Das Haus Zamis 48 - Rüdiger Silber - E-Book

Das Haus Zamis 48 E-Book

Rüdiger Silber

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Beschreibung

»Seid willkommen in der Bibliothek, Gervinus!«
Vor Johannes Gervinus stand ein kleiner, kahlköpfiger Greis, dessen Haarkranz und gesträubte Koteletten im Fackelschein schimmerten wie Silberwolle. Auf der Radieschennase saß ein goldener Kneifer, hinter dessen Gläsern helle Äuglein funkelten.
Gervinus’ Blick schweifte zu der fleckigen Lederschürze, die den Bauch des Alten verbarg, mit ihren Schlaufen voller blutiger Messer. »Wer seid Ihr?«
»Ich binde die Bücher ein«, schnarrte die Kreatur.

In der Biografie ihres Vaters hofft Coco einen Hinweis darauf zu finden, wie sie Wien aus Gorgos’ Bann befreien kann. Aber befindet sich diese Biografie tatsächlich zwischen den Buchdeckeln jenes geheimnisvollen Bandes, den sie in der Fernsehaufnahme gesehen hat? Coco macht sich auf den Weg ins Dracula-Museum nach Deutschland und betritt die lauernde Bibliothek ...


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Seitenzahl: 146

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE LAUERNDE BIBLIOTHEK

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.

Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.

Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.

Auf weitere Konsequenzen verzichtet Asmodi vorerst, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt. Merlin aber ist seinerseits gefangen – im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde. Coco gelingt es, ihn zu befreien, doch im Anschluss verliert sie ihre Erinnerungen an die Reise ins centro terrae, so wie Merlin es ihr prophezeit hat.

Zurück auf der Erdoberfläche, erfährt Coco, dass Asmodis Groll auf die Zamis nicht geschwunden ist. Dennoch schließen Asmodi und Michael Zamis einen Burgfrieden. Die Leidtragende ist Coco, die in der Kanzlei des Schiedsrichters der Schwarzen Familie Skarabäus Toth von einer Armee von Untoten attackiert wird. Coco flieht aus der Stadt, doch als sie bald darauf nach Wien zurückkehrt, hat der Dämon Gorgon der Zamis-Sippe den Krieg erklärt. Die gesamte Stadt – Menschen wie Dämonen – sind unter einer magischen Glocke zu Stein erstarrt. Wieder gelingt Coco im letzten Moment die Flucht, diesmal nach Indien, doch führt der Bann dazu, dass sie ihre Erinnerungen verliert. Kurz darauf erhält sie eine Einladung zu einem »Familientreffen« in Frankreich, bei dem sie ihren Geschwistern Lydia und Adalmar begegnet – und einen geheimnisvollen Hinweis auf die Biografie ihres Vaters erhält ...

DIE LAUERNDE BIBLIOTHEK

von Rüdiger Silber

»Many men have gone there, few have returned!«

Bela Lugosi in: The Black Cat

Es lief gut für Johannes Gervinus.

Das Gastgemach, das er auf Einladung des Grafen bewohnen sollte, war warm und vom gemütlichen Schein knisternder Flammen erhellt, die die Kammermagd im Kamin entfacht hatte. Außerdem hatte sie ihm einen porzellanenen Nachttopf und eine Karaffe mit klarem Wasser für die Nacht bereitgestellt.

Das Gelass war geräumig, mit schweren Schabracken vor den beiden Fenstern, und ausgestattet mit bequemen Möbeln. Nur ein Einrichtungsstück missfiel ihm, und dies war ausgerechnet das große, düstere Himmelbett. Mit seinen altersschwarzen Bettpfosten und dem Baldachin erinnerte es ihn an eine dieser offenen Leichenkutschen, die, von Rappen mit wippenden schwarzen Federbüschen gezogen und gefolgt vom Zug der Trauernden, den Sarg zum Friedhof brachten.

1. Kapitel

Gervinus' gepuderte Kopfzier schmückte jetzt den Perückenständer. Er hatte Leibrock, Weste und Halsbinde abgelegt. Hemd, Hose, Strümpfe und Schuhe hingegen hatte er anbehalten, denn es gab noch etwas zu tun in dieser Nacht.

Zunächst jedoch nahm er am Schreibtisch Platz, klappte sein Tagebuch auf, ebenso den Deckel des Tintenfasses, benetzte darin den Gänsekiel und schrieb zügig, in engzeiliger, minutiöser Handschrift:

Am dreizehnten Tage im Monate Septembris, 1749

Der Graf ist gänzlich arglos. Als ich heute am frühen Abend nach langer, beschwerlicher Kutschfahrt das Schloss erreichte, empfing er mich freimütig als den jungen Archivar und Bücherkundler, den er bestellt hatte, um seine wertvolle Hausbibliothek mit vielen, teils über zweihundert Jahre alten Bänden zu ordnen und zu katalogisieren.

Er ahnt nicht, dass meine wahre Absicht darin besteht, das rätselhafte Verschwinden zahlreicher Männer und Frauen aufzuklären, von dem die Landbevölkerung im Umkreis des Schlosses seit ungezählten Generationen angstvoll berichtet.

Seit vorhin bin ich mehr denn je der festen Überzeugung, dass wir es hiesig mit der Pest der Vampyre zu tun haben – jenen schrecklichen Leichensaugern und Blutschmätzern, von welchen der treffliche Dom Augustin Calmet in seiner Abhandlung so gelehrt berichtet.

Ich saß mit dem Grafen und seiner Gemahlin (einer betörend schönen Frau in den besten Jahren, wie ich nicht umhinkonnte festzustellen) an der Abendtafel (der Graf, ein großer Jäger, hatte tags zuvor bei der Sauhatz einen gefürchteten Keiler zur Strecke gebracht). Bisher hatte die Gräfin schweigend und geistesabwesend vor ihrem Teller gesessen, ohne den köstlichen Speisen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nun jedoch unterbrach sie die leutselige Unterhaltung, in die der Graf mich verwickelt hatte, und sprach mich an: »Ihr seid doch ein frommer und gelehrter Mann, Doktor Gervinus.«

Ich verneigte mich höflich in ihre Richtung, wobei mir das missbilligende Stirnrunzeln ihres Gatten nicht entging. Die Gräfin jedoch fuhr fort: »Was würdet Ihr von einem schrecklichen alten Buch halten, das vermittels eines hölzernen Pflocks, der es vom vorderen bis zum hinteren Einband durchdringt, auf ewig gegen unbefugte Neugier versiegelt ist? Ist Euch dergleichen schon einmal begegnet?«

Nunmehr schienen die dunklen Augen des Grafen Dolche auf seine Gattin abzuschießen.

Ich hingegen horchte innerlich auf, berichtet doch auch Dom Augustin vom Pfählen der Vampyre. Von gepfählten Büchern freilich hatte ich noch nie etwas gelesen oder gehört. Letzteres sagte ich der Gräfin und fügte vorsichtig hinzu: »Bei der Besichtigung der Schlossbibliothek in Gegenwart Seiner gräflichen Hoheit ist mir ein solcher Gegenstand nicht aufgefallen.«

Ohne darauf einzugehen und als würde sie den Groll des Grafen nicht bemerken, fragte sie weiter: »Nehmen wir an, ein solch sonderbarer Gegenstand existierte. Worin könnte die Veranlassung liegen, ein lebloses Ding wie ein Buch mit einem Holzpflock zu durchbohren?«

Im Gegensatz zu ihr sorgte ich mich um den gräflichen Grimm, den das Gesprächsthema geweckt hatte. Ich lächelte bemüht und erwiderte: »Das rechte Mittel gegen üble, schädliche Scharteken wie etwa den Hexenhammer der beiden verruchten Dominikanermönche, Bodins Démonomanie des sorciers oder Guazzos Compendium Maleficarum ist nicht ein Pflock, sondern der moderne Geist der Wissenschaft!«

Sie ließ sich nicht beirren: »Was würden Sie mit einem solchen Gegenstand anfangen – falls er denn existierte?«

Gewahrte sie meinen absichtsvoll ironischen Tonfall, als ich darauf antwortete?

»Ich würde ihn verbrennen – oder noch besser: ihn in geweihter Erde bestatten!«

Der Schreiber hielt inne, ergriff den Sandstreuer und schwenkte ihn über die vollgeschriebene Seite. Als die Sandkörner die frische Tinte aufgesogen hatten und die Seite trocken war, blies er den Sand fort, blätterte um und setzte den Gänsekiel von Neuem an:

Doch dummer Aberglaube ist meine Sache nicht. Auch dem unheilvollen Treiben der Vampyre gehe ich nicht als Gespensterseher oder Hexenjäger, sondern als nüchterner Wissenschaftler auf den Grund.

Schon heute Nacht werde ich hierzu den ersten Schritt unternehmen.

Nachdem er seine Eintragungen beendet hatte, klappte Gervinus das Tagebuch zu und verschloss es in einem Geheimfach seiner Reisekiste. Er ließ den Deckel einer großen silbernen Uhr aufspringen, nickte entschlossen und verstaute sie wieder. Dann entfachte er eine Talgkerze, steckte sie in einen Halter, schritt damit zur Tür seiner Kammer und legte die Hand auf die Klinke.

Doch er zögerte.

Nach kurzem Abwägen wechselte er den Kerzenhalter in die linke Hand. Mit der Rechten zog er den Degen aus dem Wehrgehenk, das er über eine der Stuhllehnen drapiert hatte. In den Stahl der Waffe war das Motto eingraviert: Ma main guide l›épée – que Dieu guide ma main ... »Meine Hand lenkt das Schwert – lenke Gott meine Hand.«

Solchermaßen gewappnet, lauschte er kurz an der Tür, zog sie dann auf und verließ das Zimmer.

Kaum hatte er den Gang betreten, der vor seinem Gemach lag, da versetzte ein Luftzug die Kerzenflamme in einen unruhigen Tanz. Der Korridor war kalt und düster. Die Degenklinge fing das schwache Kerzenlicht ein und ließ zuckende Reflexe über die Mauern irren. In den dunklen Winkeln schienen sich Schatten zu regen.

Leise zog Gervinus die Zimmertür ins Schloss. Sollte er sich nach rechts oder nach links wenden? Er hatte nur einen vagen Plan gefasst, der vorsah, in der Hoffnung auf zufällige nächtliche Entdeckungen unbemerkt durch diesen Trakt des gräflichen Stammsitzes zu streifen.

Schon hatte er entschieden, sich nach rechts zu wenden, da ließ ein Ton ihn innehalten, der scheinbar aus nächster Nähe an sein Ohr drang.

Ein Schauder überlief ihn; er lauschte wie erstarrt. Da – das Geräusch erklang erneut.

Es war das Flüstern einer Frau. Worte waren nicht zu unterscheiden, aber die Stimmlage war dringlich, flehend. Nach angespanntem Hinhören erkannte er inmitten der unverständlichen Silben einen Namen.

Seinen Namen.

Gervinus ... Doktor Gervinus ...

Jetzt meinte er auch die Stimme wiederzuerkennen.

Die Gräfin Irina rief nach ihm!

Angespannt, leise, um nur von ihr gehört zu werden, antwortete er. Doch statt einer Entgegnung setzte sich nur das unverständliche, nahe und doch ferne, bettelnde Wispern fort. Und dazwischen die geseufzten Silben seines Namens.

Gervinus ...

Die Stimme schien sich zu entfernen.

Gervinus ... Gervinus ... Traurig, klagend.

Er setzte sich in Bewegung.

Der Korridor war lang, die Steinwände roh und unverputzt. Ihm fiel nicht auf, dass die Stimme, der er folgte, nicht das geringste Echo hervorrief, obwohl seine eigenen Schritte, so behutsam gesetzt, wispernd widerhallten.

Beidseits des Ganges zweigten in unregelmäßigen Abständen Türen ab, doch die fordernde Stimme schien immer von vorn, aus den schattendurchwobenen Tiefen des Korridors an sein Gehör zu dringen.

Plötzlich wechselte ihre Tonlage. Auf einmal klang sie nicht mehr verwundet und flehend, sondern verführerisch und lüstern.

Geeervinus ... Geeerviiinuss ...

Vor seinem inneren Auge erstand das Bild eines roten Mundes, eines schlanken, weißen Halses und eines anmutig im Dekolleté gewölbten Busens, dessen Haut im Kerzenschein der abendlichen Speisetafel wie Elfenbein schimmerte.

Geeerviiinuss ...

Er hielt abrupt inne. Das Herz klopfte ihm bis in den Hals. Diesmal war die Stimme nicht vor ihm, sondern hinter seinem Rücken laut geworden ...

Er wandte sich um.

Geeerviiinuss ... lockte die Stimme atemlos und hitzig.

Eine Tür durchbrach die rechte Korridorwand. Sie war niedriger und weitaus gröber gezimmert als die anderen Türen, an denen er vorbeigekommen war. Er konnte sich nicht erinnern, sie passiert zu haben – obwohl sie mit dem schneckenförmigen Kringel, der ins Türblatt geritzt war, äußerst auffällig wirkte. Er war sicher, dass er diese verwitterte, altersdunkle Pforte mit dem eingeschnittenen Schnörkelzeichen nicht übersehen hätte.

Sie war vorher einfach nicht da gewesen.

Aber durch genau diese Tür drang die verlockende Frauenstimme an sein Ohr.

Die Tür besaß weder Griff noch Riegel. Ein Klopfen mit dem Degenheft – sie war unverschlossen. Er stieß sie mit der Schuhspitze auf, dann trat er über die Schwelle.

Im selben Augenblick verebbte die Stimme mit ein paar letzten, verzerrten Silben wie eine Wasserlache, die durch einen Abfluss gurgelt.

Gervinus aber stolperte fassungslos einen Schritt zurück; er nahm gar nicht wahr, dass er mit dem Rücken gegen fest gefügtes Mauerwerk stieß, wo eben noch die seltsame Pforte existiert hatte.

Er stand in einer gigantischen Bibliothek. Allerdings handelte es sich nicht um die Büchersammlung des Grafen, die er nach seiner Ankunft im Schloss zusammen mit dem Hausherrn besichtigt hatte.

Diese Bibliothek war größer, unendlich viel größer, eine Art Kolosseum der Bücher. Buchrücken an Buchrücken füllten die Bände graue Steinregale, die sich ringförmig übereinander stuften, bis sie weit oben in die vom Glühen ferner Fackellichter gesprenkelte Düsternis eintauchten.

Staunend und ohne sich das Unwirkliche seiner Lage zu Bewusstsein dringen zu lassen, betrat Gervinus die Arena des »Bücherkolosseums«.

Ein unangenehmer, beißender Geruch drang in seine Nase.

Abermals erklang eine Stimme, aber sie war weder weiblich noch lockend.

Gervinus fuhr herum, die Degenspitze erhoben.

Wenige Schritte entfernt erblickte er die befremdlichste Gestalt, der er jemals begegnet war.

Sein Blick ruhte auf einem kleinen, kahlköpfigen Greis, dessen Haarkranz und gesträubte Koteletten im Fackelschein wie Silberwolle schimmerten. Sein Gesicht war hager, die Haut rosig und von unzähligen Runzeln durchzogen. Auf seiner Radieschennase saß ein goldener Kneifer, hinter dessen Gläsern helle Äuglein vergnügt funkelten.

»Wer seid Ihr«, stammelte Gervinus, während sein Blick abwärts über die untersetzte Gestalt seines Gegenübers wanderte.

»Seid willkommen, Gervinus«, sprach das drollige Männchen, »ich bin der Bibliothekar.«

Gervinus' Blick haftete auf der fleckigen Lederschürze, die den Bauch des Alten verbarg, mit ihren Schlaufen voller blutiger Messer.

»Ich binde die Bücher ein«, schnarrte die Kreatur.

Gegenwart

Dass ich kein Bargeld besaß, um den Taxifahrer zu entlohnen, der mich bei schönem Spätsommerwetter vom Gießener Bahnhof an diesen Ort gebracht hatte, bereitete mir keinen Kummer. Der Kerl hatte sich bereits eine andere Währung als Vergütung ausgesucht, und mit dieser war ich gut versorgt. Der Ausschnitt meines T-Shirts war bei jedem Ampelstopp zur Zuflucht seiner Stilaugen geworden. Ich betrachtete ihn als ausgezahlt. Daher spürte ich keine Gewissensbisse, ihn einer kurzen Hypnose zu unterwerfen, als er die Hand nach dem Fahrtgeld ausstreckte, sodass er eine Banknote sah, wo nur die entwertete Zugfahrkarte lag, die ich in Frankreich mit einem ähnlichen kleinen Zaubertrick für meine Herreise ergattert hatte.

»Danke, stimmt so«, sagte ich. »Auf Wiedersehen!«

Er bedankte sich für das großzügige Trinkgeld und fuhr davon.

Ich hingegen blieb auf einem Autoparkplatz zurück, in Gesellschaft eines Kleinlasters mit dem Tragödien/Komödien-Maskenpaar als Seitenbemalung und einiger PKW. Irgendwie notgelandet in der Parkplatzecke wirkte der ausgemusterte Kampfjet, dessen verwitterte Tarnbemalung beinahe wie Moosbewuchs aussah.

Direkt vor mir erhob sich das Gebäude der »Sammlerwelt«. Falls mich die rätselhafte Fernsehsendung nicht in die Irre geführt hatte, befand sich hinter diesen Mauern »Draculas Museum der Vampire und Fledermäuse« mit dem gepfählten Buch, das mir den Weg zu den Büchern aus meiner Vision weisen sollte.

Die »Sammlerwelt« von Alten-Buseck stand in einem öden Gewerbegebiet. Es war ein großer, nüchterner, kastenförmiger Bau, der an einen Möbelmarkt oder irgendeine Discount-Kaufhalle auf der grünen Wiese erinnerte. Es war mit Sicherheit kein Ort, den man mit Vampiren oder Fledermäusen in Verbindung brachte.

Als ich den Eingang durchschritt, hatte ich viel eher den Eindruck, einen Spielzeugladen zu betreten. Ich war umgeben von Regalen mit fernlenkbaren Modellautos, Bausätzen und Plastikfiguren. Dahinter erspähte ich rechter Hand die Kasse.

»Möchten Sie Einlass für den gesamten Komplex oder nur für das Dracula-Museum?«, fragte mich der Eintrittskartenverkäufer. Ich sah mich kurz um. Das Erdgeschoss der »Sammlerwelt« war eine niedrige Halle, in der ich eine Menagerie von lebensgroßen Steiff-Tieren – Grizzly-Bär, Puma, Bison und anderes Gefleuch in trauter Eintracht –, eine Mineraliensammlung und zwei, drei Oldtimer erblickte. Eine breite, geschraubte Treppenflucht führte eine Etage höher.

»Oben im Hauptgeschoss finden Sie alte Schreibmaschinen, Uniformen, Blechspielzeug und mehr ... vor allem aber eine riesige Abteilung für Modellbau und Modelleisenbahnen«, informierte mich der Mann hinter der Kasse. »Heute, freitags, haben wir bis 22.00 Uhr geöffnet. Sie hätten noch genügend Zeit, sich alles in Ruhe anzuschauen.«

»Vielen Dank, aber ich möchte nur die Fledermäuse und Vampire sehen«, erwiderte ich.

»Vielleicht können Sie sich noch der Führung anschließen, die gerade im Dracula-Museum begonnen hat«, sagte er und beschrieb mir gestenreich den Weg – Draculas Museum schien sich ein wenig zu verstecken. Dann gab er mir ein Billett. Ich hypnotisierte ihn und reichte ihm das Billett zurück. Er steckte es zu den Geldscheinen in die Kassenschublade und zählte mir das Wechselgeld hin.

Diesmal hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Der Weg zum Dracula-Museum führte verschlungen an verschiedenen Nischen vorbei, in denen offenbar lokale Antiquitätenhändler ihre Waren ausstellten. Wer wie ich bereits Ausflüge in die Zeit der Renaissance, in das Britannien von König Artus und das Ägypten der Pharaonen unternommen hatte, dem kamen die urgroßväterlichen Einrichtungsstücke allerdings kaum ehrwürdiger vor als Möbel von Ikea.

Offenbar hatte ich mir die Wegbeschreibung gut gemerkt, denn nach wenigen Minuten gelangte ich zu einem dunkel getünchten Vorraum, der von Schwarzlicht ausgeleuchtet war. Ich trat hinein, und mein weißes T-Shirt begann zu glimmen, als hätte man mich mit radioaktiver Milch übergossen. Eine lebensgroße Pappfigur von Bela Lugosi als Graf Dracula bewachte eine schwarze Gaze-Draperie, hinter der eine weibliche Stimme zu vernehmen war.

Ich teilte den Vorhang und schlüpfte hindurch.

Das Dracula-Museum lag vor mir.

Der Ausstellungsraum war nicht übermäßig groß, aber mit Stellwänden und Schaukästen geschickt unterteilt, sodass er geräumiger wirkte, als er tatsächlich war. Die Beleuchtung war düster-schummrig, und rote Spotlights warfen ihr blutiges Licht auf die Ausstellungsstücke. Nahe dem Eingang, wo ich stand, hatte sich eine kleine Besuchergruppe um eine Frau geschart, die ich sofort als die Museums-Führerin identifizierte: Sie war hochgewachsen für eine Frau, etwa meine Größe, eine attraktive Erscheinung im bodenlangen schwarzen Kleid mit rot gesticktem Brustbesatz. Ich schätzte sie auf Mitte vierzig. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr als Pony in die Stirn und wie Rabengefieder über Rücken und Schultern. Ihre katzenhaften Augen blickten mir entgegen; als sie die rot geschminkten Lippen teilte, sah ich ein sexy Paar künstlicher Vampirzähne aufblitzen.

»Trauen Sie sich, treten Sie näher«, begrüßte sie mich freundlich. »Ich bin Lady Catherine of Woodville, die Leiterin dieses Museums und Führerin durch die abgründigen Gefilde des Vampirismus. Wir verweilen gerade bei einem besonders erspießlichen, Verzeihung: ersprießlichen Thema ... bitte entschuldigen Sie den Kalauer!«