Die Hotzenwälder Anna in Lörrach - Hans Mehlin - E-Book

Die Hotzenwälder Anna in Lörrach E-Book

Hans Mehlin

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Beschreibung

Alemannisches Intermezzo Mehlin "verzellt" die Familiengeschichte seiner Uroma, der "Hotzenwälder Anna", in der Zeit von 1919 bis 1929 in Lörrach, in Basel, im Hotzenwald und im Schwarzwaldkurort St. Blasien. Nach dem ersten Weltkrieg fordern die Not und der Hunger oft "Herdöpfel-Zügli" vom Hotzenwald bis nach Lörrach hinunter. Annas Schwester Pauline im Hotzenwald bot Hilfe an:"Schick mir dieni Buebe mit Rucksäck und mit de Chärreli. I ha "Herdöpfel". Anna und ihr Mann, der Revisor der Basler Feuer Versicherung, bieten den Bauern im Hotzenwald Brandversicherungen an. "Lueg'sch, ob's brennt"? Und s'brennt nit umesunscht" fluchte ein kurioser Waldschrat, dem die Basler Versicherung das Brandgeld verwehrt hatte, als der "Hotzenblitz" den Hof traf. Mit alemannischen Einschüben und mit urigen Dialogen erzeugt der Autor wiederum ein echtes hoch-alemannisches und ein "Klein-Basler" Sprachgefühl in der Standardsprache.

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Das Vorspiel und das Nachspiel

In meiner Kindheit spielte Uroma Anna oft mit uns das Mühlespiel. Sie nannte es im Basler Dialekt Nüni-Schtei. Das Spiel bedeutete Steine setzen, Steine schieben, bis man offene Mühlen oder mehrere Zwickmühlen besaß. Letztlich mit Steinen springen. Sie liebte ihr Mühlespiel. Spielzüge wurden zum leitenden Prinzip in ihrem Leben.

Uroma lehrte uns, strategisch zu denken: Am Anfang mit großer Flexibilität. Später mit klug überlegten Lösungen. Nicht nur logische Spielzüge waren für Anna bedeutsam. Auch die Freude am Spiel. Kreative Varianten und Fallen. Deren Zweck war Herangehen, Lernen und Wiederholen.

Sie sagte: Üben, üben! Repetieren macht den Meister. Ihr Mühlespiel schulte das wollende Denken im Leben: Im Spiel auf Sieg setzen. Beim Verlieren gelassen sein.

Die persönlichen Zuschriften zu meiner "Hotzen-Saga" haben mich ermuntert, Annas Geschichte fortzusetzen. Für dieses Buch habe ich 2021 ergänzend die Cousinen meines Vaters zum Familienschicksal jener Zeit befragt. Uroma Annas Enkelinnen erzählten mir ihre wertvollen Erinnerungen über die "Hotzenwälder Anna" in Lörrach.

Dieses Buch ist die Fortsetzung der Familiengeschichte von 1919 bis 1929, die ich in der "Hotzenwälder Anna" und in der "Hotzenwälder Himmelsleiter" über meine Urgroßmutter und ihre Schwestern geschrieben habe. Damit ist meine Hotzenwälder Trilogie abgeschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Das Vorspiel und das Nachspiel

Richards Testament

Schürgi-Wägeli und Kaltebach-Rolli

Das Lörracher Mühlespiel

Der Sattlerlehrling

Die Erneuerung der Brandversicherung

Zwischen dem Albtal und dem Murgtal

Mit Musik und Tanz in Basel

Die Wirtschaftskrise nach dem Weltkrieg

Das Waldsanatorium

Trugbilder im Februar

Der Lindenplatz Achtziger

Rückblick Anna Büche

Hochzeitsfoto Fritz und Nani 1927

Alemannisches Glossar

Der Hotzenwald

Der Autor

Der Hotzenwald mit Karte

Dank

Die Hotzenwälder Anna

Franz Josef und Anna Büche im Jahr 1912

Richards Testament

Die "Hotzenwälder Anna" und ihre Schwester "Pauline" waren vom Säckinger Nachlaßrichter Herth vorgeladen. Er sollte den Frauen Richard Kellers Testament eröffnen. Die zwei Wälderinnen trafen sich am Säckinger Münster.

Auf dem Münsterplatz belebte sich der Mittwochsmarkt. „Behüt' dich Gott“, spielte der Trompeter von Säckingen auf dem Wochenmarkt beim Scheffeldenkmal nach dem verlorenen, ersten Weltkrieg: „Es hat nicht sollen sein“. Scheffels Kater Hiddigeigei hätte Tränen vergossen und das Ach und Krach vom Münsterdach geklagt: "Wenn die magern Jahre kommen, saug an der Erinnerung Tatzen".

Der vertraute Alltag kehrte zeitweilig in die Stadt zurück. Anna und Pauline waren wie an einem Festtag gekleidet. Beide trugen ihren Plissee Glockenrock mit weißer Bluse, die deren Hals mit festlich gestärktem Kragen bedeckte. Pauline war sehr früh am Morgen von den Bergeshöhen des Hotzenwalds heruntergestiegen, da der Postbus von Herrischried „no nit regelmäßig ins Tal abe g'fahre isch". Das Vieh versorgte ihre Nachbarin, bis Pauline heimkam. Sie ahnte, daß Paulines gute Kleidung an einem Werktag mit Richards Erbe zu tun hatte und fragte: "Wod'sch no neume ane goh, daß de di Sundigsrockch a'gleit hesch"?

Pauline antwortete der "Nochbere" ungewohnt einsilbig und holte das gerichtliche Schreiben aus der Schublade. Aufgeregt packte sie eine Speckseite und Kartoffeln auf ihr Rückentragegestell. Erwartungsvoll schritt sie ins Tal.

Es war ein bedeutsamer Tag. Auf dem Markt gab sie ihre Vorräte vorübergehend einer Marktfrau in Verwahrung. Bevor sie Anna beim Scheffeldenkmal traf, betete sie im Münster "e Gsetzli", daß sie den Keller-Hof erben möge.

Die Hotzenwälder Anna war mit der Wehratal-Bahn von Lörrach angereist. Seit 1917 lebte sie mit der Familie im grenznahen Lörrach, da sie aus Basel ausreisen mußten. Die beiden Schwestern umarmten sich und gingen zügig zum Amtsgericht. Um elf Uhr war ihr Termin festgesetzt. Anna ahnte, daß der im April verstorbene Vater Richard nun seinen Hof Pauline, Vaters Liebling, vererben werde. Spannend blieb bei Richards Testament jedoch für Anna, ob sie selbst oder die Schwester Steffane in Philadelphia einen Teil erben würde. Es lebten noch drei Erbtöchter.

Paulines Herz klopfte aufgeregt, als der Gerichtssekretär Richard Kellers Töchter in den ehrwürdigen Gerichtssaal hineinführte. Sie plapperte "numme e Hufe dumm Züg" und zog sich strafende Blicke ihrer Schwester zu, als sie die farbigen Bilder an der Stuckdecke sah und flüsterte: "Anna lueg emol uffe, do hets Helge-Bildli an de Dekchi".

Der Amtsrichter Gustav Herth war im Krieg Oberleutnant und Kompaniechef des Infanterie-Reg. Nr. 111 gewesen. Schon im Winter 1914 lag der Offizier in einem Lazarett. Er war am „Hartmannsweiler Kopf“ durch Granatsplitter am Kopf und am Arm verletzt worden. Der Kriegsinvalide trug die gleiche Barttracht wie der Badische Großherzog. Das Barthaar schützte die verletzte Wange dort, wo die Studenten einen Schmiss für Mut und Tapferkeit trugen.

Durch die Kieferverletzung zischelte Herths Aussprache. Wenn er Worte mit anlautendem F, P und S artikulierte, pfiff und flötete er wie ein flehmendes Schlachtenpferd. Die flatternden Lippen tönten wie Schießen und Niesen. Zudem nuschelte er in seinen Kinnbart, was seiner hieb-und stichfesten Urteilskraft jedoch nicht abträglich war.

Annas Herz „het bie dene G‘räusch a‘gfange z‘bobbere“. Doch sie wirkte äußerlich eher gelassen und versuchte pausenlos, die blasse Plaudertasche Pauline zu mäßigen. Der Sekretär zeigte höflich auf die zerschlissenen Sessel und legte dem Amtsrichter das Testament auf den Tisch. Für Anna, die er für eine städtische Dame hielt, rückte er den gepolsterten Stuhl zurecht. Paulines Stuhl "schürgte und schupfte er schofelig", als ob er ihre verschmutzten Schuhe vom Bergabstieg unter dem Rock gesehen hätte.

Bevor der Richter die erbenden Frauen ansprach, las er das Testament des Notars Dr. Hermann Blümel aus dem Jahr 1911 sehr genau durch. Herth konzentrierte sich auf einen bestimmten Absatz und zischelte leise vor sich hin: "Pauline-den Hof, Nießbrauch-Anna; Steffane-s'git-nüt".

Als Pauline das pfeifende, genuschelte Wort Nießbrauch aus Herths zischenden Backen hörte, argwöhnte sie, daß "si Schnuderpfnüsl pfluderet un si Füdle pfupferet hätti". Sie öffnete schon ihren Plappermund, um ein herzhaftes "G'sundheit Herr Gerichtsrat" auszudrücken. Doch dieser zog nicht einmal das Sacktuch zum „Nase schnütze use“. Er mußte auch nicht niesen. Da begriff die Wälderfrau, daß der Nießbrauch nichts mit dem Niesen zu tun habe.

Der Amtsrichter eröffnete den Frauen, daß der Notar Dr. Hermann Blümel Richards Testament nach eingehender Besichtigung des Keller-Hofs und Befragung des Vaters aufgesetzt hatte. Dann las er das Testament laut vor und erklärte allgemeinverständlich, daß Pauline den Keller-Hof allein geerbt habe. Sie müsse Anna am jährlichen Ertrag zu einem Drittel in Naturalien wie Fleisch, Mehl, Kartoffeln, geräucherten Würsten und Speck beteiligen. Steffane in Amerika stehe kein Recht am Nießbrauch zu. Die gepachteten Matten im Herrischwander Wiesental zählten nicht zu den Erbgütern in Richards Testament.

Paulines Plapperei verstummte. Ihr Bangen um das Erbe war ausgestanden. Richard hatte sie zur Erbin bestimmt. Das Glücksgefühl erfüllte ihr Herz. Sie war dankbar und herzte Anna, die ihr zusprach: "s'isch alles guet Pauline".

"S' Richarde Pauline" erinnerte sich noch an den Besuch des Notars Dr. Blümel im Jahr 1911 auf dem Keller-Hof. Richard hatte nie mit ihr darüber gesprochen, was er mit dem Notar damals ins Testament schrieb. Blümel hatte alle Flächen vorab besichtigt: Matten und Getreidefelder in Großherrischwand, ihre Wälder am Singele-Bühl und die Segeter Brennholz-Wälder der verstorbenen Mutter, ebenso die Wehrhalder Weiden. Auch die Ochsen, sechs Kühe, die Hausschweine und Speckseiten im Rauchfang.

Vom Duft der Räucherwürste bekam Dr. Blümel Hunger. Dann habe der Notar mit gesegnetem Appetit gegessen, viel geredet "un au no g’nueg Moscht un Bräntz g'soffe".

Bevor sich die beiden auf die Erkundungsfahrt begaben, hatte ihr der Vater zugerufen: "Choch öbbis guets bis mr wieder chöme. E Brotis un Herdöpfelstock. Nimm'sch am beschte s'Burgimeischterstückli un faißes Suppefleisch". Damit gab er kund, daß er den Notar nobel bewirten und seine Erbschaft ohne Zeugen mit ihm besprechen wollte. Trotzdem hatte Pauline weit offene Ohren und erschrak, als sie hörte, daß der Vater gegen eine Aufteilung aller Grundstücke sei. Er erklärte dem Notar, was er von der Erbteilung halte: "Nüt! Denn do sin nochher alli ärmer".

Der Notar antwortete, daß er die Hotzenwälder Teilung auch für falsch halte. Richard müsse aber daran denken, daß im Höferecht weichende Erben meist leer ausgehen. Er könne ihm keine Fidekommiss-Regelung wie in einem adeligen Herrschaftsbesitz aufsetzen, wo die Güter ohne Verkauf als unteilbares Vermögen an eine Person fallen. Dort würden weichende Erben entweder im Kloster oder als Offiziere versorgt, wenn es die Verhältnisse erlauben. Aber er könne den Nießbrauch für die Töchter eintragen.

Bei den Hotzenwälder Erbberatungen der Notare kam es vor, daß diese mit einem Bärenhunger und quälendem Durst einhergingen. So speisten und tranken alle Notare, auch Blümel, gute Erzeugnisse, wie sonst nur der Pfarrer. Es dauerte ein Drei-Gänge-Essen lang bis das Testament auf dem Papier stand, und der Erblasser zufrieden war.

Dann begleitete Richard den Notar allein zum Postauto, damit Paulinchen kein Sterbenswörtchen erfahren sollte. Bis zum Tod sprach Richard kein Wort mehr vom Erben.

Schürgi-Wägeli und Kaltebach-Rolli

Pauline hatte nach dem Notariatstermin ihre Speckseite und ihren Herdöpfel Rucksack bei der Marktfrau geholt. Dann übergab sie Anna das Päckchen für ihre Heimreise. Am Bahnhofkiosk tranken die beiden „Cafi mit Möggeli“. Pauline gab Anna "de Herdöpfel-Transport z' bedenkche: Muesch halt luege! Wie du im Herbscht zwanzig Zentner Herdöpfel un zwei Zentner Fleisch, Speck und d‘Würscht vo Großherrischwand uf Lörrach abe schpediere chasch. Du hesch g'nueg hungrigi Müler am Chuchi-Tisch hocke". Dieser Hinweis galt Annas Buben „un’m Döchterli Nani“.