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12 Short Storys. Literatur für zwischendurch. Aus dem Inhalt: Zwei Männer picknicken mit der toten Biggi. Herr Becker fährt Zug und wird von Angst gepackt. Oberamtsrat Hühnchen unternimmt einen Rachefeldzug. Bergmann versucht Farner beim Rasenmähen zu besiegen. Ein Brief aus dem Krieg in Afghanistan kommt zu spät an. Wolfenberger wacht nachts im Hotel auf und hört Geräusche. Frau Dr. Sommer schiebt ihr Hab und Gut durch den Bahnhof und fühlt sich als Königin.
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Seitenzahl: 66
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A.S. Dowidat
Das letzte Picknick
Short Storys
© 2017 A.S. Dowidat
c/o
Timothy Phillips
Konstantinstr. 62
53179 Bonn
Covergestaltung: indiepublishing.de
Coverbild: © beginos / bigstock.com
Inhalt
Das letzte Picknick
Herr Becker macht kehrt
Meine Großmutter fuhr Motorrad
Sonntag
Hühnchens Rache
Buizid
Am Nachmittag
Mirjam
Gruß in die Heimat
Ankommen
Vor der Tür
Frau Dr. Sommer
Veröffentlichungshinweise
Über die Autorin
Bernd? Bernd, sag schon was! Soll ich noch mal reingehen? Ihr die Lippen feucht machen? Bernd?
Da geht er einfach an mir vorbei in die Küche und sagt kein Wort. Ich stehe auf, die Tür zum Schlafzimmer ist nur angelehnt. Im Zimmer ist es hell, Bernd hat die Vorhänge vor dem Fenster beiseitegeschoben. Eben ist er kurz auf dem Klo gewesen, dann ist er gleich wieder zu Biggi rein. Sie sieht jetzt ganz friedlich aus, wie sie so daliegt. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Ihre Augen sind geschlossen. Bernd kommt wieder ins Zimmer. Er setzt sich auf den Stuhl an Biggis Bett und blickt sie an. Zwischendurch wischt er sich mit der Hand über die Augen. Ich stehe nur da und weiß nicht, was ich sagen soll.
Biggi will unbedingt zu Hause sterben. Regelmäßig muss sie ins Krankenhaus zur Chemo, in den Tagen danach liegt sie zu Hause im Bett, weil sie so kaputt ist. Ich krepier‘ nicht im Krankenhaus, sagt sie immer. Lasst mich da nicht sterben! Ich will hier sein können, wenn’s so weit ist. Bernd und ich sehen uns an. Wir können ihr diesen Wunsch nicht abschlagen, doch wir haben keine Ahnung, wie das sein wird. Irgendwann holen wir sie aus dem Krankenhaus nach Hause, der Arzt schüttelt den Kopf. Sie wissen nicht, worauf Sie sich einlassen, haben Sie einen guten Hausarzt?
Dr. Grübner kommt jeden Tag, hängt einen neuen Beutel mit Flüssigkeit an und spritzt Morphium, davon wird Biggi etwas wirr im Kopf und manchmal sogar ganz lustig. Sie spricht davon, in welch tollem Hotel sie gelandet ist und fragt uns, wer der Direktor ist. In den letzten Tagen dämmert sie nur noch dahin. Bernd wechselt ihre Windeln, wir befeuchten ihr Lippen und Mund mit Wattestäbchen, legen ihre Lieblingsmusik auf, wechseln uns ab, bei ihr im Zimmer Wache zu halten, falls irgendetwas ist, sie vielleicht mehr Schmerzmittel braucht. Morgens geht Bernd runter und holt uns was zum Frühstücken aus dem Kühlschrank. Seit mehr als zwanzig Jahren betreibt er Die Palette, eine kleine Kneipe, darüber wohnt er mit Biggi in einer Zweizimmerwohnung. Als er Biggi zum Sterben nach Hause holt, hängt er ein Schild an die Tür: Wegen familiärer Angelegenheiten geschlossen.
Zwischen Bernd und Biggi fliegen manchmal die Fetzen, Biggi zieht aus und kommt irgendwann wieder zurück, Bernd steht in der Zwischenzeit mit grimmigem Blick hinter dem Tresen und knallt jedem das Bierglas hin. Bei Bernd kann man nie sicher sein, ob er etwas im Scherz meint oder ernst. Mit Biggi bin ich zusammen zur Schule gegangen, irgendwann weiß Bernd auch, dass ich früher mal was mit Biggi gehabt habe, doch das war lange vor seiner Zeit.
Jetzt sitzen wir beide an ihrem Bett. Man muss wohl Dr. Grübner anrufen, damit er den Totenschein ausfüllen kann. Und den Bestatter, Spellmann, den Bernd gut kennt, er hat sein Geschäft um die Ecke, und ab und zu kommt er vorbei und gibt seinen Sargträgern einen aus.
Bernd?
Er sitzt da und blickt auf Biggi. Dann sieht er mich an, doch er sagt nichts.
Bernd, soll ich Dr. Grübner… oder Spellmann...?
Er sieht wieder auf Biggi.
Nee, warte, sagt er. Nicht so schnell. Ich habe der Biggi noch was versprochen.
Bernd kann auf mich zählen. Als Biggi zum Sterben nach Hause kommt und noch klar im Kopf ist, spricht sie öfter davon, wie gerne sie noch einmal am Flussufer wäre. Auf der Wiese sitzen, die Schiffe in der Nähe der Schleuse beobachten und in den Himmel blicken, wenn langsam die Sonne versinkt. Montags, wenn die Palette geschlossen ist, haben wir ab und zu am Ufer in der Nähe der Brücke gegrillt. Einmal bin ich mit Bernd dort alleine gewesen, Biggi war wieder mal ausgezogen. Bernd zeigte mir einen Baum, an dessen Rückseite B & B 1992 eingeritzt ist.
Bernd?
Sag schon, was hast Du ihr versprochen?
Wir nehmen Bernds Wagen, einen alten Mercedes-Kombi. Es ist ein milder Spätsommertag, vielleicht besser so, dass es nicht mehr so warm ist. Bernd hat Biggi ihr Lieblingskleid angezogen, dazu die roten Schuhe, die er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hat. Bernd fährt den Wagen in den Hinterhof. Dann trägt er Biggi die Treppe herunter, sie wiegt ja kaum noch was. Doch ihr Gesicht sieht immer noch hübsch aus, auch wenn sich die Nase bereits spitz abzeichnet. Bernd setzt sie auf den Rücksitz, ich setze mich neben sie, ihr Kopf lehnt am Türrahmen und Bernd deckt sie mit ihrem leichten Sommermantel zu. Während der Fahrt droht sie ein paarmal zur Seite zu kippen, ich rücke näher an sie heran, ihr Kopf fällt auf meine Schulter. Unterwegs hält Bernd an einer Tankstelle und besorgt ein paar Flaschen Bier und etwas zu essen. Ich bleibe mit Biggi im Auto. An der Tankstelle ist viel los, ich bin froh, als Bernd endlich zurückkommt und mir eine volle Tüte nach hinten reicht.
Dann stecken wir mitten im Berufsverkehr fest, es geht nur noch schrittweise voran. Links schiebt sich ein Fiat vorbei, der Fahrer stiert geradeaus, auf der Rückbank sitzt ein kleiner Junge, der herüberblickt und anfängt, Grimassen zu schneiden. Ich strecke ihm die Zunge heraus und warte darauf, dass Biggi das ebenfalls macht.
Bernd lässt den Wagen auf der Wiese ausrollen, auf dem Uferpfad läuft ein Pärchen Hand in Hand, es beachtet uns nicht. Wir warten trotzdem, bis sie außer Sichtweite sind. Dann öffnet Bernd die Tür, steigt aus, öffnet die hintere Tür, hebt Biggi heraus und läuft mit ihr auf dem Arm zum Flussufer hin. Ich nehme die Tüte und gehe zum Kofferraum, öffne ihn und hole die Decken und die Klappstühle heraus. Kurz stutze ich, dann folge ich den beiden voll beladen.
Es ist etwas schwierig, Biggi auf den Klappstuhl zu setzen, sie kippt immer wieder zur Seite und droht dann, ganz herunterzurutschen; schließlich setzen wir uns so nah neben sie, dass wir ihren Rumpf mit unseren Schultern einklemmen. Biggis Kopf liegt auf Bernds Schulter. Ich öffne drei Flaschen Bier, dann erst fällt mir ein, wie unsinnig das ist. Ich reiche eine Flasche zu Bernd hinüber. Die dritte Flasche stelle ich auf den Boden neben Biggis Stuhl. Wir prosten ihr zu. Für einen kurzen Moment überfällt mich das Gefühl, dass sie gleich aufwacht, nach der Bierflasche greift, und Überraschung! ruft.
Eine Weile sitzen wir schweigend da und blicken den Schiffen nach, die vorbeifahren. Manchmal winkt jemand, und wir winken zurück. Als es kühler wird, legen wir uns die Decken über den Schoß. Bernd achtet darauf, dass auch Biggis Beine unter einem Stück Decke verschwinden. Der Himmel ist in ein glühendes Orange-Rot getaucht. Irgendwann bekommen wir Hunger und Bernd packt den Kartoffelsalat aus. Mit Plastikgabeln löffeln wir den Salat aus der Schale.
Kannst Du sie mal halten? Bernd rutscht auf seinem Stuhl nach vorne, ich lege meinen Arm um Biggi. Sie fühlt sich komisch an, kurz erschrecke ich, dann fällt mir etwas ein, an das offenbar keiner von uns gedacht hat, wir haben da ja keine Erfahrung. Bernd steht auf und geht zu der Baumreihe, die das Ufer säumt. Nach einer Weile kommt er zurück, ich sehe noch, wie er sein Messer wieder in der Hosentasche verstaut.
Wird langsam kalt, sagt er.
Du meinst, wir sollten wieder? Mhhm, ich glaub nur …, fühl mal Biggis Arm. Der Arm lässt sich kaum noch bewegen.
Bernd kratzt sich am Hinterkopf. Dann grinst er. So blöd, wie wir sind. Sie hätte sich totgelacht.