Zimmer 752 - A.S. Dowidat - E-Book

Zimmer 752 E-Book

A.S. Dowidat

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Beschreibung

Umfang der Druckausgabe: 188 Seiten. In dem leer geglaubten Zimmer einer Behörde klingelt ein Fernsprecher. Auf den Fluren des labyrinthischen Gebäudes wird der Name eines neuen Kollegen geflüstert. Doch wer ist dieser Sarafki und warum zeigt er sich nicht? Über den Roman: Bellaqui fristet seine Tage als kleines Rädchen im Getriebe eines Behördenapparates. Die staatlichen Institutionen sind in Auflösung begriffen, der Einfluss Aquasols, des mächtigen Energiekonzerns, wächst immer mehr. Eines Tages hat es den Anschein, als sei ein seit Langem leer stehendes Zimmer wieder besetzt. Ein neuer Kollege nimmt seine Arbeit auf, zunächst nur in seinen Spuren erkennbar, doch da. Das Gefühl einer Bedrohung beginnt schleichend von Bellaqui Besitz zu ergreifen. Denn dieser Sarafki will sich nicht anpassen, sondern beginnt, das fragile Gleichgewicht zwischen Anpassung und innerem Widerstand zu zerstören. Nur die Obsession für die Klaviermusik des russischen Komponisten Nikolaj Medtner scheint beide zu verbinden. Zwischen ihnen entwickelt sich ein Katz- und Mausspiel in den labyrinthischen Gängen des Gebäudes.

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Über den Roman

Bellaqui fristet seine Tage als kleines Rädchen im Getriebe eines Behördenapparates. Die staatlichen Institutionen sind in Auflösung begriffen, der Einfluss Aquasols, des mächtigen Energiekonzerns, wächst immer mehr. Eines Tages hat es den Anschein, als sei ein seit Langem leer stehendes Zimmer wieder besetzt. Ein neuer Kollege nimmt seine Arbeit auf, zunächst nur in seinen Spuren erkennbar, doch da. Das Gefühl einer Bedrohung beginnt schleichend von Bellaqui Besitz zu ergreifen. Denn dieser Sarafki will sich nicht anpassen, sondern beginnt, das fragile Gleichgewicht zwischen Anpassung und innerem Widerstand zu zerstören. Nur die Obsession für die Klaviermusik des russischen Komponisten Nikolaj Medtner scheint beide zu verbinden. Zwischen ihnen entwickelt sich ein Katz- und Mausspiel in den labyrinthischen Gängen des Gebäudes und irgendwann beginnt Bellaqui zu ahnen, dass er hinab in die Tiefe muss, um dem Geheimnis Sarafkis auf die Spur zu kommen.

ZIMMER 752 erzählt von einem Menschen, der den eigenen Verstrickungen nicht mehr entkommen kann.

A.S. DOWIDAT wurde 1970 in Duisburg geboren. Sie studierte evangelische Theologie und Rechtswissenschaften und arbeitete mehrere Jahre als Referentin in einem Ministerium. Heute lebt sie als Pfarrerin und Autorin in Bonn.

A.S. Dowidat

ZIMMER 752

Roman

© 2018 A.S. Dowidat

c/o Timothy Phillips

Konstantinstr. 62

53179 Bonn

www.asdowidat.de

Lektorat: Annette Barth, Hamburg

Umschlaggestaltung: Saskia Calden

Umschlagbild: © Inmaculada Blanca/shutterstock

Kapitel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

 

Hörst du mich?

Ja. Ja, natürlich.

 

 

Auftakt

1

Das Zimmer über mir ist nicht mehr belegt. Es ist das letzte auf der rechten Seite an einer langen Zimmerflucht im siebten Stock. Sechsundzwanzig Türen habe ich einmal auf dem Gang gezählt, dunkle Holztüren, von denen bereits der Lack abblättert. Auf der linken Seite noch einmal sechsundzwanzig Türen. Es wird gemunkelt, dass sich in Zimmer 752 vor etlichen Jahren jemand erhängt hat. Er soll sich eingeschlossen haben und erst Tage später entdeckt worden sein.

Alte Möbel stehen in dem Raum, ein Schrank, dessen linke Tür schief im Rahmen hängt, und ein Schreibtisch mit grüner Plastikauflage. Auf dem Schreibtisch ein schwarzer Fernsprecher mit Wählscheibe, den schon lange niemand mehr benutzt.

Gelegentlich werden Akten unserer Abteilung in Pappkartons in einer Ecke zwischengelagert, bevor sie weiter in die Registratur im ersten oder in das Archiv im zweiten Kellergeschoss wandern. Der letzte Inhaber des Zimmers hat eine Topfpflanze zurückgelassen, die auf dem Fensterbrett steht und deren Blätter sich gelb verfärbt haben. Staub hat sich über die dunklen Möbel gelegt, auf dem Schreibtisch sind eine Zeit lang Handabdrücke zu erkennen gewesen, als habe jemand etwas vergessen und sei später noch einmal zurückgekehrt. Eine neue Staubschicht hat diese Spuren bald wieder überdeckt. Ab und zu muss ich mich in dem Zimmer aufhalten, um aus den Akten der Abteilung Politische Beobachtung/Bürgerkontakte in einem der Pappkartons Vorgänge herauszusuchen, die aus Versehen bereits aussortiert worden sind. Jedes Mal, wenn ich diesen stillen Raum betrete, habe ich das Gefühl, seine Ruhe zu stören. Einmal passierte es mir, dass ich Staub einatmete, der sich von der Decke des alten Schrankes gelöst hatte und langsam zu Boden sank. Ich musste niesen und das platzende Geräusch, gleich einem mit Gewalt in die Tastatur geschlagenen Akkord, knallte gegen die Wände des Zimmers und wurde zurückgeschleudert. Dieser Raum verträgt keinen Lärm. Die Lautlosigkeit, die sich ausbreitete, nachdem das Niesen verklungen war, eroberte ihn zurück. Wie ein Kokon legte sie sich um mich, als wolle sie mich einschließen.

Obwohl ich weiß, dass das Zimmer seit Langem unbenutzt ist, ist es mir vor einigen Tagen beinahe passiert, dass ich vor dem Betreten angeklopft hätte. Die Hand bereits zu einer lockeren Faust geformt, hielt ich inne, als ich die Unsinnigkeit meines Tuns erkannte. Erst nach einer Weile unschlüssigen Abwartens öffnete ich die Tür und betrat den Raum. Ich wandte mich drei Pappkartons zu, die in einer Ecke gestapelt waren, nahm einen Aktenordner aus dem obersten Karton und vertiefte mich auf der Suche nach einem bestimmten Schriftstück in seinen Inhalt. Auf dem Boden kniend, den Ordner aufgeschlagen vor mir, blätterte ich die Seiten leise hin und her. Alle paar Minuten sah ich mich um, als erwartete ich, jemanden am Schreibtisch sitzen zu sehen. Doch immer blickte mich nur der leere Stuhl an, an dessen Rückenlehne der Bezug an mehreren Stellen schadhaft ist und die Schaumstofffüllung erkennen lässt.

Das Gebäude macht mir keine Angst mehr, ich kenne es gut. Wenn der Wind um seine Ecken streicht und sich in den Giebeln und Dachreitern verfängt, gibt es seufzende Geräusche von sich. Es ist ein altes Bauwerk, das schon im letzten Jahrhundert als Regierungsgebäude benutzt wurde.

Morgens betrete ich es durch den Haupteingang, dessen Fassade sechs hohe Säulen schmücken. Oft lasse ich den Blick nach oben schweifen, ein dreieckiger Giebel mit einer Wandplastik ruht über der Fassade, die Gesetz und Ordnung und Wahrheit darstellt: eine Sonne, die mit ihren Strahlen das Weltwasser verdunsten lässt, das als Regen wieder zurückkehrt, unterhalb der Sonne eine Frau, die neues Leben in den Händen hält.

Das Wasser im Gebäude wird seit einiger Zeit gelegentlich abgestellt. Aquasol hat die Energie- und Wasserversorgung übernommen und einige Kollegen behaupten, sie wollten uns schikanieren, weil wir ihre letzte Steuerrückforderung immer noch prüfen.

Auf das Mansardendach des Gebäudes ist ein Glockenturm gesetzt, bekrönt von einem bronzenen Adler, der die Weltkugel in seinen Klauen hält. Jede volle Stunde ertönt die Glocke mit einem tiefen, dumpfen Klang. Schlägt sie zehn Mal, ist nur noch der Hinterausgang auf der Rückseite des Mittelbaus offen. Dann verlassen die letzten Kollegen das Gebäude unter den Darstellungen von Willkür und Lüge, einer Menschen vernichtenden Furie und einer Gestalt mit gespaltener Schlangenzunge.

Am Anfang habe ich mich oft verlaufen. Wie unzählige Adern winden sich die zahlreichen Gänge durch das Gebäude. Von außen wirkt es wie ein klar gegliederter Block, doch in seinem Innern ist ein System nur schwer zu erkennen. Am ersten Tag führte mich ein Kollege, den ich später nie wieder traf, durch den Ost- und den Westflügel. Er zeigte mir die von ihnen umschlossenen Innenhöfe und erklärte mir, dass auch der zweiflügelige Mittelbau einen Innenhof umfasst. Wir liefen einen der langen Gänge im ersten Stock entlang, die zum West- und Ostflügel führen. Danach ging es rechts oder links herum und noch einmal einen ebenso langen Gang entlang. Am Ende des Ganges blieb der Kollege stehen und deutete auf eine Nische zwischen zwei halb in die Wand eingelassenen Granitsäulen, in deren Halbdunkel die Tür zum seitlichen Treppenaufgang lag. Dann murmelte er etwas Unverständliches, ließ mich stehen, ging rasch den Gang zu­rück und verschwand um die Ecke. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung davon, der Gang endete nach einer weiteren Biegung an einer Mauer. Vor langer Zeit soll sich an dieser Stelle eine Tür befunden haben, erfuhr ich später, sodass man auch im ersten Stock die Seitenflügel ganz umrunden konnte. Sie ist irgendwann zugemauert worden, doch noch ist die Aussparung in der Mauer erkennbar, in der sich Türrahmen und Tür befanden.

Nachdem ich ins Haupttreppenhaus zurückgefunden hatte, stieg ich die breite Steintreppe hinauf, die ihren Anfang im Foyer nimmt und sich hoch bis in den siebten Stock windet. Beim Hinaufgehen ließ ich die rechte Hand über das Geländer gleiten und spürte die kleinen Unebenheiten des Sandsteins.

Steht man im siebten Stock und blickt die Treppe hinunter, kann einem leicht schwindlig werden. Es geht über dreißig Meter hinab. Einer Schlange gleich windet sich die Treppe hinab bis ins Foyer und verbreitert sich dort noch einmal um drei oder vier Meter. Vor vielen Jahren soll ein Besucher auf der Haupttreppe gestolpert und die Balance verloren haben. Er fiel die Treppe hinunter und brach sich das Rückgrat. Niemand wusste, was er in dem Gebäude gewollt hatte.

Von der Haupttreppe führen auf jedem Stockwerk rechts und links Verbindungstreppen ab. Wie Schiffsstege verbinden sie die Haupttreppe mit dem jeweiligen Geschoss. Sie sind so schmal, dass kaum zwei Menschen aneinander vorbeigehen können.

Einige der Kollegen, deren Zimmer im fünften oder sechsten Stock liegen, benutzen ausschließlich die schmalen Treppenaufgänge in den Seitenflügeln, die vom ersten Stock bis ins oberste achte Stockwerk führen. Enge Spindeltreppen, die sich um eine steinerne Mitte winden, so dass kein Raum frei bleibt, der den Blick nach unten zieht. Die Mutigen nehmen den Paternoster, dessen Kabinen vom Foyer bis in den siebten Stock lautlos die beiden Fahrschächte hinauf und hinab gleiten. Während die seitlichen Treppenaufgänge bis in den achten Stock führen, endet die Haupttreppe im siebten Stock.

Der siebte Stock ist verlassen, dort arbeitet niemand mehr. Nur die riesige Uhr schickt die Pulswellen ihres gleichmäßigen Tickens durch das Gebäude.

Medtner

Wenn es nachts still wird in meinem Innern, bin ich dir ganz nahe, Medtner, bin ich bei dir, Nikolaj. Ich steige in meinen Keller hinab, setze mich an den Flügel, decke die Klaviatur auf, nehme das Tuch herunter, schwarz und weiß glänzen die Tasten. Ein Ton, der die Stille bricht. Ein weiterer, ein Klang, ein Zusammenspiel, eine Harmonie entsteht. Mein Inneres singt ein Lied, das ich lange vergaß.

Das Lied eines Menschen ohne Schuld, eines Menschen, der nicht beteiligt ist am Werk der Zerstörung. Es heilt mich, deine Klänge trösten mich, Nikolaj. Deine Musik ist mir Leben gegen die Zerstörung, die um mich ist. Gegen das Ungeheuer, das die Welt verschlingt. Keiner erzählt in seiner Musik Geschichten wie du, Geschichten von einem besseren Ende. Vom Licht, das die Finsternis besiegt. Das Lied, das der Engel am mitternächtlichen Himmel singt, die Klänge des Himmels, die von einer anderen Wirklichkeit künden. Meine Finger gleiten über die Tasten, schon vernehme ich den Klang des Liedes, in leisen Tönen weht er heran. Alles andere ist vergessen, das Gebäude, die Kollegen, der Tod.

* * *

2

Ein gedämpftes Tock, dann ein kaum hörbares schleifendes Geräusch, als ob jemand einen Fuß nachzieht. Ein leises Seufzen des Bodens. Als ob eine Bodendiele unter dem Linoleum sich wieder hebt, die durch einen Schritt eben noch niedergedrückt wurde. Das Zimmer über mir muss wieder belegt sein. Nur die Hausarbeiter habe ich noch nicht gehört, die die Möbel zurechtrücken, den Schrank austauschen, ein neues Telefon und einen Rechner anschließen müssten. Vor drei Tagen zum ersten Mal dieses sachte Klacken und dann etwas Schleifendes, vorgestern hörte ich nichts. Und gestern wieder, da war etwas, ich lauschte, bewegte mich nicht. Ein Klacken. Schleifen. Klacken. Schleifen.

Als ich eben, von einer Besprechung in mein Zimmer zurückkehrend, an den seitlichen Treppenaufgängen vorbeikomme, bleibe ich stehen. Die Tür, die den Aufgang verbirgt, ist nur angelehnt. Ein leichter, kaum merklicher Lufthauch umstreicht mein Gesicht. Oben müssen mehrere Fenster geöffnet sein. Ich steige hinauf. Auch die Tür zum Gang im siebten Stock ist nur angelehnt. Dabei sind wir angewiesen, die Türen der seitlichen Treppenhäuser stets verschlossen zu halten.

Langsam nähere ich mich Zimmer 752und horche an der Tür. Eine Weile bleibe ich vor der Zimmertür stehen, dann klopfe ich. Niemand antwortet. Ich betrete den Raum. Schreibtisch und Schrank stehen an derselben Stelle, die Pflanze vertrocknet auf dem Fensterbrett und in der Ecke liegen die Abteilungsakten in den drei Pappkartons und mehreren Ordnern auf dem Boden. Es ist nicht zu erkennen, dass sich etwas verändert hat, doch der Raum fühlt sich anders an. So, als betrete man eine Wohnung, deren Bewohner gerade nicht da sind. Die Luft riecht muffig und verbraucht und dennoch anders als sonst, als habe ihr jemand durch sein Ausatmen eine Nuance hinzugefügt.

Der Schrank auf der rechten Seite. Die Türen quietschen beim Öffnen. Leer. Niemand hat dort seinen Mantel aufgehängt, niemand seinen Hut abgelegt. Der Schreibtisch, von einer feinen Staubschicht bedeckt. Der alte Fernsprecher. Auf dem Hörer ist die Staubschicht verwischt. Das Bakelit glänzt. Als habe sich an jener Stelle eben erst eine Hand um den Hörer geschlossen und ihn von der Gabel genommen. Ich lausche in den Raum hinein.

Aus der Stille schält sich ein fernes Echo. Ein Echo von Geräuschen, die jemand in diesem Zimmer verursacht hat. Ein leises Knarzen, wenn er hin- und herläuft, dazwischen ein Schleifen. Das Klappen der Schranktür. Ein Raum bewahrt die Geräusche, die er ertragen muss, gleich den Gerüchen, die jemand verbreitet. Kaum jemand kann dies wahrnehmen. Zuweilen glaubt man an eine Täuschung, doch ich habe bereits die Erfahrung solcher Geräuschechos gemacht.

Ich setze mich an den Schreibtisch. Das Echo verklingt und das Zimmer wirkt leblos wie immer. Auf der Schrankdecke liegt der Staub fingerdick. Nur mein eigener Atem wirbelt die Luft durcheinander, kleine Partikel schweben im fahlen Abendlicht.

Der Gesang der Wassernymphe

Nikolaj, es kommt wieder näher, sie sind hinter mir her. Irgendetwas verändert sich. Es geht etwas vor, etwas nicht Greifbares, nicht Erkennbares. Nur bei dir finde ich Ruhe, in deiner Musik kann ich rasten.

Den Deckel der Klaviatur hochheben, das Tuch wegnehmen, aus der Stille die Klänge kommen lassen. Im Gesang der Wassernymphe und seinen Variationen erzählst du mir eine Geschichte, Nikolaj, schenkst mir Bilder, gibst mir einen Raum, den ich aufsuchen kann, den niemand sonst betreten wird. Mit den ersten Klängen raste ich am Ufer des Sees, der im stillen Sonnenglanz liegt, blicke auf die Wasserfläche, glatt und klar vor mir ausgebreitet. Dort hinten, am anderen Ufer, sitzt die Wassernymphe. Ihre Gestalt ist von träumender Schönheit, auch sie lässt den Blick über den See schweifen. Sie hebt die Stimme und ihr Gesang schwebt heran, in einzelnen zarten Tönen zuerst, bald kräftiger werdend.

* * *

3

Auf den Fluren wird der Name des Neuen gemurmelt. Im Vorbeigehen flüstern ihn die Kollegen und sein Klang echot von den hohen Decken. Sarafki.

S-a-r-a-f-k-i.

Zum ersten Mal hörte ich ihn, als ich einem Kollegen auf einer Verbindungstreppe im vierten Stock begegnete. Wir schoben uns aneinander vorbei, es war Jörgensen aus der Abteilung Finanzpolitische Strategie, der kurz vor der Pensionierung steht. Ich habe nie viel mit ihm zu tun gehabt, wir grüßen uns gewöhnlich nur mit einem leichten Kopfnicken.

Sarafki kommt, flüsterte er und lächelte. Sarafki kommt. Dann war er vorbei.

Gestern stand Balthasar am Urinal neben mir. Als er fertig war und sich die Hände waschen wollte, hörte ich ihn laut fluchen, das Wasser war plötzlich versiegt. Er zischte etwas, bevor er den Abort verließ, in meinen Ohren klang es wie Sarafki.

Seitdem ist er allgegenwärtig. Wenn ich zwei oder drei Kollegen begegne, ist mir, als unterhielten sie sich gerade über ihn. Wenn ich über die langen Flure laufe, scheint mir, als wispere das Gebäude von überallher seinen Namen. Ich habe mich bei den Haustechnikern erkundigt, ob sie schon in dem Zimmer waren. Sie blickten mich fragend, dann kopfschüttelnd an.

Er muss den Fernsprecher benutzt haben. Vor einigen Tagen wird er zum ersten Mal das Zimmer betreten haben, seine gedämpften Schritte über mir, dazwischen das Schleifen. Ein leises Rascheln, als er mit der Hand prüfend in die vertrocknete Pflanze fährt. Ein kurzes Plätschern, als er mit Wasser aus einem Glas versucht, ihr neues Leben einzuhauchen.

Welcher Abteilung wurde er zugeteilt? Auf Zimmer 752 hat in der letzten Zeit keine Abteilung mehr Anspruch erhoben, der ganze siebte Stock scheint vergessen zu sein. Auch hat die Abteilung Unternehmensbesteuerung, die vormals im siebten Stock saß, immer weniger Mitarbeiter, warum sollte sie einen Neuen bekommen, jetzt, wo sie ohnehin bald aufgelöst wird?

S-a-r-a-f-k-i. Ich sitze in meinem Zimmer und spreche den Namen vor mich hin. Er klingt hart, schnell, aggressiv. Die zweite und dritte Silbe beschleunigt nach dem Auftakt mit dem langen a.

Ein leichter Kopfschmerz meldet sich. Er begleitet mich seit einiger Zeit hin und wieder, er ist lästig, aber auszuhalten. Ich nehme Tabletten dagegen und massiere mir die Schläfen.

Das Knarren des Bodens. Da ist es wieder. Er ist in seinem Zimmer. Wenn ich mich konzentriere, kann ich noch ein gedämpftes Schleifen hören, das sich in das Knarren mischt. Der Kopfschmerz wird stärker. Ich muss in die Uhr.

Ich habe die Tür geschlossen und betätige den Schalter rechts neben der Tür. Ein schwaches Licht flammt auf. Die Uhr wird mechanisch betrieben, das Uhrwerk befindet sich in einer kleinen Kammer hinter dem riesigen Ziffernblatt, das auf dem Gang des siebten Stockwerks an der Wand hängt. Es ist kühl hier. Ich setze mich auf den alten Schemel, den irgendjemand vor langer Zeit in einer Ecke der Kammer abgestellt hat. Ein dreibeiniger Schemel aus Eisen, mit einer hölzernen Sitzfläche, die in der Mitte einen Riss hat. Ich beobachte das Uhrwerk und lausche auf das regelmäßige Ticken. Ein beruhigendes Geräusch. Die Räder des Uhrwerks greifen ineinander, alles arbeitet miteinander, nichts gegeneinander. Mit ruhiger Bewegung dreht sich das Rad der Hemmung bei jeder Schwingung des Pendels um einen Zahn weiter.

Das Ziffernblatt auf dem Gang hat einen Durchmesser von fast drei Metern. Römische Ziffern, der Stunden- und Minutenzeiger bauchige Pfeile, die langsam die Zeit abschreiten. Blickt man eine Weile auf das Ziffernblatt, erschrickt man beim plötzlichen Rucken des Minutenzeigers, wenn dieser ein kleines Stück weiter schreitet. Sieht man nur flüchtig hin, scheint es einem, als blicke man auf zwei vollkommen stillstehende Zeiger. Eigentlich ist der Zutritt zum Uhrwerkraum nur einigen Hausarbeitern, die die Uhr warten, gestattet. Jeden Morgen wird die Uhr aufgezogen. Einer der Haustechniker steigt die Treppe zur kleinen Kammer hinauf, öffnet die Tür, geht zum Uhrwerk und zieht die Gewichte hoch, indem er an einer Kurbel dreht. Die Uhr darf nicht stehen bleiben. Sie ist der Herzschlag des Gebäudes und auf den Hauptfluren im siebten Stock ist der Rhythmus ihres beständigen Tickens deutlich zu hören. Geht man die Seitengänge entlang und entfernt sich von der Uhr, wird das Geräusch nur unmerklich leiser. Der glatte Marmorboden reflektiert den Schall, sodass es zuweilen klingt, als komme das Geräusch aus dem Inneren des Gebäudes.

Einmal habe ich einen neuen Kollegen die seitlichen Treppenaufgänge bis in den siebten Stock hinaufgeführt und bin mit ihm über den langen Gang zur Uhr hin gelaufen. Er hat das Ziffernblatt, das flach an der Wand hängt, aus der Entfernung nicht gesehen, aber das lauter werdende Ticktack beunruhigte ihn. Er blickte nach rechts und links und sah nach oben zur Decke. Erst als wir an die große Haupttreppe gelangten, entdeckte er die Uhr.

Schweigend blieb er vor ihr stehen und blickte minutenlang zu ihr hoch. Mit ihrem Pulsieren im Rücken stiegen wir die Haupttreppe hinab. Im sechsten Stock wirkt es weiter entfernt, doch es ist noch deutlich zu hören. In den Seitengängen wird es zu einer bloßen Ahnung. Steigt man auf der Haupttreppe weiter hinab, bleibt es bis ins Foyer leise zu hören. Die Schallwellen fallen durch den leeren Raum neben der Haupttreppe hinab wie ein schmaler Wasserfall, der sich an den Verbindungstreppen bricht. Das Geräusch der Uhr gehört so selbstverständlich zu diesem Gebäude wie der eigene Atemrhythmus zum Körper.

Es ist kälter geworden. Ich ziehe die Jacke eng um die Schultern. Die Maus raschelt in der Ecke herum. Manchmal füttere ich sie mit einem Stück Käse oder Brot. Ich lege es in die Ecke und sie kommt hervor, wenn ich fort bin oder ganz still auf dem Schemel sitze. Heute sucht sie vergeblich. Oft verharrt sie reglos, wenn sie gefressen hat, dann hören wir beide auf das Geräusch der Uhr. Der Kopfschmerz ist stärker geworden, wie ein Ring legt er sich um die Schläfen.

---ENDE DER LESEPROBE---