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Dauerhaft tiefe innere Ruhe und Gelassenheit finden
Woran liegt es nur, dass uns äußerliche Irritationen so schnell und nachhaltig aus der Balance bringen? Verantwortlich für solche Stimmungswechsel ist unser Gehirn: Je nachdem, ob es eine Situation als angenehm, unangenehm oder neutral einschätzt, aktiviert es entsprechende Gefühle. Sie färben unsere Erfahrungen ein, prägen unsere tiefsten Konditionierungen und steuern, wie wir uns und die Welt erleben. Diese Erkenntnisse aus jüngsten neurowissenschaftlichen Studien des renommierten Oxford-Professors und Achtsamkeits-Pioniers Mark Williams ermöglichen einen neuen Umgang mit Stress und Ängsten. Endlich lassen sich diese Gefühlsfärbungen bewusst machen und rechtzeitig aushebeln. Dann können wir aus destruktiven Gewohnheiten aussteigen und mehr Klarheit, emotionale Stabilität, Energie und Lebensfreude gewinnen.
Dieses völlig neu konzipierte Programm enthält einen 8-Wochen-Achtsamkeitskurs, zahlreiche Meditationen und Übungen sowie einen 1-Jahres-Plan.
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Seitenzahl: 401
Zum Buch
Woran liegt es nur, dass uns äußerliche Irritationen so schnell und nachhaltig aus der Balance bringen? Verantwortlich für solche Stimmungswechsel ist unser Gehirn: Je nachdem, ob es eine Situation als angenehm, unangenehm oder neutral einschätzt, aktiviert es entsprechende Gefühle. Sie färben unsere Erfahrungen ein, prägen unsere tiefsten Konditionierungen und steuern, wie wir uns und die Welt erleben. Diese Erkenntnisse aus jüngsten neurowissenschaftlichen Studien des renommierten Oxford-Professors und Achtsamkeits-Pioniers Mark Williams ermöglichen einen neuen Umgang mit Stress und Ängsten. Endlich lassen sich diese Gefühlsfärbungen bewusst machen und rechtzeitig aushebeln. Dann können wir aus destruktiven Gewohnheiten aussteigen und mehr Klarheit, emotionale Stabilität, Energie und Lebensfreude gewinnen.
Dieses völlig neu konzipierte Programm enthält einen 8-Wochen-Achtsamkeitskurs, zahlreiche Meditationen und Übungen sowie einen 1-Jahres-Plan.
Zu den Autoren
Mark Williams war Professor für Klinische Psychologie an der Universität Oxford und hat die erfolgreiche Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT) mitentwickelt. Als Gründer der Oxford Mindful Foundation hat er es sich – auch in gemeinsamen Studien mit der Universität Oxford – zur Aufgabe gemacht, die Forschung zu Achtsamkeit weltweit zu fördern und die Lehre von Achtsamkeit zu verbreiten.
Danny Penman ist Journalist mit den Schwerpunktthemen Wissenschaft und Gesundheit und schreibt für »Daily Mail«, »New Scientist« und andere überregionale Zeitungen. Seit über dreißig Jahren praktiziert er Meditation und ist ausgebildeter Achtsamkeitslehrer.
Die beiden Autoren haben zusammen bereits den internationalen Bestseller »Das Achtsamkeitstraining« geschrieben.
MARK WILLIAMS
DANNY PENMAN
Das neue Achtsamkeitstraining
Die Botschaften von Gefühlen erkennen und entschärfen
Mit Acht-Wochen-Programm und Meditationen zum Download
Aus dem Englischen von Claudia Seele-Nyima
Die englische Originalausgabe ist 2023 unter dem Titel »Deeper Mindfulness: The New Way to Rediscover Calm in a Chaotic World« bei Piatkus, einem Imprint der Little, Brown Book Group, erschienen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Deutsche Erstausgabe
© 2023 Arkana, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Originalausgabe Copyright © 2023 by Mark Williams and Danny Penman
First published in 2023 by Piatkus
Lektorat: Jürgen Teipel
Gedicht »Weiträumig« © Kaveri Patel, Übersetzung: Claudia Seele-Nyima
Produktion der Download-Inhalte: Mike Lindauer, Landei Production, Moos; Projektkoordination: Dr. Pascal Frank
Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Daniela Hofner
Umschlagmotiv: © istockphoto/peekeedee; shutterstock/anong kaewborisut
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-30578-9V001
www.arkana-verlag.de
Die persönlichen Berichte in diesem Buch basieren auf den Erfahrungen von Personen, die an dem Programm teilgenommen haben; die Namen aller Teilnehmenden und einige Details ihrer Geschichten wurden jedoch geändert, um ihre Anonymität zu wahren.
Danny
Für Sasha und Luka
Mark
Für Elliot und Sebastian
Inhalt
Kapitel 1 Das war mein Leben – aber ich muss es verpasst haben
Kapitel 2 Warum reiben wir uns bis zur Erschöpfung auf?
Kapitel 3 Bild für Bild
Kapitel 4 Zu den praktischen Übungen des Programms
Kapitel 5 Woche eins: Finden Sie Ihre Verankerung
Kapitel 6 Woche zwei: Innehalten – sich mit einem zerstreuten Geist anfreunden und ihn sammeln
Kapitel 7 Woche drei: Wiederentdecken, wie sich etwas anfühlt
Kapitel 8 Woche vier: Die Balance wiederherstellen
Kapitel 9 Woche fünf: Gefühlsfärbung am Rande des Bewusstseins
Kapitel 10 Woche sechs: Fliegen bei schlechtem Wetter
Kapitel 11 Woche sieben: Holen Sie sich Ihr Leben zurück
Kapitel 12 Woche acht: Das Abenteuer geht weiter
Ein Jahr der Praxis
Achten Sie auf sich
Literatur und Internetquellen
Übersicht der Meditationstracks
Anmerkungen
Danksagung
Das war mein Leben – aber ich muss es verpasst haben
Jeden Morgen ging ein Mann mit seinen vier Hunden im Park spazieren. Drei von ihnen sausten immer fröhlich bellend umher und wedelten vergnügt mit dem Schwanz. Der vierte Hund wirkte zwar auch recht munter, bewegte sich aber beim Herumlaufen immer nur in engen kleinen Kreisen (obwohl er eine recht große Strecke zurücklegte) und hielt sich, wenn der Mann ging, stets nahe bei ihm. Tag für Tag beobachtete der Parkwächter das merkwürdige Verhalten des Hundes. Nach einiger Zeit nahm er seinen Mut zusammen und fragte den Mann, warum sich sein Hund so eigenartig verhielt.1
»Ach«, antwortete dieser, »sie ist aus dem Tierheim. Fast ihr ganzes Leben lang war sie eingesperrt, und ihr Käfig war nur sehr klein.«
Wie oft haben Sie sich schon wie dieser Hund verhalten? Frei, aber dennoch ständig in kleinen mentalen Kreisen unterwegs. Frei, glücklich zu sein, und trotzdem in denselben dunklen, sich wiederholenden Gedanken gefangen wie in einem Käfig. Frei, mit sich selbst und der Welt im Frieden zu sein, und doch weiterhin in Angst, Stress, Unzufriedenheit und Erschöpfung verstrickt und darin eingeschlossen.
Frei wie ein Hund im Käfig.
So vieles im Leben wird durch solche kleinen Tragödien unnötig beeinträchtigt. Tief im Inneren wissen wir alle, dass wir ein glückliches, erfülltes Leben führen könnten, und doch hält uns immer etwas davon ab. Gerade wenn es so wirkt, als wäre das Leben zum Greifen nah, gleitet es uns durch die Finger. Solche Phasen der Bedrängnis kommen zwar scheinbar aus dem Nichts, sind jedoch in Wirklichkeit auf tief vergrabene psychische Kräfte zurückzuführen. Neurowissenschaftler verstehen allmählich, wie diese Prozesse unsere Gedanken, Gefühle und Emotionen* steuern, und was noch wichtiger ist: Sie haben herausgefunden, warum sie gelegentlich fehlschlagen und dann bewirken, dass unser Leben als blasser Abklatsch dessen, was es sein könnte, nur einen Bruchteil seines wahren Potenzials entfaltet. Diese neuen Entdeckungen zeigen auch, warum Achtsamkeit so wirksam Leid lindert, vor allem aber öffnen sie die Tür zu etwas anderen Methoden, die sogar noch wirksamer sein können. Achtsamkeit wird dadurch nicht überflüssig; vielmehr kann sie um eine zusätzliche Dimension erweitert werden, die sie transformiert.
Das vorliegende Buch macht sich diese neuen Entwicklungen zunutze. Es hilft Ihnen, von Ihren Sorgen abzulassen, und gibt Ihnen die nötigen Werkzeuge an die Hand, um Ängste, Stress, Unzufriedenheit, Erschöpfung und sogar Depressionen zu bewältigen. Sobald sich diese unangenehmen Gefühle verflüchtigen, werden Sie wieder einen ruhigen Raum in sich entdecken, als Ausgangspunkt, um Ihr Leben wieder neu aufzubauen.
Dabei können wir Ihnen helfen, weil wir (und unsere Kolleg*innen an der Universität Oxford und anderen Institutionen weltweit) viele Jahre damit zugebracht haben, Behandlungen für Angst, Stress, Depressionen und Erschöpfung zu entwickeln. Wir haben die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (MBCT – Mindfulness-based Cognitive Therapy) mitbegründet, die, wie klinische Studien gezeigt haben, eine der wirksamsten bislang entwickelten Behandlungen von Depressionen ist.2 Aus dieser Arbeit ist unser Buch Das Achtsamkeitstraining. 20 Minuten täglich, die Ihr Leben verändern hervorgegangen. Das Achtsamkeitsprogramm dieses Buches hat sich in klinischen Studien an der Universität Cambridge und anderswo als hochwirksame Behandlung von Angst, Stress und Depressionen erwiesen – und zwar in solchem Maße, dass es von Ärzten und Psychiatern auf der ganzen Welt verschrieben wird, um Menschen bei der Bewältigung eines breiten Spektrums psychischer Erkrankungen wie auch bei genereller Traurigkeit und Unzufriedenheit mit dem Leben zu helfen.
Die in DasAchtsamkeitstraining aufgezeigten Übungen oder auch ähnliche Fähigkeiten, die in Kursen wie der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) vermittelt werden, sind jedoch nur erste Schritte auf einem längeren, fruchtbareren Weg. Obwohl sie die Grundlage eines glücklicheren, erfüllteren Lebens bilden und nachweislich für zahlreiche Praktizierende transformativ gewesen sind, wurden wir von vielen gefragt, ob sie noch etwas anderes tun könnten, um ihre Praxis zu verbessern und verbleibende Probleme zu lösen. Die Antwort lautet: ja. Es gibt eine Methode, um die Achtsamkeit auf die nächste Ebene zu heben, tiefer zu gehen und mehr von Ihrem Potenzial freizusetzen. Sie besteht darin, ein weiteres Grenzgebiet der Achtsamkeit zu erkunden, bekannt als Vedana – Gefühl, Empfindung oder Gefühlsfärbung. Wichtig ist: Sie brauchen keine umfassende Meditationserfahrung, um Nutzen aus diesen Übungen zu ziehen. Die Forschung zeigt, dass Meditationsanfänger ebenso sehr davon profitieren können wie Praktizierende mit jahrelanger Erfahrung.
Wenngleich die Gefühlsfärbung ein oft übersehener Aspekt der Meditation ist, gehört sie doch zu den vier ursprünglichen Grundlagen der Achtsamkeit. Diese sind: Achtsames Wahrnehmen (1) des Körpers und des Atems; (2) der Gefühle und Empfindungen (oder Vedana); (3) des Geistes oder Bewusstseins; (4) der sich ständig verändernden Natur der Welt und all dessen, was auf unserem Weg hilfreich und hinderlich ist. Jeder Aspekt wird durch andere Übungspraktiken kultiviert, die zusammengenommen ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Geist und Körper haben. Achtsamkeitskurse konzentrieren sich in der Regel jeweils auf die erste Ebene dieser vier Grundlagen. Das vorliegende Buch hingegen nutzt neue Meditationen über die Gefühlsfärbung als Tor zu tieferen Schichten eben dieser vier Aspekte der Achtsamkeit. Sie führen Sie näher an die Quelle Ihrer seelischen Verfassung heran; näher an alle Schwierigkeiten, die Sie vielleicht haben, und noch näher an deren Lösung.
Eine zufriedenstellende Übersetzung des alten Sanskrit-Wortes Vedana3 gibt es nicht. Es ist eine Qualität des Gewahrseins, die nur erfahren, aber nicht genau in Worte gefasst werden kann; ein Gefühl, fast eine Hintergrundfarbe, die unsere Erfahrung der Welt – und der Achtsamkeit selbst – tönt. Aus diesem Grund wird Vedana oft mit Gefühlstönung oder Gefühlsfärbung übersetzt. Und obwohl wir beide Begriffe (Vedana und Gefühlsfärbung) austauschbar verwenden werden, ist es sinnvoll, nicht zu vergessen, dass wir uns auf einen »Geschmack« des Gewahrseins, eine Wahrnehmungsnuance, beziehen und nicht auf eine starre Vorstellung, die durch Worte und Definitionen eingegrenzt werden könnte. Die Gefühlsfärbung ist zwar etwas, das wir in Geist, Körper und unserer seelischen Verfassung spüren können, aber ihre wahre Beschaffenheit kann immer nur bis zu einem gewissen Grad beschrieben werden, niemals ganz. Manchmal ist das ärgerlich.
Eine typische Gefühlsfärbungsmeditation besteht darin, erst den Geist mit einer einfachen Atem- oder Körpermeditation zur Ruhe zu bringen und dann auf eine Art, die sich etwas von anderen Meditationen unterscheidet, darauf zu achten, was Sie spüren. Dabei konzentrieren Sie sich in ganz bestimmter Weise auf Gefühle und Empfindungen, die sich in dem Moment einstellen, wenn der unbewusste Geist sich in den bewussten hinein auskristallisiert. Auch wenn solche Momente flüchtig sind, können sie oft die wichtigsten im Leben sein. Denn Vedana ist der Balancepunkt im Geist, der die Gefühlsfärbung für die Reihe von Gedanken, Gefühlen und Emotionen angibt, die folgen. Oft ist diese Tönung kaum wahrnehmbar, aber wenn Sie darauf achten, können Sie sie in Geist, Körper und in Ihrer Stimmung spüren – durch und durch. Sie ist von großer Bedeutung, denn sie steuert die Verlaufskurve Ihrer nachfolgenden Gedanken, Gefühle und Emotionen. Ist diese Gefühlsfärbung »angenehm«, sind Sie tendenziell positiv gestimmt und dynamisch und haben das Gefühl, Ihr Leben (zumindest eine Zeit lang) im Griff zu haben. Ist sie »unangenehm«, sind Sie wahrscheinlich etwas bedrückt, entmutigt und fühlen sich ohnmächtig. Gefühlsfärbungsmeditationen lehren Sie zu sehen oder, genauer gesagt, zu fühlen, wie Ihr Leben von Kräften gebeutelt wird, die Ihnen kaum bewusst sind. Manchmal agieren diese Kräfte in Ihrem besten Interesse, manchmal nicht. Aber das Wichtige ist, dass sie für Sie nicht unmittelbar kontrollierbar sind. Unter dem Einfluss dieser Kräfte gehört Ihnen Ihr Leben nicht.
Versuchen Sie es einmal mit der folgenden kleinen Übung, um diese Vorstellungen geistig zu verankern und ein Gespür für Ihre Gefühlsfärbungen zu entwickeln. Nehmen Sie sich in einem geeigneten Moment etwas Zeit, und betrachten Sie Ihre Umgebung: das Zimmer, das Fenster, vielleicht auch die Straße, das Feld oder den Wald vor Ihnen. Wenn Ihr Blick auf verschiedene Dinge fällt oder diverse Geräusche an Ihr Ohr dringen, versuchen Sie, das subtile Gefühl zu spüren, ob Sie sie jeweils als angenehm, unangenehm oder neutral empfinden. Falls Sie zu Hause sind, könnte Ihnen eine Postkarte, ein Geschenk oder das Erinnerungsstück einer lieben Freundin ins Auge fallen. Als Reaktion darauf spüren Sie vielleicht das sofortige warme Glühen einer angenehmen Gefühlsfärbung. Oder Sie sehen einen schmutzigen Teller, den Sie schon längst hätten wegräumen sollen, oder etwas, das Sie sich von jemandem geliehen haben und eigentlich zurückgeben wollten, und spüren dann vielleicht eine unangenehme Gefühlsfärbung. Draußen sehen Sie möglicherweise, wie die Sonnenstrahlen durch die Blätter eines Baumes dringen, oder einen Fetzen herumflatternden schmutzigen Plastikmülls. Wenn Sie den Moment zu fassen bekommen, spüren Sie womöglich, wie Wellen angenehmer oder unangenehmer Gefühlsfärbungen sich ausbreiten. Doch nicht nur die Außenwelt hat eine derartige Wirkung. Vielleicht nehmen Sie auch Empfindungen im Körperinneren wahr wie etwa Schmerzen oder auch entspannte Ruhe. Diese Empfindungen werden ebenfalls in derselben Wahrnehmungsdimension (angenehm, unangenehm oder neutral) verzeichnet. Und früher oder später werden Sie Gedanken oder Emotionen bemerken, die kurz nach den Gefühlsfärbungen aufkommen und wieder vergehen.
Sie brauchen nicht zu wissen, wie Sie diese Gefühlsfärbungen erkennen; Sie erkennen sie einfach. Irgendwie vollzieht sich ein »Auslesen« in Körper und Geist auf der Skala von angenehm bis unangenehm. Es ist wie ein Bauchgefühl. Man braucht nicht groß darüber nachzudenken oder ihm nachzujagen. Man könnte es damit vergleichen, wie etwas schmeckt: Man weiß es einfach, sobald man es im Mund hat. So wie man schmeckt, ob die Milch, die man gerade trinkt, sauer ist, weiß man, dass etwas unangenehm ist, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Gefühlsfärbungen können extrem wichtig sein. Denken Sie zurück an das letzte Mal, als Sie in einem Café saßen und plötzlich ohne ersichtlichen Grund traurig waren. Könnten Sie die Uhr zurückstellen und die Einzelbilder noch einmal eins nach dem anderen ablaufen lassen, sodass Sie sehen, was gerade geschah, als Ihre Traurigkeit aufkam, dann würden Sie merken: Dem Gefühl ging eine kurze Pause voraus, ein Moment, in dem Ihr Geist auf der Kippe stand und spürte, ob die sich entwickelnde Situation angenehm, unangenehm oder neutral war. Ein Vedana-Moment.
Vedana ist also oft ein geistiger Kipppunkt, der sich darauf auswirkt, wie Sie die Welt in den darauffolgenden Momenten erleben; als gut, schlecht oder neutral. Überaus wichtig ist jedoch das, was als Nächstes passiert. Wir nennen es »Reaktionsimpuls«. Er funktioniert so: Wenn eine angenehme Gefühlsfärbung im Geist aufkommt, wollen wir sie festhalten und fürchten ein bisschen, dass sie vergeht oder uns entgleitet. Das ist völlig normal. Ist die Gefühlsfärbung unangenehm, dann ist es ganz natürlich, sie loswerden zu wollen, sie wegzuschieben mit der Befürchtung, dass sie für immer bleibt und niemals verschwindet. Neutrale Empfindungen empfinden wir oft als langweilig, sodass wir uns ausklinken und etwas Interessanteres tun wollen. Solche primären Gefühlsfärbungen können schnell eine Reaktionskaskade in Geist und Körper auslösen. Diese Reaktionen spüren wir als Emotionen und Wünsche, die uns dazu bringen, angenehme Gefühlsfärbungen festzuhalten, unangenehme wegzuschieben und von neutralen abzuschweifen. Ein Reaktionsimpuls ist also die reflexartige Reaktion des Geistes auf eine Gefühlsfärbung. Wenn die Tönung die Szene vorbereitet, dann castet der Reaktionsimpuls die Schauspieler, wählt die Kostüme und schreibt das Drehbuch für das, was als Nächstes geschieht. Und er kann das Drehbuch so schreiben und szenisch umsetzen, dass es leicht den ganzen Tag – und manchmal einen viel längeren Zeitraum – ruinieren kann.
Nahezu alle emotionalen Schwierigkeiten, die viele von uns erleben, beginnen mit der Reaktion des Geistes auf unsere Gefühlsfärbungen: mit unserem Reaktionsimpuls. Doch das Problem ist noch nicht einmal der Impuls selbst, sondern die Tatsache, dass wir nichts von seiner Existenz wissen und auch nichts darüber, wie er eigentlich beschaffen ist. Oft ist uns nicht bewusst, dass er überhaupt da war, wir wissen weder, welche Gefühlsfärbung ihn getriggert hat, noch, dass er tendenziell von selbst wieder verschwindet, wenn wir ihn nur lassen. Alles, was wir wahrnehmen, ist die Kaskade von Gedanken, Gefühlen und Emotionen, die er im Schlepptau hat.
Dadurch, dass Sie lernen, die Gefühlsfärbung zu spüren – sie ans Licht zu bringen –, lernen Sie auch, Ihre zugrunde liegende Gemütsverfassung zu erkennen, und können so Ihren Empfindlichkeiten und ganz normalen Neigungen und Reaktionen besser Rechnung tragen. Dies gibt Ihnen den Raum, darauf einzugehen, anstatt automatisch zu reagieren. Es hilft Ihnen, mitfühlend zu akzeptieren: Auch wenn Sie in diesem Moment ängstlich, gestresst, wütend oder deprimiert sind, gilt das nicht für Ihr ganzes Leben – das durchaus nicht nur eine deprimierende Zukunft für Sie bereithält. Sie können einen anderen Kurs einschlagen. Alternative Zukunftsperspektiven stehen Ihnen zur Verfügung.
Uns eine alternative Zukunft zu eröffnen, ist ganz leicht: Wir brauchen nur den zugrunde liegenden Fluss von Gefühlsfärbungen zu spüren. Die Reaktionsimpulse wahrzunehmen. Zu erkennen, dass der Wunsch, die Dinge sollten anders sein, das Problem ist. Das Verlangen, das Unangenehme möge aufhören. Das Verlangen, das Angenehme möge bleiben. Das Verlangen, die Langeweile möge enden. Diese Vorstellung ist vielen alten Traditionen gemeinsam. Und inzwischen stimmt auch die Neurowissenschaft dem zu.
Das Gewahrsein der Gefühlsfärbung unserer Gedanken, Erinnerungen und Emotionen entwickeln – warum?
Ihre Gedanken, Gefühle und Emotionen sind nicht das Problem, egal, wie intensiv und real sie sich anfühlen mögen. So sind Emotionen beispielsweise Anzeichen dafür, dass etwas Wichtiges unsere Aufmerksamkeit erfordert:
Wir sind traurig, wenn wir einen wichtigen Menschen oder etwas, das uns wichtig ist, verloren haben. Wir empfinden Angst, wenn sich eine Bedrohung am Horizont abzeichnet. Wir sind wütend, wenn eines unserer Ziele durchkreuzt wird.Wir sind besorgt oder in Gedanken vertieft, wenn ein langfristiges Projekt unsere Problemlösungsfähigkeiten erfordert.In vielerlei Hinsicht liegt das eigentliche Problem im Reaktionsimpuls, der durch Schwankungen in der zugrunde liegenden Gefühlsfärbung ausgelöst wird. Wir bleiben in unseren Gedanken, Erinnerungen und Emotionen stecken und gelangen nicht mehr heraus.
Zu lernen, die dem Impuls vorausgehende Gefühlsfärbung zu spüren, vermittelt Ihnen zusätzliche Informationen. Es zeigt Ihnen genau an, wann Ihre Emotionen, Gedanken oder Erinnerungen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verstricken und außer Kontrolle geraten. Mithilfe der theoretischen Grundlagen und der praktischen Übungseinheiten, die das Programm dieses Buches Ihnen bieten, werden Sie lernen, wie Sie solche Momente erkennen, damit Sie eingreifen und alte, destruktive Gewohnheiten auflösen können. Das Programm wird Ihnen helfen, die Ruhe, Kraft und Freude wiederzuentdecken, die unserem Wesen zugrunde liegen.
Wie kann Ihnen dieses Buch helfen?
Unser vorheriges Buch, Das Achtsamkeitstraining, wurde für sehr viele Hilfesuchende zu ihrem vorrangigen Ratgeber, denn es hat ihnen geholfen, sich von ihrem emotionalen und körperlichen Leid zu befreien. In Bezug auf den Nutzen der Achtsamkeit waren wir ehrlich und haben Übende auch davor gewarnt, dass ihr Weg weder schnell noch besonders leicht sein würde. Wir haben sie gebeten sicherzugehen, dass sie sich im richtigen Moment ihres Lebens befinden, um mit dem Achtsamkeitstraining zu beginnen, und haben betont, dass es unerlässlich ist, sich für die Übungen täglich die nötige Zeit zu nehmen. Trotz dieser Warnhinweise haben Hunderttausende – vielleicht sogar Millionen – das Programm des Buches (oder darauf basierende Achtsamkeitskurse) absolviert. Viele von ihnen waren so angetan davon, wie sich Meditieren auf ihr Leben auswirkte, dass sie ihre Praxis erweitern und vertiefen wollten. Vielleicht gehören Sie dazu. Wenn auch Sie über das Acht-Wochen-Programm hinausgehen möchten, das in Das Achtsamkeitstraining oder in Ihrem Meditations-, MBCT- oder MBSR-Kurs gelehrt wird, und Ihre Praxis ausweiten möchten, um die positive Wirkung zu verankern, dann ist dieses Buch ein guter Startpunkt für Sie.
Es könnte auch sein, dass Sie Das Achtsamkeitstraining oder einen Kurs zwar als hilfreich empfunden haben, es Ihnen aber nicht weit genug ging, um Ihre verbleibenden negativen oder selbstzerstörerischen Gewohnheiten vollständig aufzulösen. Oder aber Sie haben einen flüchtigen Eindruck der Freiheit gewonnen, der Ihnen aber dann bei Ihrer Hetze durchs Leben wieder abhandengekommen ist, und nun wollen Sie Ihre Bekanntschaft mit ihr erneuern. Oder vielleicht haben die Achtsamkeitsfähigkeiten, die Sie sich in Kursen oder mithilfe von Büchern angeeignet haben, bei Ihnen nicht so recht »gefruchtet«, und Sie möchten nun einen anderen Ansatz ausprobieren. Wenn etwas davon auf Sie zutrifft, ist das vorliegende Buch wahrscheinlich hilfreich für Sie.
Auf den folgenden Seiten und in den begleitenden Meditations-Downloads stellen wir Ihnen das Programm Feeling Tone(Gefühlsfärbung) vor. Es ist keine simple Fortsetzung unseres ursprünglichen Buches oder anderer Meditationskurse; vielmehr gibt es Ihrer Praxis eine neue, produktivere Richtung. Auch wenn Sie überhaupt keine Meditationserfahrung haben, sollten Sie sich nicht abschrecken lassen. Das Programm hat sich für Anfänger und erfahrene Meditierende gleichermaßen als hilfreich erwiesen, insbesondere wenn die Betreffenden eine Praxis suchen, die wissenschaftliche Stringenz mit jahrtausendealter Weisheit verbindet.
Wenn Sie gern sofort mit dem neuen Meditationsprogramm beginnen möchten, empfehlen wir Ihnen, nach der Lektüre dieses Kapitels zum vierten Kapitel zu springen. Falls Sie zunächst mehr über die zugrunde liegenden Konzepte erfahren möchten, beginnen Sie mit Kapitel zwei und drei. Wenn Sie verstehen, wie die verschiedenen Meditationen funktionieren und warum sie wirken, wird sich nicht nur die Praxis der Achtsamkeit im Allgemeinen verbessern, sondern auch die des bewussten Wahrnehmens der Gefühlsfärbung. Es ist auch nützlich (und faszinierend), auf einer sehr tiefgehenden Ebene zu wissen, wie der Geist funktioniert und wie es kommt, dass wir gelegentlich unter Angst, Stress, Depressionen, Erschöpfung und einer Vielzahl anderer Probleme leiden.
Unabhängig davon, ob Sie Kapitel zwei und drei vorab lesen oder erst beim Durcharbeiten des Programms: Sie werden feststellen, dass diese das Programm erheblich unterstützen. Die letzten acht Kapitel des Buches (fünf bis zwölf) enthalten das jeweilige Wochenprogramm.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg!
Die begleitenden Meditationen finden Sie in den Kästen »Übungen für Woche …« in den Kapiteln fünf bis zwölf. Wir empfehlen Ihnen, die schriftlichen Meditationsanweisungen im Buch durchzulesen, bevor Sie die Audioversionen hören und der Anleitung folgen.
* Der Ausdruck »Gefühle und Emotionen« mag im Deutschen etwas irritieren, weil beide Begriffe im Alltagssprachgebrauch oft dasselbe bezeichnen, aber im vorhergehenden Buch der Autoren, Das Achtsamkeitstraining, findet sich auf Seite 37 in einer grafischen Übersicht folgende Definition, die den Unterschied verdeutlicht: »Emotionen sind ›Gedankenbündel‹ von Gefühlen, Körperempfindungen und Handlungsimpulsen.« (Anm. d. Ü.)
Warum reiben wir uns bis zur Erschöpfung auf?
Zoe starrt mit leerem Blick auf den Computerbildschirm, innerlich an einem toten Punkt angelangt. Sie ist Teamleiterin im Büro eines riesigen Logistikzentrums, betrieben von einem Online-Bekleidungsunternehmen. Wie sie freimütig zugibt, ist die Arbeit im Warenlager nicht gerade erfüllend. Das Unternehmen verlangt Perfektion, was oft seinen anderen erklärten Zielen wie Geschwindigkeit und Effizienz zuwiderläuft. Und weil es sehr schnell expandiert, sind nie genügend Leute zur Erledigung aller anfallenden Aufgaben da. Daher muss Zoe oft notgedrungen die Arbeit anderer parallel zu ihrer eigenen tun. So gefällt es allen – außer Zoe. Sie ist so effizient, dass sich viele aus dem Team bei einem Problem sofort an sie wenden, anstatt es selbst zu lösen. Früher fühlte sich Zoe dadurch wichtig. Jetzt ist sie nur noch ausgelaugt und reizbar. Außerdem hat sie seit einiger Zeit den Hang, Dinge endlos vor sich herzuschieben, vergleichbar mit einem überlasteten Computer, der dazu neigt, sich aufzuhängen. Solche Episoden schlecht gelaunter geistiger Abwesenheit treten immer häufiger auf und werden immer schlimmer. Sie ertappt sich bei Gedanken wie: »Gott, das sollte doch einfach sein. Warum zum Teufel ändern sie dauernd etwas? Ich komme nicht mehr hinterher. Vielleicht liegt es an mir? Ich bin einfach nicht mehr so schnell wie früher. Oder so einfallsreich. Alles ist so hektisch. Warum bin ich nur immer so müde? Kein Wunder, dass ich kein Leben außerhalb des Jobs habe – ich habe einfach keine Zeit und Energie, um alles unter einen Hut zu bringen – bin zu müde, um das auf die Reihe zu kriegen.«
Zoe nahm einen weiteren Schluck von dem starken Kaffee, den die Firma literweise frei zur Verfügung stellte. Das Telefon klingelte. Es war ihr Chef mit der Bitte, die für zwei Uhr angesetzte Besprechung zu verschieben. Das bedeutete, sie musste den Terminplan von sechs weiteren Personen umstellen. Auf dem Bildschirm erschien eine rote Fahne. Das Lagerteam war in Verzug und brauchte die Hilfe des Büropersonals beim Kommissionieren und Verpacken der Artikel für die Auslieferung. Sie griff zur Lautsprecheranlage, um die Durchsage zu machen. In diesem Moment rief die Grundschule ihrer Tochter Megan an. Megan hatte Fieber. Zoe hätte losfahren und sie früher abholen müssen. Nur war ihr Auto in der Werkstatt und würde erst später am Nachmittag fertig sein. »Verdammt«, fluchte sie leise in sich hinein. Ihr Geist schaltete ab, und sie blickte aus dem Fenster in den Lagerbereich. Dort wuselten kleine Roboter mit Panzerketten herum, die Bestellungen kommissionierten und verpackten.»Sie sind inzwischen praktisch genauso gut wie wir«, dachte sie. »Und die Einzigen, die lange genug in Ruhe gelassen werden, um sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.«
Dann fiel ihr ein, dass das Lager über Nacht umorganisiert worden war. Die menschlichen Arbeitskräfte halfen jetzt den Robotern bei deren Arbeit. Das Herz wurde Zoe noch schwerer. Solche Zukunftsängste waren inzwischen ein zentraler Bestandteil ihres Lebens und hielten sie immer häufiger nachts wach: »Es wird nur immer schlimmer. Wie sollen unsere Kinder später zurechtkommen? Es wird einfach keine Arbeitsplätze mehr geben, geschweige denn gute. Noch nicht mal eine eigene Wohnung werden sie sich leisten können, und ein Haus schon gar nicht. Das ganze Geld ist dann in den Händen von Tech-Baronen; für uns fallen nur ein paar Krümel vom Tisch ab. Nicht mehr als Ratten sind wir für die da oben …«Es war so weit, dass einige große Gläser Wein nötig sein würden, um Zoe so weit zu entspannen, dass sie schlafen konnte.
Zoes Fall ist kaum einzigartig. Sie ist überarbeitet, und ihr Leben wird von Angst und einem nagenden Gefühl der Unzufriedenheit beherrscht. Zwar wünscht sie sich verzweifelt, glücklich zu sein und genug Zeit und Energie für sich und ihre junge Familie zu haben, doch sie hat keine Ahnung, wie sie das anstellen soll. Sie hat zwar keine Angststörung, ist nicht im klinischen Sinne gestresst oder depressiv und hat auch keinen Burn-out, aber ebenso wenig ist sie energiegeladen und wirklich glücklich. Es ist eher ein Überleben als ein Leben.
Würde man Zoe bitten, dem nachzugehen, was in ihrem Kopf ablief, als sie »gehetzt und gestresst« war, würde sie erkennen, dass die unablässigen Arbeitsanforderungen in Verbindung mit einem hektischen Lebensrhythmus sie mental überfordern und ihren Geist in den Leerlauf treiben. Ihre fortwährende Aktivität ließ sie zwar effizient wirken, aber innerlich war sie dem Zusammenbruch nah. Das ist kaum überraschend. Mit zu vielen Anforderungen gleichzeitig jonglieren zu wollen, fordert einen erheblichen Preis, der allerdings meistens nicht auffällt. Probieren Sie diese kleine Übung aus, um zu sehen, warum:
Stoppen Sie die Zeit, während Sie die ersten beiden Zeilen dieses Kinderlieds aufsagen:
Mariechen hat ein kleines Schaf,
Schneeweiß, so war sein Fell.
Wie lange haben Sie gebraucht, um diese zehn Wörter zu sagen? Ungefähr vier Sekunden?
Zählen Sie jetzt bis zehn.
Wieder vier Sekunden? Es dauert also etwa acht Sekunden, die beiden Verszeilen aufzusagen und anschließend bis zehn zu zählen.
Schließen Sie nun die Augen, und sprechen Sie abwechselnd die Wörter des Kinderlieds und die Zahlen. Und zwar: »Mariechen – 1«; »hat – 2«; »ein – 3« und so weiter.
Wie lange dauert das? Etwa sechzehn bis zwanzig Sekunden?
Die zusätzliche Zeit, die gebraucht wird, um zwischen den Wörtern des Kinderreims und den Zahlen eins bis zehn hin- und herzuwechseln, sind die sogenannten Umschalt- oder Wechselkosten. Es ist mehr Zeit erforderlich, weil man sich merken muss, wo man sich in der abwechselnden Folge von Wörtern und Zahlen befindet, während man gleichzeitig gegen die Neigung ankämpft, die gerade verlassene Sequenz zu vervollständigen. Das heißt, wenn Sie das Wort »kleines« sagen, wollen Sie als Nächstes automatisch »Schaf« sagen und nicht »vier«. Ein Großteil der Wechselkosten resultiert aus der sogenannten Rückkehrhemmung (inhibition of return) – der geistigen Konzentration, die erforderlich ist, um zu verhindern, dass der Verstand wieder zur vorherigen Aufgabe zurückrutscht. Eine Aufgabe hemmen und eine andere beginnen – viele Male hintereinander, Stunde um Stunde – verbraucht Zeit und geistige Energie. Ein solches Multitasking mag Ihnen zwar das Gefühl geben, viele Dinge parallel auf einmal zu erledigen, doch in Wirklichkeit springen Sie nur sehr ineffizient von einer Aufgabe zur nächsten. Und je komplexer die Aufgabe ist, desto ineffizienter wird das Wechseln. Einigen Studien zufolge4 kann es etwa zwanzig Minuten dauern, bis man sich nach einer Unterbrechung wieder auf eine komplexe Aufgabe konzentrieren kann – und manchmal sogar noch viel länger.
Das wiederholte Umschalten hat aber noch eine heimtückischere Folge. Wenn die Tage vergehen und zu Wochen, dann zu Jahren werden, kann es dazu kommen, dass Ihre geistigen Kapazitäten immer mehr abnehmen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne verringert sich. Der Geist verhält sich mit der Zeit wie ein Stein, der über die Oberfläche eines Teiches hüpft. Sie werden vielleicht besser im Wechseln, aber weniger effizient darin, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, zu denen Sie wechseln. Und da Sie immer weniger im Kopf behalten können, müssen Sie häufiger wechseln, was wiederum bedeutet, dass Sie noch langsamer werden, weil all die verschiedenen Prioritäten um den abnehmenden geistigen Raum konkurrieren.
Das hat auch einen emotionalen Preis. Denn Sie konzentrieren Ihre begrenzte geistige Energie auf die schwierige Aufgabe des Umschaltens statt aufs Arbeiten und werden durch solche Unterbrechungen gereizt und aufbrausend. Es kann sich anfühlen, als bräuchten Sie diesen kleinen Ausbruch wütender Energie, um wieder zu der Aufgabe zurückzuwechseln, die unterbrochen wurde. Und es ist aufreibend. Diese Veränderungen können sich in Ihrem Gehirn verfestigen beziehungsweise »verdrahten«, sodass Sie am Ende leichter wütend werden und sich schwerer zum Lachen bringen lassen.
Solche Probleme beschränken sich auch nicht nur auf die Arbeit. Sich um die Familie zu kümmern und für das reibungslose Funktionieren des Haushalts zu sorgen, wurde früher allein für sich genommen als wesentliche Aufgabe angesehen. Heute ist beides, oft aus Notwendigkeit, an den Rand gedrängt worden. Das wiederum bedeutet, dass es viel schwieriger ist, ein Sozialleben aufrechtzuerhalten, und echte Freizeit kann wie ein Ding der Unmöglichkeit erscheinen. Selbst wenn Sie wirklich etwas Zeit für sich selbst finden, werden Sie vielleicht von einer E-Mail Ihrer Chefin, einer Benachrichtigung in Ihrem Terminkalender oder dem Ping einer Social-Media- oder Auktionsseite unterbrochen. Selbst etwas so Simples wie der Griff zum Smartphone, um nachzusehen, wie spät es ist, kann dazu führen, dass man mit einer langen Liste von Benachrichtigungen, Bannern und Mitteilungen konfrontiert wird. Solche Störungen nehmen Ihnen einen Moment Ihres Lebens weg – und der Versuch, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken, raubt Ihnen den nächsten.
Nichts davon stellt allein für sich eine Schwierigkeit dar, aber alles zusammengenommen kann zu einem großen Problem werden, wenn man zu viel zu tun und nicht genug Zeit hat, um alles zu erledigen. So kann es das Gefühl der Überlastung und Überforderung verstärken. Und dann ist es kein Wunder, dass Sie sich zunehmend ausgelaugt und am Rande des Burn-outs fühlen.5
Obwohl dieser Zustand belastend und kraftraubend ist, bedarf es doch noch etwas mehr, um ihn in einem solchen Maße in Angst, Stress oder Depression zu verwandeln, dass eine klinische Ebene erreicht ist. Man spricht von Verstrickung, wenn man so in Schwierigkeiten gefangen und verwickelt ist, dass man trotz größter Bemühungen keinen Ausweg mehr sieht; wenn man anfängt, zu viel nachzudenken, zu grübeln, und in Negativität versinkt. Aber nicht die »negativen« Gefühle an sich sind das Problem – sie sind Symptome –; vielmehr liegt die Wurzel unserer Schwierigkeiten darin, wie sie sich miteinander verstricken und auf diese Weise unser Leid vertiefen und verlängern. Jede ist in die anderen eingebettet und unterstützt sie. Sie können derart miteinander verflochten sein, dass ein trauriger Gedanke den nächsten triggert und dann den nächsten und wieder den nächsten, in einer teuflischen Abwärtsspirale, sodass sie unsere Gefühle mit sich nach unten ziehen, ebenso wie das energetische Niveau des Körpers und unsere Motivation, Dinge zu tun, die uns unterstützen und nähren.
Das gilt für alle bedrückenden Gedanken. Ängstliche Gedanken lösen noch mehr ängstliche Gedanken aus. Stress triggert Stress. Jede Negativitätsspirale verhält sich wie ein klebriges Netz, das umherschlenkert, noch mehr unangenehme Gefühle ans Licht holt und sich immer stärker verheddert. Weil Sie zunehmend abgelenkt sind, der Zeit hinterherrennen und überfordert sind, kann es immer schwieriger werden, mit dem Arbeiten, den Sorgen und Grübeleien aufzuhören.
Ein Zustand der Verstrickung äußert sich oft in Form von negativen offenen Fragen, auf die es selten eine endgültige Antwort gibt: »Was ist heute mit mir los? Wo habe ich etwas falsch gemacht? Warum mache ich immer diese Fehler? Warum kann ich mich nicht zusammenreißen? Ich sollte glücklich sein – warum bin ich nicht glücklich?« Dem Anschein nach wirken sie zwar wie offene Fragen, aber wenn Sie hinhören, erkennen Sie, was sie in Wirklichkeit sind: So klingt Ihr innerer Kritiker. »Irgendwas stimmt nicht; du machst immer Fehler; reiß dich zusammen; du solltest glücklich sein.«
Der innere Kritiker schießt aus dem Hinterhalt hervor, verlangt Perfektion und befiehlt Ihnen, sich noch mehr anzustrengen, koste es, was es wolle. Er warnt Sie vor Schwäche, macht sich Sorgen um Ihre Zukunft und erinnert Sie an vergangene Misserfolge. Er fängt Sie ein und verstrickt Sie dann in Ihre Gedanken, ohne sichtbaren Ausweg. Solche negativen Zustände können eine so starke Dynamik entwickeln, dass es extrem schwierig wird, sie zu stoppen. Sie können zu wachsender Unruhe führen, in deren Verlauf Ihr Geist in alle Richtungen abdriftet und außer Kontrolle gerät. Oder Sie werden nach außen hin wütend und aggressiv, geraten vielleicht in verbale oder sogar körperliche Auseinandersetzungen. Wenn dieser aufgewühlte Zustand anhält, kann es dazu kommen, dass das Kämpfen Sie erschöpft und Sie sich hilflos fühlen, bevor Sie leise in Verzweiflung und vielleicht sogar in eine Depression abgleiten.
Gefühle wie Angst, Stress, Unzufriedenheit und Erschöpfung können sich so ineinander verstricken, dass sie einen stacheligen Schmerzknoten in Ihrem innersten Kern bilden. Eine solche Verstrickung wird durch ein grundlegendes Merkmal des Geistes angetrieben; sowohl Gefühlsfärbungen als auch Reaktionsimpulse sind daran beteiligt. Neue Studien zeigen, wie es dazu kommt – aber noch wichtiger: Sie zeigen einen Ausweg.6
Es ist kompliziert; daher hier eine Analogie, die hilfreich sein könnte: Denken Sie an die Hündin aus Kapitel eins, die im Park in kleinen Kreisen herumlief. Sie haben vielleicht gedacht: »Warum merkt sie denn nicht, dass sie Platz hat?«Obwohl überall um sie herum Freiraum war, konnte sie ihn einfach nicht sehen. Sie war in einem Verhaltensmuster gefangen, entstanden aus dem Gefühl, eingeschlossen zu sein – und diese Wahrnehmung war so umfassend, dass sie den Ausweg nicht sah, obwohl sie ihr Bestes tat und die Fluchtmöglichkeit direkt vor ihr lag. Uns kann es ebenso ergehen. Wir können uns so sehr in den Alltag verstricken, dass die Vorstellung eines Weges in die Freiheit für uns nicht fassbar ist. Selbst eine schwache psychische Belastung kann uns so sehr in Beschlag nehmen, dass wir uns ihr nicht mehr entziehen können, und wenn wir es noch so sehr versuchen. So leidvoll eine solche Verstrickung auch sein mag, ist sie doch Teil der Bemühungen des Geistes, sich von Leid zu befreien. Wenn Ihr innerer Kritiker Sie angreift, tut er eigentlich sein Bestes, um Ihnen zu helfen. Oft geht das jedoch tragisch nach hinten los. Und zwar, weil der Geist eine merkwürdige Eigenschaft hat, wenn wir uns abhetzen, überarbeitet und überfordert sind.
Um zu verstehen, was dieser Verstrickung zugrunde liegt, müssen wir neue Erkenntnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften heranziehen. Obwohl Details noch weiter erforscht werden, ist schon klar, dass die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen und ihr einen Sinn verleihen, sich drastisch von dem unterscheidet, was bisher angenommen wurde – und das wirkt sich tiefgreifend auf unsere Auffassungen über den Ursprung unserer Gedanken, Gefühle und Emotionen (und auch auf unsere zahlreichen psychischen Probleme) aus.
Wenn diese neuen Konzepte in die Achtsamkeitspraxis integriert werden, steigern sie deren Nutzen erheblich. Es kann jedoch etwas verzwickt sein, sie zu verstehen, weil sie der Intuition stark zuwiderlaufen; haben Sie deswegen bitte etwas Geduld mit uns, wenn wir sie erklären. Anschließend wird alles durchaus Sinn ergeben, und viel Kummer in Ihrem Leben wird sich in Luft auflösen, sobald Sie die Prinzipien praktisch umsetzen.
Die neue Psychologie des Geistes: Prädiktive Verarbeitung
Es erfordert ein enormes Maß an geistiger Energie, sich des gegenwärtigen Augenblicks bewusst zu werden. Das liegt daran, dass über unsere Sinne eine gewaltige Menge an Informationen einströmt, die alle koordiniert und integriert werden müssen, damit wir die Welt nicht nur bewusst wahrnehmen, sondern auch Entscheidungen treffen und in Echtzeit – im gegenwärtigen Moment – danach handeln können. Angesichts der Komplexität der Aufgabe könnte man erwarten, dass dadurch alles extrem schwierig wird, angefangen damit, eine belebte Straße entlangzugehen, über das Vermeiden eines Verkehrsunfalls bis hin zu etwas so Einfachem wie einen Ball fangen. Die Natur hat das Problem jedoch umgangen, indem sie uns ein Gehirn gegeben hat, das die Zukunft vorhersagt. Es konstruiert ein vereinfachtes Modell der Welt, das fortwährend aktualisiert und durch Informationen erweitert wird, die uns die Sinnesorgane übermitteln. Das, was wir als gegenwärtigen Moment betrachten, ist in Wirklichkeit eine verblüffend realistische Illusion, die der Geist kreiert. Eine Illusion, die so überzeugend ist, dass wir sie mit der Realität verwechseln. Sie wird als Simulation bezeichnet, und der Prozess, auf dem sie basiert, ist als »prädiktive Verarbeitung« bekannt.7
Die prädiktive Verarbeitung funktioniert, indem ständig »vermutet« wird, welche Informationen die Sinne gerade an das Gehirn senden. Wir sehen nicht wirklich die Welt, sondern die Welt, wie sie nach Auffassung unseres Geistes im nächsten Moment aussieht. Wir hören auch nicht wirklich, sondern nehmen stattdessen die Geräusche wahr, die entsprechend dem, was der Geist glaubt, an unsere Ohren dringen. Und dasselbe gilt auch für unsere anderen Sinne. Wir erhalten geistige Vorhersagen darüber, was wir gleich schmecken, fühlen und riechen. Und in der Praxis ist es diese Vorhersage – oder Simulation –, die wir erleben, und nicht die »echte« Welt.
Wie Sie sich denken können, ist auch das ein unglaublich komplexer Prozess. Eine einfache Analogie ist hilfreich: Wenn Sie über Politik in Großbritannien sprechen und jemand »Houses of P...« sagt, können Sie erraten, was folgt: das Wort »Parliament«. Da Sie das Wort vorausgesagt haben, brauchen Sie es nicht zu hören. Stattdessen können Sie den Moment nutzen, um die Bedeutung des gesamten Satzes zu erfassen. Solche Vorhersagen machen Wahrnehmung und Reaktionen fließender, weil die Welt normalerweise vorhersehbar ist. Wie oben erklärt, kreieren wir eine Vorhersage nicht für einen einzelnen Sinn (zum Beispiel das Gehör), sondern für alle. Und zwar gleichzeitig. Wir konstruieren ein umfassendes Modell, das Anblicke, Geräusche, Gerüche, Geschmacksrichtungen und Empfindungen einbezieht. Dieses Modell wird Moment für Moment aktualisiert und integriert alle Abweichungen von der echten äußeren »Realität«; wir bewegen uns durch die Welt, während wir es kreieren und aktualisieren, vorhersagen und überprüfen. Und wenn unsere Überprüfungen zeigen, dass wir einen Fehler gemacht haben (zum Beispiel, wenn wir auf eine Ladentür zugehen und am Griff ziehen anstatt zu drücken), achten wir einfach mehr auf den aktuellen Datenstrom, der von unseren Sinnen kommt. Alle erforderlichen Korrekturen werden dann in das Modell eingebaut. Der Geist hält viele verschiedene Varianten des Modells gleichzeitig bereit, und jede wird fortwährend mit der Realität abgeglichen, um jegliche Abweichung schon im Anfangsstadium zu erkennen. Die genaueste Variante »gewinnt« und wird ein Moment in der Simulation, den wir erleben.
Jeder Moment in der Simulation baut auf dem vorangegangenen auf, während sie sich durch die Zeit voranbewegt. Bei jedem Durchlauf des Modells werden alle von den Sinnen eingehenden Daten mit dem aktuell genauesten Modell und unzähligen Varianten davon verglichen. Und wieder gewinnt dann das genaueste Modell und dient als Grundlage für den nächsten Durchlauf. Jedes Modell bringt also andere hervor, und jedes davon fächert sich weiter auf, hinein in die Zukunft, und weicht dabei langsam von den anderen ab. Die meisten Informationen, die unseren Geist durchlaufen, sind faktisch eine Art Selbstgespräch – innerlich erzeugte Vorhersagen, ergänzt durch Informationen, die von unseren Sinnen kommen und von denen die genauesten in die Simulation einbezogen werden.
Sogar Sehen ist eine Simulation
Es gibt mehrere wichtige Gehirnteile, die für das Sehen zuständig sind, bekannt als V1 bis V6**. Sie tauschen untereinander Informationen aus, um die Erfahrung des Sehens zu erzeugen. V1 wird als primärer visueller Kortex bezeichnet, weil er die erste Anlaufstelle für Informationen aus dem Auge ist. Man würde erwarten, dass die meisten Informationen, die in V1 gelangen, allein vom Auge kommen. Schließlich ist das Auge für das Sehen zuständig. Das ist jedoch nicht der Fall. Aus anderen Bereichen des Gehirns fließen mehr Informationen in V1. Einigen Messungen zufolge sendet das Gehirn zehnmal so viele Informationen an diesen Teil des visuellen Kortex wie die Augen.8 Wenn Sie also die Augen schließen und sich einen Gegenstand (zum Beispiel eine Orange) vorstellen oder sich eine Szene wie Ihren ersten Kuss ausmalen, sendet Ihr Gehirn Informationen an V1, sodass Sie es »sehen« können. Ihr geistiges Auge nutzt das visuelle Gehirn, um Bilder zu erzeugen. Diese Top-down-Daten, die in das Sehzentrum des Gehirns fließen, werden auch dazu genutzt vorherzusagen, was Sie jetzt gleich sehen werden. Das wiederum wird mit den Informationen aus den Augen abgeglichen. Auch hier handelt es sich also um eine Simulation des Sehens und nicht um das »filmische« Sehen des Auges. Statt die Welt passiv anzusehen, bauen Sie eine Welt auf, die dann Moment für Moment mit der Realität abgeglichen wird. Nicht nur das Sehen funktioniert so, sondern alle Sinne. Doch damit nicht genug: Das alles wird mit Informationen über den Zustand Ihres Körpers und mit Ihren Gedanken, Gefühlen und Emotionen kombiniert, um die Gesamtverfassung Ihres Geistes zu erzeugen. Und all das schwankt von Moment zu Moment, auf- und abwogend wie Meereswellen.
Solche inneren Modelle sind nicht nur schnell, sondern auch effizient. Sie reduzieren drastisch die Mühe, die zum Verständnis der Welt erforderlich ist, und geben uns den nötigen geistigen Raum, um zu denken und kreative Entscheidungen zu fällen. Das Gehirn verfährt dabei so, dass es lediglich die Unterschiede zwischen dem wahrnimmt, was die Sinne tatsächlich empfangen, und dem, was sie unseren Erwartungen entsprechend empfangen hätten. Die Menge der Informationen, die im Kopf behalten und verarbeitet werden muss, wird dadurch stark reduziert. Hier eine weitere hilfreiche Analogie: Streamingdienste wie YouTube und Netflix können ultrahochauflösende Videos anbieten und trotzdem schnell und ökonomisch arbeiten, weil sie Filmdaten extrem effizient komprimieren. Ihr Vorgehen dabei ähnelt vom Konzept her der Art und Weise, wie unser Geist seine Simulation kreiert. Früher sandten TV-Sender sämtliche Daten, die für den Aufbau des Einzelbilds eines Films erforderlich waren – und das taten sie fünfzig- bis sechzigmal pro Sekunde. Das bedeutete, sie konnten nur Bilder mit relativ niedriger Auflösung und mit einer begrenzten Palette an Farben und Tönen ausstrahlen. Streamingdienste gehen umgekehrt vor. Sie senden nur die Unterschiede zwischen aufeinanderfolgenden Einzelbildern. Das können sie, weil die Unterschiede oft nur gering sind. Stellen Sie sich eine Filmszene vor, in der ein roter Sportwagen mit offenem Verdeck über einen Highway in der Wüste fährt. Das Einzige, was sich von einem Einzelbild zum nächsten ändert, ist die relativ geringe Bewegung des Wagens auf der Straße. Form und Farbe des Wagens bleiben fast gleich, der Himmel im Großen und Ganzen auch, ebenso die Wüstenlandschaft. Kernelemente des Films können auch im »Cache« gespeichert werden, um später wiederverwendet zu werden (der Cache oder Zwischenspeicher ist ein spezieller Bereich eines sehr schnellen Speichers, in dem Informationen aufbewahrt werden, die oft abgerufen werden). In der Praxis kann ein Streamingdienst also für dieselbe Bandbreite einen viel naturgetreueren ultrahochauflösenden Film mit Millionen Farben und 3-D-Surround-Sound senden.
Erwiesenermaßen verfährt das Gehirn mit Sinnesinformationen ähnlich; ebenso wie mit unseren häufigsten Gedanken, Gefühlen, Emotionen und Konzepten. Es verfügt über einen Cache, in dem unsere wichtigsten Erfahrungen gespeichert sind, sodass sie in unserer Simulation wiederverwendet werden können. Stellen Sie sich vor, Sie spazieren an einem schönen, sonnigen Tag durch einen Park in der Nähe. Sie waren schon unzählige Male dort und kennen ihn bis ins Kleinste. Viele Male haben Sie gesehen, wie das Sonnenlicht durch die Blätter der Bäume fällt, Sie wissen, wie das Gras aussieht und riecht, kennen die Laute, die die Kinder beim Schaukeln machen, die bellenden Hunde und den in der Ferne vorbeirauschenden Verkehr. Sie wissen, wie sich der Boden unter Ihren Füßen anfühlt, welche Empfindung das Sonnenlicht auf Ihrer Haut auslöst und wie frisch sich die Luft bei jeder Einatmung anfühlt. Sie wissen alles, was Sie über den Park wissen müssen, um eine sehr genaue geistige Simulation von ihm nachzubilden. Und falls ein paar Lücken da sind – nun ja, der Geist ist durchaus in der Lage, sie zu füllen und eine nahtlose Erfahrung zu konstruieren. Sie brauchen den Park nicht unmittelbar wahrzunehmen, um das Gefühl zu haben, ihn gerade zu erleben. Ihr Geist braucht nur die Informationen über Parks, die in Ihrem Langzeitgedächtnis gespeichert sind. Diese können bei Bedarf einfach in den Cache geladen und vom Geist für die Simulation der Realität verwendet werden. Und die Chancen stehen gut, dass sie praktisch zu hundert Prozent zutreffend sind – auf jeden Fall zutreffend genug, dass Sie Ihren Spaziergang genießen können.
Aber der Cache ist nicht nur ein schneller Speicher, der Ihnen ermöglicht, Orte zu rekonstruieren, an denen Sie schon gewesen sind. Die zentralen Konzepte können auch genutzt werden, um neue Orte und Erfahrungen zu simulieren. So können Sie beim Besuch eines neuen Parks die Informationen, die sich auf den Park in Ihrer Nähe beziehen, in der neuen Situation wiederverwenden. Bei diesem Beispiel können Sie im Grunde Ihren alten Park erleben, wenn Sie den neuen besuchen. Dasselbe gilt für jegliche neue Situation. Wenn wir mit etwas Neuem konfrontiert werden, reicht uns oft schon ein kurzer Blick, um Erinnerungen im Cache zu triggern, die dann verwendet werden, um die Simulation vorzubereiten und ein schnelles, grobes Modell zu erstellen. Dieses Modell wird im weiteren Verlauf, wenn die Sinne dem Geist neue Informationen senden, verfeinert und aktualisiert. Faktisch beginnt der Besuch eines neuen Parks als Simulation des Parks in Ihrer Nähe, doch mit dem Eintreffen neuer Informationen bemerken Sie allmählich die Unterschiede, und diese Unterschiede werden dann in Ihr globales Modell eingebaut.
Aber nicht nur Besuche in einem schönen Park werden im Gedächtnis gespeichert, sondern auch belastende Gedanken, Gefühle und Emotionen. Das liegt daran, dass der Cache tendenziell die markantesten Erfahrungen der letzten Zeit zusammen mit den eindrücklichsten Gedanken, Gefühlen und Emotionen speichert. Und zu unserem Leidwesen sind die drängendsten und markantesten auch die belastendsten. Das bedeutet, die Gedanken, die Sie in Ihrer Simulation am ehesten wiedererleben, sind die negativsten. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass Sie sich an angst- und stressbehaftete, unglückliche Gedanken erinnern als an positive oder gar neutrale. Die Gedanken, die mit der größten Wahrscheinlichkeit in den Cache hochgeladen werden, um beim kleinsten Anlass abgerufen zu werden, sind also solche wie: »Warum ist alles so schwierig? Ich bin erschöpft. Niemand gibt sich Mühe. Alle erwarten, dass ich die ganze Arbeit tue. Ich habe es satt, dass sie das für selbstverständlich halten.«
Dasselbe gilt für Gefühle und Emotionen, ebenso für verbale und körperliche Reaktionen und sogar für Aggressionen. Dunkle, amorphe Emotionen wie Angst, Stress, Wut und Traurigkeit stehen dabei an erster Stelle. Und weil alles miteinander verstrickt ist, können schon wenige negative Gedanken einen reißenden Strom entfesseln und weitere starke negative Emotionen auslösen. Zugleich rufen solche Emotionen auch Veränderungen im Körper hervor: Nacken- oder Schulterschmerzen können auftreten, vielleicht bekommen Sie Kopfschmerzen, oder das ängstliche Kribbeln im Bauch verwandelt sich in Übelkeit. All das bedeutet nicht, dass Ihre Bedrängnis übertrieben oder nicht wahr ist. Es heißt auch nicht, dass Sie überreagieren, übermäßig empfindlich oder in irgendeiner Weise schwach sind. Wenn Sie sich traurig fühlen, dann sind Sie traurig. Wenn Sie sich ängstlich, gestresst, erschöpft oder wütend fühlen, dann erleben Sie dieses Leid wirklich. Ihre Vorhersagen sind für Sie wahr. Simulation ist Realität.
So leidvoll ein solcher Zustand der Bedrängnis auch sein mag, birgt er doch auch Hoffnung in sich. Denn Ihnen wird bald klar, dass er nicht festgefügt, real und unveränderlich ist. Und dass darunter etwas ganz Reines, Einfaches existiert. Etwas, das zwischen Ihrem ureigenen Wesen und Ihrer Erfahrung der Welt liegt. Es schwankt von einem Moment zum nächsten – Momente, die entweder angenehm, unangenehm oder neutral sind; die Gefühlsfärbungen des Moments. Und diese sind es, die Ihre nachfolgenden Gedanken, Gefühle, Emotionen und körperlichen Empfindungen wie auch Ihre Reaktionen darauf leiten. Sie bereiten Ihren Geist darauf vor, eine Welt zu erschaffen, die entweder positiv und aufmunternd oder dunkel und bedrohlich ist oder etwas dazwischen.
Und sind wir erst einmal in Kontakt mit dem zugrunde liegenden Strom von Gefühlsfärbungen, kann etwas Bemerkenswertes geschehen. Es genügt, auf sie zu achten und sie mit ihrem Auf und Ab herzlich zu begrüßen, und schon entwirren sich ihre Verwicklungen von selbst. Sogar unsere dunkelsten Gedanken, Gefühle und Emotionen lösen sich dann auf. Der Geist klärt sich, sodass wir frei sind, die Welt mit all den schönen Erfahrungen, die uns die Sinne vermitteln, direkt zu erleben.
Gefühlsfärbungen des Tun-und Sein-Modus von Körper und Geist
In unserem vorhergehenden Buch, Das Achtsamkeitstraining, haben wir erklärt, dass viele Schwierigkeiten entstehen, weil wir emotionale Probleme logisch lösen wollen. Denn wenn wir versuchen, ein emotionales Problem zu lösen, setzen wir eins der wirksamsten Werkzeuge des Geistes ein: rationales, kritisches Denken. Dabei kommt der dem Geist eigene Modus des Tunszum Einsatz – sein rationales, logisches Vorgehen im Umgang mit der Welt wie auch beim Denken und Lösen von Problemen. Es ist eins der nützlichsten Instrumente in unserem mentalen Werkzeugkasten, hervorragend geeignet zur Problemlösung, beispielsweise zum Koordinieren von Arbeitsplänen oder um sich in einer Stadt zurechtzufinden, zum Organisieren von Logistikketten oder zum Erledigen von Aufgaben im Allgemeinen. Der Tun