Das gute Leben - Robert Wringham - E-Book
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Das gute Leben E-Book

Robert Wringham

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Beschreibung

Sie lieben ihren Job? Wunderbar, dann können Sie dieses Buch womöglich ignorieren. Sie lieben ihn wirklich, ganz und gar? Wenn da ein paar Fragezeichen aufleuchten, dann sollten sie dieses Buch lesen. Denn es gibt Hilfestellungen und Anregungen, wie man seine Arbeit mit dem, was Robert Wringham das Gute Leben nennt, kombinieren kann. Und wer weiß, vielleicht finden Sie im Guten Leben ihre Erfüllung.

Die Fortsetzung des Spiegel-Bestsellers Ich bin raus.

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Seitenzahl: 472

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Robert

Wringham

DAS GUTE LEBEN

Wie Sie trotz Ihres öden Jobs glücklich leben können

Aus dem Englischen von Ronald Gutberlet

Wilhelm Heyne Verlag

München

Titel der Originalausgabe: The GOOD LIFE FOR WAGE SLAVES

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Unter www.heyne-hardcore.de finden Sie das komplette Hardcore-Programm.

Weitere News unter www.heyne-hardcore.de/facebook .

Copyright (c) 2019 by Robert Wringham

Copyright (c) 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Jürgen Teipel

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel, punchdesign, München

Umschlagillustrationen: shutterstock.com (© theerakit, Pixelz Studio, LanKogal)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-23443-0V001

Für Cheesy

Heutzutage bräuchte man einen voll ausgestatteten, direkt im Hirn installierten Erste-Hilfe-Kasten und zusätzlich noch einen Intensivkurs im Überleben wirklicher und eingebildeter Katastrophen.

J.G. Ballard, Betoninsel

Inhalt

Manifest des guten Lebens für Lohnsklaven

Vorwort

Einleitung

Was ist das gute Leben?

TEIL 1: Am Arbeitsplatz

Erstes Kapitel:

Das Problem der Arbeit

Hier beklagen wir uns über die Notwendigkeit körperlicher Anwesenheit; die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten in einem Großraumbüro; den Zusammenhang zwischen modernem Arbeitsplatz, schlechter Gesundheit und mangelndem Wohlbefinden; das Aufwenden von furchtbar viel Zeit für Menschen, die wir nicht mögen; und wir sinnieren über das Wesen des Professionellen und das Absterben der Ideen.

Zweites Kapitel:

Die Verminderung von Arbeit

Hier kehren wir der Geschäftigkeit und dem konventionellen Erfolgsideal den Rücken; erwägen die theoretischen und praktischen Aspekte der Mittagspause; lernen, wie man bezahlten Urlaub am besten nutzt; erörtern ernsthaft die Kunst des Krankfeierns; geloben, nie mehr an einem Tag zu arbeiten, an dem es geschneit hat; erwägen die Möglichkeiten von Teilzeitjobs; ziehen den Hut vor jenen Lohnsklaven, die auf komprimierte Arbeitszeit setzen (oder diesen Eindruck vermitteln); betrachten die wundersamen Möglichkeiten der Arbeit von zu Hause oder anderswo; lernen, unsere »besten Zeiten« zu identifizieren und wie wir uns den »Zombie zunutze machen«; erörtern die Vorzüge des Sabbatjahrs und des Karriereknicks; erwägen den Horror oder möglichen Fluchtweg einer Rückkehr zur Schule; und lernen, das Pendlerdasein in den Griff zu bekommen.

Drittes Kapitel:

Wie man sich im Büro wohlfühlt, ohne verrückt zu werden

Hier lernen wir, wie wir durch echte Hingabe überleben können, statt ständig auf die Uhr zu schielen; sehen die Lohnarbeit als einen Transatlantikflug an; wägen ab, ob es sich lohnen könnte, das Gehirn abzuschalten; erlernen das Handwerk der digitalen Entgiftung; entdecken die Kunst des Achselzuckens; sehen Arbeit als bunten Flitterkram an; finden zurück zur Natur, ohne irgendwo hinzugehen; und suchen nach Möglichkeiten, das Büro in die Tonne zu treten.

TEIL 2: Zu Hause

Viertes Kapitel:

Das Problem des Zuhauses

Hier erkennen wir, wie sehr unser Zuhause von der Konsumindustrie kolonisiert wurde; und passen auf, damit wir nicht Opfer des Klaustrosphären-Effekts oder des Boxenstopp-Effekts werden.

Fünftes Kapitel:

Wie wir unser Zuhause in ein Paradies des guten Lebens verwandeln können

Hier betrachten wir eine Fallstudie zum Thema kompletter Neubeginn; geben zu, dass sich unsere Toleranz in ästhetischen Fragen durchaus erschöpfen kann; lernen, eine Sache erst dann zu beginnen, wenn wir auch ihr bereits erkennbares Ende im Blick haben; verkleinern unser Zuhause; ergehen uns auch sonst in häuslichem Minimalismus; geben uns einfachen sinnlichen Freuden hin; lassen uns das Gehirn von Büchern massieren; lernen außerdem mit einem Musikinstrument umzugehen; schwören, hingebungsvoll zu faulenzen; entwickeln unsere kreativen Fähigkeiten; und überlegen, ob wir unseren Lohnsklaven-Namen aus Gründen des Selbstschutzes und der Freude an der Kreativität abschaffen sollten.

Sechstes Kapitel:

Ein Auffrischungskurs in Sachen Hauswirtschaftslehre

Hier gehen wir ein erneuertes Bündnis mit der Hauswirtschaft ein, um unabhängig, autonom und allgemein kompetent zu werden; befassen uns noch mal mit den Grundlagen persönlicher Finanzierungsmodelle; finden heraus, wie die Vorräte in der Küche und in der heimischen Minibar den Ansprüchen eines Philosophen genügen können; erkennen den Nutzen, den eigenen Dreck wegzuräumen; lernen Leibesübungen zu vermeiden; sinnieren darüber nach, wie man sich unprofessionell anzieht; stellen uns der Tatsache, dass Haustiere die Wohnung nach Kacke riechen lassen; erörtern, wie nützlich es sein kann, andere Menschen aufzunehmen; denken über Personal nach, von dem wir bisher gar nicht wussten, dass wir es haben; verbannen das Auto auf den Schrottplatz; werfen uns der Genügsamkeit an den Hals; reduzieren Abhängigkeiten; und wägen die Vor- und Nachteile des Mietens gegenüber dem Kaufen ab.

Siebtes Kapitel:

Die Positionierung des Zuhauses in der persönlichen Kosmologie

Hier denken wir nach über die Arbeit und das Zuhause als Quellen der persönlichen Identität; werden uns darüber klar, dass »zu Hause« nicht der Ort ist, von dem man stammt oder wo die Eltern leben; und wir sinnieren über die Idee eines portablen oder erweiterten Zuhauses nach.

Achtes Kapitel:

Das Exportieren unserer Ideen

Hier erörtern wir, wie wir Kultur beeinflussen und damit den Kreis schließen können.

Nachwort

Flucht von der Betoninsel

Danksagungen

Manifest des guten Lebens für Lohnsklaven

Wir arbeiten, weil wir müssen, nicht weil wir es gern tun.Wir widersprechen der Behauptung, harte Arbeit und Geschäftigkeit seien an sich schon etwas Positives.Wir machen unsere Arbeit gründlich und gut – aber in der dafür vorgesehenen Zeit und im Austausch gegen Geld, nicht um soziales Kapital anzuhäufen oder weil wir es gern tun.Wir streben kein höheres Ideal an als das ruhige, gute Leben.Wir betrachten übersteigertes Streben nach beruflichem Erfolg als Kinderkram und als eine Ablenkung vom guten Leben.Wir stellen Zeit, Freiheit und Mobilität über Geld (auch wenn wir anerkennen, dass Geld durchaus einen Wert hat).Wir widmen der Arbeit so wenig Zeit wie nur möglich.Wir fühlen uns nicht schuldig, wenn wir faulenzen.Wir schämen uns nicht dafür, kreativ, fantasievoll oder künstlerisch tätig zu sein.Wir lassen nicht zu, dass die Arbeit unsere Gesundheit gefährdet.Wir sehen unseren Job nur als eine von vielen Tätigkeiten an, denen wir nachgehen.Wir suchen Erfüllung in unserem eigenen Leben, nicht in der Arbeit.Wir verzichten darauf, häusliche Aufgaben auszulagern oder an andere zu delegieren.Wir stufen häusliche Arbeit im Vergleich zur beruflichen nicht als minderwertig ein.Wir streben Schlichtheit, Minimalismus und Einfachheit an, um das gute Leben zu verwirklichen.Wir erkennen den grundlegenden Wert von Liebe, Schönheit und Kunst an.Wir erfinden uns kontinuierlich neu.Wir sind Amateure und Dilettanten.Wir streben nicht an, die Welt zu erobern oder die Besten zu sein.Wir leben mit unseren Lebensgefährten in einer gleichberechtigten Partnerschaft.Wir suchen nach Verbindungen und Beziehungen jenseits der Lohnsklaverei.Wir glauben an Gemeinschaft und Gesellschaft; wir wissen, dass wir nicht allein sind.Wir sind keine Perfektionisten, und wir brechen gerne auch mal unsere eigenen Regeln.Wir verbreiten unseren Lebensstil mittels kreativer Tätigkeit, unseres Kleidungsstils oder wie wir uns sonst darstellen.Wir sind nicht das Ergebnis unserer Jobbeschreibung.

Vorwort

In meinen vorherigen Büchern – und gegenüber einigen glücklichen Menschen, die gelegentlich im Zug neben mir saßen – habe ich die Idee propagiert, dass wir der Welt der Arbeit und des Konsumismus entkommen können.1 Eine angenehme Alternative, so habe ich erklärt, sei ein auf Einfachheit und Selbstbestimmung begründetes lockeres, kreatives Leben. Warum soll man hart arbeiten, um ein Leben zu finanzieren, in dem teure Konsumartikel und die Mitgliedschaft im Fitnessstudio das Wichtigste sind, wenn man stattdessen im Gras liegen, die Sonne genießen und seinen Gedanken nachhängen kann?

Die Ausgangsidee dabei ist, dass man die wahren Grundlagen des guten Lebens (Freundschaft, Gesundheit, Zeit) nicht mit Geld bezahlen kann, während die wichtigsten materiellen Grundlagen des Alltags gar nicht viel kosten müssen, wenn man bei Anschaffung und Nutzung sparsam und klug vorgeht. Daher ist die Zeit, die man damit zubringt, sich in einem Fulltime-Job abzurackern, um mehr als das Nötige zu besitzen, absolute Zeit- und Kraftverschwendung.

Die Öffentlichkeit hat erstaunlich freundlich auf meine Ideen reagiert. Niemand hat Eier gegen mein Fenster geworfen oder mir per Post einen Scheißhaufen in einer Schachtel zukommen lassen. Und doch könnte man einiges dagegen einwenden. Das Naheliegendste ist: »Aber ich finde es doch gut, Geld zu verdienen und zu konsumieren, und der Klimawandel interessiert mich auch nicht besonders, du blöder Hipster-Arsch!« In diesem Fall haben wir wahrscheinlich wirklich nicht viele Berührungspunkte. Ein anderer Einwand kommt in verschiedenen Varianten daher und läuft letztlich auf Folgendes heraus: »Ich kann mir diese Art zu leben nicht leisten, weil ich in bestimmten Umständen gefangen bin.«

Früher bin ich mir nicht ganz sicher gewesen, ob ich diese »Umstände« wirklich als Einwand gelten lassen will. Kinder zu haben oder Schulden kann ja durchaus in den jeweiligen Fluchtplan mit einbezogen werden; damit lässt sich kalkulieren. Aber dann geriet ich selbst in derartige »Umstände« (was mit der feindlichen britischen Einwanderungspolitik zu tun hatte) und musste nach sieben Jahren des guten Lebens zurück in die Lohnsklaverei. Und das, nachdem ich aller Welt lauthals erklärt hatte, wie leicht es wäre, es mir gleichzutun! So muss sich Geoffrey Hayes, der langjährige Moderator der Kindershow Rainbow gefühlt haben, als er seinen Job verlor und anfing, im Supermarkt Regale aufzufüllen.

Die Umstände können sich durchaus gegen einen verschwören und eine Flucht aus dem Sklavendasein verhindern. Darüber hinaus wäre es auch möglich, dass Sie überhaupt nicht aussteigen wollen, nachdem Sie das Für und Wider eines Fulltime-Jobs im Vergleich zu einem Leben in kreativer Freiheit abgewogen haben und lieber auf der sicheren Seite bleiben wollen. Falls dem so ist, müssen Sie sich allerdings fragen, inwiefern Sie überhaupt am guten Leben teilhaben können.

Die Idee eines konsequenten Fluchtplans sagt auf keinen Fall jedem zu. Und so stellt sich die Frage: Wie kann man ein gutes Leben führen, während man gleichzeitig in einem normalen Job gefangen ist? Vor diesem Problem stand ich nämlich, als ich auf einmal zweieinhalb Jahre Lohnsklaverei vor mir hatte. Ich nutzte die Zeit als Recherche-Projekt. Und das vorliegende Buch ist mein Bericht darüber. Ganz klar, dass es daher auch einige Flüche und Schimpftiraden enthält.

Oh! Eine Sache noch: Da in dieses Buch viele Erinnerungen eingeflossen sind, habe ich real existierende Personen vorsichtshalber anonymisiert. Ich habe ihnen Pseudonyme verpasst, die ich berühmten Katzentieren entwendet habe. Deshalb gibt es im Folgenden menschliche Personen (Büroangestellte, um genau zu sein) mit Namen wie Prince Chunk oder Sybil oder Misty Malarky Ying Yang. Ich hoffe, ich konnte dadurch deutlicher machen, wie brutal es ist, Menschen in Büros einzupferchen. Ob mir das gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall ist das Buch dadurch zweiunddreißig Prozent niedlicher geworden. Und das kam mir durchaus erstrebenswert vor. Miau.

R. W.

1 Vor allem in der Zeitschrift The New Escapologist (2007–2017) und dem Buch Ich bin raus (2016).

Einleitung

Was ist das gute Leben?

Leider war nicht alles nach Plan verlaufen.

Sieben Jahre waren vergangen seit meiner Großen Flucht, und mir war es in dieser Zeit gelungen, jeden normalen Job zu vermeiden. Mehr noch, ich konnte mir überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals wieder einen normalen Job zu haben. Abgesehen von einem Ehrenamt vielleicht oder einer Tätigkeit als »beratender Detektiv« wie Sherlock Holmes, den die Leute aufsuchen, um ihn zu bitten, über ihr »kleines Problem« nachzudenken. Aber das ist alles Schnee von gestern.

Tatsächlich war ich ziemlich anmaßend geworden. Nicht genug, dass ich eine sichere und geachtete Mittelklassenexistenz, die mir freundlicherweise in die Wiege gelegt worden war, in den Wind geschlagen hatte: Ich hatte mir auch einige wenig respektvolle Gesten erlaubt, als ich mit Siebenmeilenstiefeln aus dem Gebäude herausmarschierte. Ich hatte meinen Job geschmissen und meine vorhersehbare Karriere quasi abbestellt, nachdem ich, sagen wir mal, »einige Mängel« daran festgestellt hatte. Danach hatte ich mich vor die Kamera gestellt und dem Publikum erklärt, dass ich niemals zurückkehren würde. Worte wie »ihr könnt mich mal« mögen gefallen sein oder auch nicht, aber es macht sowieso keinen Sinn, im Nachhinein auf so etwas herumzureiten, oder? Ähm.

Um mir die verbleibende Zeit bis zum Tod zu vertreiben – eine Periode, der ich immer eine gewisse Bedeutung zugemessen habe, was mir bislang auch noch niemand ausreden konnte –, wollte ich mich als Schriftsteller betätigen. Das war bereits ein gewisser Kompromiss, nachdem ich mich von meinen Kindheitsambitionen, mich als possenreißender Bänkelsänger und Tänzer zu verdingen, abgekommen war. Aber es schien mir eine kreative Alternative zu sein, im Bereich des Machbaren zu liegen und setzte nicht mal die Anschaffung eines Paares ordentlicher neuer Schuhe voraus.

Auch fand ich die Idee gut, alles etwas kleiner zu halten, dezent auf mich aufmerksam zu machen und von den Brosamen zu leben, die mir zufielen. Und zufallen sollten sie mir dank der unermüdlichen Arbeit meines gut gefütterten Gehirns. Und das Beste: Niemand würde mir sagen, was ich zu tun und zu lassen hatte.

Das war der Plan, so ging ich es an. Ich richtete mir ein kleines kreatives Business ein, das genug abwarf, um mich finanziell über die Runden zu bringen, mich passabel zu ernähren und mich bei geistiger Gesundheit zu halten. Es war ein angenehmes Leben, weshalb ich dasselbe allen Menschen empfahl, die eine ähnliche Lebenseinstellung hatten wie ich. Es war meine Idee vom guten Leben.

Die Tage waren ausgefüllt mit hingebungsvoller Schreibtätigkeit, friedlichem Herumflanieren in der Nachbarschaft, gelegentlichen Reisen, jeder Menge Bier und dem von mir geliebten natürlichen Licht, das durch die Fenster unseres Apartments in Montreal strömte. Von dort aus konnten wir den Mount-Royal-Hügel sehen (der im Herbst dank des rot und gelb verfärbten Laubs wie in Flammen leuchtete) und eine futuristische Skyline von Wolkenkratzern aus Chrom und Glas auf der einen und das Olympiastadion auf der anderen Seite. Dazwischen erstreckte sich eine Landschaft aus blühenden Bäumen und hübschen kleinen Backsteinhäusern. Ich verbrachte die Nächte mit meiner geliebten Frau Samara in unserem Heim oder auf einer der zahlreichen Partys von Freunden. Die Aussicht aus unserer Wohnung war so aufregend und glitzernd wie jene, für die man in Paris oder London oder New York sehr tief in die Tasche greifen musste. In Montreal war sie aber sehr preiswert. Durch Bescheidenheit, Kreativität und sorgfältige Planung war es mir gelungen, vom monatlichen Gehaltsscheck unabhängig zu werden. Lohn der kühnen Unternehmung war außerdem ein stressfreier Alltag und unendlich viel freie Zeit. Es war einfach wunderbar. Ganz wunderbar.

Wie konnte es also passieren, dass ich mich plötzlich in einem Großraumbüro am Rande von Glasgow in Schottland wiederfand, mit einem grauen viktorianischen Himmel über mir, also an fast dem gleichen Ort, von dem ich einst in meine schöne neue Welt aufgebrochen war? Wie waren mir freie Zeit und wunderbare Aussicht abhandengekommen? Wie hatte es passieren können, dass ich nun keine Bücher mehr schrieb (zum Beispiel eines darüber, wie großartig es ist, derartige Jobs hinter sich zu lassen), kein kräftiges Bier aus Quebec mehr trank, sondern stattdessen in einem kalten, lauten Großraumbüro bedeutungslose E-Mails verfasste? War es unvermeidlich gewesen? Lag es in meinen Genen begründet? Zwingt uns das Schicksal mit unsichtbarer Hand in eine bestimmte soziale Klasse und in ein bestimmtes System? Musste vielleicht sogar Einstein wieder zurück ins Patentamt, um Akten zu sortieren, und keiner von uns hat es gemerkt?

Warum war ich hier? Ich hatte mich darauf eingerichtet, mein Leben wie eine Figur aus einem Roman von Haruki Murakami zu leben: Jazz hören, wenn es mir gerade nicht genügte, dem Zirpen der Grillen in den Bergen zu lauschen. Stattdessen hörte ich nun schrilles Telefongeklingel um mich herum, das Vor und Zurück des Fotokopierers, und das Mampfen von Prince Chunk, meinem Kollegen, der gerade ein Käse-Zwiebel-Sandwich vertilgte und dabei einfach sein verdammtes Maul nicht zumachen konnte.

Aber was ist überhaupt das gute Leben? Ich will es Ihnen sagen. Nach dem entspannten Studium eines Stapels philosophischer und sozialpsychologischer Werke, nach der Lektüre der Tagebücher einiger Todkranker (die seltsamerweise alle zu den gleichen Ergebnissen kommen, wie ein gutes Leben geführt werden sollte – mehr dazu steht in meinem Buch Ich bin raus), und nachdem ich bewusst die gegensätzlichen Lebensentwürfe eines Lohnsklaven und eines Freien Radikalen ausprobiert habe, kann ich Ihnen hier die grundlegenden Prinzipien (ja, die wahre Essenz) des guten Lebens auflisten:

GesundheitFreundschaftLiebeganz viel freie Zeitzielgerichtete oder ziellose intellektuelle Erfüllungsinnliche Freudendie Wertschätzung der gegenwärtigen Umwelt (anstatt hart daran zu arbeiten, eine »bessere« Situation zu erreichen)eine befriedigende kreative Tätigkeit, die uns mit Stolz erfüllteine saubere und würdige Wohnung

Das ist alles. Ich dachte mir, es wäre besser, das gleich zu Beginn des Buches zu thematisieren. Wenn ich es ans Ende gestellt hätte, wie eine Art Ergebnis, wären Sie wahrscheinlich zornig geworden, weil es so einfach klingt, und hätten das Buch in die Ecke geschmissen. Ich möchte nicht, dass Sie hart arbeiten müssen, um am Schluss eine Weisheit serviert zu bekommen, die die ganze Zeit schon griffbereit herumlag und so kurz und knapp bemessen ist wie eine leidlich große Schrifttype auf der Rückseite einer pornografischen Spielkarte.2

»Das gute Leben« ist ein antikes Konzept einer angenehmen Lebensweise. The Good Life ist außerdem der Titel einer Sitcom-Serie der BBC aus den 1970er-Jahren, dessen Zeichentrick-Vorspann einen liebenswerten kleinen Vogel zeigt, der um eine Blume scharwenzelt – aber darüber wollen wir heute nicht sprechen.3

In der Antike wurde die Idee des guten Lebens nicht zuletzt von Aristoteles propagiert, der ihr den Namen Eudaimonia gab. Die Stoiker und Epikuräer führten seine Gedanken weiter, auch wenn sie grundsätzlich verschiedene Auffassungen hatten, wie das Ideal eines Lebens ohne Leid und mit möglichst viel Freude verwirklicht werden könnte.

Diese Frage wurde auch im modernen Westen immer wieder aufgeworfen, besonders prägnant von der Bloomsbury Group Anfang des 20. Jahrhunderts und von verschiedenen alternativen Lebensentwürfen der 60er- und 70er-Jahre. Das Konzept mag also alt sein, aber es ist immer noch zeitgemäß. Viele von uns denken tagtäglich über das gute Leben nach, gleich als Erstes am frühen Morgen und als Letztes am späten Abend. Es bezieht sich auf unseren Status als Mensch, auf unsere Identität, unsere Definition von Er folg und auf das, was wir als gut genutzte oder verschwendete Zeit erachten. Heutzutage taucht es auf in Diskussionen über Themen wie »ausgewogene Lebensgestaltung« oder »Selbstverantwortung«, wird in politischen Verhandlungen über Sabbatjahre, Elternzeiten, Wochenarbeitszeiten erörtert und von Akademikern und Idealisten angeführt, wenn es darum geht, sich eine Zukunft auszumalen, die von einer allumfassenden Automation bestimmt wird.

Die Grundregeln des guten Lebens sind leicht zu begreifen und doch schwer zu fassen. Sie sind leicht zu begreifen, da wir alle sie kennen, aber schwer zu fassen, weil wir sie immer wieder übersehen. Mitunter kann man hier mildernde Umstände zubilligen. Meistens aber liegen sie derart offensichtlich vor uns, dass wir dazu tendieren sie zu ignorieren. Man sagt das so leicht dahin: »Ja, Freundschaft ist natürlich eine wichtige Sache, darüber muss man gar nicht weiter reden, aber …«, nur um das Thema dann wieder auf Eis zu legen und sich mit weniger wichtigen, aber angeblich so dringenden Angelegenheiten zu befassen. »In uns steckt ein Teufel, der uns von der einen Idiotie zur nächsten treibt«, schrieb George Orwell in Auftauchen, um Luft zu holen. »Wir haben Zeit für alles Mögliche, außer für die wirklich wertvollen Dinge.«

Das gute Leben ist eine Vision des bestmöglichen Lebens, das wir als hoch entwickelte Primaten führen könnten, wenn wir in der Lage wären, die Möglichkeiten der Zivilisation zu unserem Vorteil zu nutzen. Dabei geht es darum, während unserer Zeit auf der Erde das zu erreichen, was uns am sinnvollsten und erstrebenswertesten erscheint. Manche Tatmenschen setzen alles daran, ihre Vision davon zu verwirklichen, und verwenden jede Menge Zeit und Kraft darauf. Andere sehnen sich nur danach. Viele glauben, das gute Leben liege so weit entfernt, dass es überhaupt keinen Sinn mache, Anstrengungen in dieser Hinsicht zu unternehmen. Andere wiederum meinen, es habe vor allem etwas mit der persönlichen Einstellung zu tun und könne augenblicklich durch positives Denken erreicht werden.

Das gute Leben ist eine subjektive Angelegenheit, denn jeder hat seine eigene Vision davon. Manche Menschen sind bescheiden veranlagt, andere hegen große Ambitionen. Manche suchen die Abgeschiedenheit, andere die Gemeinschaft. »Die Welt wäre wirklich sehr langweilig«, hat meine Mutter irgendwann mal gesagt, wohl um einen Konflikt zwischen mir und meiner Schwester zu schlichten, »wenn wir alle gleich wären«. Das Verrückte ist nur, dass die Visionen der meisten Menschen in Bezug auf das gute Leben erstaunlich ähnlich sind, wenn man mal die individuellen Besonderheiten beiseitelässt. Persönliche Aussagen wie: »Ich will auf dem Land leben, zusammen mit Steve, und mit ihm drei Kinder großziehen und niemals mehr eine Business-Bluse tragen müssen«, oder: »Ich möchte auf einem Boot leben, zusammen mit Irma und einer Katze namens Mr. Pickles und ganz vielen Kissen zum Herumlümmeln«, können heruntergebrochen werden auf »Ich möchte den Großteil meiner Zeit an einem Ort nach meinem Geschmack zubringen, gemeinsam mit Menschen, die ich liebe, und mit möglichst wenig Unannehmlichkeiten.«

Am Begriff des guten Lebens mag ich besonders, dass »gut« so unambitioniert klingt. Nicht großartig, sondern gut. Nicht alles, sondern genug. Gut klingt mild und zurückhaltend und nicht gierig. Es widerspricht der »Gewinner«-Mentalität der sogenannten Player, Influencer, Fitnessfreaks und anderer langweiliger Menschen, die nur das Beste für sich wollen und die Welt in den Wahnsinn treiben mit ihrem lautstarken Geblöke. Wenn sie nicht möchten, dass wir uns minderwertig fühlen, warum gehen sie dann ihrem angeblich so tollen Leben nicht in Ruhe nach, anstatt es auf Instagram zu verbreiten und ihren Tagesablauf anderen unter die Nase zu reiben, damit die angeblich davon lernen können?

Ich wage zu behaupten, dass die typischen Verhaltensweisen dieser »Gewinner« – das ständige Herumrennen, Posten und Händeklatschen – unerlässlich sind, wenn man das angeblich beste Leben führen und noch den letzten Tropfen aus allem herausquetschen will. Glücklicherweise müssen wir nicht so weit nach oben in sinnlose Höhen greifen. Das gute Leben ist genügsam und wesentlich weniger manisch und obsessiv. Nicht ganz nach oben zielen, sondern etwas tiefer als hoch, das ist ein Teil meiner Botschaft. Wir können nicht alle die Welt an uns reißen.

In allem der Beste sein zu wollen ist sinnlos und sowieso ein Ding der Unmöglichkeit. Oben an der Spitze ist es eng. Aber wer braucht schon einen Platz an der Spitze? Worin liegt der Sinn, derart viel Energie aufzuwenden und sich abzurackern, um ganz oben zu stehen, wenn Glück und Wohlbefinden schlicht und einfach im guten Leben zu finden sind? Wir sollten uns eher eine Nische suchen, irgendwo in der Mitte, anstatt unsere Ellbogen zu benutzen, um diesen hirnrissigen Wettlauf ganz nach oben mitzumachen. Außerdem ist die Folge eines Platzes an der Spitze nur, dass einen niemand mehr mag. Das »Beste« ist, alles in allem betrachtet, ganz schön schwachsinnig. »Gut« lässt sich viel einfacher verwirklichen.

Freundschaft. Sinnliches Vergnügen. Intellektuelle Erfüllung. Zeit. Das alles kann man ziemlich direkt erreichen, ohne gigantische Anstrengungen zu unternehmen, um Geld und Besitztümer anzuhäufen – nur um anschließend herauszufinden, wie wenig Bedeutung das alles hat. Warum tun wir es also? Das Problem liegt darin, denke ich, dass es sich um ein vererbtes Wertesystem handelt; das Betriebssystem, auf dessen Grundlage wir alle funktionieren. Ich will es Ihnen erklären …

Das Wichtigste für jedermann ist, angenehm zu leben. Und mit »angenehm« meine ich: Freude daran haben. Hey, Sie! Na los, fangen Sie damit an! Jetzt sofort!

Der Sinn des Lebens besteht einzig und allein darin, es zu genießen. Als stille Geister, die im Inneren von ausgeklügelten – wenn auch mit Haaren bewachsenen und aus Fleisch bestehenden – Maschinen leben, erreichen wir das, indem wir das Leiden vermindern und das Wohlgefühl erhöhen. Als Gesellschaften – bienenstockartige Ansammlungen von Geistern in mit Haaren bewachsenen Maschinen, die Gas geben wie Motorradfahrer, die an irgendeinem Touristen-Hotspot vorbeirasen – erreichen wir dies durch Kultur, Kunst und Sport: Durch das, was wir »Unternehmungen zum Zweck des Wohlfühlens« nennen könnten.

Der größte Teil dieses Buchs befasst sich nicht mit der Gesellschaft als großem Ganzen, sondern mit kleineren, überschaubareren Veränderungsmöglichkeiten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle kurz etwas zum gesellschaftlichen Aspekt sagen und zu bestimmten Verhaltensweisen, die wir in Bezug auf Arbeit und Freizeit annehmen. Das wird uns helfen, die zahlreichen Möglichkeiten einer Verhaltensänderung zu erkennen. Und gleichzeitig lernen wir das grundlegende Betriebssystem kennen, das die Tendenz aufweist, unsere Gedanken über das gute Leben zu manipulieren.

Der eigentliche Sinn von Zivilisation ist die Sicherstellung ausreichend hoher Standards von öffentlicher Hygiene, Sicherheit, Frieden und Ordnung, damit das florieren kann, was wir »Streben nach Genuss« nennen können. Menschen, die ihrem Vergnügen nachgehen, ohne anderen dadurch zu schaden, sind auf dem richtigen Weg. Die Verkniffenen, die aufgrund von Schuldgefühlen oder irgendeiner Moralvorstellung glauben, sie müssten arbeiten, weil Arbeit an sich schon ein Wert ist, sind auf dem falschen Weg. Sie verschwenden ihre Zeit, gehen anderen auf die Nerven und spielen eine entscheidende Rolle bei der Verschwendung der begrenzten Ressourcen der Erde.

Das Streben nach Vergnügen sollte im Mittelpunkt des Lebens stehen. Daran teilzuhaben, danach alles auszurichten, hat absolute Priorität, sowohl für die Einzelnen wie auch für die gesamte Gesellschaft. Der große amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut hat es einmal so ausgedrückt: »Wir sind hier auf der Erde, um ein bisschen rumzufurzen. Lasst euch bloß von niemandem was anderes erzählen.« Die Herstellung von und die Freude an Kunstwerken, der Austausch von Argumenten in Gesprächen, Diskussionen und in der Literatur, aber auch das Zelebrieren von Sport und Spiel sollten die höchsten Tugenden sein, die wir kennen. Menschen, die sich diesen Dingen verschrieben haben, ob nun professionell oder nur aus Spaß, führen uns vor Augen, was wir alle tun sollten. All jene, die außerhalb dieses Rahmens tätig sind, diese Bestrebungen aber unterstützen, verdienen gleichermaßen Anerkennung. Denn das sind die Menschen, die uns aufhelfen, wenn wir gestrauchelt sind, damit wir weiterhin als Künstler und Genießer fröhlich herumfurzen können.

Falls irgendein Großereignis einen bedeutenden Teil der Gesellschaft daran hindert, das Leben zu genießen – ein Krieg zum Beispiel oder eine Epidemie oder der Zusammenbruch des Internets –, wird eine Art Notstand ausgerufen, und wir müssen unsere Prioritäten ändern. Denn dann kommt es zuallererst darauf an, das Problem in den Griff zu kriegen, damit wir alle möglichst schnell wieder zum Genuss zurückkehren können. Niemand darf ein Interesse daran haben, den Krieg oder die Epidemie oder den Internet-Super-GAU zu verlängern. Sollte ein Feuer in einer Künstlerkolonie ausbrechen, wäre es sicherlich klug, wenn alle Bewohner ihre Pinsel beiseitelegten und die schicken Baskenmützen an den Nagel hingen, um erst mal den Brand zu löschen. Dennoch wäre die Bekämpfung des Feuers an sich keine erstrebenswerte Tätigkeit. Die Künstler würden das Feuer löschen, um den Zustand von Frieden und Harmonie wiederherzustellen, der vor dem Ausbruch des Feuers geherrscht hat. Denn sie wollen sich anschließend so schnell wie möglich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden, dem Malen von Bildern. Oder?

Bitte fassen Sie dies nicht als Provokation auf. Um ein weniger abgehobenes Beispiel zu bemühen als den Ausbruch eines Feuers in der Künstlerkolonie: Eine Klempnerin, die die Toilette im Haus einer Familie mit dem Abflussrohr verbindet, tut dies (hoffentlich) in dem Bewusstsein, dass ihre Arbeit für diese Familie von größtem Nutzen ist. Es wird vielleicht nicht die Krönung ihres Schaffens sein, aber die Klempnerin sorgt mit ihren handwerklichen Fähigkeiten dafür, dass die Familie ihr Leben in sicheren hygienischen Verhältnissen weiterführen kann. Wobei sie unter »das Leben weiterführen« sicherlich auch verstehen wird, dass die Familie sich an Kultur, Kunst und Sport erfreut. Sie wird unbewusst davon ausgehen, dass die Kinder Lesen und Schreiben lernen und im Garten spielen. Sie könnte vermuten, dass die Eltern ins Kino und auf Partys gehen. Und auch wenn sie nicht ständig darüber nachdenkt, wird sie doch voraussetzen, dass ihre Arbeit zur Verwirklichung dieser Miniatur-Utopie beigetragen hat. Auch wenn wir das normalerweise nicht so ausdrücken, steht doch fest, dass harte Arbeit durchaus im Dienst von Vergnügen und Wohlbefinden stehen kann.

Ein Bibliothekar, der das Buch an den korrekten Ort im Regal zurückstellt, tut dies, um die Chancen zu erhöhen, dass das Buch wieder einen Leser findet. Wenn man ihn danach fragte, warum das so wichtig sei – warum überhaupt irgendwer ein Buch finden sollte –, würde er sagen, dadurch hätte der normale Nutzer die Gelegenheit, sich an einem Buch zu erfreuen oder der Student die Möglichkeit, etwas zu lernen. Die angewandten Fähigkeiten des Bibliothekars ermöglichen es dem Leser direkt (im Fall des durchschnittlichen Lesers) oder indirekt (im Fall des Studenten, der sich weiterbilden will), sich zu vergnügen.

Sowohl die Klempnerin als auch der Bibliothekar tragen dazu bei, die Bedingungen herzustellen, die nötig sind, damit andere Menschen ihren entsprechenden Neigungen nachgehen können. Es wäre eigenartig, wenn sie das ihren Kunden nicht gönnen wollten. Die Klempnerin wird der Familie, die sie gerufen hat, kaum vorhalten, sie sollten besser selbst mal eine Klempnerausbildung machen.4 Genauso wenig wird der Bibliothekar den Leser dazu überreden, stante pede eine Ausbildung zum Bibliothekar zu beginnen, nur um ihm damit zu verdeutlichen, dass Arbeit an sich ein Wert ist.

Und trotzdem geht das Verhalten vieler Menschen in diese Richtung. Es gibt ja die Theorie, dass das Streben nach Vergnügen – zum Beispiel, indem man sich künstlerisch betätigt oder eine Kunstausstellung besucht – ein Luxus ist, den man sich nicht leisten darf, solange andere Menschen sich abrackern müssen. Nach dieser Theorie ist es lächerlich, verantwortungslos oder gar heimtückisch, sich überhaupt dem Streben nach Vergnügen hinzugeben: »… und andere Leute mussten währenddessen hart arbeiten«, ist eine dieser unvermeidlichen Antworten, die man bekommt, wenn man erklärt hat, man hätte den ganzen Tag mit Lesen im Rosengarten des öffentlichen Parks oder beim Töpferkurs in einem Museum verbracht. Das ist eine ausgesprochen konservative, nicht-fortschrittliche und darüber hinaus auch noch extrem fantasielose Haltung. Harte Arbeit sollte uns ermöglichen – uns allen, en masse –, eine Welt zu schaffen, in der Vergnügen großgeschrieben wird. Sie existiert nicht um ihrer selbst willen. Gegen das Vergnügen zu sein oder eine Moral zu verbreiten, die harte Arbeit als Selbstzweck ansieht, führt uns zurück in finsterste viktorianische Zustände. Das ist die Weltsicht von manchen älteren Leuten, die glauben, sie seien im Leben zu kurz gekommen, und die nicht begreifen wollen, dass die Lebensbedingungen sich seit ihrer Jugend verändert haben. Kann ja sein, dass sie in der Schule gezwungen wurden, sich gegen ihren Willen mit komplizierten mathematischen Problemen herumzuschlagen. Aber warum sollen nachfolgende Generationen ebenfalls darunter leiden müssen? Es gibt sogar einige Vandalen, die bestimmte zivilisatorische Errungenschaften rückgängig machen wollen (zum Beispiel den Sozialstaat oder öffentliche Förderprogramme für Kunst und Kultur), weil sie der Ansicht sind, Knochenarbeit zu leisten sei eine moralische Qualität und stehe weit über dem selbstgefälligen Streben nach Genuss.

Man mag einwenden, dass das Streben nach Genuss erst stattfinden kann, nachdem eine Art Verteidigungswall errichtet wurde, um die Plünderer fernzuhalten, und erst dann, wenn wir nicht länger von Krankheiten heimgesucht werden. Aber diesen Wall gibt es ja bereits. Es wurde schon ein sicherer Raum für das Vergnügen geschaffen. Und es würde auch gar keinen Sinn machen, sichere Orte einzurichten, wenn unser höchstes Ideal darin bestünde, noch mehr Klempner und Bibliothekare, noch mehr Soldaten und Staatsbeamte einzusetzen, als nötig ist, um den Bestand des sicheren Ortes zu garantieren. Der Sinn im Einrichten und Bewahren einer sicheren, gesunden und wohlgeordneten Welt ist doch, die Lebensfreude der Menschen zu befördern. Spaßhaben belohnt die Menschen für ihre harte Arbeit und die Opfer, die sie bringen müssen. Ohne Vergnügen wäre alles umsonst. Eine Welt, in der es nur Bürokraten, Soldaten und Bibliothekare gibt, aber keine Filmemacher oder Kinogänger, wäre wie ein Wolkenkratzer ohne Apartments, aber mit jeder Menge Aufzüge und Treppenhäuser. Es lohnt sich nicht, ein solches Gebäude zu errichten oder es zu erhalten. Dann können wir gleich die Plünderer dort hineinlassen und zusehen, was ihnen zur Nutzung des vorhandenen Raums einfällt.

Das Streben nach Vergnügen soll durchaus auch Werte wie Leistung, Handwerkskunst und Disziplin beinhalten, aber auch unbedingt offen bleiben für Experimente, Irrtümer und Spielereien. Es soll dazu führen, das Leben von anderen zu bereichern, aber auch das Abseitige, Spektakuläre und Amüsante nicht vernachlässigen. Kunst und Kultur mögen die »Seriosität« von Politik und Arbeitswelt loben, kritisieren oder satirisch betrachten, viel wichtiger aber ist, dass sie sich selbst genügen. Ich würde sogar vorschlagen, dass sie so spielerisch, so abstrakt und so albern wie möglich sein sollten. Kunst, Kultur und auch Sport sollten sich nicht mit dem gemein machen, was man »die schwarze Hand der Politik« nennen könnte, und daher für die Öffentlichkeit auch so irrelevant wie möglich sein.5 Das Streben nach Vergnügen ist nicht dazu da, uns irgendeiner Lösung näherzubringen, es ist die Lösung.6

Das Betriebssystem, das ich zu beschreiben versucht habe – also die Tendenz, Arbeit als einen Wert an sich und etwas Einzigartiges zu betrachten, woneben etwas so Frivoles und Verschwenderisches wie das reine Vergnügen nicht sein darf –, sollte zerstört werden. Dies ist zwar nicht das Buch, in dem beschrieben wird, wie man das anstellen kann, aber man darf in seinem weiteren Verlauf nicht vergessen, dass das Betriebssystem uns nicht freundlich gesinnt ist. Es stellt nämlich jene Geistesverfassung dar, die Millionen von Menschen in die Lohnsklaverei treibt, statt diesen Zustand als das zu entlarven, was er tatsächlich ist: eine Verletzung der Menschenrechte.

Wenn wir uns nun daranmachen, eine alternative Philosophie zu entwerfen, wird das Folgen haben. Zum einen wird es dazu führen, dass wir unerfreuliche oder langweilige Jobs nicht mehr akzeptieren, bloß weil sie angeblich erledigt werden müssen. Zum anderen bedeutet es, dass wir von nun an der Freude und dem Vergnügen absolute Priorität einräumen. Darum nämlich haben sich unsere Vorfahren letztlich so abgerackert, dafür wurden die großen Anstrengungen in der Industrie, bei der Gesetzgebung und in der Gesundheitsfürsorge unternommen.

Bis vor Kurzem hat mir mein Instinkt noch gesagt, dass die Lohnsklaverei grundsätzlich nicht mit dem guten Leben einhergehen kann. Was daran liegt, dass der Aufwand an Zeit, Energie und Willenskraft, der für einen Fulltime-Job nötig ist, das gute Leben blockiert. Die Lohnsklaverei – die sich aus der Notwendigkeit ergibt, die Miete bezahlen zu müssen, wobei der einzige Einsatz, den man hat, die eigene Arbeitskraft ist – überdeckt das gute Leben. Was eigentlich nur dazu da sein sollte, das gute Leben zu fördern, wird zum hauptsächlichen Lebensinhalt und vordringlichsten Projekt. Das gute Leben, egal, wie man es definiert, hat in den seltensten Fällen etwas damit zu tun, dass man zu unchristlicher Stunde von einem laut piependen elektronischen Gerät geweckt wird, um anschließend hastig ein Weetabix-Frühstück in sich reinzuwürgen und dann die U-Bahn zur Hölle zu nehmen.

Inzwischen bin ich der Ansicht, dass es für einen Lohnsklaven durchaus möglich ist, das gute Leben zu finden, auch wenn das nicht oft zu beobachten ist. Das ist es deshalb nicht, weil die wenigsten Menschen wissen – und auch nicht ermutigt werden zu wissen –, wie man das anfangen soll. Wie es ein Leserbriefschreiber kürzlich formulierte:7 »Wenn man es nicht anders kennt, als den ganzen Tag zu arbeiten, um abends auf dem Sofa zu landen, ist es schwer, sich mit dem guten Leben zu befassen, selbst wenn man die Chance dazu hat.« Das ist wahr. Dennoch glaube ich, dass es gelingen kann, weil ich gezwungenermaßen herausfinden musste, wie es zu schaffen ist. Als ich zu zweieinhalb Jahren Lohnsklaverei verurteilt wurde (zu den genaueren Umständen dieser »Verurteilung« kommen wir gleich), ließ ich mir die Ruhe, die ich so genossen hatte, als ich noch reisen und schreiben und in Montreal leben durfte, nicht nehmen. Ähm, jedenfalls nicht auf Dauer.

Die üblichen Versuche, das gute Leben mit einem Arbeitsplatz in Einklang zu bringen, sind aus folgenden Gründen zum Scheitern verurteilt: a) gelingt es uns nicht, das Konzept des guten Lebens überhaupt richtig zu verstehen, weil die Konsumkultur uns ständig hinters Licht führt; und b) haben wir ein unterwürfiges Verhältnis zur Arbeit und ein tief sitzendes Vorurteil gegenüber den Freuden, die wir weiter oben beschrieben haben. Dennoch müssen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt Menschen, die keine Lohnsklaven mehr sind (oder es nie waren) und denen es trotzdem nicht gelingt, das gute Leben zu verwirklichen. Und es gibt Menschen, die das gute Leben erreicht haben, obwohl sie an einen Job gebunden sind. Beide Gruppen sind Minderheiten, aber wir können von beiden lernen. Lassen Sie uns also etwas über das gute Leben lernen, lassen Sie uns herausfinden, was es ist und wie man es erreichen kann. Lassen Sie uns eine Methode entwickeln, das gute Leben zu erlangen, obwohl wir zur Lohnsklaverei verdammt sind.

In meinem neuen Großraumbüro, in dem ich mit Prince Chunk saß, der ständig diese grässlichen Käse-Zwiebel-Sandwichs mampfte, gehörte ich zu einer bis dahin unbekannten Gruppe von Lohnsklaven. Ich musste nicht aus den üblichen Gründen einer Beschäftigung nachgehen, sondern weil ich ein Opfer der britischen Migrationskrise geworden war, die 2012 begann, als man eine Strategie erfand, die hostile environment (»feindliche Umgebung«) genannt wurde. Vielleicht haben Sie davon gehört. Vielleicht lesen Sie dies hier in ferner Zukunft, in der es als ein Beispiel für einen traurigen und überaus schändlichen Augenblick der britischen Geschichte angesehen wird.

Ich wollte nichts weiter, als unseren Lebensmittelpunkt von Kanada nach Schottland verlegen, weil wir dort mehr Freunde hatten, und es für mich leichter wäre, Verleger kennenzulernen, ohne ständig sagen zu müssen: »Désolé, je ne parle pas français, mais s’il vous-plaît pourrais-je avoir le sandwich?« Ich war sogar bereit, mein geliebtes Quebecer Bier und das Zirpen der Zikaden im Sommer hinter mir zu lassen.

Als ich merkte, welche bürokratischen und existenziellen Hürden sich da vor mir auftürmten, war mein erster Gedanke: »Wir brauchen so was wie Crowdfunding.« Leider würde uns das in diesem Fall aber nicht helfen. Seit 2012 – während ich im Ausland lebte – hatte eine Politikerin namens Theresa May, die ich nie zuvor getroffen hatte und von der ich nur ein vages Bild vor Augen hatte, sich darangemacht, mein Leben systematisch zu ruinieren. Sie hat einmal gesagt: »Wenn Sie sich als Weltbürger empfinden, sind Sie ein Bürger von Nirgendwo.« Das nicht persönlich zu nehmen fällt mir schwer, denn ich habe mich immer als Weltbürger empfunden. Als Innenministerin der Regierung Cameron heckte sie etwas aus, das sie (jetzt kommt’s!) hostile environment nannte und zusammen mit einer Gruppe Politikern auf den Weg brachte, die sich »Hostile Environment Working Group« (»Arbeitsgruppe zur Schaffung einer feindlichen Umgebung«) nannten. Ich denke mir das nicht aus! Später änderten sie den Namen um in »Interministerielle Arbeitsgruppe für den Zugang von Migranten zu staatlichen und öffentlichen Zuwendungen«. Ich persönlich finde den ursprünglichen Namen prägnanter.

Mrs. May und diese anderen Todesser-Typen8 arbeiteten hart daran, ein soziales Klima zu erzeugen, dessen Zweck es war, das Leben von Menschen, die nach Großbritannien einwandern wollten, extrem schwierig und unangenehm zu gestalten. Ihr Ziel war, all jene Menschen, die neu ins Land kamen, möglichst spitzfindig daran zu hindern, sich Zugang zu so grundlegenden Dingen wie einem Bankkonto oder Gesundheitsbetreuung zu verschaffen. Ebenso wurden legal eingewanderte Menschen, von denen viele fast ihr gesamtes Leben in Großbritannien verbracht hatten, dadurch drangsaliert, dass man sie verpflichtete, sich in Migrationszentren zu melden. Oder man schickte ihnen Briefe, um sie daran zu erinnern, dass sie jederzeit des Landes verwiesen und von ihrer Familie getrennt werden konnten. Der Gedanke dahinter war, es den sogenannten Nicht-Einheimischen so schwer wie nur möglich zu machen, sich heimisch zu fühlen, damit sie freiwillig das Land verließen. Die traditionelle Methode wäre gewesen, sie mitten in der Nacht von Einsatzkommandos abholen und außer Landes bringen zu lassen.

Das ist keine paranoide Fantasie. Der Plan hieß wirklich »The Hostile Environment«, und die Frau, die federführend daran beteiligt war, wurde später Premierministerin des Vereinigten Königreichs – und auf diesem Posten hat sie ihre Arbeit weitergeführt. Das klingt nach vergangenen Jahrhunderten oder nach einer dystopischen Science-Fiction-Geschichte, ist es aber nicht. Es passiert genau jetzt in diesem Moment, wo ich dies niederschreibe. Der wahrscheinlich traurigste und dramatischste Moment dieser Entwicklung war die Windrush-Krise, als ans Tageslicht kam, dass eine unbekannte Zahl von älteren Menschen, die als Kinder nach Großbritannien gekommen waren, nicht beweisen konnte, dass ihr Aufenthaltsstatus falsch definiert worden war. In der Folge wurden ihnen grundlegende Rechte vorenthalten, man drohte ihnen mit Abschiebung, und mehr als sechzig Personen wurden tatsächlich des Landes verwiesen.

Obwohl ich in Großbritannien geboren wurde und britischer Staatsbürger bin, bin ich zum Migranten geworden, weil ich eine Weile in Kanada gelebt und dort geheiratet habe. Unsere Liebe zueinander scheint die weltlichen Dinge verkompliziert zu haben, aber was macht es für einen Sinn, die Frau seines Lebens zu treffen und sie dann nicht zu heiraten? Ich war in einer ähnlich fatalen Situation wie Pu der Bär, der in den Kaninchenbau geklettert war und dort so viel gegessen hatte, dass er nicht mehr herauskonnte. Aus reiner Abenteuerlust war ich für eine Weile ins Ausland gegangen, hatte mich mengenmäßig verdoppelt, und musste jetzt darum kämpfen, wieder nach Hause kommen zu dürfen.

Der Hinderungsgrund, der mich persönlich in Schwierigkeiten brachte, verbarg sich hinter der Formulierung »finanzielle Erfordernisse«. Sie können sich wahrscheinlich denken, worauf das hinausläuft. Jeder, der auf die Puddinginsel ziehen wollte, musste ab Juli 2012 (und das war in unserem Fall schon eine Weile her) ein Einkommen in Mindesthöhe von 18 600 Pfund pro Jahr nachweisen. Als selbstständiger Schriftsteller und fröhlicher Müßiggänger hatte ich zuletzt von ungefähr achttausend Pfund im Jahr gelebt und mich öffentlich darüber ausgelassen. Glauben Sie etwa, Ihre Regierung schickt jemanden los, um Ihnen zu Ihrem wirtschaftlichen, umweltverträglichen und bescheidenen Lebensstil zu gratulieren – damit alle davon erfahren, wie schlau Sie es angefangen haben, und damit es als nachahmenswertes Beispiel in den Zeitungen beschrieben wird? Natürlich nicht.

Mein Lebensentwurf beinhaltete, so wenig wie möglich zu verdienen und auszugeben, um möglichst viel Lebensqualität zu erzielen; Liebe und künstlerische Erfüllung inbegriffen. Aber nun war ich gezwungen, ordentlich Gas zu geben, um mein jährliches Einkommen auf mehr als das Doppelte zu erhöhen. Aber wieso ich, fragen Sie jetzt vielleicht. Wo doch meine Frau die stinkende Ausländerin war. Nun ja, ich war der »eheliche Förderer« meiner Frau, und daher lag die Verpflichtung bei mir, mit der nötigen Kohle rüberzukommen. Es hätte eventuell auch die Möglichkeit gegeben, die finanzielle Bürde auf beide zu verteilen, aber zunächst sah es so aus, als müsste ich die Last ganz allein auf meine schmalen Schultern laden – ausgerechnet ich, der in diesen Dingen eine fast schon legendäre Nullnummer ist.

Wäre die Intention des Staates eine fürsorgliche gewesen, hätte es genügt, ihm kurz mal vorzurechnen, dass wir nicht mehr Geld ausgaben, als wir einnahmen. Stattdessen sollten wir beweisen, dass wir in der Lage waren, die völlig willkürliche Summe von 18 600 Pfund zusammenzubringen. Ich wäre am liebsten in die Marsham Street gegangen (wo sich das Innenministerium befindet) und hätte ihnen unsere Kontoauszüge präsentiert: die hätten bewiesen, dass wir solvent waren und gut zurechtkamen, dass ich und meine importierte Partnerin keinerlei Gefahr darstellten, dass wir im Gegenteil Geld ins Land brachten, statt welches abzuziehen. Aber das war leider keine Option. Es ging nicht darum, Migranten zu ermutigen, eigenverantwortlich zu handeln und für sich selbst zu sorgen, ohne auf öffentliche Unterstützung angewiesen zu sein: Es ging darum, es uns so schwer wie möglich zu machen und uns aus dem Land zu drängen.

Meinen Job als Autor fortzuführen oder eine andere Form von selbstständiger Tätigkeit auszuüben schien nicht möglich.9 Einfach noch mal eine spielerisch Houdini-mäßige Befreiungsaktion durchzuziehen, wie ich es in Ich bin raus vorgeschlagen habe? Es war unmöglich. Die Ketten und Schlösser, mit denen die Kiste diesmal gesichert war, waren nicht zu knacken. Die einzige Möglichkeit, genügend Geld zusammenzukriegen, um den finanziellen Anforderungen zu genügen, lief darauf hinaus, einen festen Job anzunehmen (schluck!). Ich musste zurück in die Knechtschaft. Zurück in den Fulltime-Job. Mich wieder an einen Stuhl am Schreibtisch fesseln lassen und die Klappe halten.

Kaum ist man draußen, fangen sie einen auch schon wieder ein. »Niemand kommt um die Lohnsklaverei herum«, schien die Welt mal wieder zu behaupten. »Es gibt kein Entrinnen.«

Stefan Zweig schrieb, dass das Leben der einfachen Menschen den Obsessionen von Fanatikern geopfert würde. Die Frage jeder integren Persönlichkeit lautete daher nicht, wie man überleben könne, sondern wie man sein wahres Ich, seine Seele, behielte. Das ist eine zutiefst philosophische Frage und von grundlegender Bedeutung für jeden Lohnsklaven.

Normale Menschen müssen ihr Überleben und ihre Individualität ständig neu sichern, weil sie immer wieder untergebuttert werden. Wir leben in einem sozialen Milieu, das uns eher auffrisst und uns wieder ausspuckt, als unsere natürlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Wir werden nicht in eine neutrale Welt geboren, sondern in ein System von Gesetzen, sozialen Regeln, historischen Voraussetzungen und vorhandenen Arbeitsverhältnissen hineingeworfen. Und einiges davon könnte man durchaus als »feindliche Umgebung« bezeichnen.

Im Zusammenhang mit unseren Betrachtungen können wir also feststellen, dass es Bedingungen gibt, die uns in die Lohnsklaverei treiben. Wir werden wie Vieh getrieben, wo wir doch eigentlich Liebe und Zuwendung bräuchten. Wir werden grellem, fluoreszierendem Licht ausgesetzt, dabei sehnen wir uns nach mütterlicher Wärme. Wir werden in prekäre Verhältnisse geworfen und der Erwartung ausgesetzt, mitten auf dem Marktplatz zu agieren, obwohl wir Sicherheit und Privatsphäre brauchen. Diese feindliche Umgebung könnte man den »Zyklus des Ausgebens und Einnehmens« nennen oder ganz schlicht »Konsum-Ideologie«.

Jean-Paul Sartre behauptete, dass der Mensch von groß angelegten historischen Kräften überwältigt werden und dennoch frei und einzigartig bleiben könne. Seiner Ansicht nach wird der Mensch frei geboren und bleibt, egal, unter welchen Umständen er existiert, grundsätzlich frei und muss sein Schicksal selbst bestimmen – »die Existenz«, schrieb er, »geht der Essenz voraus«. Später allerdings hat er diese Ansicht revidiert und darauf hingewiesen, dass auch die feindlichen Umstände zu bedenken sind, in die ein Mensch geboren wird. Wahrscheinlich wurde er bei der Betrachtung der historischen Situation von der Philosophie Heideggers oder Husserls beeinflusst, und deutlicher noch vom Feminismus von Simone de Beauvoir (die das Patriarchat als »feindliche Umgebung« definierte) sowie von seiner eigenen Erfahrung vom Leben in einer feindlichen Umgebung während der deutschen Besetzung von Paris.

In unserer eigenen historischen Situation – der Zeit des Neoliberalismus – werden wir von den Institutionen der Konsumwelt und der Arbeit derart überbestimmt (typische Frage auf einer Party: »Hallo, und was machst du so?«), dass solche Konzepte fast zur letztgültigen moralischen Instanz geworden sind. Wie kann es uns da gelingen, uns selbst treu zu bleiben? Was ist aus der Freiheit geworden beziehungsweise wie nehmen wir sie wahr? Wie können wir unsere Integrität bewahren, unser Selbst? Wir zappeln uns ab und werden doch von der Umgebung aufgefressen.

Ich fragte einmal eine jüngere Kollegin auf der Betoninsel (mehr dazu später), was denn ihr größtes Hindernis dabei wäre, sich dem guten Leben anzuschließen. Was hielt sie davon ab, nur noch Teilzeit zu arbeiten, und sich ihren künstlerischen Neigungen zu widmen, von denen sie mir erzählt hatte? Sie erklärte mir, dass sie noch ihren Studentenkredit in Höhe von dreißigtausend Pfund abbezahlen müsste. Das schien mir ein erstaunlich hoher Betrag zu sein. Mein eigener Studentenkredit belief sich auf sechstausend Pfund; mein Vater hatte überhaupt keinen gehabt. Allerdings war die Umgebung, in die sie nach der Schule hineinkam, wesentlich feindlicher als die, mit der ich zu tun gehabt hatte. Sechstausend Pfund Schulden sind noch zu verkraften, man kann sie über die Jahre hinweg abzahlen; während ihre Schulden sie geradezu lähmten und noch lange Zeit zu abhängiger Beschäftigung zwingen würden – wenn sie sie jemals zurückzahlen wollte, worüber sie sich noch unschlüssig war.

Einerseits war also ihre Angst groß genug, um sie für die nächsten fünf bis zehn Jahre an ihren Arbeitsplatz zu fesseln, also ihre Sklavenexistenz als Angestellte fortzusetzen, bis sie endlich aus den roten Zahlen raus wäre. Andererseits erschien es ihr fast unwirklich, diese Schuld jemals komplett abtragen zu können. Dass sie in der Schuldenfalle gelandet war, lag nicht daran, dass sie unverantwortlich viel konsumiert hätte, sondern an den feindlichen Umständen. Diese Umstände – hohe Studiengebühren und private Studentendarlehen – waren Jahre zuvor geschaffen worden, um daraus Kapital schlagen zu können, dass Menschen eine vernünftige Ausbildung brauchen. Meine Kollegin war ja nicht mal auf eine besonders angesehene Universität gegangen, um etwas Ungewöhnliches zu studieren. Sie hatte bloß ihren Abschluss gemacht und einen einjährigen Kurs belegt, um ihre Ausbildung zur Archivarin zu beenden.

Ist es also übertrieben zu behaupten, wir würden durch eine Unterdrückungsmaschine zur Arbeit gezwungen? In meinem Fall und im Fall der Schuldknechtschaft, die ich eben geschildert habe, handelt es sich jedenfalls darum. Ist es paranoid zu behaupten, wir würden nur deshalb morgens in den Bus steigen, um unseren Platz am Schreibtisch zu besetzen, weil wir den Obsessionen von Fanatikern geopfert werden? Genauso kommt es mir jedenfalls vor. Die Leute, die die Privatisierung der Ausbildungsförderung vorangetrieben haben (an der man nicht vorbeikommt) und die ein Einwanderungssystem ins Leben gerufen haben, das Menschen derart frustriert, bis sie sich selbst des Landes verweisen, kommen mir wie Fanatiker vor, die scheinheilig ökonomische Argumente vorschieben, wo es ihnen in Wahrheit um fragwürdige moralische Kategorien geht. Für einen Lohnsklaven mag der Arbeitsplatz an sich schon eine feindliche Umgebung darstellen, aber die wahre feindliche Umgebung ist diejenige, die von dir verlangt, dich überhaupt in die Lohnsklaverei zu begeben.

Das Problem, so überlegte ich, könnte vielleicht mithilfe eines Bullshit-Jobs gelöst werden. Natürlich! Ein Bullshit-Job! David Graeber, Anthropologe an der London School of Economics, hat 2013 einen viel beachteten und wahrhaft köstlichen Essay zu diesem Thema verfasst.10 Darin geht es um jene Art Jobs, für die man bezahlt wird, die aber überhaupt keinen Nutzen haben. Sie haben keine Bedeutung. Man macht seine Arbeit, geht nach Hause, macht am nächsten Tag wieder seine Arbeit, geht nach Hause und so weiter.

Ich hatte diese Art von Arbeit immer gehasst und sogar darüber geschrieben, wie sehr sie die geistige Gesundheit beeinträchtigt. Aber da ging es darum, dass diese Bullshit-Jobs normalerweise die Tendenz haben, nie aufzuhören. Sie halten dich in der Schwebe zwischen einem kaum lebenswerten Istzustand und dem Ruhestand oder dem Tod, je nachdem, was zuerst passiert. Dieses Mal jedoch würde ich den Quatsch nur drei Jahre lang durchziehen müssen und dann wieder aussteigen dürfen. Wenn ich die Arbeit einfach nur korrekt erledigte, den Kopf gesenkt hielte, genug Geld beiseitelegte, um es Theresa May zu zeigen, wäre alles in Ordnung. Ich würde währenddessen heimlich an anderen Dingen arbeiten und viel Zeit damit verbringen, aus dem Fenster zu starren und mein nächstes Buch zu planen, das ich schreiben würde, wenn ich wieder frei wäre. Ein Bullshit-Job wäre meine Rettung. Und wenn wir dann erst mal das Visum in der Tasche hatten und ich den Job hinschmeißen konnte, würde ich meinen Arbeitsvertrag vor den Augen meines Chefs zerreißen und aufessen. Das wäre ein Spaß!

Ich suchte überall nach dem passenden Job. Was bedeutete, dass ich die Worte »Bullshit Job Glasgow« bei Google eingab und die Website S1Jobs.com fand. Dort bewarb ich mich für den erstbesten halbwegs passenden Job, der dort aufgelistet und von unserer Wohnung aus zu Fuß erreichbar war.

Bei S1Jobs erfährt man nicht gleich zu Anfang, wer der Arbeitgeber ist. Sie sagen nur so Dinge wie: »Unser Kunde aus dem privaten Sektor sucht einen motivierten Müßiggänger, der Erfahrung damit hat, so zu tun, als würde er sich mit Papierkram auskennen«, oder: »Unser Klient aus dem öffentlichen Sektor sucht nach einem ambitionierten Menschen mit Eigeninitiative, der willens ist, seine Ideen für sich zu behalten.« Das ist ziemlich aufregend. Man hat keine Ahnung, ob man schließlich in einem Krebsforschungszentrum oder einer Organisation von Kinderschändern landet.

Sie können sich meine Überraschung vorstellen, als ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde und den Namen des Arbeitgebers auf dem Formular sah. »Nein«, rief ich laut in das ansonsten leere Wohnzimmer. »Nein, nein, nein, nein, nein! Das kann nicht sein.« Es war, als würde man zum Sterben in das gleiche Krankenhaus zurückgeschickt, in dem man geboren wurde. Ganz plötzlich wurde mir die schreckliche Wahrheit ins Gesicht geschleudert, dass mein Leben, ja, die ganze Welt, nichts weiter war als ein Wartezimmer im Krankenhaus:

Ich wurde zu einem Bewerbungsgespräch für meinen alten Job eingeladen.

Ich ging zurück auf die Betoninsel.

Scheiße!

2 Mir ist schon klar, dass genau genommen der Begriff Spielkarte hier genügt hätte.

3 The Good Life (1975–1978) handelt von einem Ehepaar, das am Rand von London lebt und sich entschließt, ein angenehmes, genügsames Leben zu führen, ohne zur Arbeit gehen zu müssen.

4 E Pluribus Mario.

5 Ich habe mir mit einigen Freunden den Film Columbus aus dem Jahr 2017 angeschaut, in dem es um Architektur geht, und einer von ihnen beklagte sich darüber, der Film sei nicht relevant, weil darin nichts über den politischen Populismus gesagt wurde, der zu der Zeit, als der Film herauskam, vorgeherrscht hatte. Nun ja, manche Dinge sind halt dauerhafter als das, nicht wahr? Die Leute, die diesen Film gemacht haben, hatten eindeutig eine Vision, die über die Tagespolitik hinausreichte.

6 Ich bin immer wieder beeindruckt von Menschen, die sich in schwierigen Zeiten der Kunst oder der Schönheit verschrieben haben. Das sind die wahren Kämpfer für das Streben nach Genuss. Man denke nur an Bücher, die während des Zweiten Weltkriegs geschrieben oder sogar publiziert wurden – und ganz andere Themen hatten als den Krieg. So sorgten sie dafür, dass im dunklen Fenster der Zivilisation ein einsames Licht weiterleuchtete. Auch wenn rundherum alles zusammenbricht, gibt es noch Menschen, die die Kraft finden, Kunstwerke herzustellen, das Streben nach Vergnügen aufrechtzuerhalten oder die Werte der Aufklärung weiterzuentwickeln. Im Vorwort zu seinem 1946 veröffentlichten Buch Trees in Britain schreibt der Botaniker Alexander Howard: »Der Zweck dieses Buchs ist es, Informationen zu geben über die Bäume, die in Großbritannien wachsen, aber nicht unbedingt von hier stammen. Dies soll dazu dienen, das Interesse der Öffentlichkeit an den Wäldern, den Bäumen und dem Holz zu wecken, die einst Ruhm und Stolz von Großbritannien ausgemacht haben.« Wie finden Sie das? Das Buch wurde 1947 veröffentlicht, auf dünnem rationiertem Papier, aber das Vorwort wurde 1946 geschrieben, und sehr wahrscheinlich hat er das Buch in den Kriegsjahren verfasst. Während die Bomben fielen, hat er Baumarten aufgelistet, um der Öffentlichkeit zu dienen; sehr wahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Welt auf die eine oder andere Art der völligen Vernichtung entgehen würde. Sein Optimismus und seine Hingabe sind einfach bewundernswert. Und wenn man noch dazu bedenkt, wie viele Zweifel und Enttäuschungen er erfahren haben muss in diesen Jahren einsamer Tätigkeit, ist das geradezu rührend.

7 In The Idler, Nr. 64, Januar/Februar 2019

8 Todesser sind Gruppen dunkler Hexen und Zauberer aus Harry Potter. (d. Red.)

9 Ein anderes Element der »feindlichen Umgebung« besteht darin, es Migranten besonders schwer zu machen, selbstständig zu arbeiten: Wenn man von einer britischen Firma angestellt wird (was alle Migranten locker bewerkstelligen können, stimmt’s?), muss der Betreffende ein Bruttoeinkommen von 18 600 Pfund nachweisen, aber wenn er selbstständig arbeitet, muss er ein Nettoeinkommen von 18600 Pfund nachweisen, was den tatsächlichen Betrag auf 22320 Pfund pro Jahr hochtreibt. Noch so eine trickreiche Schikane.

10 »On the Phenomenon of Bullshit Jobs« kann unter strikemag.org/bullshitjobs/ gelesen werden. Graeber hat die zentralen Thesen seines Essays in seinem Buch Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit (2018) ausgeweitet.

Teil eins

Am Arbeitsplatz

We do, doodley do, doodley do, doodley do,

What we must, muddily must, muddily must, muddily must;

Muddily do, muddily do, muddily do, muddily do,

Until we bust, bodily bust, bodily bust, bodily bust.

Kurt Vonnegut – Katzenwiege

Das Problem der Arbeit

Das Büro liegt in einem Teil der Stadt, den ich »Betoninsel« nenne, weil es eine Insel ist, die aus Beton besteht. Es ist eine Welt für sich, nur per Auto oder über ein kompliziertes Netzwerk von Brücken erreichbar. Der größte Teil besteht aus unbebauten Betonflächen, die von Unkraut überwuchert sind. Und ausgerechnet dort, mittendrin, befindet sich mein altes Büro.

Die dreieckige Parzelle wird auf der einen Seite von der Autobahn begrenzt, auf der anderen von einer zweispurigen, vielbefahrenen Schnellstraße und an der längsten Seite von einer Fläche aus verrottetem Beton, dem meine Mit-Gestrandeten den Namen »das Ödland« verpasst haben.

Zuerst hatte ich totale Schwierigkeiten, überhaupt wieder dorthin zu finden. Ich dachte, ich würde mich daran erinnern, hoffte, dass meine Zombie-Füße selbstständig den Weg finden würden, aber entweder hatte sich irgendwas verändert (unwahrscheinlich, weil der Ort ziemlich vernachlässigt war), oder meine Erinnerungen an damals waren völlig verzerrt. Ich weiß, das hört sich alles erst mal völlig unglaubwürdig an, aber es war ja wirklich eine Menge passiert, seit ich das letzte Mal hierhergekommen war: Ich hatte gelebt, Mann! Ich hatte im Ausland gelebt, meine Frau kennengelernt, in Florida einen Pinguin zum Haustier gehabt, Kanada in der Eisenbahn durchquert, die schwefelige Lava eines Vulkans auf Hawaii gerochen, einige meiner Helden getroffen, Bücher geschrieben, eine Voodoo-Hühnerkralle in einem Fenster des Parlamentsgebäudes von Budapest hängen sehen … Nichts von alledem war vorgesehen. Vorgesehen gewesen war, hier auf der Betoninsel zu bleiben. Meine Güte, wenn ich an die Leute denke, die aus eigenem Antrieb hiergeblieben waren und denen dabei bewusst war, dass sie etwas Bedeutenderes und Kreativeres hätten tun können, wenn sie nur zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Schule gegangen wären. Eines Tages würde ich für diese Leute ein Buch schreiben. Ich würde es Das gute Leben für Lohnsklaven nennen.