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Episch - Romantisch - Magisch - Dystopisch
Eyaland im Jahr 7353 lechzt nach Veränderungen. Unruhen machen sich breit. Drei Menschen träumen von dem gleichen Ziel: Freiheit. Doch ihre Methoden, diese zu erreichen, könnten nicht unterschiedlicher sein. Was geschieht, wenn Gefühle und Magie dem politischen System entgegentreten?
Der Auftakt eines HighFantasy Epos mit einer verbotenen Liebe
Der Klappentext:
Einst, als die Nomaden durchs Land zogen, ereignete sich an einem idyllischen Ort in Eyaland ein Unglück, das nicht hätte geschehen dürfen. Ein Bann wurde gesprochen, der bis heute nie gelöst worden war. Tausende Jahre später legte eine verletzte Frau unbedacht einen weiteren Bann über Eyalands Herrscher.
Begleite drei Menschen unterschiedlichster Herkunft, deren Schicksale miteinander verbunden sind! Sie ahnen nicht, dass ihr geliebtes Land kurz vor dem Untergang steht. Eine suchende Prinzessin, für die Wärme in ihrem Leben genauso fern zu sein scheint wie der Osten vom Westen. Ein mutiger Schmied mit dem Herzen eines Anführers. Ein gezeichneter Rebell, der sich nimmt, was er will.
Eyaland-Serie:
Band 1: Das Herz der Sväreos Band 2: Der Kuss der Kälte Band 3: Die Nebel der Tvibura Fjålls
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Inhaltsverzeichnis
Über die Autorin
Eyaland - Trilogie
Über das Buch
Widmung
Karte zu Eyaland
Personenregister
Glossar
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Epilog
Nachwort
Vorschau Band 2
Weitere Bücher der Autorin
© Zoe S. Rosary
Copyright © 2022 Zoe S. Rosary, Wittenberg
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind ggf. zufällig und nicht beabsichtigt.
Impressum
K. Blossey, Hans-Sachs-Straße 1, 06886 Lutherstadt Wittenberg
Lektorat & Korrektorat
KoLibri Lektorat |Sabine Wagner | www.kolibri-lektorat.de
Text
Zoe S. Rosary | www.zoe-rosary.com
Illustration
Salome L. Adam
Buchcoverdesign
Sarah Buhr / www.covermanufaktur.de
unter Verwendung von Bildmaterial von BestPix; Mikhail Zyablov; Yulia Buchatskaya; BokehStore; Anton Petrus; Mikadun; Katrina Leigh / Shutterstock
Layout, Satz und Kartenillustration
Christian Blossey |www.mcblossey.com
Zoe S. Rosary schreibt Fantasy mit Romantik und Tiefgang. Sie liebt komplexe Geschichten, fremde Welten, leidenschaftliche Charaktere und Happy Ends, obwohl Letzteres immer eine Ansichtssache ist.
Zoe S. Rosary, geboren 1980 in Lutherstadt Wittenberg, hat Biologie und Theologie studiert. Nach ihrem abgeschlossenen Studium in Greifswald arbeitete sie in Berlin als Biologin. 2012 zog sie zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zurück nach Wittenberg und entdeckte dort ihre Leidenschaft fürs Schreiben.
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Als Prinzessin Linea den Sväreos Anführer Ryen das erste Mal trifft, wirbeln nicht nur ihre Gefühle unkontrolliert durcheinander, sondern die Vergangenheit scheint auf magische Weise die Gegenwart zu küssen. Doch wie sieht die Zukunft des Landes aus? Ein High-Fantasy-Romance-Abenteuer mit dystopischen Elementen.
Band 1: Das Herz der Sväreos
Band 2: Der Kuss der Kälte
Band 3: Die Nebel der Tvibura Fjålls
Einst, als die Nomaden durchs Land zogen, ereignete sich an einem idyllischen Ort in Eyaland ein Unglück, das nicht hätte geschehen dürfen. Ein Bann wurde gesprochen, der bis heute nie gelöst worden ist. Tausende Jahre später legte eine verletzte Frau unbedacht einen weiteren Bann über Eyalands Herrscher.
Begleite drei Menschen unterschiedlichster Herkunft, deren Schicksale miteinander verbunden sind! Sie ahnen nicht, dass ihr geliebtes Land kurz vor dem Untergang steht. Eine suchende Prinzessin, für die Wärme in ihrem Leben genauso fern zu sein scheint wie der Osten vom Westen. Ein mutiger Schmied mit dem Herzen eines Anführers. Ein gezeichneter Rebell, der sich nimmt, was er will.
Gelingt es ihnen nicht, gemeinsam den ersten Bann zu brechen, wird Eyaland im ewigen Nebel untergehen.
Ich widme dieses Buch meinem fantastischen Ehemann.
Du liest mit deinen graublauen Augen mein Wesen und mein Herz, wie es niemand sonst versteht.
Jårrländer :
Ryen Alvar McBright:Jarro-Clan
Ida Aradis McBright: Ryens Schwester
Henry Toyvio McBright: Ryens kleiner Bruder
Gerod Kean:Bäcker im Jarro-Clan
Nelly Kjerfaldir:Idas beste Freundin
Maryanna Kjerfaldir:Dorfverwalterin des Jarro-Clans
Mayvin Olvik:Ärztin im Jarro-Clan
Wiebke Eksta:Jarro-Clan, Tochter von Ryka
Ryka Eksta: Pferdehändlerin im Jarro-Clan
Kelf Bailysen:Schmied im Jarro-Clan
Almira Bailysen:Kelfs Tochter
Göran Tarsen: Poststelle des Jarro-Clans
Kjavar Lundi:Jarro-Clan
Arvid Jersen: Stellvertreter der Sväreos
Fiete Bergensen: Gasthofbesitzer im Jarro-Clan
Erek Sunderson: Fischer im Trü-Clan
Thoren McBright: Trü-Clan
Lennart Fjellardson: Ek-Clan
Majk McBright: Ulfur-Clan
Norwin Eyrson:Ulfur-Clan
Silian Njemsen:Vedur-Clan
Ylvi Lardir:Vedur-Clan
Nante Verndsen:Alverio-Clan
Liv Vernddir: Nantes Schwester
Lavländer:
Isa Tangen:Königin
Linea Stjerna Tangen: Kronprinzessin
Elyn Tangen:Isas zweite Tochter
Marou Darin:Heerführerin
Samana Stordahl: Lineas Leibwächterin
Tarja Vardir:spätere Leibwächterin Lineas
Wencke Astdir: stellvertretende Heerführerin
Elta Ekdahl:engste Vertraute der Königin
Henrike Sjöndir:Beraterin der Königin
Talke Najdir:Grenzkriegerin am Pass
Thea Fjoludir: Botenkriegerin
Malin Pjekdahl:Leitung des jårrländischen Stützpunktes für den Vedur-Clan, Alverio-Clan und Jarro-Clan
Irke Osandir: Leitung des jårrländischen Stützpunktes für den Ulfur-Clan, Örn-Clan und Binir-Clan
Urda Dugurin:Leitung des jårrländischen Stützpunktes für den Trü-Clan, Hav-Clan und Ek-Clan
Runa Turdir:Kriegerin, Marous 6
Tilda Hattdahl: Kriegerin
Merle Hjeldir: Kriegerin
Inga Diritin: Kriegerin
Juna Käradir:Kriegerin
Herdis Jörnek:Kriegerin
Fehmke Retjedahl: Kriegerin
Marous 6: Anouk Gradir, Grit Hjennen, Vanja Noradin, Pernilla Tjandir
Bente Harnek: Friseurin in Kastellina
Südländer:
Fenja Irenia Tangen: Schwester von Isa Tangen
Glenna Rasten: Fenjas engste Vertraute
Loan Jorin Tangen: Fenjas Ziehsohn
Kara Svikdir:Kriegerin in Södvigi
Berit Nasjari: Kriegerin in Södvigi
Fiene Bjondahl: Bedienstete in Södvigi
Lenna Svikdir: Karas Schwester, Bedienstete in Södvigi
Ragna Flyjadin: Kriegerin in Södvigi
Yorick Besydsen:Jorins rechte Hand
Friedtjoff Hesjarsen: Verantwortlicher für den Stall in Södvigi
Tyr Hesjarsen:Verantwortlicher für den Stall in Södvigi
Daland Tilvik:Arzt in Södvigi
Jorins beste Freunde: Talyn Wysek, Fenris Lartusen, Peer Tonarsen, Korff Elkjef, Oyestein Servik
Sjary Perdir:Kriegerin von Perbyen
Allfajos:Der Name eines allmächtigen Gottes, an den die Jårrländer glauben.
Barkadur: södländischer Markt, eine Art Basar
Beaninnda/Bea:södländische Begrüßung
Bjinevt-Älskary: die jårrländische Hochzeit
Blasjati:jårrländisches Schimpfwort
Clans: Familien- und Dorfgemeinschaften in Jårrland. Es gibt insgesamt neun Clans. Die Dörfer heißen genauso wie der Clan.
Fenjöndur: Selbstgebrannter, hochprozentiger Alkohol, leicht bitter, würzig aromatisch im Geschmack. Wird in Jårrland getrunken.
Kräuterzusätze:Schafgarbe, Wermut, Wacholder und Engelswurz.
Jårrland: Der nördliche Landabschnitt Eyalands. Die Grenze im Süden bildet der Jårrland-Pass.
Flingrar:eine Getreideart
Flingöd/Flingödli:aus Flingrar gefertigtes Brot und Brotprodukte
Glädjan: Bordell
Glymtland: ein Landabschnitt jenseits des Ozeans
Himelinn: jårrländisches Wort für Himmel, sowohl der sichtbare als auch der unsichtbare
Kastellina:Hauptstadt Eyalands
Lavland: Der mittlere Landabschnitt Eyalands. Die Grenze bildet im Norden der Jårrland-Pass und im Süden die Wüste.
Lunjegish: Mittagspause in Södland, eine Art Siesta
Mjokee:in Lav- und Södland verwendete Schwangerschaftsverhütung
Rikland: westlicher Teil Eyalands im Zeitalter des Fortschritts
Safjärla: Standardgetränk in Lavland, eine Art fruchtiger Perlwein
Södland: Südlichster Teil Eyalands. Die Grenze nach Norden bildet die Wüste.
Sovstellan: Unterkunft der Kriegerinnen in Kastellina
Sväreos:illegale Untergrundkämpfer in Jårrland
Tvibura Fjålls: im Nebel versunkene Zwillingsberge in Jårrland
Våldland:östlicher Teil Eyalands im Zeitalter des Fortschritts
Vinstablom: das Wahrzeichen Kastellinas, der Springbrunnen im Schlosshof mit der Marmorstatue
Viräd:jårrländisches Wort für Feigling
Vivanne:Begrüßungsformel für alle Mitglieder der königlichen Familie
Zeitalter:
Eyaland hat eine eigene geschichtliche Einteilung.
Zeitalter des Prächaos: Urzeit
Zeitalter des Chaos: Beginn der Menschheit, Nomadentum, ohne Aufzeichnung, nur mündliche Überlieferung
Zeitalter der Unterdrückung: erste Aufzeichnungen: 0-2740
Die Jahre der Befreiung: 2741-2823
Zeitalter der Philosophie: 2824-4278
Zeitalter des Fortschritts: 4279-6853
Die Jahre der Besinnung: 6853-6953
Zeitalter der Femininen Blüte: 6954-7456
enommen und kraftlos lief sie über das zerstörte Land. Es zeigte sich in unnatürlichen Farben. Die surrealen grünen und gelbroten Nebelschwaden, die dicht über Eyaland waberten, verrieten eine lebensfeindliche Atmosphäre. Der Himmel war nicht zu erkennen. Der weite, strahlenresistente Anzug, den sie trug, hielt sie davon ab, zusammenzubrechen und aufzugeben. Durch ihn kam es ihr vor, als wäre sie ein Astronaut auf einem Planeten. Elisara Tangen fühlte sich fremd wie ein Betrachter einer anderen Welt.
Als ob sie Tilians Gear-Set trug. Das Headset drückte ein wenig unangenehm in den Ohren. Das enge Visier am Kopf schränkte ihr Sichtfeld ein. Ihre Fingerspitzen kribbelten, weil ein Mikrostrom durch sie floss, damit sie ihre Befehle geben konnte. Der Rest von ihrer Wahrnehmung wurde durch ihr Unterbewusstsein interpoliert. Ihr Gehirn stellte das, was sie wahrnahm, vollständig infrage. Alle Sensoren in ihr schlugen Alarm und vermittelten ihr, dass es sich nicht um die Realität handeln konnte. Nur ihr hörbarer Atem und das Klicken des Sauerstoffgerätes sprachen für die Wahrheit. Eine Wahrheit, die schwer zu tragen war.
Tilian hatte die Spiele in der VR geliebt. Stundenlang hing er in den Seilen und Gurten des Gear-Raumes im Keller der Villa und verbrachte kostbare Zeit seines Lebens in einer Welt, die nicht existierte. Sie konnte am Ende untergehen und der Held sein Leben verlieren, doch Schmerzen empfand er keine. Denn Tilian selbst, im Gear-Raum, blieb unversehrt.
Nun lag es an Elisara, alles zu steuern. Sie hatte die Befehlsgewalt. Wie es nun weiterging, würde einzig und allein von ihren Entscheidungen abhängen. Nur war das keine VR, die Tilian, ihr Sohn, so geliebt hatte. Es war Realität. Ihre eigene! Keine virtuelle! Es war ihr geliebtes Eyaland und der Anzug war kein Gear-Set. Er war nicht nur ihre einzige Überlebenschance oberhalb der Erde, sondern auch ihre emotionale Stütze. Die Last auf ihren Schultern schien sie fast zu erdrücken.
Tilian und seine VR gehörten der Vergangenheit an, genauso wie ihr Mann Anders.
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu verhindern. Vertrau mir, Elisara!«, hatte Anders ihr beim Abschied gesagt.
Vertrauen! Ja, das hatte sie wirklich getan. Sie hatte Anders mehr vertraut als irgendjemandem sonst, weil sie ihn über alles geliebt hatte. Vertraut und an das Gute geglaubt. Doch alles, was sie nun sehen konnte, war Lichtjahre davon entfernt, gut zu sein. Hier in Eyaland hatte eine Massenvernichtung stattgefunden. Und niemand anderes als ihr geliebter Mann, der von ihr Vertrauen gefordert hatte, hatte den Auslöser betätigt.
»Dann tu es nicht, Anders. Unterzeichne das Abkommen! Lenk in letzter Sekunde ein!«
»Niemals, mein Engel! Niemals! Allein schon wegen dir nicht! Es ist einfach zu spät, um jetzt noch einen diplomatischen Weg einzuschlagen.«
»Krieg und Gewalt waren noch nie eine Lösung, Anders.«
Sie sah ihn vor sich, als ob es gestern gewesen war. Wie er sie verzweifelt angesehen hatte. Hilflos. Mit dem Rücken zur Wand stehend. In die Enge getrieben. Und doch blitzte immer wieder etwas Gefährliches in seinen Augen auf, wenn er an die Våldländer dachte.
»Ich weiß. Doch ich werde niemals zulassen, dass meine Frau und Riklands Kinder in die Hände tyrannischer und religiöser Fanatiker fallen. Ich will nicht wissen, was sie mit euch anstellen würden.«
»Sie werden uns dennoch bekommen, Anders. Sieh doch genau hin! Sie sind stärker als wir, weil sie eine Einheit sind. Ihr Patriotismus macht sie blind und gleichzeitig extrem stark. Sie werden uns überrennen. Wenn du nachgibst, bleiben am Ende mehr am Leben. Vor allem Tilian. Was ist mit dir?«
»Ich bin der erste, den sie töten werden. Ob ich nachgebe oder nicht. Nein, mein Engel, so weit lasse ich es nicht kommen«, hatte Anders gemurmelt.
In diesem Augenblick erkannte Elisara die Pläne ihres Mannes. Er wollte sie also zünden. Und die Tatsache, dass sie nun in diesem Schutzanzug über die Reste von Rikland lief und der Szintillationszähler alarmierend rot in dem Visier ihres Helmes ausschlug, bestätigten Anders’ Vorhaben.
»Unsere Niederlage, Elisara, wird sie alle in den Tod reißen. Es ist unsere einzige Hoffnung, die Våldländer dauerhaft zu vernichten. Du musst mir vertrauen, mein Engel. Ich weiß, was ich tue.«
»Vertrauen? Wenn du den nuklearen Sprengkopf zündest, schickst du nicht nur die Våldländer und die Rikländer in den Tod. Du bringst Zerstörung über ganz Eyaland und darüber hinaus. Wie kannst du so etwas nur verantworten?«
Eyaland bestand aus einem länglichen Kontinent, der im Norden bergig war und im Süden weißgoldene, mit Palmen besetzte Sandstrände aufwies. Im Westen lebten die Rikländer und im Osten die Våldländer. Sie teilten sich seit Aufzeichnungen Eyaland.
Wie es nun dazu kommen konnte, dass sich beide Nationen so hassten und bekriegten, konnte Elisara nicht nachvollziehen. Es gab Gerüchte und Überlieferungen. Geschichtsschreiber und Politikkritiker äußerten reihenweise Vermutungen und schlaue Ratschläge. Doch keiner würde je den wahren Grund der Feindschaft erfahren. Niemand war dabei gewesen, als die zwei Familien sich trennten.
Anders hatte alle politischen Entscheidungen von ihr ferngehalten. Sie wusste zu wenig über die aktuellen Vorkommnisse. Es ging die ganze Zeit um irgendein Abkommen zwischen beiden Nationen. Was darin stand, wusste sie nicht.
Anders hatte über den altertümlichen Lebensstil der Våldländer geschimpft. Elisara allerdings war die Lebensweise der Våldländer egal gewesen. Sollte doch jeder leben, wie er es für richtig hielt. Diese Meinung teilte Anders nicht. Er hatte Elisara nie als ebenbürtig angesehen. Sie war eben nur seine Ehefrau. Nur ein attraktives Vorzeigeobjekt, das er zu gegebenen Anlässen aus der Schublade zaubern und vorführen konnte. Und Elisara wusste immer, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie hatte über diesen Umstand hinweggesehen, denn Anders war die Liebe ihres Lebens gewesen.
Dass Anders in die Forschung und Entwicklung von Massenvernichtungswaffen investierte, hatte Elisara erst sehr viel später erfahren. Generell war Rikland die technisch höher entwickelte Nation gewesen. Aber der technische Fortschritt hatte die Rikländer nicht weitergebracht. Elisara fand, dass die ganze VR und KI die Mentalität ihres Volkes beeinträchtigten. Arrogant waren sie geworden. Sie führten sich auf wie Götter. Unbesiegbar. Unverzichtbar. Wertvoller.
Nachträglich würde sie sogar sagen, dass die Technik den Rikländern geschadet hatte. Sie verloren den Bezug zu sich selbst und zu ihrem Land, von dem sie abhängig waren, wenn sie überleben wollten.
Tilian hatte keine Angst vor dem Krieg gehabt. Für ihn war es wie ein realistischer First-Person-Shooter.
»Ich bin ein guter Schütze! Ich treffe immer, Ma«, hatte er gesagt.
Nur hatte Tilian noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Nur virtuell. Zumal er nicht drei Leben hatte, sondern ein einziges.
Und dennoch musste Elisara sich eingestehen, dass nun auch ihr Leben von der KI abhängig war. Die KI und die Technik hatten ihr Leben gerettet. Sie war davon abhängig, dass sich ihr Anzug rechtzeitig meldete, wenn der Sauerstoff zu Ende ging. Und die KI war es, die nun die Drecksarbeit übernehmen würde. Roboter würden all die Spuren des Krieges beseitigen. Die tödliche Strahlung musste neutralisiert und umgewandelt werden. Ohne die Roboter würden die übrig gebliebenen Rikländer nie wieder den blauen Himmel über sich sehen.
Die schemenhaften Silhouetten abgeknickter Bäume eines Waldstücks tauchten vor Elisara auf. Sie zuckte kurz zusammen.
Gruselig!
Elisara blieb für einen Moment stehen und beobachtete ihre Umgebung. Doch nichts regte sich. Elisara seufzte leise. Eyaland würde sich verändern. Es würde nie wieder so aussehen wie bisher.
Eyaland zeigte die schönsten Landstriche, die man sich nur vorstellen konnte. Unzählige kleinere Inseln umgaben das länglich gestreckte Festland in jeder Himmelsrichtung. Sie erinnerte sich noch an die vielen Robben und Seehunde, die sich auf den Inseln im Norden tummelten. Dahinter kam nur noch das unendliche Meer, was genauso faszinierend anmutete. Immer wieder konnte man an der Westküste Wale und Delfine beobachten. Doch auch Tiere und Pflanzen gehörten nun der Vergangenheit an. Die Strahlendosis, die der Szintillationszähler maß, ließ vermuten, dass Anders mehr als einen nuklearen Sprengsatz gezündet hatte.
Seitdem sie Satelliten ins Weltall geschossen hatten, wussten die Rikländer, dass es noch weitere Landstriche auf dem Planeten gab. Zwei mit Eis überzogene Flächen an den Polen. Eine im Norden und eine im Süden. Einen weiteren, riesigen Kontinent auf der anderen Seite des Planeten. Glymtland.
Es gab unzählige Bestrebungen, Schiffe nach Glymtland zu senden. Laut GPS und Funk waren sie auch angekommen. Doch kurz nach der Ankunft brach der Kontakt auf geheimnisvolle Weise immer ab. Kein Schiff kam je zurück. Niemand wusste, was aus den Pionieren, wie sie sich bezeichneten, geworden war. Nicht einmal ihre Schiffe waren noch über GPS auffindbar. Ob die Strahlung auch Glymtland erreichen würde? Es wäre dumm, zu glauben, dass die nukleare Strahlung nur über Eyaland bleiben würde.
»O mein Gott!«, hörte Elisara die Stimme von Marit, ihrer Freundin und Physikerin, über Funk im Ohr, die offensichtlich gerade aus der Schleuse getreten war. »Eyaland ist tatsächlich komplett zerstört. Und diese Strahlung ist jenseits von Gut und Böse.«
Elisara reagierte nicht. Was konnte man zu dem, was Anders ihr hinterlassen hatte, auch sagen? Es war mehr als nur eine Katastrophe.
»Versprich mir, dass du erst aus dem Berg kommst, nachdem sechs Monate Stille eingekehrt ist.« Er hatte sie eindringlich angesehen und sie hatte sich darangehalten.
Sie hatte sich immer danach gerichtet, was Anders von ihr verlangt hatte. Doch nun machten sich berechtigte Zweifel in ihr breit.
»Was ist mit dir? Ich liebe dich, Anders. Ich will das alles nicht. Ich will nur dich.«
»Ich weiß, mein Engel, und ich liebe dich. Wenn wir siegen, komme ich eher zu dir. Nur du und ich haben Zugriff auf das Tor.«
Anders kam nicht. Tilian auch nicht. Jeden einzelnen Tag seit Beginn des Krieges hatte Elisara gewartet. Jeden einzelnen beschissenen Tag hatte sie gebetet und gehofft. Mehr als sechs verdammte Monate lang. Mit jedem Tag, der verstrich, griff mehr Taubheit und Ohnmacht nach Elisaras Herz. Lange hatte sie das Unvermeidliche nicht wahrhaben wollen und so hatte sie den Zeitpunkt, das Geschehene in Augenschein zu nehmen, versucht, hinauszuzögern. Doch die Nervosität machte sich unter ihnen breit. Alle Überlebenden wollten wissen, wie es nun um Eyaland stand. Sechs Monate lang war keine Detonation von Bombeneinschlägen mehr zu hören gewesen und auch die Schallüberwachung an zwanzig verschiedenen Standorten von Rikland bestätigte das Ende des Krieges.
Anders hatte lange Zeit im Voraus geplant. Die Perfektion dessen, wie er Elisara und Riklands Kinder geschützt hatte, war brillant. Alles war bis ins kleinste Detail durchdacht. Nichts hatte er vergessen. In Anders hatte sich schon immer der Stratege abgezeichnet.
Er ließ im Norden in den Bergen ein strahlungssicheres Gebiet unterhalb der Erde ausbauen. Genauer gesagt, im Berg selbst. Er hatte sehr geheimnisvoll getan, als er ihr zwei Monate vor Kriegsbeginn diesen Ort gezeigt hatte. Perfekt und vollständig eingerichtet. Vorbereitet. Dorthin hatten sie alle Kinder und Jugendliche bis vierzehn evakuiert. Alle anderen, ob Mann oder Frau, wurden rekrutiert. Alten, Kranken und Behinderten hatte man die Möglichkeit gegeben, über ein Medikament friedlich einzuschlafen. Viele hatten es genutzt. Auf zehn Kinder kam eine Frau, die sich in Zukunft um sie kümmern würde. Zusätzlich gab es eine Mathematikerin, eine Physikerin, eine Technikerin, ein paar Ärztinnen und eine Informatikerin. Familien gab es nicht mehr. Keine Väter. Keine Großeltern.
»Die Robots stehen bereit, Frau Präsidentin. Wie sind Ihre nächsten Anweisungen?« Imke, die Technikerin, hatte sich fragend über Funk an sie gewandt.
»Nenn mich nicht so!«, war Elisaras erste Antwort.
»Ich versteh nicht …«
»Der Präsident ist tot. Keiner kann diese hohe Strahlendosis überleben. Es gibt keinen Präsidenten mehr und somit auch keine Präsidentin.«
»Aber …«
»Sag einfach Elisara zu mir, Imke. Die neue Generation braucht keine Präsidentin. Sie hat ihre Väter und ihre Großeltern verloren. Alles, was sie brauchen, sind nun starke Mütter, die ihnen die Liebe schenken, die der Krieg versucht hat, ihnen zu nehmen. Starke Frauen, die ihnen zeigen, dass es weiterhin ein Morgen gibt und immer geben wird.«
Elisara wusste nicht, ob sie selbst noch an die Liebe glauben konnte, auch wenn sie sich Imke gegenüber darauf berufen hatte. Anders hatte so oft beteuert, dass er sie über alles liebte. Doch er hatte sie im Stich gelassen. Seitdem er die Präsidentschaft von Rikland übernommen hatte, war er nicht mehr er selbst gewesen. Er arbeitete viel zu viel. Oft war er wütend, manchmal frustriert. Die Last, die auf seinen Schultern lag, war für Elisara fast mit bloßem Auge sichtbar gewesen. Sex und Leidenschaft gab es schon lange nicht mehr in ihrer Ehe. Entweder besorgte er es sich mit seiner Sekretärin im Büro oder allein das Machtgerangel mit Våldland beglich seinen Testosteronspiegel, dass er Elisara so oft abgewiesen hatte. Glücklich war etwas anderes. Aber sie hatte ihn immer in seinen Bestrebungen unterstützt. Fremdgehen oder eine Scheidung waren für sie keine Alternativen. Erst zu spät erkannte sie, in was für einer katastrophalen Lage sich Rikland befand. Nun hatte er sie alleingelassen mit Tausenden von Waisen, die eine Katastrophe vererbt bekamen.
»Es gibt nur ein Problem!«, begann Imke zögerlich nach Elisaras Zurechtweisung.
»Und das wäre?« Elisara wandte sich Imke erneut zu. Sie hasste Probleme. Vor allem nukleare Probleme.
»Geplant war eigentlich, das Nebelgebiet am großen See vorerst auszusparen. Die Roboter würden den Kontakt zu den Satelliten verlieren«, fing Imke an, zu erklären.
Elisara sah Marit im Augenwinkel nicken. Sie verstand nicht, worauf Imke hinauswollte. Mit einer Handbewegung deutete sie an, dass Imke fortfahren sollte.
»Die KI der Roboter kann den gegenwärtigen Nebel nicht von dem natürlichen Nebel der Zwillingsberge am See unterscheiden«, erklärte Imke weiter.
»Und was bedeutet das genau für uns?«
»Das bedeutet, dass wir unter Umständen die Roboter in dem Nebel der Zwillingsberge verlieren werden.« Imke sah Elisara verunsichert an.
Das durfte doch nicht wahr sein? Hatte daran denn keiner bei der Programmierung der Roboter gedacht?
»Marit! Was schlägst du vor?« Wenn Elisara jemandem vertraute, dann war es Marit.
»Nichts, Elisara. Wir gehen das Risiko ein.«
»Und der Kontakt?« Imke war nicht überzeugt.
»Der Kontakt zu den Robotern wird im Nebelgebiet abbrechen. Aber wenn sie dort fertig sind, fahren sie wieder heraus und reinigen das Umfeld. Sie haben eine Offline-Karte für Notfälle abgespeichert.«
»Gut, dann werden wir das Risiko eingehen müssen. Das Nebelgebiet nicht zu reinigen, wäre grob fahrlässig. Eyaland muss wieder hergestellt werden. Uns bleibt nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung«, beendete Elisara die Diskussion und atmete tief durch.
»Willst du wirklich nicht nach Überlebenden suchen lassen?«, fragte Marit vorsichtig.
»Nein! Selbst wenn, so können wir nichts für sie tun. Sie sind verstrahlt und wir können sie nicht mit in den Berg nehmen, ohne uns selbst zu schaden.«
Imke und Marit warfen sich einen fragenden Blick zu, der Elisara nicht entgangen war. Doch sie reagierte nicht darauf.
»Wir aktivieren die Strahlungsroboter«, beschloss Elisara.
Es brachte eh nichts, über das trostlose, düstere und neblige Schlachtfeld zu marschieren. Sie wollte Eyaland so in Erinnerung behalten, wie sie es als Kind erlebt hatte. Die ersten Roboter würden den Abbau der lebensfeindlichen Strahlung beschleunigen. Danach würden weitere Roboter aufräumen, sodass nichts mehr übrig bleiben würde, was den Krieg überdauert hatte. Kein Haus, kein Auto, keine Technik. Die Materialien würden recycelt und in biologische Substanzen zersetzt werden. Zum Schluss würden die letzten Roboter der Natur helfen, Eyaland wieder zurückzuerobern, damit die fünfte Generation nach Elisara wieder auf dem Kontinent leben konnte.
Für vier Generationen waren getrocknete Lebensmittel eingelagert. Nutztiere hatten sie mit in den Berg gebracht, die sie in der Zukunft auswildern konnten. Vier Generationen würden die Sonne, die Sterne und den blauen Himmel nicht zu Gesicht bekommen. Nur künstliches Licht, künstlich erzeugten Sauerstoff, Wasser aus den tiefsten Schichten des Berges, eingelagerte Kleidung und künstliche, haltbar gemachte Lebensmittel. Alles musste für das Überleben unter der Erde kontrolliert werden, selbst die Geburten. Das war es, worauf Elisara sich jetzt konzentrieren würde.
Mehr als sechs Monate lang waren ihre Gedanken nur bei Anders und Tilian gewesen. Doch nun musste sie an die Zukunft denken, denn die lag in ihrer, Elisaras, Hand. Und sie würde alles daransetzen, dass so etwas nie wieder geschehen würde. Frauen würden von nun an die Leitung übernehmen, denn Männer hatten sich lange genug auf Eyaland ausgetobt und es schließlich völlig zugrunde gerichtet. Anders hatte es gewusst. Und je mehr Elisara das erkannte, desto mehr verschwand ihre Liebe zu ihm. Bitterkeit und Hass zogen stattdessen in ihr Herz ein, ohne dass sie sich dessen erwehren konnte.
»Elisara, mein Engel. Deine Aufgabe ist bedeutend wichtiger als meine. Du bist die Zukunft. Nur das Wissen, dass du in Sicherheit bist, lässt mich durchhalten. Du bist meine wahre Waffe gegen die Våldländer. Die Rikländer werden die Zeiten überstehen und als wahre Sieger hervorgehen.«
Sie hatte ihm ihr Herz geschenkt und er hatte sie nur für seinen strategischen, persönlichen Feldzug benutzt.
In mehr als hundert Jahren, wenn die fünfte Generation nach ihr den sicheren Berg verlassen würde, würden sie bei null anfangen. Pfeil und Bogen zum Jagen. Einfache Pflüge, um Felder zu bestellen. Häuser aus Lehm, Holz und Feldsteinen. Kleidung aus Leinen, Wolle und Leder. Haupttransportmittel: das Pferd. Kein Auto. Kein Telefon. Keine Technik. Und vor allem keine Schusswaffen oder nuklearen Sprengsätze. Sie würde alles Wissen darüber vernichten und beseitigen.
Die einzigen Bücher, die neben den Geschichtsbüchern mitgenommen wurden, waren Bücher über das einfache Leben in der Wildnis. Bücher über Schmiedekunst, Landwirtschaft, Tierhaltung und homöopathische Heilungsmethoden. Die Generationen nach ihr würden alles neu erfinden müssen. Sie bekamen eine zweite Chance und hoffentlich machten sie es besser. Und sie hoffte inständig, dass sie Dynamit, Schwarzpulver und die Nuklearchemie nicht noch einmal entstehen lassen würden.
»Alle Strahlungsroboter sind aktiviert und ausgesetzt, Elisara«, informierte sie Marit über Funk.
»Auch die Unterwasserroboter?«
»Ja. Imke und Leira haben sie im Fjord ausgesetzt. Sie warten bereits am Tor auf uns.«
»Gab es Ausfälle?«
»Nein, Elisara. Alle haben tadellos funktioniert. Hoffen wir mal, dass es weiterhin so bleibt«, erwiderte Marit. »Wir können sie im Berg über ein Signal auf dem Bildschirm verfolgen und ihre Daten auswerten.«
Marits Zweifel über die Roboter waren Elisara durchaus verständlich. Schließlich war das hier der erste Feldversuch. Anders’ Feldversuch. Nur dass er nie Kenntnis über die Ergebnisse erlangen würde.
»Sehr gut.«
Die GPS-Satelliten im Weltraum funktionierten noch. Die Zentrale im Berg hatte eine interne Empfangsstation.
»Wann möchtest du wieder hierherkommen? In einem Jahr?«, fragte Marit.
»Nein. In zehn Jahren, das reicht. Ich muss mir das Elend nicht so oft anschauen. Laut Prognosen sollte die Strahlung in zehn bis zwölf Jahren eliminiert sein. Dann können wir am besten abschätzen, wie die nächsten weiteren Schritte aussehen werden. Ich hoffe, die Akkuleistung der Roboter hält.«
»Die Akkus sind großartig, Elisara, genauso wie die Software der Roboter. Vertrau der künstlichen Intelligenz! Mechanische Ausfälle können wir jetzt nicht gebrauchen. So viele Ersatzteile haben wir nicht und in diesem klobigen Anzug lässt sich die Feinmechanik schlecht reparieren. Ich programmiere das Tor dann auf zehn Jahre in der Zukunft.«
Künstlicher Intelligenz vertrauen? Nein! Elisara würde niemandem mehr vertrauen. Weder einem Mann noch einem Computer noch einem Gott und auch nicht der Liebe. Niemand hatte auf sie gehört. Weder Anders noch Gott. Und die Sprachsteuerung in ihrem damaligen Auto war noch nie ihr Ding gewesen. Vertrauen und Glaube? Elisara konnte nur den Kopf schütteln.
Wozu betete man, glaubte an das Gute, wenn schlussendlich doch die Katastrophe eintrat? Eigentlich war sie mit dem Glauben an einen allmächtigen Gott groß geworden wie Marit auch. Zusammen hatten sie unzählige schöne Gebetsstunden erlebt. Doch den Glauben an die Liebe konnte sie nach diesem entsetzlichen Desaster nicht mehr aufrechterhalten. Gott hatte sie genauso enttäuscht wie Anders. Laut Kalender wäre in zwei Wochen das Fest der Liebe. Das Licht und die Liebe Gottes waren zu verehren … Sie sollte dieses Fest abschaffen. Gott kam nicht, um zu helfen. Er griff auch nicht in die Dummheit der Männer ein, um Eyaland zu retten. Es gab keinen Grund mehr für sie, daran noch zu glauben.
»Mach das, Marit. Ich versiegle das Tor dann von innen mit meinem Fingerabdruck.«
Marit nickte ihr zu und ging zum Eingang des Bergtores, um die Daten einzugeben. Gemeinsam passierten die vier Frauen unzählige Schleusen, wechselten die Kleidung, wurden geduscht und mehrfach von einem Strahlungsmesser gescannt, ehe sie wieder in ihren Jeans und Shirts im Inneren des strahlungsresistenten Berges standen.
»Hast du Fotos gemacht?«, fragte Leira.
»Ja. Wir können sie heute Abend gemeinsam ansehen. Dann sind alle gleichzeitig informiert«, erwiderte Elisara und legte ihre Hand auf den Scanner, um das äußere Tor zu schließen.
Dieser Berg würde von nun an ihr neues Zuhause sein. Sie war stark genug, das zu akzeptieren. Rikland und Våldland gehörten nun der Vergangenheit an. Vor ihr befanden sich Tausende von Kindern und Jugendlichen, die in Zukunft die Nation der Eyaländer bilden würden. Nie wieder gäbe es eine gesellschaftspolitische Spaltung des Landes und nie wieder würde ein Mann ihr Volk regieren. Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um diese zwei Grundsätze in der nächsten Generation zu verankern. Die Männer hatten ihre Chance verspielt. Nun begann das Zeitalter der Frauen und Elisara würde einen anderen Fokus setzen.
Einsamkeit entstand nicht durch die Abwesenheit anderer Menschen. Denn ich war täglich von Tausenden Kindern, Jugendlichen und meinen engsten Freundinnen umgeben und fühlte mich dennoch einsamer denn je in meinem Leben.
s hieß, die Nebel der Tvibura Fjålls verschlangen alles, was sich ihnen näherte. Man erzählte sich, dass noch nie jemand den Nebeln entkommen war, hatte man sie einmal betreten. Ich hatte sie mir furchterregender vorgestellt. Doch das waren sie gar nicht. Sie wirkten sehr einladend. Freundlich. Faszinierend. Wunderschön.
Schneeweiß unter mir scharrte unruhig mit den Hufen. Sie wollte zu den anderen aufschließen. Doch ich hielt die Zügel kurz und starrte auf den Ort, den jeder mied: die Tvibura Fjålls. Zwei im Nebel verborgene Berge, deren Gipfel ich nicht sehen konnte. In diesem Nebel war etwas. Etwas, was mich anzog wie ein Magnet. Die Nebel waren der Pluspol und ich der Gegenpol. Wir gehörten zusammen.
Es war ein Ziehen, das mich mein Leben vergessen ließ. Ein Ziehen, das nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Verstand wie fremdgesteuert beherrschte. Die Nebel versprachen mir Antworten. Wie ein leises Flüstern. Sie versprachen, mir meine tiefsten Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen. Sie versprachen mir mich selbst. Bei den Femininen Hallen Kastellinas, ich wollte, dass sich meine tiefsten Sehnsüchte erfüllten. Mehr denn je.
Obgleich ich vieles immer verdrängte, wusste ich, was mir fehlte. Niemand kannte meine tiefsten Bedürfnisse. Nicht einmal Wencke, die mir nahezu alles vom Gesicht ablesen konnte. Auch nicht Samana, die mich überall begleitete. Meine Bedürfnisse waren tief in mir verschlossen. Dort waren sie sicher. Woher diese Nebel sie kannten, wusste ich nicht. Es fühlte sich übernatürlich an. Ich konnte es weder einordnen noch greifen. Was die Nebel von mir wollten, war mir unklar. Doch ihr Versprechen war verheißungsvoll.
Ich hatte achtzehn Jahre auf meinen Verstand gehört und war weit gekommen. Dennoch stillte mein Verstand nie meine Sehnsüchte. Ganz im Gegenteil: Er ignorierte sie. In diesem Moment wusste ich, dass die magische Anziehungskraft der Nebel gewonnen hatte. Ob bewusst, unbewusst oder aus bloßer Neugier. Ich war bereit, alles für sie zu geben, wenn sie nur ihre Versprechen hielten. Was konnte schon daran verkehrt sein?
Ich presste meine Schenkel gegen Schneeweiß’ Flanken. Schneeweiß schüttelte unwillig den Kopf. Sie war mit meiner Entscheidung nicht einverstanden. Ich verstärkte den Druck meiner Schenkel und sie gab nach. Zusammen näherten wir uns diesem geheimnisvollen Phänomen, das nicht einmal die Geschichtsbücher erklären konnten. Es gab nichts zu sehen, außer einer weißen Nebelwand, die sich vor mir bis zum Himmel auftürmte wie am Boden liegende, weiche Wolken aus Watte. Sie sahen so friedlich aus. Als ob ich mich nur hineinlegen musste. Sie würden mich umschließen und wärmen.
Diese Nebel würden mich vergessen lassen, was bisher geschehen war. Achtzehn Jahre waren nicht lang. Mein Leben lag noch vor mir. Wenn sie wirklich das hielten, was sie mir flüsternd versprachen, warum sollte ich mich ihnen verschließen?
Ich konnte nur gewinnen, indem ich ein Teil von ihnen werden würde. Ich wollte mich in ihnen fallen lassen. Mich von ihnen getragen fühlen. Mich in ihnen verlieren. Die geheimnisvollen Nebel der Tvibura Fjålls.
Eine Bewegung ließ mich zusammenfahren. Je näher ich den Nebeln kam, desto deutlicher sah ich sie vor mir. Ein junges Mädchen, nicht älter als Elyn. Schneeweiß schritt langsam weiter. Ihre Ohren waren aufgestellt. Ihr Atem kam stoßweise. Mein Pferd spürte es. Das Mädchen war wunderschön mit ihrem bodenlangen Leinenkleid, das diese jårrländischen Ornamente am Dekolleté und an den Ärmeln trug. Ornamente, mit denen ich nichts anfangen konnte. Auf ihrem Haupt trug sie so etwas wie eine Krone. Nur bestand diese scheinbar aus biegsamem Holz. Zwei geflochtene Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Der Rest ihrer braunen Haare fiel lang über ihre Schultern. Unwillkürlich war mir meine strenge Hochsteckfrisur unangenehm. Ich nahm die Zügel in eine Hand und versuchte mit der anderen, die Strenge aus meinem Haar zu nehmen.
Das Mädchen lächelte mich an. Wohnte sie in den Nebeln? Ich wusste nicht, dass Jårrländer in den Nebeln der Zwillingsberge lebten. Fast war es, als ob sie mir zuwinkte. Sie wirkte glücklich. Ich musste sie kennenlernen, denn ich mochte sie auf Anhieb.
Ich nahm beide Zügel wieder auf und trieb Schneeweiß fest an. Meine Stute steuerte zielgerichtet auf die Nebelwand zu. Erwartungsvoll ließ ich das Mädchen nicht aus den Augen. Die Nebel streckten sich mir regelrecht entgegen. Wie eine große Hand, die nach mir greifen wollte und mich willkommen hieß. Feinste Perlen von Feuchtigkeit spürte ich bereits auf meiner Haut. Diese Nebel würden mich nie belügen. Ganz im Gegenteil, sie würden die Erfüllung meines Lebens sein.
»Warte auf mich!«, hauchte ich. Mein Atem kondensierte in der Luft. »Nimm mich mit!«
Geheimnisvoll lächelte sie mich an. Erneut verstärkte ich meinen Schenkeldruck und Schneeweiß schlug ein höheres Tempo an. Ich legte einige Pferdelängen zurück. Doch die Distanz zwischen dem Mädchen und mir verringerte sich nicht. Ein kurzer Impuls von Panik durchfuhr mich. Ich durfte sie nicht verlieren. Ich musste zu ihr! Sie hatte etwas, was ich brauchte.
Ein greller Pfiff hallte durch die feuchte Luft und zerriss die Stille. Schneeweiß zuckte zusammen und blieb so abrupt stehen, dass ich hart nach vorn auf ihren Hals fiel. Ich richtete mich wieder auf und wollte meine Stute antreiben, als ein zweiter greller Pfiff ertönte. Schneeweiß suchte die Anlehnung meiner führenden Zügelhand. Ihre Ohren hatte sie nach hinten gestellt. Gehorsam kaute sie auf ihrer Trense und wartete auf meine Anweisung.
»Los! Mach schon!«, drängte ich.
Ich presste erneut die Schenkel zusammen. Doch anstatt vorwärtszugehen, trat Schneeweiß einige Schritte hektisch zurück. Ich seufzte.
»Dumme Stute!«, schimpfte ich.
Doch sie war nicht dumm. Sie hatte einen höheren Befehl empfangen. Den von ihrer Ausbilderin und meiner Leibwächterin. Es ärgerte mich maßlos, dass mein Pferd mir nicht mehr gehorchte.
»Eure Majestät!«, ertönte es panisch hinter mir.
Ich reagierte nicht und drehte mich auch nicht um, sondern versuchte, meinen Frust hinunterzuschlucken. Tue es einfach, Linea, wie so oft. Meinen Blick löste ich nicht von der Nebelwand. Zu meiner Überraschung war die junge Frau von einem Atemzug zum nächsten verschwunden. Schneeweiß blieb brav stehen.
»So ein Mist! Wo ist sie hin?«, murmelte ich verzweifelt und ließ meine Augen über die gesamte Nebelfront wandern.
»Eure Majestät! Ihr müsst von den Nebeln weg!«
Hufe trommelten wild hinter mir. Wie ein Geschoss baute sich Samanas Stute im nächsten Moment vor mir auf und versperrte mir den Weg. Ich sah sie genervt an. Das Ziehen in mir hatte sich nicht verringert. Die Nebel riefen mich.
»Bitte, Eure Majestät! Die Nebel der Tvibura Fjålls müssen wir weiträumig umreiten. Selbst die Jårrländer meiden dieses Gebiet. Ihr wisst, dass sie gefährlich sind. Ich hatte Euch doch darüber informiert.«
Samana sah mich leicht vorwurfsvoll an. Ich blickte an ihr vorbei. So gefährlich sahen die Nebelfelder gar nicht aus. Sie wirkten so einladend und vielversprechend. Außerdem lebten offensichtlich Jårrländer in den Nebeln. Ich wusste genau, was ich gesehen hatte.
Samanas bronzefarbenes Gesicht drängte sich in mein Blickfeld. »Was ist mit Eurem Haar geschehen?«
Ich nahm die Zügel in eine Hand und rieb mir tief einatmend die Stirn. Natürlich passte Samana auf, dass ich nichts Dummes anstellte. Und ich war gerade dabei gewesen, etwas äußerst Dummes zu tun. Niemand überquerte die Grenze der Nebel der Tvibura Fjålls! Das einzige Gebiet in Eyaland, was nach Überlieferung seit Tausenden von Jahren niemand je betreten hatte. Das einzige Gebiet, was selbst bei der Auseinandersetzung zwischen Rik- und Våldland als neutrales Gebiet deklariert worden war. Das einzige Gebiet, über welches meine Mutter nicht herrschte. Doch was war mit dem Mädchen?
Ich blinzelte und blickte kurz nach oben. Die Nebel verloren sich im wolkenverhangenen Himmel.
»Das habe ich nicht vergessen, Samana. Ich dachte, ich hätte jemanden in ihnen gesehen.«
Samana drehte sich kurz um und ließ ihren Blick prüfend über die Nebel streifen, während ihre Hand zum Griff des Schwertes glitt.
»Ich kann nichts erkennen«, hörte ich sie erleichtert ausatmen. »Vermutlich war es bloß eine Illusion. Man sagt es den Nebelfeldern der Tvibura Fjålls nach. Sie sind tückisch. Wir sollten so schnell wie möglich diese Gegend verlassen! Es ist kein Ort, an dem wir verweilen sollten.«
Ich nickte zustimmend, richtete in wenigen Handgriffen mein Haar und wendete schließlich Schneeweiß. Brav befolgte sie wieder meine Befehle. Samana ritt direkt neben mir. Im gemächlichen Schritt steuerten wir unser Lager an und passierten rechts neben uns ein Waldstück mit hohen Tannen. So weit hatte ich das Lager verlassen?
Doch das Drängen der Nebel in mir ließ trotz zunehmender Distanz nicht nach. Ein Schauer überkam mich. Ein Schauer, den ich für einige wenige Augenblicke nicht gespürt hatte. Ein Schauer, der mir so vertraut war wie mein Gesicht im Spiegel. Unwillkürlich zog ich meine lederne Reitjacke enger um mich. Ich hasste diese Kälte. Wie war ich nur auf diese wahnsinnige Vorstellung gekommen, dass die Nebelfelder mich wärmen könnten? Es war ein Widerspruch. Nebel war nicht warm. Genauso wenig wie Wolken es jemals sein konnten. Ich spürte, wie die Kälte unter meiner Kleidung auf meiner Haut emporkroch.
»Das Lager ist bereits abgebaut, Eure Majestät. Wir können unsere Reise unmittelbar fortsetzen.« Samana gab sachlich ihren Bericht ab.
»Sehr schön! Wann erreichen wir Malins Außenposten?« Ich versuchte, meine Gedanken auf etwas anderes zu lenken.
Wir hatten unser Lager am Fuße eines bewaldeten Berges aufgebaut. An den Berg grenzte ein weites Tal, das sich bis zum Stunsjö erstreckte. Die Nebelfelder waren Teil des Tals.
»In wenigen Tagen. Je nachdem wie die Wege es nach dem vergangenen Winter zulassen. Thea hatte allerdings vorgeschlagen, im Dorf des Jarro-Clans unser Lager aufzuschlagen.«
»Warum?« Ich war genervt.
Ich hasste Abweichungen vom vorhergesehenen Plan. Wozu stellte ich mit meinen Beraterinnen einen Reiseplan auf, wenn dieser ohnehin verworfen wurde? Obendrein hätte ich mich mal wieder auf ein Bett und eine Badewanne auf dem Stützpunkt gefreut. Dieses ständige Zelten in improvisierten Lagern war dauerhaft nichts für mich. Nie wurde ich warm. Nie fühlte ich mich vollständig sauber. Das Essen über dem Feuer war auch nur zusammengerührt.
»Nun«, begann Samana zögerlich. »Thea hat Bedenken geäußert, dass Malins Außenposten nicht Euren Ansprüchen genügen würde. Das Dorf steht unter der Leitung von Maryanna Kjerfaldir. Sie ist sehr umgänglich. Ich bin überzeugt, dass es Euch dort besser gefallen wird.«
Ich seufzte. Vom Außenposten bis zu diesem Dorf würde es mindestens einen weiteren Tag dauern. Ein Bett mit einer heißen Wanne voll Wasser würde es in dem Dorf nicht geben. Wenigstens würde im Dorf in der Gaststube etwas Anständiges zu essen aufgetischt werden.
Wir bogen in einen Waldweg ein. Der Himmel klarte sich über uns auf und die Sonne versuchte schüchtern, ihre Strahlen hinunterzuschicken. Ich sah ein letztes Mal über die Schulter zurück zu den Tvibura Fjålls, bevor sie aus meinem Sichtfeld verschwinden würden. Abermals erschreckte es mich, wie weit ich mich vom Lager entfernt hatte. Was wäre geschehen, wenn Samana nicht gepfiffen hätte? Hätte ich jemals herausgefunden oder wäre ich für immer in den Nebeln verschwunden?
»Danke, Samana«, sagte ich leise und parierte Schneeweiß mit etwas Abstand zum Lager durch.
Samana hielt ebenfalls an und musterte mich. Mir entging ihr besorgter Blick nicht.
»Ihr seht nicht gut aus, Eure Majestät!«
Auch wenn ich zu gern herausgefunden hätte, was es mit den Nebeln der Tvibura Fjålls auf sich hatte, so war ich doch die falsche Person dafür. Es war nicht meine Aufgabe, das Geheimnis der Nebel zu lüften. Meine Pflicht lag auf einem anderen Gebiet.
»Mir ist nur kalt!«
Erneut begann ein Kälteschauer, meinen Körper zu durchziehen. Als ich noch jünger war und die Kälteschübe noch sehr unregelmäßig kamen, hatte ich sie mitgezählt. Doch irgendwann ließ ich es bleiben. Mittlerweile war mir permanent kalt und die Schübe nur das i-Tüpfelchen, was mich zittern ließ. Samana bemerkte es und zog meinen wollenen Umhang aus ihrer Satteltasche.
»Das meine ich nicht, Eure Majestät. Ihr seht aus, als ob Ihr dem Tod höchstpersönlich begegnet wärt.« Samanas Blick wurde intensiver.
Nur mit Mühe konnte ich das Zittern meines Kinns unterdrücken. Ich war dem Tod nicht begegnet. Eher hatte ich den Eindruck, dass die Nebel etwas wussten, was mir entgangen war. Doch wie erklärte ich das am besten meiner Leibwächterin?
Gar nicht!
Ich kannte Samana zu gut. Sie würde es nicht verstehen. Ich riss mich von ihren Augen los und starrte in das Waldstück hinein. Der Boden war übersät von weißen, sternförmigen Blumen, die den Frühling in Jårrland begrüßten.
»Gibt es noch einen heißen jårrländischen Tee, bevor wir aufbrechen?«, wechselte ich das Thema und blieb ihr eine Antwort schuldig.
Ich richtete meinen Blick auf das Lager. Jårrländischer Tee war das Einzige, was ich auf meiner Reise durch die raue Nordprovinz genoss. Die Kräutertees der Jårrländer schmeckten außerordentlich gut. Sie waren bedeutend aromatischer und leicht bitter. Mit etwas Honig waren sie äußerst genussvoll. Im Winter tranken die Jårrländer die Tees mit einem Schuss Fenjöndur, um die wärmende Wirkung zu verstärken. Vielleicht sollte ich das auch einmal probieren.
Samana sah mich irritiert an. »Ich schätze, dass Inga ihn bereits weggeschüttet hat. Es tut mir leid, Eure Majestät. Soll ich noch einen für Euch aufsetzen lassen, bevor wir weiterreiten? Ihr seht viel zu blass aus.«
Ich zog meine Taschenuhr aus der Weste. Samana hatte recht. Die meisten Kriegerinnen saßen bereits auf ihren Pferden oder waren dabei, aufzusteigen. Jetzt noch einen Tee ansetzen zu lassen, würde uns mindestens zwei Stunden Zeitverzögerung kosten. Zwei Stunden, in denen ich dem Rufen der Nebel unnötig ausgesetzt war.
Ich schüttelte den Kopf, steckte die Uhr zurück in die kleine Tasche und schloss meine Lederjacke in der Hoffnung, dass mir etwas wärmer wurde.
»Nein. Lass uns die drei letzten Clans in Augenschein nehmen, Samana! Ich will so rasch wie möglich wieder nach Kastellina.«
Wir mussten hier weg. Und zwar schnell! Dieses Land ließ mich Dinge sehen und fühlen, die nicht real waren. Wie ein Zauber oder ein Bann, der sich auf mich zu legen versuchte. Ich traute mir fast selbst nicht mehr. Ein Mädchen in den Nebeln der Tvibura Fjålls!
Linea, das war das Dümmste, was du je machen wolltest!
Unruhig wälzte ich mich in der Nacht auf dem Lager von Decken und Fellen. Immer wieder streckten die Nebel ihre Hände nach mir aus. Vor meinem inneren Auge sah ich das Mädchen in den Nebeln stehen. Ich vernahm ein leises Flüstern. Es hinterließ in mir eine tiefe Zufriedenheit, aber auch eine entsetzliche Zerrissenheit. Denn gleichzeitig begann mein Körper, unkontrolliert zu zittern. Meine Zähne schlugen klappernd aufeinander. Ich zog die Decken höher bis zu den Ohren und rollte mich unter ihnen ein.
»Dämliches Jårrland!«
Doch es wurde nicht besser. Schließlich stand ich auf. Ich griff nach meinem Wolltuch, wickelte es fest um meine Schultern und trat aus dem Zelt. Die dunklen Silhouetten der bewaldeten Berge und der Wind in den Baumwipfeln verstärkten das Unwohlsein in mir. Samana saß mit Juna am Lagerfeuer. Sie hielten Nachtwache und wirkten wie immer entspannt. Als sie mich bemerkte, schaute sie mich fragend an.
»Ich brauche einen Tee, Samana. Umgehend. Und am besten mit Fenjöndur!«
Sei es drum. Wenn ich dadurch schlafen und vergessen konnte, dann eben mit etwas Hochprozentigem. Samana nickte und ich zog mich schnell wieder in mein Zelt zurück. Ich traute meiner Wahrnehmung nicht mehr. Was würde ich tun, wenn die Berge sich bewegen würden? Ich würde meinen Verstand mehr denn je anzweifeln.
Wenige Augenblicke später trat sie mit dem Tee in mein Zelt. Ich saß auf den Decken und Fellen.
»Geht es Euch nicht gut? Könnt Ihr nicht schlafen?« Besorgt betrachtete sie mich.
»Nein! Diese Nebel … Es ist, als ob sie mich verfolgen. Sie machen mich wahnsinnig, Samana. Ich weiß nicht, ob das, was ich sehe, echt ist.«
Ich rieb mir über die Oberarme. Samana hielt mir den Tee entgegen. Umgehend nippte ich daran. Der bissige Fenjöndur brannte sofort in meinem Hals und loderte in meinem Magen wie Feuer. Der herbe Geschmack nach Wachholderbeeren und das bittere Aroma der jårrländischen Kräuter entfalteten sich auf meiner Zunge. Erneut griff ein Schütteln nach mir.
Vielleicht hätte ich doch Berghonig nehmen sollen.
»Es tut mir leid. Der Aberglaube der Jårrländer über diese Nebel ist groß. Wir hätten das Gebiet weiter umreiten sollen. Verzeiht, Eure Majestät, dass ich es nicht berücksichtigt habe!« Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit.
»Dann wären wir noch länger unterwegs gewesen. Wenn die Nächte doch nur nicht so kalt wären«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen zurück.
Samana fuhr sich mit ihren bronzefarbenen Fingern verlegen durch ihr dunkles, södländisches Haar. Ein paar Strähnen lösten sich aus der streng zusammengebundenen Frisur.
»Es tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber es ist eine sehr milde Nacht.«
Samana kannte meine Kälteschauer. Sie bereiteten ihr große Sorgen.
»Bei den Femininen Hallen Kastellinas, Samana, ich glaub, Jårrland macht mich krank.«
»Wie kann ich Euch helfen?«
Ich trank erneut einen Schluck von dem Tee. Langsam entspannte sich mein Körper. Ganz allmählich ließ das Zittern nach und die Wärme des Tees entfaltete seine Wirkung. Was sollte ich ihr sagen? Dass ich Dinge sah und fühlte, die nicht existierten?
»Ich denke, der Tee tut es vorerst. Warum ist Malins Stützpunkt nicht vorzeigetauglich?«
Dass wir nicht auf ihrem Stützpunkt lagern würden, ärgerte mich.
»Die Gerüchte über Malins Stützpunkt unter meinen Kriegerinnen sind groß. Wenn Ihr es herausfinden wollt, können wir gern darauf zusteuern. In zwei Tagen würden wir ihn erreichen.«
Seit drei Monaten war ich in dieser kalten, dreckigen Provinz im Norden Eyalands unterwegs und reiste von Clan zu Clan und Stützpunkt zu Stützpunkt. Ich bemerkte erst jetzt, was mich diese Reise an Kraft gekostet hatte. Ausgerechnet der letzte Stützpunkt schien Ärger zu machen. Ich musste unbedingt in mein alltägliches Leben zurück. Diese Halluzinationen mussten aufhören.
»Wir reiten daran vorbei! Ich will ihn mir auf alle Fälle ansehen! Unser Lager schlagen wir dann bei dieser Maryanna auf. Kein langes Auswahlverfahren bei den letzten drei Clans. Wir streichen die Kampftechnik, die können sie eh alle. Unsere besten Kriegerinnen treten in einem Duell an und sie werden niemanden verschonen.«
Samana lächelte verschmitzt. Fast konnte ich Stolz in ihren Augen erkennen. Ich hatte Jårrland so satt und wollte diese Reise so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es war kalt, trist und grau. Die Sonne, die uns heute begleitet hatte, war keine Selbstverständlichkeit. Das Klima war rau und zäh. Es passte einfach nicht zu mir.
Davon mal abgesehen, dass mich dieses Gebiet völlig durcheinanderbrachte. An die rebellische Bevölkerung wollte ich erst gar nicht denken. Sie sollten dankbar sein. Die Tangens hatten ihnen ihr Leben gerettet. Doch die Clans waren nicht dankbar. Sie hielten an ihren altertümlichen Gebräuchen fest und waren unfähig, sich an Kastellinas Gesetze anzupassen.
»Wenn die Clans Kastellina endlich die Treue schwören würden, könnten wir die Stützpunkte abbauen«, sagte ich nachdenklich zu Samana.
»Bei allem Respekt, Eure Majestät, aber das ist seit fünfhundert Jahren niemandem von Euch gelungen.«
»Das verstehe ich nicht. Die Clans haben Kastellina nichts vorzuwerfen. Vielleicht sollten wir die Philosophie der Jårrländer doch mehr einschränken.«
Samana wiegte leicht den Kopf hin und her. »Es hat Euren Vorfahren immer widerstrebt, härter durchzugreifen. Einschränkungen in ihre Lebensweise könnten durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Doch der Frieden ist zu wahren. Vergesst das nicht!«
Der Fenjöndur stieg wärmend in mir auf und ich spürte seine Wirkung in meinem Kopf. Frieden! Ein Teil in mir belächelte dieses Wort. Nur weil keiner äußerlich zu den Waffen griff, hatte ich von Frieden eine andere Vorstellung. Frieden ging für mich einher mit Annahme und Akzeptanz. In Jårrland hatte ich allerdings ständig das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Die unterschwellige Feindseligkeit vom Clanvolk gegen Kastellina hing schwebend in der Luft. Ich verabscheute diese Provinz mehr denn je.
Was war Dunkelheit? Die Abwesenheit von Licht? Reichte das? War Dunkelheit nicht viel mehr oder etwas ganz anderes, was der Verstand des Menschen nicht erfassen konnte? In einem war ich mir sicher: Ich hatte Licht und lebte dennoch im Dunkeln.
enn ich dieses verflixte Schloss nicht geöffnet bekam, konnte ich meinen Tod gleich selbst besiegeln. Ich brauchte diesen Durchgang, und zwar schnell. Er war meine Absicherung. An ihm würde mein Leben hängen. Ich wusste, dass er sich hinter dieser Luke befand. Ich hatte viel Zeit damit verbracht, die unterirdischen Gänge der Burg auszuspionieren.
Mit einem Metallstab stocherte ich weiter im Schloss herum. Ich war für solche Tätigkeiten einfach nicht geschaffen. Meine Stärken lagen woanders. Das hier war die Aufgabe eines Schmiedes. Den würde ich aber nicht unbemerkt hierherschleppen können. Zumal Södvigi eine Schmiedin hatte. Und ihren Hilfsarbeiter trat sie wie einen räudigen Hund. Mir blieb also keine Wahl. So schwierig konnte das doch nicht sein, ein Schloss zu knacken.
Vor Wut trat ich gegen den Metallstab. Es machte Klick und die Tür sprang endlich auf. Erleichtert stieß ich einen Seufzer aus.
»Geht doch!«
Jetzt musste ich nur noch überprüfen, wo genau in der Burg ich herauskommen würde und anschließend Yorick suchen. Ich kletterte in den dunklen Schacht. Der modrige Geruch stieg mir unangenehm in die Nase. Ich spürte, wie die Wellen des Meeres gegen die Burgmauern rauschten. Schnellen Schrittes rannte ich durch die hallenden, unterirdischen Gänge von Södvigi.
Södvigi, die südlichste Stadt in ganz Eyaland, bestand aus einer befestigten Burg und einer integrierten kleinen Stadt. Große, runde Feldsteine und angeschwemmte Felsen hatten die Erbauerinnen vor knapp vierhundert Jahren für diese Burg und seine Stadtmauer verwendet. Als ob es etwas zu beschützen gab? Es gab keine Feinde. Doch sie verschanzten sich hinter den dicken Burgmauern, als ob sie die Weite fürchteten. Diese Stadt war seit meiner Geburt mein Zuhause. Oder, besser gesagt, seit kurz nach meiner Geburt. Denn geboren wurde ich in Kastellina, dem Zentrum Eyalands. Jede Händlerin schwärmte mit vielen Geschichten und Lobeshymnen über die weiße Stadt aus Marmor im Süden. Als Frau suchte man dort sein Glück und verwirklichte seine persönlichen Träume. Bei Eyaland, ich war keine Frau.
Ich hatte durch Zufall in der alten Bibliothek bei Reparaturarbeiten meine Abstammungspapiere gefunden. Jahrelang hatte ich angenommen, Fenja sei meine Mutter. Aber das war sie gar nicht. Alles war eine Lüge. Mein ganzes erbärmliches Leben.
»Was ändert es an der Tatsache, dass ich nicht die bin, die dich zur Welt gebracht hat, Loan?«, hatte Fenja mich gleichgültig damals gefragt, als ich sie damit konfrontierte. »Nichts wirst du jemals daran ändern können. Und auch dein Leben wird niemals anders aussehen als jetzt. Wenn man dich in Kastellina gewollt hätte, hätte man dich behalten. Aber man hat dich nach Södvigi gebracht und hier wirst du bleiben. Also, was soll’s. Hak es ab! Es ist unwichtig!«
Natürlich war es unwichtig, denn ich war für Fenja nicht mehr wert als ein Handwerker, den sie herumkommandieren konnte. Ich gehörte zum Abschaum der Gesellschaft und bedeutete ihr einen Dreck. So war es schon immer gewesen. Der lästige Ziehsohn, den sie durchfüttern und erziehen musste. Wie einen Klotz am Bein.
Von meiner Mutter ganz zu schweigen. Sie hatte mich einfach weggegeben, weil ich ein Sohn war und keine Tochter. Wie Abfall! Einfach weggeworfen. Töchter hatte sie bekommen. Nach mir. Zwei Stück. Wie ich sie hasste.
Aber all das würde ab dem heutigen Abend der Vergangenheit angehören. Zumindest in Södvigi. Ich war nicht mehr länger bereit, mir vorschreiben zu lassen, wer ich war. Und gleich gar nicht, wer ich zu sein hatte. Ich war Jorin aus Södvigi und würde meinem Namen alle Ehre machen. Ich würde nicht mehr länger profillos und stumpf mein Dasein fristen. Jeder in ganz Eyaland würde von mir hören und von mir reden. Ich würde Freiheit bringen. Freiheit für Eyaland. Und in diesem Moment dankte ich den Erbauerinnen für diese dicken Burgmauern um Södvigi. Denn ohne es zu wissen, hatten sie mir damit in die Hände gespielt.
Ich eilte auf das Ende des dunklen Ganges zu. Die Brandung des Meeres donnerte gegen die Burgmauern. Ich befand mich auf dem kurzen Stück zwischen Meeresausgang und Burg. Normalerweise durfte ich hier nicht sein. Es war ausschließlich für Fenjas Kriegerinnen gedacht. Sie kontrollierten hier regelmäßig den Durchgang zum Meer. Die einzige Schwachstelle von Södvigi! Doch wer würde sich in Eyaland schon in eine Burg schleichen? Wir lebten in Frieden. Noch! Bis heute Abend! Ab dann würde sich alles ändern.
Ich stieg die Stufen hinauf und befand mich kurz vor der Küche. Perfekt! Genau dort musste ich hin. Ich hatte den Gang von der anderen Seite schon mehrfach ausspioniert. Yorick würde den Küchenzugang finden. Jetzt musste ich ihm diesen nur noch zeigen und ihm meinen Plan verraten.
»Loan!«, hörte ich plötzlich eine mir sehr vertraute Stimme.
Mist! Fenja! Wie ich diesen Namen hasste. Loan! Wer hieß schon Loan, wenn er doch umgeben war von bronzefarbenen Södländern? Der Name unterstrich meine helle Hautfarbe und meine blonden Haare. Auffälliger ging es nun wirklich nicht.
»Was machst du hier?«
Ich räusperte mich. »Hab in der Küche etwas repariert«, log ich.
»Ich wusste gar nicht, dass etwas defekt ist.« Verwundert sah mich Fenja an.
Ich zuckte gelassen mit den Schultern. »Es musste schnell gehen, deswegen hat Fiene mich sofort geholt.«
»Fiene?«
»Ja, natürlich. Wer denn sonst?«
Fenja zog misstrauisch die Augenbrauen nach oben. Dreifacher Mist! Ich hatte keine Ahnung, wo Fiene gerade steckte. Hoffentlich wusste Fenja es nicht. Ich lächelte gespielt.
»Was kann ich für Euch tun, Fenja?«, fragte ich heuchlerisch.
Fenja verzog ihre Lider zu Schlitzen. Sie wusste etwas, davon war ich überzeugt. Kara hatte ihr sicherlich alles erzählt. Kara würde für diese Tat büßen, das schwor ich mir. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Sie hatte sich gestern Nacht so merkwürdig verhalten. Wie konnte ich nur davon ausgehen, dass Kara all die Dinge für sich behalten würde. Es würde mich nicht wundern, wenn Fenja von Anfang an Kara auf mich angesetzt hatte. Fenja hatte mir noch nie vertraut. Ich war nur geduldet.
Yorick und ich waren eigentlich noch nicht so weit. Aber das war nun alles egal. Wir mussten es einfach riskieren. Wir hatten nur diese eine Chance. Nicht ein einziger Mann würde sonst in Södvigi den morgigen Sonnenaufgang erleben, oder nur schwer verwundet.
»Glenna hat heute Geburtstag. Ich wollte dich zum Abendessen einladen.«
»Oh, das wusste ich gar nicht. Natürlich, gern!«, erwiderte ich förmlich.
Glenna war Fenjas beste Freundin. Wenn nicht sogar die Freundin. Ich hatte Fenja noch nie mit einem Mann zusammen gesehen. Und niemand konnte mir einreden, dass Frauen keine Bedürfnisse hatten, die gestillt werden wollten. Ich schob hartnäckig meine Gedanken über Fenja und Glenna zur Seite.
»Es gibt eine Besonderheit, Loan. Ich möchte, dass du direkt links neben mir sitzt und nicht wie üblich auf deinem Platz am Ende des Saales.« Fenjas Augen fixierten mich.
Nun hatte sie schlagartig meine ganze Aufmerksamkeit. Wollte sie das wirklich? Fenja beobachtete meine Regung. Nein, irgendetwas stimmte ganz sicher nicht. Niemals, auch nicht im Traum, würde sie mir den Platz zu ihrer Linken einräumen.
»Wie komme ich zu dieser Ehre?«, fragte ich verwundert.
Fenja lachte, doch ihre Augen blieben kalt. »Loan, also wirklich. Du bist wie ein eigener Sohn für mich. Warum denn nicht?«
Oh, das war mir neu. Nach zwanzig Jahren sagte sie so etwas zu mir. War das denn zu fassen? Seit wann betrachtete sie mich als eigenen Sohn? Ich sollte mich in der Küche erkundigen, ob etwas im Frühstück gewesen war.
An Fenjas Abendessen nahm ich gelegentlich teil. Als einziger Mann in ganz Södvigi wohl bemerkt. Ich bekam immer den hintersten Platz am letzten Tisch. Das Essen war meistens kalt, wenn es mir serviert wurde. Es war lächerlich. Noch nie hatte sie mich als eigenen Sohn angesehen. Es stimmte definitiv etwas nicht mit ihr. Ich schüttelte langsam den Kopf.
»Darf ich auch ablehnen?«
Das wäre auf alle Fälle die sicherste Alternative. Wer wusste schon, was Fenja mir ins Glas mixen ließ. Oh, da kam mir doch glatt die perfekte Idee! Die Idee, wie mein Plan definitiv gelingen konnte. Vieles würde bedeutend einfacher werden.
Fenja sah mich eiskalt an. »Wie viele Peitschenhiebe hattest du das letzte Mal nach einer Befehlsverweigerung auf deinem Rücken?«
Ich stieß die Luft hörbar aus.
»Kann mich nicht mehr erinnern!«, log ich und presste die Zähne fest aufeinander.
Konnte ich mich sehr wohl. Ich hatte laut mitzählen müssen. Soviel zum Thema Sohn! Wie ich Fenja hasste. Yorick und ich mussten heute Abend einfach erfolgreich sein. Nur Yorick wusste noch nichts von seinem Glück und Daland auch nicht. Ihm musste ich unbedingt einen Besuch abstatten.
»Die doppelte Anzahl erwartet dich, wenn du heute Abend nicht pünktlich in Abendgarderobe erscheinst. Hast du mich verstanden?«, fuhr sie mich an.
»Selbstverständlich. Wie Ihr wünscht, Fenja.« Ich verneigte mich demütig.
Sie machte auf dem Absatz kehrt. »Ach, Loan! In der Schmiede befinden sich Sachen zum Abholen.«
»Ich mache mich sofort auf den Weg«, rief ich ihr hinterher.
Eilig sprang ich den Gang weiter und verließ die Burg durch den Haupteingang. Ich schlug pfeifend den Weg zur Schmiede ein, bog aber kurz vorher in eine schmale Gasse ab. Yorick arbeitete mit Friedtjoff im Stall. Friedtjoff organisierte mit Tyr alle Stallarbeiten. Yorick hingegen schaufelte den ganzen Tag Pferdemist. Er grinste mich bereits an, als er mich um die Ecke biegen sah.
»Heute Abend, Yorick. Kannst du allen Bescheid geben? Wir müssen es schaffen.«
»Heute Abend? Warum? Wir sind noch nicht so weit.«
»Fenja weiß es.«
Yorick entglitten die Gesichtszüge.
»Alles?«
»Ja. Alles. Sie hat mich heute Abend zum Essen eingeladen. Stell dir vor, ich soll neben ihr am Tisch sitzen.«
Yorick sog scharf die Luft ein. »Fieses Miststück. Dann hat sie sich etwas Besonderes überlegt.«
»Nein. So weit kommt es nicht. Wir schlagen eher zu.«
»Jorin, wir sind nur ein Drittel von ihnen. Und die meisten von uns schlafen jetzt, weil sie die ganze Nacht gearbeitet haben.«
»Als ob ich das nicht wüsste, Yorick. Jeder von uns muss wissen, was er zu tun hat. Also in zwei Stunden im Versteck.«
»Sie werden mich steinigen, wenn ich sie wecke. Außerdem meinst du nicht, dass es auffallen wird, wenn plötzlich alle Männer verschwunden sind?«
»Nicht zur Lunjegish.« Ich zwinkerte ihm zu.
Yorick seufzte. Er wusste, dass wir alle dran waren, wenn ich recht behielt. Selbst wenn Fenja heute Abend mich zuerst um die Ecke bringen würde, würden alle anderen dennoch bestraft werden. Ich lief weiter zur Schmiede. Yorick hingegen machte sich mit seiner Schubkarre voller Pferdedreck auf den Weg durch die Stadt. Dabei gab er jedem Mann in ganz Södvigi das vereinbarte Zeichen. Es war ein Selbstläufer.
Mehr als die Hälfte aller Männer aus Södvigi lebten im Glädjan. Södvigi war die einzige Stadt in ganz Eyaland, die so etwas besaß. Fenja hatte es ins Leben gerufen, damit ihre Kriegerinnen ihre stumpfen Bedürfnisse befriedigen konnten. Die Königin durfte davon nichts wissen, hatte ich einst über Fiene erfahren. Der Glädjan verstieß gegen Kastellinas Kriegerinneneid. Talyn, Fenris und Peer, drei meiner besten Freunde, lebten dort. Talyn hatte es geschafft, uns unbemerkt einen Kellerraum zur Verfügung zu stellen. Das war unser Versteck.
In der Zwischenzeit feilte ich gedanklich noch ein wenig an meinem Plan. Wir sollten das Geburtszentrum und das Glädjan gezielt angreifen. Danach wäre die Panik in Södvigi groß genug. Mit dem Rest konnten wir es im Zweikampf aufnehmen.
Ein Feuer! Das wäre die beste Möglichkeit. Beide Häuser würden brennen! Heute Abend! Wie auch immer es ausgehen würde, morgen würde nichts mehr so sein, wie es war. Heute Abend würde sich entscheiden, wer zukünftig über Södvigi regierte. Fenja oder ich! Ein Miteinander würde es in dieser Form nicht mehr geben.
Ich machte mich auf den Weg zu Daland.
Fenja, das wird mein Los für dich sein.
Es herrschte eine konstante Temperatur von 23 Grad Celsius. 296,15 Kelvin. 73,4 Fahrenheit. Forschungen hatten gezeigt, dass es diejenige Temperatur war, bei der sich ein Mensch am wohlsten fühlte. Dennoch war mir dauerhaft kalt. Wie im tiefsten Winter.
ie sehe ich aus, Ryen?«
Ida lief hin und her über den Aufwärmplatz. Ihre Füße wollten einfach nicht stillstehen. Wenn sie weiterhin so eine Unruhe verbreitete, würde Windhauch, den ich für sie festhielt, gleich völlig durchdrehen.
»So wie immer«, antwortete ich trocken.
Ich würde nie verstehen, warum Frauen einem Mann so eine Frage stellten. Was sollte man als Mann darauf antworten? Süß, wundervoll, attraktiv? Ida war mit ihren ebenholzbraunen Locken, ihren Nachtaugen und ihrer blassen Haut definitiv alles davon. Doch würde ich sie das niemals wissen lassen. Ihr Ego war groß genug und ich wollte mir keinen strafenden Blick einhandeln.
Beschrieb man die Frauen mit kräftig, robust und stark, was durchaus auf mindestens die Hälfte aller Frauen, die ich kannte, zutraf, verdrehten sie ebenfalls die Augen. Denn das waren normalerweise Eigenschaften, die man einem Mann zusprach.
»Ich schaffe das nie, Ryen. Oder? Vielleicht ja doch. Ryen, ich muss es schaffen! Es wäre mein größter Traum«, fieberte Ida ihrer Prüfung entgegen.