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Das heilende Bewusstsein E-Book

Joachim Faulstich

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Beschreibung

Ein Plädoyer für eine neue Heilkunst, die Schulmedizin und uraltes Erfahrungswissen vereint und die Kraft der Selbstheilung erklärt. Wenn es um rätselhafte Heilungen geht, stößt die moderne Medizin nach neustem Wissensstand noch immer an ihre Grenzen. Dabei verbergen sich in traditionellen Kultur-Kreisen außerordentliche Erkenntnisse über sogenannte Spontan-Heilungen. Im Westen spricht man heutzutage von "medizinischen Wundern". Der Dokumentar-Filmemacher Joachim Faulstich suchte weltweit nach Antworten zu derartigen Fällen von unerklärlicher Genesung und teilt seine Erkenntnisse aus wahren Begegnungen. Für seine Recherchen begab er sich auf eine Reise von den Heilungszeremonien der Indianer im Amazonasgebiet über die Traumtempel des antiken Griechenlands bis in die Labors der modernen Hirnforscher und forschte zu den heilsamen Kräften des Bewusstseins. In diesem Standardwerk zeigt Joachim Faulstich, dass die Fähigkeit der Selbstheilung in jedem Menschen vorhanden ist und dass wir sie aktivieren können. Sein Buch ist ein Appell an die westliche Medizin, die Macht von Geist und Seele in der Behandlung zu berücksichtigen.

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Seitenzahl: 417

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Joachim Faulstich

Das heilende Bewusstsein

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Über dieses Buch

Ist es denkbar, dass Menschen gesund werden, weil ihnen ein Heiler die Hände auflegt? Kann Hypnose körperliche Erkrankungen beeinflussen? Ist es möglich, dass Patienten in Träumen den Weg zu ihrer Genesung finden? Kann die Wissenschaft erklären, was bei Spontanheilungen von Krebspatienten geschieht? Sind die Wunder von heute das Wissen von morgen?

Das Buch führt an die Grenzen der Medizin: Aus persönlichen Erfahrungen und Begegnungen, bewegenden Fallgeschichten und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsteht das Bild einer Heilkunst, die unsere Vorstellung von den Möglichkeiten des Bewusstseins verändert. Sie setzt auf die Fähigkeit der Selbstheilung, über die jeder Mensch verfügt, auf die unterschätzte Macht von Geist und Seele.

Ein Plädoyer für eine neue Heilkunst, die Schulmedizinund altes Erfahrungswissen vereint.

Inhaltsübersicht

Das RätselDie zwei Wege der MedizinBegegnung im RegenwaldKrieg im KörperKollateralschädenIm Fluss des LebensDie Macht der HoffnungDie weise Frau von BüdingenHeilen mit WortenSymptome und GedankenDer Streit um den schönen ScheinDie Blaupause der GesundheitDie Kunst der SelbstheilungKampf mit dem DrachenMedizinische WunderAnnahme und DankbarkeitDie Biochemie der HeilungKampf und GnadeDie Seele und die MedizinGeist, Bewusstsein und GehirnStress und AbwehrkraftDas Konzert der GeneDie Kunst der BewusstseinsreiseDiagnose in der AndersweltDas gestörte GleichgewichtDie Ebenen des UnsichtbarenHeilende AbsichtSpiegelung im GehirnReisen zur verlorenen KraftDie Kunst des TräumensIm Tempel des AsklepiosBegegnung im SchlafBotschaften der NachtDie Kunst der AufmerksamkeitDie Entdeckung der HypnoseVerwandlung der WirklichkeitDie Bedeutung der InnenweltDie Kunst des PilgernsEin Ort und seine KraftHeilung im AugenblickDie innere GewissheitDie Macht des GlaubensDie Kunst der ZuwendungGesten des HelfensJenseits der SchulmedizinChronische ErkrankungenHeilung aus der Ferne?Medizin und neue PhysikDer verborgene SinnDas Licht des LebensDie sechs Ebenen der HeilungDie Kunst des VergleichensInformation aus dem NichtsDas Prinzip der ÄhnlichkeitDer Geist der ArzneiPlädoyer für eine neue HeilkunstIllusion und VerantwortungDas Innere LandHerz und VerstandDie Rückkehr des ZauberhaftenAnhangKontaktadressenAnmerkungenLiteraturhinweiseDanksagung
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Das Rätsel

Seit Urzeiten haben Menschen Wege gesucht, die verborgene Quelle der Heilung zu finden, eine Zauberkraft, die Wunden schließt und die verlorene Verbindung mit dem Leben zurückbringt. Vor Jahrtausenden beteten die Heiler unserer Vorfahren in den Höhlen des südlichen Europa um die Hilfe der Geister, die den Eingang in die verzweigten Welten jenseits der Vorstellungskraft bewachten. Sie entdeckten die Möglichkeit, ihr Bewusstsein zu verändern, bis es wie in einem Traum die Landschaften der Seele wahrnahm. Und so fanden sie Heilung für ihre Familien und Stämme.

In späteren Zeiten, aber immer noch vor Tausenden von Jahren, entwickelten Menschen ganz andere Vorstellungen, fern der alten Mythen und näher an der Erfahrung des Alltäglichen. Im antiken Griechenland liegen die Ursprünge unseres modernen medizinischen Denkens, das in der Mechanik des Körpers nach dem Geheimnis von Krankheit und Heilung sucht.

Seit jenen Tagen haben sich zwei Richtungen geöffnet, die beide versprechen, die Lösung des Rätsels zu finden, vielleicht schon zu wissen.

Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich im Westen die Vorstellung durchzusetzen, allein in der Materie seien die geheimen Baupläne der Welt verborgen – von den unfassbaren Wirbeln ferner Galaxien bis zu den winzigen Partikeln, aus denen sich alles zur sichtbaren Welt zusammenfüge, gebe es nur einen Weg, die Wirklichkeit zu erfassen: die immer genauere Analyse aller ihrer Bestandteile. Diese Rückführung auf grundlegende Einzelteile des Lebens wird Reduktionismus genannt, und dieser Zweig des Denkens hat derzeit in der wissenschaftlichen Welt die Macht.

In der Medizin bedeutet das, dem unsichtbaren Zusammenspiel aller denkbaren Faktoren auf den Grund zu gehen, von den steuernden Genen über die Chemie des Körpers bis zu den noch immer rätselhaften Schaltkreisen des Gehirns. Auf diesem Weg haben Forscher Zusammenhänge aufgedeckt, die in früheren Zeiten unvorstellbar waren. Während die Pioniere der Grundlagenforschung viele Regelkreise des Körpers entschlüsselten, entwickelten andere, in praktischer Anwendung all dieser Erkenntnisse, phantastische Techniken der Lebensrettung und kunstvolle Verfahren der Chirurgie, und sie erfanden subtile Mittel im Kampf gegen winzige Angreifer, die unsere Gesundheit bedrohen.

Seit langer Zeit sind die Vertreter des alten, gleichsam »immateriellen« Denkens auf dem Rückzug, die mythischen Bilder, mit denen sie die Wirkung ihrer Heilverfahren zu erklären versuchen, werden von den Denkern des Reduktionismus als Gebilde der Phantasie verworfen, ihre Heilerfolge als Produkte des Zufalls erklärt. Viele Richtungen dieser alten Medizin haben lange Jahre nur in Nischen überlebt. Aber seit einiger Zeit rücken sie wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Weil die »Komplementärmedizin« (ein Begriff für alle Verfahren, die nicht als wissenschaftlich anerkannt gelten) ganz offensichtlich wirtschaftlich an Bedeutung gewinnt, haben Forscher an Universitäten und privaten Instituten begonnen, ihre Wirksamkeit unvoreingenommen zu überprüfen. Und nach und nach entdecken sie in den alten Methoden, in der Homöopathie oder der traditionellen chinesischen Medizin zum Beispiel, aber auch im Schamanismus und in westlichen Formen des Geistigen Heilens, eine verborgene Kraft, auf die ihre Anhänger schon immer vertrauten.

Heute stehen wir an einem Scheideweg: Die Vertreter der naturwissenschaftlichen Medizin entschlüsseln immer aufregendere Zusammenhänge der Materie, die viele bisher unbekannte Mechanismen des Körpers erklären und den Einfluss des Bewusstseins gering erscheinen lassen. Die Praktiker der Erfahrungsmedizin dagegen folgen häufig Methoden, mit der Seele in Kontakt zu treten, und sie erreichen auch auf diesem Weg wunderbare Heilungen. Bei ihren Erfolgen, die von vielen tausend Patienten Tag für Tag bestätigt werden, spielen offenbar subtile energetische Prozesse, vor allem aber das Bewusstsein, eine entscheidende Rolle. Dieser Gedanke steht heute nicht mehr im Gegensatz zur Wissenschaft: Auch die moderne Quantenphysik sieht im Bewusstsein eine Kraft, die in der Lage ist, die sichtbare, messbare Realität zu formen.

 

Das alte Rätsel, welche Rolle der Geist spielt und welche der Körper, ist noch immer nicht gelöst. Welche der gegensätzlich erscheinenden Deutungen von Heilung wird sich am Ende durchsetzen? Wer kann für sich in Anspruch nehmen, die Gesetze des Lebens am besten zu verstehen?

Dieses Buch gibt aus verschiedenen Blickwinkeln Antworten auf diese Fragen. Nicht jede davon steht auf dem festen Grund wissenschaftlich bewiesener Theorien. Wenn Heilungen dem rationalen Geist unverständlich sind, die plötzliche Genesung eines bereits »austherapierten« Krebspatienten zum Beispiel, führt der Versuch, die verborgenen Zusammenhänge zu verstehen, zwangsläufig auf schwankenden Boden. Auch die Erfolge archaischer und moderner Schamanen und Geistheiler lassen sich nicht so leicht und vor allem nicht vollständig mit den Begriffen der Wissenschaft erfassen. Selbst die Homöopathie hat den Nimbus des Unerklärlichen, denn sie heilt ja nicht mit nachweisbaren materiellen Substanzen, sondern mit Information, einem vollständig immateriellen Wirkstoff.

Ungewöhnliche Heilungen, die auch von Medizinern noch immer »Wunder« genannt werden, weil sie der Mechanik des Körpers zu widersprechen scheinen, Heilungen also, bei denen wissenschaftliche Theorien nicht alles erklären können, habe ich vor allem aus dem Blickwinkel der Seele betrachtet: Ihre Wahrheit verbirgt sich hinter Bildern und Gleichnissen, Geschichten und Mythen. Ich habe versucht, dieser Dimension in der Sprache gerecht zu werden, wo immer das möglich war. (Meine Leserinnen bitte ich um Nachsicht, dass ich im Text häufig nur die männliche Form verwende und nur selten von Ärztinnen und Ärzten, von Heilerinnen und Heilern, von Patientinnen und Patienten spreche. Wenn der Zusammenhang allgemein ist, sind stets beide gemeint, Frauen ebenso wie Männer.)

Dieses Buch greift bisweilen auf persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zurück, auf Erzählungen und Begegnungen, die mein festes wissenschaftliches Weltbild in Frage stellten. Je länger ich mich mit den Denkmodellen der Heiler und Schamanen und zugleich mit den nüchternen Ergebnissen der Wissenschaft auseinander setzte, umso klarer schien mir, dass diese Gegenpole zwei Seiten derselben Wirklichkeit sind. Es war so, als ob ich mein Auge einmal mehr auf den Vordergrund und ein anderes Mal mehr in die Ferne lenkte. Wie in den Autostereogrammen, Bildern, die auf den ersten Blick nur ein abstraktes grafisches Muster zeigen, sah ich entweder gestochen scharf die farbigen Punkte, aus denen es zusammengesetzt war, oder ich erkannte plötzlich dreidimensionale Figuren, die sich hinter dem vordergründig Sichtbaren verbargen. Beide Blickwinkel haben offenbar ihre Berechtigung, beide sind wahr, und beide zeigen nicht das Ganze.

 

Wer die verborgenen Zusammenhänge von Krankheit und Gesundheit verstehen will, muss wohl tatsächlich versuchen, den Fokus seiner Augen immer wieder neu einzustellen, also gleichzeitig beide Wirklichkeiten zu sehen. Denn wie es scheint, geht sonst ein wesentlicher Teil der ganzen Wahrheit verloren.

Die Wirklichkeit, das zeigt gerade die moderne Physik, scheint mehr von den Menschen abzuhängen, die sie beobachten, als von unwandelbaren Naturgesetzen. Es könnte also sein, dass jeder Forscher am Ende genau das findet, was er sucht. Wenn das so ist, dann gibt es nicht unbedingt ein Entweder-oder, sondern eher ein Sowohl-als-auch: Dann ist es möglich, dass ein Schamane in den Steppen Sibiriens mit Techniken des Bewusstseins dieselbe Erkrankung zum Verschwinden bringt, die Ärzte einer westlichen Klinik mit hoch dosierten Medikamenten oder einer Operation heilen. Beide haben Erfolg, also haben beide Recht.

Vielleicht also kreuzen sich am Ende die unterschiedlichen Wege in einem noch unbekannten Zentrum, das die ganze Wahrheit enthält, eine Wahrheit, die vordergründige Gegensätze vereint.

 

In diesem Sinne ist dieses Buch auch ein Plädoyer für eine neue Heilkunst, die alle Möglichkeiten nutzt, um Patienten zu helfen. Es regt an, sich uraltem Wissen zu öffnen, das die moderne Medizin grundlegend ergänzen könnte. Es betont die Kraft des Geistes und der Seele und die Möglichkeiten der verschiedenen Zustände des Bewusstseins, weil diese Ebenen im medizinischen Alltag unterschätzt werden, aber es erkennt zugleich die Fortschritte der modernen Heilkunde an.

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Die zwei Wege der Medizin

Begegnung im Regenwald

Die Sonne war untergegangen, der Regenwald erwachte mit tausend Stimmen. Über dem flachen Wasser am Ufer der Lagune tanzten die Moskitos, und die letzten Boote erreichten Puerto Callao, eine Siedlung aus Bretterbuden, Vorposten der Zivilisation im Tiefland Perus.

Ich saß in einem weißen Raum, dem Zimmer der Chefärztin des Amazonas-Hospitals, und blickte durch das engmaschige Fliegengitter hinaus auf den See. Im graublauen Licht der beginnenden Nacht kreuzten die Einbäume der Indianer auf dem Weg zu ihren nahe gelegenen Dörfern.

Die Lagune Yarinacocha, der »See der ragenden Palmen«, war das Zentrum ihrer Welt, das Land am Rio Ucayali ihr Land, das Land der Shipibo-Conibo, eines der größten indianischen Völker im Regenwald.

Das Hospital hatte der deutsche Arzt Theodor Binder vor einigen Jahrzehnten gegründet, fasziniert vom Werk Albert Schweitzers wollte auch er vergessenen Ureinwohnern helfen, mit moderner Medizin. Ärzteteams erkundeten seitdem in motorisierten Einbäumen die mäandernden Flüsse und boten auch in entlegenen Dörfern ihre Dienste an, sie behandelten Kranke und Verletzte und bildeten Sanitarios aus, Gesundheitsberater, die vor Ort die Grundversorgung sichern sollten.

Zum ersten Mal seit der Eroberung des Landes durch die Weißen wurden den Indianern die Segnungen der westlichen Medizin zuteil, moderne Diagnosemethoden, chemische Medikamente, chirurgische Kunst.

Doch die Gründer des Hospitals hatten eine wichtige Tatsache übersehen: Die Shipibo-Conibo waren seit undenklichen Zeiten selbst Meister der Heilkunst. Ihre Ärzte verfügten über tiefes medizinisches Wissen, kannten Hunderte von wirksamen Pflanzen, und sie heilten mit der Macht ihres Bewusstseins.

Die Schamanen der Shipibo waren jahrhundertelang im ganzen Amazonas-Tiefland berühmt, aber ihre Kunst schien am Einbruch der Moderne zerbrochen. Die spanischen Eroberer hatten ihr Gebiet nicht entdeckt, doch im 20. Jahrhundert waren fundamentalistische Missionare aus den USA gekommen, um ihnen das Christentum zu bringen. Die Missionare hatten keinen Respekt vor den Geheimnissen der indianischen Geschichte, kein Auge für die Schöpfungsmythen aus der Ferne der Zeit und für das geheime Netzwerk der Geister, die das spirituelle Gleichgewicht in der Balance hielten, auch nicht für den nächtlichen Kampf der Schamanen, die auf den Flügeln ihres Bewusstseins in magische Welten jenseits des Alltags reisten, um neue Kraft für ihre Patienten zu finden. Die Missionare waren von der Überlegenheit ihres eigenen Glaubens und ihres modernen Wissens überzeugt, auch deshalb, weil die Kräuter des Regenwaldes und die schamanischen Rituale offenbar im Kampf gegen die Infektionskrankheiten, die mit den Weißen ins Land gekommen waren, nicht halfen. So bewirkten sie mit Antibiotika Wunderheilungen und demonstrierten mit diesem Zauber ihre Überlegenheit.

Die weiße Medizin und das alte Wissen wurden zu Gegnern, und die Ärzte aus den Ländern des Westens siegten. Auch das Amazonas-Hospital stand in dieser Tradition, ein Brückenkopf naturwissenschaftlichen Fortschritts in einer vergessenen Welt.

 

An diesem Abend im Mai 1979 aber erzählte die Chefärztin ganz andere Geschichten. Vor einem halben Jahr erst war sie aus Deutschland in diese Klinik gekommen, aber dieses halbe Jahr hatte genügt, um ihr Weltbild zu erschüttern. Der Schamanismus der Shipibo war in Wahrheit nicht vollständig untergegangen, sondern hatte in der Stille überlebt. Das Wissen um die Kraft der Pflanzen war nicht verloren gegangen, und noch immer beherrschten die Meister des Heilens in den entlegenen Dörfern die archaische Reise des Bewusstseins in die »andere Wirklichkeit«.

Eines Tages, so erzählte die Chefärztin, sei ein zwölfjähriges Mädchen in die Klinik gebracht worden. Es litt unter Osteomyelitis, einer Knocheninfektion, die mit Antibiotika nicht zu beherrschen war. Eine Röntgenaufnahme zeigte, dass der Herd sich von einer bestimmten Stelle im Knochen ausbreitete. Das Bein war auf das Doppelte des normalen Umfangs angeschwollen und völlig unbeweglich, das Kind hatte starke Schmerzen und hohes Fieber, es musste ständig gekühlt werden, damit die Temperatur unter dem kritischen Punkt blieb. Seine Überlebenschancen waren gering, aber Ärzte und Krankenschwestern taten alles, um das Mädchen zu retten.

Als das Kind immer schwächer wurde, baten die besorgten Eltern um ein Gespräch mit der Chefärztin. Sie fragten vorsichtig, ob sie einen Curandero hinzuziehen dürften, einen traditionellen Heiler. Die Ärztin war einverstanden, stellte aber eine Bedingung: Der Schamane solle sich zunächst bei ihr vorstellen, damit sie ihm die Röntgenaufnahmen zeigen könne, bevor er mit seiner Arbeit beginnen würde.

Als der Curandero kam, ein unscheinbarer kleiner Mann, versuchte die Ärztin, ihm die Ausweglosigkeit des Falles klarzumachen. Sie führte ihn an eine Leuchttafel mit den Röntgenbildern und erklärte ihm so einfach wie möglich die Ursache und den Verlauf der Erkrankung. Dann zeigte sie ihm das Mädchen, das nur noch ein Schatten seiner selbst war. Auf dem Rücken der Patientin hatten sich tiefe Geschwüre gebildet, die Krankenschwestern wussten nicht mehr, wie sie das Kind lagern sollten, es konnte sich vor Schmerzen nicht mehr bewegen, und es gab keine Position, die ihm Erleichterung verschaffte.

Der Curandero hörte sich die Erläuterungen der Ärztin ruhig an, ab und zu nickte er, und dann blieb er allein im Krankenzimmer und begann mit seinem Heilungsritual.

 

Die Schamanen der Shipibo benutzen, wie viele indianische Völker des Regenwaldes, eine machtvolle Droge, um ihr Bewusstsein zu verändern und den Blick in die Welt der Geister zu lenken, wo sie um Hilfe für ihre Patienten bitten. Die Ayahuasca-Liane, zubereitet in einem bitteren Trank, dem noch weitere Pflanzen hinzugefügt werden, schleudert das Bewusstsein aus der Begrenzung des Körpers und hilft dem geübten Heiler, vordergründig unsichtbare Zusammenhänge zu sehen, die sich den strengen Gesetzen des Wachbewusstseins entziehen. Auf einer Reise in eine Welt, in der mythologische Figuren zu realen Wesen werden, erfährt der Schamane, was er am Krankenbett tun muss. Hilfreiche Geister, die ihm auf seiner Trance-Reise begegnen, übernehmen einen Teil der Arbeit.

 

Die Krankenschwestern, ausgebildet an modernen medizinischen Schulen in Lima, hörten durch die geschlossene Tür des Zimmers pentatonische Gesänge, eine endlose Melodie, beruhigend und aufwühlend zugleich. Einige Pflegerinnen beschwerten sich bei der Ärztin – sie hätten sich nicht in moderner Heilkunde ausbilden lassen, um nun der längst überwundenen Vergangenheit wieder zu begegnen. Aber die Chefärztin ließ sich in ihrer Entscheidung nicht beirren: Wir sind mit unserer Kunst am Ende, sagte sie, also lassen wir der Patientin und ihren Eltern diese letzte Hoffnung.

Mehrere Tage arbeitete der Heiler hinter der stets verschlossenen Tür des Krankenzimmers, dabei setzte er auch Kräuter ein, die zweite Säule der indianischen Naturmedizin. Das Kind lebte entgegen den Erwartungen der Ärztin noch immer, aber offenbar verbesserte sich sein Zustand nicht wesentlich. Als eine Woche vergangen war, bat der Curandero um ein weiteres Gespräch. Seine Möglichkeiten, sagte er, seien in dieser Umgebung begrenzt, er könne hier keinen Zugang zur Krankheit finden, könne das Mädchen so nicht heilen. Um es zu retten, müsse er es in sein Dorf mitnehmen. Die Ärztin stimmte zu, denn noch immer sah sie keine medizinische Möglichkeit, weiter etwas für die Patientin zu tun.

In einem Geländewagen wurde das Kind, auf Schaumstoff gelagert, über staubige Buckelpisten und schlammbedeckte Pfade in ein kleines Dorf gebracht. Die Hütten der Shipibo haben keine Wände, es sind Pfahlbauten mit einem erhöhten Boden aus biegsamem Holz. Sie bieten kaum Schutz vor der Hitze und noch weniger vor Wind und plötzlicher Kälte, die im Urwald oft auf heftige Regengüsse folgen. Das Kind wurde auf einer schmutzigen Decke gelagert, und die Ärztin fuhr zurück ins Hospital, ganz sicher, dass der Tod nur noch eine Frage von Tagen war – das hohe Fieber konnte in der Klinik nur mit Eiswasser unter dem tödlichen Wert von zweiundvierzig Grad gehalten werden, aber hier in der Hütte gab es kein Eis.

 

Nach vierzehn Tagen fuhr die Ärztin noch einmal in das Dorf, um sich nach dem Schicksal ihrer Patientin zu erkundigen. Sie fand das Kind aufrecht sitzend auf dem Boden der Hütte, es ging ihm offensichtlich besser. Zwei Monate später machte sie sich noch einmal auf den Weg, jetzt hatte sich der Zustand des Mädchens fast vollständig normalisiert. Es konnte wieder laufen, hielt allerdings noch das linke Bein, dessen Knochen ja befallen war, in einer Schonhaltung. Der Curandero sagte, das werde sich in der nächsten Zeit noch wesentlich bessern.

Der Heiler erlaubte der Ärztin, das Kind noch einmal mit in die Klinik zu nehmen, um das Bein abschließend zu röntgen. Das Bild zeigte, dass die Krankheit zum Stehen gekommen war. Und das Mädchen war nicht nur fieberfrei und wieder bewegungsfähig, es hatte auch keine Schmerzen mehr, und die Geschwüre am Rücken hatten sich fast vollständig zurückgebildet.

 

Die Chefärztin lehnte sich zurück und lächelte. Seit diesem Erlebnis, sagte sie, habe sie begonnen, die traditionellen Heiler ernst zu nehmen. Sie sei beeindruckt von der indianischen Vorstellung, dass Krankheit nicht das individuelle, vom Spiel des Zufalls diktierte Schicksal eines Menschen sei, sondern Ausdruck eines Problems der Gemeinschaft. So beschrieben die Curanderos der Shipibo den Hintergrund einer Erkrankung. Sie verstanden diesen Zusammenhang zwar nicht im psychologischen Sinne, wie das die westliche psychosomatische Medizin heute tun würde, sondern eher als kollektives Problem mit der Welt der Geister, im Kern aber bestehe da kein wirklicher Unterschied. Denn am Ende zähle, ob Heilung geschehen könne oder nicht.

Bei den Behandlungen in den entlegenen Dörfern, habe sie inzwischen in Erfahrung gebracht, seien meist alle Familienmitglieder anwesend, manchmal sogar alle Nachbarn, oft beteilige sich die ganze Dorfgemeinschaft. Wenn der Patient krank bliebe, werde dies nicht als sein persönliches Problem gesehen, sondern alle fühlten sich verantwortlich. Ein faszinierender Gedanke, der dem Weltbild der westlichen Schulmedizin magisch erschien, wenn auch neuere Erkenntnisse über psychologische Zusammenhänge diese indianische Vorstellung schon damals in ein anderes Licht zu rücken begannen.

Und dann erzählte die Ärztin eine zweite Geschichte, ein persönliches Erlebnis, das etwa ein Jahr zurücklag: Auf einer Reise durch die Felsenlandschaft der Anden sei sie eines Abends in ein abgelegenes Dorf gekommen. In der schneidenden Kälte nach Sonnenuntergang sei sie in einem der Bauernhäuser Zeugin eines Abschiedes geworden. In einem Bett in der Ecke eines düsteren Zimmers lag eine sterbende Frau, und nach und nach kamen die Bewohner des Dorfes zu einem letzten Besuch. Die Ärztin hatte den Impuls zu helfen und fragte vorsichtig, ob sie die Patientin untersuchen dürfe. Die Angehörigen stimmten zu, auch wenn sie offenkundig wenig Hoffnung in die Fremde setzten. Nach wenigen Minuten war der Ärztin klar, dass die Krankheit heilbar war, mit einem neuen Medikament, das erst seit kurzer Zeit auf dem Markt war. Und genau dieses hochwirksame Mittel hatte sie im Reisegepäck. Sie gab es der Frau und sagte den Angehörigen, sie müssten sich keine Sorgen mehr machen – die Patientin werde mit Sicherheit ganz schnell gesund werden.

Einige Stunden später starb die alte Frau, wie es die Angehörigen erwartet hatten, und das Dorf begann mit den Trauerritualen.

Die deutsche Ärztin war verzweifelt und schockiert. Lange suchte sie nach dem Fehler, der sie in dieser schwierigen Situation scheitern ließ, aber sie war sicher, die richtige Diagnose gestellt und nach den Regeln ihrer Kunst behandelt zu haben. Warum also musste die Frau in jener Nacht sterben?

Erst ein Jahr später, nach der Erfahrung mit der wunderbaren Heilung des Mädchens im Tiefland, fast 1000 Kilometer von jenem Dorf in den Anden entfernt, begann sie zu begreifen, dass sie schon damals Zeugin einer besonderen Macht geworden war: der Macht des Bewusstseins. Schon immer waren in den Hochebenen Perus Menschen gestorben, die an dieser Krankheit litten, allen Hoffnungen zum Trotz. Die Angehörigen am Krankenbett und alle Besucher glaubten tief in ihrem Inneren, dass es keine Rettung gab. Auch die Patientin selbst war sich über ihr Schicksal im Klaren und hatte begonnen loszulassen, den Kampf um das Leben aufzugeben. Die Sterbende und ihre Freunde und Verwandten waren im Einklang mit ihrer Tradition und ihrem alten Wissen vom Leben und von Tod. Gegen diesen tiefen Glauben konnte die Fremde aus Europa nichts ausrichten. Ihre medizinische Kunst war im Angesicht dieses kollektiven Wissens ohne Bedeutung. Der Körper der Patientin folgte der Botschaft des Bewusstseins und zog die Abwehrkräfte zurück. In diesem Moment verlor auch das Medikament aus dem Westen seine Macht, die es in Jahren intensiver Forschung gewonnen hatte: Wenn das Bewusstsein die Heilung verweigert, weil es sie nicht für möglich hält, sind äußere Eingriffe in die Chemie des Körpers offenbar ohne Bedeutung. Die Patientin starb friedlich, wie sie selbst und alle anderen es erwartet hatten.

 

Die moderne Medizin kann sich mit der Macht des Bewusstseins nur schwer abfinden. Seit meiner Begegnung mit dieser deutschen Ärztin sind mehr als 30 Jahre vergangen, aber noch immer liegen die Vertreter einer mechanistischen Medizin mit jenen Ärzten im Streit, die sich in das unüberschaubare Grenzgebiet von Körper und Seele wagen. In diesen Regionen aber könnte sich die Lösung des Rätsels verbergen, denn dort sind die Forscher geheimnisvollen Mechanismen auf der Spur, die unfassbar erscheinende Wunder ebenso möglich machen wie tragische Niederlagen.

Die grundlegende Frage, um deren Lösung sich alle bemühen, steht seit Menschengedenken fest: Was ist die Kraft, die Kranke gesund macht, die Leben verlängert und den Tod hinauszögert? Was ist der Grund, der den einen Menschen auf wunderbare Weise genesen, den anderen sterben lässt? Wo liegt die verborgene Quelle der Heilung?

Krieg im Körper

Die moderne Medizin hat auf der Suche nach einer Antwort den Geist und die Seele fast vollständig ausgeschlossen, sie stellt den Körper und seine komplizierten biologischen Mechanismen in den Mittelpunkt.

Der Körper erscheint ihr als Maschine, die perfekt konstruiert die Arbeit aufnimmt und lediglich gewartet werden muss, damit sie fehlerfrei funktioniert. Natürlich wird sie sich mit der Zeit abnutzen, Verschleißerscheinungen treten auf, auch ist es möglich, sie falsch zu bedienen oder schlecht zu schmieren. Fällt sie aus, können Fachleute den Fehler herausfinden und reparieren, notfalls Teile austauschen, bis eines Tages eine Reparatur nicht mehr möglich ist.

Der Geist spielt in diesem Modell nur insofern eine Rolle, als jeder Mensch als Besitzer seines Körpers gleichzeitig für die »Bedienung« verantwortlich ist. Sollte er also Unregelmäßigkeiten übersehen oder die vorgeschriebenen Inspektionszyklen nicht einhalten, oder sollten die von ihm beauftragten Techniker bei der Wartung Fehler machen, könnte das schwerwiegende Folgen haben, denn die Maschine insgesamt ist nicht zu ersetzen.

Aus Sicht der Schulmedizin ist der Körper also gesund, wenn er ins Leben tritt, von Erbkrankheiten und möglichen Schäden durch Geburtskomplikationen einmal abgesehen. Aber er ist ständig »von außen« bedroht: durch Erreger aller Art und durch Unfälle.

Gesundheit gilt als Normalzustand, der durch äußere oder (seltener) innere Einflüsse ins Ungleichgewicht geraten kann, wobei auch die inneren Einflüsse stets als Ausdruck der Materie gesehen werden: Denn auch hinter psychosomatischen Erkrankungen, also hinter Symptomen, die sich leicht in Zusammenhang mit psychischen Belastungen bringen lassen – Dauerstress zum Beispiel, Niederlagen oder Verluste, Missbrauch, Mobbing, Überforderung im Beruf oder in privaten Beziehungen –, stehen körperliche Regelkreise, das Wechselspiel unterschiedlicher Botenstoffe, die Ausschüttung oder das Fehlen von Hormonen, und hinter diesen letztlich körperlichen Abläufen das Gehirn, der materielle Träger des Bewusstseins.

Wir sind Körper, die in der Illusion leben, Geist zu sein, sagt unser modernes Weltbild, und wenn wir vielleicht einer alten Vorstellung anhängen und glauben, einen Körper zu haben, in dem unsere Seele wohnt, sei letztlich auch die Seele nur ein Ausdruck des Körpers, jede psychosomatische Erkrankung also im letzten Grund nur eine andere Form körperlichen Leidens.

 

Die moderne Medizin hat ihren Blick seit den Zeiten der griechischen Antike, vor allem aber seit dem Sieg des rationalen Denkens über das magische Weltbild des Mittelalters und der frühen Neuzeit, auf das Wechselspiel von (biologischer) Ursache und Wirkung gelegt und andere Dimensionen als irrational ignoriert. Deshalb bewegt sich die Forschung ebenso wie unser Denken vor allem in eine Richtung: Krankheit wird nicht als ein Zustand gesehen, in dem körperliche, geistige und seelische Aspekte eine Rolle spielen, indem also ein Gewebe unterschiedlicher Kräfte wirksam wird– Krankheit ist nur ein anderes Wort für eine Summe von Symptomen.

 

Auch den alten philosophischen Gedanken, Krankheit als einen Zustand zu verstehen, der in einer dualen Welt stets existieren muss, einfach weil es sein Gegenteil gibt (so wie auf der Erde Schönheit nicht ohne Hässlichkeit, Liebe nicht ohne Hass, Frieden nicht ohne Krieg denkbar ist), ignoriert die moderne Medizin. Und so spaltet sie den umfassenden Begriff – nicht ohne Folgen für unser Denken, das von der Illusion geprägt ist, Krankheit insgesamt besiegen zu können– in viele kleine Teile auf, in »Krankheiten«, wo doch genauer von »Erkrankungen« die Rede sein müsste.

Jede Gruppe von Symptomen, die im Zusammenhang auftritt, erhält einen bestimmten Namen: grippaler Infekt, HWS-Syndrom, Nierenbeckenentzündung, Lungenkrebs. Damit kann aus der Fülle möglicher Bilder ein Teilstück herausgelöst und isoliert betrachtet werden. Gelingt es dem Arzt, diese Gruppe von Symptomen zum Verschwinden zu bringen, also zum Beispiel Fieber, Gliederschmerzen, Halsentzündung und Schnupfen beim grippalen Infekt, gilt die konkrete Erkrankung als geheilt und der Patient als gesund.

 

Die Idee hinter diesem Denken hat zu wirkungsvollen Behandlungsmethoden geführt, nicht nur bei harmlosen Erkrankungen, sondern auch bei lebensbedrohlichen. Und dennoch ist der Blick dieser modernen Heilkunde verengt, wie der Blick in einen Tunnel, der den größeren Zusammenhang der ihn umgebenden Landschaft verstellt. Denn Symptome sind fast immer nur vordergründiger Ausdruck einer grundlegenden Störung. Ihr Verschwinden kann, wird die eigentliche Ursache nicht behandelt, niemals endgültig sein, nach einiger Zeit werden Störungen zurückkehren, und mit ihnen dieselben oder jetzt vielleicht veränderte, verschobene Symptome.

 

Natürlich hat auch die naturwissenschaftliche Medizin dieses Problem erkannt. Sie bekämpft deshalb nicht nur die unmittelbaren Symptome – Schmerzen, Hautausschläge, Fieber – mit unterdrückenden Substanzen, sondern sie versucht, die unsichtbaren Verursacher der äußerlich sichtbaren Krankheitsbilder zu entdecken und dann zu vernichten, mit Antibiotika zum Beispiel und anderen wirksamen Mitteln.

Und sie hat Strategien entwickelt, Erkrankungen vorbeugend zu bekämpfen, durch gezieltes Training des Immunsystems zum Beispiel, wie das die Impfung versucht: Die eigene »innere Armee« wird mit Angreifern konfrontiert, die einen Teil ihrer Kraft eingebüßt haben und die hoffnungslos in der Minderheit sind. Das schult die Verteidigungskräfte und hilft ihnen, den Gegner auch in Zukunft sicher und schnell zu erkennen und rechtzeitig mit der Mobilmachung zu beginnen, bevor die Streitkräfte der Angreifer wichtige Brückenköpfe im Körper besetzt haben, von denen sie nur noch schwer zu vertreiben sind.

Dieses »militärische« Konzept von Heilung hat sich bei vielen Erkrankungen bewährt, solange der Angreifer nicht seinerseits neue Methoden entwickelt, das Prinzip rascher Verwandlung zum Beispiel, oder die Methode, sich unsichtbar zu machen oder zumindest eine Zeit lang im Verborgenen zu warten, bis die Aufmerksamkeit der Verteidiger nachgelassen hat, um dann – wie die griechischen Invasoren Trojas – aus dem Versteck aufzutauchen und die völlig überraschten Verteidiger vernichtend zu schlagen. Manche Erkrankungen verlaufen nach diesem Prinzip, die rätselhafteste und bisher im tragischen Sinne kreativste ist die Immunschwäche AIDS, deren Erreger ständig Form und Strategie ändern, so als ob sie Spione hinter die Linien der Verteidiger schickten, um frühzeitig Abwehrstrategien unterlaufen zu können.

Kollateralschäden

Während im Körper also aus Sicht der konventionellen Medizin ein dem bloßen Auge unsichtbarer Krieg tobt, leidet der Mensch an den Symptomen, die der Arzt direkt bekämpft – durch die Gabe fiebersenkender oder schmerzlindernder Medikamente – und indirekt, indem er versucht, die fremden Eindringlinge mit der Macht chemischer Mittel zu zerstören.

Der Preis für das Verschwinden der Symptome sind die Nebenwirkungen: In den Beipackzetteln der Medikamente sind sie aufgelistet, oft relativ harmlose, manchmal aber auch schwerwiegende. Nach Schätzungen von Arzneimittelexperten sterben allein in Deutschland jährlich zwischen 15000 und 20000 Menschen an Nebenwirkungen von Medikamenten.[1] Einer der wichtigsten Gründe dafür ist die falsche, zu hohe Dosierung. Weil etwa 40 Prozent der Bevölkerung ein bestimmtes Enzym fehlt, das in der Leber für die Entgiftung benötigt wird, ist für sie die normale Dosierung bereits schädlich. Die notwendige Arzneimittelmenge wird für einen statistischen Durchschnitt der Bevölkerung berechnet – so erhalten viele Menschen zu hohe Dosen, manche werden geradezu vergiftet, wie Experten sagen. Auch die Tatsache, dass Frauen auf dasselbe Medikament aus biologischen Gründen von vorneherein anders reagieren als Männer gleicher Körpergröße und gleichen Gewichts, bleibt in der täglichen Praxis fast unbeachtet (und davon steht auch nichts in den Beipackzetteln).

Weil viele Menschen, vor allem im höheren Alter, oft mehrere unterschiedliche Medikamente einnehmen, deren Wirkungen sich teils aufheben, teils addieren, treten nicht selten neue Symptome auf, die sich die behandelnden Ärzte nicht erklären können und die sie deshalb mit neuen Medikamenten bekämpfen. Ein Teufelskreis, der schwere Schäden hervorrufen kann, eine oft übersehene Ursache für manchen unerklärlichen Todesfall.

Alle diese Folgen sind der Preis eines Denkens, das in erster Linie die Symptome im Blick hat und den Wunsch der Patienten nach rascher Gesundung erfüllen möchte, im Gegensatz zu einer Sichtweise, die alle Zusammenhänge beachtet. Nebenwirkungen sind die Kollateralschäden der Schulmedizin.

Im Falle von Krebserkrankungen kommt noch eine dramatische Komponente hinzu, denn der Feind ist hier Teil des eigenen Körpers, entartete Zellen, die sich aus Gründen, über die Wissenschaftler aller medizinischen Richtungen seit Jahrzehnten debattieren, wie Fremdkörper verhalten, wie Eindringlinge von außen, oder – um im Bild zu bleiben – wie Terroristen, denen am eigenen Leben nichts liegt, wenn sie nur ihr Ziel erreichen, die Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, zu zerstören. Tatsächlich sind Krebszellen Selbstmordattentätern vergleichbar, denn wenn sie die Macht übernehmen und den Körper besiegen, sterben sie mit ihm.

 

In der Frühzeit der schulmedizinischen Offensive gegen diese gut versteckten und die gesamte Infrastruktur des Körpers nutzenden Feinde waren die Nebenwirkungen von Bestrahlung und vor allem Chemotherapie oft unerträglich. Manche Kritiker dieser Behandlungsmethode warfen den Ärzten vor, den Patienten mehr zu schaden als zu nützen. Oft schien tatsächlich unklar zu sein, ob hohe Dosen dieser Mittel nicht eher für den Tod des Patienten verantwortlich waren als die Krankheit selbst, vor allem wenn die Ärzte zu der radikalen Methode griffen, den Körper mit extremen Gaben von Chemotherapeutika zu überschwemmen, um möglichst alle entarteten Zellen, die überall verstreuten Metastasen, zu töten. Zwangsläufig brach das Immunsystem vollständig zusammen, und die meisten Patienten starben – »trotz unserer Behandlung«, sagten die Krebsspezialisten, »wegen dieser Behandlung«, ihre Kritiker.

Die Chemotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt, ist präziser geworden, schonender für das gesunde Gewebe. Oft kommen die Ärzte mit geringeren Dosen aus: Neue Verfahren sind in der praktischen Erprobung, die Mittel direkt an die Krebszellen zu führen und so Nebenwirkungen fast auszuschalten. Bestrahlung und Chemotherapie haben vielen Menschen das Leben verlängert und (bei niedriger Dosierung) im Sinne einer schmerzlindernden Therapie auch wieder lebenswert gemacht, zumindest für eine beschränkte Zeit. Immer häufiger aber erleben die Onkologen auch dauerhafte Heilungen, bei denen ihre Therapie offenkundig erfolgreich war.

Dennoch würde eine Theorie, die diese Erfolge vor allem oder gar ausschließlich der unmittelbaren Wirkung von Chemotherapeutika zuschriebe, zu kurz greifen. Der Onkologe W. M. Gallmeier wies darauf hin, dass nicht einmal diese wirkungsvolle Waffe der Schulmedizin für sich reklamieren könne, dem kranken Körper »von außen« Heilung zu bringen: Chemotherapie helfe bei einem metastasierenden Tumor oder einer Leukämie nur deshalb, weil »zum Teil noch völlig unbekannte körpereigene Mechanismen greifen«. So gesehen sei jede Therapie immer nur Hilfe zur Selbsthilfe.[2] Die wirklichen Zusammenhänge sind also noch nicht bekannt, sie sind vermutlich wesentlich komplexer, als sich das die meisten Ärzte im Augenblick vorstellen.

 

Aber auch ohne die Zusammenhänge vollständig zu verstehen, kann die Medizin auf vielen Gebieten Erfolge feiern: Unschlagbar ist die Kunst der Ärzte in der Akutmedizin, auch in der Chirurgie, wo heute mit fast unvorstellbarer Präzision selbst im Mikrobereich des Gehirns erfolgreiche Eingriffe möglich sind.

Aber was geschieht jenseits dieser Kunst und jenseits der Akutmedizin? Wenn eine Erkrankung länger als 14 Tage dauert, betonen ärztliche Kritiker der High-Tech-Medizin, könne die Schulmedizin nicht mehr dauerhaft heilen. Vor allem chronische Erkrankungen seien nicht mit einfachen biologischen Wirkmechanismen zu erklären.

Es ist wohl eher eine »systemische« Sicht, die der Wirklichkeit näher kommt: Jeder Mensch ist ständig zahllosen Störungen ausgesetzt, die das Gleichgewicht von Körper und Seele beeinflussen. Lange Zeit kann das System dennoch in Harmonie bleiben, denn es verfügt über die Fähigkeit, Schwankungen kreativ auszugleichen.

Wenn aber viele Faktoren zusammenkommen, »äußere« (wie falsche Ernährung, giftige Substanzen, Strahlung, Klimafaktoren, chronische Entzündungsherde, Abnutzungserscheinungen, ein Übermaß an Pilzen, Bakterien oder Viren) oder »innere« Faktoren (wie seelische Probleme), dann genügt vielleicht eine kleine zusätzliche Belastung, um große Symptome hervorzurufen.

Wenn der Arzt nun hinter diesen Symptomen eine einzige Ursache vermutet, muss er fast zwangsläufig scheitern: Es ist ja ein ganzes Geflecht von Ursachen, das hinter der diagnostizierbaren Erkrankung steht. Deshalb kann es nicht dauerhaft helfen, die akuten Symptome mit wirkungsvollen Medikamenten zu »löschen« – die Erkrankung wird nach einiger Zeit (vielleicht in veränderter Form) zurückkehren.

Aus Sicht der konventionellen Medizin wäre die neue Erkrankung Folge einer neuen Ursache, die mit der früheren Erkrankung in keinem Zusammenhang steht, oder sie würde als Folge eines gestörten Immunsystems verstanden. In Wirklichkeit aber könnte das System insgesamt überlastet und dauerhaft in Unordnung geraten sein.

 

Auch bei akuten Erkrankungen, die sich mit dem Angriff von Bakterien und Viren plausibel erklären lassen, sind die Zusammenhänge wesentlich komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Wenn Viren und Bakterien tatsächlich die einzigen Verursacher einer Infektion sind, warum erreichen diese mikroskopisch kleinen Lebewesen bei dem einen Menschen ihr Ziel und bei dem anderen nicht? Warum wird der eine krank und der andere bleibt gesund, obwohl vielleicht um ihn herum alle anderen erkranken? Warum ist die Abwehrkraft des einen Patienten geringer als die des anderen?

Im Fluss des Lebens

Eine ganze Forschungsdisziplin hat sich inzwischen dieser Frage angenommen, die Psychoneuroimmunologie, mit bahnbrechenden Erkenntnissen. Aber auch hinter den Ursachen, die diese Forscher herausgefunden haben, werden andere Wissenschaftler früher oder später noch grundlegendere Ursachen entdecken, eine offenbar endlose Kette[3], die im genetischen Code verankert zu sein scheint, genetische Prädisposition gilt derzeit als letzter Grund für die individuellen Unterschiede.

Aber so, wie die Physiker einst an das Atom als kleinsten, unteilbaren Baustein der Materie glaubten,[4] bis sie die Welt der Quanten entdeckten, noch kleinerer Bausteine, eine Reise immer tiefer ins Nichts, haben Forscher längst herausgefunden, dass die Gene keineswegs eine feste Größe sind, keine unveränderbare Grundlage des Menschen, sondern eher eine Summe von Möglichkeiten.

In einem kreativen Bild vergleichen manche Wissenschaftler die Gene mit einem Konzertflügel, der von selbst keine Musik entstehen lassen kann – er bleibt stumm, wenn niemand darauf spielt. Erst äußere Einflüsse, die sich in der Seele auswirken, bringen den Flügel zum Klingen, ein Steuerungsmechanismus, der wenig materiell erscheint.[5] Die ganze Wahrheit von Krankheit und Gesundheit ist deshalb wohl nur zu erfassen, wenn Ärzte und Patienten in größeren Zusammenhängen denken.

Die medizinische Richtung der Naturheilverfahren erhebt den Anspruch, den Menschen anders, »ganzheitlicher« zu sehen und zu behandeln als die konventionelle Medizin. Manchmal aber ersetzen Ärzte lediglich chemische Medikamente durch biologischen Substanzen, Pflanzen und Mineralien. Dann bleibt ihre Sichtweise eindimensional und erweitert nicht den Horizont. Wie in der konventionellen Medizin bekämpfen sie eine Kette von Symptomen, ohne den dahinterliegenden Zusammenhang zu erfassen, wobei sie lediglich künstliche Substanzen durch natürliche ersetzen, was oft, aber durchaus nicht immer, schonender ist.

Oft allerdings scheinen natürliche Substanzen umfassender zu wirken als synthetische, auch grundlegender als jene Stoffe, die findige Chemiker der Natur abgeschaut haben und die sie deshalb »naturidentisch« nennen. Offenbar spielt die Pflanze als vollständiges Lebewesen eine Rolle. Der zentrale Wirkstoff, den die Schöpfer neuer Mittel in den Labors der Pharmaindustrie analysieren, um ihn zur Basis eines neuen schulmedizinischen Präparates zu machen, mag zwar entscheidend sein – aber oft entfaltet er seine ganze Wirkung erst mit Hilfe anderer Bestandteile der Pflanze. Wird richtig dosiert, lassen sich in der Naturheilkunde Nebenwirkungen geringer halten, aber auch natürliche Heilmittel sind nicht immer ungefährlich, wenn auch meist schonender als ihre chemischen Konkurrenten.

Im Wortsinn ganzheitlich wird eine Behandlung erst dann, wenn sie tatsächlich den Menschen insgesamt betrachtet, also nicht nur den Körper, sondern auch Geist und Seele einbezieht. Viele naturheilkundlich orientierte Mediziner und auch manche Ärzte in den Allgemeinpraxen folgen diesem Gedanken. Indem sie so arbeiten, können sie in viel umfassenderem Sinne heilen als ihre hoch spezialisierten Kollegen, die ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf körperliche Symptome richten.

Der wissenschaftliche Reduktionismus hat den Ärzten ein früher unvorstellbares Fachwissen über die Funktion einzelner Organe gebracht. Immer mehr Mediziner beschäftigen sich den größten Teil ihres Lebens mit immer kleineren Ausschnitten der Wirklichkeit. So werden Genesungen möglich, die früher undenkbar schienen. Aber gleichzeitig geht der Überblick verloren, und Zusammenhänge bleiben unsichtbar.

In dieser hoch differenzierten Medizin erscheint die Seele als eine mögliche Verursacherin von Erkrankungen unter vielen, denen nur in einem ausgewählten Feld von Symptomen Beachtung geschenkt werden sollte. Es ist das Feld der psychosomatischen Medizin. Dem gegenüber, so glauben sehr viele Ärzte, gebe es aber das größere Feld der somatischen Erkrankungen, in denen die Seele keine oder eine zu vernachlässigende Rolle spiele.

Dieses Denken ist angesichts der Erkenntnisse der Psychoneuroimmunologie nicht mehr wissenschaftlich haltbar. Es schließt einen Teil des Ganzen aus und bringt sich so um die Chance, den Patienten als individuellen Menschen zu sehen, in dem sich Erkrankungen stets als Folge größerer Zusammenhänge zeigen.

Eine »ganzheitliche Medizin« ist dem gegenüber in der Lage, vom einzelnen Symptom auf übergeordnete Zusammenhänge zu schließen, die je nach Patient durchaus unterschiedlich sein können, und aus dieser Position zu heilen. Vor allem aber kann sie vorbeugend handeln.

 

Die Homöopathie kommt diesem Gedanken nahe. Sie geht stets mit den Symptomen und nicht gegen sie, sie begrüßt jede Reaktion des Körpers als Zeichen eines Mangels oder einer Forderung, die im Körper ihren Ausdruck findet. Mit ihrer Methode versucht sie, den Menschen insgesamt in Harmonie zu bringen. Das Prinzip, versteckte Erreger zu bekämpfen, ist ihr fremd – ihre Methoden funktionieren auch ohne dieses Bild.

Klassische Homöopathen wie einer der führenden Vertreter der wissenschaftlichen Homöopathie, der Grieche Georgos Vithoulkas, sehen einen Dreiklang von Köper, Emotionen und Geist, wobei der Geist aus ihrer Sicht die tiefste und wichtigste Ebene ist. Von fehlender Harmonie auf dieser Ebene, vermutet Vithoulkas, zum Beispiel durch extrem egoistische Zielsetzungen und einen Mangel an Vertrauen in den Fluss des Lebens, letztlich durch das Fehlen einer spirituellen Dimension, entwickelt sich Krankheit über gehemmte, verdrängte oder selbstzerstörerische Gefühle bis hin zu Schmerz und Unwohlsein auf der körperlichen Ebene.[6]

Die Methode der Homöopathie kann möglicherweise gegen diese körperliche Manifestation der Erkrankung, die den Patienten eigentlich zum Arzt geführt hat, lange nichts ausrichten. Die Symptome können sich sogar im Sinne einer »Erstverschlimmerung« vordergründig verstärken – aber Homöopathie wirkt im Idealfall als geistiges Prinzip gleichsam aus einer anderen, weniger materiellen Dimension und führt so am Ende, wenn die Behandlung gelingt, zu neuem, dauerhaftem Einklang des Patienten mit dem Leben und seinen Problemen, und damit letztlich auch zum Verschwinden der körperlichen Symptome.

 

Die von dem Psychologen Ruediger Dahlke entwickelte symbolische Denkweiser betrachtet Symptome nur als Warnsignale, Hinweise der Seele auf einen Mangel oder einen falschen Weg. Wer diesem Gedanken folgt, der lernt, seine Symptome als Helfer zu nutzen, die einen wichtigen Hinweis geben wollen.

Diese Sichtweise schließt nicht aus, quälende Symptome mit den Mitteln der konventionellen Medizin oder anderer Verfahren zu bekämpfen, denn auch wenn seelische Zusammenhänge erkennbar werden, bedeutet das noch keine unmittelbare Heilung. Aber allein schon die Idee, jedes Symptom als Hinweis zu begreifen, führt zu einer veränderten Wahrnehmung: Erkrankungen sind dann nicht mehr einzelne zufällige Ereignisse, sondern erscheinen in einem größeren Zusammenhang, der mit aktuellen Konflikten oder insgesamt mit den Lebensumständen eines Menschen zu tun hat.

Diese Sichtweise entspricht der Haltung eines Menschen, der sich nicht als biologische Maschine begreift, sondern als Geistwesen, das in ein Geflecht von Beziehungen eingebunden ist und mit der Welt insgesamt in Verbindung steht. Von dort ist es zu einer spirituellen Haltung nicht weit, wie sie in den archaischen Heilverfahren, vor allem im Schamanismus zum Ausdruck kommt, dem wohl ältesten Versuch der Menschheit, Erkrankungen zu verstehen und zu behandeln.

Auf den ersten Blick scheint die Denkweise dieser Kunst den Vorstellungen der modernen Medizin ähnlich: Auch Schamanen gehen stets von Symptomen aus, auch sie verfolgen »Eindringlinge« und entfernen sie aus dem Körper, auch sie versuchen, verlorene Kraft zurückzubringen und so dem Patienten wiederzugeben, was ihm fehlt. Aber diese Heiler bewegen sich nicht auf einer körperlichen Ebene, sondern sie reisen in »andere Bereiche der Wirklichkeit«, auf den Flügeln ihres Bewusstseins. In der Trance versuchen sie, verborgene Ursachen aufzudecken, die sich hinter den vordergründig sichtbaren Symptomen verbergen.

Jede einzelne Erkrankung mag ihre besondere Ursache haben, den Angriff eines Feindes zum Beispiel, wie das die Schamanen des Amazonas-Gebietes bei akuten Symptomen vermuten, aber Krankheit insgesamt ist aus ihrer Sicht eine Begegnung mit der Wirklichkeit hinter unserer sichtbaren Welt, der sich jeder Mensch stellen muss. Gesundheit kann nur entstehen, wenn es dem Patienten mit Hilfe des Schamanen gelingt, mit allen Kräften des Himmels und der Erde in Einklang zu sein. Diese Balance muss immer wieder neu gefunden werden, deshalb ist es aus Sicht der Schamanen nicht möglich, Krankheit insgesamt zu besiegen.

Ganz ähnlich sehen das auch die Geistheiler des Westens, die sich als Kanal für eine unbekannte, vielleicht göttliche Energie begreifen. Wenn sie ihre Hände auflegen, um einen Patienten von seiner Erkrankung zu befreien, verbinden sie ihn nach alter Vorstellung mit einer umfassenden Wirklichkeit, ohne die Gesundheit und Entwicklung nicht möglich zu sein scheint.

 

Alle diese Methoden der Komplementärmedizin werden in vielen Teilen der Welt praktiziert. In den Gesellschaften der Industrienationen, die mehr und mehr unter der Angst leiden, nur noch Objekte einer Gesundheitsindustrie zu sein, die vor allem ökonomischen Gesetzen folgt, gewinnen sie als Alternativen zum medizinischen Alltag eine immer größere Bedeutung. Die Patienten, so schreibt der Arzt Bernhard Lown, seien eben nicht mehr bereit, sich mit der »endgültigen Verfremdung« abzufinden:

Niemand wird auf Dauer akzeptieren, ausschließlich aufgrund seiner Krankheitssymptome gekennzeichnet zu werden, als nichts anderes als eine Ansammlung entzwei gegangener biologischer Teile. Patienten erbitten eine Partnerschaft mit ihren Ärzten, die ein Gespür sowohl für ihre schmerzgepeinigten Seelen als auch für ihre schlecht funktionierende Anatomie haben.[7]

Diese Partnerschaft suchen die Patienten mehr und mehr in den Praxen jener Ärzte und Heiler, die versprechen, den »ganzen« Menschen zu behandeln, also Körper, Geist und Seele wahrzunehmen.

Immer mehr Forschungsergebnisse zeigen, dass in der Verbindung dieser Ebenen tatsächlich der Schlüssel für einen Entwicklungssprung der Medizin liegen könnte. In dieser umfassenden Heilkunst, die jahrtausendealte Erfahrungen und neues Wissen miteinander in Beziehung bringt, gewinnen Faktoren an Bedeutung, die im medizinischen Alltag bisher nur eine Nebenrolle spielen: persönliche Überzeugungen der Patienten, rationale wie irrationale, »vernünftige« wie mystische, vor allem aber die Hoffnung und manchmal sogar die Gewissheit, wieder gesund werden zu können.

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Die Macht der Hoffnung

Die weise Frau von Büdingen

Nach meiner ersten Begegnung mit der Kunst indianischer Heiler war ich der festen Überzeugung, dass nur in der Ferne exotischer Kontinente altes Wissen überlebt haben konnte, in den Regenwäldern Amazoniens und in den unzugänglichen Bergen der Anden, auch in den Wüsten und Savannen Afrikas und in den Steppen Asiens, nicht aber in Europa, inmitten des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts unserer Zeit. Aber tatsächlich lag unter der Oberfläche rationalen Denkens auch in unseren Ländern noch immer die Macht eines alten Mythos verborgen, der Glaube an Zauberkräfte und wunderbare Heilungen, nicht tief verschüttet, sondern direkt unter der kargen Oberfläche wissenschaftlicher Skepsis. Jeder Mensch schien irgendwie und wenigstens heimlich an besondere Kräfte zu glauben, die meisten behielten diesen Glauben für sich, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Nur in bestimmten ländlichen Regionen, im Allgäu zum Beispiel und in anderen, abgelegenen Gegenden, hatten sich kleine Rituale erhalten und wurden mehr oder weniger offen praktiziert, und da und dort traten einzelne Personen auf, denen die Menschen ihrer Umgebung heilende Kräfte zusprachen. Wenn die Patienten daran auch öffentlich zweifelten, nutzten sie doch insgeheim die Chance, auf vielleicht schnellere und schonendere Weise gesund zu werden. Vor allem bei schweren Erkrankungen, wenn die Schulmedizin bereits kapituliert hatte, setzten sie auf die legendäre Kraft von »Wunderheilern«.

Durch einen Zufall erfuhr ich von einer Frau, der ein Kreis von Menschen in ihrer Stadt große Erfolge bescheinigte. Sie hieß Grete Flach. Als ich sie kennen lernte, war sie 86 Jahre alt und von jugendlicher Kraft. Grete Flach war eine deutsche »Curandera«, eine Heilerin, die zwar vor allem auf die Wirkung medizinischer Pflanzen setzte, aber auch um die Macht des Wortes und die verborgenen Kräfte ritueller Handlungen wusste.

Grete Flach war nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Egerland nach Büdingen gekommen, einer mittelalterlichen Kleinstadt nordöstlich von Frankfurt. Sie bezog ein kleines Haus in einer Straße, die »Über den Roten Gräben« hieß, direkt am Friedhof, ein Stück außerhalb der Altstadt. Über die Jahre hinweg erlangte sie eine gewisse Berühmtheit zunächst in der Stadt und dann in der Region. In zwei Büchern[8] gab sie ihre Rezepte weiter, und so wurde sie auch weit über die Grenzen ihres Landkreises hinaus bekannt.

 

Als ich sie das erste Mal besuchte, zusammen mit meiner Frau, war es Spätherbst, und ich wollte einen Fernsehbericht über Grete Flach drehen. Sie saß im Keller ihres Hauses, wo sie stets praktizierte, wie ich später erfuhr, auf dem Weg zum Eingang kam der Besucher durch einen dicht bewachsenen wilden Kräutergarten. Im Keller hörte ich die letzten Anweisungen an einen Patienten und nahm wahr, dass er zehn Mark für den Rat der Heilerin bezahlte. Mein Gespräch mit Grete Flach verlief in eher kühler Atmosphäre. Sie sagte, dies sei der falsche Zeitpunkt für einen Film, bald sei es Winter, und ihr wichtigster Schatz, der Kräutergarten, sei dann nicht mehr sinnvoll ins Bild zu setzen. Es war unmöglich, die Heilerin zur Mitarbeit zu überreden, so nutzte ich die verbliebene Zeit, um ihr meine linke Hand zu zeigen. Auf einem der Finger waren drei Warzen zu sehen, und ich fragte, ob sie da etwas tun könnte. »Aber natürlich«, sagte sie, »das ist doch gar nichts. Da kommen Sie am Tag nach Vollmond und bringen ein Stück Speck mit, aber ungeräuchert muss er sein. Dann werden wir die Warzen mit einem Gebet besprechen und sie auf den Speck übertragen, den Sie an einer unzugänglichen Stelle vergraben müssen. Und die Warzen werden ganz schnell verschwinden.« Während sie das sagte, strich sie mehrfach über die befallene Stelle auf meinem Finger.

Ich bedankte mich und gab ihr zehn Mark, wie der Patient vor mir. Zu meiner Überraschung reagierte Grete Flach ungehalten. »Das geben sie doch alle«, sagte sie. Ich war erstaunt und antwortete: »Das ist für die Beratung. Wenn wir den Film realisieren, können wir natürlich über ein Honorar reden« (zu diesem Zeitpunkt wurden im Deutschen Fernsehen nur selten Honorare gezahlt).

Grete Flach war nun nicht mehr freundlich, sondern offenkundig verstimmt. Sie schien sich ausgenutzt zu fühlen, aber ich war mir keiner Schuld bewusst. Ich verabschiedete mich und ging zu meinem Auto. Es war Nachmittag, und auf der Fahrt zurück nach Frankfurt ergriff mich eine nie gekannte Müdigkeit. Auch meine Frau, die das Gespräch verfolgt hatte, konnte sich kaum noch wach halten. Zu Hause angekommen musste ich mich sofort hinlegen, ich schlief unmittelbar ein und wachte erst nach 20 Stunden wieder auf, am Mittag des folgenden Tages. Und meiner Frau, obwohl sie nicht direkt beteiligt war, ging es genau so.

 

Wie auch immer dieses merkwürdige Erlebnis bei kühler Betrachtung zu erklären sein möchte: Der Ärger der Heilerin hatte bei uns offenkundig körperliche Reaktionen ausgelöst.

Am folgenden Tag begann sich auch noch mein Finger zu entzünden, die Warzen veränderten sich. Was zunächst wie eine neue Erkrankung erschien, war aber der Beginn einer Heilung: Nach etwa einer Woche verschwanden die Warzen spurlos, und sie kamen bis auf den heutigen Tag nicht zurück. Das Ritual mit der Speckschwarte war nicht mehr notwendig – schon die Ankündigung und vielleicht auch die Berührung meines Fingers hatten genügt.

Aus der Forschung über die Kraft der Suggestion ist bekannt, dass Warzen sehr gut auf hypnotische Beeinflussung reagieren, aber Grete Flach hatte mich nicht in eine Trance geführt. Die Wirkung ihrer Persönlichkeit war unmittelbar, äußerst kraftvoll und direkt.

 

Ein halbes Jahr später fuhr ich wieder nach Büdingen, wohl vorbereitet und in einem Zustand großer Offenheit. Ich hatte mich von allen Plänen verabschiedet und akzeptiert, dass ein Film vielleicht nie zu Stande kommen würde. Ich wollte die Heilerin noch einmal treffen, um mich zu bedanken und um nachzuspüren, ob ich auch heute noch besondere Kräfte wahrnehmen könnte. Und ich wollte ohne Diskussion akzeptieren, wenn Grete Flach dem Filmprojekt nicht zustimmen würde.

Mit dieser Haltung betrat ich den Keller. Die Heilerin war von großer Herzlichkeit und fragte, was mich zu ihr geführt hätte. Nachdem ich mich für die Heilung bedankt hatte, trug ich meinen Wunsch vor, und sie sagte zu meiner Überraschung sofort zu. In Erinnerung an ihre Geldforderung fragte ich sie nach ihren Honorarwünschen. Sie antwortete, Geld interessiere sie nicht, natürlich müssten wir nichts bezahlen, sie brauche kein Geld, da sie sehr einfach leben würde, wie jeder sehen könne. Und dann erzählte sie mir, dass im vorigen Jahr ein Mann von einem anderen Sender da gewesen sei, der bei ihr einen Film drehen wollte. Sie beschrieb die Situation und sagte dann: »Mit dem hätte ich nie zusammengearbeitet, aber mit Ihnen tue ich das gern.«