Das Hotzenwälder Komplott - Hans Mehlin - E-Book

Das Hotzenwälder Komplott E-Book

Hans Mehlin

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Beschreibung

Mehlin "verzellt" ein geträumtes, tierisches Hotzenwälder Komplott. Daran scheiterte das Pumpspeicherwerk Atdorf im Südschwarzwald. Mit echtem Jägerlatein über wilde Tiere, Wildschweine und Wölfe. Spukende Hotzenwälder "Irrgeischter und Ploggeischter" wie der "Maisenhardt Joggele, der Löhli Bloßli und die Höllhogehex" wirken im langen Rechtsverfahren zum Atdorfer Pumpspeicherwerks mit. Es "pladderadatscht und es isch nit ganz sufer" wenn der Waldgeist in der Verwaltungsbürokratie "bockeret het" und persönlich regiert. Das Scheitern des Projekts Atdorf liegt nicht allein am Naturschutz, sondern am "Bockmischt des Amtsschimmels" und an spukenden Hotzenwälder Geistern. Hans Mehlin verbindet wie bereits in den vorangehenden Novellen die Standardsprache mit seiner urigen, traditionellen, mundartlichen, alemannischen Muttersprache.

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Der Grünrock jubelte Waidmannsheil!

Mein Mondscheinschlaf bescherte mir einen Traum. Ein kapitaler Keiler kämpfte mit hundert Aktenordnern.

Postkarte von Heinz Geilfuß 1890 – 1925

Jägerlatein

Es freut mich als Jäger, wilde Sauen im Wald zu erleben. Aber nicht auf einem schwankenden Hochsitz bei Nacht, wobei das Rauschen der Wipfel wie ein Wispern erklingt. Im Wechsel von Dunkelheit, hellem Mond und im Nebel.

Als ich beinah unsanft aus dem Nickerchen erwacht war, kam im milden Mondlicht ein Keiler durch das Unterholz. Das Restlicht flackerte nur noch in meinem Jagdfernrohr. Dieser Schwarzkittel war mir zum fünften Mal entwischt. Er vernichtete Maisfelder und verwüstete grüne Wiesen.

In den letzten Wochen hatte ich mich mit tausend Seiten zur Umweltverträglichkeitsstudie und Naturschutzfragen der zwei geplanten Pumpspeicherbecken Atdorf befasst.

Es waren über hundert Ordner mit den technischen und biologischen Beschreibungen des neuen Energieprojekts. Mir brummte mein Schädel vom Lesen und Nachdenken, obwohl ich das betroffene Gebiet seit Jahren gut kannte. Ich sollte die Wirkung auf hunderte Wildtiere beurteilen.

Mein Mondscheinschlaf hatte mir einen Traum beschert. Als ob die Einbildung das kunterbunte Geschehen kenne. Ein Tanz auf dem Schwebebalken meiner Traumfantasie. Ich träumte Realitäten und Fiktionen: „Beinahe, als ob“.

In meinem Traum kämpfte ein Keiler mit Aktenordnern. Der Wind verwirbelte die Blätter und schuf drei Episteln, die als traumatische Possen aus den Ordnern purzelten.

Inhaltsverzeichnis

Jägerlatein

Die Possenreißer

Die Wildschweinposse

Die Lumpazien und der Joggele

Die Treibjagd am Tröpflibach

Der Bräckinger Pakt bricht

Der Ploggeischt und die Possen

Das Netz und die Maschen

Die Wasserposse

Der Löhli Boßli und das Bohrgestänge

Der Nöck possiert im Hotzenwald

Die Wälder Harlekine und die Höllogehex

Die Wolfsposse

Ein tierisches Komplott

Die haspelnden Harlekine

Der Irrgeischt blöderlet am Tröpflibach

Tierische Beute und traumatische Natur

Das Halali der Possenreißer

Glossar Alemannisch

Glossar Jagd

Glossar Vaihingers Philosophie des Als-Ob

Dank

Der Hotzenwald

Der Autor

Literatur und Zitate (

kursiv)

Reihe alemannisches Intermezzo

Die Possenreißer

Aktenfresser und Kapitän

Kritikaster

Aquarius, Lumpazi, Nöck

Wassermann

Artemisia Brenneke

Saujägerin

Bockerei, Bockerer

Bürokraten

Grünrock

Forstmann, Jäger

Harlekine

Gewählte Räte

Höllhogehex

Tinderella, Ella

Joggele und Löhli Boßli

Zwei Waldgeister

Judika und Pulcinella

Bockerinnen

Limnikus

Bachökologe

Kussmund und Ohm

Oberstromer

Meduse und Sirene

Ungeheuer

Schowänzien Kaiser

Hallodri Wälder

Taranta und Krakele

Spinne und Krake

Zaschter Kaschper

Zahlmeister

Die Wildschweinposse

Weiber, Wein und Federbetten

so mancher Sau die Schwarte retten!

Die Lumpazien und der Joggele

Die schwarzen S-Klasse Limousinen brausten mit kurzem Abstand hintereinander durch den Südschwarzwald und erreichten nach langer Fahrt das Stromumspannwerk im Stiermoos: Eine europäische, elektrische Schaltzentrale. Der erste Wagen war am frühen Morgen in der Essener Hauptverwaltung abgefahren. Der zweite kam direkt aus der Landeshauptstadt von einer Besprechung mit hohen Ministerialbeamten und brachte deren Wohlwollen mit. Insofern wären für das „Hotzenwälder Milliardenprojekt Pumpspeicher“ keine großen Widerstände zu erwarten.

Auf den letzten Kilometern zur Schaltzentrale hatte sich der tückische Herbstnebel im Hotzenwald ausgebreitet. Die Kolonne fuhr langsam durch das geöffnete Werkstor in das Umspannwerk, das in einem zerstörten Moor lag.

Schon zwei Jahrhunderte zuvor „hen d‘ Hotze“ im Moor, das man früher Stiermoos nannte, Torfballen gestochen. Dieses Hochmoor hatte die Badische Hüttenverwaltung von 1835 bis 1865 gepachtet, um den Brenntorf für die badischen Eisenwerke zu gewinnen. Doch der nasse Torf war wegen des hohen Wassergehalts kaum zu trocknen.

Das Moor wurde seinerzeit durch den Torfstich in beinah allen ökologischen Funktionen gestört und auch zerstört. Die typischen Moos- und Rauschbeeren, die Wollgräser, der Sonnentau und der Fieberklee waren verschwunden. In den zerstörten Resten der Torfplaggen und der Suhlen hausten die wilden Sauen und waren schwer zu bejagen.

Die noblen Herren, der Aquarius, wie man den Ingenieur nannte, und der Zaschter Kaschper, der im Werk wegen seiner Finanzkünste in der Strudelburg geschätzt wurde, besuchten das Stiermoos. Das Herz der Stromverteilung. Ein Elektriker fragte laut: "Was wänn Sie do um die Zit"?

Die von allen Stromkunden lästerlich verhöhnten Bosse zelebrierten ihre Rituale fast wie vor Aarons goldenem, biblischem Kalb und stierten in der Dämmerung auf die sinkenden Zeiger aller Stromarmaturen der Schaltwarte. Da die Kundschaft abends den Stromverbrauch für mehr Licht und für den Kochherd steigerte, sank die Frequenz.

Mit gespanntem Blick warteten alle auf den Lastwechsel, denn die angestauten Wasserkräfte sollten sich befreien. Wie von Geisterhand gesteuert, trieben die freigesetzten fallenden Wasserkaskaden Turbinen an, um die fehlende Energie europaweit auf sämtliche Stromnetze zu führen. Es war faszinierend zu sehen, wie die Lastzeiger stiegen, wenn die in Strom verwandelte Wasserkraft „abeschoß“, und die Anpassung an diesem Abend meisterlich gelang.

Die strahlenden Lumpazis grinsten glücklich vor sich hin: Der Aquarius sonnte sich im Licht seiner Wasserstechnik, und der Zaschter Kaschper sah silberne flatternde Fäden wie glitzerndes Lametta über der Strudelburg flimmern. Er betete „beinahe gläubig“ vor dem Wechselstromaltar, als ob er seine stromernden Gottheiten verehren müßte.

Direkt im Anschluß an den Besuch im heiligen Stromgral wollten die Herren Aquarius und Zaschter Kaschper ihre vertrauliche Besprechung an einem anderen Ort führen. Die ungebetenen Lauscher mussten ausgeschlossen sein.

So wählten sie den abgelegensten Ort im Stiermoos aus: Eine Forsthütte, wo sich die Jäger häufig zur Jagd trafen. Nicht weit von der Warte gelegen, aber im dichten Wald. Ihre Fahrer erholten sich derweil in der Betriebskantine, da die diskrete Absprache in der Hütte Zeit beanspruche. Dann spazierten die Stromer Lumpazis in die Dunkelheit.

Als das Werktor von „Gspengstern“ geschlossen wurde, fürchteten die Strudelburger Stromer immer noch nicht, daß eine dunkle Macht den Spaziergang zur Forsthütte mit grausendem Schauer und Schrecken belegen wollte. Noch war die Begegnung mit den Jägern äußerst irdisch, als diese von der Jagd aus dem Wald nach Hause fuhren. Sie hatten an der Hütte „Signale“ mit Hörnern geblasen: Reh tot; Sau tot und Fuchs tot! Dann am Ofen die Hände gewärmt und einen "Bräntz zum uff‘wärme" getrunken. Ein Jäger rief den Lumpazis zu "mir hen scho vorg'heizt".

Das Übersinnliche gewann Oberhand, als die beiden im dicken Nebel den Wegverlauf nicht mehr vor sich sahen. Die nassen Schwaden durchnässten die dunklen Anzüge und die Haare des Aquarius und des Zaschter Kaschpers, daß man sie genauso für elende Lumpen gehalten hätte. Sie hatten die Abzweigung zur geheizten Hütte verpasst. Schritt für Schritt tasteten sie sich durch die Nebelwand. Der Zaschter Kaschper fluchte im rheinischen Sing-Sang und der Aquarius schimpfte in seinem Kurpfälzer Dialekt, was ihre Beschwernis aber keineswegs mildern mochte.

Nach fast zweihundert Metern auf weichem Waldboden, auf dem sie mit strauchelnden Schritten voranstürmten, wollten sie ihren Fahrer anrufen, um sie hier abzuholen. Doch sie bekamen keine Telefonverbindung, da sie unter den Starkstromleitungen des Umspannwerks stolzierten.

Die Strudelburg Stromer vernahmen bald irres Gelächter und ein Kichern im Waldesrauschen, als beide beklagten, daß sie „de Mürsel“ an dürren Zweigen gestoßen hatten. Denn der Joggele trieb seine abgefeimte Possenreißerei, und beide Lumpazis erfassten nicht, was ihnen geschah.

Der Waldgeist lockte „Männli un Wiebli mit Irrlichterei“ und Trugbildern in die Gefilde des zwielichtigen Moores. Er trieb es ebenso mit den Jägern in geistreicher Weise, indem er ihnen das Wild bei der Jagd verscheucht hatte. Dazu fegte er die Dürräste aus den älteren Baumkronen, damit das Wild aus dem Ziel sprang und sein Heil suchte.

"Au mengem Biedermaa" gaukelte er Prachtstraßen vor: Bei Lichte betrachtet hatte er diese Kutschen fehlgeleitet bis der "alde Charre mit Pladderadatsch" im Graben lag. Gerade im Nebel, im Schneegestöber und im Sturmwind hüteten sich Hotzenwälder in die Maisenhardt zu gehen. Man argwöhnte: "S' isch nit sufer. S' goht dört eine um". Damit meinte man den Waldgeist mit seinen Eskapaden, der den Strudelburger Stromern übel mitspielen wollte.

Die zwei Strudelburger Lumpazi fassten erst wieder Mut, als sie einen Wicht im dunklen Tann entdecken konnten.

Vor Freude umarmten sie sich und fühlten sich wohler. Nun stapfte ein Jäger aus der dichten Wildnis auf sie zu.

Er hatte einen Blattschuß auf eine wilde Sau abgegeben und war auf der Nachsuche, ob er diese getroffen habe. Der Keiler war vermeintlich unverletzt davongekommen, obwohl der Jäger den Kugelschuß mitten ins Herz setzte. Als ob der Joggele ihn im Nebelgewölk verborgen hätte.

Das "Woher und Wohin der Stromer" war sofort geklärt. Sie wollten zur Besprechung in die gewärmte Forsthütte. Nun standen sie hundert Meter entfernt vor ihrem Ziel. Der Nebel hatte sich gelichtet, und die Hüttenkonturen traten aus den Schauerwolken deutlich sichtbar hervor. In der rustikalen Hütte konnten sie ihre Kleider trocknen.

Der Jäger heizte den Hüttenofen mit Brennholzscheiten und stellte eine Flasche Wein und Gläser auf den Tisch. Dann verabschiedete er sich mit einem Augenzwinkern, das man als ein übersinnliches Flackern deuten konnte. Kaum hatte er die Hütte verlassen, rumpelte es im Wald und es fegte der wohl "nit ganz sufere Oberwind dure". Als der Windstoß ins Kamin schoss, prasselte das Feuer.

Nach zwei Stunden beendeten sie ihre intime Konferenz über das geplante Milliarden Projekt in festem Glauben, daß keine Seele von ihrer Absicht gehört haben könnte. Doch es war ein großer Fehler, die Neuigkeiten über den geplanten Pumpspeicher den Menschen vorzuenthalten. Das neue Stromervorhaben kam trotzdem an die Presse, die nicht einmal ihren lokalen Spürsinn bemühen mußte.

Ob es durch den Hotzenwälder Sturmwind im Stiermoos oder geheim an die Redaktion „durchgestochen“ wurde, konnte auch danach "nit ganz sufer" aufgeklärt werden. Denn der Waldgeist holte zum "Pladderadatschen" aus.

"Bhüt euch Gott und heb Sorg vor'm Joggeli", sagte man. Wenn der Mensch denkt, in Wahrheit der Joggele lenkt, faselte man von dem Schindluder treibenden Waldgeist, den Joseph Victor von Scheffel im Wahn ersonnen hatte, nachdem er dem Joggele einst persönlich begegnet war, indem er einen weiteren Schoppen Wein „usghöhlt het“. Danach fabulierte Josephus in bacchantischem Feingeist:

"Ob er aber Unterstaatssekretär oder bloß vortragender Rat oder gar nur Assessor oder Volontär im Irdischen sei, und woher Joggele überhaupt stamme, und warum er seine soziale Position gerade hierselbst gefunden habe".

Im Hotzenwald erschienen nämlich auch aparte Geister, wie Scheffel in den Hauensteiner Episteln erzählt hatte. Diese seien aber nicht beim Mythen- und Naturforscher Doktor Joseph Görres 1832 in jenem Staatskalender der Geisterwelt nach deren Rang und ihrem Titel aufgelistet.

Ein solcher sei der Maisenhardt Joggi aus dem Tannwald, dessen amtliche Stellung im Geisterreich darin bestände, die heimkehrenden Biedermänner irrezuführen oder mit Schabernack auf deren Begriffsverirrungen hinzuwirken. Als Plagengeist im verschworenen Hotzenwaldkomplott.