Das Liebes-Coaching - Lise Bourbeau - E-Book

Das Liebes-Coaching E-Book

Lise Bourbeau

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  • Herausgeber: Windpferd
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

So gelingen Beziehungen! Liebe und Akzeptanz haben vieles gemeinsam. Wir erleben oft Situationen, die wir nur schwer akzeptieren können, was zu Unzufriedenheit, Konflikten und Gesundheitsproblemen führt. Lise Bourbeaus neues Buch zeigt die Grundlagen der Liebe ohne Wenn und Aber sowie des Akzeptierens auf. Die Coachings führen uns klar vor Augen, welch unglaubliche Kraft wahre Liebe und bloßes Akzeptieren entwickeln können. Wir erkennen den Unterschied zwischen akzeptieren, sich unterwerfen und verstehen, zwischen der Liebe von Geschwistern, Eltern, Liebhabern, Freunden, oder aber zwischen intimer, possessiver, leidenschaftlicher oder bedingungsloser Liebe. Durch verschiedenste Methoden und Fallbeispiele lernen wir, besser mit schwierigen Situationen umzugehen und vor allem, sie vorauszusehen und ihnen so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wir werden in die Lage versetzt, Dinge zu akzeptieren, die uns oft inakzeptabel erscheinen: Krankheit, Tod, Alter, Verlust, Mitmenschen, Aussehen, Schwächen und Wunden – unsere eigenen wie die der anderen. Dieses einzigartige Coaching der weltweit erfolgreichen Bestsellerautorin wird nicht nur Ihr Feingefühl für die verschiedensten Situationen Ihres Lebens wecken, sondern Ihnen auch konkrete Hilfe sein, vermeintliche Hindernisse zu bewältigen.

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Seitenzahl: 365

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Lise Bourbeau

DasLiebes-Coaching

Liebe ohne Wenn und Aber

Das wahre Geheimnisglücklicher Beziehungen

Aus dem Französischen von Christian Schweiger

Titel der Originalausgabe:

„Amour, Amour, Amour“

© 2007 – Copyright by Lise Bourbeau

Erschienen bei Les Editions E.T.C. Inc., Kanada

Übertragen aus dem Französischen von Christian Schweiger

1. Auflage 2008

© 2007 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Oberstdorf

www.windpferd.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung von Peter Krafft Designagentur Bad Krozingen

Layout: Marx Grafik & ArtWork

Gesamtherstellung: Schneelöwe Verlagsberatung & Verlag, Oberstdorf

eISBN 978-3-86410-281-3

Inhalt

Danksagung

Einleitung

1. Kapitel – Die Sprechstunde

2. Kapitel – Die verschiedenen Facetten der Liebe

3. Kapitel – Die Entscheidungen unserer Nächsten akzeptieren

4. Kapitel – Praktisches Akzeptieren

5. Kapitel – Akzeptieren, mehr oder weniger als andere zu haben

6. Kapitel – Verlust akzeptieren

7. Kapitel – Krankheiten akzeptieren

8. Kapitel – Alter und Tod akzeptieren

9. Kapitel – Seelenwunden akzeptieren

10. Kapitel – Den Zustand unseres Planeten akzeptieren

11. Kapitel – Andere akzeptieren

12. Kapitel – Liebe, groß geschrieben

Schritte zur Versöhnung mit anderen und sich selbst

Die Autorin

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Danksagung

Dies ist mein achtzehntes Buch, und ich empfinde immer noch dieselbe Dankbarkeit all jenen gegenüber, die mir helfen, all diese Bücher fertigzustellen.

Die An-erkennung, die ich ihnen an dieser Stelle entgegenbringen möchte, erinnert mich daran, dass die Erkenntnis immer eine Frucht der Arbeit mehrerer Menschen ist. Auch ein Buch setzt sich aus den Kenntnissen mehrerer zusammen.

Was stammt hier von mir? Was kommt von anderen? Ich bin nicht imstande, hier eine Trennlinie zu ziehen. Wer verdient hier besondere Anerkennung?

Zuerst möchte ich all jenen danken, deren persönliche Geschichte und Teilnahme an meinen Seminaren zu diesem Buch beigetragen haben. Ich bin froh, eine so bereichernde Arbeit machen zu können, weil Menschen an sich und an ihrem Leben arbeiten möchten.

Außerdem bin ich in der glücklichen Lage, von Menschen umgeben zu sein, die mich mit allen Mitteln unterstützen: mein Mann Jacques, meine Familie, meine Freunde und das ganze Team von Ecoute Ton Corps. Auch die konstruktiven Anmerkungen all jener, die die erste Version dieses Buchs gelesen und so zu seiner Verbesserung beigetragen haben, haben mir sehr geholfen.

Claude Vienne und Julie Labelle möchte ich hier für die ausgezeichnete Korrekturarbeit und Monica Shields für die Umschlaggestaltung danken. Mir fehlen die Worte, um zum Ausdruck zu bringen, wie sehr ich Jean-Pierre Gagnon, dem Verleger von ETC, für seine stete Unterstützung zu Dank verpflichtet bin.

Einleitung

Seit 25 Jahren lehre ich bedingungslose Liebe und spreche dabei in allen Seminaren und Vorträgen regelmäßig vom „Akzeptieren“. Dieses Wörtchen taucht in all meinen Büchern und Artikeln auf. Trotzdem fragt man mich immer wieder Dinge wie:

„Lise, bist du sicher, dass ALLES eines Tages akzeptiert werden kann?“

„Warum vergesse ich alles, was ich über das Akzeptieren gelernt habe, sobald nicht alles nach Wunsch läuft?“

„Ich kann dieser Idee einfach nicht zustimmen, da ich pausenlos das Gefühl habe, mich übertölpeln zu lassen, wenn ich einfach alles akzeptiere.“

„Es fällt mir schwer festzustellen, ob ich eine Situation wirklich akzeptiert oder nur resigniert habe.“

„Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Situation sich entschärft, nur weil ich sie akzeptiere. Das ist zu schön und zu einfach, um wahr zu sein.“

Solche Bemerkungen von Teilnehmern unserer Seminare überraschen mich keineswegs. In meinem Privat- ebenso wie in meinem Berufsleben musste ich immer wieder feststellen, dass die Vorstellung des Akzeptierens als Grundlage der bedingungslosen Liebe zwar einfach, deshalb aber noch lange nicht einfach umzusetzen ist. Obwohl meine Mitarbeiter und ich selbst dieses Konzept nun schon seit vielen Jahren unterrichten, denken auch wir nicht immer an dieses Wundermittel der Wandlung. Gott sei Dank sprechen wir oft davon, sodass wir nicht allzu lange vom Pfad der Liebe abkommen.

Fragen und Kommentare wie die zuvor genannten höre ich in allen Ländern, in denen ich unterrichte. Ganz unabhängig von Rasse, Kultur, Hautfarbe, Alter, Beruf oder Religion streben wir alle nach bedingungsloser Liebe. Es ist ein Ruf unserer Seele, die unglücklich ist, wenn nicht unser Herz, sondern unser Ich unser Leben steuert. In der heutigen Zeit vernehmen wir diesen Ruf immer deutlicher. Wir leben in einer Epoche großer innerer Veränderungen. Ich freue mich, in den verschiedensten Ecken dieser Erde immer und überall auf Menschen zu stoßen, die wirklich nach einem besseren Innenleben streben, da sie intuitiv wissen, dass ihre äußere Wirklichkeit diesem inneren Wandel folgen wird.

Dies war zugleich einer der wichtigsten Gründe für mich, ein Buch über die verschiedensten Formen und Situationen des Akzeptierens, besonders aber die unliebsamen, zu schreiben. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass es dir dabei hilft, das Konzept der bedingungslosen Liebe zu integrieren.

Um dir die Lektüre zu erleichtern und interessanter zu gestalten, will ich die Geschichte einer Familie erzählen, die die unterschiedlichsten Probleme des Akzeptierens durchmacht. Diese Geschichte ist ebenso fiktiv wie die Namen der genannten Personen. Die genannten Beispiele basieren jedoch auf Fällen, die mir im Laufe meiner 25-jährigen Arbeit begegnet sind.

Vielleicht hast du Einwände wie diese, wenn du liest, wie du Frieden stiften, dich und deine Mitmenschen akzeptieren kannst:

„Es wird mir nie gelingen, so über mich selbst zu reden.“

„Ich bin mir sicher, dass die anderen so etwas nie akzeptieren werden.“

„Das ist doch nur ein Buch. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus!“

Diesen erheblichen Widerstand leistet einzig und allein dein Ich. Alle Vorschläge dieses Werks können in die Tat umgesetzt werden. Es genügt, den Entschluss zu fassen und es auszuprobieren. Zum Schluss jedoch eine gute Nachricht: Je mehr wir es versuchen, desto leichter und schneller funktioniert es.

Wie in meinen anderen Büchern duze ich den Leser. Das soll dir helfen, die Gefühle unmittelbarer zu empfinden, vor allem, wenn du dich im einen oder anderen Beispiel wiederfindest.

Nun wünsche ich dir eine gute Lektüre!

Lise Bourbeau

1. Kapitel

Die Sprechstunde

Mein Sekretär teilt mir mit, dass die Frau da ist, die heute in meine Privatsprechstunde kommt.

– Guten Tag, Anna.

– Guten Tag, Frau Bourbeau. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe all Ihre Bücher gelesen und einige Seminare Ihres Zentrums besucht. Schön, dass ich Sie nun persönlich kennenlerne. Ich freue mich besonders, dass ich zu den drei Personen gehöre, mit denen Sie in den nächsten Monaten direkt arbeiten. Man hat mir gesagt, dass das Teil Ihrer Forschungen ist und dass ich deshalb nicht dafür bezahlen muss. Was für ein Privileg dafür ausgewählt worden zu sein! Gott sei Dank kenne ich Ihre Arbeit, sonst hätte ich einem solchen Angebot nicht getraut, fügt sie lachend hinzu.

– Ja, ich bin in den nächsten Monaten hier in Quebec und möchte mit drei Personen in drei ganz bestimmten Bereichen arbeiten. Seitdem wir dieses Angebot auf unserer Webseite bekanntgemacht haben, haben sich zahlreiche Interessenten gemeldet. Wir haben all jene ausgesucht, die mit bedingungsloser Liebe zu tun haben, und haben deinen und zwei weitere Namen gezogen. Bevor wir anfangen, möchte ich wissen, ob du etwas dagegen hast, dass wir uns duzen.

– Nein, kein Problem; im Gegenteil. Das hat mir schon in den Büchern und Seminaren gefallen. Ich habe bisher an drei von euren Seminaren teilgenommen, und einiges ist in meinem Leben besser geworden, auch wenn ich zugeben muss, dass mir der Begriff der bedingungslosen Liebe noch etwas schwerfällt.

– Hmm, erzähle mir doch ein bisschen von dir und deinen Schwierigkeiten.

– Ich bin 38 Jahre alt und seit vierzehn Jahren mit Mario verheiratet, der jetzt 52, also vierzehn Jahre älter ist als ich. Als ich Mario 1991 kennenlernte, war er verheiratet und lebte mit seiner damaligen Frau Rita und ihrem gemeinsamen Sohn David, der damals vierzehn war. Du siehst, die Zahl Vierzehn kommt des Öfteren in unserem Leben vor, und ich frage mich, ob sie nicht Unglück bringt, fügt sie bedächtig hinzu. Ich hoffe, ich werde jetzt nicht abergläubisch. Also zurück zu meiner Geschichte …

… Zwischen uns war es Liebe auf den ersten Blick, und er versprach mir, seine Frau für mich zu verlassen. In Wirklichkeit hat er sie verlassen, weil ich schwanger war, weshalb wir dann auch recht schnell heirateten. Unsere Tochter Sandra ist heute vierzehn Jahre alt. Ja, wieder diese verflixte Vierzehn! Dieser Zusammenhang fiel mir erst auf, als ich mich auf unser heutiges Gespräch vorbereitete. Für Mario war es ein Schock gewesen, als er erfuhr, dass ich schwanger war, da wir uns erst seit wenigen Monaten kannten. Er wusste, dass ich die Pille nahm, und nahm daher an, dass ich zu dem einen Prozent der Frauen gehörte, die trotz der Pille schwanger wurden. Ich sagte ihm, dass das Schicksal es sicher so wollte, dass wir zusammen ein Kind hätten, erzählte ihm aber nicht, dass ich die Pille absichtlich während der Tage des Eisprungs nicht genommen hatte. Ich war froh, ihm nicht die Wahrheit sagen zu müssen, als ich seine Reaktion sah. Wir hatten nie über gemeinsame Kinder gesprochen, da wir uns ja erst so kurz kannten …

… Ich weiß, dass ich nicht absichtlich hätte schwanger werden sollen, doch liebte ich ihn so sehr, dass ich Angst hatte, er würde sich nicht von seiner Frau trennen. Er hatte starke Schuldgefühle wegen dieser Scheidung von einer Frau mit einem jugendlichen Sohn, doch war unsere Beziehung sehr leidenschaftlich und es fiel ihm immer schwerer, Vorwände zu finden, damit wir uns so oft wie möglich sehen konnten. Außerdem hatte ich es satt, an den Wochenenden immer allein zu sein. Er verließ seine Frau Anfang 1992, und wir haben zwei Monate nach Sandras Geburt ganz diskret in Las Vegas geheiratet. Zwischen seiner Scheidung und unserer Hochzeit lag kaum ein Monat. Mehrere Leute sagten mir, dass es nicht gut sei, so bald nach einer gescheiterten Ehe eine neue Beziehung einzugehen, und dass wir hätten warten sollen. Ich glaube, sie hatten recht, denn heute haben wir große Schwierigkeiten.

– Hast du ihm inzwischen gesagt, dass du deine Schwangerschaft geplant hast?

– Nein, ich hatte nie den Mut dazu. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich es ihm schon sagen wollte, doch wagte ich immer in letzter Minute den entscheidenden Schritt nicht und verschob mein Geständnis auf später. Ich erfand immer alle möglichen Gründe dafür. Ich bin ein Feigling, nicht wahr?

– Es geht hier nicht darum, dein Verhalten zu verurteilen. Ich stelle dir diese Fragen nur, um dir zu helfen, dich selbst zu entdecken. Höre genau auf die Worte, die du gebrauchst, um mir deine Geschichte zu erzählen, denn sie sind sehr aufschlussreich. Was sind zurzeit eure größten Probleme?

– Ich vertraue ihm nicht mehr, da ich ihn im Verdacht habe, eine Beziehung mit einer anderen Frau zu haben. Ich versuche ja loszulassen, aber es will mir nicht gelingen, vor allem nicht in dieser Beziehung. Ich spioniere ihm pausenlos nach und versuche es mir nicht anmerken zu lassen. Kannst du dir vorstellen, wie viel Stress das bedeutet? Wenn er heimkommt, ist er immer müde und schläft schon auf dem Sofa ein. Er redet kaum noch mit Sandra und mir. Er sagt, seine Haltung tue ihm leid, und er wisse auch nicht, was mit ihm los sei. Das sei sicher nur vorübergehend und ich solle den Mut nicht aufgeben und nur etwas Geduld haben. Wir schlafen gelegentlich noch miteinander, doch ist auch das nicht mehr, was es einmal war …

… Sein Sohn David ist jetzt 28 und hat einen vier Jahre alten Sohn. Mario denkt nicht einmal an seinen Enkel. Die Initiative, ihn zu besuchen, kommt immer von mir. Als ich Mario vorschlug, einen Arzt wegen Depressionen aufzusuchen, meinte er nur, er brauche keinen Arzt.

– Wie lange hegst du schon diesen Verdacht?

– Ich weiß nicht recht. Ich spüre ihm nun schon seit etwa zwei Jahren nach, aber ich glaube, das muss schon früher begonnen haben, nur wollte ich es wohl nicht wahrhaben. Ich frage ihn ständig, was los ist, und beschwere mich über seine Haltung. Erst als ich erfuhr, dass ich hierherkommen würde, habe ich mir die Zeit genommen, mein aktuelles Leben etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei fiel mir auf, dass ich ihm nie von meinen Zweifeln erzählt habe, aus Angst davor, was passieren könnte. Es ist ganz so, als ob ich lieber gar nichts wissen möchte, als vielleicht etwas Unliebsames erfahren zu müssen. Es tut mir wirklich gut, endlich darüber sprechen zu können.

– Wir kommen gleich wieder auf dein jetziges Leben zurück, doch wollte ich dich vorher noch etwas fragen. Arbeitet Mario seinerseits an sich?

– Er hat vor ein paar Jahren dein erstes Buch gelesen und auch an einem eurer Seminare teilgenommen. Wir wurden von unserer Schwiegertochter auf deine Arbeit aufmerksam gemacht, die dich mit achtzehn entdeckt hat. Sie war so begeistert, dass sie uns dein erstes Buch geschenkt und uns ans Herz gelegt hat, ein Seminar zu besuchen. Später hat Mario das Interesse verloren. Ich hatte mir vorgenommen, weitere Seminare zu besuchen, doch habe ich es bisher immer auf später verschoben …

… Ich habe da noch ein anderes Problem. Mario sagt pausenlos: „Tu dies oder jenes mit DEINER Tochter.“ Er will sich immer heraushalten und hätte am liebsten, dass ich alle Entscheidungen in Erziehungsfragen treffe. Und wenn dann etwas schiefläuft, macht er mir Vorwürfe und sagt, ich könne nicht mit ihr umgehen.

– Du hast mir nun von mehreren Problemen erzählt. Kommen wir auf das Erste zurück, deine Angst, von Mario betrogen zu werden. Es ist besser, nicht alle Probleme gleichzeitig anzupacken. Wir kommen in den nächsten Sprechstunden auf die anderen zurück. Wie fühlst du dich in dieser Situation?

Anna atmet tief durch. Plötzlich stehen ihr Tränen in den Augen. Sie sieht mich einen Augenblick an, und ihr Ausdruck wird immer trauriger. Ich sage nichts und reiche ihr ein Taschentuch und ein Glas Wasser. Nach einer Weile fährt sie fort:

– Ich sehe, dass meine größte Angst die ist, Mario zu verlieren. Ich liebe ihn so sehr und mein innigster Wunsch ist, den Rest meines Lebens mit ihm zu verbringen.

– Wie fühlst du dich? Schließe die Augen und versuche zu fühlen, was in dir hochkommt, wenn du dir vorstellst, ihn zu verlieren.

– Ich bin so traurig und fürchte mich sehr. Ich habe das Gefühl, eine riesige Kugel im Bauch zu haben. Außerdem bin ich wütend. Ich weiß, dass ich diese Wut schon lange schlucke. Ich habe Angst, die Kontrolle zu verlieren und diesem Zorn freien Lauf zu lassen, weil ich dann schuld daran wäre, dass er mich verlässt. Allein der Gedanke, allein zu sein, versetzt mich in Panik. Ich glaube sogar, dass unsere Tochter dann lieber bei ihrem Vater leben würde. Mit ihm kann sie tun und lassen, was sie will. Für mich würde das bedeuten, dass mein Leben umsonst war. Ich weiß nicht, ob ich das überstehen würde.

– Zusammenfassend könnten wir also sagen, dass dich zurzeit besonders Marios Haltung und Verhalten dir und den anderen Familienmitgliedern gegenüber und die Möglichkeit stören, dass er dich betrügt. Deine größte Angst ist jedoch, die Liebe deines Mannes und deiner Tochter zu verlieren und von allen verlassen zu werden. Stimmt das so?

– Ja, Lise, genauso ist es. Es war mir nie so richtig klar geworden, wie sehr ich mich davor fürchte, verlassen zu werden. Ich habe den Kurs „Heile die Wunden deiner Seele“ besucht, doch hatte ich mich nicht in den Körpermerkmalen der Wunde des Verlassenwerdens wiedererkannt. Ich hatte also nicht geglaubt, dass mich diese Problematik betrifft. Ich finde, dass meine Wunde des Vertrauensbruchs wesentlich offensichtlicher ist. Es sieht so aus, als müsste ich mich um beide kümmern, nicht wahr?

– Alles zu seiner Zeit. Wir werden später auf die Zusammenhänge mit den Wunden deiner Seele eingehen. Zuvor noch ein paar Fragen: Was möchtest du von deinem Leben? Was erwartest du von mir und welche Art von Hilfe hättest du gern?

– Das ist einfach. Ich möchte meinen Mann behalten und hätte gern eine engere Familie und nicht eine, die sich immer mehr auseinanderlebt. Ich hoffe von dir die Mittel zu bekommen, diese Ziele zu erreichen.

– Niemand kann dir versichern, dass du deinen Mann behalten wirst, da dies von ihm abhängt. Du weißt, dass du weder ihn noch deine Tochter zwingen kannst, bei dir zu bleiben. Willst du wissen, warum du diese Situation bewirkt hast? Bist du bereit, die Verantwortung für all das zu übernehmen, was dir nun widerfährt? Ich frage dich das, weil ich dir nicht – auch wenn du es dir vielleicht noch so sehr wünschst – sagen werde, dass dein Mann und deine Tochter schuld daran sind, dass du unglücklich bist. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Schuld bei dir liegt. In Wirklichkeit kommt niemandem Schuld zu. Es gibt nur Menschen, die leiden und nicht wissen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen sollen … Doch kann ich dir helfen, die Ursachen deiner Probleme zu finden und zu akzeptieren, was mit dir geschieht, ganz gleich, ob es deinen Wünschen entspricht oder nicht.

– Natürlich möchte ich gern die Gründe meiner aktuellen Schwierigkeiten kennen, doch ist es von hier noch ein großer Schritt zu akzeptieren, dass mein Mann mich verlässt. Glaubst du wirklich, dass eine Frau, die ihren Mann liebt, so etwas so einfach akzeptieren kann?

– Anna, deine Reaktion ist völlig menschlich. Ich habe nie gesagt, dass es einfach ist, solche Situationen zu erleben. Aber trotzdem bin ich überzeugt davon, dass du in dir die nötige Liebe finden kannst, um jede auch noch so unangenehme Situation zu akzeptieren. Um uns auf die verschiedensten Begebenheiten einstellen zu können, müssen wir oft vieles loslassen. Das ist ein Zeichen von Weisheit. Wir wollen, dass alles nach unseren Wünschen läuft, aber das ist eigentlich nur das Verlangen nach Kontrolle. Ist dir schon aufgefallen, dass solche Kontrolle nichts bringt, vor allem keinen inneren Frieden? Den findest du nur durch wahre Liebe. Bist du einverstanden, dass wir darüber sprechen?

– Natürlich, ich brenne darauf! Ich halte diese Situation schon viel zu lange nicht mehr aus und bin für alles offen. Ich hoffe, dass wir eine Lösung finden werden, damit unsere Ehe wieder ins Lot kommt.

– Wenn das so ist, Anna, dann würde ich vorschlagen, dass du das nächste Mal Mario mitnimmst. Frage ihn einfach, ob er nicht mitkommen möchte. Wenn er will, kann er später wiederkommen, wenn die Umstände erfordern, dass ihr beide zugegen seid. Beim nächsten Treffen können wir dann näher darauf eingehen, was wahre Liebe ist, damit ihr selbst die nötigen Mittel und Wege für eure Partnerschaft und Familie findet …

… Glaubst du, dass du bis zu unserem nächsten Termin den Mut findest, Mario reinen Wein einzuschenken und ihm alles zu sagen? Dass du glaubst, er habe eine andere Beziehung, und Angst hast, er könnte dich verlassen? Meinst du, in der Lage dazu zu sein, ihm bei der Gelegenheit zu sagen, dass du absichtlich schwanger geworden bist? Außerdem würde ich dir raten, mit deiner Mutter zu reden und herauszufinden, ob sie an denselben Ängsten litt wie du, also nicht mehr von ihrem Mann und ihren Kindern geliebt zu werden.

– Da verlangst du sehr viel von mir! Ich weiß nicht, ob ich dazu fähig bin.

– Tu, was du kannst. Für mich ist es wichtig, jedes unserer Treffen mit konkreten Aktionen zu besiegeln. Wir können unerwünschte Situationen nur durch anderes Verhalten überwinden. Am wichtigsten ist jetzt jedoch, dass du den ersten Schritt tust, das heißt, dir einzugestehen, dass du im Augenblick vielleicht nicht so handelst, wie du es gern hättest, aber dass du es noch nicht anders kannst. Erinnerst du dich, wie oft du in dem Seminar der Seelenwunden gehört hast, dass es normal und menschlich ist zu reagieren, wenn du leidest? Alles, was mit deinem Mann und deiner Tochter nicht nach Wunsch läuft, geht auf deine Seelenwunden und die Reaktionen deiner Umwelt auf sie zurück. Du musst dir und deinen Mitmenschen also zugestehen, menschlich zu sein, und deine noch unverheilten Wunden und Grenzen akzeptieren.

WAS WIR UNS HIER MERKEN SOLLTEN

Es genügt nicht, über bestimmte Situationen zu reden. Wir können dem Problem auf den Grund gehen, indem wir die betreffende Person fragen, wie sie sich in dieser Situation fühlt. Außerdem sollte sie sich darüber bewusst werden, wie sie ihr begegnen will.

Wir sollten nur ein Problem auf einmal angehen.

Wollen wir, dass alles nach unseren Wünschen abläuft, so streben wir nach Kontrolle. Solange wir jedoch nicht loslassen, wird sich gar nichts ändern.

Niemanden trifft Schuld. Es gibt nur leidende Menschen, die nicht mit einer Situation umzugehen wissen.

Unliebsame Situationen können nur mit einer veränderten Haltung bewältigt werden.

Der wichtigste Schritt besteht darin, den Augenblick zu akzeptieren. Wir müssen akzeptieren, dass unser Leid durch unsere Reaktion auf eine aktivierte Seelenwunde hervorgerufen wird und dass wir alle nur Menschen mit unverheilten Wunden sind.

2. Kapitel

Die verschiedenen Facetten der Liebe

Eine Woche später sitzen Mario und Anna bei mir. Letzterer ist wesentlich offener, als ich es erwartet hatte. Anna scheint sehr glücklich zu sein, dass ihr Mann sie zu diesem Gespräch begleitet hat.

Mario wünscht mir einen guten Tag.

– Ich bin froh, dich kennenzulernen. Anna hat mir von eurem letzten Treffen und davon erzählt, an sich arbeiten zu wollen, doch hielt sie es für besser, euer letztes Gespräch nur in groben Zügen zu schildern. Ich muss zugeben, sie hat meine Neugier geweckt. Irgendwie hat sie sich in der letzten Woche verändert: Sie ist wesentlich ruhiger geworden. Ich bin zwar heute mitgekommen, doch weiß ich nicht, ob mich diese Therapie interessiert.

– Danke, dass du heute hier bist, Mario. Was die Zukunft betrifft, so liegt die Entscheidung, ob dieser Weg dir zusagt oder nicht, einzig und allein bei dir. Überstürzen wir nicht die einzelnen Schritte, in Ordnung? …

Ich habe das Gefühl, dass Mario vor allem hier ist, um Anna einen Gefallen zu tun, wenn er auch ein wenig neugierig ist. Er ist vorsichtig und auf der Hut. Gut, dass er meine Arbeit kennt, sonst wäre er wohl wesentlich misstrauischer. Allein schon der Umstand, dass diese beiden gemeinsam zu solch einem Treffen kommen, ist ein kleiner Sieg für das Paar. Marios Blick und leichtes Kopfnicken geben mir zu verstehen, dass er schätzt, dass ich ihn nicht zu überreden versuche, Annas Beispiel zu folgen und dies seinem freien Willen überlasse. Ich fahre daher fort:

… Wenn ein Paar Beziehungsschwierigkeiten hat, so finde ich es besser, dass beide da sind, damit ich beide Versionen hören kann. So bekomme ich einen besseren Eindruck von der Situation. Mario, findest auch du, dass eure Partnerschaft und euer Familienleben einer gewissen Verbesserung bedürfen?

– Ja, ich muss zugeben, dass Anna hier recht hat. Aber frage mich nicht, wie wir an diesen Punkt gelangt sind. Es ist ganz von allein passiert. Unser Leben hat sich so allmählich verändert, dass ich es nicht habe kommen sehen. Doch glaube ich nicht, dass die Situation für mich ebenso schmerzhaft ist wie für Anna. Sie hat sich immer mehr Sorgen gemacht als ich, fügt er mit einem charmanten Lächeln und einem an seine Frau gerichteten Augenzwinkern hinzu. Mir scheint es normal, dass eine Ehe nach vierzehn Jahren nicht mehr so ist wie am Anfang. Doch wenn ich mein Leben mit Anna mit meiner ersten Ehe vergleiche, dann sind da doch große Unterschiede. Rita hielt ich überhaupt nicht mehr aus und ich richtete es immer ein, so wenig wie möglich zu Hause zu sein. Trotzdem habe ich nichts dagegen, unsere Situation zu verbessern, wenn das möglich ist.

– Das finde ich toll, Mario. Ich freue mich, dass auch du findest, dass eine Verbesserung möglich ist, sonst wäre es schwierig, gemeinsame Lösungen zu finden. Ich möchte damit beginnen, noch einmal den Begriff wahrer Liebe mit euch zu besprechen. Seid ihr damit einverstanden?

Beide stimmen zu und Mario fügt hinzu:

– Mein letztes Seminar hier ist sicher schon fünf Jahre her und eine kleine Wiederholung kann da sicher nicht schaden.

– Das Wort Liebe ist wahrscheinlich das meistgebrauchte der Welt. Es wird in so vielen Zusammenhängen verwendet, dass es schwierig ist, seine wahre Bedeutung zu kennen. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass bestimmte Haltungen und Handlungsweisen oft fälschlich für wahre Liebe gehalten werden. Betrachten wir gemeinsam einige davon: …

… Beginnen wir mit der ZUNEIGUNG. Handelt es sich hier wirklich um Liebe? Manchen fällt es leicht, ihren Mitmenschen ihre Zuneigung zu zeigen, während sie sich selbst jedoch kritisieren und erniedrigen. Sie verdeutlichen ihre Sympathie oft durch besondere Aufmerksamkeit, Geschenke, offene Warmherzigkeit oder eine feste Umarmung, die die anderen spüren lässt, dass sie wichtig in ihrem Leben sind. Solche Gesten der Zuneigung können zwar willkommen sein, sind deshalb aber noch lange kein Zeichen für wahre Liebe. Steckt auch nur die geringste Erwartung dahinter, handelt es sich nicht um ein Geschenk aus Liebe, sondern vielmehr um den Versuch, selbst Liebe durch dieses Verhalten zu bekommen …

… Zu dieser Kategorie gehören auch besonders überschwängliche Personen. Demonstratives Verhalten hat jedoch nichts mit Liebe zu tun, sondern ist lediglich ein Charakterzug. Manche Menschen bringen anderen ihre Liebe nie durch Worte zum Ausdruck und sind dennoch erfüllt davon. Sie sind einfach keine expressiven Typen. Sie verdeutlichen ihre Liebe eben anders. Man muss sie nur besser kennen. Vielleicht entdecken wir später, dass wir es hier tatsächlich mit wahrer Liebe zu tun hatten …

… Zeigt jemand anderen gegenüber MITLEID, so wird auch das oft fälschlich als Liebe ausgelegt. Es handelt sich hier jedoch vielmehr um die Fähigkeit, das Leid oder Unglück unserer Mitmenschen mitempfinden zu können. In der Regel leidet dadurch nicht nur der „Leidende“ selbst, sondern auch der „Mitleidende“. Meist spürt der Erstere, dass der Letztere dadurch eine Form der Überlegenheit gewinnt. Er meint den Eindruck zu vermitteln, sich nicht selbst helfen zu können, und fühlt sich dadurch unterlegen …

… Manche meinen durch SELBSTLOSIGKEIT wahre Liebe zu leben. Das ist manchmal tatsächlich der Fall, doch oft auch nicht. Nur allzu häufig wird diese Haltung durch Schuldgefühle, Ängste oder Pflichtgefühl bedingt. Sie opfern sich für andere oder eine Sache, die in ihren Augen wichtiger ist als sie selbst. Der Vorstellung des Opfers liegt aber auch die zugrunde, den Willen eines anderen auszuführen. Daher vernachlässigen selbstlose Menschen oft ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten anderer. Dafür erwarten sie meist Dankbarkeit und Anerkennung. Bleiben diese jedoch aus, kommt es zu den verschiedensten Gefühlen, allen voran Frustration …

… Auch Leidenschaft wird oft fälschlich für die „große Liebe“ gehalten. So war das wohl auch bei euch beiden am Anfang eurer Beziehung, nicht wahr? Es ist vor allem diese Liebe, die uns sprichwörtlich blind werden lässt. Der eine meint, nicht mehr ohne den anderen leben zu können. Er kann nicht akzeptieren, dass der andere ohne ihn glücklich ist oder bestimmte Dinge ohne ihn tun will. Er lebt nur noch für die Augenblicke, die er mit dem anderen teilt. Dieser wird über die Wirklichkeit hinaus idealisiert, indem ihm all die gewünschten Eigenschaften zugeschrieben werden. All seine Fehler und Mängel werden übersehen. Diese Art von Liebe hat schon viele Paare scheitern lassen, unzählige Probleme bei der Arbeit bereitet und Menschen zerstört. Leidenschaftliche Menschen treffen oft impulsive und unüberlegte Entscheidungen, um ihrer Leidenschaft entgegenzukommen. Das hat also auch nichts mit wahrer Liebe zu tun …

… Ich will damit nicht sagen, dass Leidenschaft keinen Platz in der wahren Liebe hat. Viele Beziehungen sind vor allem anfangs leidenschaftlich, während die wahre Liebe sich erst im Lauf der Zeit herauskristallisiert. Leute, die diese mit Leidenschaft verwechseln, verlassen ihren Partner, sobald jene an Intensität verliert. Menschen, die wahre Liebe in der Beziehung erfahren wollen, wissen intuitiv, dass jene ganz langsam an den Tag tritt, wenn die Leidenschaft ihr den Platz lässt …

… Ein weiterer Fehlschluss ist die Annahme, Sexualität sei ein Zeichen für wahre Liebe. Glaubt ihr das?

Mario ergreift sofort das Wort:

– Jeder weiß, dass man mit jemandem ins Bett gehen kann, ohne ihn zu lieben.

– Da sprichst du im Namen der Männer, Mario, erwidere ich ihm lächelnd. Du wärest überrascht, wenn du wüsstest, wie viele Frauen, aber auch Männer dennoch davon überzeugt sind, dass SEXUALITÄT ein Liebesbeweis ist. Wie viele Mädchen verlieben sich in den Jungen, mit dem sie das erste Mal geschlafen haben. Dasselbe gilt für viele erwachsene Frauen, die sich Hals über Kopf in den ersten Mann verlieben, mit dem sie nach einer gescheiterten Beziehung schlafen …

… Es stimmt schon, zahlreiche Männer behaupten, man könne Sex auch ohne Liebe haben. Doch wie oft habe ich schon gehört, dass sich Männer beklagen, weil ihre Partnerin nicht so oft mit ihnen schläft, wie sie es gerne hätten. Du siehst also, Mario, dass Männer und Frauen sich diesbezüglich gar nicht so unähnlich sind, wie du es vielleicht meinst, nur bringen sie es eben anders zum Ausdruck. Frauen haben Sex aus Liebe, Männer haben Sex für die Liebe. Sex ist also in Wirklichkeit auch nicht die wahre Liebe. Doch kann Sexualität vereint mit wahrer Liebe eine wunderbare Erfahrung des Verschmelzens sein und außerordentliche Freuden bereiten. Aber nur allzu oft kommen zum Geschlechtsakt Pflichtgefühle, die Angst, den anderen zu verlieren oder ihm zu missfallen, das Bedürfnis nach Zuneigung, Manipulation, Angst vor der Reaktion oder gar Gewalt des anderen oder ganz einfach das Verlangen nach Sinnesfreuden oder Macht …

… Auch POSSESSIVITÄT wird oft mit Liebe verwechselt. Eine solche Haltung kommt oft dadurch zum Ausdruck, dass mit allen Mitteln versucht wird, die geliebten MENSCHEN GLÜCKLICH ZU MACHEN. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch ihr euch in dieser Definition wiedererkennt, da viele das für wahre Liebe halten. Damit will ich nicht sagen, dass wir anderen gegenüber gleichgültig sein oder uns nicht um ihr Glück oder Unglück kümmern sollen. Ich spreche eher von all jenen, die nicht glücklich sein können, wenn sie einen geliebten Menschen unglücklich ahnen. Das geschieht sehr oft zwischen Eltern und Kindern oder zwischen Partnern. Wir können Mitgefühl mit denen haben, die leiden, und ihnen unsere Hilfe anbieten. Leiden wir jedoch mit ihnen und können dadurch selbst nicht glücklich sein, so ist das kein Beweis für unsere Liebe.

Anna sieht mir sehr direkt in die Augen und scheint mir nicht zuzustimmen.

– Bis hierher war ich mit allem einverstanden, was du gesagt hast, doch kann ich mir nicht vorstellen, glücklich zu sein, während geliebte Menschen unglücklich sind. Kennst du viele, denen das gelingt?

– Dazu müssen wir zuerst erkennen und in der Folge akzeptieren, dass niemand einen anderen glücklich machen kann. Glück kann immer nur aus unserem eigenen Inneren kommen. Deine Reaktion, Anna, beruht darauf, dass du zwischen Extremen springst. Ist man unbedingt gleichgültig, wenn man trotz des Unglücks eines anderen glücklich ist?

– Aber natürlich! Was ist denn GLEICHGÜLTIGKEIT sonst?

– Ich würde sagen, dass eine solche beobachtende Haltung eher ein Zeichen von Verantwortungsbewusstsein ist. Zu deiner Erinnerung: Verantwortung heißt, die Folgen unserer Handlungen zu tragen und die anderen diejenigen ihrer eigenen Entscheidungen übernehmen zu lassen. Entscheidet dein Partner, einer deiner Eltern oder dein Kind, unglücklich zu sein, so hat er dafür auch die Konsequenzen zu tragen. Macht seine Entscheidung dich unglücklich, dann trägst du die Folgen der Entscheidung eines anderen. Ich weiß, dass es vielen schwerfällt, diese Vorstellung der Verantwortung zu akzeptieren, und wir werden sicher noch ein paar Mal darauf zu sprechen kommen. Je mehr dir das gelingt, desto mehr wirst du feststellen, dass es einen gesunden Mittelweg zwischen Gleichgültigkeit und dem Gefühl gibt, für das Glück anderer verantwortlich zu sein …

… Ich sagte also, dass sehr possessive oder eifersüchtige Menschen davon überzeugt sind, dadurch ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen. Wie kann man eine solche Haltung an anderen feststellen? Sie wollen immer wissen, was du tust, denkst oder wo du bist, kurz, alles, was dich betrifft. Es ist ein wahrer Steuermechanismus. Sie bedienen sich aller Mittel, die in ihrer Macht stehen, um die Aufmerksamkeit und Präsenz des anderen zu gewinnen. Sie drohen, drängen, klagen, schmollen, werden krank, haben Unfälle, zeigen sich schwach, überhäufen mit Aufmerksamkeit, verwöhnen, streicheln, spionieren, stöbern in intimen Dingen usw. …

… Ganz gleich, welches Mittel sie nun einsetzen, sie sind immer überzeugt davon, den anderen zu helfen und meinen, dies im Zeichen der Liebe zu tun, unter deren Banner alles erlaubt ist. Sie sagen oft: „Ich tue das nur, weil ich dich mag“ oder „Ach, wenn ich dich doch nur nicht so lieben würde. Du zwingst mich dazu, so zu handeln.“ Sie übernehmen nur selten ihre Verantwortung und neigen dazu, anderen die Schuld für ihr Unglück zu geben, da ihr Glück ja von ihnen abhängt …

Mir fällt auf, dass Anna errötet, den Kopf senkt und sich ganz offensichtlich nicht so wohl in ihrer Haut fühlt. Sie fängt an, in ihrer Handtasche herumzusuchen, holt ein Taschentuch heraus und tut so, als ob sie sich schnäuzte. Mario scheint ihre Haltung nicht weiter zu bemerken und hört weiter aufmerksam zu.

… Schließlich gibt es da aber auch noch die WAHRE, BEDINGUNGSLOSE LIEBE, die in allen zwischenmenschlichen Beziehungen zum Ausdruck kommen kann; ganz gleich, ob sie auf Vater, Mutter, Geschwister, Partner oder Freunde gerichtet ist. Hier ein paar Punkte, die uns zeigen, dass es sich tatsächlich um wahre Liebe handelt:

FÜR SICH SELBST

·Ich gestehe mir das Recht zu, in jedem Augenblick so zu sein, wie ich bin, auch wenn ich gerade nicht so bin, wie ich es gern hätte (vielleicht bin ich ungeduldig, lüge oder Ähnliches).

·Ich akzeptiere, dass ich anders als andere bin, und urteile nicht über mich.

·Ich bin imstande, mir Freude zu machen, auch ohne es unbedingt zu verdienen.

·Ich gestehe mir zu, menschlich zu sein (z. B. Ängste, Schwächen oder Grenzen zu haben).

·Ich verliere nie aus den Augen, dass es keine Fehler, sondern nur verschiedene Erfahrungen gibt, wodurch ich Selbstverurteilung meide.

·Ich lasse eher mein Herz entscheiden, als mich von der Vorstellung von Gut und Böse lenken zu lassen, die andere mir diktieren.

·Ich lerne aus jeder Erfahrung, anstatt mich dafür zu verurteilen.

·Ich höre auf meine Bedürfnisse, auch wenn die anderen mir etwas anderes raten.

·Ich fühle mich wohl in meiner Haut, auch wenn ich nicht meinen Erwartungen entspreche oder meine Versprechen mir oder anderen gegenüber halte.

·Ich beobachte, was geschieht, auch wenn eine Stimme in mir nicht damit einverstanden ist.

·Ich verliere nie aus den Augen, dass niemand anders für mein Glück zuständig ist. Ich bin allein für alles verantwortlich, was mit mir geschieht.

FÜR DIE ANDEREN

·Ich gestehe ihnen das Recht zu, in jedem Augenblick so zu sein, wie sie sind, auch wenn sie gerade nicht so sind, wie ich es gern hätte (z. B. faul oder negativ)

·Ich akzeptiere, dass sie anders sind als ich, und urteile nicht über sie.

·Ich berate andere, ohne sie steuern zu wollen oder etwas dafür zu erwarten.

·Ich gestehe ihnen zu, menschlich zu sein (z. B. Ängste, Schwächen oder Grenzen zu haben).

·Ich verliere nie aus den Augen, dass jeder Erfahrungen nach seinem eigenen Lebensplan machen muss.

·Ich lasse sie diese Erfahrungen machen und selbst für die Konsequenzen aufkommen.

·Ich kann ohne Erwartungen um etwas bitten, d. h. ohne mich ungeliebt zu fühlen, wenn mir nicht entsprochen wird.

·Ich vergesse nicht, dass ich nur dann Erwartungen haben sollte, wenn diese auf einem klaren Abkommen basieren.

·Ich beobachte die anderen, anstatt sie zu beurteilen oder zu kritisieren.

·Ich weiß, dass ich andere nicht glücklich machen kann; jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.

Interessanterweise halten viele auch heute noch eine solche Definition der wahren Liebe für egoistisch. Sie meinen, es sei EGOISMUS, vor den anderen zuerst an sich zu denken. Findet ihr das auch, dann will ich euch meine Definition nicht vorenthalten: Es ist egoistisch zu erwarten, dass andere sich zuerst um uns kümmern, und zu glauben, sie seien für unser Glück verantwortlich. Das ist nämlich das genaue Gegenteil von wahrer Liebe.

– Anna, könntest du mir ein Beispiel sagen, in dem du Mario einen Egoisten geschimpft hast?

– Das ist nicht schwer, antwortet Anna sofort. Ich finde ihn oft egoistisch, vor allem, wenn er früh von der Arbeit heimkommt. Ich komme abends um sieben müde von meinem Arbeitstag und der langen Fahrt mit Bus und U-Bahn nach Hause. Ich arbeite in einem Kinderbekleidungsgeschäft in der Innenstadt und stehe fast den ganzen Tag. Kaum bin ich zur Tür herein, sagt Mario: „Ich habe großen Hunger. Dauert es lange, bis das Essen fertig ist?“ Kannst du dir vorstellen, wie frustrierend das ist? Er fährt mit dem Auto zur Arbeit. Er kommt manchmal zwei Stunden vor mir heim. Aber glaubst du, er würde daran denken, sich ums Essen zu kümmern? Aber ich glaube, was mich am meisten an dieser Geschichte aufregt, ist der Umstand, dass er mich das fragt, bevor er mich überhaupt begrüßt oder sich erkundigt hat, wie es mir geht.

– Sieh mal einer an, mein Schätzchen, erwidert Mario sofort. Du weißt doch ganz genau, dass ich das Auto brauche, weil ich oft an verschiedene Orte fahren muss. Außerdem hab ich nicht die geringste Lust zu kochen. Wenn ich aber um vier mit der Arbeit fertig bin, dann doch auch nur, weil ich sehr früh angefangen habe. Ich bin also auch müde, wenn ich heimkomme. Ich weiß nicht, worüber du dich beklagst. Du müsstest doch gar nicht arbeiten. Ich habe dir schon ein paar Mal gesagt, dass mein Gehalt für die ganze Familie reicht. Du bist es doch, die darauf besteht zu arbeiten.

– Du weißt ganz genau, dass es mich wahnsinnig machen würde, den ganzen Tag zu Hause bleiben zu müssen. Diese Arbeit ist wichtig für mich. Außerdem hast du immer gute Gründe, dich von mir bedienen zu lassen. Der größte Idiot kann doch kochen! Ich verlange ja kein Festmahl. Schon ein kleines Omelett würde mir Freude machen. Du willst mir doch nicht vormachen, dass du nicht einmal ein paar Eier in die Pfanne schlagen kannst. Du bist ein genialer Typ und ein ausgezeichneter Bastler. Ich bin mir sicher, dass du es könntest, wenn du nur wolltest.

Ich beobachte, wie sich die beiden in ihren Streit verzetteln, und kann mir gut vorstellen, dass solche Szenen häufig bei ihnen sind. Sie scheinen es gewohnt zu sein und darüber sogar meine Anwesenheit vergessen zu haben. Ich räuspere mich, um mich bemerkbar zu machen. Sie hören mit einem Schlag auf und sehen mich etwas betroffen an. Ich breche in Lachen aus, was sie zu beruhigen scheint. Nach einer Weile lachen sie mit.

– Euch zuzusehen gibt mir einen besseren Einblick in eure Geschichte. Ich habe nur nach einem Beispiel für Egoismus gefragt. Das scheint einen empfindlichen Punkt getroffen zu haben, nicht wahr, Anna? Jetzt bist du dran, Mario, mir ein Beispiel für ein egoistisches Verhalten von Anna zu geben.

– Da hätte ich viele. Hier ein Beispiel: Sie will immer, dass ich sie anrufe, wenn ich später nach Hause komme … Sie will ständig wissen, wo und bei wem ich bin und wann ich heimkomme. Ich bin Einkäufer für einen großen Betrieb und trage viel Verantwortung. Es kommt oft vor, dass ich einen Vertreter auf ein Glas oder zum Essen einlade. Da macht man bessere Geschäfte. Anna beschwert sich, dass ich nicht an sie denke. Sie sagt, für mich seien die Kunden wichtiger als sie, und schmollt, wenn ich heimkomme. Ich finde, da denkt sie wirklich nur an sich selbst. Sie sollte froh sein, dass ich ein so gutes Gehalt nach Hause bringe. Ja wirklich, manchmal habe ich die Nase gestrichen voll!

Je länger er redet, desto mehr steigert er sich in seine Emotionen und wird ganz rot dabei. Ich sehe ihm in die Augen, um ihm zu zeigen, dass ich ihm aufmerksam zuhöre. Schließlich hole ich tief Luft, was ihn dazu motiviert, es mir gleichzutun.

Anna neben ihm will schon mit einer Antwort loslegen, doch blickt sie mich an und zuckt dann nur die Schultern. Auch sie atmet nun tief durch und bekommt sich wieder unter Kontrolle, doch spüre ich, dass sie einiges dagegen einzuwenden hätte.

– Glaubt ihr, dass die von euch erläuterten Beispiele wirklich meiner Definition von Egoismus entsprechen?

Sie sehen sich beide an und wissen nicht recht, was sie darauf antworten sollen. Es ist mir klar, dass beide immer noch den anderen für den Egoisten halten.

– Ich wiederhole: Egoismus bedeutet, anderen etwas zu unserem eigenen Vorteil wegzunehmen und zu glauben, sie seien für unser Glück zuständig. Du, Anna, hättest gern, dass Mario sich um dein Bedürfnis kümmert, bei deiner Heimkehr von der Arbeit ein fertiges Gericht vorzufinden. In diesem Fall ist aber nicht Mario egoistisch, denn die Erwartungen hast ja du. Mario lehnt sie lediglich ab. Er nimmt dir nichts weg, er gibt dir nur nicht, was du gerne hättest. Andererseits willst du ihn um seine Ruhezeit zu Hause bringen …

… Wisst ihr, jeder hat das Recht dazu, so viele Erwartungen zu haben und um so viele Dinge zu bitten, wie er will. Aber das heißt noch lange nicht, dass ihnen deshalb entsprochen werden muss. Verstehen und akzeptieren wir, dass wir die Wünsche anderer nicht unbedingt erfüllen müssen, so fällt es uns auch leichter, wenn andere uns manchmal etwas abschlagen. Sehen wir ein, dass wir nicht auf dieser Erde sind, um den Bedürfnissen anderer zu entsprechen, so lernen wir, uns um unsere eigenen zu kümmern. Das nenne ich EIGENLIEBE. Brauchen wir andere, um unsere Wünsche zu erfüllen, so dürfen wir nie aus den Augen verlieren, dass sie das Recht haben, uns diese zu verweigern. Dann müssen wir eben Mittel und Wege finden, sie anders zu verwirklichen. In deinem Fall, Anna, wünschst du dir ein fertiges Essen, wenn du von der Arbeit heimkommst. Warum bittest du Mario nicht ganz direkt darum? Stimmt er zu, so macht er es vielleicht selbst oder bestellt es irgendwo. Vielleicht sagt er aber auch Nein. Dann denke daran, dass dieses Nein nur deinem Ansuchen, nicht aber deiner Person gilt …

… Und du, Mario, siehst du, dass auch du Erwartungen Anna gegenüber hast? Du willst, dass sie immer guter Laune ist, egal welche Entscheidung du triffst oder wann du nach Hause kommst. Du hast das Recht, das zu erwarten, aber auch ihr steht es frei, dieser Erwartung nicht zu entsprechen. Verstehst du, dass es ihre Grenzen überschreitet, deinen Wunsch zu erfüllen, ganz so wie es deine Grenzen zu überschreiten scheint, für sie am Abend zu kochen? Denkt also immer dran, dass der Egoist derjenige ist, der erwartet, dass der andere seinen Bitten entspricht. Tut jener es nicht, so hört er lediglich auf seine eigenen Bedürfnisse oder Grenzen. Er will damit keineswegs sagen, dass er den anderen deshalb nicht mehr mag. Ihr habt aber sicher beide bemerkt, dass der Vorwurf des Egoismus meist auf einen Mangel an klarer Kommunikation zurückgeht. Wir können dieses Thema gern bei späteren Treffen noch einmal zur Sprache bringen …

… Wisst ihr, warum so viele andere als Egoisten bezeichnen, wenn sie ihren Erwartungen nicht entsprechen? Sie verwechseln LIEBEN und GEFALLEN. Gefallen ist nicht lieben. Das ist sehr wichtig! Ist euch aufgefallen, dass es in den beiden Beispielen von vorhin immer darum ging, dass dem einen das Verhalten des anderen missfällt? Das ist aber auch schon alles! Gefallen bedeutet lediglich, dem anderen Freude zu machen. Das fällt in den Bereich des Habens und Tuns und nicht des Seins. Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass die Menschen, die uns lieben, uns immer dann Freude machen wollen, wenn wir es gerne hätten. Auf solchen Überzeugungen zu beharren kann nur zu Enttäuschung, Frustration und Zorn führen …

… Gefallen und lieben zu verwechseln hindert uns auch daran, Kritik zu akzeptieren. Sagt uns jemand, ihm gefalle nicht, was wir tun, denken, sagen oder anziehen, dann heißt das doch nicht, dass er uns deshalb nicht mehr mag! Er sagt lediglich, dass wir ihm in diesem Augenblick aus einem bestimmten Grund missfallen. Ist euch klar, wie wichtig es ist zu akzeptieren, dass es völlig UNMÖGLICH ist, immer und jedem zu gefallen? Versuchen wir es trotzdem, so ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns selbst nicht genug lieben, weshalb wir daran zweifeln, wirklich von anderen geliebt werden zu können …

… Anna, bist du nun bereit, vor mir mit Mario über das Problem zu sprechen, von dem du mir letzte Woche erzählt hast? Konntest du meinen Vorschlag ausführen?