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Die trügerische Idylle Anfang des 20. Jahrhunderts virtuos verwoben mit dem tragischen Schicksal einer Familie. Keine dunkle Wolke scheint das Leben von Johann Isidor Sternberg und seiner Familie an des Kaisers Geburtstag, am 27. Januar 1900, zu trüben. Doch die harmonische Idylle erfährt bald ihre ersten Brüche ... Mit einfühlsamen Bildern, einer Liebe zum historischen Detail und tiefer Menschlichkeit beschreibt die Bestsellerautorin das Leben einer jüdischen Familie in Frankfurt bis in die Zwanzigerjahre. Das Haus in der Rothschildallee wird zum Symbol einer Zeit, die die Geschichte Deutschlands für immer bestimmt hat.
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Seitenzahl: 338
Nur wer der Generation vertraut, die nach ihm kommt, hat begriffen, was Leben heißt.
Strahlende Sonne am 27. Januar war seit zwölf Jahren eine Berliner Tradition. Am Geburtstag von Kaiser Wilhelm II. strahlten die Sonne und die Bürger der Reichshauptstadt um die Wette. Selbstbewusst flanierten sie auf ihren Prachtstraßen und ein jeder wusste, dass »Kaiserwetter« eine Berliner Spezialität war.
Weit weniger kaisertreu zeigten sich die Januarwinde, die von den Bergen im Taunus nach Frankfurt wehten. In der ehemaligen Freien Reichsstadt waren die Leute zu bürgerstolz und skeptisch, um auf neumodische monarchistische Mythen zu setzen. Die Frankfurter empfanden den kaiserlichen Geburtstag als einen Tag, der sich nicht von den übrigen dreißig im Monat unterschied – übellaunig schimpften sie den Januar einen rücksichtslosen Wüstling. Mit eiserner Faust vergalt ihnen der garstige Geselle seinen schlechten Leumund; häufig übertraf er mit Wetterkatastrophen, die zu Tragödien führten, noch seinen fürchterlichen Ruf.
Der 27. Januar 1900 war allerdings in der schönen Stadt am Main der strahlende Beweis, dass in der Meteorologie noch weniger Verlass auf Verallgemeinerungen ist als auf besser überschaubaren Gebieten. An diesem letzten Samstag im Januar war das Frankfurter Wetter, wie die Leute einander aufgeräumt versicherten, wenn sie am Flussufer spazieren gingen und die Kirchturmspitzen in der Wintersonne wie die vergoldeten Kuppeln in Märchenbüchern glitzerten, »zum Eier Legen«. Der volkstümliche Ausdruck entstammte der Sommersprache, eignete sich aber trefflich, um am einundvierzigsten Geburtstag Seiner Majestät Kaiser Wilhelms II. das Lebensgefühl der Menschen zwischen den Ebbelweinwirtschafen in Sachsenhausen und den Feldern auf dem Lohrberg zu beschreiben. Der Himmel über den Frankfurtern, die dafür bekannt waren, dass sie nur glaubten, was sie sahen, anfassen und schmecken konnten, war am 27. Januar 1900 so klar und blau wie seit Wochen nicht mehr.
Solch rares Wetterglück erhellte die dunkelste Gesindestube. Die Sonne erreichte feuchtes Gemäuer in engen Gassen und strahlte mit Titanenkraft auf Herrenhäuser und die weiträumigen Plätze, von denen es immer mehr in der Stadt gab. Hell im Licht der Hoffnung leuchteten die Schwanzfedern der Wetterhähne. Die alten Stadttürme wirkten, als wären sie in der Nacht geputzt worden. Auf der Zeil und in der Kaiserstraße pfiffen vorwitzige Spatzen von allen Dächern, dass es bald Frühling werden würde. Frisch gestriegelt waren die Pferde vor den geputzten Kutschen.
Es war ein buntes Völkchen, das am letzten Januarwochenende des noch taufrischen neuen Jahrhunderts in Frankfurt die Welt bejubelte, als wäre sie soeben erschaffen worden. Selbst Griesgrame lächelten, wenn sie den Hut lüfteten, um Bekannten einen Gruß zu entbieten. Alte Damen lockerten den Schal, hielten ihre Stirn verlangend in die Sonne und erinnerten sich an die Zeit, als die Frühlingsträume auch zu ihnen gekommen waren.
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