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Dieses Buch lässt niemanden unberührt. In letzter Minute wird die zehnjährige Fanny von der mutigen Anna vor der Deportation gerettet. Ihre Großmutter Betsy überlebt Theresienstadt, verliert Mann, Tochter und Enkelsohn und stellt sich doch dem Leben - zwei Wunder aus einer Zeit, in der Tragödie und Hoffnung so dicht beieinanderstanden wie nie zuvor. Der dritte Teil der Familienchronik schildert, wie es jenen Mitgliedern der Familie Sternberg erging, die den Mördern entkommen konnten und nun in der ganzen Welt verstreut sind. Er ist auch eine Hommage an die Frauen Deutschlands, die in den Ruinen vor den Trümmern des Lebens standen und die doch nicht aufgaben.
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Seitenzahl: 364
Verwandtschaft bedeutete den Halt und den Funken Hoffnung, den der ins Leben Zurückgestoßene brauchte, um sich nicht aufzugeben. Nur die eigenen Leute wussten, wer man gewesen war; sie waren die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart.
Morgennebel umhüllte die Häuser im Frankfurter Ostend. Herbstschwer lag er auf den welkenden Blumen in den kleinen Vorgärten und auf den dichten Hecken, die vor fremden Blicken zu schützen hatten. Im Dunst des beginnenden Tages waren noch nicht einmal die stämmigen alten Eichen und die mächtigen Kastanienbäume am Straßenrand auszumachen, die der Straße ihren beruhigenden, dörflich-behäbigen Charakter gaben. Dann, so plötzlich wie unerwartet, tauchte aus dem erstickenden Nebelgrau die Großmarkthalle auf. Einen Moment schien der Anblick des imposanten Gebäudes die verängstigten und zu Tode erschöpften Menschen, die dorthin getrieben wurden wie das Vieh zum Schlachthaus, zu beruhigen. Ein paar erleichterte Seufzer, ein vereinzeltes »Ach«, sogar das Händeklatschen zweier Kinder, die von nichts wussten, waren zu vernehmen, doch die Gnade, die Wirklichkeit nicht mehr einordnen zu können, währte nicht länger als einen Herzschlag.
»Los, ihr verdammtes Judenpack!«, brüllte die Stimme des Entsetzens.
Die Großmarkthalle, der Stolz der Frankfurter, war in den Jahren 1926 bis 1929 gebaut worden; in den Zwanzigern galt ihre Technik als einmalig und wegweisend. Der Bau machte im ganzen Reichsgebiet Furore und wurde als Sinnbild für eine neue, freie Zeit gefeiert, doch im Herbst 1941 hätten es auch die Mutigsten nicht mehr gewagt, in der Öffentlichkeit an die Zeit von Hoffnung und Aufbruch zu erinnern.
Für die jüdischen Bürger, denen es nicht gelungen war, die Stadt rechtzeitig zu verlassen und Rettung im Ausland zu suchen, war die einst mit Ehrfurcht bestaunte Großmarkthalle zur Endstation aller Hoffnung auf Leben geworden. Obwohl niemand offiziell von den sogenannten »Judenaktionen« und Deportationen wissen durfte, war doch bekannt geworden, was die Unglücklichen dort erwartete. Zunächst wurden sie in den Keller getrieben, zum wiederholten Mal auf Wertsachen untersucht, immer wieder aufs Neue gedemütigt und schikaniert, weder mit Essen noch mit Wasser versorgt, körperlich bestialisch gequält und schließlich in Eisenbahnwaggons nach Osten abtransportiert. Keiner wusste, wohin die Reise ging. Es gab täglich neue Gerüchte, die sich alle widersprachen und die die Menschen nicht glaubten, weil ihnen das Unglaubliche noch nicht begegnet war, und doch spürte ein jeder, dass es von der Großmarkthalle aus keine Rückkehr mehr geben würde. Frankfurt, die heiß geliebte Vaterstadt, hatte das letzte Band zu seinen Juden zerschnitten, hatte sie endgültig aus der Gemeinschaft seiner Bürger gestoßen und sie für vogelfrei erklärt.
Die Großmarkthalle mit ihrer breiten Front und den vielen Fenstern machte den Verzweifelten für einen wunderbaren Moment den Mut, den sie brauchten, um nicht zusammenzubrechen und auf der Straße liegen zu bleiben. Das vertraute Haus zu sehen brachte den Trost, den die Verzweifelten immer noch zuließen. Jenen, die sich trotz allen Leides, das ihnen bereits widerfahren war, nicht vorzustellen vermochten, wie das letzte Kapitel ihres Lebens ausfallen würde, erzählte dieser falsche Trost Geschichten aus der Zeit ohne Demütigung und Verfolgung. Bildhafte Geschichten waren es, die die Seele beruhigten und Ängste linderten.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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