Katze fürs Leben - Stefanie Zweig - E-Book

Katze fürs Leben E-Book

Stefanie Zweig

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Beschreibung

Dosenfutter - und das ihr, einer Klassekatze mit Stilempfinden! Und dann soll sie in einer Gartenlaube untergebracht werden - um Mäuse zu fangen. Das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und Katzendame Sissi zwingt, ihr armseliges Heim zu verlassen und sich eine echte Katzenfreundin zu suchen. In der Psychotherapeutin Julia findet sie die Richtige: Sie weiß, wie man eine Katze mit zarten Streicheleinheiten und kulinarischen Genüssen verwöhnt, und ihre Wohnzimmereinrichtung passt wunderbar zu Sissis cremefarbenem Fell. Ein perfektes ruhiges Katzenleben - wenn nur die seltsamen Menschen nicht wären, die in Julias Praxis von ihren Sorgen erzählen; aber auch Julia ist mit ihrem Leben unzufrieden. Da mischt sich Sissi in Julias Arbeit ein und fängt an, mit angeborener Katzenschläue Julias Probleme und die ihrer Patienten zu lösen. Und auch in Liebesdingen müssen die Katzendame und ihr "Frauchen" durch einige Turbulenzen ... Mit humorvollem, leise-ironischem Blick aus der Samtpfoten-Perspektive kommentiert Sissi die seltsame Welt der Menschen und die aufregenden Abenteuer, die sie und Julia bestehen. "Im Roman gibt es nicht eine einzige Seite, die für jemanden, der Stubentiger liebt, langweilig ist." Kultur am Mittwoch, NDR

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Seitenzahl: 247

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Stefanie Zweig

Katze fürs Leben

LangenMüller

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© für die Originalausgabe: 1997 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München © für das eBook: 2013 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München Alle Rechte vorbehalten

Für Sissizum Dank für ihre Geduldund wertvollen Tips

1.

Die Wende war überfällig. Aus Furcht vor Veränderungen hatte ich sie zu oft verschoben, doch ich habe keinen Pfotenschlag gezögert, als mir mein Instinkt für Würde und Selbstbehauptung den Aufbruch gebot. Es war im ersten Herbst meines Lebens. In nur sechs Nächten erkannte ich, daß jede Katze, die mehr sein will als ein menschenverdummtes Haustier ohne Stolz und eigene Persönlichkeit, den Sprung über die Mauer nicht fürchten darf. Die letzte Woche bot zunächst nur die bekannten Miseren – unpünktlich servierte Mahlzeiten minderster Qualität, hygienisch unzumutbare Verhältnisse, tierisches Unverständnis von liebesunfähigen Menschen und meinerseits immer häufiger Anfälle von schwerer Depression. Einige anonyme Mäuse und Lammfleisch in Jelly aber haben schließlich über mein Leben entschieden. Am Montag morgen stank eine doppelte Portion von dem Thunfisch, der jede Lebensfreude mordet und Blähungen verursacht, in meinem Napf. Mein Trinkwasser war nicht frisch, das Wohnzimmer verschlossen und ich bis abends um zehn in die winzige Küche mit dem ehrverletzenden Linoleumboden gesperrt. Dienstag und Mittwoch verliefen ebenso trostlos.

Donnerstag brachte der dicke Anton den neuen elektrischen Dosenöffner mit, ließ ihn ohne Anlaß probeheulen und rief auch noch frech: »Ho! Ho!« Freitag schleppte seine Frau das Sonderangebot von Dosenfutter aus dem Supermarkt an, sagte wieder einmal »Hallo, Katze« zu mir und versuchte, beim Heimkommen meinen Rücken mit ihrem Fuß zu berühren. Sie hielt diese dreiste Berührung grundsätzlich für Streicheln und meine Abwehr für Zustimmung.

Eins muß ich am Anfang dieser Geschichte betonen: Ich bin sanft, nicht nachtragend, sehr bescheiden und durchaus auch kompromißbereit. Wenn mich ein geachteter und geliebter Mensch überzeugen kann, daß ich ausnahmsweise mal nicht recht habe, verhalte ich mich nicht wie ein Mensch. Ich finde, Vorurteile sind kein Beweis von Erfahrung und Intelligenz, und bin allzeit flexibel genug, meine Meinung zu ändern – wenn es sein muß. Kränken aber lasse ich mich nicht, und ich lehne es aus Prinzip ab, über Beleidigungen auch nur zu diskutieren. Elektrische Dosenöffner, die Tierfuttermittelindustrie und Menschen, die zu spät nach Hause kommen und dann ihrer Katze »Hallo« sagen, sind für mich kein Thema. Selbstverständlich können kulturlose Leute, die sich und die Ihrigen aus Dosen ernähren und auch sonst keine Manieren haben, nach den heute gültigen Maßstäben charakterlich einwandfrei und durchaus imstande sein, für die Grundbedürfnisse ihrer Hausfreunde zu sorgen, aber sie sollten sich keine Katzen ins Haus holen, sondern lieber Schildkröten im Keller halten. Oder gleich Plüschtiere sammeln. Bestimmt galt Anton, in dessen Wohnung ich als unschuldiges Jungtier geraten war, in seinen Kreisen als gutmütig und zuverlässig. Aber je älter ich wurde, desto mehr störte mich, daß er den einzigen bequemen Sessel beanspruchte, unangenehm nach Bier roch, die besten Brocken alleine fraß und seine Frau taktloserweise in meiner Gegenwart »Mausi« nannte. Wie sie wirklich hieß, habe ich nie erfahren. Sie war ständig abgehetzt und miesduftete ebenso, trug Stöckelabsätze, die schlimm auf dem teppichlosen Boden in Küche und Diele lärmten, und immer brettharte Jeans. Die empfinde ich als pfotenunfreundlich und schmusefeindlich. Als Hausfrau war die Hosenträgerin indiskutabel. Meistens fütterte sie sich und ihren Anton mit Pizza (nur Gemüse!) und Frühlingsrollen ab, die spätabends in großen weißen Kartons angeliefert wurden. Natürlich hatte sie auch nicht den notwendigen Spürsinn für die feinere Lebensart, die eine Rassekatze braucht, um wenigstens zufrieden zu sein. Hätten mir Pizza-Anton und seine Fertiggericht-Frau sonst den albernen Namen Cleo und einen Blechnapf zugemutet, den sie ausgerechnet neben meine Toilette stellten?

Die beiden hielten sich, weil sie mich einst aus einem Tierheim geholt hatten, in dem meine bedauernswerte Mutter niedergekommen war, für gut und katzenfreundlich. Aus ihrer Sicht mag das sogar gestimmt haben, aber mir reicht es nun mal nicht, ein Dach über dem Kopf und einen vollen Napf zu haben. Selbst das alberne Wort Streicheleinheiten trifft auf meine Vorstellungen vom wahren Katzenglück nicht zu. Die flüchtig tätschelnde Hand ist mir zu wenig. Um schnurrselig zu sein, will ich standesgemäß speisen, geliebt werden und selber lieben können.

Allerdings habe ich nie versucht, Anton und Mausi auf mein Niveau zu heben. Die beiden waren dressuruntauglich und unfähig zur Hingabe. Kein einziges Mal sprang ich auf Mausis knochigen Schoß, nie strich ich um Antons Beine. Männer, die zu Hause Pantoffeln tragen, haben kein Flair und stehen für mich auf der gleichen erotischen Stufe wie Kartoffelchips-Mümmler. Lieber lasse ich mein Herz verkümmern, als es einem Unwürdigen zu schenken. Meine sogenannten Bezugspersonen waren von beklagenswertem Mittelmaß. Wirklich wichtig schienen ihnen nur Radieschen und Rosenkohl. Ihren Schrebergarten, aus dem sie im Sommer verschwitzt, mit vollen Obstkörben und liederlich gebundenen Blumensträußen nach Hause kamen, die sie in Einmachgläsern hätschelten, liebten die beiden wie einen Hamster, der ja auch nur Arbeit macht, ohne sich dafür zu bedanken. Sie konnten, während sie an ihren selbstgezogen Karotten kauten, stundenlang von Regen und Rasen reden, ereiferten sich über Rosensamen und Rettiche und quatschten von Biomüll und Käfern. Ich bin aber nun mal keine Landpomeranze, hörte also selten bei solchen Gesprächen zu und döste vor mich hin. Am Samstag vor unserer Scheidung wachte ich allerdings im genau richtigen Augenblick auf. Unmittelbar nach der Übertragung der Lottozahlen im Fernsehen sagte Anton: »Ich habe schon wieder zwei neue Mauselöcher entdeckt. Es wird wirklich Zeit, daß wir Cleo in die Hütte schaffen.« Zunächst glaubte ich, daß ich mich verhört hätte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß von mir die Rede war und ich fortan in einem Schrebergarten logieren sollte. Die Idee war ebenso roh wie absurd. Als Anton aber immer weiter von Mäusen und den Schäden unter seinem Apfelbaum quasselte, erkannte ich doch sehr schnell den Ernst meiner Lage.

Empörung und Wut lähmten mich. In mir würgten Schmerz und Ekel. Trotz aller Vorbehalte gegen die Radieschenfans wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß Leute so infam und grausam sein können. Katzen sind doch keine Menschen. Uns kann man nicht nach Belieben umsiedeln und Aufgaben zuweisen, die unsere Ehre verletzen. Wir sind zum Herrschen geboren, nicht zum Dienen geschaffen. Gerade eine Siamkatze ist eine edle Persönlichkeit und kein gemeiner Dorfkater, der sich sein Futter durch die doch sehr ordinäre Mäusejagd verdienen muß. Ich bin keine Killernatur und habe ein gespaltenes Verhältnis zu Mäusen. Ich töte sie, wenn überhaupt, höchstens zum Spaß und dann, um sie Menschen, die ich achte, als Zeichen meiner Liebe zu Füßen zu legen.

»Wir könnten sie ja morgen hinbringen«, sagte Mausi, »da haben wir Zeit zu sehen, wie sie sich in der Laube eingewöhnt.«

»Nicht mit mir«, hißte ich, »mich kriegt keiner in eine Dreckslaube.«

Ich wußte nur allzu gut, daß die beiden mich nicht verstehen konnten, aber ich brauchte in diesem grauenerregenden Moment den Klang meiner Stimme. Ich mußte mich laut zum Widerspruch ermutigen, wTollte ich nicht für immer verstummen. »Für eure blöden Mäuse müßt ihr euch schon einen anderen Clown suchen«, brüllte ich. »Was das Viech immer nur hat?« fragte Anton, dummkratzte sich am Kopf, trank sein Bier aus und ging ins Bett.

Ich beneidete ihn sehr um seinen Schnarchschlaf. Für mich wurde es eine unruhige und lange Grübelnacht. Ich fühlte mich gedemütigt, unverstanden und ungeliebt. Mein Stolz war gebrochen, mein Selbstbewußtsein von einem gewissenlosen Dosenmonster zermalmt worden.

Ich wollte nur weg von Menschen, die die Würde einer Katze so grob mißachteten, und doch hatte ich Angst vor der ungewissen Zukunft, die mich erwartete. Wir Siamesen lieben unsere Freiheit mehr als unser Leben, und wir sind bereit, unser letztes Barthaar für unsere Souveränität zu opfern. Wir haben aber niemals darauf bestanden, die Barrikaden selbst zu erstürmen. Siamkatzen sind Denker. Sie lassen lieber diejenigen handeln, die mehr Kraft in den Pfoten als im Hirn haben. War ich dem Überlebenskampf auf der Straße überhaupt gewachsen, der vulgären Balgerei um Futter, der unverdaulichen Moral der Mülltonnenwühler? Ich wußte noch nicht einmal, wie eine Katze um Asyl bittet, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen. Meine Unentschlossenheit und Panik machten mich appetitlos und melancholisch. Ich war kummerkrank, sorgengebeutelt und nicht mehr imstande, mein Fell zu putzen, meine Erniedrigung wegzulecken, wollte nur noch schlafen und nie mehr denken. Meine Pfoten schmerzten und noch mehr mein Herz.

Am Sonntag morgen wachte ich mit trüben Augen und trübem Sinn auf. Noch immer wußte ich nicht, wie ich reagieren sollte. Früher als sonst stampfte Anton in die Küche. Er ließ den verhaßten Dosenöffner aufheulen, spachtelte das Futter aus der Dose, während er zum Fenster hinaussah, nahm noch nicht einmal eine Gabel, um mundgerechte Happen aus dem Matsch herauszudrücken, und brummte ein paar Worte vor sich hin, die ich nicht mehr gehört habe. Ich sah nur meinen Napf, und mit einem Mal begriff ich, was ich zu tun hatte.

Springen, fliehen, wieder eine Katze werden, die sich nicht vor sich selbst schämen mußte! Die Zeit der Selbstverleugnung war vorbei, vorbei, vorbei. Meine Krallen wurden scharf und tatenfroh. Dieser Hundsmensch hatte mir tatsächlich Lammfleisch in Jelly aufgetischt – das neueste Produkt der Firma Felidia. Ich kannte es aus der Fernsehwerbung und war entschlossen, es nicht zu kosten. Die großen Brocken glänzten grau im Wabergelee. Sie rochen ebenso penetrant wie das Kaninchen in Wildsauce, das die Firma vor einigen Wochen nach Protesten der Europäischen Katzenunion vom Markt genommen hatte. Lieber wollte ich mein ganzes Leben lang Mäuse fangen als nur ein einziges Mal Lammfleisch in Jelly zu essen.

Anton pantofellschlurfte aus der Küche zurück ins Schlafzimmer. Ich sah seinem Bierbauch nur einen Augenblick nach, rief ihm zu, er solle »Mausi« und alle seine Mäuse im Schrebergarten grüßen, und gönnte mir die letzte Bedenkzeit, die wir Siamesen brauchen, um uns ganz sicher zu sein, daß wir keiner impulsiven Regung nachgeben. Wir mißbilligen Spontanhandlungen und begeben uns nie auf die niedrige Ebene plötzlicher Wutausbrüche. Langsam hob ich den Kopf und fixierte das offene Fenster. Wer uns schwarzgesichtige Schönheiten nicht kennt, hätte meinen können, ich plante einen trägen Tag und träumte von Kaviar und Kuschelmenschen, doch ich war bereits reisefertig und muskelangespannt. Leichtpfotig und auf eine seltsam belebende Art auch vergnügt, sprang ich auf das Fensterbrett, schaute in die totale Tiefe, kugelte meinen Körper ein und raste der unbekannten Fremde entgegen.

Wie günstig waren mir die Umstände, wie gnädig das Schicksal. Sanft landete ich auf dem kleinen Rasenflecken des winzigen Vorgartens, blieb nur kurz liegen, konnte ohne Benommenheit meine Pfoten behandeln, meine Ohren ausschütteln und die Muskeln lockern. Geschmeidig schlüpfte ich durch den Lattenzaun, machte meinen Körper groß und eindrucksstark und ließ endlich den Rausch zu, nach dem es mich so lange verlangt hatte. Ich war frei, konnte gehen, wohin ich wollte, mir einen neuen Menschen suchen oder nicht, vielleicht sogar ein neues Heim. Das einzig mögliche Katzenglück war mein – ich würde nur noch dem Liebe schenken, der meiner Liebe würdig war. Zufrieden lief ich die sonntäglich stille Straße entlang, hörte Amseln locken, einen Hund töricht bellen, spürte die herbstliche Mildsonne auf meinem Rücken, sah Menschen, die mich nicht bemerkten, und erreichte bald eine breite Allee mit blattraschelnden Bäumen in der Mitte und zu beiden Seiten Autos, die wie Lammfleisch in Jelly stanken und wie ausgerastete elektrische Dosenöffner lärmten. Ich rannte und schlich, blieb stehen und meditierte, sah furchterregend hohe Häuser mit dicken grauen Mauern und großen Fenstern und fühlte immer wieder, daß ich weiter wollte und nicht wußte, wohin. Das Ziel war ungewiß, und doch kannte ich die Richtung. In mir war keine Angst, aber ich spürte doch schon den kleinen Hunger und den großen Durst.

»Bleib nicht stehen, weiter mußt du gehen«, befahl meine Kehle den Pfoten.

Mein Schatten war groß, als ich schließlich zu hübschen, niedrigen Häusern gelangte. Anders als die vielen Gebäude zuvor, die ich auf meinem langen Marsch gesehen hatte, wirkten diese Häuser mit ihren weißen Mauern und roten Dächern absolut nicht mehr wie Käfige für Legehennen. Sie schienen mir behaglich, ruhig und warm. Ich stellte mir vor, daß Menschen, die in solchen Häusern wohnten, bestimmt angenehm waren und Sinn für Harmonie und Schönheit hätten. Gewiß auch bequeme Sofas, weiche Betten, artgerechte Teppiche und kultivierte Saucenrezepte.

Einmal glaubte ich, eine gute Hollandaise zu riechen. Oder war es eine in Butter geschwenkte Scholle? Ach, schon das bißchen Phantasie hat mich korrumpiert. Ob wir es zugeben oder nicht, Katzen sind Sklaven eines Naturells, das sich nach Sicherheit, Ruhe und Zuspruch sehnt. Wir haben die große Freiheit zu unserer Sache gemacht, und natürlich verteidigen wir sie bis zur letzten Kralle, aber wir schätzen es sehr, wenn die Freiheit gemütlich ist und nach Speck und Sahne duftet. Und nach Liebe. Nie hätte ich gedacht, daß ich das so schnell erkennen würde. Ich war kaum von den Menschen fort, und schon sehnte ich mich nach der Zärtlichkeit einer Streichelhand, nach einem sanften Wort und guten Mahl.

Die Heftigkeit meines Verlangens beschämte mich. Sie ließ mich die Müdigkeit meiner Glieder spüren, die Schwäche meines Willens und den Schmerz der Ausgestoßenen. Am Ende war ich gar keine richtige Krallenemanze, sondern nur eine zarte, schutzbedürftige Katze ohne Habe und ohne Hoffnung. Verwirrt schlüpfte ich durch eine dichte Hecke in einen großen Garten. Astern nickten mit schweren Köpfen, die Erde roch süß, noch wärmte die Sonne. Ich hörte Vögel im Gebüsch. Oder war es die hohe Tanne, die mir zurief? Der zweite Ast wippte einladend im Wind. Ich machte meinen Körper klein, erstürmte den freundlichen Baum und schlief sofort ein. Erst am nächsten Morgen wachte ich auf. Kaum hatte ich meine Augen geöffnet, sah ich die große helle Küche. Schneeweiß waren die Gardinen, gut geputzt der Herd, auf dem zwei goldene Töpfe standen. Wer in denen rührte, war bestimmt kein Ketchup-Typ, der Lammfleisch in Jelly aus Dosen grub. Natürlich habe ich mir gesagt, daß Unabhängigkeit in einem Katzenleben sehr viel mehr wert ist als ein schöner Suppentopf und daß ich mich nicht an die erstbeste Bratpfanne binden durfte, aber ich konnte meinen Blick nicht mehr von dem katzentollen Küchenparadies abwenden, das sich mir aufgetan hatte.

Der Tisch aus gutem bißfesten Holz war so niedrig, daß ich mich im Stehen würde bedienen können. Der Mülleimer ließ sich leicht öffnen. Der Kühlschrank hatte einen Griff, den ich mit einem einzigen Pfotentwist aufbekommen konnte, die Tür zur altmodischen Speisekammer stand offen. Noch sah ich nichts, aber Visionen von Butter und Salami trieben die gefährliche Hungerglut in meine Augen. »Abwarten ist erste Katzenpflicht«, warnte ich mich. Und doch beschäftigte mich die Kardinalfrage sehr, wie eine Katze so unauffällig um Asyl bittet, daß es aussehe, als sei sie nur zu einem nachbarlichen Plausch vorbeigekommen. Selbstverständlich löste ich das Problem rasch und souverän, aber noch mußte ich prüfen, ob es zukunftsklug war, eine so wichtige Entscheidung einem leeren Magen zu überlassen. Ich beschloß, bis Sonnenuntergang zu meditieren und mich mit dem Bestaunen der Küche zu begnügen.

Schon am frühen Nachmittag indes siegte meine Neugier. Ich schlüpfte auf den untersten Ast und hatte von dort einen großartigen Blick auf den hellen Wohnraum. Tiefe Sessel und ein allerliebstes Zweisitzersofa waren mit kratzanimierendem Plüsch überzogen. Überall lagen kleine farbige Kissen aus Seide. Obwohl ich noch nie Seide touchiert hatte, drängte es mich nach solch schillernder Herrlichkeit. Meine Krallen zuckten. Ein runder Tisch mit geschwungenen Beinen – optimal, um einen Katzenrücken froh zu reiben – stand auf einem dichtgewebten beigen Teppich.

Verzückt stellte ich mir vor, wie gut dieser Teppich zu meinem cremefarbenen Fell passen würde – Klassekatzen mit Stilempfinden schätzen es nun mal, wenn ihre äußere Erscheinung mit der Wohnungseinrichtung harmoniert. Auf dem Tisch lag ein bordeauxfarbener Läufer mit schwarzen Schlangenlinien und hellen Medaillons. Großer Herzjubel. Nur ein feinsinniger Mensch schützt seine Tischplatten mit Teppichen. Biederleute kaufen glitschige Satindecken, an denen unsere empfindsamen Krallen hängen bleiben, was uns nervös und lächerlich macht. In meiner Kehle explodierten Schnurrlaute. Noch während ich mein Fell leckte und sorgsam Brust und Kopf putzte, begriff ich die Botschaft. Die Hausherrin (es konnte nur eine Frau sein, die auf einen so kuscheligen Teppicheinfall gekommen war) verdiente es, daß ich ihr wenigstens die Chance gab, mich kennenzulernen.

Lange brauchte sie nicht zu warten. Mit einer Gießkanne betrat die Schloßherrin ihr Gemach und schritt zu ihren Grünpflanzen. Welch exquisites Augenfutter! Die Frau war ebenso schön wie ihre Sessel und Teppiche und trug einen langen, weiten Rock aus leichtem Samt. Dieser Schmuserock mit den tiefen Falten, die ideal waren für eine zärtlich gestimmte Katze, war ein Wunder. Mein Herz sagte mir, daß ich diese außergewöhnliche Erscheinung, die in ihrem gepflegten Heim Röcke trug statt Schlamperjeans, unbedingt adoptieren mußte.

Rockfrauen sind bekanntlich sehr liebesfähig und leicht dressierbar. Meine war zwar ein wenig zu groß geraten, aber rundum gut gepolstert. Ihre beruhigende Körperfülle quoll appetitlich aus Rockbund und Bluse. Herrliche lange Haare fielen auf breite Schultern. Schon sah ich mich auf ihrem Schoß liegen und schmusen. Wie mochte die Haut dieser wohlgenährten Glücksfee riechen? Bestimmt waren ihre Hände warm und freigebig, ihre Speisekammer gut gefüllt.

Ein verfrühter Bettellaut entschlüpfte meiner Kehle. Ich schüttelte den Kopf. Schwere Tropfen fielen von meinen Ohren. Es hatte zu regnen begonnen. Blitze zuckten. Der erste Donner bellte. Zwar gehöre ich zu dem kleinen Kreis auserwählter Katzen, die weder Feuer noch Gewitter fürchten, aber ich spürte, daß ich nicht länger ohne Schutz und Labung bleiben durfte, wollte ich den Sprung in mein neues Glück als gepflegte Erscheinung antreten. Menschen glauben immer nur an den ersten Eindruck.

Heftiger Sturmwind drängte meine Pfoten zur Tat. Rasch kletterte ich vom Baum herunter, rannte zum Haus, drückte meinen nassen Körper einen Moment gegen die Mauer und sprang auf das Fenstersims. Mit der linken Vorderpfote kratzte ich gegen die Fensterscheibe. Meine langhaarige Adoptivtochter war gerade dabei, einen Teller auf den Tisch zu stellen, und hörte nichts. Ich buckelte mich groß, trommelte nun mit beiden Vorderpfoten und allen Krallen gegen die Scheibe und schrie mich kehlenwund.

Es dauerte menschenewig, ehe die süße Rockerin die Geräusche ortete und zum Fenster ging. Sie streichelte ihre Stirn und liebkoste eine Rose. »Bist du immer so begriffsstutzig?« brüllte ich. Sie riß das Fenster auf. Wehende Haare flogen auf mich zu; die weiße Haut ihrer kräftigen Arme erhellte die Dämmerung.

»Es regnet ja junge Hunde«, erzählte sie sich. »Hier regnet eine arme kleine Katze ein, Madame«, rief ich.

Da hat sie mich endlich entdeckt und sofort beide Hände nach mir ausgestreckt. Ich wich zurück. Sie sollte mich scheu und verwirrt wähnen. Allein der Mensch kann gezähmt werden, den es übermächtig drängt, einem hilflosen Geschöpf Obdach zu gewähren. Der Schönen gelang es nur mit großer Anstrengung, mich zu berühren. Sie lehnte sich weit aus dem Fenster und buhlte mit herzschmelzenden Locklauten um meine Gunst, doch ich blieb klug und kühl. Sie sollte zu mir kommen, nicht ich zu ihr. »Was machst du hier?« fragte sie. »Mein Gott, du bist ja pitschnaß, du armes Ding.« Ihre Stimme war herrlich, voll wie ihre Brust und der Schwung ihres Rockes. Berauscht flogen ihr meine Ohren zu, doch ich ließ sie nichts wissen von meinem Sieg, sondern duckte mich tief, als hätte ich Todesangst vor ihrer Hand. Entschlossen hob mich meine Retterin vom Fenstersims herunter.

Sie trug mich, die ich meinen Körper brettsteif machte, so vorsichtig zum Sofa, als fürchtete sie, meine zarten Glieder könnten brechen. Zuerst setzte sie sich selbst auf ein rosa Kissen, bettete dann mich auf ihren weichen Schoß und begann, meinen Bauch und Rücken mit dem Ärmel ihrer Bluse trockenzureiben.

»Gibt’s bei dir keine Handtücher«, fauchte ich, doch ich ließ sie beglückt gewähren. Mit zwei heißen Fingern, die aufregend nach Maiglöckchen dufteten, strich die Trostspenderin über die schwarzen Socken meiner Pfoten, streichelte meine Nase und gurgelte die ganze Zeit feine kleine Seufzer aus ihrem Mund, als wäre sie und nicht ich dem Regen entronnen. Bereits in diesem Moment hat sie sich mir ausgeliefert. Ich bin überhaupt nicht eitel, aber Wahrheiten darf man ruhig aussprechen: Den blauen Augen einer Siamkatze kann kaum ein Mensch widerstehen. »Wie schön du bist«, sagte meine Bewunderin, »ich wette, du weißt es auch. Oder schaut man bei euch nicht in den Spiegel?«

Ihr Lachen war sanft wie gute Katzenmusik. Sie ging rockschaukelnd in die Küche und kehrte mit einer zierlichen Untertasse zurück. Als ich das weiße Porzellan sah, wußte ich, daß ich die richtige Wahl getroffen hatte. Wer einmal aus dem Blechnapf fraß, kann sich auf seinen Instinkt verlassen.

Die warme Milch dampfte lockend und schlug kleine Wellen, doch ich rührte mich nicht vom rosa Kissen und machte meine Augen spaltklein. Ich durfte nicht hungrig, nicht gierig wirken und schon gar nicht wie eine kalbsdämliche Katze, die sich ihren Stolz für ein läppisches bißchen Milch abkaufen läßt.

Zu groß war die Versuchung. Ich sprang vom Sofa und ließ es zu, daß meine Zunge wie ein Pfeil aus dem Mund schoß, beugte mich tief über die Untertasse und trank noch den letzten Tropfen aus. Wie ein vulgärer Dorfköter habe ich mich aufgeführt. Ich schleckte sogar das Tellerchen rein und genierte mich sehr, doch ich spürte die sättigende Hitze in jedem Glied und schnurrte den kleinen Dank und die große Zufriedenheit.

»Wahrscheinlich hältst du das für einen Willkommenstrunk«, sprach meine Milchfrau und faltete ihre Stirn, »aber da hast du dich gründlich getäuscht. Am besten ich sags dir gleich. Ein Tier kommt mir nicht ins Haus. Die gute Julia ist kein Typ für Bindungen. Das wird dir jeder bestätigen, der mich kennt.«

Als die rührende Plapperziege das sagte, habe ich mich in sie verliebt, in ihr schönes Dummgesicht, in ihren Namen, ihre Naivität und Wehrlosigkeit, doch sie hat nichts von meiner Erregung gespürt. »Du Unschuldsengel«, sagte ich, »was verstehst du schon von Katzen? Quatsch nicht so blöd herum und hol mir lieber eine zweite Portion.« Julia hat nur mein Faucherchen und das große Glücksmaunzen gehört. Süß verlegen stand sie mit offenem Mund herum und spielte mit ihrem Haar. Wahrscheinlich würde sie meine Sprache nie erlernen, aber das war nicht wichtig. Hauptsache, ich verstand sie. Auf meine Menschenkenntnis war Verlaß. Frauen wie Julia mit Sinn für schönes Porzellan hatten das Talent, eine Katze glücklich zu machen. Nur das zählte.

Sie holte noch einmal Milch aus der Küche und sagte ziemlich albern, aber bewegend warmherzig: »Prost.«

Diesmal schlürfte ich nur einige Tropfen. Dann zwang ich mich fort vom nährenden Liebestrank, lief zum Tisch, rieb meinen Rücken an seinen Beinen und begann, mich auf dem weichen Traumteppich zu putzen. Schon gehörte er mir. Wie sie. Lange kaute ich an jeder Kralle und beobachtete, während ich die Nägel ausspuckte, meine bezaubernde Julia. Ob sie wirklich nicht wußte, daß die Katze sich für den Menschen entscheidet und nicht der Mensch für die Katze? Die Magie war alt und doch ewig neu. Julia hatte mir ihren Namen verraten und wußte nicht den meinen. Mir war nach dem Beweis zumute, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Ich stand schwerfällig auf, streckte mich klagend und hinkte mit der rechten Hinterpfote.

»Du armes Tier«, jammerte meine ahnungslose Beute, »bist du verletzt? Komm her. Laß mich mal dein Pfötchen abtasten.«

»Ist alles bestens«, lachte ich, machte ein paar graziöse Luftsprünge und den kleinen Salto. »Gott sei Dank«, rief sie, »ich hab mir eingebildet, daß du lahmst.«

»Setz dich lieber wieder hin«, befahl ich.

Und es klappte. Sie ging zum Sofa und schlüpfte aus ihren Schuhen. Ihre Füße waren nackt, der große Zeh schön fleischig. Ich knabberte zärtlich an ihm, legte meinen Kopf zur Seite, kullerte mit runden Augen und bettete mich auf ihren Fuß.

»Du kokettes kleines Biest«, schimpfte sie, doch hat sie sich nicht zu bewegen gewagt.

Natürlich wurde ich wach, als Julia mich in ihr Schlafzimmer trug, aber so satt, schlafschwer und selig, wie ich war, fiel es mir leicht, die Augen nicht zu öffnen. Ich atmete wie ein erschöpftes Tier, das im letzten Moment vor dem Tod errettet worden ist.

»Nur heute«, murmelte Julia und legte mich auf ihr Bett.

»Denkste«, jauchzte ich.

2.

Ich trinke lieber frische Sahne als Milch«, gestand ich Julia zwei Tage nach meiner Ankunft.

Mein bescheidener Wunsch ging zwar mit einer Woche Verspätung in Erfüllung, ich blieb jedoch geduldig. Julia durfte nicht überfordert werden. Sie war leider lernschwach und verstand selten, was ich ihr mitteilen wollte, weil sie kein Gefühl für Körpersprache hatte. Um so liebenswerter war ihr großer Eifer, sich auf mich einzustellen. Wir hatten uns zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt kennengelernt. Zu Beginn unserer Partnerschaft ging Julia kaum aus dem Haus und widmete sich mir mit einer Hingabe, die meine Erwartungen weit übertraf.

Hatte meine Auserwählte auch keine Ahnung von Katzen, so doch eine natürliche Begabung, um aus Leben Lust zu machen. Die erste Inspektion von Kühlschrank und Speisekammer war Beweis genug. Sie waren beide gut und durchdacht gefüllt und ließen den Schluß zu, daß Julia Spaß daran hatte, sich selbst ordentlich zu versorgen, obwohl sie offensichtlich allein lebte. Mir war klar, daß sie gewiß keine Mühe scheuen würde, um auch mich glücklich zu machen.

Ihr gesunder Appetit und die Art, wie sie ihm nachgab, machten mir sättigend bewußt, daß ich auch kulinarisch das große Los gezogen hatte. Julia hatte nur einen altmodischen, kaum benutzten Dosenöffner, kam ohne die heute leider gängigen billigen Gewürztricks aus und kochte mit ebensoviel Fett wie Liebe. Obwohl ich Spaghetti nicht al dente schätze, delektierte ich mich – zu ihrer großen Freude – bei unserem ersten Mahl an einer köstlichen Miesmuschelsauce.

»Nur den vielen Knoblauch solltest du dir abgewöhnen«, schlug ich vor.

Auch zwischen den Mahlzeiten stellte ich mich voll auf die famose Löffelschwenkerin ein und beschränkte meine Schlafphasen auf das nötige Minimum. Das war enorm stressig, doch ich habe das Opfer nie bereut. Eine Katze, die im diffizilen Kennlernstadium auf Eigenleben und Ruhepausen besteht, sollte erst gar nicht versuchen, einen Menschen mit ausgeprägter Persönlichkeit und Vergangenheit zu dressieren. Für bequeme Naturen empfiehlt sich eher eine Wohngemeinschaft junger, unkomplizierter Leute.

Ich startete umgehend mit dem Lehrpensum. Es war wichtig, Julia klarzumachen, daß ich nicht als flüchtiger Gast in ihr Haus gekommen war. Zunächst mußte ich ihr dennoch die Illusion lassen, sie hätte noch alle Trümpfe in der Hand. Es ging ihr nicht allein darum, ihr Gesicht zu wahren. Mir dämmerte sofort, daß ihr Herz irgendwann einen großen Schock erlitten haben mußte und daß sie seither Angst hatte, ihren Gefühlen zu vertrauen.

Die Ärmste machte es sich unnötig schwer. Sie langweilte mich mit ihren abstrusen Vorstellungen von Individualität und Unabhängigkeit, fürchtete dabei jedoch auf entlarvende Weise, ich könnte sie beim Wort nehmen und sie wieder verlassen. Ich mutmaßte ein frühkindliches Trennungstrauma. Julia ließ nie die Wohnungstür offen, baute sich wie eine Gefängniswärterin vor offenen Fenstern auf oder kippte sie in die Schräge – ein sicheres Zeichen, daß sie von Katzen keine Ahnung hatte. »Hör auf mit dem Quatsch«, beruhigte ich sie, als sie wieder einmal hysterisch zur Tür raste, »ich weiß genau, was ich will. Hierbleiben. Also räum endlich dein Badezimmer auf.«

Das Badezimmer war eine Aromawonne. Es duftete himmlisch nach den Maiglöckchen, die mir am ersten Abend angezeigt hatten, daß ich und Julia füreinander bestimmt waren. Mich störten nur die vielen Flaschen, Töpfchen, Tuben und Dosen auf dem kleinen Wandregal, das ich als Absprungbasis zum Medizinschrank brauchte.

»Komm da bitte runter«, mißverstand Julia, als ich geschickt mitten in ihrer Flaschenbrigade landete. Sie versuchte noch, mir mit ihrem Finger zu drohen, senkte ihn jedoch prompt, als die Scherben flogen und große Wolken von Maiglöckchenduft auf sie niederrieselten.

»Ausgerechnet mein teures Diorissima«, jammerte der kleine Schreihals, »das ist mein Lieblingsparfüm.«

»Meins auch«, dankschnurrte ich verzückt. Beglückend still hat Julia die Glassplitter eingesammelt und das Regel entsorgt; noch heute zählt der Medizinschrank über dem Waschbecken zu meinen Lieblingsplätzen. Die Leuchtröhre des Schränkchens wärmt famos und hat genau die richtige Länge für mich. Will ich mich von Grund auf entspannen, kringele ich meinen Schwanz um den Körper, bette den Kopf auf die Vorderpfoten und hänge die beiden anderen herunter.

»Na, läßt du deine Seele baumeln?« fragte Julia jedes Mal, wenn sie mich so liegen sah, und stets hat sie geseufzt und ihre Augen dunkel gemacht. Ich zuckte anfangs nur leicht mit der Pfote. Konnte ich ahnen, weshalb sie oft von der Seele sprach und daß ihre auf der Suche war? Zunächst wußte ich ja nur, daß Julia einen Komplex hatte und ich ihr den ausreden mußte. Diese liebenswerte, vertrauenerweckende Frau machte sich ein total verzerrtes Bild von ihren Fähigkeiten. Weil ich bleiben wollte, war es meine Aufgabe, ihr umgehend begreiflich zu machen, daß sie, ganz entgegen ihrer Vermutung, eine große Begabung zur Liebe hatte und durchaus bindungsfähig war.

Es wurde mir Ehrenpflicht, Julias Selbstvertrauen zu stärken. Die Gute brauchte im wahren Wortsinn nur einen freundlichen Schubs, um an sich und ihr gütiges Herz zu glauben. Schon nach den ersten paar Tagen der neuen Zeitrechnung verließ ich, kaum daß es hell wurde, den kuscheligen Platz am Fußende des Betts. Energisch pfotete ich über Julias komfortablen Körper, setzte mich neben ihren Kopf und schleckte sehr vorsichtig ihr Gesicht ab. Drei Leckerli genügten. Dann war sie wach genug, um mitzudenken.

»So zärtlich hat mich seit Jahren niemand mehr geweckt«, staunte sie beim ersten Mal. Ihr Flüstern verriet mir alles, was ich wissen wollte und mußte. Ich knabberte vorsichtig an ihrem Hals. Sie begann zu kichern, ich zu schnurren. Wir vergnügten uns mit diesem schönen alten Lockspiel, als hätten wir uns seit Jahren gekannt.

»Du hast ja eine ganze sanfte Stimme, Prinzessin«, lachte Julia.