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Milena ist jung, reich, sexy und als Mitglied der Jetset-Partyszene regelmäßig auf den Titelseiten der Promi-Illustrierten zu finden. Sie will für ein paar Tage untertauchen, um Abstand von der oberflächlichen Partyszene zu gewinnen und ihr Leben zu überdenken. Doch ihr Ausflug endet mit einer bösen Überraschung: Bei einer Rast an einem einsamen See wird ihr Auto mitsamt Gepäck gestohlen und Milena bleibt nass und im Bikini zurück! Retter in der Not ist der verwitwete Maler Owen, der Milena kurzerhand zu seiner einsamen Ranch mitnimmt, wo er mit seiner kleinen Tochter Emma lebt. Milena verliebt sich Hals über Kopf in ihren grummeligen Retter, der von ihrer wahren Identität nichts ahnt, sowie in dessen süße Tochter. Eigentlich will Owen keine Frau - vor allen Dingen kein Partyluder! - in seinem Leben, und so unterdrückt er seine aufkommenden Gefühle für die neue Mitbewohnerin. Aber Emma ist so glücklich und fröhlich in Milenas Gegenwart, wie Owen sie nur selten erlebt hat. So fällt es ihm immer leichter, Milena in sein Herz zu lassen, und das It-Girl und ihr Waldschrat verbringen leidenschaftliche Nächte miteinander. Doch jedes Paradies birgt auch eine Schlange – in Milenas Paradies ist es die eifersüchtige Alison, die gerne die neue Frau an Owens Seite wäre. Und ausgerechnet Alison ist diejenige, die hinter Milenas Geheimnis kommt und um Owens Abneigung gegen It-Girls weiß …
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Seitenzahl: 320
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Jacqueline Greven
Das It-Girl und der Waldschrat
© 2016 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamourbooks.com
© Covergestaltung: Mia Horn
© Coverfoto: Slava_Vladzimirska - Fotolia
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-233-3
ISBN eBook: 978-3-86495-234-0
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Autorin
Mila stellte sich neben die Bar und nahm, nur um etwas in der Hand zu haben, eines der dort bereitstehenden langstieligen Sektgläser. An der Innenseite des schlanken Glases perlte die Kohlensäure hoch. Ehe Mila an dem Getränk nippte, betrachtete sie die winzigen Luftbläschen, die an die Oberfläche stiegen und dort zerplatzten. Die Flüssigkeit war herb und kalt. Süß und fruchtig wäre ihr lieber gewesen. Das Zeug schmeckte einfach nicht, Champagner hin oder her. Ihr Blick schweifte über die Menge der Gäste, die sich offenbar alle köstlich amüsierten. Die meisten Frauen waren in ihrem Alter, Anfang zwanzig. Dort drüben stand Marilyn mit ihren blondierten Haaren und dem zu engen goldfarbenen Kleid, das ihre üppigen Formen betonte, und warf sich aufreizend kichernd Filmproduzent Harald Miller an den Hals. Millers Hand lag auf ihrer Hüfte, während er gleichzeitig mit einer schwarzhaarigen Schönheit schäkerte, von der Mila den Namen nicht wusste. Angewidert wandte sie den Blick ab. Marilyn war eine schreckliche Person, laut, schrill und furchtbar eingebildet. Eigentlich hieß sie auch gar nicht Marilyn, sondern Maria, aber sie bemühte sich ständig, ihr Idol Marilyn Monroe zu kopieren, was ihr, zumindest optisch, auch ganz gut gelang. Mila suchte mit den Augen die Menge ab. Wo war eigentlich Jonathan? Bunte Discolichter flackerten von der Decke durch den ansonsten verhältnismäßig dürftig beleuchteten Raum und erschwerten die Erkundung. Wenigstens war die Musik erträglich, zumindest von der Lautstärke her. Nur wenige Armlängen von ihr entfernt saß Fiona, deren rote Locken fast bis auf den Barhocker hingen. Sie hatte die langen Beine übereinandergeschlagen und wippte aufreizend mit einem Fuß, der in einer silberfarbenen High-Heel-Sandalette steckte. Ihre Zehennägel waren im gleichen silbernen Farbton lackiert. Mila schätzte den Absatz des Schuhs auf knapp fünfzehn Zentimeter. Immerhin konnte Fiona, im Gegensatz zu Marilyn, in diesen mörderisch hohen Dingern halbwegs elegant laufen. Ein Fotograf mit einer stattlichen Kamera, die er an einem Gurt um den Hals trug, schob sich durch die Menge. Mila sah möglichst unbeteiligt in die entgegengesetzte Richtung. Das fehlte gerade noch, dass er sie hier allein an der Bar knipste und morgen eine Schlagzeile brachte: Milena Martinez – wieder Single?
Eine dicke warme Hand mit feuchten Fingern legte sich auf ihre nackte Schulter. Sie wandte den Kopf. Hinter ihr stand Luan Brewster. Der Mann war etwa einen Kopf kleiner als sie und mindestens fünfzig Jahre alt. Oder älter. Auf seiner Stirn glänzten kleine Schweißtropfen, der Hemdkragen drückte eine Fettrolle Richtung Kinn, und sein Rasierwasser stieg Mila aufdringlich in die Nase. Dennoch setzte sie sofort ein strahlendes Lächeln auf.
„Luan, wie schön. Wie geht es Ihnen?“, zwitscherte sie.
Er war ein schrecklicher Kerl, aber ihm gehörte die halbe kalifornische Musikbranche, und Jonathan wollte unbedingt Karriere als Musikproduzent machen, wobei Luans Wohlwollen unerlässlich war.
„Jetzt, wo ich Sie endlich sehe, meine Liebe, schon gleich viel besser.“ Seine schwitzige Hand lag noch immer auf ihrer Schulter, und Mila unterdrückte den Drang, sich ihm zu entziehen.
Stattdessen warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. „Sie sind ein Charmeur, Luan.“
„Nicht doch.“ Endlich nahm er die Finger weg und zerrte stattdessen an seinem Kragen. „Warm hier, nicht wahr?“ Er nahm eines der Sektgläser und trank es in einem Zug aus. „Die Plörre schmeckt nicht. Ich bestelle uns etwas Ordentliches, was meinen Sie? Und dazu setzen wir uns gemütlich in ein Eckchen.“ Er wischte sich mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel. „Wo ist denn Jonathan, der Gute?“
Mila zuckte mit den Schultern und gab sich gleichgültig. „Ich habe ihn schon eine Zeitlang nicht mehr gesehen.“
Luan Brewster schüttelte missbilligend den Kopf. Offenbar hatte Brewster sich die Haare schon eine Weile nicht mehr nachfärben lassen, denn trotz der gedämpften Beleuchtung konnte Mila den grauen Ansatz seiner immer lichter werdenden Haare auf seinem Schädel sehen.
„Das ist aber nicht nett von Ihrem Verlobten, meine Liebe. Nun denn, wenn er nicht auf Sie aufpasst, muss ich es eben tun. Kommen Sie.“
Er fasste nach ihrer Hand. Sie spürte seine kurzen dicken Finger und musste erneut ihren Widerwillen überwinden und sich zwingen, nicht zurückzuweichen. Brewster gab dem Kellner hinter der Bar noch ein paar Anweisungen und zog Mila dann quer durch die Nobel-Bar Night Dream hinter sich her. Hier und da rempelten sie die anderen Gäste an. Brewster grüßte leutselig in alle Richtungen, und Mila quetschte sich zwischen den Gästen durch und achtete darauf, in dem Gedränge nicht zu stolpern. Plötzlich durchfuhr sie ein Stich von der Kehle bis in den Magen. Auf einer der gepolsterten Sitzgruppen, die um die Tanzfläche herum standen, saß Jonathan. Nein, er saß nicht, er lag beinahe. Über sein linkes Knie hatte Hailey Thomson ihr nacktes Bein gelegt. Unter ihrem kurzen engen Rock aus schwarzen Pailletten sah Mila ihr Höschen blitzen. Immerhin trug sie eins; Hailey wurde nachgesagt, überflüssige Kleidung gern wegzulassen. An Jonathans anderer Seite lehnte eine Blondine in einem weißen Hosenanzug. Der Anblick schnürte Mila den Hals zu. Ihr Freund lachte, küsste Haileys Hand und im gleichen Moment flammte das Blitzlicht einer Kamera auf. In ihr tobte es. Am liebsten hätte sie Brewster ihre Hand entrissen, um zu Jonathan und den beiden aufgetakelten Weibern zu rennen und ihrem Zorn Luft zu machen. Was fiel ihm ein? Und was fiel den beiden Zicken ein? Jonathan war ihr Freund, und das wusste auch nahezu jeder auf dieser Party.
„Schätzchen.“ Brewster, der die Szene offenbar ebenfalls gesehen hatte, blieb stehen und musterte sie. „Machen Sie nicht so ein Gesicht. Ich bin sicher, Jon kennt seine Grenzen. Er ist eben kein Kind von Traurigkeit. Nun machen wir zwei es uns ein bisschen gemütlich.“
„Nein.“ Ruckartig entzog sie sich seinem Griff und Brewster hob seine buschigen Augenbrauen.
„Was soll das heißen?“, erkundigte er sich, und trotz des schlechten Lichtes glaubte sie, die rötliche Verfärbung seiner runden Wangen zu sehen.
„Das soll heißen, dass ich gehe. Entschuldigen Sie mich, Luan. Schönen Abend noch.“ Ihr Puls raste und ihren Herzschlag spürte sie bis in die Kehle. Hastig bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. Morgen wären die Bilder von ihm und den beiden Schönheiten in der Klatschpresse. Sie musste zur Garderobe, ihren Mantel holen. Vor allem aber musste sie hier raus. Damit, die Feier so rasch zu verlassen, hatte sie nicht gerechnet.
Zwei Minuten später stand sie auf der Straße vor der Bar. Sie brauchte ein Taxi. Wenn sie Partys besuchte, fuhr sie nie selber. Es floss ja immer reichlich Alkohol. Mila zerrte ihr Handy aus der schwarzen, mit goldfarbenen Rändern abgesetzten Clutch und hörte ihren Namen rufen.
„Mila! Was soll das? Wo willst du hin?“
Jonathan. Sie wandte sich um und spürte unerwartet Tränen in ihren Augen aufsteigen. Mistkerl.
„Nach Hause, wohin sonst. Du bist ja beschäftigt“, fauchte sie.
Mit großen Schritten kam er auf sie zu, und als er bei ihr war, sah sie, dass die obersten drei Knöpfe an seinem weißen Hemd offen standen. Er hatte zu viel Rasierwasser aufgetragen und seine glatten schwarzen Haare trug er im Nacken zum Zopf gebunden.
„Süße.“ Er legte ihr seine Hand auf den Arm. „Eigentlich sollte ich stinksauer sein. Wie konntest du Brewster einfach so stehen lassen? Du weißt doch, was für mich von ihm abhängt. Sei doch nicht so verdammt eifersüchtig. Haileys Vater kann mit seinen Kontakten einiges für mich tun. Millie ist ihre beste Freundin, die kann ich ja schlecht wegschicken, nur weil du eifersüchtig bist. Wie soll ich denn beruflich vorwärtskommen? Das ist nun mal so in meiner Branche.“
Mila schniefte. Millie war dann wohl die Blondine mit dem Hosenanzug.
„Pass auf. Wir machen es uns die Tage mal wieder richtig gemütlich. Wir könnten an die Küste fahren, mit dem Segelboot rausfahren und picknicken. Nur wir zwei. Und jetzt gehen wir gemeinsam wieder rein. Du entschuldigst dich bei Luan und dann bist du besonders nett zu ihm. Er ist ja nicht nachtragend.“
Mila stampfte mit dem Fuß auf. „Du spinnst wohl! Du machst vor allen Leuten mit anderen Weibern rum und ich soll nett zu Brewster sein. Und das alles nur für deine dämliche Karriere! Wer bin ich denn? Ich sag dir was …“
Jonathans Gesicht verzerrte sich zu einer zornigen Grimasse. Er umklammerte ihren Arm und trat dicht an sie ran. „Halt bloß die Klappe. So nicht, meine Liebe! Nicht mit mir! Sieh zu, dass du nach Hause kommst. Wir reden morgen.“
„Arschloch!“, fuhr sie ihn an.
Er zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und stolzierte zurück in das Lokal. Ihre Finger zitterten, während sie versuchte, die Nummer des Taxiunternehmens in ihr Handy zu tippen.
„Ärger?“, hörte sie eine Stimme hinter sich.
Sie sah hoch. Lucy Collister hatte ebenfalls die Bar verlassen. Sie trug ein bodenlanges glänzendes Kleid und um die Schultern hatte sie eine Fellstola gelegt. Lucy zündete sich eine Zigarette an.
„Jon ist ein Idiot“, entfuhr es Mila. Ihre Wangen brannten, und sie war froh, dass Lucy es im Dunklen kaum sehen konnte.
„Das sind sie doch alle. Willst du etwa schon gehen?“, erkundigte sie sich und machte eine Kopfbewegung zu Milas Handy.
„Ja. Was soll ich hier? Ich sag dir was, mir geht das alles dermaßen auf die Nerven. Lächeln, Small Talk, Presse, Schlagzeilen. Sich blicken lassen, gute Laune versprühen, auch wenn man gar keine hat. Das ist doch … so was von hohl.“ Ihr wurde heiß, denn so ehrlich hätte sie zu ihr nicht sein dürfen. Sie war gerade dabei, sich selbst ins Abseits zu schießen. Ach was, auch egal. Sie atmete tief durch.
Über Lucys etwas zu stark geschminktes Gesicht ging ein Grinsen. „Ich gebe dir recht. Auch wenn es allerhand ist, dass du das so laut und deutlich sagst.“
Mila zuckte mit den Schultern. Jonathan saß bestimmt schon wieder zwischen den beiden Partymäuschen, oder er band Brewster irgendeine Story auf, weswegen sie, Mila, heute so kratzbürstig war.
Lucy ließ ihre nur halb gerauchte Zigarette zu Boden fallen und trat sie mit der Spitze ihres Lackpumps aus. „Weißt du was? Vergiss das Taxi oder wen immer du anrufen wolltest. Brian ist gleich hier, um mich abzuholen. Er kann dich auch mitnehmen und zu Hause absetzen.“
„Echt?“ Zögerlich ließ Mila die Hand mit dem Mobiltelefon sinken. Brian war Lucys Chauffeur und sicher ab und an auch mehr als das.
„Klar.“ Lucy hakte sich bei ihr ein und zog sie Richtung Straße.
„Und warum willst du schon gehen?“, fragte sie Lucy, die daraufhin kurz lachte.
„Ich habe morgen früh einen Termin mit einem Existenzgründungsberater. Da möchte ich ausgeschlafen sein.“
„Was?“ Mila riss die Augen auf und war für einen Augenblick von ihren Sorgen abgelenkt. Lucy Collister bereicherte mit ihrer Anwesenheit seit Jahren die Partyszene. Ihrem Vater gehörten mehrere große Autohäuser, Geld schien nie ein Thema zu sein.
„Ich mach mich selbstständig, Schätzchen. Meine Zeit als It-Girl läuft ab, nächstes Jahr werde ich dreißig. Ich will eine Boutique eröffnen. Und da ich von den geschäftlichen Hintergründen keine Ahnung habe, lasse ich mich beraten. Ich will jedenfalls nicht warten, bis ich mich als alte Schachtel auf den Partys lächerlich mache.“
„Du siehst toll aus, Lucy. Ich dachte, du bist etwa so alt wie ich.“ Lucy lächelte.
„Danke, meine Liebe. Aber ganz ehrlich: Es geht mir so wie dir. Immer nur schön sein, strahlen, gute Laune verbreiten und sich amüsieren ist doch auf Dauer kein Lebensinhalt. Du machst ja nebenher noch deine Modeentwürfe. Ich mache sonst gar nichts.“
Mila lag schon auf der Zunge, Lucy zu erzählen, dass sich ihre Entwürfe mehr schlecht als recht verkauften. Offenbar hatte die teure Ausbildung, die sie an der Beauty Design School in Los Angeles gemacht hatte, bei ihr nicht viel bewirkt. Es war frustrierend, stundenlang über den Zeichnungen zu sitzen und letzten Endes mehr Absagen als Verträge zu bekommen. Da in diesem Augenblick Brian mit einem großen, bronzefarbenen Mercedes vorfuhr und am Straßenrand anhielt, verzichtete sie jedoch darauf, Lucy ihr Leid zu klagen.
Eine halbe Stunde später betrat sie die stille, dunkle Villa am Stadtrand von Santa Barbara, die sie mit ihrem Vater bewohnte. Mila schloss bedächtig die Haustür hinter sich und drückte auf den Lichtschalter. Mehrere Lampen flammten gleichzeitig auf. Ein messingfarbener Standfluter rechts in der Ecke, eine fackelartige Wandlampe am Treppenaufgang der Haustür gegenüber sowie die Einbauleuchten der großzügigen Garderobenwand links vom Eingang. Die Garderobenwand war aus dunkelbraunem Walnussholz nach den Wünschen ihres Vaters, Mason Martinez, angefertigt worden. Nur der Kronleuchter an der Decke der Eingangshalle war nicht an die zentrale Lichtschaltung angeschlossen.
Sie streifte die Schuhe ab und ging über den dicken, rot gemusterten Orientteppich zur Garderobe, um ihren Mantel und ihre Handtasche aufzuhängen. Die Tasche hatte ihr Vater ihr vergangenes Wochenende von einer Geschäftsreise mitgebracht. Ein schlichtes schwarzes Modell des Designers Michael Kors mit goldfarbenem Handgriff und einer Gliederkette, um sie auch über der Schulter tragen zu können. Mila schluckte und wandte sich ab. Sie hatte sich über das Geschenk wirklich gefreut, dennoch wäre es ihr lieber gewesen, Mason Martinez hätte wenigstens gelegentlich ein wenig mehr Zeit für sie. Mila durchquerte die Wohnhalle und betrat die geräumige Küche, in deren Mitte sich eine Kochinsel befand. Sie holte eine angebrochene Flasche Rotwein aus dem Küchenschrank und goss sich ein Glas ein. In kleinen Schlucken trank sie davon, den Po an die Arbeitsfläche neben der Spüle gelehnt, und überlegte, ob sie ihrem Vater von Jonathans schändlichem Verhalten und seinem noch schändlicheren Anliegen, „besonders nett“ zu Brewster zu sein, erzählt hätte, wäre er denn hier gewesen. Sie kam zu keinem Ergebnis. Bei dem Gedanken an Jonathan durchfuhr sie erneut ein eifersüchtiger Stich von der Kehle bis in den Magen. Möglicherweise hatte er ja inzwischen in Begleitung von Hailey auch die Party verlassen. Schließlich konnte deren Vater ja so viel für ihn tun. Es lohnte sich bestimmt, möglichst nett zu ihr zu sein. Vielleicht hatte auch Millie mitgedurft. Vor Milas innerem Auge stiegen quälende Bilder auf. Hailey hatte den Ruf, für bestimmte Dinge recht zugänglich zu sein. Und Jonathan war kein Mann, der sich lange bitten ließ. Sie bekam einen bitteren Geschmack in ihren Mund und stürzte hastig den Rest ihres Weines hinunter. Er landet zügig in ihrem Magen. Mila stellte das Glas neben die Spüle, knipste das Licht aus und verließ die Küche.
Im Wohnzimmer, das rechts von der Eingangshalle lag, setzte sie sich auf einen Sessel und zog die Beine an. Vielleicht wäre es das Beste, sich eine Auszeit zu nehmen. Sie könnte ein paar Tage verreisen und über alles nachdenken. Ihre Träume, in nächster Zeit Jonathans Frau zu werden und mit ihm eine Familie zu gründen, waren in weite Ferne gerückt, denn ihr Freund wich ihr seit Monaten aus, sowie sie ihn darauf ansprach. Stattdessen vergnügte er sich anderweitig und berief sich auf notwendige Kontakte. Vielleicht brachte es ihn zumindest zum Nachdenken, wenn sie vorübergehend nicht erreichbar war. Oder es fiel ihm gar nicht auf. Nein, für Letzteres wollte sie schon sorgen.
Mila spürte langsam die Wirkung des hastig getrunkenen Alkohols. Er machte sie träge und nahm der Enttäuschung über Jonathans Verhalten ein wenig die Schärfe. Sie legte den Kopf in den Nacken. Sie konnte ein paar Sachen packen und ein Stück die Küste entlangfahren, eventuell Richtung San Francisco. Irgendwo würde sie bestimmt ein kleines Hotel finden, wo niemand sie kannte. Sie konnte lange schlafen, Spaziergänge machen und überlegen, wie es in ihrem Leben weitergehen sollte. Jedenfalls nicht mehr mit It-Partys und Modeentwürfen, die kaum jemand wollte. Wäre sie nicht so müde gewesen, sie hätte ihren Entschluss sofort in die Tat umgesetzt. Doch Mila beschloss, erst einmal zu schlafen. Vielleicht käme ja mittlerweile ihr Vater nach Hause. Ansonsten blieb ihr nur, ihm eine Nachricht zu schreiben. Auch Jonathan würde sie schreiben, per SMS. Und zwar, dass sie sein Verhalten satthatte. Dann brach Mila von einem Augenblick zum anderen in Tränen aus.
Mila stellte ihre Reisetasche in den Kofferraum des Aston Martin, der eigentlich ihrem Vater gehörte. Ihr eigenes Auto, einen kleinen leuchtend roten Sportwagen, wagte sie für ihren Ausflug nicht zu nehmen, denn seit einigen Tagen hatte sie Schwierigkeiten, den Rückwärtsgang einzulegen. Ein Fall für die Werkstatt, sie hatte es nur bisher vor sich hergeschoben. Zudem wusste sie, dass ihr Vater bezüglich des Aston großzügig war, da er lieber seinen zweisitzigen Mercedes fuhr. Sie lenkte den Wagen auf die breite Ausfallstraße, die sich nach gut fünf Meilen gabelte und rechts Richtung Santa Barbara und links an der Küste entlang führte. Die Sonne schien, der Himmel war nahezu wolkenlos blau und seitlich der Straße reckten sich schlanke Palmen in die Höhe. Der Tag war friedlich, aber auch sehr warm.
Wärme kann man ja im Sommer auch erwarten, dachte Mila und ließ die Seitenscheiben herunter. Eigentlich hatte sie schon am Morgen losfahren wollen, doch sie war viel zu spät aufgewacht. Nach einer ausgiebigen Dusche hatte sie sich zu einem kleinen Frühstück gezwungen und danach ihre Tasche gepackt.
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