Die Hotzenwälder Himmelsleiter - Hans Mehlin - E-Book

Die Hotzenwälder Himmelsleiter E-Book

Hans Mehlin

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Beschreibung

Alemannisches Intermezzo Mehlin "verzellt" von den Schwestern der Hotzenwälder Anna von 1880 bis 1918 im Großherzogtum Baden an der Schweizer Grenze. In dieser Familiennovelle wird der Alemannische Dialekt mit der Standardsprache in einer authentischen Form verbunden. Die fromme Urgroßtante Pauline, eine leicht schrullige Bäuerin, war schon als Kind in den Kaplan im Dorf "verschossen". Die Himmelsleiter stand ihr näher als die Demutstreppe, auf die sie der Kaplan zerren wollte. Gar nicht maulfaul antwortete Pauline auf anzügliche Bemerkungen der Dorfburschen: "Wenn de jetzt scho schwitze muesch, chasch es in de Hölle gar nit ushalte". Denn dört chunnsch ane, wenn de so blöd umme chäschperle will'sch, du Schwauderi! Die fromme Jungfer sah nur den Kaplan. Ihre Schwester, die schöne Steffane, wurde "Dienscht-Maidli" in Säckingen bei der reichen Fabrikantenfamilie Hüssy-Brunner. Im Jahr 1901 wanderte Steffane nach Amerika aus. Sie fand auf der Atlantiküberfahrt ihr Lebensglück beim Seekadetten Paul, den sie in Philadelphia heiratete. Dann lebte sie in ihrer amerikanischen Traumwelt. Das Himmelsglück spiegelte sich in ihrem Gesicht. Mehlins Urgroßtante, die Hotzenwälder Pauline, brachte ihren Bauernhof durch den Fleiß und gute Beratung auf "Vorderfrau". Sie ernährte in den Notzeiten ihre Lörracher Verwandten, die Familie der Hotzenwälder Anna, die ihr es lebenslang dankten.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Der Abschied

Paulines Beerdigung

Der Autor

Das Leitmotiv Himmelsleiter und Demutstreppe

Die Novelle

Lichtmeß und Matthäi am Letzte

Der Lehrer liest die Leviten

Der Heimweg vom Mettlenhof

Bodeschtändigi Buure

Blumen im Garten und Freiheit im Kopf

Die Russengrippe schlägt zu

An der Schellenberger Chilbi

Die Wallfahrt nach Todtmoos

Der Wehrhalder Blitz

D' Steffane isch abekeit

Am Fridolintag

Der Kaplan im Regen

Die Modernisierung des Hofs

Der Stachel im Fleisch

Die benediktinische Demutstreppe

Im Licht der Liebe

Steffanes Neue Welt

Die Bräntz-Brenner

Das Licht kommt auf den Wald

Die Hoferweiterung

Der Hotzenwälder Hörposten

Auf der Basler Schiffschaukel

Amerikaner im Hotzenwald

Frau Kapitän

Vier Buebe un e buschber Maidli

Der Laufenburger Rheinfall

Paulines Nickerchen

Hiobsbotschaften

Die Irrlichter Gedicht J.P. Hebel

Die Hotzenwälder Hoch-Zeit

Epilog

Was mir über Pauline und Steffane erzählt wurde

Glossar Alemannisch

Glossar Kirchenlatein

„Alemannische“ Sprache. Begriffe „lueg ins Glossar“. „Direkte Rede“ und Bibelzitate in „Anführungszeichen“.

Fotografien: Hans Mehlin

Prolog

Die Kraft des Himmels Kai Weynand 2019

Mein Kopf hat drei Ecken. Nicht Hölle, Erde und Himmel genannt, sondern Wahnsinn, Besonnenheit und Kraft.

Wahnsinn meint, daß jeder Gedanke, sei er noch so abstruß oder verrückt, zugelassen werden muß.

Besonnenheit meint die nüchterne Betrachtung der Gedanken, welche man für den Alltag tauglich achtet.

Kraft steht für das Durchhaltevermögen, für das Vermögen, die Gipfel in der Ferne zu suchen und sehen.

Das Hohelied der Liebe Der erste Brief an die Korinther, Kap. 13

Wenn ich in der Sprache der Engel und der Menschen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein dröhnendes Herz, eine laute Pauke oder eine klingende Schelle. Die Liebe ist langmütig und freundlich, prahlt nie, die Liebe vergeht nie.

Der Abschied

Der eisgraue Benediktiner wurde im März 1951 an das Sterbebett meiner Urgroßtante Pauline in das steinalte, ländliche Hotzenhaus im Ort Großherrischwand gerufen. In den Hotzenwald hinauf, wo dieser Pater noch als Josef Motsch bekannt war. Als „de sell Kaplan“, weil er dort als Seelsorger einige Jahre lang im Pfarramt gelebt hatte.

Meine Lörracher Uroma hatte ihn benachrichtigt. Denn Paulines Nachbarin hatte sie gebeten, zur todkranken Schwester zu reisen: „S' goh't nümmi lang mit d‘Pauline“ sagte sie, denn sie redete wirr „vo sellem Kaplan in de Himmelschiffschaukel un vom blühn‘dige Klatschmohn“.

Lähmende Schwäche hatte die Hotzenwälder Bäuerin Pauline auf das Krankenbett gestreckt. Dieser ehemals junge Kaplan, der vor Jahrzehnten im Kloster Beuron ein bekannter Benediktiner geworden war, wurde in einem Wagen zu ihrem Hotzenhaus gebracht. Der Methusalem, „de sell Kaplan“, war wirklich angekommen. Er spendete meiner Urgroßtante Pauline die Sterbesakramente.

Zur Fahrt auf den Hotzenwald hatte meine Uroma Anna nicht nur ihre Trauerkleider, sondern auch ein Pfund Kaffee in ihre Reisetasche eingepackt. Mein Vater fuhr sie im Beiwagen seiner Harley-Davidson damals in den Hotzenwald, wo sie im Pfarrhaus erfahren hatte, daß ihre Schwester den Hof ihres Vaters aus Angst vor dem Fegefeuer vor zwei Wochen der Kirche übereignet hatte.

Der Notar, ihr Begräbnis und der Leichenschmaus waren in ihrer Übergabe des Gehöfts an den Pfarrer enthalten. Als meine Uroma in ihren Elternhof kam, erschrak sie beim Anblick der sterbenden Pauline. Man hatte sie in ihrer Kammer gebettet. Die marmorierende Haut, ein fast leerer Blick, die mageren Arme, ihr ausgezehrter Körper und röchelnder Atem wiesen auf ihr Ende hin. Die Nachbarfrauen benetzten ihre Lippen mit Wasser und beteten. Der Pater salbte ihre faltige Stirn, sprach letztmals mit ihr und las ihr leise bis zum Tod aus den christlichen Psalmen das „Hohelied von Salomon“ vor. Dann entspannten sich ihre Mundwinkel. Ihr Gesicht lächelte sanft. Sie hauchte ihren letzten Atem aus und bekam ein fahles Gesicht. Pauline Keller war gestorben. Meine Uroma Anna murmelte „jetzt hesch's doch no g'schafft, Pauline“! Der Blick des Mönchs verharrte still noch mehrere Minuten auf Pauline. Dann nahm er auf dem alten Stuhl in Paulines Kammer regungslos Platz.

In der Hotzenstube nahm meine Uroma leise das Paket mit dem Schweizer Kaffee aus der Reisetasche und füllte die Kaffeemühle mit gerösteten Bohnen. Der gemahlene Kaffee duftete wie früher. Dann fragte sie ihn so wie vor vielen Jahrzehnten ihre Schwester Pauline „Herr Kaplan, trinke Sie in de Chuchi doch no e Tässli Cafi mit mir. Es isch kei Muckefuck, sondern e Schwiezer Bertschi-Cafi“. Sie wußte genau, daß Pauline dem Kaplan früher gern mit „em‘e Bohnencafi und em'e Sprutz Kölnisch Wasser“ eine Wolke Parfüm gegen den ländlichen Geruch im Hof entgegenbrachte, als ob sie „Mademoiselle Keller“ sei.

Der Kaplan kannte meine Uroma noch, denn er hatte sie und ihre Geschwister auf die Kommunion vorbereitet. Danach trank er auch gern „Bräntz“ mit Paulines Vater. Oder den Muckefuck mit Zichorie-Extrakt, wenn Pauline ihr feines Duftwasser in seiner Nähe versprengen wollte. Auf Annas Frage nach Paulines Angst vor dem Fegefeuer, und wohin ihre Seele nun fliege, blieb der Pater stumm. Der Benediktiner spürte das leise äolische Rauschen von Paulines Seele. Auch Anna glaubte, den feinen Luftzug zu vernehmen, was beinahe wie das sanfte Säuseln Gottes beim Erscheinen des Elias-Wagens für die Aufnahme von Paulines Seele auf den Flug in die Unendlichkeit erklang.

Im Keller-Hof wanderte der helle Sonnenstrahl wie ein göttlicher Zeiger im Herrgottswinkel von Paulines Todes Kammer auf das Kruzifix Jesu Christi und durchbohrte die Lende und das blutende Herz. Mit den Strahlen war nun der göttliche Frieden in den Keller-Hof eingekehrt.

Der erschöpfte, alte Pater nahm Abschied, stieg in den Wagen zum Kloster und bereute bitter, daß er Pauline auf seine benediktinische Demutstreppe gezerrt hatte. Auf der Rückfahrt war er in Gedanken bei Paulines Seele. Leise flüsterte er: „Und meine Seele spannte als flöge sie nach Haus“. Er hatte die blühenden Himmelsleitern im Garten des Keller-Hofs und den blühenden Klatschmohn immer noch vor Augen. Seine Zeit als junger Dorfkaplan hatte ihn eingeholt. Er dachte sehr lange nach, was wohl Pauline mit ihren letzten Worten von der Schiffschaukel ausdrücken wollte. Doch es blieb weiter ihr Geheimnis, das Pauline ihr Leben lang niemandem anvertraut hatte.

Der Keller-Hof im zweiten Weltkrieg

Aus dem Familienalbum meiner Urgroßmutter Anna. Das Hof-Gebäude, das nach Paulines Tod einstürzte, stand im Osten des Freilichtmuseums Klausenhof.

Pauline Keller im Hauseingang in Großherrischwand

Paulines Beerdigung

Es war eine große Beerdigung im kalten März 1951 in Herrischried. Mein Vater hatte meiner schwangeren Mutter auf dem Kirchplatz aus dem Beiwagen seiner Harley-Davidson geholfen. Sie trug mich schon bei der Beerdigung Paulines in ihrem Bäuchlein mit. Deswegen konnte ich vor meiner Geburt an „dr Liecht“ dabei sein.

Bis zum Beginn der Trauermesse folgten die Gebete der Kirchengemeinde. Ganz gebetsmühlenartig. Wallend wie wabernde Wellen. In der Frauenbank wiederholte eine Vorbeterin diesen Gebetsreigen, bis die Messe begann. Der Geistliche begann mit den Worten des Propheten Elias „Freut euch mit Jerusalem“ den Trauergottesdienst für die tote Pauline, die von den Leuten im Hotzenwald meistens nur „s' Richarde Pauline“ genannt worden war.

Unterdessen entfleuchte ihre Seele auf dem Elias-Wagen und streifte die Seligpreisungen am früheren Kloster St. Blasien. Im Gleiten grüßte sie über der Wallfahrtskirche in Todtmoos zum letzten Mal das Gnadenbild Mariens.

Ohne Abtrift beim Konstanzer Generalvikar Wessenberg und den Protestanten schwebte sie über den Bodensee. Bald endete im Tiroler Innsbruck die süddeutsche Herz Jesu Frömmigkeit, und die Balkan Gefahren nahmen zu. Paulines Seele flog auf der südöstlichsten Rückreiseroute ins Heilige Land nach Jerusalem. Über biblische Orte wie Nazareth und Gethsemane zum Prophetenberg Karmel.

Die Cherubine und die Serafine jubelten mit dem Chor der Engel, als Paulines reine Seele in den Himmel kam. Das „Hohelied von Salomon“, der Psalm auf die Frauen, den der alte Benediktinermönch, eben „dr sell Pater“, am Sterbebett für seine Pauline gebetet hatte, schützte sie bis zur Himmelpforte, wo sie Petrus empfangen hat.

Die trauernde Verwandtschaft der verstorbenen Pauline aus Großherrischwand wußte zu der Zeit noch nicht, daß die Tante den Keller-Hof der Kirche übergeben hatte. Sie bezogen die große „Freude mit Jerusalem“ auf den Tod Paulines, die sie in „de schlechte Zit“ auf ihrem Hof mit den Kartoffeln, Kraut und Fleisch durchgefüttert hatte.

Auch die Trauergemeinde hatte den Psalm des Pfarrers auf den unbefleckten Lebenswandel Paulines bezogen. Sie zählte nicht nur zu den frommen Frauen, sondern auch zur Kongregation der Jungfrauen in Heimatdorf. Ihr untadeliger Lebenswandel war vom Gnadenbild Marias geprägt. Sie verehrte im Leben das „Heilige Herz Jesu“.

Viele mochten diese schrullige Jungfer und ihr frommes Geschwätz. Denn „schwätze“ wollte sie fast über alles. Sie hatte den Hof besser bewirtschaftet als ihre Ahnen. Nicht nur die Verwandten hatten ihr in Hungerzeiten viel zu verdanken: „E Stuck Brot, Speck, Rübe oder e paar Herdöpfel mit Surkrut“ gab sie für ein „vergelt‘s Gott“.

Aber die Hotzenwälder Pauline hatte in ihrem fleißigen Leben unter Beobachtung der „Dorf-Wieber“ gestanden. Das Lied „Näher mein Gott zu Dir“ war kaum verklungen, als man am Friedhof die Gerüchte und die Parolen über „s' Richarde Pauline und de sell Kaplan“ erzählen hörte:

„Scho als Maidli het sie im Kaplan schöni Auge gmacht“.

„Z' Basel het sie Französischi Hose und G'schtältli kauft“.

„Huusere wär sie bim Pfarrer gern gsi, oder au no meh“.

„E Fläsche Bier het sie ag'setzt un uf eimol us'g'hölt“.

„Im Pfarrhuus het sie wägerli scho g'nug Freude g' ha“.

Im Herrischrieder Gasthof an der Dorfstraße unterhalb der Kirche war der Leichenschmaus für die Trauernden angerichtet. In der Backstube bekamen die Gäste Kaffee.

Die „Herdöpfel, de Chabis un de Brotis“ stammten noch vom Keller-Hof. Den Hefe-Kranz zum Kaffee lieferte die kleine Backstube, wo Pauline nach der Sonntagsmesse manchmal ihren „Milch-Cafi mit Mogge“ getrunken hat. Wo sie mit „selle Wieber lang umme g' schnäderet het“, die sie mit neidvollem Blick zugleich eine Heilige und die Hexe genannt hatten. Der Dorfklatsch trieb neue Blüten.

Die Rätsch-Wieber standen nach der Beerdigung in der Backstube herum. Mit den Liebesgeschichten strickten sie an der Pauline-Legende über die Himmelsleiter der Hotzenwälderin: „Die alti Gumsle, schwauderten sie“.

Der Klatschmohn

Der wilde, rote Mohn, der Klatschmohn bezeichnet die Liebe.

Die kreuzförmige schwarze Mitte zeigt die Leiden der Liebe.

Ein persisches Sprichwort lautet:

Solange es Klatschmohn gibt, solange müssen wir leben.

Der Autor

Nach dem humanistisch-altsprachlichen Gymnasium in Lörrach und dem Grundwehrdienst bei der Feld-Artillerie studierte Hans Mehlin Forstwirtschaftswissenschaften in Freiburg und in Wien. Die Stadt Basel ist dem Autor seit seiner Jugend gut bekannt, da die Schweizer Grenzstadt der kulturelle Raum seiner Heimat in Weil am Rhein und Lörrach ist. Im Forstberuf am Hochrhein der Landkreise Lörrach und Waldshut konnte er den Hotzenwald und die Hotzenwälder Geschichte ausgiebig kennenlernen.

Mehlin wurde Forstbeamter bei der Landesverwaltung. Ab 1986 als Referent der Forstdirektion Freiburg. Zuvor arbeitete er bei Forstdienststellen in Kandern, Breisach, und Waldshut. Ab dem Jahr 1983 als Mitarbeiter an der Uni und der Forstlichen Forschungsanstalt in Freiburg. Als wissenschaftlicher Assistent promovierte er an der Freiburger Forst - Ökonomie und war vom Jahr 1986 bis 2002 Lehrbeauftragter an der Forst-Fakultät in Freiburg. Über 26 Jahre leitete er das Staatliche Forstamt in Bad Säckingen in der Villa Hüssy. Der Säckinger Forstdirektor war im Ehrenamt Naturschutzbeauftragter im Landkreis Waldshut und schwerpunktmäßig im Hotzenwald tätig.

Den familiären alemannischen Dialekt konnte der Autor im Deutsch-Schweizer Grenzgebiet am Hochrhein und im Hotzenwald pflegen. In der Novelle verwendet er die alemannische Dialektsprache seiner Ahnen und erläutert sie im angeschlossenen Glossar. Im Jahr 2002 zog Hans Mehlin von Säckingen nach Herrischried im Hotzenwald.

Mit der Familienerzählung setzte er seiner Urgroßtante Pauline, einer starken Hotzenwälder Bäuerin, und deren Schwester Steffane, die nach Philadelphia auswanderte, ein uriges, autofiktionales, zeitgeschichtliches Denk-Mal.

Mehlin erzählt von „Paulines Himmelsleiter und ihrer Demutstreppe. Von Steffanes Himmelsglück und von deren Verzweiflung“. Mit mundartlichen Einschüben in der Standardsprache entsteht ein echtes Sprachgefühl in alemannischer Ausdrucksweise von Mehlins Vorfahren. Die Handlungsorte halten sich an überlieferte familiäre Schauplätze. Paulines Keller-Hof in Großherrischwand stand nahe beim heutigen Museum Klausenhof. Ebenso nahe bei der Wendelinkapelle. Die Akteure der Novelle sind in der Familie noch immer ein Hort der Anekdoten über die Beziehung zwischen Pauline und ihrem Kaplan.

Die Himmelsleiter stand ihr näher als die Demutstreppe. Pauline suchte die Himmelsleiter. Eine Treppe zwischen Erde und Himmel. Das Aufsteigen und Absteigen wie in Jakobs Traum. Eine Leiter stand auf der Erde. Ihre Spitze berührte den Himmel. Die Engel stiegen auf und nieder. Pauline übersetzte Jakobs Traum auf ihr eigenes Leben. Auf den Bauernhof im Hotzenwald. Und im täglichen Gebet. Bete und arbeite. Das Tagwerk war Pauline heilig.

Steffane suchte ihr rasendes Glück in der Auswanderung nach Amerika. Sie fand den Himmel bei ihrem Seemann. Dessen Himmelsleiter war der Flaggenmast auf einem riesigen Ozeandampfer bei der atlantischen Linienfahrt zwischen New York und Liverpool. Bis in den Untergang.

Das Leitmotiv Himmelsleiter und Demutstreppe

Der Mönch Johannes Klimakos erhielt den „Beinamen“ Johannes von der Leiter. Er war ein spiritueller Heiliger, ein Eremit, der in der altgriechischen Sprache zahlreiche Schriften zur Askese verfasst hat. Er zeigte den Mönchen in der byzantinischen Zeit um 600 n. Chr. den Weg zur Vollkommenheit auf. Nach dem Hauptwerk, die Treppe zum Paradies, die Himmelsleiter, erhielt der Mönch den Beinamen Johannes von der Leiter. Johannes Klimakos war auch Abt des Katharinenklosters in der Wüste Sinai.

Das Bild der Himmelsleiter, die Kunstschätzte und die alten Bücher im Katharinenkloster auf dem Sinai haben Mehlin bewogen, das Motiv für die Erzählung zu wählen.

Die Demutstreppe oder enger gefasst die Demutstreppe des Ordensgründers Benedikt von Nursia um 500 n. Chr. stammt aus dem siebten Kapitel der Regula Benedicti, die als frühe Abschrift, als „Reichenauer Normalschrift“, heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt wird.

Das Regelwerk des Benedict von Nursia handelt von der Demut. Benedict setzte die Demutsübungen als eine zwölfstufige Treppe an, die den Hochmut der Seele durch die innere Unterwerfung bis zur Entselbstung des Menschen beugen und brechen will. Er wird ein Wurm.

Das Leitmotiv der Himmelsleiter und der Demutstreppe inspiriert die folgende Novelle von Pauline und Steffane.

Die Novelle

Lichtmess und Matthäi am Letzte

Der Lichtmeßtag im Februar 1890 fiel auf einen Sonntag. Das leichte Schneetreiben wechselte laufend mit Regen, Wolken und blauem Himmel. Der frostige Nordostwind, der „Oberwind“, wie er oft „uf'm Wald“ genannt wurde, pfiff klirrend kalt durchs hohe Tenn im strohgedeckten Hotzenhaus von Richard Keller. Er hatte Buchenscheite in der „Chauscht“, nachgelegt. Der wohlig warme Ofen wärmte „sieni fünf Wieber“. Mutter Anne-Maria und seine vier “Maidli“ saßen am Stubentisch und warteten auf den verspäteten Vater. Sie sprachen das Tischgebet.

Er hatte schlechte Laune und fluchte laut: „Gopferdori! I cha's e'ne doch nit am Sunndig scho sage. Es bricht mer fascht's Herz, aber's goht nümmi so. D' Anna muß an Oschtere uf d' Mettle. S' Esse längt uns nümmi wieter“. Richard hatte nach der Herrischrieder Messe auch den Dorfmetzger besucht. Denn er wußte, daß dieser in den nächsten Tagen zum Mettlenhof hinüberfahre. „Zum zwei Rindli metzge“. Als er mit dem Metzger „no g'nug g'schnört gha‘ het“, gab er ihm einen wichtigen Auftrag mit: „sag im Mettler Buur, daß i am Oschtertermentig s' Maidli übere bringe will“. Damit meinte er die Tochter. Er selbst hatte nach der Messe in Herrischried bereits drei „Bräntz“ getrunken. Die Wirkung ließ nach. Er war nun müde und legte sich angekleidet auf die Ofenbank. Dabei beobachtete er das Mittagessen seiner Familie.

Die Mädchen kratzten mit dem geschnitzen Holzlöffel die „Brägel vo de letschte Herdöpfel“ aus der Schüssel. Wer will „e Ranke Brot zum Dunke“ fragte die schwache Mutter ihre hungrigen Kinder. „Es git hüt z' Obe nüt me z'esse. Höchstens no de Sege vom Hl. Blasius“ fügte sie leise hinzu. Dann hängte sie ihren „suuber abg'schleckte Holzlöffel“ an das Regalbrett und rieb die Holzschüssel mit „e’me Butzlumpe us“. Sie dachte an die Bibelworte zur Lichtmeß und begann zu beten. „Sei bei uns, damit wir uns für das Licht entscheiden“. Dann bekreuzigte sie sich mit dem hoffnungsvollen Blick auf das bunt bemalte Kruzifix, das im Herrgottswinkel in der Stube hing. Sie hoffte inständig auf Gottes Hilfe: „So goht‘s nit wieter“.

Unterdessen dämmerte Vater Richard auf der warmen Ofenbank in alten Wunschträumen, um seine irdischen Mängel loszuwerden. Er träumte vom Auswandern des halben Dorfes im Jahr 1851. Auch von den Geschwistern. Der Badische Großherzog hatte die Auswanderung nach Amerika gut unterstützt. Richard mußte als ältester Sohn den kleinen Keller-Hof übernehmen und „d‘Anne-Maria hürote“. Denn weitere uneheliche Kinder dürfe es im Hotzenwald nicht mehr geben, predigte der alte Pfarrer. „Au am Bräntz suffe“ ließ der Herr Pfarrer nichts Gutes. Richard konnte jetzt eine Stunde in den süßen Träumen schlummern, bevor der Lehrer zum Besuch erschien. Er gluckste mit einem tiefen Seelenseufzer und drehte sich auf der warmen Ofenbank um. Dann grunzte er in seiner „Sunndigs-Montur“ im vollen Dusel „jetz will i e Bräntz“.

In seinem Albtraum verfolgte ihn die große Not im Dorf, als er ein Jüngling war. Pfarrer Kindler hatte tausende Wassersuppen an die hungernden Familien verteilt, da es weder Kartoffeln noch Kraut und Rüben gegeben hat. Die badisch-großherzogliche Regierung wollte nach dem „verheite Ufstand vo 1848“ keine Unruhen mehr haben. Schon gar nicht auf dem Hotzenwald, nachdem diese aufmüpfigen „Salpeterer“ endlich Ruhe gegeben hatten. Anfang Monat Mai des Jahres 1851 setzte sich die erste Welle der Auswanderung von Herrischried in Bewegung. Badens Großherzog schenkte ihnen Kleider und Schuhe. Er bezahlte auch die dritte Klasse ihrer Schiffspassage. Im Pferdewagen fuhren die Familien nach Haltingen, um dort mit dem Zug nach Mannheim zu kommen. Dann mit dem Rheinschiff nach Bremen. Mit dem Segelschiff über den Antlantik bis New York. Auch Richards Geschwister.