Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ihre Bewerbung entspricht allen Regeln der Kunst und auf das Vorstellungsgespräch sind Sie perfekt vorbereitet. Und trotzdem bekommen Sie hinterher eine Absage. Warum? Die Wirtschaftsjournalisten Anne Jacoby und Florian Vollmers haben Personaler befragt und Interviewsituationen in den unterschiedlichsten Branchen analysiert. Ihr Fazit: Ob Bewerber im Gespräch punkten, hängt oft von heimlichen K.O.-Kriterien ab. Mit der richtigen Vorbereitung können Sie diesen Code entschlüsseln und auch tückische Gespräche knacken. Ein ungewöhnlicher Blick hinter die Kulissen, der den Weg zum neuen Job ebnet!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 194
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Anne Jacoby • Florian Vollmers
DAS JOBINTERVIEWKNACKERBUCH
Cool bleiben – Kompetenz zeigen – K.O.-Kriterien kennen. Was Personaler nie verraten würden
Über das Buch
Viele Bewerber sind perfekt vorbereitet, kennen die häufigsten Fragen und wissen, wie sie ihre Stärken optimal präsentieren. Und trotzdem bekommen sie nach dem Bewerbungsgespräch eine Absage. Warum?
Ob Bewerber im Gespräch punkten, hängt oft von ganz anderen Dingen ab, als wir glauben. Anne Jacoby und Florian Vollmers zeigen, wie Personaler Kandidaten beurteilen, welche Fragen sie wirklich stellen und welche heimlichen K.O.-Kriterien im Bewerbungsprozess gelten. Ein ungewöhnlicher Blick hinter die Kulissen, der den Weg zum neuen Job ebnet!
Über die Autoren
Anne Jacoby ist freie Wirtschaftsjournalistin in Frankfurt am Main. Sie schreibt Bücher und Beiträge zu den Themen Management, Bewerbung und Persönlichkeitsentwicklung, wobei sie immer wieder Befunde aus Soziologie und Philosophie mit der Praxis der Ökonomie verbindet. Außerdem unterstützt sie renommierte Autoren bei Recherche und Text und als Ghostwriter.
Florian Vollmers ist freier Wirtschaftsjournalist in Bremen und schreibt u. a. zu den Themen Bewerbung, Berufseinstieg und Mittelstand.
|5|Zuversicht und Frust,
Mut und Wut,
Angst, Hoffnung
und Verzweiflung
Wer wochenlang von Vorstellungsgespräch zu Vorstellungsgespräch tingelt, kennt diese Gefühlsachterbahn nur zu gut. Es ist anstrengend, immer wieder Fragen zu beantworten, die unter die Haut gehen. Es ist zermürbend, ständig seinen Lebensentwurf zu überdenken.
Wir widmen dieses Buch all jenen, die im Moment einen Job suchen. Wir widmen es allen jungen Leuten, die ins Berufsleben einsteigen und die sich erstmals über die absurden Auswüchse der Personalbürokratie wundern. Wir widmen es allen, die nicht mehr ganz so jung sind und trotzdem gerne auch einen vernünftigen Job hätten. Wir widmen es unseren Kindern, die zwar im Moment noch keine Jobs suchen, aber schon davon träumen, eines Tages als Bäckerin, als Reitlehrer (die Vollmers-Kinder), als Tierärztin oder als Erfinder (die Jacoby-Kinder) in ein wunderschönes Berufsleben zu starten.
Job-Interviews wecken Fantasien von Macht und Ohnmacht – ganz gleich, ob Sie als Bewerber auf dieser Seite des Tisches zittern oder als Personaler auf der anderen Seite. Denn hinter verschlossenen Türen kommen existenzielle Fragen auf den Tisch. Bei Ihnen: Bekomme ich den Job? Und wenn ja: Nehme ich ihn an? Was heißt das für mein Leben? Im Unternehmen: Sind Sie die richtige Frau oder der richtige Mann? Profitiert die Firma von Ihnen? Oder ruinieren Sie den Laden?
Die Angst sitzt mit am Tisch, auf beiden Seiten. Das ist ein Grund, warum Sie bei Vorstellungsgesprächen oft schlechter abschneiden, als Sie eigentlich sind. Das ist der Grund, warum Sie im Job oft nicht die Richtung einschlagen können, in die Sie gern gehen würden. Und das ist einer der Gründe, warum wir dieses Buch geschrieben haben.
Wir möchten Ihnen die ökonomischen und sozialen Hintergründe liefern, die diese Angst auslösen. Wir hoffen, dass Sie mit dem Wissen über diese Hintergründe Ihrer Angst den Stachel ziehen können. Und wir wünschen Ihnen, dass Sie mit diesem Job-Interview-Knacker in Ihre nächsten Vorstellungsgespräche selbstbewusst, heiter und gelassen hineingehen, dass Sie die Nüsse locker knacken, die Ihnen auf den Tisch geworfen werden, und dass Sie zufrieden aus dem Gespräch herauskommen. Denn ganz gleich, wie merkwürdig oder freundlich Personaler auftreten, was sie sagen und wie sie entscheiden – vergessen Sie nie: Sie sind einzigartig, Ihr Leben ist Ihres und Sie gehen Ihren eigenen Weg!
|12|Die Angst treibt seltsame Blüten
Manche Bewerber haben vor dem Vorstellungsgespräch eine solche Angst, dass sie in Gedanken auf der Auslegeware kollabieren. Sie fürchten zu stolpern, zu stottern oder einen totalen Blackout. Andere trotzen ihrer Angst mit Größenwahn: »Ich werde es den Damen und Herren Personalern schon zeigen, dass ich der Richtige bin!« Sie strotzen vor Selbstbewusstsein – und manövrieren sich gerade deshalb ins Aus.
Bei den Personalern indes grassiert die Angst, den falschen Kandidaten einzustellen. Denn das bedeutet enorme Kosten für das Unternehmen (je wichtiger die zu besetzende Position, desto höher die Kosten), Ärger mit dem Chef und mit der Fachabteilung.
Vom Milieucheck über Grafologie bis zum Augenabstand
Ohnmachtsgefühle aufseiten der Personaler führen zu Misstrauen (»Die Bewerber verstellen sich und lügen doch alle!«). Das wiederum verführt einige Personaler zum Rückgriff auf unreflektierte Methoden: Sie wählen einfach den Kandidaten aus, der ihnen selbst oder dem Chef am ähnlichsten ist: der die gleichen Klamotten trägt, der die gleichen Umgangsformen pflegt, der die gleichen Wertvorstellungen vertritt – kurz: der so riecht wie sie selbst, weil er aus der gleichen Ecke der Gesellschaft stammt. Wir unterstellen, dass sehr viele Personaler im Interview lediglich einen »Milieucheck« vornehmen. Sie »erschnüffeln« den Lebensstil der Kandidaten, halten diesen Stil für »Persönlichkeit« und sind stolz auf ihre Menschenkenntnis.
Andere Personaler setzen auf obskure und scheinbar unbestechliche Auswahlmethoden wie oberflächliche Typentests, Grafologie, Astrologie oder sogar die Psycho-Physiognomik, die aus dem individuellen Augenabstand oder aus der Ohrläppchenform ableiten will, was für ein Typ jemand ist. »Seinen Schädel oder sein Sternbild kann keiner verfälschen. Das klingt für viele Personaler sehr attraktiv, sie suchen so etwas wie eine geheime Formel, mit der sie Menschen |13|durchschauen können«, erklärt Uwe Peter Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Universität Osnabrück, in einem Interview mit Spiegel Online am 4. Mai 2010. Konkrete Zahlen dazu gebe es natürlich nicht, weil die Unternehmen über ihre obskuren Methoden schwiegen.
Aggressionen und Machtfantasien
Weniger schweigsam geht es in der Fachpresse zu: Hier zeigen Glossen und Kolumnen, dass Personaler nicht nur misstrauisch gegenüber Bewerbern sind, sondern mitunter auch richtig aggressiv: Jobst R. Hagedorn, Bereichsleiter Jugend der Fortbildungsakademie der Wirtschaft FAW, wettert etwa in der Zeitschrift Personalwirtschaft (2/2009), dass sich die Wirtschaft mit ihren Bewerbungsverfahren immer mehr Mühe gebe, während sich immer mehr »gut gekleidete Zeitfresser«, »angenagt vom Größenwahn-Virus«, auf alles bewerben, »was irgendwie nach einer Stelle aussieht« und gerade im Winter gerne in die warmen Büros kämen – statt unter Brücken zu lungern, Herr Hagedorn? Der Kolumnist ereifert sich, »diese Menschen (…) essen dort die Kekse weg und trinken Kaffee« und »sind der Horror für jeden Personalmanager«. Wer hat denn die Unterlagen gesichtet und die Kandidaten eingeladen, fragen wir uns?
Aggression spricht auch aus dem Beitrag »The Worst Type Of Male Job Interview Candidates« des Internet-Magazins hereisthecity. com vom Juni 2011, das im Newsletter einer großen deutschen Wirtschaftszeitung als lesenswert empfohlen wurde. Nur auf den ersten Blick witzig beschreibt der nicht genannte Autor Bewerbertypen wie etwa den »Stinker«, den »Flatterer«, »Mr. Bullshit« und »Mr. Overconfident« – auf den zweiten Blick sprechen aus seinen Zeilen Zynismus, Menschenverachtung und Machtfantasien.
Diese haben wir übrigens auch in hiesigen Personalabteilungen gefunden: In einem unserer Interviews erzählte ein Personaler süffisant, eine Kandidatin habe sich während des Bewerbungsgesprächs »die |14|Bluse aufgeknöpft«. Wir hoffen sehr, dass es sich bei diesen Fantasien um Ausnahmen handelt. Denn dieses Buch schreiben wir nicht, um mit dem Berufsstand der Personaler abzurechnen. Das wäre Unsinn: Personaler sind ja genau wie wir alle in die Zwänge des Marktes eingebunden, die sie bei Strafe ihres Untergangs bedienen müssen.
Es geht um Sie! Um Sie als Bewerberin oder Bewerber, die immer und immer wieder Vorstellungsgespräche überleben müssen, damit Ihr Leben so weitergeht, wie Sie das gerne hätten.
Es geht darum, dass Sie sich bei einem Vorstellungsgespräch nie wieder so machtlos fühlen wie ein Kind beim Nikolaus. Sie erinnern sich? Sehr klein standen wir alle damals einer unangreifbaren und völlig undurchsichtigen Autorität gegenüber, die respektlose Fragen stellte, die uns kritisierte, die uns vielleicht sogar bloßstellte. Wir wussten ja, dass sich hinter dem staubigen Bart vom letzten Jahr nur irgendein Onkel verbirgt, aber wir fanden seine Show grauenhaft, anmaßend und dilettantisch. Immerhin ging der Nikolaus jedes Jahr wieder von der Bühne, wir trösteten unser demoliertes Ego mit klebriger Schokolade, und das Leben ging weiter. Von diesem himmlischen Personaler hing zum Glück nicht wirklich etwas ab.
Das ist bei seinen irdischen Kollegen anders: Diese entscheiden letztendlich darüber, ob Sie aufsteigen, ob Sie umziehen, ob Sie die Branche wechseln – oder eben nicht. Natürlich reden Sie selbst auch ein Wörtchen mit: Grundsätzlich muss ja niemand ein Angebot annehmen. Doch wenn Sie nicht gerade ein extrem gut qualifizierter, händeringend gesuchter »High Potential« sind, der sich seine Jobs aussuchen kann, dann sitzen die Personaler tatsächlich am längeren Hebel. »Bei uns haben alle die gleiche Chance«, behaupten sie zwar. Oder: »Wir bemühen uns um ein Gespräch zwischen gleichberechtigten Partnern.« Die subjektive Sicht des Personalers sei nicht entscheidend, |15|ebenso wenig die persönlichen Beziehungen des Bewerbers, sondern allein seine Kompetenz. Oder seine Persönlichkeit. Oder seine Wertvorstellungen. Oder ob die oft strapazierte »Chemie« stimmt. Das alles haben wir schon oft gehört. Doch was soll es konkret heißen? Und wie können Sie als Bewerber in der Welt dieser Schwammworte ein wenig Einfluss zurückgewinnen?
Genau das haben wir recherchiert, denn darüber gibt es – trotz der vielen Regalmeter mit Ratgebern zum Thema Bewerbung – nur wenige Informationen. Was in Vorstellungsgesprächen geschieht, das findet hinter verschlossenen Türen statt, und es folgt in jedem Unternehmen ganz eigenen Gesetzen. Es ist so schlecht messbar und für den kommerziellen Anzeigenmarkt offenbar so uninteressant, dass renommierte Studien wie die »Recruiting Trends 2011« der Universitäten Frankfurt am Main und Bamberg in Kooperation mit der Jobbörse www.monster.dedas Thema nicht aufgreifen.
Wir versprechen Ihnen aber keine Omnipotenz. Wir glauben nicht an Phrasen nach dem Motto »Du musst es nur ganz fest wollen, dann klappt es auch«. Wir glauben nicht daran, dass sich Personaler wie Roboter fernsteuern lassen, wenn Sie nur die richtige Technik anwenden.
Wir sind aber überzeugt davon, dass es außerordentlich nützlich ist, die sozialen und ökonomischen Hintergründe zu durchschauen, die den Job-Interviews zugrunde liegen. Sie gewinnen dadurch eine neue Perspektive auf das Geschehen: Sie sehen sich das Spiel gewissermaßen von außen an. So können Sie zwar mitspielen – und zwar sehr kompetent –, Sie gehen aber nicht mit Haut und Haar in diesem Spiel unter. Sie sehen die größeren Zusammenhänge. Sie verzichten darauf, irgendwelche Defizite in Ihrer eigenen Persönlichkeit zu suchen, wenn Sie einen Job mal nicht bekommen. Mit Ihrer neuen Perspektive können Sie ein Stück Ihrer inneren Freiheit zurückgewinnen, Sie können Gelassenheit entwickeln und sich hoffentlich auch Ihren Humor bewahren.
Für dieses Buch haben wir einige harte Nüsse gesammelt, an denen Bewerber im Vorstellungsgespräch regelmäßig scheitern. Wir haben etliche passende Knacker gefunden. Und jetzt entzaubern wir die Personaler-Show.
|16|In Kapitel I zeigen wir, wer Personaler eigentlich sind, wie sie ticken und wie sie arbeiten.
Kapitel II nimmt das Vorstellungsgespräch unter die Lupe. Was verbirgt sich hinter den Personaler-Wortblasen »Chemie«, »Kompetenz«, »Persönlichkeit« und »Professionalität«? Welche Rolle spielt der »Stallgeruch«? Wie wird ein Vorstellungsgespräch inszeniert? Mit welchen Fragen muss man rechnen? Und welche sollte man selbst stellen?
Kapitel III widmet sich der Show beziehungsweise Ihnen, der Bewerberin oder dem Bewerber, als Star der Show. Wie kommen Sie mit Ihrem Lampenfieber zurecht? Welches Outfit passt? Wo verstecken Sie ihre zitternden Hände? Und was machen Sie, wenn Ihre Stimme nicht mitspielt?
Zum Schluss fassen wir die häufigsten Bewerberfehler und die heimlichen K.o.-Kriterien der Bewerber noch einmal zusammen.
In jedem Kapitel finden Sie einen oder mehrere Knacker, die Ihnen hoffentlich dabei helfen, einige der harten Nüsse im Job-Interview aufzubrechen.
Außerdem präsentieren wir Ihnen fünf Interviews mit Personalern, um Ihnen zu zeigen: Personaler ticken zwar ähnlich, arbeiten aber unterschiedlich, setzen verschiedene Schwerpunkte und sind meistens auch keine Monster.
Bevor wir richtig loslegen, wollen wir ein paar dicke Steine aus dem Weg rollen. Denn rund um das Thema Vorstellungsgespräch kursieren sehr viele unterschiedliche Annahmen, Vorurteile und Irrtümer, die Ihren Erfolg im Gespräch befördern oder unter Umständen auch untergraben können.
|17|Job-Interviews sind Prüfungen
Stimmt Es werden Kompetenzen geprüft. Zum Beispiel, wenn sogenannte Skills abgefragt, wenn Brainteaser aufgetischt oder wenn Gespräche plötzlich auf Englisch weitergeführt werden. In etlichen Job-Interviews herrscht Prüfungs-Atmosphäre – besonders, wenn es um Positionen unterhalb des mittleren oder des Top-Managements geht.
Stimmt aber auch nicht Ziel ist nicht (nur) die Benotung, sondern ein Kennenlernen. Beide Seiten stellen fest, ob sie eine gemeinsame Arbeitsgrundlage für eine mögliche Zusammenarbeit finden. Insbesondere, wenn es um sehr hoch qualifizierte Jobs geht, bemühen sich Unternehmen um ein freundliches Gespräch auf Augenhöhe, das mit einer Beurteilungssituation überhaupt nichts zu tun haben soll. Das jedenfalls beteuerte Philips-Personalentwicklungschef Bernd-Ulrich Leddin in einem Interview mit der Zeitschrift Personalführung Plus: Er führe Bewerbungsgespräche wie sokratische Dialoge, sagte er, »denn wir wollen keine Untergebenen einstellen, sondern Partner, die künftig in unserem Unternehmen initiativ sind, die arbeiten, Probleme erkennen, diese dann auch aufgreifen – unabhängig davon, ob es in ihrer Stellenbeschreibung steht oder nicht.« Wie sokratisch die Dialoge mit Auszubildenden, Trainees oder Sachbearbeitern ablaufen, darüber äußerte sich Leddin freilich nicht.
Job-Interviews sind Verkaufsgespräche
Stimmt Sie als Bewerber bieten Ihre Arbeitskraft auf dem Markt an.
Stimmt aber auch nicht Verkäufer zielen meist auf einen positiven Abschluss des Verkaufsgesprächs. Bei einem Vorstellungsgespräch kann der Bewerber aber auch feststellen, dass der Job oder das Unternehmen nicht passt, und von sich aus absagen. Es geht nicht um Umsatz, |18|sondern um die verantwortungsvolle Gestaltung eines Lebensabschnitts.
Job-Interviews sind Spießrutenläufe
Stimmt manchmal Es gibt immer noch Personaler, die Stressfragen stellen oder Bewerber mit dreisten Unterstellungen provozieren (»Sind Sie schwanger?« »Sind Sie homosexuell?«, »Sind Sie pervers?«).
Meistens aber nicht Die meisten Unternehmen haben derartige Praktiken in die Schublade gelegt, weil sie nicht zielführend oder ganz einfach illegal sind und weil sie nicht zu den aktuellen Vorstellungen guter Personalführung passen. Philips-Personaler Leddin zum Beispiel hält nichts davon, einen Kandidaten »unter Strom« zu setzen, um seine wirkliche Persönlichkeit zu erkennen. »Wenn ich verkrampfte Muskeln habe, kann ich keine sportlichen Höchstleistungen bringen – für den Kopf gilt analog: Stress macht dumm.« Personaler, die ihre Kandidaten unter Stress setzen, fordern deren Gegenoffensive heraus. Das ist für kompetitiv veranlagte Personalertypen vielleicht ein nettes Spielchen, bringt laut Leddin im Auswahlprozess aber gar nichts.
Job-Interviews sind überflüssig, weil nur Vitamin B zählt
Stimmt Zahlreiche Studien zum Thema »Elite« (zum Beispiel die von Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt) legen nahe, dass auch heute noch Vitamin B entscheidend ist. Sprösslinge aus dem gehobenen Bürgertum steigen in der Regel auf, während die Töchter und Söhne aus einfacheren Milieus weniger Chancen auf eine steile Karriere haben.
Dennoch Vitamin B öffnet vielleicht Türen, die Performance muss aber immer noch jeder selbst hinlegen. Überraschungserfolge sind |19|immer möglich, auch für »No-Names«. In manchen Situationen suchen Unternehmen sogar gerade nach neuen Gesichtern, die nicht aus den altbekannten Netzwerken stammen.
Job-Interviews sind demütigend und unfair
Stimmt Laut einer Datenanalyse der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu.com kritisieren Bewerber die unprofessionelle Vorbereitung der Arbeitgeber auf ihr Vorstellungsgespräch und fühlen sich »nicht wertschätzend behandelt« (beide Punkte bewerteten sie mit einem knappen »befriedigend«). Nach dem Vorstellungsgespräch bewerteten sie den Punkt »Feedback über den Grund der Absage« sehr negativ (»mangelhaft«). Viele Bewerber berichten auf der Plattform von unfreundlichem bis zu bizarrem Auftreten ihrer Gesprächspartner. So rauchte eine Agenturchefin offenbar demonstrativ Zigarre während des Gesprächs.
Unfair sind viele Job-Interviews auch deshalb, weil sie unprofessionell geführt werden. Eine internationale Umfrage des Beratungsunternehmens DDI unter 1900 Personalern zeigte zum Beispiel, dass Personalentscheidungen oft übereilt getroffen werden: Knapp die Hälfte nahm sich weniger als 30 Minuten Zeit. 60 Prozent der Interviewer wusste nicht, welche Fragen von Rechts wegen verboten sind. 48 Prozent der Personaler hatten nur ein informelles Training-on-the-Job durchlaufen und 16 Prozent gar keine Ausbildung.
Es kommt aber drauf an Schaut man sich die Beschwerden auf kununu.com genauer an, entsteht der Eindruck, dass Bewerber sich an den rauen Wind der Wirtschaft einfach noch gewöhnen müssen. Man bekommt eben nicht automatisch »Kaffee und Zeitschriften«, wenn man auf einen Termin beim Chef wartet. Und dass das auf externe Personalberatung spezialisierte Unternehmen DDI eine Studie publiziert, die interne Personalarbeit für unprofessionell erklärt, hat nicht zuletzt etwas mit geschicktem Marketing zu tun.
|20|Unternehmen mit einem guten Arbeitsklima werden in der Regel faire Job-Interviews führen. Zumal Bewerber in Interviews besser abschneiden und die Treffergenauigkeit der Personaler höher ist, wenn Interviews unter transparenten Bedingungen ablaufen. Das hat Martin Kleinmann, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Zürich, in einer Studie mit 400 Absolventen gezeigt.
Übrigens wäre mancher Personaler gerne freundlicher und fairer – darf es aber seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das eigentlich ein gut gemeintes Antidiskriminierungsgesetz sein sollte, nicht mehr sein (siehe Seite 28–30).
Mit welchen Annahmen gehen Sie in Ihre Vorstellungsgespräche? Es ist ganz nützlich, wenn Sie sich das klar vor Augen führen. Denn wenn Sie beispielsweise von vornherein denken, dass Sie von diesen arroganten Personalern ganz bestimmt wieder in die Pfanne geklatscht werden, dann könnte es sein, dass genau das passiert. Wie Sie in die Firma hineinrufen, so schallt es heraus!
Jetzt wünschen wir Ihnen, dass Sie in diesem Buch viele Informationen finden, die Ihnen in Ihren nächsten Vorstellungsgesprächen weiterhelfen. Es sind keine einfachen Rezepte mit Geling-Garantie; eher Hintergrund-Informationen, aus denen Sie Ihre ganz eigenen Schlüsse für Ihre ganz individuelle Situation ziehen können. Denn wir sind überzeugt: Jedes Job-Interview läuft zwar nach einem ähnlichen Muster ab, ist aber dennoch so einzigartig wie Sie selbst.
|21|TEIL 1
WER SIE SIND,
WIE SIE ARBEITEN,
WAS SIEKÖNNEN
UND WAS NICHT
|22|Der Siemens-Konzern beschäftigt derzeit über 200 Fachkräfte, die allein mit der Rekrutierung und Einstellung neuer Mitarbeiter beschäftigt sind – unter anderem, indem sie Vorstellungsgespräche führen. Beim kleinen Mittelständler mit einer Handvoll Angestellten übernimmt diesen Job nebenbei noch der Geschäftsführer selbst.
Personaler können ganz unterschiedlich sein, weil sie unter völlig unterschiedlichen Bedingungen ihre Arbeit erledigen. Für die einen ist das Vorstellungsgespräch eine lästige Aufgabe, die sie zwischen Bilanzzahlen, Meetings und Geschäftsreisen schieben. Andere Personaler machen den lieben langen Tag nichts anderes als Vorstellungsgespräche planen, durchführen und nachbereiten – und haben dafür noch zwei Assistentinnen, die ihnen behilflich sind. Oft können wir also gar nicht einschätzen, wer uns im Vorstellungsgespräch gegenübersitzen wird.
Die Arbeit der Personaler – oft ist sie im doppelten Sinn eine Einstellungssache, die maßgeblich von der Art des Unternehmens, dem Klima unter seinen Mitarbeitern und dem Stellenwert des »Human Resources Managements« in der jeweiligen Firma abhängt. Vergessen Sie das nicht: Personaler sind auch nur Menschen – mit Einstellungen, persönlichen Vorlieben und Charaktereigenschaften – und mit Chefs, die den Rahmen für ihre Arbeit setzen!
Haben Sie schon einmal etwas von Oswalt Kolle gehört, dem »Aufklärer« der Bundesrepublik Deutschland, der mit pseudowissenschaftlichen Sachkundefilmen wie »Deine Frau – das unbekannte Wesen« die Menschen der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sexuell aufklärte – oder es zumindest versuchte? Allen diesen Filmen – die zu den kommerziell erfolgreichsten ihrer Ära gehörten und die krisengeplagte deutsche Filmindustrie vor dem Absaufen retteten – waren der altväterliche Ton, eine ganze Menge mehr gut gemeinter als hilfreicher Ratschläge und ziemlich verkrampfte Beispiele gemeinsam.
Weshalb dieser Hinweis auf Oswalt Kolle, fragen Sie sich jetzt zu Recht? Ganz einfach: Dieses Buch könnte auch »Dein Personaler – das unbekannte Wesen« heißen, aber wir möchten, dass Sie sich darunter das absolute Gegenteil eines Oswalt-Kolle-Films vorstellen: unterhaltsam, ohne erhobenen Zeigefinger und voller Hintergründe, die Sie so vielleicht noch in keinem Bewerbungsratgeber gefunden haben. Auf Basis dieser Informationen können Sie dann hoffentlich ganz leicht eine Strategie für Ihr eigenes, erfolgreiches Job-Interview entwickeln.
Zum Wissen über die Arbeit der Personaler gehört an erster Stelle, dass es für deren Job keine festgefügten Strukturen und zeitlos verlässlichen |24|Werte gibt – so wie etwa den Eid des Hippokrates der Mediziner. Personaler-Jobs unterliegen Modewellen, Strategie-Entscheidungen der Unternehmensführungen und der jeweiligen Lage auf dem Fachkräfte-Arbeitsmarkt. Mal werden die »Human Resources« als entscheidender Hebel für das Unternehmenswachstum angesehen – dann schert sich keine Seele im Betrieb darum, unter welchen Bedingungen neue Mitarbeiter angeworben werden. Machen Sie sich also frei von der Vorstellung, dass es in den Personalberatungen »so« und »genau so« zugeht. Das ändert sich mit dem Wind.
Welchen Schwankungen die Personalabteilungen ausgesetzt sind, hat das Beratungsunternehmen Capgemini Anfang 2011 in einer aufwendigen Untersuchung feststellen können. Nach der Analyse von zahlreichen »Human Resources«-Aktivitäten in Betrieben kam Capgemini unter anderem zu folgendem Fazit: »Vielfach gehören HR-Maßnahmen zu den leichten Opfern des Budget-Cut-Prozesses, wirken doch Personalmarketing, Personalentwicklung und Co. in der Perspektive der zahlenorientierten Costcutter leicht als Luxus, auf den man wenn nötig verzichten kann.«
Das heißt: Wo heute noch interne Leitfäden für den Ablauf von Vorstellungsgesprächen ausgeheckt und teure psychologische Schulungen für Interviewer durchgezogen werden, kann es morgen schon wieder Kahlschlag geben. Dann wird auf Billig-Recruiting gesetzt, bis Personaler wieder »händeringend« Fach- und Führungskräfte suchen.
Vom Postkorb in den Baumwipfel
Im »HR-Barometer« von Capgemini lässt sich nachlesen, wie munter Personalthemen im Lauf der letzten zehn Jahre auf der Prioritätenliste von oben nach unten purzelten und umgekehrt. Je nachdem, was gerade in Mode ist – und für was man glaubt, ausreichend Geld übrig zu haben. Mal steht »Reduzierung der Personalkosten« auf der Agenda, |25|dann die »Führungskräfte-Entwicklung«, und im darauffolgenden Jahr ist es das »Change Management«.
Hinzu kommen die Trends in der Rekrutierungsmethodik: Ebenso wie Schlaghosen, Leggings und Petticoats kommen und gehen sie. So galten vor zwanzig Jahren Einstellungstests im Bewerbungsprozess als besonders schick. In der sogenannten Postkorb-Übung mussten Kandidaten zum Beispiel die Effektivität ihrer Arbeitsorganisation am Schreibtisch beweisen. In Gruppendiskussionen wurden Teamfähigkeit und Konfliktpotenzial der Bewerber abgeprüft. Teilweise nahmen die Tests groteske Formen an, indem Bewerber in Outdoor-Trainings durch die Landschaft kletterten oder in realitätsfernen Rollenspielen entscheiden mussten, welche Gegenstände sie mitnehmen würden, um auf einer Mondstation zu überleben.
Nicht in allen Unternehmen haben derartige Tests überlebt – und wenn, wurden sie deutlich abgespeckt und berufsnäher gestaltet. Extreme Varianten wie das Stress-Interview oder Untersuchungen der Handschrift von Bewerbern kommen heute nicht mehr oft vor.
Der Chef-Recruiter eines großen IT-Dienstleisters hat uns im Interview mit einem Statement zu den Regeln und Verlässlichkeiten in der Personalarbeit eine zentrale Aussage geliefert: »Von Standards haben wir uns schon vor vielen Jahren verabschiedet!« Mit anderen Worten: Wenn es ums Vorstellungsgespräch geht, ist alles im Fluss. Was nicht bedeutet, dass sich unerfahrene Personaler, insbesondere in Konzernen, nicht gern an Spielregeln, Fahrplänen und Check-Listen festklammern. Nur: Morgen können die schon wieder ganz anders aussehen.
Gut für Sie: Kandidaten werden knapp
Einen verlässlichen Trend gibt es am Ende aber doch in der Personalarbeit. Er ist nicht zu leugnen, er ist unaufhaltsam, er verstärkt sich von Jahr zu Jahr – und er arbeitet für die Kandidaten von Vorstellungsgesprächen: der viel beschworene demografische Wandel, der |26|längerfristig dazu führen wird, dass die Arbeitskräfte knapp werden. Frauen in Deutschland bringen durchschnittlich 1,3 Kinder zur Welt – mit weiter fallender Tendenz. Dass sich die Schere zwischen offenen Stellen und dem Potenzial an Arbeitskräften unter dieser Voraussetzung schließt – wie auf der unten abgebildeten Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dargestellt –, ist leicht nachzuvollziehen.
»Aufgrund der demografischen Entwicklung geht langfristig die Zahl der erwerbsfähigen Menschen zurück und zugleich altert die Bevölkerung spürbar. Den Betrieben werden damit immer weniger und im Durchschnitt deutlich ältere Arbeitskräfte als heute zur Verfügung stehen«, prognostiziert das IAB in seiner »Projektion des Arbeitskräfteangebots bis 2050«. Um 12 Millionen Menschen soll das Arbeitskräfteangebot danach bis zum Jahr 2050 sinken! »Selbst wenn es gelingt, mehr Ältere, Frauen, Ausländer am Erwerbsleben zu beteiligen, müssen sich Wirtschaft und Gesellschaft längerfristig auf ein viel geringeres Arbeitskräftepotenzial einstellen«, heißt es in der Studie. Mit anderen Worten: Im Jahr 2050 werden sich die Arbeitgeber um die raren Arbeitskräfte prügeln. Wird es dann überhaupt noch so etwas geben wie Vorstellungsgespräche?