Wow! Ich bin Gott – und du auch - Lise Bourbeau - E-Book

Wow! Ich bin Gott – und du auch E-Book

Lise Bourbeau

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  • Herausgeber: Windpferd
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Lise Bourbeau hat für ihre Autobiografie bewusst diesen frappierenden Titel gewählt, in dem Wissen, dass es eine kühne Entscheidung ist – denn anhand ihres eigenen Lebenswegs will sie uns vor Augen führen, dass das Göttliche wirklich in uns ist. Dabei offenbart sich die Autorin, die sich ihrem persönlichen Wachstum verschrieben hat, rückhaltlos. Im Vertrauen auf ihre Intuition und geleitet von ihrem inneren Gott, dessen Führung sie bereitwillig zulässt, geht sie große Risiken ein. Denn es ist tatsächlich sehr riskant, so manchen sehr persönlichen Aspekt ihres Lebens auf diese Weise preiszugeben. Sie enthüllt viele Facetten ihres Familien- und Gefühlslebens, ihrer vertrauten und ihrer sexuellen Beziehungen, ihrer Studien und ihrer Karriere, und auch finanzielle Erfolge und Misserfolge bleiben nicht außen vor. Was könnte bereichernder sein, als von einer Frau, die bereit ist und den Mut hat, offen über sich zu sprechen, etwas über uns selbst zu erfahren? Lise Bourbeau greift auf ihre eigenen Lebenserfahrungen und -lektionen zurück, um ihren treuen Leser*innen zu helfen. Ob Sie dem, was sie sagt, zustimmen oder nicht – es wird Sie mit Sicherheit nicht unberührt lassen! Um so vielen Menschen wie möglich zu helfen, stellt die Autorin mehrere praktische Möglichkeiten vor, uns wieder mit unserem inneren Gott zu verbinden, und erklärt, warum sie selbst so leicht von sich sagen kann: "Ich bin Gott – wow!"

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Seitenzahl: 464

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Lise Bourbeau

Wow!

Ich bin GOTT

und du auch

Wichtiger Hinweis

Die in diesem Buch beschriebenen Methoden sollen ärztlichen Rat und medizinische sowie psychotherapeutische Behandlung nicht ersetzen. Die in diesem Buch vorgestellten Informationen sind sorgfältig recherchiert und wurden nach bestem Wissen und Gewissen vorgestellt. Dennoch übernehmen Autor und Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die direkt oder indirekt aus der Anwendung oder Verwendung der Angaben in diesem Buch entstehen. Sämtliche Informationen in diesem Buch sind für Interessierte zur Weiterbildung gedacht.

Titel der Originalausgabe:

Wow ! Je suis Dieu - Tu l‘es aussi

© 1991 – Copyright by Lise Bourbeau

(Version originale 1991 intitulée „Je suis Dieu Wow!“)

Erschienen bei Les Editions E.T.C. Inc., Kanada

Aus dem Französischen

von Alexandra Mattstedt

1. Auflage 2021

© 2021 Windpferd Verlagsgesellschaft mbH, Aitrang

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung entsprechend der Originalausgabe,

freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Les Editions E.T.C.

Lektorat: Eva Wagner

Layout: Marx Grafik & ArtWork

ISBN 978-3-86410-326-1

eISBN 978-3-86410-362-9

www.windpferd.de

Inhalt

Hinweis zur deutschen Ausgabe 2021

Einleitung

Kapitel 1

Meine Kindheit

Kapitel 2

Meine Jugend

Kapitel 3

Ich bin GOTT in dem, was ich lerne, und in meiner Arbeit

Kapitel 4

Ich bin GOTT in meinen finanziellen Niederlagen und Erfolgen

Kapitel 5

Ich bin GOTT in meinen Beziehungen

Kapitel 6

Ich bin GOTT in meinem Körper und meinem physischen Leben

Kapitel 7

Ich bin GOTT – Wow!

Zum Schluss

Dank

Abbildungen

Die Autorin

HINWEIS ZUR DEUTSCHEN AUSGABE VON 2021

Wir schreiben jetzt das Jahr 2021. Es ist schon dreißig Jahre her, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, diese Autobiografie fortzusetzen, aber meine Projekte sind so zahlreich, dass ich stattdessen lieber kurz für dich zusammenfasse, was ich seit der Erstveröffentlichung erlebt habe.

Was mein Privatleben angeht, so bin ich immer noch gesund und voller Energie. Jeden Tag bin ich dankbar dafür, dass ich meine Aktivitäten immer noch ohne Unterbrechung fortsetzen kann. Mit meinem Mann Jacques bin ich noch immer verheiratet. Meinen Traum, mit dem Schiff um die Welt zu reisen, haben wir verwirklicht – wir haben mehrere Kreuzfahrten gemacht. WOW, was für schöne Erlebnisse! Auch hier danke ich täglich meinem inneren GOTT, der mir stets hilft, das, was ich will, zu realisieren. Das Verhältnis zu meinen Kindern wird immer schöner und freundschaftlicher. Ich habe acht Enkel im Alter zwischen 21 und 31 Jahren und zwei Urenkelinnen, die mir Freude machen.

Im beruflichen Bereich hat sich einiges ergeben: Écoute Ton Corps hat sich zu einer internationalen Schule entwickelt. Unmittelbar nach Fertigstellung dieser Autobiografie habe ich begonnen, in Frankreich zu unterrichten. Seitdem haben das Kursleiterinnen-Team von Écoute Ton Corps und ich über 130.000 Personen in 29 Ländern unterrichtet.

Ich habe 26 Bücher geschrieben, die in 23 Sprachen übersetzt worden sind. Mehr als sechseinhalb Millionen Bücher sind weltweit verkauft worden, und darauf bin ich stolz! Seit mehreren Jahren reise ich ständig durch die Welt, um das Unterrichten in all diesen Ländern in Gang zu bringen, und freue mich jedes Mal, wenn ich erkenne, dass überall dort, wo ich hingehe, Menschen ihre Lebensqualität verbessern wollen. Die Lehre von Écoute Ton Corps ist bei vielen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Kultur, ihrem Alter oder Beruf, sehr beliebt und hat sich in der Praxis als leicht umsetzbar erwiesen.

Die Schule bietet auch eine Berufsausbildung an, die es ihren Schülern ermöglicht, Kursleiter, Dozenten oder persönliche Berater zu werden. Diese Ausbildung ist nicht nur in französischsprachigen Ländern, sondern auch in mehreren anderen Ländern sehr beliebt.

1999 habe ich ein Buch mit dem Titel „Heile die Wunden deiner Seele: Mit der Weisheit des Körpers tiefe emotionale Verletzungen heilen“ (Original: „Les 5 blessures qui empêche d’être soi-même“) geschrieben. Es fügt meiner Lehre eine weitere tiefe Dimension hinzu. Seit zwanzig Jahren thematisiere ich in allen Kursen und Ausbildungen und in jedem neuen Buch diese fünf Wunden: Vertrauensbruch, Verlassenwerden, Ablehnung, Ungerechtigkeit und Demütigung.

Ich habe auch das Glück, dass meine Tochter Monica regelmäßig bei mir ist, denn sie ist seit vielen Jahren die Geschäftsführende Direktorin von Écoute Ton Corps. Unterstützt wird sie von ihrem Ehemann, Jean-Pierre Gagnon, der Geschäftsführer meines Verlags ist. Zu zweit regeln Sie das Ganze meisterhaft, was mir viel Freiraum zum Schreiben und Reisen gibt.

Wie du siehst, gibt es keine Grenzen für das, was du im Leben erreichen kannst. Jeder Schritt führt zu einem weiteren. Ich danke immer wieder meinem inneren GOTT, der für mich der Dirigent unseres Lebens ist – von uns allen. Ständig nehmen neue Projekte Gestalt an, und Jahr für Jahr warten neue Überraschungen auf uns auch jetzt noch, mit achtzig Jahren!

Die Tatsache, dass ich gelernt habe loszulassen, ist bislang das größte Geschenk, das ich mir je selbst gemacht habe. Dieser Grundeinstellung ist es zu verdanken, dass ich mich von meiner Intuition (meinem inneren GOTT) leiten lassen kann. Und es ist noch nicht abgeschlossen, denn ich merke, dass ich jedes Jahr noch ein bisschen mehr loslasse. Außerdem ist es unmöglich zu wissen, wann ein Prozess beendet ist. Das Wichtigste ist, dass jedes Jahr noch angenehmer und glücklicher ist als das vorhergehende. So weiß man, dass man auf dem richtigen Weg ist.

Genau das wünsche ich dir.

Mit Liebe,

Einleitung

Dieses Buch ist meine Biografie. Du fragst dich vielleicht, warum ich es so betitelt habe. Während einer Meditation habe ich in einer Vision den Titel „WOW, ich bin GOTT“ wie auch das Coverdesign gesehen. Ich habe alles notiert, obwohl ich mir sagte, ich könne das Buch vorerst nicht schreiben, denn eine solche Idee würde bestimmt sehr schlecht aufgenommen. Andererseits respektiere ich stets meine Intuition und wusste daher: Dieses Buch würde ich eines Tages schreiben müssen, wenn auch erst viel später im Leben. Doch dann, nach einigen Monaten, überlegte ich, es doch schon früher als geplant zu schreiben – vor allem deswegen, weil viele mich auf ein Podest stellten.

Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr setzte sich die Idee, diesen Titel wirklich zu verwenden, in mir fest. Die Vorstellung, meine Lebensgeschichte zu nutzen, um meinen Lesern zu helfen, sich ihres inneren GOTTES bewusst zu werden, gefiel mir. Also startete ich mein Projekt, und der Titel wurde zum roten Faden meiner Biografie. Ich finde es sinnvoll, von mir zu erzählen, damit du siehst, dass auch ich Wünsche, Stärken und Schwächen habe, genau wie du.

Vielleicht halten manche es für sehr anmaßend zu behaupten, GOTT zu sein, aber das ist es nur dann, wenn man nicht akzeptiert, dass alles, was lebt, dies ebenfalls behaupten kann. In Wirklichkeit ist GOTT eine Energie, die in allem Lebendigen vorhanden ist.

Für die zweite Auflage dieses Buches wurde beschlossen, den Titel „WOW, ich bin GOTT“ durch den Zusatz „und du bist es auch“ zu erweitern – eine wichtige Nuance, die dir das Gefühl vermitteln soll, dass auch du „Wow, ich bin GOTT!“, sagen kannst.

Das Ziel dieses Buches ist also, dich dabei zu unterstützen, dir der Allgegenwart deines inneren GOTTES bewusst zu werden. GOTT ist stets aktiv und präsent – in uns allen. Das müssen wir erkennen. Ich habe viele Jahre des Nachforschens gebraucht, um mir dessen bewusst zu werden. Heute weiß ich, dass alles, was ich seit meiner Kindheit erlebt habe, das Werk meines inneren GOTTES ist, der mich stets führt, damit ich immer mehr in Liebe lebe. Schon seit meinen frühen Kindertagen gab er mir Hinweise, dass ich eines Tages nicht nur den Wunsch haben würde, überall in meinem eigenen Dasein Liebe zu leben, sondern sie auch andere lehren würde, um meinen eigenen Lernprozess zu beschleunigen. So erfuhr ich, dass Lehrer auch Schüler sein müssen, wenn sie weiterlernen wollen.

Wie du sehen wirst, zeichne ich zunächst ein Gesamtbild meiner Kindheit, damit du mich besser einordnen kannst. Anschließend veranschauliche ich anhand meiner Erlebnisse, wie GOTT in mir in seinen verschiedenen Aspekten zum Ausdruck kommt. Vor allem liegt mir daran, zu unterstreichen, wie wichtig es ist, sich selbst zu akzeptieren, das heißt: GOTT in all seinen Aspekten anzunehmen. Wenn wir diesem Weg folgen, wird es uns allen gelingen, mit unserer göttlichen Macht in Kontakt zu kommen. Und je mehr wir mit dieser großen Macht in Kontakt kommen, umso mehr lernen wir, sie als Teil unserer selbst anzunehmen. Nach und nach können wir sie mit Kraft und Liebe und damit auf eine segensreiche Weise nutzen.

Ich muss gestehen, dass mich im Verlauf des Abenteuers, dieses Buch zu schreiben, innere Vorbehalte und Ängste plagten. Ein Teil von mir wollte alles erzählen, während ein anderer befürchtete, dafür verurteilt und kritisiert zu werden. Es wäre so viel einfacher gewesen, nur das zu erzählen, was bei allen gut angekommen wäre. Du hättest das Bild einer perfekten Lise gehabt. Doch jener Teil von mir, der vor einigen Jahren beschlossen hat, aufrichtig zu sein, hat gewonnen. Dieses Buch umfasst deswegen alles aus meinem Leben, woran ich mich erinnern kann. Auch meine Überlegungen zu den Ereignissen, von denen ich erzähle, wirst du darin finden.

Wie in meinen früheren Büchern, habe ich mich dafür entschieden, dich zu duzen, weil ich mich dir sehr nahe fühle. Zudem wirst auch du dich bei einigen Gelegenheiten bestimmt mit mir identifizieren können.

An vielen Stellen dieses Buches findest du hervorgehobene Passagen. Du kannst sie später noch einmal aufgreifen und, wenn du das Bedürfnis danach hast, eine beliebige Seite aufschlagen und die hervorgehobenen Textstellen lesen. Das Gelesene führt dich dann durch den Tag oder ist die Antwort auf eine deiner Fragen. Wenn du ein bestimmtes Problem hast, kannst du die Augen schließen, das Buch aufschlagen und dich von deinem inneren GOTT zu dem Gedanken führen lassen, der für dich in diesem Moment am besten geeignet ist.

Ich hoffe, dieses Buch wird dir helfen, mehr in Kontakt mit deinem inneren GOTT zu sein.

Ich wünsche dir eine anregende Lektüre!

MIT LIEBE,

Kapitel 1

Meine Kindheit

Ich wurde am 14. Februar 1941 in Richmond geboren, einer kleinen Stadt in den Eastern Townships der Provinz Québec. Den Valentinstag, der die Liebe symbolisiert, habe ich unbewusst gewählt, obwohl ich mir bei Weitem noch nicht vorstellen konnte, dass ich eines Tages die Liebe lehren würde. Ich war die vierte Tochter. Meine älteren Schwestern und ich liegen vom Alter her alle jeweils eineinhalb Jahre auseinander. Es sind recht schwierige Zeiten zu Beginn des Krieges, und alles ist rationiert. Wegen seiner Plattfüße brauchte mein Vater nicht zur Armee. Meine Eltern sind sehr tüchtig. Alle beide tun sich in meinen Augen in etlichen Bereichen hervor. Nie habe ich je von ihnen gehört: „Das schaffe ich nicht.“ Mein Vater ist Schreiner und arbeitet in einer Stuhlfabrik. Meine Mutter ist eine ausgezeichnete Köchin, verwaltet das Familienbudget und näht all unsere Kleidung. Zusätzlich zu ihren jeweiligen Arbeitsaktivitäten betreiben meine Eltern ein Restaurant in Richmond. Tagsüber arbeitet meine Mutter dort, und mein Vater hilft ihr abends und an den Wochenenden. Meine Mutter ist eine gute Geschäftsfrau, und mein Vater unterstützt sie bei all ihren Unternehmungen hervorragend.

So weit ich mich zurückerinnern kann, habe ich meine Eltern immer hart arbeiten sehen. Wir sind weder reich noch arm. Meine Familie hat gerade genug Geld zum Leben, mehr nicht. Obwohl die Arbeit ihr Leben dominiert – daher meine innere Überzeugung „leben ist gleich arbeiten“ –, wissen meine Eltern auch, wie man sich entspannt und Spaß hat: Sie veranstalten Familienabende zum Kartenspielen oder Tanzen oder einfach nur zu vergnüglichen Zusammenkünften.

Auch wenn diese Kriegsjahre für uns schwierig sind, sorgen die gute Organisation meiner Mutter und die kontinuierliche Unterstützung meines Vaters dafür, dass es meiner Familie nie an etwas mangelt. Meine beiden älteren Schwestern werden im Internat eines Nonnenklosters untergebracht, als meine Mutter ihre fünfte Tochter zur Welt bringt, die eineinhalb Jahre nach mir kommt. Dieses kleine Mädchen wird oft in der Obhut einer meiner Tanten gelassen. Da die beiden ältesten Schwestern im Kloster sind, die jüngere bei meiner Tante ist und meine andere Schwester eineinhalb Jahre älter ist als ich, hänge ich fortwährend an Mutters Rockzipfel und fühle ich mich oft wie ein Einzelkind. Die meisten meiner Kindheitserinnerungen führen mich an die Seite meines Vaters.

Als kleines Mädchen bin ich blond und ziemlich mollig und erhalte viel Aufmerksamkeit von ihm. Ich habe nur Augen für ihn und laufe ihm stets überall hinterher. Sehr gern sitze ich auf dem kleinen Schaukelstuhl, den er selbst geschreinert hat, und beobachte von dort aus alles, was um mich herum vorgeht. Ich bin sehr aufmerksam, sehe mir alles an und beobachte viel mehr, als ich selbst rede. Was als Kind in meinem kleinen Kopf vorgeht, weiß ich nicht mehr, doch mir ist noch klar im Gedächtnis, dass ich nicht immer mit dem einverstanden bin, was ich sehe, denn ich kritisiere viel, und zwar schon von frühester Kindheit an.

Schon jetzt zeichne ich mich durch meine Entschlossenheit aus. Ich bin ein sehr resolutes Kind, weiß, was ich will, und gebe keine Ruhe, bis ich es bekomme. Meine nächstältere Schwester gibt am Ende immer nach. Doch obwohl ich immer wie ein selbstbewusstes kleines Mädchen wirke, das seinen Willen durchsetzt, bin ich auch sehr sensibel, was ich normalerweise ziemlich gut verberge. Was ich noch nicht weiß: Die eigene Verletzlichkeit zu verstecken verstärkt die Angst nur, statt sie zum Verschwinden zu bringen. Darauf komme ich später noch einmal zurück.

Bei jeder neuen Schwangerschaft trägt Mama immer die Hoffnung mit sich, dass sie einen Jungen zur Welt bringt, denn darüber würde sich mein Vater sehr freuen. Um mich seiner Liebe zu versichern, gebe ich mich draufgängerisch wie ein kleiner Junge. Tatsächlich werde ich als „verfehlter kleiner Junge“ bezeichnet. Dieser Beiname sollte auch danach mein Leben stark beeinflussen, denn ich versuche lange zu beweisen, dass ich als „Mann“ nicht „verfehlt“ war. Auf der einen Seite möchte ich der ideale Junge sein, den mein Vater sich erhofft, und auf der anderen Seite höre ich die Klagen meiner Mutter, mein Vater sei nicht tatkräftig genug. Also beschließe ich, dass ein idealer Mann ein tatkräftiger Mann ist. Wenn ich ein solcher Mann werde, gefalle ich beiden … doch zu welchem Preis! Schon sehr früh zwinge ich mich dazu. Man hat mir gesagt, dass ich im Alter zwischen vier und fünf Jahren oft geweint habe. Vielleicht ist mir diese Kontrolle, die ich mir selbst auferlege, um mehr geliebt zu werden, schon zu viel.

Meine Mutter hält mich für zu weinerlich und beschließt, mich in das Klosterinternat zu schicken, das schon meine Schwestern besuchen, im Dorf Saint-Félix de Kingsey. Wir schreiben den Februar 1946, und ich bin fünf Jahre alt. Das Kloster hat nur zwei Klassen: eine für das erste bis sechste Schuljahr, und die andere für das siebte bis elfte Schuljahr. Kindergärten gibt es zu jener Zeit noch nicht. Meine Mutter hat diese Entscheidung getroffen, um mir den Eintritt in die erste Klasse zu erleichtern, der im folgenden Herbst bevorsteht. Bis zum Ende des Schuljahrs habe ich noch vier Monate Zeit, den Nonnen schrittweise zu folgen und mich ans Schulleben zu gewöhnen. Darauf hat sich meine Mutter mit den Nonnen geeinigt. Indem sie sich auf diese Weise Freiraum schafft, kann sie sich mehr Zeit fürs Restaurant und meine drei jüngeren Schwestern nehmen.

Da es keinen Zufall gibt, läuft bereits in dieser Phase meines Lebens alles so ab, dass es mich auf das vorbereitet, was ich später tun werde. Die Nonne, die die erste Klasse unterrichtet, entscheidet, dass ich intelligent genug bin, das erste Schuljahr in diesen vier Monaten zu absolvieren. Sie widmet mir ihre ganze Freizeit, um mir den Stoff beizubringen, der schon vor meiner Ankunft behandelt worden ist. Ich sehe immer noch vor mir, wie ich neben ihr stehe. Sie hat Aufsicht im Schlafsaal und kümmert sich um mich, während sie ein wachsames Auge auf die anderen Schülerinnen hat, die ihr Bett machen oder aufräumen. Sie bringt mir Gebete bei. Nach der Schule lehrt sie mich lesen in einem großen Klassenraum, den sie beaufsichtigt, während die Schülerinnen still lernen. Sie setzt mich an ihr Pult und verpasst mir beim kleinsten Fehler einen ordentlichen Schlag mit dem Lineal auf die Fingerknöchel. Auch wenn ich nicht schnell genug lerne, werde ich bestraft. Ich finde es zudem sehr schwierig, mich an das Essen im Kloster zu gewöhnen. Bei mindestens einer Mahlzeit am Tag wird mir das Essen in den Mund gezwungen. Manchmal haben meine älteren Schwestern Mitleid mit mir und bieten mir an, meine Mahlzeiten für mich zu essen. Ich vergieße viele Tränen. Ich verstehe nicht, was mir geschieht.

Ich fühle mich zu Unrecht unter Druck gesetzt und kritisiere diese Nonne viel. Ich erkenne nicht, dass wir zu dem werden, was wir kritisieren, und dass die „Antreiberin“ auf dem besten Wege ist, sich in mir zu entwickeln. Ich muss mein Aufholtempo ständig beschleunigen, wenn ich das Schuljahr bis Ende Juni bestehen will. Ob du es glaubst oder nicht, ich bestehe die Prüfungen! So komme ich ins zweite Schuljahr, zusammen mit meiner nächstälteren Schwester. Abgesehen von dieser Nonne und meinen Lektionen, die gewöhnlich in Tränen enden, erinnere ich mich nur vage an meine damaligen Aktivitäten.

Meine Schwestern und ich äußern uns gegenüber unseren Eltern nicht gerade lobend über das Kloster – wir sind alle vier unglücklich dort. Meine Mutter setzt unserem inständigen Bitten ein Ende und meldet uns im folgenden Schuljahr in einer anderen Klosterschule an. Diesmal bin ich nicht im Internat, sondern Tagesschülerin in der Kleinstadt Richmond, wo meine Familie wohnt.

Obwohl ich noch so jung bin, treffe ich eine große Entscheidung: Von nun an wird mir niemand mehr auf die Finger schlagen, weil ich nicht schnell genug vorankomme oder etwas nicht weiß. Ich möchte mich nicht gedemütigt oder als „Dummerchen“ fühlen. Nach dieser Episode mache ich es mir zur Pflicht, alles gründlich zu lernen und die Schnellste der Klasse zu sein. Von nun an bin ich fast immer Klassenbeste.

Als ich später die Macht der Vergebung kennenlernte, war ich schließlich in der Lage, die verborgene gute Seite meiner Erfahrung mit der Nonne zu erkennen und anzuerkennen. Zuvor konnte ich nur ihre stiefmütterliche Seite sehen. Doch mit der Zeit sah ich ihre Strafen und Forderungen als nützliche Erfahrung für mich. Sie hat an mich geglaubt, an meine Fähigkeit, schnell zu lernen, und sie war fest davon überzeugt, dass ich das Schuljahr in Rekordzeit absolvieren konnte. Ich brauchte jemanden wie sie auf meinem Weg. Heute danke ich ihr von ganzem Herzen, denn sie hat mir geholfen, die innere Überzeugung „Ich bin imstande, erfolgreich zu sein“ zu entwickeln. Über dreißig Jahre lang war ich jedoch wütend auf sie. Was für eine Erleichterung diese Vergebung doch mit sich bringt!

Nach dieser Entscheidung, das Gefühl der Erniedrigung nicht mehr erleben zu wollen, lerne ich, verantwortungsvoller zu werden und Entscheidungen schnell zu treffen. Ich merke bald: Je länger ich eine Entscheidung aufschiebe, umso mehr zweifle ich, und umso schwieriger wird es für mich, zu handeln. Selbst als ich noch sehr jung bin, mache ich lieber etwas falsch, als gar nichts zu tun. Ich habe schnell erkannt, dass wir am schnellsten durch Erfahrungen lernen.

Solange ich etwas tue, bin ich froh, denn ich lerne. Zu jener Zeit weiß ich noch nicht: Wenn eine Person zögert, dann oft deswegen, weil ihre Ängste, die auf falschen Glaubenssätzen beruhen, an die Oberfläche kommen. Sie lassen sie zweifeln und bringen sie letztendlich dazu, sich falsch zu entscheiden.

Dass ich tatkräftig bin, ist sehr hilfreich für mich, um zum Liebling der Nonnen zu werden. Meine Pünktlichkeit, mein Fleiß, mein Interesse am Lernen sorgen dafür, dass ich meine gesamte Schulzeit hindurch eine bevorzugte Schülerin bin. Ganz zu schweigen davon, dass ich mit meinen hervorragenden Noten aus der Masse heraussteche. Ich bin wissensdurstig und interessiere mich mühelos für alles Neue. Die verschiedensten Themen faszinieren mich, nur nicht das Schreiben und Komponieren … Und doch bin ich heute Schriftstellerin! Man kann wirklich nie wissen, was die Zukunft bereithält … Das ist der Beweis, dass man sich stets eine Tür für alle Möglichkeiten offenhalten sollte!

Als ich in der siebten Klasse bin, hält es die Nonne, die mich unterrichtet, für angebracht, dass ich eine Klasse überspringe, und schickt mich direkt in die neunte Klasse. Sie hält mich für klug und fleißig genug dafür. Zum zweiten Mal in meinem Leben treffe ich auf eine Nonne, die an mich glaubt! Damals ist die achte Klasse nicht sehr schwer, der schwierige Stoff konzentriert sich eher auf die Klassen sieben und neun. Einen Monat vor dem Ende meines siebten Schuljahres gibt mir die betreffende Nonne Gelegenheit, an den Prüfungen der achten Klasse teilzunehmen, und händigt mir alle dafür erforderlichen Schulbücher aus. „Lise, wenn du Lust hast, kannst du in deiner Freizeit mit all diesen Büchern lernen. Ich erteile dir die Erlaubnis, die Prüfungen der achten Klasse abzulegen. Wenn du sie bestehst, kommst du direkt in die neunte Klasse!“ WOW! Was für eine Chance! Ich bin natürlich sehr aufgeregt. („WOW“ gehörte schon immer zu meinem Wortschatz.) Ich lasse mich von der enormen Arbeit, die damit verbunden ist, nicht einschüchtern.

Die Herausforderung, vor der ich stehe, ist für mich keine lästige Pflicht, sondern eine unglaubliche Chance, eine Gunst, die mir gewährt wurde. Das Ergebnis? Im folgenden Jahr, mit zwölf, gehe ich mit den vierzehn- und fünfzehnjährigen Mädchen in die neunte Klasse. Anfangs fühle ich mich etwas fremd und verloren, weil ich mehrere Jahre mit denselben Schulkameradinnen zusammen gewesen bin. Jetzt gehöre ich zu den „Großen“. Ich fühle mich wichtig. Ich halte mich jedoch nicht für etwas Besonderes. Viele Jahre habe ich von den Nonnen gehört, „der Herr Jesus“ hätte mir all dieses Talent verliehen, es käme nicht von mir, und ich müsse es nutzen, um anderen zu helfen. Diese Überzeugung hat mich immer begleitet. Ich habe sehr schnell das Gefühl, von meinen neuen Mitschülerinnen akzeptiert zu werden.

Obwohl ich noch so jung bin, erweise ich mich als sehr erwachsen und verantwortungsbewusst. Jedes Jahr betrauen mich die Nonnen mit verschiedenen Aktivitäten, auch in den Pausen. Wenn ich mich zu etwas verpflichte, ziehe ich es bis zum Ende durch. Meine Führungsqualitäten sind bereits sehr ausgeprägt, und ich nehme jede neue Verantwortung mit großer Freude an. Da ich die mir übertragenen Aufgaben erfolgreich zu Ende führe, geben die Schwestern weitere Pflichten vertrauensvoll an mich ab.

Mein Schulleben ist zwar wichtig, aber ich bin auch sehr verantwortungsbewusst in meinem unmittelbaren Umfeld. Zu Hause fühle ich mich wohl, ich erledige meine Schularbeiten zügig, was mir anschließend viel Zeit zum Spielen lässt. Ich bin kein schwieriges Kind. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich meine Eltern je wirklich bestraft oder mit mir geschimpft hätten. Meine Führungsqualitäten zeigen sich auch, wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin. Ich ergreife gern die Initiative, führe die Spiele an und leite die anderen Kinder an, die für gemeinsame Aktivitäten in meine Straße kommen. Für mich ist das etwas ganz Natürliches, Angeborenes. Ob in der Schule, zu Hause oder auf der Straße, ich teste gern meine Führungsqualitäten. Ich bin zielstrebig und bekomme das, was ich will, indem ich aktiv werde und handle. Niemand beschwert sich darüber, und ich habe viele Freundinnen, die meine Spielvorschläge und meinen Wunsch, unsere Aktivitäten zu leiten, gerne akzeptieren.

Manchmal höre ich, wie meine Schwestern unsere Eltern kritisieren. Es ist für mich unfassbar, wie oder warum sie sich das herausnehmen, obwohl die Eltern doch so hart arbeiten, um für uns alle zu sorgen. Die Einstellung meiner Schwestern ist für mich schwer zu akzeptieren. Ich erinnere mich, dass eine meiner älteren Schwestern mit etwa sechzehn Jahren sehr heftig auf die Autorität unserer Mutter reagiert. Ich bin etwa zwölf Jahre alt und sehe, wie meine Mutter bei mehreren Gelegenheiten deswegen weint. Wenn sie meine Schwester bittet, zu einer bestimmten Zeit zu Hause zu sein, schafft es meine Schwester unweigerlich jedes Mal, erst viel später zu kommen. Eines Tages fragt unsere Mutter sie, warum es wieder so spät geworden sei, und erklärt ihr: „Du weißt, ich mache mir Sorgen und kann nicht einschlafen, bis du nach Hause gekommen bist.“ Und meine Schwester antwortet: „Es ist dein Problem, wenn du nicht schlafen kannst und dir Sorgen machst!“ Als Zeugin dieser Szene kann ich mich nicht zurückhalten und entgegne ihr: „Das kann ja wohl nicht angehen, du bist wirklich herzlos! Siehst du nicht, wie Mama sich abrackert? Sie hat eine anstrengende Arbeit und braucht ihren Schlaf! Warum bist du so hart zu ihr?“ Und sie blickt von ihrer vollen Größe auf mich herunter und antwortet: „Du, meine Kleine, kümmere dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten, das geht dich nichts an!“ Grundsätzlich hat sie Recht. Aber ich kann das nicht so sehen, denn es macht mich immer wütend, wenn ich meine Schwester so egoistisch handeln sehe. Ich verurteile sie oft. Mir ist nicht klar, dass ich mich entschieden habe, vernünftig zu sein, um mehr geliebt zu werden, und dass meine Schwester sich etwas erlaubt, das zu tun oder zu sagen ich selbst nie den Mut hätte.

Bei diesem Vorfall ist mein Vater in der Küche. Wenn er zu Hause ist, wirkt es meistens, als wäre er nicht da, weil er nicht viel spricht. Doch diesmal ruft er aus: „Sie ist zwar viel kleiner als du, aber eine ganze Ecke vernünftiger!“ Diese Bemerkung meines Vaters ist nicht auf taube Ohren gestoßen. Sie hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen, denn normalerweise kümmert sich meine Mutter um uns Kinder, und es kommt sehr selten vor, dass Vater derartige Bemerkungen macht. Er setzt sich für mich ein! WOW! Was ich heraushöre, ist, dass er mich liebt, weil ich ein vernünftiges Kind bin – eine Bestätigung für mich, dass meine Entscheidung, ein Musterkind zu sein, die richtige ist.

Später, als ich meinerseits anfange auszugehen, lüge ich meine Mutter niemals an und sage ihr immer, wann ich voraussichtlich Hause komme. Wenn ich mich etwas verspäte, rufe ich sie an und sage ihr Bescheid. Ich möchte vernünftiger sein als meine ältere Schwester, das heißt auch, mehr geliebt werden von meiner Mutter und meinem Vater. Ich verurteile meine Schwester dafür, dass sie meinen Eltern Dinge verheimlicht – nur um später festzustellen, dass ich eine Expertin darin geworden bin, mich selbst zu belügen. Im Lauf der Zeit ist mir bewusst geworden, dass der Wunsch, geliebt zu werden, viel Selbstkontrolle erfordert und ich deshalb meine wahren Bedürfnisse verleugne.

Vieles passiert uns, wenn wir noch sehr jung sind. Das bringt uns dazu, verschiedenste Entscheidungen zu treffen, die unser zukünftiges Leben beeinflussen. Wir finden heraus, was wir tun müssen, um geliebt zu werden. Von klein auf wollen wir immer noch mehr geliebt werden und lernen, uns auf verschiedenste Weise regelrecht zu verbiegen, um diese Liebe zu bekommen. Um auf meine Schwestern zurückzukommen: Heute erkenne ich, dass sie das Recht hatten, mit der Einstellung meiner Mutter nicht einverstanden zu sein, und dass sie dies auf die ihnen jeweils eigene Art zum Ausdruck brachten. Das Problem war, dass meine Eltern nie gelernt hatten, wirklich zuzuhören und zu sehen, was hinter einer solchen Kritik stand. Und ich war auch nicht viel besser. Ich verurteilte meine Schwestern, weil sie unsere Mutter kritisierten, und kritisierte sie dafür, dass sie sie verurteilten. Ich war also ganz genauso wie sie. Ich wusste damals noch nicht, dass man zu dem wird, was man kritisiert, auch wenn es oft anders zum Ausdruck kommt.

Mama ist eine Geschäftsfrau, eine Karrierefrau. Sie ist sehr fortschrittlich, nichts hindert sie daran, sich gleichzeitig um ihre Geschäfte und ihre vielen Kinder zu kümmern. Als ich elf bin, besitzen meine Eltern mehrere Restaurants. Vor der Geburt eines Kindes hört meine Mutter einige Wochen auf zu arbeiten, gerade lange genug, um ein Kind zur Welt zu bringen, und anschließend legt sie sich umso mehr ins Zeug. Mein Vater arbeitet von sieben Uhr morgens bis sechs Uhr abends in der Fabrik und danach bis Mitternacht im Restaurant. An den Wochenenden wechseln sich meine Eltern damit ab, Zeit mit uns zu verbringen. Mein Vater spielt draußen mit uns. Im Winter geht er mit uns Schlittenfahren. Welche Geduld er mit uns hat! Mit meiner Mutter sehe ich uns eher um einen Tisch sitzen und Puzzles machen. Für je zehn gefundene Teile erhalten wir ein Bonbon! WOW! Was für eine Belohnung! Bonbons sind damals selten.

Ich habe überwiegend gute Erinnerungen an meine Kindheit. Bei meinen Eltern fühle ich mich geborgen. Beide zeigen zwar ihre Zuneigung kaum, und echte Kommunikation ist selten, aber ihre Anwesenheit vermittelt mir ein Gefühl der Sicherheit. Sie sind wirklich bereit, uns das Beste von sich zu geben. Auch meine Brüder und Schwestern erinnern sich in ähnlicher Weise an Gefühle der Sicherheit.

Meine Mutter kann alles nähen, von der Klosteruniform bis zum Schneeanzug, vom Morgenmantel bis zum Mantel für die Sonntagsmesse! Wann immer sie eine Minute Zeit hat, näht sie. Sie arbeitet sogar gebrauchte Kleidung von anderen für uns um. Sie ist sehr kreativ. Ihre Zeit ist aufgeteilt zwischen ihrem Restaurant, dem Nähen, dem Lernen mit den Kindern, dem Familienbudget etc. Meine Eltern sind beide unglaublich aktiv.

Ich erinnere mich nicht, dass ich meine Mutter sehr oft kritisiert habe, außer bei zwei speziellen Anlässen:

Ich bin neun Jahre alt und wünsche mir Schlittschuhe. Ich „erbe“ immer Dinge von meinen älteren Schwestern und muss ihre Schuhe und Schlittschuhe auftragen. Aber ich wachse sehr schnell, und weil meine Füße proportional zu meiner Körpergröße ebenfalls größer geworden sind, fühle ich mich in den Schuhen meiner Schwestern nicht mehr wohl. Da ich es nicht mehr ertrage, Füße wie Eisklumpen in zu engen Schlittschuhen zu haben, beschließe ich, dass ich im nächsten Winter neue Schlittschuhe in meiner Größe haben werde. Natürlich ist es unmöglich, dass meine Eltern sie mir schenken. Da ich ein zielstrebiges Kind bin, schreite ich zur Tat!

Ich suche mir Arbeit, um etwas Geld zu verdienen und zu sparen. Ich beginne damit, dass ich auf Nachbarskinder aufpasse und die Einnahmen beiseitelege. Ich verdiene zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Sous pro Abend. Da ich mir ein Zimmer mit drei meiner Schwestern teile, kann ich mein Geld nicht unauffällig verstecken, also vertraue ich es meiner Mutter an. Ich weiß nicht, woher diese Angst kommt, dass es mir gestohlen wird, aber sobald ich etwas verdiene, gebe ich es immer sofort meiner Mutter. Der Winter naht heran, und nach meinen Berechnungen habe ich genug Geld gespart, um meine Schlittschuhe zu kaufen. Ich suche mir ein wunderschönes Paar weiße, schicke Schlittschuhe aus, die zehn Dollar kosten. Als es an der Zeit ist, meine Mutter um meine zehn Dollar zu bitten, fragt sie: „Welche zehn Dollar? Du hast mir nie zehn Dollar gegeben!“ Ich bin fassungslos: „Aber Mama, ich habe dir doch mein Geld nach und nach gegeben, immer dann, wenn ich etwas verdient habe. Du hast es seit Monaten für mich aufbewahrt. Ich habe alles zusammengerechnet, und mir stehen zehn Dollar zu.“ Und meine Mutter antwortet: „Das ist unmöglich, du musst dich irren. Ich erinnere mich, dass ich von Zeit zu Zeit fünfundzwanzig oder fünfzig Sous von dir erhalten habe, aber nie zehn Dollar! Höchstens ein oder zwei!“ Ich bin völlig außer mir und weine mir die Augen aus.

Damals sind wir neun Kinder, und es kostet etwa 25 Dollar pro Woche, eine elfköpfige Familie zu ernähren, also sind meine zehn Dollar eine Menge Geld. Ich bin völlig außer mir und voller Wut auf meine Mutter. Ich finde sie ungerecht, zumal sie mir nicht einmal anbietet, andere Schlittschuhe zu kaufen, auch keine billigeren! Ich habe das Gefühl, ich zähle überhaupt nicht. Und sie bemerkt meine Bestürzung noch nicht einmal! Ich wusste damals nicht, dass der Angst eine große Macht innewohnt, das Gefürchtete zu erschaffen, und dass meine Angst, jemand könnte mir mein Geld wegnehmen, sich manifestiert hat.

Im Monat darauf bin ich mit einer Mandelentzündung ans Bett gefesselt. Ich verbringe die gesamte Weihnachtszeit im Bett und muss dann operiert werden. Heute weiß ich, dass diese Krankheit die körperliche Folge des Vorfalls war. Ich empfand eine enorme Wut auf meine Mutter, konnte sie aber nicht äußern, weil eine brave kleine Tochter der Mutter nicht sagt, dass sie wütend auf sie ist. Dieser Vorfall hat mein Leben stark beeinflusst. Ich fasste den festen Entschluss: Wenn ich Geld verdienen will, muss ich mich selbst darum kümmern. Ich muss hart arbeiten, das ist sehr schwierig. Und vor allem muss ich aufpassen, dass mir das Geld nicht von anderen weggenommen wird.

Außerdem hat meine Mutter zur gleichen Zeit gerade ihr neuntes Kind zur Welt gebracht, den ersten Jungen in der Familie. Alle sagen, mein Vater müsse doch nun sehr froh sein, dass er endlich den langersehnten Sohn hat. Ich habe große Angst, meinen Platz zu verlieren. Das hohe Fieber, das mit meiner Mandelentzündung einhergeht, steht für die Wut, die ich angesichts meiner Angst, den Platz bei meinem Vater zu verlieren, empfinde. Beide Vorfälle ereignen sich fast zeitgleich. Das Fieber führt zu körperlicher Entlastung – inzwischen habe ich gelernt, dass der Körper sich oft durch Fieber von verdrängter Wut befreit.

Das andere, für das ich meine Mutter verurteile, ist ihr Verhalten gegenüber meinem Vater. Ich vergöttere meinen Vater und kann keinen Fehler an ihm finden. Obwohl er kein überschwänglicher Mensch ist und kaum Gefühle zeigt, unterstützt er seine Frau bei all ihren Entscheidungen. Er ist immer da, um ihr beizustehen, zwar im Hintergrund, aber doch stets zur Stelle. Doch wenn sie von ihm spricht, dann oft in wenig schmeichelhaften Worten: „Ein Glück, dass ihr Kinder mich habt … nur mit dem, was von eurem Vater kommt, hättet ihr nicht all das, was ihr habt!“ oder „Ein Glück, dass ich da bin und dafür sorge, dass genug Geld für alle da ist!“ Meine Mutter ergreift natürlich häufiger die Initiative als mein Vater, aber sehr viel später habe ich erfahren, dass sie mitunter Angst hatte. Doch sie gibt sich nach außen hin so beherzt und selbstsicher, dass es niemandem auffällt. Außerdem verbirgt sie ihre Ängste und die Risiken, die sie eingeht, absichtlich vor meinem Vater, um ihn nicht zu beunruhigen. Doch auch wenn er nicht viel redet, spürt sie seine Besorgnis. Sie sind wie viele Paare: Statt sich gegenseitig mitzuteilen, was sie fühlen, verbergen sie es voreinander und erschaffen so die Illusion, dass das Problem nicht existiert.

Doch ich bin noch jung und weiß ich nichts von all dem, also werfe ich meiner Mutter vor, ungerecht gegenüber meinem Vater zu sein, ihn zu sehr zu dominieren und alles für ihn zu entscheiden. Doch ich wage ihr das nicht zu sagen, sondern behalte es für mich. Andererseits werfe ich meinem Vater ebenfalls innerlich vor, dass er sich gegen meine Mutter nicht genug durchsetzt und schweigt, statt zu antworten, wenn es angebracht wäre. Da man zu dem wird, was man kritisiert, wirst du in einem der folgenden Kapitel sehen, dass ich, ebenso wie meine Mutter, dominant geworden bin und ihre Einstellung gegenüber meinem Vater später auch meinem Ehemann gegenüber angenommen habe.

Ein anderes Ereignis im Kloster hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich bin neun Jahre alt, gehe in die fünfte Klasse und schreibe gerade die Abschlussarbeit des Monatsendes. In Bezug auf meine Schulleistungen bin ich äußerst ehrgeizig, und diese Prüfung ist mir sehr wichtig, zumal die Zeit gestoppt wird – ich muss also mein Bestes tun. Wir sollen die gestellten Fragen innerhalb der begrenzten Zeitspanne beantworten und unsere Arbeiten, sobald das Klingeln ertönt, auf das Pult der Nonne legen. Zu damaligen Zeiten dürfen wir unsere Klausuren nicht mit dem Kugelschreiber schreiben. Wir verwenden echte Schreibfedern, die wir in ein Tintenfass tauchen.

Kaum habe ich mit dem Schreiben begonnen, bricht die Spitze meiner Feder zwischen meinen Fingern ab. Ich öffne schnell mein Pultfach, um eine neue Feder herauszuholen – keine Feder mehr! Voller Panik beginne ich zu weinen. Die Nonne hält die Uhr an und fragt mich: „Lise, warum weinst du?“ Schluchzend erkläre ich ihr, was mit mir los ist: „Meine Spitze ist abgebrochen, und ich habe keine andere Feder mehr!“ Sie sagt: „Komm her, nach vorne!“ Sie stellt mich vor die ganze Klasse mit etwa dreißig Schülerinnen und sagt dann laut: „Wollt ihr mal sehen, wie ein großes Baby aussieht, das ohne Grund weint?“ Dann wendet sie sich an mich und fügt hinzu: „Konntest du nicht aufzeigen und mich um eine Feder bitten?“ – „Naja … ich dachte, ich darf das nicht. Sie hatten ja gesagt, dass während der zehn Minuten der Prüfung völlige Stille herrschen soll.“ – „Ja, aber wann habe ich denn gesagt, dass ich keine Feder austeile, wenn jemand eine braucht? Du kannst nicht immer so passiv sein und dir den Weg verbauen, du musst lernen, dir selbst zu helfen! Du brauchtest doch nichts weiter zu tun, als die Hand zu heben und um eine Feder zu bitten. Dann hätte ich jemanden gebeten, dir eine zu leihen!“ Die Nonne lässt mich zu meinem Platz zurückkehren, ich leihe mir eine Federspitze von einer Mitschülerin, und die Prüfung geht weiter. Ich fühle mich sehr gedemütigt. Stell dir die Situation vor! Eine Klassenbeste, die vor den anderen so behandelt wird. Ich sehe nur, dass die Nonne mich hat dumm dastehen lassen, und kann das einfach nicht wegstecken – ich, die ich alles tue, um die Intelligenteste, Beste, Vernünftigste zu sein!

Ich habe noch nicht verstanden, dass uns Dinge, die nicht in Liebe akzeptiert werden, im Leben immer wieder heimsuchen. Ich hatte die Nonne aus der ersten Klasse nicht akzeptiert, die mich ein Baby nannte, weil ich so oft weinte, also musste ich den Weg einer anderen Nonne kreuzen. Ich hätte eigentlich nur zu erkennen brauchen, dass die Absichten beider Nonnen gut waren und dass sie mir helfen wollten, aber das hatte ich damals noch nicht gelernt.

Dieser einschneidende Vorfall veranlasst mich zu einer weiteren Entscheidung: darauf zu achten, nie wieder wie ein großes Baby zu wirken, weil ich weine. Bis zum Alter von siebzehn Jahren habe ich nicht mehr geweint. Selbst als Teenager, mit dem Aufkommen des Fernsehens, vergieße ich nicht die kleinste Träne, auch wenn ich bestimmte traurige Sendungen sehe. Alle weinen (Sensibilität liegt in der Familie), nur ich nicht, weil ich nicht will, dass jemand mich für ein großes Baby hält. Also verdränge ich viel und halte meine Tränen unter Kontrolle. Auch dass ich insgeheim ein Junge sein möchte, ist ein Grund, nicht zu weinen. Ein Mann weint nicht (ich hatte meinen Vater noch nie weinen sehen).

Mehrere Jahre tue ich alles, um das Bild einer sehr starken Person zu vermitteln. Ich versuche immer, mir selbst zu beweisen, dass ich leistungsfähig und stark bin, weil ich nicht wirklich daran glaube. Wenn man daran glaubt, braucht man es nicht zu beweisen. Ich bin mir dieser Stärke, dieser inneren Kraft in mir noch nicht bewusst.

GOTT nimmt einen wichtigen Platz in meinem Leben ein. Für mich mit meinen katholischen, gläubigen Eltern (wir gehen jeden Sonntag zur Messe) und als Schülerin in einem nonnengeführten Kloster ist das selbstverständlich. Trotz allem hinterfrage ich die Dinge häufig und viel. Ich höre die Nonnen, wie sie „Der Herr Jesus wird dich bestrafen“ sagen, und verstehe das nicht. Auf der einen Seite lehren sie, dass GOTT die Güte selbst ist und Jesus auf die Erde gekommen ist, um die Menschen zu erlösen, und auf der anderen Seite höre ich: „Wenn du eine Todsünde begehst, kommst du in die Hölle und musst für alle Ewigkeit darin schmoren.“ Um uns das zu beweisen, werden uns Bilder vom Teufel in den Höllenflammen mit seinem brennenden Dreizack und viel Feuer gezeigt, von wo die verdammten Seelen niemals zurückkehren! Ich kann nicht glauben, dass ein gerechter GOTT niemandem eine Chance gibt. Und wenn man nur gelegentlich schlecht ist – aber wiederum nicht zu schlecht –, hat man die Chance, ins Fegefeuer zu kommen, zwischen Hölle und Himmel. Nach einer sehr langen Wartezeit im Fegefeuer erhält man die Möglichkeit, in den Himmel zu kommen. Das ist meine religiöse Erziehung.

Einmal im Monat müssen wir zur Beichte gehen, damit wir die Kommunion empfangen können, ohne dass eine Sünde auf unserem Gewissen lastet. Ich verbringe ganze Tage damit, Sünden für mich zu finden, damit ich etwas vorzuweisen habe, das mir vergeben werden kann. Uns wird gesagt, es sei unmöglich, von Natur aus so gut zu sein, dass man keine Sünden begeht. Also beschuldige ich mich selbst, dass ich gelogen hätte oder wütend gewesen sei oder hin und wieder fünf Sous aus dem Portemonnaie meiner Mutter genommen hätte. Ich muss sogar sagen, wie viele Male. Ich gehe nicht gern zur Beichte. Ich finde es demütigend, mit einem Fremden über meine privaten Angelegenheiten zu sprechen. Ich will so sehr perfekt sein, dass ich Angst habe, falsch beurteilt zu werden, wenn ich Dinge gestehe, die nicht stimmen.

Später, als Jugendliche, habe ich eine Heidenangst vor der Beichte, denn ich habe echte Sünden zu gestehen! Einen Jungen zu küssen oder schlechte Gedanken zu haben (an Sex zu denken) sind schwere Sünden, und es ist beschämend, mich dessen anklagen zu müssen. Ich gehe immer noch regelmäßig zur Beichte, weil ich Angst habe, im Zustand der Sünde zu sterben. Es fällt mir schwer zu glauben, dass GOTT so streng sein kann und wir ihn dennoch den „guten GOTT“ nennen sollen. Sobald mir auch nur ein zweifelnder Gedanke in Bezug auf die Religion, die Nonnen oder GOTT kommt, fühle ich mich schuldig, denn wer bin ich, dass ich es wage, GOTT oder diejenigen, die ihn vertreten, infrage zu stellen? Ich ersticke diese kleine Stimme in mir. Mir ist nicht bewusst, dass dies die Stimme meiner inneren Forscherin ist, die alles wissen will. Die Wahrheit zu suchen und finden zu wollen ist ein sehr wichtiger Teil von uns, den es zu hören und zu respektieren gilt.

Wie schon erwähnt, habe ich einen angeborenen Sinn für Beobachtung. Schon damals ziehe ich viele Schlüsse. Wenn ich mir in der Schule die anderen Schülerinnen anschaue (es ist eine Klosterschule nur für Mädchen), sehe ich einige, die aus so armen Familien kommen, dass sie nicht einmal Schuhe besitzen. Im Winter, wenn sie die Stiefel ausziehen, müssen sie in Strümpfen dasitzen. Andere tragen alte Schuhe voller Löcher. Es fällt mir schwer, mich darauf einzulassen, diesen GOTT zu lieben – auch wenn ich es mir von Herzen wünsche –, denn ich finde ihn sehr ungerecht. Die Nonnen isolieren diejenigen, die Läuse haben, um zu verhindern, dass wir uns auch welche einfangen. Wer Lernschwierigkeiten hat, wird zur Zielscheibe von Hänseleien verschiedenster Art. Und dann sehe ich mich selbst, sehr talentiert, stets Klassenbeste, immer verwöhnt und von den Nonnen, meinem Vater (dessen Liebling ich ebenfalls bin) und auch von meiner Mutter bevorzugt behandelt. Ich finde das alles wirklich ungerecht und frage mich innerlich: „Soll das etwa die göttliche Gerechtigkeit sein?“ Ich finde es unfair und ungerecht, dass manche auf die Welt kommen und so viele Nöte überwinden müssen, so viel Schmerz und Schwierigkeiten zu durchleben haben, und dass noch dazu ausgerechnet sie am meisten arbeiten müssen.

Die Nonnen lehren uns, dass wir nur ein Leben haben und alles in diesem Leben vollbringen müssen, sonst erwartet uns die Hölle oder das Fegefeuer. Wie kann man denn einen Sinn darin finden, und wie lässt es sich erklären, dass manche Menschen im Leben nichts besitzen, in ein benachteiligtes Umfeld hineingeboren werden und fortwährend Strapazen ausgesetzt sind? Ihr Weg ist viel schwieriger als das von Menschen, die mehr Glück hatten, so wie ich. Und obendrein beginnen sie ihr Leben mit schlechteren Startchancen. Es ist mir unmöglich, in all dem göttliche Gerechtigkeit zu finden. Also fühle ich mich schuldig, weil ich selbst so viel empfangen habe, und ich beschließe, dass es meine Verantwortung ist, denen zu helfen, die es nicht so gut getroffen haben. Erst später wird mir klar, dass meine Motivation, anderen zu helfen, nicht die richtige ist. Sie beruht auf Schuldgefühlen. Ich erwarte, dass die Person, der ich helfe, dankbar ist und glücklicher wird.

Diese ständige Suche nach göttlicher Gerechtigkeit löst sich schließlich einige Jahre später, denn ich entdecke die Theorie der Reinkarnation. Als ich das erste Mal davon höre, habe ich Angst, daran zu glauben. Die eigenen Überzeugungen zu ändern macht Menschen oft Angst. Am Tag, an dem ich endlich jemandem begegne, der mir die Wiedergeburt zufriedenstellend erklären kann, überkommt mich eine immense Erleichterung.

Allmählich fühle ich mich wieder wohl mit GOTT. Endlich verstehe ich, dass die Seele in Wirklichkeit unsterblich ist und tausende Male auf die Erde zurückkehrt, um viele Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Situationen, Körpern, Umgebungen, Ländern usw. zu machen. Die Seele kommt immer wieder zurück, und jedes Mal in einer anderen Hülle, denn unser Körper ist nur ein Vehikel, das uns ermöglicht, auf der irdischen Ebene zu leben. Unsere Seele nutzt es, um in verschiedenen Situationen lieben zu lernen. Es ist wie an jedem Tag meines Lebens: Ich wechsle zwar die Kleidung je nach den Umständen, aber unter der Kleidung bin ich immer dieselbe.

Der ganz besondere Mensch, der mir die Reinkarnationslehre erklärte, war Herbert L. Beierle, Doktor der Philosophie und Theologie, der auch Psychologie studiert hat und über Parapsychologie forscht. Er lebt in Kalifornien, unterrichtet aber weltweit. Er konnte alle Punkte, die mir noch nicht einleuchteten, klären. Daraufhin erkannte ich, dass alles, was uns widerfährt, Teil eines göttlichen Plans ist und dass von einem Leben zum nächsten eine logische Fortführung gegeben ist. Dieser göttliche Plan will, dass alles in Liebe und Mitgefühl gegenüber uns selbst und anderen gelebt wird. Wer diesen Weg ablehnt, wählt schwierigere, leidvollere Wege. Wenn etwas in einem Leben nicht in Liebe geregelt wird, muss es früher oder später in einem anderen Leben gelöst werden. So, als ob ich an einem Tag etwas nicht erledigt habe und am nächsten Tag weitermachen kann. Die Seele hat also ein Leben, aber sie stirbt nie. Sie muss mehrere irdische Leben hinter sich bringen, um ihre göttliche Vollkommenheit zu erreichen. Nur der physische Körper stirbt und kehrt zur irdischen Energie zurück. Ein irdisches Leben für die Seele ist vergleichbar mit einem Tag für den physischen Körper. Der Glaube an die Reinkarnation hat sich bisher also sehr positiv auf mich ausgewirkt. Solange das so ist, werde ich weiterhin daran glauben. Ich habe gelernt, dass dies der einzige Grund ist, an einem Glauben festzuhalten. Im Moment hilft mir das, meinen Glauben an GOTT zu entwickeln und mein Leben in die Hand zu nehmen, denn ich weiß, dass alles sich von einem Leben zum nächsten aneinanderreiht und ich immer das ernte, was ich säe. Schon allein zu wissen, dass die Verantwortung für mein Leben bei mir liegt und dass ich es selbst wähle, war der Schlüssel, um mir das Tor zu meiner Freiheit zu öffnen. Ich kann mein Leben selbst kreieren – entsprechend meinen eigenen Entscheidungen! WOW!

Mein Gerechtigkeitsstreben prägte meine Jugend und setzte sich fort, als ich erwachsen war. Obwohl meine eigene Situation insgesamt günstig war, empfand ich es wirklich als ungerecht, dass ich etwas hatte und andere nicht. Ebenso unfair fand ich es, dass meine Mutter mein Geld für die Schlittschuhe nicht für mich aufbewahrt hatte. Danach fürchtete ich so sehr, ungerecht zu sein, dass ich es wurde. Darauf komme ich später noch zurück.

Als ich elf Jahre alt bin, verkaufen meine Eltern im Sommer das Restaurant, das sie einige Jahre betrieben haben, und mieten ein Chalet an einem See in der Gegend von Asbestos. Zu diesem Chalet gehört auch ein Sommerrestaurant mit nach vorne offener Front. Die Leute kommen mit dem Auto und bestellen. Hinter dem Restaurant befindet sich die Familienwohnung mit Küche, Wohnzimmer und mehreren Schlafzimmern. Wir sind neun Kinder, acht Mädchen und ein Junge, und wir ziehen nur für den Sommer dorthin. Es ist ein toller Spaß. Wir sind alle so aufgeregt, dass wir in der ersten Nacht kaum schlafen. Es ist, als würden wir drei Monate mit unseren Eltern in Urlaub fahren!

Den ganzen Sommer über helfen wir meiner Mutter, das Restaurant zu führen, und mein Vater pendelt abends und morgens zur Arbeit in die Fabrik, die etwa eine halbe Stunde Fahrt entfernt liegt. Ich finde neue Freunde, einige sehr draufgängerische Mädchen und Jungen, die älter sind als ich. Mit ihnen lerne ich schwimmen, und da ich sehr oft im See bin, entdeckte ich meine Leidenschaft fürs Wasser. Heimlich, unbemerkt von meinen Eltern, entferne ich mich weit vom Ufer und tauche. Es ist ein Traumsommer.

Noch aufregender: Meine Eltern kaufen in jenem Sommer ein Haus. Wir hatten noch nie ein eigenes Haus. Beim Gedanken, aus einer Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung in ein großes Zehn-Zimmer-Haus mitten auf dem Land zu ziehen, bin ich vollends glücklich! Das Haus, in das wir einziehen, hat eine riesige Küche, eine Sommer-Kochnische, ein Wohnzimmer, sieben Schlafzimmer, eine Garage und eine Werkstatt für meinen Vater. Der reine Luxus, ein Paradies! Die ganze Familie ist glücklich. Zwei Umzüge im selben Jahr – das scheint viel zu sein, doch Neues bringt oft eher Reizvolles als Probleme. Überdies wird meine Mutter zum ersten Mal seit meiner Geburt kein Geschäft mehr haben! Mit dem Gewinn aus dem Verkauf des Restaurants können meine Eltern dieses Haus kaufen und vom Gehalt meines Vaters leben.

Die Erinnerung an unsere Ankunft im neuen Haus ist noch immer lebendig in mir. Wir laufen von Zimmer zu Zimmer und raten, welches wohl unseres ist. Natürlich haben meine Eltern bei der Zimmerwahl das letzte Wort. Es ist trotzdem sehr aufregend, denn wir werden nur zwei pro Zimmer sein, nicht vier, wie in der anderen Wohnung! Ich spüre, dass Mama in diesem Haus sehr glücklich ist. Außerdem hat sie jetzt, ohne Geschäftsverpflichtungen, mehr Zeit für sich.

Für mich bedeutet das pures Glück, denn hinter dem Haus ist ein Fluss, und vor dem Haus haben wir wunderschöne Berge. Ich habe viele Möglichkeiten, meine Talente als Abenteurerin, meine Eigenschaften des Muts, der Kühnheit, der Entschlossenheit zu entwickeln. Außerdem kann ich mir darüber klar werden, wie sehr mir meine Eltern vertrauen.

Der Fluss an unserem Wohnort gilt als gefährlich. Sein Ufer fällt ohne Strand steil ab, und er ist sehr tief. Der Vater einer meiner Freundinnen besitzt ein Chalet auf einer Insel mitten im Fluss. Ich lerne sehr schnell, über den Fluss zu meiner Freundin zu schwimmen. Weil meine Mutter eine Heidenangst vor Wasser hat und uns kein Boot kaufen will, sagt sie mir: „Na, wenn du dir so sicher bist, mach eben weiter damit, aber sag mir nicht, wann du es tust, ich habe zu viel Angst!“ Das war für mich ein schöner Beweis der Liebe und des Vertrauens. Ich habe mich sehr wichtig gefühlt. Damals wusste ich noch nicht, dass dies die Art von Liebe ist, auf die wir alle aus sind: akzeptiert zu werden selbst dann, wenn die andere Person nicht mit dem einverstanden ist, was wir tun oder sagen.

Dasselbe Vertrauen wird mir entgegengebracht, wenn ich in den Wald gehe. Gelegentlich breche ich sehr früh am Morgen auf und kehre erst bei Sonnenuntergang zurück. Ich gehe mit einem Rucksack voll Proviant los und nehme oft meine jüngeren Geschwister mit. Wenn meine Mutter sagt, „Bei Lise kann ich sicher sein, dass ihr unbesorgt mit ihr gehen könnt, denn sie verirrt sich nicht und findet immer den Weg nach Hause“, habe ich das Gefühl, ein sehr verantwortungsbewusster Mensch zu sein. Ich sehe es noch heute vor mir, wie ich darauf achte, die Bäume zu markieren oder Orientierungspunkte zu hinterlassen, um sicherzugehen, dass ich bei der Rückkehr den Weg wiederfinde.

Ebenso sehe ich noch vor mir, wie ich während dieser Jahre auf dem Land mit den alten Skiern meines Vaters unterwegs bin, zu denen es nicht einmal mehr Stöcke gibt. Ich breche auf und laufe den ganzen Tag lang Ski. Ich könnte stürzen, mich verletzen und an Ort und Stelle erfrieren, aber ich schaffe es immer heil nach Hause, auch wenn ich mitunter kleine Unfälle habe. Beispielsweise gehe ich einmal Skifahren, als eine dicke Eiskruste über dem Schnee liegt. Ich bin begeistert, denn so bin ich schneller. Da besagte alte Skier beschädigt sind, sind sie am vorderen Ende flach. Ich stoße gegen eine Unebenheit im Schnee, und die Skier rutschen unter die Eiskruste. Mit beiden Skiern stecke ich bis zu den Stiefeln unter der Kruste fest (ich habe keine Skischuhe). Das bremst mich aus voller Fahrt, und ich stürze mit dem Kopf voran auf die Kruste. Ich habe große Angst, denn in dieser Position kann ich mir leicht beide Beine brechen. Es ist sehr schmerzhaft, und ich muss mich allein und ohne Stöcke aus dieser Situation befreien! Als ich nach Hause komme, fällt meine Mutter beinahe in Ohnmacht, als sie mich sieht. Ich habe nicht gemerkt, dass mein Gesicht voller kleiner blutiger Schnitte ist. Das Blut ist gefroren und auf dem Heimweg auf meinem Gesicht hart geworden. Es sieht schlimmer aus, als es ist. Sie schimpft nicht mit mir. Es ist, als sei sie bei mir auf alles gefasst und akzeptiere es. Ich habe immer gedacht, ich hätte einfach Glück. Mir war nicht bewusst, dass ich von all diesem Schutz umgeben war.

Einer meiner Onkel hat eine Farm gekauft, die gegenüber von unserem Haus liegt. Er ist ein sehr herrischer Mann und immer schlecht gelaunt (später erfuhr ich, dass er Krebs hatte). Heimlich nehmen mein Cousin und ich oft die beiden Pferde, die er auf dem Hof hat, und reiten tief in den Wald. Da es Arbeitspferde sind, haben sie keinen Sattel. Mehrmals falle ich vom Pferd, entweder weil ich von einem Gewitter überrascht werde oder weil das Pferd galoppiert, als ich es noch nicht gewohnt bin. Ich komme von meinen Stürzen oder von Ästen zerkratzt nach Hause. Meine Mutter blickt mich an und fragt nur: „Na, was hast du denn jetzt wieder angestellt?“ – aber eigentlich nicht in tadelndem Ton. Ich spüre, dass sie zwar Angst um mich hat, aber meine abenteuerlustige Seite akzeptiert. Sie verbietet mir überhaupt nichts. Ich probiere sehr gern Neues aus. Nie komme ich zur Ruhe. Ich bin superaktiv. Mit meinen Eltern als Vorbild ist es natürlich schwierig für mich, untätig zu sein.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals Angst hatte, von meiner Mutter gescholten zu werden. Vielleicht hat sie deshalb nicht mit mir geschimpft.

Wie hätte ich bei so vielen Vertrauensbeweisen unempfänglich dafür bleiben können? Im Kloster war es ähnlich. In der siebten Klasse schaut mir die Nonne direkt in die Augen und sagt: „Lise, du wirst es einmal weit bringen. Du wirst so manches schaffen! Du hast bestimmt ein erfülltes Leben, du wirst schon sehen.“ Ich spüre, dass sie großes Zutrauen in mich hat, und das berührt mich sehr.

Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, wie viel Unterstützung und Ermutigung mir zuteilwird und wie sehr ich in dieser Hinsicht verwöhnt bin, sodass ich immer wieder meine eigenen Grenzen überschreite und mir meiner Fähigkeiten immer mehr bewusst werde. Alles um mich herum ist bestrebt, mir die Botschaft zu vermitteln, dass GOTT in mir ist und dass Er alles vermag. Nun geht es darum, dass ich diese Macht erkenne. Alles, was passiert, weist darauf hin. In Wirklichkeit hat mein Umfeld mir nur das gespiegelt, was ich über mich selbst wusste, aber noch nicht glaubte!

Was ich damals aber noch nicht weiß: Ich nutze meine mentale Kraft hauptsächlich, um zu beweisen, dass ich gut bin, dass ich kein verfehlter, sondern ein „richtiger Junge“ und kein weinerliches Baby mehr bin, ebenso wenig wie ein Dummchen. Je mehr wir darauf aus sind, etwas zu beweisen, umso mehr spricht dafür, dass wir es nicht glauben. Denn wenn wir es glauben, brauchen wir es nicht krampfhaft zu beweisen. Es ist einfach da, ganz von selbst!

Alles in allem: Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, kann ich mir ganz leicht ein Bild von dem kleinen blonden Mädchen machen: Sie ist sehr lebhaft, energisch und zielstrebig, weiß, wo es langgeht, weiß, was sie zu tun hat, lernt für die Schule … sie ist abenteuerlustig, schafft es aber dennoch, von den Eltern und Lehrerinnen akzeptiert zu werden … sie gibt sich stark, weint nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit. Mir ist damals noch nicht bewusst, dass ich ungern kritisiert werde und alles tue, um meinen Kopf durchzusetzen. Ich muss oft manipulieren, um tun zu dürfen, was ich will, und gleichzeitig zu gewährleisten, dass es von den anderen akzeptiert wird. Schon damals ist es mir wichtig, mich nicht in das Leben anderer einzumischen. Ich folgere daraus: Wenn ich mich bei anderen nicht allzu sehr einmische und wenn sie mich für vernünftig halten, dann lassen sie auch mir die Freiheit, das zu tun, was ich will. Ich zeige bereits die Eigenschaften eines „weichen, sanften Teflon-Kindes1“ (im nächsten Kapitel