Das Haus Zamis 33 - Ernst Vlcek - E-Book

Das Haus Zamis 33 E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Ich werde sterben. Damit habe ich mich abgefunden. Das Leben ist ohnehin nur eine Bühne, auf der man seine verschiedenen Auftritte hat. Wenn ich in Kürze mit Sheridan auf diese Bühne gehe, wird das unser letzter Auftritt sein.
»Es ist gleich so weit, Coco«, sagt Sheridan Alcasta.
Er nennt mich bei meinem richtigen Namen, obwohl ich im Körper von Dr. Cheryl Evans stecke, in dem ich absolut hilflos bin. Ich kann mich keiner meiner Hexenfähigkeiten bedienen.
Der Capitano taucht auf. Er hat wieder sein Komödiantengesicht mit der langen Nase. »Wenn ich euch angekündigt habe, kommt ihr sofort auf die Bühne, und dann legt ihr einfach los. Verstanden?«

Coco, Georg und auch Sheridan Alcasta haben sich ans Festland gerettet - als Coco erfährt, dass ihr Originalkörper in Wien zu verwesen beginnt! Doch ihre schnelle Rückreise wird von einer grotesken Schaustellertruppe verhindert, die Coco zu einem Bühnenauftritt zwingt, mit Sheridan als krummem Harlekin an ihrer Seite!


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Seitenzahl: 135

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DER KRUMME HARLEKIN

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.

Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.

Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.

Auf weitere Konsequenzen verzichtet Asmodi vorerst, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Coco gelingt es, ihn zu befreien, doch im Anschluss verliert sie ihre Erinnerungen an die Reise ins centro terrae, so wie Merlin es ihr prophezeit hat.

Zurück auf der Erdoberfläche, erfährt Coco, dass Asmodis Groll auf die Zamis nicht geschwunden ist. Dennoch schließen Asmodi und Michael Zamis einen Burgfrieden. Die Leidtragende ist Coco, die in der Kanzlei des Schiedsrichters der Schwarzen Familie Skarabäus Toth von einer Armee von Untoten getötet wird. Im letzten Moment rettet sie ihre Seele in den Körper der Greisin Monika Beck. Als Toth den Zamis Cocos Leichnam präsentiert, schöpft nur Cocos Bruder Georg Verdacht. In Amerika spürt Coco inzwischen in Monika Becks Körper den Seelenfänger Sheridan Alcasta auf, der ihr helfen könnte, in ihren eigenen Körper zurückzukehren. Auf dem Rückweg geraten sie – zusammen mit Georg, der Coco gefolgt ist – in die Falle eines Dämons, der ihr Flugzeug entführt und abstürzen lässt. Als einzige Überlebende stranden Coco, Georg und Sheridan Alcasta an der Küste von Süditalien ...

DER KRUMME HARLEKIN

von Ernst Vlcek

Ich werde nun sterben müssen. Damit habe ich mich abgefunden. Das Leben ist ohnehin nur eine Bühne, auf der man seine verschiedenen Auftritte hat. Wenn ich in Kürze mit Sheridan auf die Bühne gehe, wird das unser letzter Auftritt sein.

»Es ist gleich so weit, Coco«, sagt Sheridan Alcasta.

Er nennt mich bei meinem richtigen Namen, obwohl ich im Körper von Dr. Cheryl Evans stecke. Seine Stimme klingt menschlich, obwohl er ziemlich monströs aussieht. Aber er hat eine gute Phase, er hat schon schlimmer ausgesehen. Ich habe ihn auch schon als formlosen zuckenden Schleimklumpen gesehen, der sich nicht einmal artikulieren konnte. Jetzt hat er wenigstens halbwegs seine frühere Gestalt angenommen. Hat Beine, die ihn tragen können. Verfügt über Arme und Hände, mit denen er gestikulieren kann.

Ihm wächst der Kopf halslos aus der Brust. Mit einem Gesicht, das Augen und einen Mund zum Sprechen aufweist. Aber nichts an ihm hat die richtigen Proportionen, alles ist irgendwie verschoben und verzerrt.

1. Kapitel

Immerhin ist er wieder er selbst.

Er verdankt seinen erfreulichen Zustand dem Umstand, dass er seine magischen Fähigkeiten aufgespart hat. Auf diese Weise konnte er sich regenerieren. Er hat seine Kräfte für diesen Moment gesammelt. Für den Showdown vor illustrem Publikum.

Sheridan scheint, wie ich, mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Dabei bekommt er nicht einmal einen Leichenschmaus als letzte milde Gabe.

»Wir haben keine andere Wahl.« Er spricht mit krächzender Stimme, aber verständlich. »Wir müssen diese Show abziehen.«

Er hat ja so recht. Es gibt keinen Ausweg für uns beide. Unser Schicksal ist miteinander verwoben. Wir sind aneinander gekettet. Man hat uns in die Enge getrieben.

»Du weißt, was du zu tun hast, Coco?«, fragt er nach.

»Ich bin Colombina«, antworte ich. »Ich werde die beste Colombina sein, die man je auf einer Bühne gesehen hat.«

»Dein Harlekin wird dich mit Würde in den Tod begleiten«, sagt Sheridan, der sich auf seine Rolle einstimmt.

Es ist grotesk. Es gibt kein ungleicheres Paar als uns. Ein verwachsener Harlekin und seine fluchbeladene Colombina. Eine Colombina in einem fremden Körper. Und ein Harlekin, der diese Colombina im richtigen Leben am liebsten zum Teufel schicken würde. Oder, besser gesagt, zu Asmodi, alias Anatol Chalkiris. Was ohnehin geschehen wird. Chalkiris hält alle Trümpfe in der Hand.

Das dämonische Publikum und die Vertreter der Mafia warten bereits auf unseren Auftritt. Asmodi, Herr über die Schwarze Familie, selbst ist noch nicht eingetroffen. Ebenso wenig wie Don Chiusa, der Pate der ehrenwerten Gesellschaft.

Ich blicke noch ein letztes Mal in den Spiegel. Ein fremdes Gesicht starrt mir entgegen. Ich habe mich längst schon an den Anblick von Dr. Evans gewöhnt, in deren Körper Sheridan mich versetzt hat. Sie hat immer schon einen ungesunden Teint gehabt, hat verhärmt und frustriert gewirkt. Aber jetzt sieht sie regelrecht krank aus, wie vom Tode gezeichnet.

Sheridan hat mir mit seinen ungelenken Fingern reichlich Schminke aufgetragen. Ein bleiches Gesicht mit roten Backen und grellroten Lippen blickt mir entgegen. Die dunklen Haare sind unter einer roten Perücke versteckt, die mit Flitter bestäubt ist. Ich entspreche nicht gerade der Colombina, wie sie die comedia dell'arte kennt. Aber Sheridan hat es nicht besser gekonnt, und der Capitano duldet es. Es ist ja nur für ein einziges und letztes Mal.

»Wir müssen die Groteske auf die Spitze treiben!« Mit diesen Worten hat Sheridan meine grelle Schminke begründet. »Wir halten ihnen damit einen Spiegel vor. Sie sollen in uns sich selbst erkennen.«

Ich zucke zusammen, als an der Tür zu unserer Umkleidekabine gerüttelt wird. Sie gleitet ächzend und knarrend auf, wie von Geisterhand bewegt. Und das entspricht auch den Tatsachen. Denn draußen ist niemand zu sehen. Nur von ferne ist unruhiges Geraune aus dem Zuschauerraum zu hören. Man wird allmählich ungeduldig.

Vor der Tür glimmt eine Schar von Irrlichtern auf, die einen wilden Reigen vollführen. Sie gemahnen uns an unseren Auftritt.

»Es wird Zeit für uns, Coco«, sagt Sheridan. Er blickt mich schräg von unten an. »Wie sehe ich aus?«

Zum Schreien komisch!, wäre die ehrliche Antwort gewesen. Aber dafür ist die Situation viel zu ernst.

Ich zupfe an seinem Harlekinskostüm herum und gebe ihm dann einen Klaps auf den krummen Rücken.

»Du siehst prima aus, Sheridan«, lüge ich, schiebe ihn zur Tür hinaus und folge ihm. Ich habe weiche Knie und einen Kloß im Hals. Der Weg zur Bühne ist wie der Gang zu unserer Hinrichtung. Und so ist es auch. Auf uns wartet der Tod. Sheridan will es nicht anders. Er hat keinen anderen Ausweg gefunden. Er will nur so viele Dämonen wie möglich mit ins Verderben nehmen.

Während ich mit zittrigen Beinen hinter Sheridan hertapse, rufe ich mir in Erinnerung, wie alles gekommen ist.

Wenn ich es mir recht überlege, haben wir nie eine Chance gehabt.

Unser Verhängnis hat schon begonnen, als wir an der Westküste Kalabriens gestrandet sind. Vielleicht wäre mit meinem Bruder Georg an meiner Seite alles anders gekommen. Aber Georg hat sich längst aus dem Staub gemacht. Und auf uns allein gestellt, sind Sheridan und ich hoffnungslos unterlegen gewesen. Wir haben zwei Fronten gegen uns gehabt. Die Schwarze Familie ebenso wie die Mafia.

Hinzu kommt, dass ich in Cheryl Evans' Körper praktisch hilflos bin. Ich kann mich keiner meiner Hexenfähigkeiten bedienen.

Noch ein paar Schritte bis zur Bühne.

Der Capitano taucht auf. Er hat wieder sein Komödiantengesicht mit der langen Nase.

»Wenn ich euch angekündigt habe, kommt ihr sofort auf die Bühne«, trichtert er uns ein. »Und dann legt ihr einfach los. Verstanden?«

Sheridan und ich nicken. Ich bringe keinen Ton hervor.

Während der Capitano durch den Vorhang zur Bühne verschwindet, überkommen mich Erinnerungen. Die Ereignisse der letzten Tage laufen noch einmal wie ein Film vor meinem geistigen Auge ab.

2. Kapitel

Der Sturm brach völlig überraschend über uns herein. Wir waren unvorbereitet, weil gerade noch Flaute geherrscht hatte. Wir näherten uns mit dem Rettungsboot der Westküste des italienischen Stiefels auf Höhe von Kalabrien. Nur noch mein Bruder Georg, Sheridan Alcasta und ich waren übrig geblieben. Zuletzt hatte es auch das bedauernswerte Mädchen erwischt, das als eines von zwanzig jungfräulichen Opfern für Asmodi bestimmt gewesen war.

Sheridan hatte nicht mehr die Kraft gehabt, menschliche oder wenigstens menschenähnliche Gestalt anzunehmen. Er war zunächst, als wir ihm nach den Ereignissen auf dem Kutter auf dem offenen Meer wieder begegnet waren, als fischartiges Geschöpf hinter dem Rettungsboot nach geschwommen und hatte sich soeben mit einem erstaunlichen Kraftakt an Bord geschnellt. Jetzt lag er als unförmiger Klumpen auf den Planken, unfähig, mehr aus sich zu machen.

»Wie geht es dir, Sheridan?«, fragte ich. Aber der einst gefürchtete Seelenfänger war außerstande zu antworten. Er stieß einen blubbernden Laut aus, war unfähig, sich zu artikulieren.

»Du musst dich regenerieren«, herrschte Georg die gallertartige Masse an, zu der sich Sheridan gewandelt hatte. »Wir brauchen dich – deine Fähigkeit – noch.«

Georg hatte immer noch die Hoffnung, dass Sheridan mich in meinen Körper zurückversetzen konnte. Ich hoffte das natürlich auch, aber so recht konnte ich nicht mehr daran glauben. Wenn ich mir den unförmigen Klumpen ansah, der Sheridan darstellte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass dieser erbärmliche Freak noch magische Kräfte zu mobilisieren vermochte.

»Er wird schon wieder«, sagte ich ohne besondere Überzeugung. »Nicht wahr, Sheridan?«

Der Gallertklumpen gab eine Art Rülpsen von sich.

»Wenn nichts mehr passiert, erreichen wir in der Morgendämmerung Land«, sagte Georg. Und als hätte er es herbeigeschrien, kam das Unheil ohne Vorwarnung über uns.

Plötzlich fegte eine Bö von Orkanstärke über uns hinweg. Das Meer bäumte sich mit Urgewalt auf. Das Rettungsboot wurde zum Spielball der Elemente und wurde wie eine Nussschale herumgewirbelt.

Georg stemmte sich mit verkniffenem Gesicht gegen die Gewalten. Er hielt das Ruder kraftvoll fest und versuchte, das Boot halbwegs auf Kurs zu halten.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu!«, schrie Georg, um das uns umgebende Tosen zu übertönen. Er war voller Zorn. »Da ist Magie im Spiel. Man will uns vernichten.«

Ich konnte ihm nicht widersprechen. Ein Orkan dieser Stärke bildet sich nicht aus dem Nichts.

Das Boot kippte von einer Seite auf die andere und tanzte im Kreise, so sehr sich Georg dagegen auch zu wehren versuchte. Aber er stand auf verlorenem Posten. Er konnte das Rettungsboot nicht manövrieren.

»Wir haben keine Chance, die Küste zu erreichen«, brüllte er.

In diesem Moment schwappte ein mächtiger Brecher über Bord und riss Sheridan mit sich. Georg schickte ihm einen wütenden Fluch hinterher, gerade so, als hätte sich der Letzte der Alcastas absichtlich aus dem Staub gemacht. Möglicherweise war es sogar so, denn das Wasser war im Moment Sheridans Element. Er konnte wenigstens versuchen, sich schwimmend aus der Gefahrenzone zu retten. Denn eines war klar: Wenn es sich um ein Unwetter handelte, das durch Schwarze Magie bewirkt wurde, so war es örtlich stark begrenzt.

Unser Boot bekam immer stärker Schlagseite. Und wie es auch schlingerte, welche Wellenberge über es hereinbrachen – es richtete sich nicht wieder auf.

»Wir haben ein Leck!«, schrie Georg und schickte einen saftigen Fluch hinterher. Das war jedoch nicht als Beschwörung gedacht; es war Ausdruck seiner Hilflosigkeit. »Wir müssen das sinkende Schiff verlassen, sonst reißt es uns mit ins Verderben.«

»Dann wird uns das Meer so oder so verschlingen!«, schrie ich zurück.

Georg schüttelte heftig den Kopf. Zornig, entschlossen. Ich hoffte, dass er ausreichend bei Kräften war, um seine magischen Fähigkeiten einsetzen zu können. Und dass er einen Ausweg gefunden hatte. Es war höchste Zeit, dass wir aus dem magischen Bereich flohen und uns vor diesen mörderischen Gewalten in Sicherheit brachten.

Plötzlich erstarrte alles um mich. Die Wellenberge schienen an ihrem höchsten Punkt einzufrieren. Ich begriff zuerst nicht, was passiert war. In meiner panischen Angst konnte ich nicht mehr klar denken. Dann wurde mir schlagartig klar, was das bedeutete: Die Zeit stand still. Ich sah, wie sich Georg durch die Momentaufnahme, zu der unsere Umgebung erstarrt war, auf mich zubewegte. Mein Bruder hatte seine wirkungsvollste Fähigkeit eingesetzt: Er versetzte die Zeit um uns in einen trägen Zustand. Das wild bewegte Meer tobte nicht mehr, es war wie eingefroren. War in eine langsamere Bewegung versetzt worden, die einer extremen Zeitlupe entsprach. Nur Georg und ich waren in eine magische Blase gehüllt, in der wir dem normalen Zeitablauf unterworfen waren.

Mein Bruder erreichte mich und riss mich an der Hand mit sich. Er manövrierte mich geschickt durch die aufgetürmten und erstarrten Wassergebilde nach backbord. Ich übersprang die Reling nach ihm und landete auf der festen Wasseroberfläche.

Durch den verlangsamten Zeitablauf hatte das Wasser seine Konsistenz so weit verändert, dass seine Oberflächenspannung uns tragen konnte. Es war ein eigenartiges Gefühl, über die fast zur Bewegungslosigkeit erstarrten Wasserberge zu laufen. Die Formationen wirkten so glasig wie Eis, aber es war kein Glatteis. Man rutschte nicht.

Ich blickte hinter mich, während Georg mich mit sich zog. Vom Boot war im Moment nichts zu sehen, weil die Wasserberge die Sicht verstellten. Aber als wir eine Anhöhe erreichten, konnte ich das Schiff in einem Wellental erkennen. Es hatte seine Lage nicht merklich verändert, seit wir es verlassen hatten. Es hatte nur eine etwas stärkere Schlagseite erhalten.

Wir überwanden Wellenberg um Wellenberg, ohne ein Ende der magischen Zone erkennen zu können. Vor uns lag eine Nebelwand. Wenn wir diese bezwangen, so dachte ich, würde das vielleicht auch die Überwindung der magischen Zone bedeuten.

Mein Bruder begann zu keuchen, und ich überholte ihn, sodass jetzt ich ihn mit mir zog. Die Aufrechterhaltung des Zeitfeldes schien ihn alle Substanz gekostet zu haben. Er würde das Zeitfeld nicht mehr lange stabil halten können. Ich bildete mir ein, dass sich die Wassermassen um uns bereits rascher zu bewegen begannen.

»Du darfst jetzt nicht schlappmachen, Georg«, herrschte ich meinen Bruder an. »Wir haben es bald geschafft. Wir müssen nur noch die Nebelbank durchdringen.«

Georg gab keine Antwort. Er torkelte wie ein Betrunkener. Er wirkte völlig ausgelaugt. Ich zerrte ihn weiter, aber er wurde immer schwerer.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass das Wasser unter mir nachgab. Und dann hörte ich ein Geräusch, das vorher nicht da war. Ein tiefes Brummen, das allmählich anschwoll. Es war das verlangsamte Heulen des Orkans und das Tosen der Wasser, das auf einmal zu hören war. Ich zog Georg näher an mich heran und stützte ihn. Ich musste ihn fast tragen. Er lastete bleiern auf mir, und er atmete rasselnd. Sein Gesicht wirkte schlaff, die Augen waren blicklos.

»Du musst noch durchhalten, Georg«, trichterte ich ihm ein. »Gib dich nicht auf.«

Ich versank bis zu den Knöcheln im Wasser und benötigte viel Kraft, um den nächsten Schritt zu tun. Das Wasser klebte breiig an meinen Schuhsohlen. Und Georg wurde immer schwerer.

Endlich erreichten wir den Nebel. Er war zäh wie Sirup. Er war so dick, dass man kaum atmen konnte. Ich meinte fast, ersticken zu müssen. Georg wirkte völlig benommen. Er schien nahe daran, die Besinnung zu verlieren. Es musste ihn unglaubliche Willensanstrengung kosten, sich bei Bewusstsein und das Zeitfeld instand zu halten.