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Milliarden von Tieren ziehen täglich über unseren Planeten. Ihre Zugrouten sind noch immer ein Rätsel. Durch Mikrosender und SatellitenbeForschungsprojektobachtung aus dem All ist es erstmals möglich, tausenden Tieren gleichzeitig in jeden Winkel der Erde zu folgen. Denn: Tiere warnen uns vor Katastrophen, sagen Pandemien vorher und machen den Klimawandel sichtbar. Ein faszinierender Bildband über ein bahnbrechendes , bei dem es um nichts weniger geht, als um eine bessere Zukunft für Mensch und Tier.
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Seitenzahl: 141
Ein Plädoyer für die Tiere
DAS WISSEN DER TIERE
Das Internet der Tiere
DIE SPIRITUALITÄT DER ERDE
Jedes Tier ist so bedeutsam wie der Mensch
FORSCHUNG:SPUTNIK FÜR TIERE
DIE KLEINSTEN SIND DIE GRÖSSTEN
Insekten – legendäre Dienstleister im Ökosystem
FORSCHUNG:WARUM ES GUT SEIN KANN, NAIV ZU SEIN …
DIE UNBEKANNTE MACHT DER BÄUME
Ein gesunder Regenwald erhält sich seine Tierwelt
TIERE ALS KLIMABOJEN
Globale »Wetterfrösche«
TIERE ALS SPÜRNASEN IN DER WELT
Im Dienst von Mensch und Natur
FORSCHUNG:DARWIN UND HUMBOLDT LAGEN (MAL) KOMPLETT DANEBEN
PANDEMIEN FRÜHZEITIG ERKENNEN
Wenn in China eine Ente Fieber hat
TIERE SCHÜTZEN TIERE
Wie sich Tiere gegenseitig vor Wilderei schützen können
FORSCHUNG:ICARUS LERNT FLIEGEN
DER SECHSTE SINN DER TIERE
Schwarmintelligenz bei Naturkatastrophen
Den Tieren eine Stimme geben
Die Autoren
QR-Codes:Die Wanderungen der Tiere in Echtzeit erleben
DAS PANTHERCHAMÄLEONhat eine Farbmorphe, die in der Gegend um Ambanja/Madagaskar einzigartig ist. Das Männchen zeigt seine volle Färbung während eines Kampfes auf einem Ast. Die blaue Farbvariante, die hier zu sehen ist, ist in der freien Wildbahn aufgrund des intensiven Sammelns für den Heimtierhandel sehr selten geworden.
MONARCHFALTERsind von ihrer jährlichen Wanderung durch die USA nach Mexiko zurückgekehrt, wo sie in großen Ansammlungen überwintern.
»Alle Schönheit macht den Eindruck, sich selbst zu genügen.
Henry David Thoreau
EIN ROTAUGENLAUBFROSCHklettert durch das Unterholz des tropischen Regenwaldes in Panama.
EINE HERDE VON STREIFENGNUShat sich am Mara-Fluss im Masai-Mara-Reservat Kenias dazu entschieden, die gefährliche Flussdurchquerung zu wagen. Manche Individuen werden den Krokodilen zum Opfer fallen.
Wir leben im Anthropozän, im Erdzeitalter der Menschen. Das hat gute und schlechte Seiten. Die Menschen haben in ihrem Zeitalter den verbliebenen Rest von der Natur, vor allem aber die Tiere zu einem großen Teil verdrängt, in Reservate gesperrt und massiv dezimiert.
Auf der positiven Seite können wir verbuchen, dass wir als Menschheit erkannt haben, dass wir Tiere schützen müssen, wenn oft auch nur aus Eigeninteresse. Tiere sind für die Menschheit überlebenswichtig. Wir teilen die Welt mit ihnen, und wenn es Tieren nicht mehr gut geht, dann sollten wir aufhorchen. Das Schicksal der Tiere wird letztendlich auch unser Schicksal sein.
Nur wenn sie überleben, wird es auch der Menschheit zukünftig gut gehen. Das Verständnis für diese Problematik ist weltweit erwacht. Es gibt inzwischen einen Welt-Biodiversitätsrat, dessen Ziel es ist, die natürlichen Lebensgrundlagen für Mensch und Tier zu erhalten. Ein Teil dieser globalen Bewegung ist auch das ICARUS Projekt. ICARUS steht für International Cooperation for Animal Research Using Space (Internationale Zusammenarbeit zur Erforschung der Tiere über das Weltall).
EINE LANGZUNGENFLEDERMAUStrinkt Nektar während sie gleichzeitig die Blüte einer Samtbohne bestäubt, eine immergrüne, schnellwüchsige Rankenpflanze in Panama.
ICARUS ist ein offener, globaler Zusammenschluss von Forschern, die sich zum Ziel gesetzt haben, das Zusammenspiel der Tiere auf dem Planeten Erde zu verstehen. Zum ersten Mal haben wir jetzt im Anthropozän die technischen Möglichkeiten, Tiere weltweit zu studieren und alle Daten von den beobachteten Tieren zusammenzufassen und gemeinsam auszuwerten – um anzufangen, das Gesamtsystem des tierischen Lebens zu verstehen.
Der Name ICARUS ist bewusst gewählt und gilt als Sinnbild für eine hochfliegende Idee, die in der Vergangenheit gescheitert ist. Aber jetzt kann diese Idee Realität werden. Wir sind in einer digitalen Wirklichkeit angekommen, in der wir als Menschen nicht mehr selbst fliegen müssen, wie damals die griechische Sagengestalt Ikarus, sondern wir können die Tiere für uns um den Planeten fliegen, schwimmen und laufen lassen. Somit verbrennen wir nicht mehr unsere mit Wachs angeklebten Federn, sondern nutzen die naturgegebenen Fähigkeiten der Tiere.
DIE GROSSEN BRETTWURZELNder tropischen Bäume bieten dem Ozelot einen idealen Aussichtsplatz in den Tiefen des Regenwaldes.
»DIE LIEGENDE BONOBO-DAME«.Die Zwergschimpansin Nikita hat sich mit Ton eine extravagante Lippenfarbe aufgetragen. Der Ton hilft ihr bei der Verdauung von pflanzlichen Gerbstoffen (Tanninen).
OFT SIND DIE KLEINEN TIEREdie wichtigsten: Diese Blattschneiderameise sorgt im tropischen Regenwald für die Kompostierung und Bodenregeneration. Größere Tiere mit Sendern können für uns Indikatoren sein, dass es »den Kleinen« immer noch gut geht.
Tiere können uns unendlich viel über das Leben auf dem Planeten erzählen, wenn wir ihnen die Gelegenheit geben, mit uns zu kommunizieren. Das ist das wahre Ziel von ICARUS: den Tieren eine Stimme auf diesem Planeten zu geben. Alle Hochkulturen der Menschheit hatten ihre heiligen Tiere, denen sie überirdisches Wissen zuschrieben und von denen sie versucht haben zu lernen. In der industriellen Revolution, die die Grundlage des Anthropozäns lieferte, ist der größte Teil des traditionellen Wissens über Tiere verloren gegangen. Durch die neuen Möglichkeiten der Kommunikation mit Tieren können wir jetzt dieses Wissen global wieder aufbauen und Tiere überall auf der Welt als unsere Sensoren für Umweltereignisse einsetzen.
Der Gewinn, den die Menschheit aus diesem Wissen ziehen kann, ist im Moment noch nicht einmal schätzbar. Es geht nicht nur darum, hier und da ein paar Voraussagen aus dem Wissen der Tiere zu ziehen, sondern einen fundamentalen Fortschritt in unserem Wissen über das Leben auf dem Planeten zu erreichen. Dieses Wissen schließt das Schicksal der Menschheit mit ein.
Die Entwicklung des Internets hat uns in den letzten zwei Jahrzehnten gezeigt, wie fundamental und umfassend Fortschritt sein kann, wenn es zur Globalisierung von Information kommt. Das »Internet der Tiere«, der Zusammenschluss des tierischen Wissens auf dem Planeten mit dem Wissen der Menschheit, wird unserem menschlichen Verständnishorizont – und damit auch unserem Horizont der heute noch nicht bekannten Zusammenhänge – einen massiven Sprung nach vorne ermöglichen.
WENN DER ROTAUGENLAUBFROSCHseine Augen schließt und die Füße unter den Bauch faltet, ist er praktisch unsichtbar – außer er trägt einen winzigen ergonomischen Rucksack mit einem Peilsender.
Technisch ist ICARUS als System so konzipiert, um das Internet der Dinge – die digitale Kommunikation kleiner Informationseinheiten von allen Dingen zu allen Dingen – ins Weltall zu bringen. Nachrichtenempfänger auf Satelliten ermöglichen es von überall auf der Welt, mit kleinsten elektronischen Gerätschaften Nachrichten zu schicken. Damit ist der Informationskreislauf des Lebens geschlossen, und wir können uns darauf konzentrieren, diese Informationen zusammenzuschalten und zu entschlüsseln.
Als erstes Testsystem hat die ICARUS-Initiative einen Empfänger auf der Internationalen Raumstation etabliert (Kapitel Icarus lernt fliegen). Dieser liefert jetzt leider wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine keine Daten mehr an uns. Das ist in vielerlei Hinsicht sogar ganz gut, denn ICARUS kann sich jetzt auf neue Auslesesysteme auf anderen Satelliten konzentrieren. Es geht schließlich nur darum, dass die Informationen von Tieren empfangen werden – nicht von wem oder mit welchem technischen System.
Der analoge Ikarus stürzte damals tragisch ab. Digital lässt ICARUS jetzt Tiere für sich fliegen und ermöglicht uns so die erwünschte globale Weitsicht für ein gemeinsames Leben auf dem Planeten Erde.
»Nachrichtenempfänger auf Satelliten ermöglichen es von überall auf der Welt, mit kleinsten elektronischen Gerätschaften Nachrichten zu schicken.
Tiere auf biologischer Erdbeobachtungsmission, wie sie von März bis November 2021 vom ICARUS-Tracking-System (International Cooperation for Animal Research Using Space) an Bord der Internationalen Raumstation erfasst wurden. Die meisten Arten wurden zum ersten Mal während ihrer Wanderungszyklen in nahezu Echtzeit beobachtet. Die globale Karte zeigt die Spuren ausgewählter Individuen von 15 Arten; die Detailkarten zeigen die Spuren von sieben Arten während dieses Zeitraums.
(a) Bergregenpfeifer; (b) Küstenseeschwalbe;
(c) Turteltaube; (d) Kuckuck; (e) Palmenflughund;
(f) Saiga; (g) Amsel; (h) Bekassine; (i) Rohrweihe;
(j) Orientalischer Kuckuck; (k) Rotfußfalke;
(l) Rußseeschwalbe Populationen im Atlantik, im Indischen Ozean und in Polynesien:
(m) Hudsonschnepfe; (n) Borstenbrachvogel;
(o) Wanderwasserläufer.
Schon jetzt gibt es viele Überraschungen und zeigen sich einzigartige Daten: Hudsonschnepfen fliegen nonstop von Nichtbrutplätzen in Südchile nach Mexiko oder über Mittelamerika, um in Texas (USA) zu landen. Orientalische Kuckucke fliegen über den Ozean von Japan nach Papua-Neuguinea und Kuckucke überqueren den Indischen Ozean von Indien nach Afrika. Küstenseeschwalben wandern vom Weißen Meer in Russland über Spitzbergen, Grönland und Island bis nach Westafrika. Amseln ziehen von Russland, Polen und Deutschland in die Mittelmeergebiete. Polynesische Zugvögel verbinden Hawaii und Alaska.
ZWEI HALSBANDARASSARIStreffen sich zum Morgenreport im Kronendach des Regenwaldes in Panama.
Tiere wissen unendlich viel über das Leben auf dem Planeten Erde. Tiere sind nämlich untereinander vernetzt. Als Menschen sehen wir oft nur die Spitze des Eisbergs dieses seit über Hundertausenden von Jahren angesammelten Wissens.
Jeder, der seinen Hund gut kennt, seine Katze, seinen Papagei, seinen Kanarienvogel, oder auch die Schlangen- oder Froschliebhaber unter uns, wissen, dass Tiere Informationen haben, die uns Menschen nicht zur Verfügung stehen.
Wenn wir mit traditionellen Bauern reden, ganz egal wo auf der Welt, dann wird eigentlich immer klar, dass sie von ihren Tieren lernen und gleichzeitig versuchen, das Leben für die Tiere so gut wie möglich zu gestalten. Denn nur dann profitieren beide, die Bauern und deren Tiere – sozusagen eine Win-win-Situation.
Während der industriellen Revolution, die vor vielleicht 200 Jahren angefangen hat, haben wir Menschen – zuerst in den westlichen Kulturen, aber dann quasi als Exportprodukt über die ganze Welt – das traditionelle Wissen im Umgang mit den Tieren größtenteils verloren. Zum ersten Mal kamen neue technische Systeme auf, die überall und mit einfacher Sensorik die Umwelt vermessen konnten. Heute sind wir damit in der Lage, langfristig und flächendeckend Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind und Wetter sowie die Grünheit oder die Produktivität der Landschaft zu messen. Und trotz dieses enormen globalen Wissens sind wir vom Insektensterben, dem Verschwinden der Vögel und von anderen weitreichenden Problemen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen betreffen, komplett überrascht.
»Es gibt zahlreiche Tierarten, die möglicherweise essenzielle Informationen für das Überleben der Menschheit in und mit sich tragen.
Die Auswirkungen dieses seit Langem andauernden und seit einigen Jahren sehr beschleunigten Artensterbens, des massiven Verlustes der Artenvielfalt, sind so gravierend für die Menschheit und unseren Planeten als Ganzes, dass es jetzt allerhöchste Zeit ist, den Tieren eine Stimme im »Parlament der Erde« zu geben.
Aber wie schaffen wir das, ohne die Sprache der Tiere zu sprechen? Einige Tierarten sind uns als Mensch sehr gut vertraut: Es gibt die verschiedensten sogenannten Tierflüsterer, zum Beispiel für Hunde, Pferde oder Katzen. Jeder Haustierhalter sollte für seine Schützlinge ein Tier-Versteher sein. Aber es gibt Tausende, Hunderttausende, ja Millionen von Tierarten, von denen wir etwas lernen könnten. Viel mehr noch: Es wird Zeit, diese verschiedensten Tierarten, besonders die sensibelsten und schlauesten Individuen ihrer Art, wie bei einem Meinungsforschungsinstitut abzufragen: Wie geht es euch gerade? Was denkt ihr über den Zustand der Welt? Wo können wir etwas verbessern?
Google Earth Image Landsar, CopernicusImage © 2022 Maxar Technologies, Image © 2022 CNES, Airbus
KARTE DER TIERWANDERUNGEN, die mit Sendern in Europa im Frühling beobachtet wurden und in der Datenbank Movebank verewigt sind. Jede rote Linie zeigt ein Individuum an, das sich gerade auf Wanderung befindet, entweder über Land, z. B. Europäische Weißstörche oder über dem Meer wie Schwarzstörche und Möwen. Über Gibraltar oder dem Bosporus gibt es ein wahres Feuerwerk von gemeinsamen Wanderwegen.
ENDLICH KANN EIN SPITZMAULNASHORNwieder frei gelassen werden. Dieses Tier wurde durch Wilderer im Süden des Kruger-Nationalparks schwer verwundet und danach viele Monate im Gehege gesund gepflegt. Die vier Ranger freuen sich mit dem Nashorn, dass es wieder in die Freiheit geht – auch wenn das Tier enthornt werden musste, um sein Überleben zu sichern.
Dafür müssten Tiere jedoch eine Möglichkeit erhalten, ihre Gefühlswelt und ihre Gedanken in einer »Sprache« auszudrücken, die wir Menschen verstehen können. Das ist sehr wichtig, weil jetzt im Anthropozän – im Zeitalter der globalen Dominanz des Menschen – allein die Menschen über das Schicksal der Tiere entscheiden, zumindest in den meisten Fällen. Da wir die Sprache der wenigsten Tiere im Detail verstehen beziehungsweise in den wenigsten Fällen ihre Lautäußerungen aufzeichnen können, wenn sie sich nicht gerade in unmittelbarer Nähe von Menschen aufhalten, bleibt uns im Moment lediglich die Möglichkeit, die Bewegungen und das Verhalten der Tiere zu interpretieren. Begonnen hat diese Art von Tierverständnis in der Verhaltensforschung im frühen 20. Jahrhundert.
Allerdings konnten die klassischen Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz oder Niko Tinbergen die Tiere natürlich nur dann beobachten, wenn sie in Sicht- oder Hörweite waren. Wann immer die Tiere sich zurückzogen, also wenn sie nicht sichtbar oder hörbar waren oder sein wollten, konnte deren Verhalten nicht mehr interpretiert werden. Diese Situation hat sich seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts zunächst nur schleichend, jedoch dann, während der Biologging-Revolution des 21. Jahrhunderts grundlegend verändert.
In den 1960er-Jahren kamen verrückte Genies wie der Amerikaner Bill Cochran (Kapitel Sputnik für Tiere) auf die Idee, wilden Tieren kleine, scheinbar nicht störende elektronische Gerätschaften mitzugeben, die genau diese Informationen an die Menschen übertragen: Was macht das Tier gerade, wie entscheidet es sich, wie ist die Umwelt dort, wo das Tier sich aufhält, was machen die anderen Tiere rundherum? Wo lebt das Tier gerne, oder wo stirbt dieses Tier? Und warum stirbt es? Doch die Anwendung dieser Technologien, die zum ersten Mal eine Stimme oder ein Mikrofon für die Tierwelt erschufen, war so schwierig und aufwendig, dass es noch weitere sechs Jahrzehnte dauerte, bis die Wissenschaft die Bedeutung dieser Methode erkannte und darauf eingestiegen ist. Durch die Bio-logging-Revolution, die seit einem guten Jahrzehnt die Forschung an Wildtieren komplett verändert hat, ist es jetzt möglich – zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit – Informationen von weltweit verteilten Tieren zusammenzufassen und die daraus notwendigen Schlüsse zu ziehen.
Wir sind immer noch weit davon entfernt, aus diesen Schlussfolgerungen wirkliche Konsequenzen erwachsen zu lassen, die als Folge daraus den Schutz der natürlichen Grundlagen für Menschen und Tiere bedeuten würden. Aber zumindest sind wir als Menschheit heute in der Lage, endlich auf das »Parlament der Tiere« zu hören.
»Intuitiv haben die Menschen immer schon gewusst, dass Tiere andere Zugänge zur Wirklichkeit haben.
MAJESTÄTISCHE PAPAGEIENwie dieser Scharlach-Ara sind in Mittelamerika die neuen Schutzpatrone für den Regenwald. Im trinationalen Naturpark Selva Maya zwischen Guatemala, Belize und Mexiko werden Aras von Hand aufgezogen (rechts Rony Garcia) und mit einem ICARUS-Sender zu ihrem Schutz in den Regenwald entlassen (links Martin Wikelski).
EIGENTLICH KENNT MAN NURGeheimagenten mit einem Kommunikations-Knopf im Ohr. Mit ICARUS-Ohrensendern können auch die Geparde in Namibia darüber berichten, was sie sehen, hören und riechen – weit weg von allen menschlichen Einflüssen.
Intuitiv haben die Menschen immer schon gewusst, dass Tiere andere Zugänge zur Wirklichkeit haben, diese andere Aspekte der Natur als wir wahrnehmen können und somit einen »sechsten Sinn« haben. Aber lange Zeit wurde diese Annahme als metaphysischer Unsinn abgestempelt. Denn, wann immer man ein einzelnes Tier beobachtete, konnte man diesen sechsten Sinn nicht feststellen. Heute ist klar: Der sechste Sinn der Tiere ist eine physikalische Notwendigkeit und folgt einem physikalischen Gesetz, das Humboldt zum ersten Mal formuliert hatte:
Die Interaktion der einzelnen Teilchen (also der individuellen Tiere verschiedener Arten) erzeugt eine neue Systemeigenschaft, die bei Betrachtung eines einzelnen Teilchens nicht sichtbar ist. Es ergibt sich also, wie in der Physik und der Chemie, auf dieser Meta-Ebene – auf der Ebene der Interaktion der Tiere – eine neue Wahrnehmung für die Vorgänge in der Natur, die ein einzelnes Tier-Individuum nicht haben kann. Genau dieses System intelligenter Sensoren erzeugt neue Messeigenschaften, die einzelne Sensoren nicht haben. Ein einzelnes Handy in einem Auto kann keinen Verkehrsfluss vorhersagen. Sobald mehrere Handys in verschiedenen Autos zusammengeschaltet werden, kann man genauestens die Zeit voraussagen, die man auf der Straße brauchen wird, um nach Hause oder zur Arbeit zu kommen. Man nennt dies eine emergente, eine »herausspringende« Systemeigenschaft der Vernetzung von Sensoren. Nichts anderes ist der sechste Sinn der Tiere: eine Vernetzung intelligenter Sensoren, und zwar der intelligentesten, die es je auf diesem Planeten und vielleicht im Universum gegeben hat: die Tiere. Daraus entsteht das Internet der Tiere, ein Wissensschatz ungeahnten Ausmaßes.
RUSSSEESCHWALBENfliegen ihr ganzes Leben lang – außer wenn sie brüten, wie hier auf Bird Island im Seychellen-Archipel. Der Geräuschpegel in der Kolonie liegt mit 110 Dezibel so hoch wie bei einem startenden Düsenjet. Seeschwalben werden uns über den Zustand der Weltmeere berichten.
Es wird sicherlich noch ein oder zwei Jahrzehnte dauern, bis sich das Wissen um den großen Wert dieses Schatzes durchsetzt, bis jeder Mensch wirklich versteht, wie wichtig der sechste Sinn der Tiere ist. Aber so wie der Wetterbericht für die meisten von uns heutzutage essenziell ist und zum Alltagsleben gehört, werden wir in Zukunft ein System der Vorhersage der Lebensbedingungen auf dem Planeten bekommen – durch verschiedenste Tiere auf der Welt. Dann wird jedem Menschen unmittelbar klar sein, wie wichtig dieses tierische Wissen ist.
Sobald das tierische Wissen allgemein anerkannt ist, wollen und müssen wir Tiere schützen, weil sie uns essenzielle Informationen für ein besseres Überleben liefern. Die Tiere überall auf der Welt werden damit zu unseren wilden Haustieren, zu unseren digitalen Verbündeten, deren Entscheidungen wir nachvollziehen können.
»Wenn ein Wal auf den Azoren nach links abbiegt, werden wir das in Zukunft vom Wohnzimmer aus beobachten können.