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"Das nussbraune Mädchen" ist eine Erzählung aus Goethes Roman "Wilhelm Meisters Wanderjahre". Der Roman gilt als die persönlichste aller Goethe'schen Dichtungen. 1821 erschien die erste Fassung, 1829 die vollständige. Die Pächterstochter Nachodine, wegen ihrer bräunlichen Gesichtsfarbe das nußbraune Mädchen genannt, bat Lenardo, sich für ihren zahlungsunfähigen Vater beim Oheim zu verwenden. Lenardo, leichtsinnig, hielt sein Ver-sprechen nicht und macht sich nun Gewissensbisse.
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Seitenzahl: 24
Johann Wolfgang von Goethe
Nachdem Wilhelm seinen Auftrag umständlich und genau ausgerichtet, versetzte Lenardo mit einem Lächeln: »So sehr ich Ihnen verbunden bin für das, was ich durch Sie erfahre, so muß ich doch noch eine Frage hinzufügen. Hat Ihnen die Tante nicht am Schluß noch anempfohlen, mir eine unbedeutend scheinende Sache zu berichten?« Der andere besann sich einen Augenblick. »Ja«, sagte er darauf, »ich entsinne mich. Sie erwähnte eines Frauenzimmers, das sie Valerine nannte. Von dieser sollte ich Ihnen sagen, daß sie glücklich verheiratet sei und sich in einem wünschenswerten Zustande befinde.«
»Sie wälzen mir einen Stein vom Herzen«, versetzte Lenardo. »Ich gehe nun gern nach Hause zurück, weil ich nicht fürchten muß, daß die Erinnerung an dieses Mädchen mir an Ort und Stelle zum Vorwurf gereiche.«
»Es ziemt sich nicht für mich zu fragen, welch Verhältnis Sie zu ihr gehabt«, sagte Wilhelm; »genug, Sie können ruhig sein, wenn Sie auf irgendeine Weise an dem Schicksal des Mädchens teilnehmen.«
»Es ist das wunderlichste Verhältnis von der Welt«, sagte Lenardo; »keinesweges ein Liebesverhältnis, wie man sich's denken könnte. Ich darf Ihnen wohl vertrauen und erzählen, was eigentlich keine Geschichte ist. Was müssen Sie aber denken, wenn ich Ihnen sage, daß mein zauderndes Zurückreisen, daß die Furcht, in unsere Wohnung zurückzukehren, daß diese seltsamen Anstalten und Fragen, wie es bei uns aussehe, eigentlich nur zur Absicht haben, nebenher zu erfahren, wie es mit diesem Kinde stehe.
Denn glauben Sie«, fuhr er fort, »ich weiß übrigens sehr gut, daß man Menschen, die man kennt, auf geraume Zeit verlassen kann, ohne sie verändert wiederzufinden, und so denke ich auch bei den Meinigen bald wieder völlig zu Hause zu sein. Um dies einzige Wesen war es mir zu tun, dessen Zustand sich verändern mußte und sich, Dank sei es dem Himmel, ins Bessere verändert hat.«
»Sie machen mich neugierig«, sagte Wilhelm. »Sie lassen mich etwas ganz Besonderes erwarten.«
»Ich halte es wenigstens dafür«, versetzte Lenardo und fing seine Erzählung folgendermaßen an.
»Die herkömmliche Kreisfahrt durch das gesittete Europa in meinen Jünglingsjahren zu bestehen, war ein fester Vorsatz, den ich von Jugend auf hegte, dessen Ausführung sich aber von Zeit zu Zeit, wie es zu gehen pflegt, verzögerte. Das Nächste zog mich an, hielt mich fest, und das Entfernte verlor immer mehr seinen Reiz, je mehr ich davon las oder erzählen hörte. Doch endlich, angetrieben durch meinen Oheim, angelockt durch Freunde, die sich vor mir in die Welt hinausbegeben hatten, ward der Entschluß gefaßt, und zwar geschwinder, ehe wir es uns alle versahen.
Mein Oheim, der eigentlich das Beste dazu tun mußte, um die Reise möglich zu machen, hatte sogleich kein anderes Augenmerk. Sie kennen ihn und seine Eigenheit, wie er immer nur auf eines