 und 2019

Die politische Lage in der Weimarer Republik des Jahres 1930 stand im Zeichen der sich seit Oktober 1929 (Beginn der Weltwirtschaftskrise) verschlechternden Wirtschaftslage, das Deutsche Reich „rutschte in eine Dauerkrise“ (Bohr 2017: 212). Daran scheiterte am 27. März 1930 die große Koalition aus SPD, Zentrum, DVP und DDP (1928–1930) (vgl. Hesse et al. 2015: 67ff.). Das Kabinett um Reichskanzler Hermann Müller (SPD) trat zurück. Schon am 29. März 1930 wurde Heinrich Brüning (Zentrum) zum Reichskanzler ernannt und damit der Weg in die Präsidialregierungen beschritten und das parlamentarische Regierungssystem „fortan Schritt für Schritt ausgehöhlt“ (Hengst 2017: 225).

[16] Angesichts der Ergebnisse der Reichstagwahl vom 14. September 1930 (vgl. Kolb 1988: 258f.), deren Gewinner und damit zweitstärkste Kraft im Reichstag mit 18,3 % der abgegebenen Wählerstimmen (1928: 2,6 %) und einem Zuwachs auf 107 Mandate (1928: 12) die NSDAP war, fand sich die SPD, die 24,5 % (1928: 29,8 %) und 143 Mandate erreichte, bereit, das Kabinett Brüning zu tolerieren (vgl. Plumpe 2018: 33). Das Zentrum errang 11,8 % (1928: 12,1 %), die DVP 4,5 % (1928: 8,7 %) und die DNVP 7,0 % (1928: 14,2 %). Die KPD konnte 13,1 % (1928: 10,6 %) verbuchen. Rechts- und Linksextremisten konnten deutliche Zuwächse erringen, die demokratische Mitte hatte endgültig keine Mehrheit mehr. Im Gegenteil, mit NSDAP, KPD und DNVP „rückte der antidemokratische Teil des Reichstags gefährlich nah an die Mehrheit heran“ (Möller 2018: 46).

Das politische Klima heizte sich immer mehr auf. Die KPD bekämpfte die SPD als „Sozialfaschisten“ (Traub 2017: 236), die bürgerlichen Parteien „vollzogen einen Rechtsruck“ (Bohr 2017: 214). Schon am 23. Januar 1930 war mit Wilhelm Frick zum ersten Mal in Deutschland (Thüringen) ein Minister aus der NSDAP in ein Kabinett berufen worden. Insgesamt kann das Parteiensystem der Weimarer Republik als extrem polarisiert gekennzeichnet werden. Es war von einem verbreiteten Freund-Feind-Denken geprägt (vgl. Möller 2018), das auch die politische Kultur des Landes durchzog. Seit geraumer Zeit ist gesichert, dass die Gesellschaft der Weimarer Republik stark fragmentiert (Lehnert und Megerle 1987) und extrem segmentiert (Winkler 1993) war. Es bestand kein Verfassungskonsens (Steinbach 1986), sondern über die längste Zeit ihres Bestehens wurde die Republik aktiv bekämpft (Sontheimer 1987), sodass von einer „belagerten Civitas“ (Stürmer 1985) „in der Klammer von Rechts- und Linksextremismus“ (Knütter 1988) gesprochen werden kann. Nicht nur kulturell war Weimar damit überspitzt gesagt eine „Republik der Außenseiter“ (Gay 1987).

Ganz anders die Bundesrepublik Deutschland der Gegenwart. Alle amtlichen Statistiken weisen seit Jahren eine stabile wirtschaftliche Situation aus (vgl. Destatis 2019a, 2019b): Das BIP ist stabil und liegt im zweiten Quartal von 2019 bei 844,730 Mrd. €. Die Zahl der Erwerbstätigen beträgt im Juli 2019 42,23 Mio. Personen, die der Erwerbslosen 1,35 Mio., was einer Erwerbslosenquote von 3,1 % entspricht. Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung spricht von einem zehnjährigen stetigen „Wachstumskurs“ (BMWI 2019). Zwar fehlt der deutschen Konjunktur laut ifo-Institut gegenwärtig der „Schwung“, was insbesondere auf die Unsicherheiten der Weltwirtschaft zurückzuführen ist, aber „die konjunkturelle Entwicklung [ist] gespalten“ (Wollmershäuser et al. 2019: 25). Anders als 1929/30 kann von einer Wirtschaftskrise nicht gesprochen werden. Es gibt auch keine grundlegende Krise der sozialen Sicherungssysteme und keine bodenlose Ungerechtigkeit des Sozialsystems. [17] Eine aktuelle Bestandaufnahme konstatiert sogar: „Deutschland ist gerechter, als wir meinen“ (Cremer 2018).

Auch die parlamentarische Demokratie steht nicht unter dem Druck der Weimarer Zeit. Dennoch hat sich das Parteiensystem spätestens mit der dauerhaften Etablierung der AfD gewandelt. Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 (Bundeswahlleiter 2017) führte zu einer Wiederauflage der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, die trotz ihrer Verluste im Vergleich zur vorherigen Bundestagswahl (in Klammern) über eine klare Parlamentsmehrheit verfügen: CDU 26,8 % (–7,4 %), CSU 6,2 % (–1,2 %), SPD 20,5 % (–5,2 %), AfD 12,6 % (+7,9 %), FDP 10,7 % (+5,9 %), Linke 9,2 % (+0,6 %), Grüne 8,9 % (+0,5 %). Bei der Europawahl 2019 (Bundeswahlleiter 2019) erzielte die AfD 11,0 % (+3,9 %), während die CDU 22,6 % (–7,5 %), die CSU 6,3 % (+1,0 %), die SPD 15,8 % (- 11,4 %), FDP 5,4 % (+2,1 %), Linke 5,5 % (–1,9 %) und Grüne 20,5 % (+9,8 %) erreichten. Mit der Veränderung des Parteiensystems wird die Regierungsbildung in Bund und Ländern schwieriger. Eine antidemokratische Mehrheit ist dort jedoch nicht in Sicht.