Das Nebelland - Arthur Conan Doyle - E-Book

Das Nebelland E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

"Das Nebelland" (Im Original: "The Land of Mist") ist ein 1926 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Sir Arthur Conan Doyle. Im Zentrum der Erzählung stehen spiritistische Séancen. Diese dritte Folge der "Challenger Stories" gehört zu den früheren Science-Fiction-Romanen in englischer Sprache, greift jedoch zugleich auch Elemente des Abenteuerromans auf.

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Das Nebelland

1. Unsere Sonderkorrespondenten machen sich bereit2. Ein Abend in seltsamer Gesellschaft3. Professor Challenger äußert seine Meinung4. Seltsame Vorfälle in Hammersmith5. Unsere Korrespondenten machen eine bemerkenswerte Erfahrung6. Die Gewohnheiten eines Gewohnheitsverbrechers7. Der Gewohnheitsverbrecher bekommt, was ihm nach britischem Recht zusteht8. Drei Abenteurer stoßen auf eine dunkle Seele9. Eine ausgesprochen diesseitige Erscheinung10. De Profundis11. Silas Linden bekommt, was er verdient hat12. Es gibt Höhen, und es gibt Tiefen13. Professor Challenger zieht in die Schlacht14. Challenger trifft auf einen seltsamen Kollegen15. Eine Falle für einen großes Wild16. Challenger macht die Erfahrung seines Lebens17. Die Nebel lichten sichAnhang Erläuterungen zu Kapitel 2. Hellseherei in spiritistischen Kirchen. Zu Kapitel 8. Erdgebundene Geister. Zu Kapitel 10. Seelen-Rettungswachen. Zu Kapitel 12. Die Versuche des Dr. Maupuis. Impressum

1. Unsere Sonderkorrespondenten machen sich bereit

Man hatte sich von dem berühmten Professor Challenger eine ganz falsche Vorstellung gemacht. Ein unermüdlicher Gegner hatte ihn in eine unmögliche und verzwickte Lage gebracht, nur um festzustellen, wie er sich dazu verhalten würde. Challenger reagierte darauf mit einer Beleidigungsklage und einem fruchtlosen Versuch, die Sache zu unterdrücken. Es kam zu einem Tumult in der Sloane Street und zwei persönlichen Angriffen, auch verlor er seinen Posten als Dozent der Physiologie an der Londoner Schule für subtropische Gesundheitspflege. Abgesehen hiervon, verlief die Sache friedlicher, als man erwarten konnte.

Von seinem Temperament hatte er jedoch etwas eingebüßt. Seine riesigen Schultern waren leicht gekrümmt; der schwarze assyrische Bart zeigte graue Strähnen; die Augen hatten etwas von ihrem Feuer verloren; sein Lächeln hatte an Selbstzufriedenheit eingebüßt. Seine Stimme war nach wie vor gewaltig; er hatte es sich aber abgewöhnt, jeden Gegner niederzuschreien. Aber immer noch war er gefährlich, was alle Leute, die regelmäßig mit ihm in Berührung kamen, mit Bedauern feststellen mußten. Noch war der Vulkan nicht erloschen, und dauerndes Grollen ließ neue Ausbrüche befürchten. Viel hatte das Leben ihn noch zu lehren, aber er war weniger unduldsam beim Lernen geworden.

Ein ganz bestimmtes Ereignis war maßgebend für den Umschwung, der sich in seinem Inneren vollzogen hatte. Das war der Tod seiner Frau. Dies zarte Vögelchen hatte sich fest in das Herz des Gatten eingenistet. Er empfand alle Zärtlichkeit und Ritterlichkeit für sie, welche starke Naturen so oft für die Schwachen haben. Dadurch, daß sie sich in alles fügte, hatte sie alles gewonnen, was nur eine zärtliche, fein empfindende Frau erreichen kann. Und als sie plötzlich nach einer heftigen Lungenentzündung, die die Folge einer Influenza war, starb, brach der Mann innerlich vollkommen zusammen. Er richtete sich zwar wieder mit einem reuevollen Lächeln, wie ein geschlagener Boxer empor, und schien bereit, noch manchen Kampf mit dem Geschick ausfechten zu wollen. Aber er war nicht mehr der alte; und wenn er nicht seine Tochter Enid als guten Kameraden an seiner Seite gehabt hätte, so würde er sich wohl von diesem Schicksalsschlag nie wieder erholt haben. Sie war es, welche ihn mit Klugheit für alles interessierte, was seine kämpferische Natur erregen und seinen Geist fesseln konnte, so daß er von der Gegenwart erfüllt war und nicht bei der Vergangenheit verweilen konnte. Nur, wenn sie ihn in erregten Debatten, in heftigen Pressekämpfen, in scharfen Angriffen gegen seine Umgebung sah, fühlte sie, daß er sich auf dem Wege innerer Genesung befand. 

Enid Challenger war eine eigenartige Erscheinung und der besonderen Beachtung wert. Mit dem rabenschwarzen Haar des Vaters, den blauen Augen und der frischen Gesichtsfarbe der Mutter war sie, wenn auch vielleicht keine Schönheit, doch eine fesselnde Erscheinung. Sie war ruhig, aber selbstbewußten Wesens. Schon in der Kindheit hatte sie es verstanden, sich gegen den Vater zu behaupten, andernfalls wäre sie in die Lage gekommen, von ihm vollständig beeinflußt und abhängig zu werden. So war sie energisch genug, ihre Eigenart in einer ruhigen und gewinnenden Weise zu wahren, welche seine Art zwang und ihn überzeugte, wenn die erste Erregung bei ihm vorüber war. Mit der Zeit fühlte sie diesen beständigen gegenseitigen Druck immer mehr, von dem sie sich dadurch zu befreien suchte, daß sie nach einem eigenen Berufe strebte. Sie schrieb ab und zu kleine Artikel für die Londoner Presse und tat dies in einer Art, welche die Aufmerksamkeit der Pressewelt in der Fleet Street auf sie lenkte.

In diesem Streben fand sie warme Unterstützung durch einen langjährigen Freund ihres Vaters und möglicherweise auch des Lesers – Mr. Edward Malone von der Daily Gazette. Malone war immer noch der alte athletische Ire, der einst seinen internationalen Ruf im Rugby begründet hatte, aber das Leben hatte auch ihm einen Dämpfer aufzusetzen verstanden und ihn zu einem ruhigen und nachdenklichen Manne gemacht. Nachdem er die Rugbystiefel ausgezogen hatte, geriet er ein wenig in Vergessenheit. Seine Muskeln mögen wohl etwas schlaffer und seine Gelenke steifer geworden sein, aber sein Geist war dagegen tiefer und reger geworden. Der Jüngling war dahin, der Mann geboren. Äußerlich hatte er sich wenig verändert; sein Schnurrbart war kräftiger geworden, sein Rücken leicht gebeugt, und Spuren der Gedankentätigkeit waren zwischen seinen Augenbrauen sichtbar geworden. Nachkriegszustände und neue Weltprobleme hatten ihre Zeichen hinterlassen. Außerdem hatte er sich im Zeitungswesen und sogar ein wenig in der Literatur einen Namen gemacht. Noch war er unbeweibt, aber Frau Fama wollte wissen, daß dieser Zustand seinem Ende nahe sei, daß die zarten Hände einer Enid Challenger wohl geeignet seien, ihn zu fesseln. Auf jeden Fall waren sie beide recht gute Freunde.

Es war ein Sonntagabend im Oktober, und die Straßenlaternen fingen an, sich aus dem dichten Nebel heraus hervorzuwagen, der London seit dem frühen Morgen eingehüllt hatte. Professor Challengers Wohnung lag in Victoria West Gardens im dritten Stockwerk, und der Nebel lagerte dicht an den Fensterscheiben, während das gedämpfte Geräusch des eingeschränkten Sonntagsverkehrs von einer unsichtbaren Verkehrsstraße heraufdrang, die sich nur durch vereinzelte schwache Lichtstrahlen bemerkbar machte. Professor Challenger saß mit seinen starken, übereinandergeschlagenen Beinen vor dem Kamin, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Sein Anzug verriet ein wenig von der Überspanntheit des Genies, denn er trug ein weites, halsfreies Hemd, ein breitgeknotetes braunes Seidentuch und eine schwarze Sammetjoppe, welche ihm bei seinem wallenden Barte das Aussehen eines älteren Bohemiens gaben. An seiner Seite, zum Ausgehen fertig, mit weichem Filzhut, kurz geschürztem schwarzen Kostüm und all dem modernen Zubehör, mit dem die Frau von heute es versteht, die natürliche Schönheit zunichte zu machen, saß seine Tochter, während Malone mit dem Hute in der Hand am Fenster wartete.

„Ich denke, es ist Zeit zu gehen, Enid. Es ist fast sieben Uhr“, sagte er.

Sie arbeiteten gemeinsam an Artikeln über religiöse Sekten in London, und an jedem Sonntagabend bummelten sie miteinander, um wieder irgendeine neue Sekte ausfindig zu machen, die ihnen Stoff für neues Material in der Wochenausgabe der Gazette bot.

„Es ist noch nicht mal acht Uhr, Ted. Wir haben reichlich Zeit.“

„Setzen Sie sich, Verehrtester!“ dröhnte Challenger, an seinem Barte zupfend, wie es seine Gewohnheit war, wenn ihn etwas erregte. „Nichts kann mich mehr irritieren, als wenn jemand hinter mir steht. Ein Überbleibsel aus der Urväterzeit und die Furcht vor dem Dolche, aber dennoch vorhanden. So ist’s recht. Legen Sie um alles in der Welt den Hut weg! Sie gebärden sich, als liefen Sie dauernd einem fahrenden Zug nach.“

„Das bringt das Leben im journalistischen Berufe mit sich“, sagte Malone. „Wenn wir nicht immer den fälligen Zug erreichen, haben wir das Nachsehen. Sogar Enid fängt an, dies zu begreifen. Aber trotzdem, wie gesagt, bleibt uns noch Zeit genug.“

„Wie weit seid ihr?“ fragte Challenger.

Enid blickte geschäftig in ein kleines Notizbuch. „Sechs haben wir hinter uns. Da ist zuerst Westminster Abbey als Kirchenrepräsentant in seiner wirkungsvollsten Art und Saint Agatha für die Hochkirche und Tudor Place für die Puritaner. Dann Westminster Cathedral für die Katholiken, Endell Street für die Presbyterianer und Gloucester Square für die Einheitsbekenner. Aber heute abend besuchen wir eine neue Glaubensart. Wir versuchen es mit den Spiritisten.“

Challenger schnaubte wie ein wütend gemachter Büffel. „Und nächste Woche wohl die Irrenhäuser, nehme ich an“, sagte er. „Sie wollen mir doch wohl nicht einreden, Malone, daß diese Geisterseher ihre eigenen Kirchen haben?“

„Ich habe mich mit dieser Sache etwas befaßt“, sagte Malone. „Ich schaue den Tatsachen kühl ins Gesicht, ehe ich einer Sache zu Leibe gehe. Es gibt davon mehr als vierhundert eingetragene Gotteshäuser in Großbritannien.“

Challengers Grunzen klang nun gleich dem einer ganzen Büffelherde. „Mir scheint, daß es eine Grenze für menschliche Sinnlosigkeit und Leichtgläubigkeit nicht gibt. Homo sapiens? Homo idioticus! Wen beten sie an … die Geister?“ 

„Ja, gerade das wollen wir ergründen. Wir müssen etwas Material aus ihnen herausholen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich völlig Ihrer Meinung bin, aber ich habe kürzlich bei Atkinson im St. Marys Hospital einiges erlebt. Wie Sie wissen, ist er ein Chirurg von Ruf.“

„Ich habe von ihm gehört – ein aufrechter Geist!“

„Das ist der Mann! Er ist ein klarer Kopf und gilt als Autorität auf dem Gebiet der übersinnlichen Forschung, wie man die neue Wissenschaft nennt, welche sich mit diesen Dingen befaßt.“

„Schöne Wissenschaft, in der Tat!“

„Ja, so nennt man es doch nun einmal. Er scheint diese Leute ernst zu nehmen. Ich suche ihn auf, sobald ich eine Referenz brauche, denn er hat die gesamte Literatur in Reichweite. Führer der menschlichen Rasse, nannte er sie.“

„Führer ins Tollhaus“, polterte Challenger. „Und Literatur? Was für Literatur haben sie?“

„Nun, das war eine weitere Überraschung. Atkinson hat fünfhundert Werke und erklärt dabei, daß seine parasychologische Bücherei sehr unvollkommen sei. – Es gibt sie in Französisch, Deutsch und Italienisch, ebenso wie in Englisch.“

„Na, Gott sei Dank ist all der Blödsinn nicht auf unser armes Alt-England beschränkt! Ansteckender Unsinn!“

„Hast du dich je mal damit beschäftigt, Vater?“ fragte Enid.

„Ich mich damit beschäftigen? Wo ich bei allen meinen Interessen schon kaum die Zeit für die Hälfte finde? Enid, manchmal bist du geradezu komisch.“

„Erlaube, Vater, du sprachst mit solcher Sicherheit, daß ich glaubte, du wüßtest einiges darüber.“

Challengers massiges Haupt flog herum und sein durchdringender Blick ruhte auf seiner Tochter.

„Bist du wirklich der Ansicht, daß ein logisch denkender Kopf, ein Gehirn erster Ordnung es nötig hat zu lesen und zu studieren, um einen auf der Hand liegenden Unsinn zu entdecken? Habe ich es nötig, Mathematik zu studieren, um einen Menschen zu widerlegen, der mir erzählen will, daß zweimal zwei gleich fünf ist? Muß ich vielleicht noch einmal Physik studieren und meine Prinzipien mißachten, weil ein paar Betrüger oder Dummköpfe behaupten, daß ein Tisch sich entgegen dem Gesetze der Schwerkraft in die Luft erheben kann? Benötigt man einer Bibliothek von fünfhundert Büchern, um sich über eine Sache zu informieren, welche durch jedes Gericht überprüft werden kann, wenn ein Betrüger entlarvt wird? Enid, ich schäme mich deiner!“

Seine Tochter lachte herzlich auf. „Nun gut, Vater, du brauchst mir nicht länger zu grollen. Ich gebe klein bei. Ich habe in der Tat die gleiche Überzeugung wie du.“ 

„Nichtsdestoweniger“, sagte Malone, „treten hervorragende Männer für all dieses ein. Ich halte es für unmöglich, über Lodge und Crookes und andere von gleichem Range zu lachen.“

„Seien Sie nicht absonderlich, Malone. Jeder große Geist hat seine schwache Seite, es ist eine Art Widerstand gegen jeden gesunden Menschenverstand, man stößt da plötzlich auf ein Gebiet von barem Unsinn. Das ist es, was bei diesen Leuten der Fall ist. Nein, Enid, ich habe ihre Begründungen nicht gelesen und beabsichtige es auch nicht zu tun. Viele Dinge liegen außerhalb des Begriffsvermögens. Wenn wir alle diese alten Fragen wieder auf werfen, wie wollen wir mit den neuen fertig werden? Diese Dinge sind durch den gesunden Menschenverstand erledigt, durch das Gesetz von England und durch das Urteil jedes gesunden Europäers.“

„Und damit abgemacht, basta“, sagte Enid.

„Trotz alledem“, fuhr er fort, „muß ich sagen, daß es gelegentliche Entschuldigungen für Mißverständnisse auf diesem Gebiet gibt.“ Er dämpfte seine Stimme, und seine großen, grauen Augen starrten traurig ins Leere. „Ich habe Fälle gekannt, in denen der kühlste Intellekt – der meinige nicht ausgeschlossen – für einen flüchtigen Augenblick fast hätte ins Wanken kommen können.“

Malone witterte Material.

„Bitte erzählen Sie!“

Challenger zögerte. Er schien mit sich selbst zu kämpfen. Er wollte sprechen, und doch schien ihm das Sprechen schmerzlich. Mit einer jähen ungeduldigen Bewegung stürzte er sich dann in seine Erzählung.

„Ich habe zu dir niemals davon gesprochen, Enid, es war ein gar zu persönliches Empfinden. Vielleicht auch zu absonderlich, ich schämte mich, so erschüttert worden zu sein. Aber es zeigt, wie selbst jemand, der sich im besten Gleichgewicht befindet, unvermutet umgeworfen werden kann. Es war nach meines Weibes Tod. Sie kannten sie ja, Malone, Sie können nachfühlen, was das für mich bedeutete. Es war die Nacht nach der Einäscherung – schrecklich Malone, entsetzlich! Ich sah den lieben kleinen Körper niedergleiten immer tiefer, und dann das Leuchten der Flamme, und die Tür schlug ins Schloß.“

Sein starker Körper schüttelte sich. Er deckte seine große, behaarte Hand über seine Augen.

„Ich weiß eigentlich nicht, warum ich Ihnen das jetzt erzähle. Das Gespräch scheint mir die Erinnerung daran geweckt zu haben. Es mag Ihnen zur Warnung dienen. In jener Nacht – der Nacht nach der Einäscherung – saß ich in der Halle. Sie war bei mir“, sagte er und deutete auf Enid. „Das arme Ding war in einem Sessel eingeschlafen. Sie kennen das Haus in Rotherfield, Malone. Es war in der großen Halle. Ich saß, müde und abgespannt, am Kamin, der Raum war ganz in Schatten gehüllt. Ich hätte sie ins Bett schicken sollen, aber sie lag in ihrem Sessel zurückgelehnt, und ich mochte sie nicht aufwecken. Es mag ein Uhr nachts gewesen sein, ich erinnere mich, daß der Mond durch die farbigen Fensterscheiben schien. Ich saß und grübelte. Plötzlich hörte ich ein Geräusch. Zuerst war es ganz leise, gerade nur ein Ticken, dann wurde es lauter und bestimmter, es war ein deutliches Rat-tat-tat. Jetzt kommt das seltsame Zusammentreffen, die Situation, woraus Legenden entstehen, wenn die Leichtgläubigkeit dabei die Hand im Spiele hat. Sie müssen wissen, daß meine Frau eine eigentümliche Art hatte, an die Tür zu klopfen. Es war eine richtige kleine Melodie, welche sie mit ihren Fingern spielte. Ich tat es in derselben Weise, so konnte jeder von uns wissen, wenn der andere klopfte. Kurz und gut, es schien mir – selbstverständlich war ich geistig überanstrengt und müde –, als ob das Tippen sich zu dem wohlbekannten Rhythmus ihres Klopfens formte. Ich konnte es nicht lokalisieren. Sie können sich vorstellen, mit welchem Eifer ich es versuchte. Es war über mir, irgendwo in der Holztäfelung. Ich verlor jeden Zeitsinn. Ich glaube wohl, es hatte sich schließlich ein Dutzendmal wiederholt.“

„Oh, Vater, du hast mir nie davon erzählt!“

„Nein, aber ich weckte dich auf und bat dich, noch ein wenig ruhig bei mir zu sitzen.“

„Ja, ich erinnere mich.“

„Nun wohl, wir saßen, aber nichts ereignete sich. Nicht ein Laut mehr. Natürlich war es eine Täuschung. Irgendein Wurm im Holz, vielleicht der Efeu an der Außenwand. Meine Sinne täuschten mir den Rhythmus vor. So machen wir uns selbst zu Narren und Kindern. Aber es gab mir eine Einsicht. Ich sah, wie selbst ein kluger Mann durch seine eigenen Erregungen getäuscht werden kann.“

„Aber woher wissen Sie, mein Lieber, daß es nicht Ihr Weib war?“

„Absurd, Malone. Absurd, sage ich! Ich versichere Ihnen, ich sah sie in den Flammen. Was sollte da noch existieren?“

„Ihre Seele, ihr Geist!“

Challenger schüttelte traurig sein Haupt.

„Als dieser arme Körper sich in seine Bestandteile auflöste, als seine Gase in die Luft entwichen und seine festen Rückstände in grauen Staub sanken, da war alles zu Ende. Da war nichts mehr. Sie hatte ihre Aufgabe vollendet, hatte sie in Schönheit und Edelmut vollendet. Es war getan. Der Tod endet alles, Malone. Das Geschwätz von der Seele ist der Animismus der Wilden. Es ist ein Aberglaube, eine Mythe. Als Physiologe will ich es unternehmen, Verbrechen oder Tugendhaftigkeit durch die Steuerung der Gefäße oder durch zerebrale Stimulation hervorzubringen. Ich kann einen Jekyll durch eine chirurgische Operation in einen Hyde verwandeln. Ein anderer bringt es durch eine psychologische Behandlung fertig. Alkohol kann es schaffen. Rauschmittel werden es bewerkstelligen. Absurd, Malone, absurd! Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen. Da gibt es keinen neuen Morgen – Nacht – ewige Nacht – und lange Rast für müde Arbeiter!“

„Das ist aber eine traurige Philosophie.“

„Besser eine traurige, als eine falsche.“

„Möglich. Es hat etwas Eindrucksvolles und Männliches an sich, dem Ärgsten fest ins Antlitz zu blicken. Ich möchte nicht widersprechen. Meine Vernunft gibt Ihnen recht!“

„Aber mein Gefühl ist dagegen!“ rief Enid. „Nein, nein, niemals kann ich das glauben.“ Sie schlang ihre Arme um den kräftigen Hals. „Erzähle mir nicht, Vater, daß du mit deinem ganzen Verstande, mit deinem herrlichen Selbst nicht mehr Nachleben hast, als eine zerbrochene Uhr!“

„Vier Eimer Wasser und ein Beutel voll Salz“, sagte Challenger, als er sich lächelnd aus seiner Tochter Umarmung löste, „das bleibt von deinem Vater, mein Liebstes, und es wäre gut für dich, dein Denken damit in Einklang zu bringen. Nun, es ist zwanzig Minuten vor 8 Uhr, kommen Sie danach noch herein, wenn es Ihnen möglich ist, Malone, und berichten Sie mir von Ihren Abenteuern unter den Schwachköpfen!“

2. Ein Abend in seltsamer Gesellschaft

Die Liebesangelegenheit von Enid Challenger und Edward Malone ist für den Leser von keinem Interesse, da sie selbst für den Schreiber belanglos ist. Wir sprechen in dieser Erzählung von Dingen, welche weniger alltäglich, aber von größerem Interesse sind. Das Verhältnis der beiden wird nur erwähnt, um die freie und vertrauliche Kameradschaft, welche in der Erzählung offenbar wird, zu erklären. Wenn die Menschheit sich, wie der Augenschein lehrt, in irgend etwas gebessert hat, wenigstens in den anglo-keltischen Ländern, so ist es die Tatsache, daß die starren gesellschaftlichen Ansichten freier geworden sind, und daß sich die Jugend beider Geschlechter in reiner und ehrenhafter Freundschaft gleichberechtigt zusammenfinden kann.

Ein Taxi brachte die beiden Abenteurer die Edgware Road hinunter und in eine Nebenstraße, namens Helbeck Terrace. Halbwegs die Straße hinunter, wurde das Einerlei der Häuser durch einen freien Platz, den ein offener Torweg begrenzte, unterbrochen. Aus dem offenen Torweg fiel eine Lichtflut auf die Straße. Die Droschke hielt, und der Fahrer öffnete den Wagenschlag.

„Dies ist die Spiritualist Church, Sir“, bemerkte er. Dann fügte er, während er sich für das Trinkgeld bedankte im Tonfall eines Mannes, der mit allen Wassern gewaschen ist, hinzu: „Fauler Zauber nenne ich es, Sir.“ Nachdem er seinen Gefühlen in dieser Weise Luft gemacht hatte, kletterte er wieder auf seinen Sitz, und einen Augenblick später sah man die rote Schlußlampe seines Wagens in der Dunkelheit verschwinden.

Malone lachte. „Vox populi, Enid. Soweit beurteilt das Publikum die Sache heute.“

„Weiter sind wir auch noch nicht.“

„Ja, wir sind wenigstens bereit, der Sache näherzutreten. Ich glaube kaum, daß unser Taxifahrer da mitmacht. Alle Wetter, es scheint fraglich, ob wir da überhaupt hineinkommen werden!“

Es war ein starker Andrang vor dem Kirchentor, und ein Mann, auf den Kirchenstufen stehend, machte Zeichen der Abwehr mit den Armen.

„Es hat wenig Zweck, meine Freunde. Es tut mir leid, aber ich kann’s nicht ändern. Wir sind schon zweimal wegen Überfüllung des Saales bestraft worden.“ Er wurde leicht ironisch. „Noch niemals habe ich gehört, daß eine orthodoxe Kirche deshalb bestraft wird. Ganz bestimmt nicht!“

„Ich bin den ganzen langen Weg von Hammersmith her gekommen“, jammerte eine Stimme. Das Licht fiel auf das fanatische, begierige Gesicht einer kleinen, schwarzgekleideten Frau mit einem Baby im Arm.

„Sie kommen doch der Hellseherei wegen“, bemerkte der Türhüter mit Verständnis. „Hören Sie, geben Sie mir Ihren Namen und Adresse, und ich werde Ihnen schreiben, dann mag Ihnen Mrs. Debbs eine Sitzung umsonst gewähren. Das ist viel gescheiter, als sich hier zwecklos herumstoßen zu lassen, wenn beim besten Willen nicht jeder hineingelassen werden kann. Sie werden ganz allein mit ihr sein. Nein, Sir, das hat gar keinen Zweck, mir Ihre Karte zu zeigen. Was ist das? Presse?“

Er hatte Malone beim Ellbogen gefaßt.

„Sagten Sie Presse? Die Presse boykottiert uns, Sir. Sehen Sie doch die Kirchenliste in der Sonnabend-Times nach, wenn Sie es bezweifeln. Darin finden Sie von Spiritismus keine Silbe. Um welche Zeitung handelt es sich? Daily Gazette? Potztausend, wir machen ja Karriere! Und die Dame ebenfalls? Sonderbericht? Alle Wetter! Halten Sie sich dicht an mich, Sir. Ich werde sehen, was sich machen läßt. Schließe die Tür, Joe. Es hat gar keinen Zweck, Freunde! Wenn der Baufonds wächst, dann werden wir auch mehr Platz für Sie haben. Nun, meine Lady, bitte hierher.“ 

Dieser Weg führte die Straße abwärts und brachte sie durch eine kleine Seitengasse zu einer kleinen Tür, über welcher eine rote Lampe brannte.

„Sie werden oben auf dem Podium Platz nehmen müssen, weil im Saale selber kein Apfel mehr zur Erde kann.“

„Großer Gott!“ rief Enid.

„Sie werden gut sehen können, meine Lady, und kriegen möglicherweise ’ne Sondersitzung, wenn Sie Glück haben. Es passiert oft genug, daß die, welche dem Medium am nächsten sitzen, die besten Chancen haben. Kommen Sie hierher, Sir!“

Man befand sich in einem dürftigen kleinen Raum, in welchem einige Hüte und Überzieher die schlecht getünchten Wände zierten. Eine schmächtige, finster blickende Frau, mit Augen, die von einer Brille bedeckt waren, wärmte ihre langfingrigen Hände an einem kleinen Ofen. Mit dem Rücken zum Ofen in der herkömmlichen britischen Art stand ein großer, starker Mann mit blutlosem Gesicht, fahlem Bart und merkwürdig hellblauen Augen, den typischen Augen eines alten Seebären. Ein kleiner Kahlkopf mit großer Hornbrille und ein sehr hübscher, kraftvoll gebauter Jüngling in blauem Straßenanzug vervollständigten die Gruppe.

„Die anderen sind aufs Podium gegangen, Mr. Peeble, es sind nur noch fünf Sitzplätze für uns selbst übrig.“ Der starke Mann machte diese Bemerkung.

„Weiß schon, weiß schon“, antwortete der als Peeble Angeredete. Ein nervöses, vertrocknetes Männchen war es, das sich hier im Lichte präsentierte.

„Aber jetzt kommt die Presse noch, Mr. Bolsover. Daily Gazette – mit Sonderbericht! Sie heißen Malone und Challenger. Ich darf Ihnen Mr. Bolsover, unseren Präsidenten, vorstellen. Hier ist Mrs. Debbs, die berühmte Hellseherin aus Liverpool. Dies ist Mr. James, und dieser schlanke junge Mann ist unser rühriger Sekretär, Mr. Hardy Williams. Mr. Williams trommelt für unseren Baufonds, halten Sie die Taschen zu, wenn er in der Nähe ist.“

Alles lachte.

„Die Sammelbüchse kommt später“, sagte Williams lachend.

„Ein zündender Artikel ist die beste Kollekte für uns“, sagte der dicke Präsident. „Haben Sie schon mal so ’ne Veranstaltung mitgemacht, Sir?“

„Noch nicht“, sagte Malone.

„Versteh’n auch wohl nicht viel davon, nehme ich an?“

„Nein, gar nichts!“

„Na, wir werden uns also auf ’nen Verriß gefaßt machen müssen. Anfangs werden wir meist veralbert. Wir erwarten also von Ihnen einen sehr humoristischen Bericht. Ich habe zwar noch nie einsehen können, warum der Geist einer toten Frau lustig sein soll; aber das hängt vom Geschmack und vom Wissen ab. Wie kann man so’ ne Sache ernst nehmen, wenn man nichts davon versteht? Ich mache denen keinen Vorwurf draus. Wir haben’s früher nicht besser gemacht. Ich gehörte einst zu Bradlaugh’s Anhang und arbeitete unter Joseph MacCabe, bis mein alter Herr kam und mich aus der Sache herausholte.“

„Das Beste, was Ihnen passieren konnte“, sagte das Liverpooler Medium.

„Das war das erste Mal, daß ich etwas von meinen eigenen Kräften wahrnahm. Ich sah den alten Herrn, wie ich Sie jetzt hier sehe.“

„War er als Lebender einer von uns?“

„Weiß es bis heute nicht. Aber sie kommen erstaunlich heran auf der anderen Seite, wenn sie die richtigen Leuten erwischen.“

„Jetzt geht’s los!“ sagte Mr. Peeble, indem er auf seine Uhr blickte. „Sie sitzen zur Rechten des Präsidenten, Mrs. Debbs. Wollen Sie bitte vorangehen? Dann Sie, Herr Präsident. Dann Sie beide und dann ich selbst. Gehen Sie auf die linke Seite, Mr. Hardy Williams, und leiten Sie den Gesang. Die müssen in Stimmung gebracht werden, und Sie verstehen sich darauf. Also nun los, bitte.“

Das Podium war bereits besetzt, aber die neuen Ankömmlinge bahnten sich unter beifälligem Gemurmel des Willkommens ihren Weg im Gänsemarsch bis zur vordersten Reihe. Mr. Peeble schob sich vor und machte zwei Eckplätze frei, auf denen Enid und Malone Platz nahmen. Diese Anordnung paßte den beiden sehr gut, denn sie konnten ihre Notizbücher, gedeckt durch die vor ihnen befindlichen Personen, benutzen.

„Welchen Eindruck hast du?“ flüsterte Enid.

„Bisher noch gar keinen.“

„Ich auch nicht“, sagte Enid, „aber trotzdem ist es interessant.“

Ernsthafte Leute sind immer interessant, wie man auch zu ihren Anschauungen stehen mag, und zweifellos war es diesen Leuten außerordentlich ernst. Der Saal war überfüllt, und was man sah, waren aufwärts gerichtete Gesichter, merkwürdig ähnlich in ihrer Art, das weibliche Element überwiegend, ohne daß das männliche stark zurückblieb. Dieser Typ war weder vornehm noch intellektuell, aber unzweifelhaft gesund, ehrlich und klaren Kopfes. Kleiner Mittelstand beiderlei Geschlechts, Ladenangestellte, besserer Handwerkerstand, Frauen aus kleinen Verhältnissen, denen man die wirtschaftlichen Sorgen ansah, gelegentlich junges Volk, dem die Neugierde auf dem Gesicht geschrieben stand. Dies war der Eindruck, welchen die Zuhörerschaft dem geübten Auge eines Malone bot.

Der dicke Präsident erhob sich mit ausgestrecktem Arm.

„Freunde“, sagte er, „leider konnten wir wieder einer großen Menge, die sich als die Unsrigen betrachten, keinen Einlaß gewähren. Alles hängt vom Baufonds ab, und Freund Williams zu meiner Linken ist jederzeit zur Entgegennahme von Beiträgen bereit. Vor einigen Tagen war ich in einem Hotel, dort fiel mir ein Plakat an der Rezeption auf, wonach Schecks nicht in Zahlung genommen werden. Wir sind durchaus nicht so penibel und nehmen sie gern, versuchen Sie es nur.“

Die Zuhörerschaft lachte. Die Stimmung hier war eher die eines Vortragssaales, als die einer Kirche.

„Auf einen Punkt muß ich noch kommen, ehe ich mich setze. Zum Reden bin ich nicht gekommen, ich habe den Vorsitz zu führen, und der Aufgabe will ich gerecht werden. Leicht ist die Sache nicht. Die Spiritisten will ich an Sonntagabenden hier nicht sehen. Sie füllen das Haus, das den Wißbegierigen gehören sollte. Ihr Spiritisten habt ja den Vormittagsgottesdienst. Für die Sache selber ist es besser, daß abends die Gäste Platz finden. Ihr seid ja im Bilde. Dankt Gott dafür! Gebt anderen Menschen auch die Möglichkeit.“ Damit setzte sich der Präsident nieder.

Es erhob sich sofort Mr. Peeble. Er war zweifellos ein gewandter Mensch, der in Versammlungen zu Hause war und ihnen seinen Stempel aufzudrücken verstand. Mit seinem schmalen beweglichen Gesicht und seinen gestikulierenden Händen war er nicht ein Stromkabel, sondern ein ganzes Bündel von Leitungsdrähten, das vor Elektrizität sprühte. 

„Hymne Eins!“ erscholl es aus seinem Munde.

Ein Harmonium setzte ein, und die Zuhörer erhoben sich. Ein schöner, herzhafter Gesang ertönte.

Von Gottes Hauch aufs neu’ geküßt, so will’s dem Herrn gefallen. Verstorb’ner Seelen Schicksal ist ein neues Erdenwallen.

Mit besonderer Begeisterung wurden die Schlußzeilen in den Saal geschmettert.

Zu dir, du Gott, dem Wunderquell befehl ich meine Seele, dieweil der Leib in Grabeszell’ büßt für mein Sünd’ und Fehl.

Heiliger Ernst beseelte diese Menschen. Und sie schienen geistig nicht geringwertiger als ihre Mitmenschen. Und doch fühlten Enid und Malone tiefes Mitleid, als sie über die Menge blickten. Wie traurig, in so intimen Dingen getäuscht zu werden, von Schwindlern am Narrenseil geführt zu werden, welche die heiligsten menschlichen Gefühle und die geliebten Toten als Spielmarken benutzen, um die Menschen zu betrügen. Was wußten diese hier vom Gesetze der Logik und von den unumstößlichen Folgerungen der wissenschaftlichen Regeln? Arme, ehrliche, irregeführte Menge!

Da ertönte Peebles Stimme. „Wir werden Mr. Munro aus Australien bitten, mit der Anrufung zu beginnen.“

Ein wild aussehender Mann mit ungepflegtem Vollbart und glühendem Augenausdruck erhob sich und stand einige Sekunden mit gesenktem Blick da. Alsdann begann ein einfaches, unvorbereitet wirkendes Gebet. Malone schrieb den ersten Satz nieder: „Oh, Vater im Himmel, wir sind unwissendes Volk und wissen nicht recht, wie wir uns dir nähern können, aber wir wollen zu dir beten, so gut wie wir’s verstehen.“

Es wurde alles in dieser schlichten Art gesprochen. Enid und Malone tauschten einen Blick des Einverständnisses. Eine zweite Hymne, weniger eindrucksvoll als die erste, folgte jetzt, und danach kündigte der Versammlungsleiter an, daß Mr. James Jones aus North Wales eine Ansprache in Trance halten würde, bei welcher der bekannte Kontrollgeist Alasha der Atlantier zu Worte käme.

Mr. James Jones, ein beweglicher und entschlossener Mann in einem abgetragenen karierten Anzug, trat in den Vordergrund und begann zu sprechen, nachdem er einige Minuten, in tiefen Gedanken versunken, zitternd dagestanden hatte. Es muß zugestanden werden, daß, abgesehen von einer leichten Erstarrung in seinem ins Leere gerichteten Blick, keine Anzeichen vorhanden waren, daß irgend jemand anders als Mr. James Jones von North Wales der Sprecher war. Es muß außerdem festgestellt werden, daß, wenn beim Beginn der Sitzung Mr. Jones von Starrheit erfaßt worden war, dieser Zustand jetzt auf die Zuhörer übergesprungen war. Von seinem eigenen Anspruch abgesehen, hatte er den klaren Beweis erbracht, daß ein atlantisches Geistwesen ein schrecklich langweiliger Kerl sein könne. Er ließ sich in allen möglichen Plattheiten und Nichtigkeiten vernehmen, so daß Malone Enid zuflüsterte, es sei ein Glück, daß dieser Erdteil, wenn er viele solcher Hanswurste beherbergt hatte, bereits zu den versunkenen gehöre. Als mit einem neuen, fast melodramatisch wirkenden Schütteln Mr. James Jones aus seiner Trance erwachte, sprang der Versammlungsleiter auf, und zwar mit einer Schnelligkeit, welche zeigte, daß er kein Risiko eingehen wollte, den Atlantier noch einmal zu Wort kommen zu lassen.

„Unter uns weilt heute abend“, so rief er, „Mrs. Debbs, die berühmte Hellseherin aus Liverpool. Wie viele von Ihnen wissen, ist Mrs. Debbs reich mit jenen Gaben ausgestattet, von denen St. Paul redet, und das Erkennen von Geistern ist eine dieser Gaben. Alle diese Erscheinungen sind von gewissen Gesetzen abhängig, die wir nicht beeinflussen können, aber eine sympathische Atmosphäre ist ein wesentlicher Faktor, und deshalb bittet Mrs. Debbs um Ihr Wohlwollen und Ihre Gebete während ihrer Bemühungen, mit den erlesenen Jenseitigen in Fühlung zu kommen, die uns vielleicht heute abend mit ihrer Gegenwart beehren werden.“

Der Präsident setzte sich und Mrs. Debbs erhob sich unter beifälligem Gemurmel des Publikums. Sehr groß, sehr bleich, sehr schlank mit scharf geschnittenem Gesicht und Augen, die glänzend aus goldgeränderten Brillengläsern hervorstachen, stand sie angesichts der erwartungsvollen Menge. Ihr Kopf war gebeugt. Sie schien zu horchen.

„Schwingungen“, rief sie aus, „ich brauche hilfreiche Schwingungen. Laßt das Harmonium ertönen.“

Das Instrument intonierte: „Jesu, Liebster meiner Seele!“ Das Auditorium verharrte erwartungs- und ehrfurchtsvoll. Der Saal war nicht übermäßig gut beleuchtet, und dunkle Schatten lauerten in den Ecken. Das Medium hielt noch den Kopf gesenkt, in einer Haltung, die angestrengtes Lauschen verriet. Sie erhob die Hand, die Musik setzte aus.

„Einen Augenblick nur, jeder zu seiner Zeit“, sagte sie zu einigen unsichtbaren Wesen und fuhr dann, zum Auditorium gewandt, fort: „Ich habe die Empfindung, daß die Vorbedingungen günstiger sein könnten, ich tue sicher mein Bestes und so auch die um mich. Aber erst muß ich zu ihnen sprechen.“

Und sie sprach. Was sie sagte, schien den beiden Neulingen absolut sinnloses Zeug. Es war zusammenhangloses Gemurmel, bei dem hin und wieder eine Phrase die Aufmerksamkeit erregte. Malone steckte seinen Füllfederhalter in die Tasche. Es hatte keinen Zweck, Worte einer Irren zu Papier zu bringen. Ein Spiritist sah seine Verärgerung und beugte sich zu ihm: „Sie stimmt sich ein und bekommt schon ihre Wellenlänge“, flüsterte er. „Es ist alles eine Frage der Schwingung. Aha, nun passen Sie auf!“

Sie hatte plötzlich im Satz abgebrochen. Ihr langer Arm reckte sich, und ihr Zeigefinger stieß in die Luft. Sie wies auf eine ältliche Frau in der zweiten Reihe.

„Sie! Jawohl, Sie, mit der roten Feder, keine andere. Die starke Dame im Vordergrund, jawohl Sie! Hinter Ihnen bildet sich ein Geistwesen. Es ist ein Mann. Ein großer Mann, etwa sechs Fuß hoch. Hohe Stirn, Augen grau oder blau, langes Kinn, brauner Schnurrbart mit Furchen im Gesicht. Erkennen Sie ihn, meine Freundin?“ Die starke Dame sah erregt aus, aber schüttelte den Kopf.

„Warten Sie, ich werde versuchen, Ihnen zu helfen. Er hält ein braunes Buch empor, ein Buch mit einem Verschluß. Es ist ein Hauptbuch, wie man es im Bureau braucht. Ich kann die Worte Kaledonien und Versicherung unterscheiden. Hilft Ihnen das auf die Fährte?“ Die starke Frau schob die Lippen zusammen und schüttelte heftig den Kopf.

„Nun, ich kann Ihnen vielleicht noch etwas mehr helfen. Er starb nach langer Krankheit. Ich fühle eine Erkrankung der Brust – Asthma.“

Die starke Dame blieb noch ablehnend, aber eine magere, ärgerliche Person mit rotem Gesicht, zwei Plätze von der Dicken entfernt, sprang plötzlich auf.

„Das ist mein Ehemann, Ma’am, sagen Sie ihm, ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“ Entschlossen setzte sie sich wieder.

„Jawohl, das stimmt. Er nähert sich jetzt Ihnen. Er will Ihnen sagen, daß er betrübt ist. Man soll Toten gegenüber nicht hartherzig sein. Vergeben und vergessen! Es ist alles vorbei. Ich habe eine Botschaft für Sie. Sie lautet: Tu’s, und mein Segen wird auf dir ruhen. – Hat das irgendwelchen Wert für Sie?“

Die verärgerte Frau sah befriedigt aus und nickte. „Sehr gut!“

Plötzlich wies die Hellseherin mit ihrem Finger auf ein Menschenknäuel an der Tür. „Der Soldat kommt an die Reihe.“

Ein Soldat in Khaki, sehr erstaunt, stand in der vordersten Reihe des Knäuels.

„Nanu, was will man von mir?“ fragte er.

„Er ist ein Soldat. Er trägt Corporalsstreifen. Ein großer Mann mit angegrautem Haar. Er hat eine gelbe Litze auf den Achseln. Ich bekomme die Anfangsbuchstaben J. H. Kennen Sie ihn?“

„Ja, aber er ist schon tot!“ sagte der Soldat.

Noch hatte er nicht begriffen, daß er sich bei den Spiritisten befand, und die ganzen Vorgänge waren ihm bis jetzt völlig unverständlich geblieben. Schnell klärte ihn seine Nachbarschaft auf.

„Mein Gott!“ schrie der Soldat auf und verschwand unter allgemeinem Kichern. Während der Pause konnte Malone beobachten, wie das Medium anscheinend mit einem Unsichtbaren flüsterte.

„Ja, ja, warten Sie, bis Sie dran sind. Sprechen Sie, Frau! Ja, gehen Sie möglichst zu ihm heran. Wie konnte ich es wissen? Natürlich will ich, wenn es möglich ist!“ Sie war wie ein Türhüter an der Tür, der die Wartenden truppweise einläßt.

Ihr nächster Versuch war ein völliger Fehlschlag. Ein untersetzter Mann mit vollem Backenbart weigerte sich, irgend etwas mit einem älteren Herrn zu tun zu haben, der sich als sein Verwandter ausgab. Das Medium arbeitete mit bewunderungswürdiger Geduld, brachte immer wieder frische Einzelheiten, aber es konnte kein Fortschritt erzielt werden.

„Lieber Freund, sind Sie Spiritist?“

„Ja, seit zehn Jahren.“

„Sie wissen doch, daß es schwierig ist.“

„Ja, das weiß ich.“

„Denken Sie darüber nach, vielleicht wird es später klar. Einstweilen müssen wir es dabei belassen. Es tut mir Ihretwegen leid.“

Jetzt trat eine Pause ein, während der Enid und Malone miteinander flüsterten.

„Was meinst du dazu, Enid?“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Sache gibt mir zu denken.“

„Ich glaube, teilweise ist es gut geraten, und andernteils sind Mitwisser im Spiel. Diese Leute sind alles Glaubensgenossen und wissen natürlich einer von des anderen Angelegenheiten. Was sie nicht wissen, können sie leicht erfahren.“

„Jemand erzählte hier, es sei Mrs. Debbs’ erste Sitzung.“

„Ja, schon recht, aber es wäre nicht schwer, ihr vorher manches mitzuteilen. Es ist alles kluger Schwindel und Bluff. Nur das kann es sein, denn denke doch bloß, was es impliziert, wenn es kein Schwindel wäre.“

„Vielleicht Gedankenübertragung.“

„Ja, aber doch nur einiges davon! Höre nur zu, es geht schon wieder los!“

Ihr nächster Versuch war glücklicher. Ein kummervoll aussehender Mann am hinteren Ende des Saales erkannte sofort die Beschreibung und die Eigenart seiner verstorbenen Frau. 

„Ich höre den Namen Walter!“

„Ja, so heiße ich!“

„Sie nannte Sie Wat?“

„Nein!“

„So, auf jeden Fall nennt sie Sie jetzt Wat. Bestellen Sie Wat meine herzlichsten Grüße für die Kinder. So sagt sie’s mir. Sie macht sich um die Kinder Sorgen.“

„Das tat sie immer!“

„Natürlich, sie ändern sich nicht. – Möbel – etwas über Möbel sagt sie. Sie behauptet, Sie hätten sie weggegeben. Stimmt das?“

„Nun, das kann schon sein.“

Das Auditorium kicherte. Es mutete eigentümlich an, daß auch in der Ewigkeit Ernst und Komik Hand in Hand gingen; seltsam, aber doch natürlich und menschlich.

„Sie läßt Ihnen sagen, der Mann wird bezahlen, und alles wird gut sein. Sei ein guter Mann, Wat, und wir werden hier glücklicher sein, als wir es auf Erden je waren.“

Der Mann bedeckte seine Augen mit der Hand. Während die Seherin noch unentschlossen stand, erhob sich der junge Sekretär und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr. Die Frau warf einen schnellen Blick über ihre linke Schulter zu unseren Besuchern auf dem Podium hinüber.

„Ich werde darauf zurückkommen“, sagte sie.

Sie gab noch weiter zwei Beschreibungen, weniger präzise und beide mit Zurückhaltung aufgenommen. Es war eine eigentümliche Tatsache, daß die Einzelheiten, die sie angab, derart waren, daß sie dieselben beim besten Willen nicht auf die Entfernung sehen konnte. Es war ihr möglich, bei einer sich ihr am hintersten Ende des Saales zeigenden Gestalt selbst die Farbe der Augen und kleine Gesichtsmerkmale wiederzugeben. Malone nahm hiervon besonders Kenntnis, um seine vernichtende Kritik darauf aufzubauen. Er warf diesen Gedanken gerade aufs Papier, als die Stimme der Frau lauter erklang und er aufblickend gewahrte, daß sie ihren Kopf herumgedreht hatte und ihre Brillengläser auf ihn gerichtet waren.

„Es kommt nicht oft vor, daß ich dem Podium eine Botschaft übermittle“, sagte sie, während sie ihr Gesicht zwischen Malone und der Zuhörerschaft hin und her wandte, „aber heute abend sind Freunde anwesend, für die es interessant sein könnte, mit Geistwesen in Kontakt zu treten. Augenblicklich baut sich eine Erscheinung hinter dem Herrn mit dem Schnurrbart auf, der neben der jungen Dame sitzt. Jawohl, Sir, gerade hinter Ihnen“, wandte sie sich an Malone. „Es ist ein Mann mittlerer Größe, eher etwas untersetzt. Sechzig Jahre ist er sicher alt, weißhaarig mit gebogener Nase, einem weißen schmalen Bart, einem sogenannten Spitzbart. Kein Verwandter, aber ein Freund von Ihnen, wie ich annehme. Bietet Ihnen das irgendeinen Anhalt, Sir?“

Malone schüttelte etwas verächtlich den Kopf. „Das paßt so ziemlich auf jeden alten Herrn“, flüsterte er Enid zu.

„Wir wollen versuchen, einander etwas näherzukommen. Er hat tiefe Falten im Gesicht, ich möchte sagen, er war bei Lebzeiten sehr erregbar. Er war von einer schnellen, etwas nervösen Art. Hilft Ihnen das weiter?“ Wieder schüttelte Malone seinen Kopf.

„Humbug, absoluter Humbug“, murmelte er.

„Nun, er scheint außerordentlich begierig, von Ihnen erkannt zu werden, also müssen wir versuchen, zu tun, was wir können. Er hält ein Buch in die Höhe. Es scheint ein wissenschaftliches Buch zu sein. Er öffnet es, und ich sehe darin Diagramme. Vielleicht schrieb er das Buch, vielleicht lehrte er daraus. Ja, er nickt, er lehrte also daraus. Er war also ein Lehrer.“

Malone blieb jede Antwort schuldig.

„Ich glaube nicht, daß ich ihm noch weiter helfen kann. Aha, da ist noch etwas Besonderes. Er hat ein Muttermal über dem rechten Auge.“

Malone erstarrte. „Ein Mal?“ rief er.

Die Brillengläser blitzen zu ihm herum. „Zwei Male, ein großes und ein kleineres.“

Malone sprang auf, wie von einer Tarantel gestochen. „Mein Gott!“ keuchte Malone. „Das ist Professor Summerlee!“

„Aha, jetzt erkennen Sie ihn. Hier ist sie Botschaft: Grüße an den alten – es ist ein langer Name und beginnt mit einem C. Ich kann es nicht erkennen. Wissen Sie, wen er meint?“

„Ja.“

In demselben Augenblick hatte sie sich schon von ihm abgewandt und beschäftigte sich mit jemandem anders. Auf dem Podium hinter ihr war ein völlig aus der Fassung gebrachter Mann zurückgeblieben.

Bei diesem Punkte angelangt, wurde der eigentliche Gottesdienst durch ein bemerkenswertes Ereignis unterbrochen, welches das Auditorium ebenso überraschte, wie unsere beiden Besucher. Neben dem Versammlungsleiter erschien plötzlich ein großer, bleicher, bärtiger Herr, in der Kleidung eines besseren Handwerkers, welcher seine Hände in ruhiger, aber eindrucksvoller Weise emporhielt, wie jemand, der gewohnt ist, sich Gehör zu verschaffen. Er drehte sich halbwegs zu Mr. Bolsover um, ihm leise etwas zuflüsternd.

Mit den Worten: „Dies ist Mr. Miromar aus Dalston“, stellte der Versammlungsleiter den Fremden vor. „Mr. Miromar hat eine Botschaft für uns, die wir gern von ihm entgegennehmen.“

Die beiden Reporter konnten nur einen flüchtigen Seitenblick auf das Gesicht des Neuerschienenen werfen, aber beide waren betroffen von der edlen Haltung und der imponierenden Prägung seines Kopfes, welcher ein ungewöhnliches Maß von Intelligenz verriet. Seine Stimme drang beim Sprechen laut und deutlich durch den Saal.

„Ich bin beauftragt, die Botschaft zu verkünden, wo immer ich Ohren zu finden glaube, die zu hören bereit sind. Unter Ihnen sind einige bereit, und ihretwegen bin ich gekommen. Sie wünschen, daß menschliche Rasse allmählich die Lage begreifen lerne, um den kommenden Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein. Ich bin einer der Auserwählten, die berufen sind, die Botschaft zu verkünden.“

„Ein Irrer, fürchte ich!“ flüsterte Malone, nervös auf seinem Knie trommelnd.

Auch im Auditorium bestand anscheinend eine Neigung zum Lächeln. Und doch war etwas in des Mannes Art und Stimme, was alle wie gebannt an seinen Lippen hängen ließ.

„Die Dinge haben jetzt einen Höhepunkt erreicht. Der unsinnige Fortschrittsgedanke hat sich etabliert. Fortschritt heißt heute, schnell zu laufen, schnell Botschaften zu übermitteln, neue Maschinen zu bauen. Danach strebt man. Es gibt aber nur einen wirklichen Fortschritt, und das ist der geistige! Die Menschheit betet diesen wohl mit den Lippen an, bleibt aber tatsächlich auf dem Irrwege materieller Lehren.

Die höchste Weisheit hat erkannt, daß zwischen all der Gleichgültigkeit auch ehrliche Zweifler vorhanden sind, welche sich von allen Irrtümern frei gemacht haben und ein Recht auf neue Beweise haben. Also wurden neue Beweise erbracht – Beweise, die das Leben nach dem Tode so klar wie die Sonne am Himmel erscheinen lassen. Von Wissenschaftlern wurde der Gedanke verlacht, von den Kirchen verurteilt, bei der Presse wurde er Zielscheibe des Spottes und mit Verachtung beiseite geworfen. Das war der letzte und größte Fehler der Menschheit.“ Die Versammlung blickte wie gebannt zum Sprecher auf. Wenn sie den Gedankengang auch nicht voll erfaßte, so verstand sie doch, worauf er hinauswollte. Ein leichtes Murmeln des Beifalls und des Verständnisses erhob sich.

„Die Lage war hoffnungslos geworden. Alles schien wie aus den Fugen. Darum bedurfte es eines besonderen Anlasses, seit des Himmels letzte Warnung in den Wind geschlagen war. Der Donnerkeil sauste nieder. Zehn Millionen Menschen in glühendster Jugendpracht verbluteten auf den Schlachtfeldern. Die doppelte Anzahl wurde verstümmelt. Das war der erste Warnungsruf an die Menschheit. Aber auch das war vergeblich. Stumpfster Materialismus war und blieb Trumpf. Nochmals folgten Gnadenjahre, und abgesehen von der Bewegung in Kirchen wie der unsrigen war nirgends ein Zeichen der Änderung bemerkbar. Die Menschheit häufte neue Sündenlast auf – und jede Sünde fordert ihre Buße. – Rußland wurde zur Jauchengrube. Deutschland blieb in seinem Materialismus befangen. Spanien und Italien blieben abwechselnd in Atheismus und Aberglauben verstrickt. In Frankreich fehlte jedes religiöse Ideal. Britannien blieb verworren und beunruhigt und voll von hölzernen Sekten, die nichts Lebendiges in sich trugen. Amerika hatte seine glänzenden Gelegenheiten mit Füßen getreten und verhinderte, statt dem am Boden liegenden Europa ein liebender jüngerer Bruder zu sein, jeden wirtschaftlichen Wiederaufbau durch seine Geldgier. Es trat die Unterschrift des eigenen Präsidenten mit Füßen und weigerte sich, jenem Friedensbunde beizutreten, welcher die Zukunftshoffnung aller war. Gesündigt haben alle, die einen mehr, die anderen weniger, und demgemäß wird auch die Strafe sein.

Und jetzt naht das Strafgericht. Die jetzt folgenden Worte Ihnen zu vermitteln, so lautet mein Befehl. Ich lese sie ab, damit mein Mund sie unverstümmelt wiedergibt.“

Damit entnahm er seiner Tasche einen Zettel und las: „Was wir wollen ist, daß die Menschen nicht der Furcht unterliegen, sondern daß sie den Anfang zur Besserung machen und sich mehr auf übersinnlicher Bahn entwickeln. Wir wollen das Volk keineswegs beunruhigen, aber vorbereiten, solange es noch Zeit ist. So, wie es ist, kann es auf der Welt nicht bleiben. Bliebe es so, die Welt würde sich selbst zerstören. Aber wir müssen diese dunkle Wolke der Theologie, die sich zwischen Menschheit und Gott geschoben hat, hinwegfegen.“ 

Er faltete seinen Zettel zusammen und steckte ihn wieder in seine Tasche.

„Diese Worte hatte ich Ihnen zu verkünden. Verbreiten Sie diese Botschaft, wo immer in einer Seele noch Raum dafür ist. Sagen Sie ihnen: Bereut und bessert euch! Die Zeit ist nahe!“ 

Er hielt inne und schien abtreten zu wollen. Der Bann war gebrochen. Es kam wieder Bewegung in die Masse. Aus dem Hintergründe tönte die Frage:

„Ist das Weltenende gekommen?“

„Nein“, sagte der Fremde knapp.

„Ist das die Wiederkunft?“ fragte eine zweite Stimme.

„Ja.“

Mit schnellem leichten Schritt nahm der Fremde seinen Weg zwischen den Sitzen des Podiums hindurch und ging zum Ausgang. Als Malone sich umblickte, war er bereits verschwunden.

„Das ist so einer von den Wiederkunftsfanatikern, von denen es eine Menge gibt, als da sind die Christadelphians, die Russeliten, die Freien Bibelforscher und dergleichen mehr. Aber er hat Eindruck gemacht.“

„Zweifellos“, sagte Enid.