Das Nussstrudelkomplott - Beate Ferchländer - E-Book

Das Nussstrudelkomplott E-Book

Beate Ferchländer

4,8

  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

"Allergietod durch Nuss-Kuss" – ist es Zufall, dass Helene diese Schlagzeile genau dann entdeckt, als ihr Mann sie wieder einmal betrügt? Mit einem einzigen Kuss wäre sie ihn los, denn auch er leidet an dieser ungünstigen Allergie. Doch wie verführt man einen ignoranten Gatten? Als sich Helene daran macht, ihren Mordplan in die Tat umzusetzen, muss sie feststellen, dass sie nicht die Einzige ist, die ihrem Mann ans Leder will . . .

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Seitenzahl: 423

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Beate Ferchländer wurde 1961 in Scheibbs, Niederösterreich, geboren. Beruflich verschlug es sie als Lehrerin ins Weinviertel. Sie lebt mit ihrem Mann in Poysdorf, wo sie am Wochenende auch gerne ihre beiden erwachsenen Kinder bekocht. »Das Nussstrudelkomplott« ist ihr erster Kriminalroman.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2016 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: Montage, shutterstock.com/penphoto, shutterstock.com/rangizzz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Uta Rupprecht eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-979-0 Originalausgabe

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Ich möchte dieses Buch meiner Mutter widmen:

Mama, danke, dass du nie so warst wie Helenes Mutter!

Mordgelüste

Der Gedanke, meinen Mann zu töten, überkam mich, als mir die Mordwaffe quasi serviert wurde, und zwar in Form eines Nussstrudels und einer Tageszeitung.

Ich wartete, wie jeden Dienstag, im Café Bräunerhof auf Alma und bestellte mir, wie immer, eine Melange und einen Apfelstrudel. Draco quengelte unterm Tisch. Ich muss darauf bestehen, dass er da unten liegt, damit er möglichst unbemerkt bleibt. Die Leute fürchten sich vor ihm– schließlich ist er ein amerikanischer Pitbull. Sie wissen ja nicht, dass dieses Exemplar kein Kampfhund und zudem über die Maßen dämlich ist. Aber damit nicht genug, er ist auch noch grottenhässlich! Da putzt man sich extra raus für die Großstadt, und so ein bulliger Hund macht einem den eleganten Auftritt mit einem Schlag zunichte. Also unter den Tisch mit ihm!

Draco hasst das Kaffeehaus, weil er dort einen Maulkorb tragen muss. Ich finde Maulkörbe phantastisch, ich hätte auch kein Problem damit, Draco eine Zwangsjacke anzulegen, wenn es sie für Hunde gäbe.

»Tut mir leid, gnädige Frau, Apfelstrudel ist aus«, bedauerte der Ober.

»Um diese Zeit? Es ist elf Uhr!« Ich hob irritiert die Augenbrauen.

»Ein Bus Japaner zum Frühstück«, seufzte er. Seine leicht gebeugte Körperhaltung strahlte diese Mischung aus Resignation und Unterwürfigkeit aus, die dem Wiener Kaffeehaus-Ober so eigen ist.

Er brauchte gar nichts weiter zu sagen. Wahrscheinlich stand im Reiseführer, dass Mozart mit Vorliebe Apfelstrudel gegessen hat– oder vielleicht auch Kaiserin Sisi.

Ich sah die Gruppe direkt vor mir, wie sie alle ihren Kaffee und den »Apfelstrudel mit Schlag« fotografierten, um anschließend lustlos darin herumzurühren und -zustochern. Kein Japaner trinkt freiwillig Kaffee, wenn es auch Tee gibt, und welcher Asiat isst schon Obers? Und deshalb musste ich auf meinen Apfelstrudel verzichten? Sollen sie doch Kirschblütensushi essen, verdammt, das ist wenigstens hundertprozentig laktosefrei!

»Ganz frischen Nussstrudel hätte ich da, gnä’ Frau«, unterbrach der Ober meine politisch unkorrekten Gedanken, »wie von der Großmutter!«

»Um Himmels willen!«, rief ich. »Wollen Sie mich vergiften?« Meine Großmutter ist wahrscheinlich die schlechteste Köchin in ganz Mitteleuropa gewesen, ausgenommen vielleicht England. Mit ihren Kartoffelknödeln hätte man in Wimbledon Furore gemacht; und hätte man die Reichsbrücke auf ihrem Strudelteig erbaut, dann wäre sie garantiert niemals eingestürzt!

Der Ober kannte mich zwar schon länger, aber über meine Großmutter und deren Kochkünste wusste er natürlich nicht Bescheid. »Meine Großmutter hätte man besser nie an den Herd gelassen«, erklärte ich deshalb schnell, damit er nicht beleidigt abzog und mich völlig strudellos sitzen ließ.

»Tatsächlich?«, erwiderte er leicht indigniert. »Aber ich sprach natürlich von meiner Großmutter!«

»Na dann«, rief ich erleichtert, »bringen Sie mir eben Nuss!«

Während ich auf meinen Kaffee und den Nussstrudel wartete, blätterte ich »Die Krone« durch.

Da blieb mein Blick an einem Artikel hängen.

15-jähriges Mädchen zu Tode geküsst– Erdnuss-Allergie

Ein Mädchen aus Kanada ist am Montag gestorben, nachdem sie am Sonntag von ihrem Freund innig geküsst worden war. Der Grund: Das Mädchen war gegen Erdnüsse allergisch, der Bursche hatte zuvor einige Erdnussbutter-Sandwiches gegessen…

Ich wusste nur zu gut, wie gefährlich so eine Allergie sein konnte. Hermann musste ständig ein Notfallpaket mit sich führen. Neben einer Adrenalinspritze, einem Antihistamin und Cortison hatte er stets sein Asthmaspray dabei. Er war gegen alles Mögliche allergisch, gegen Bienen- und Wespengift, gegen Sellerie und vor allem gegen Nüsse aller Art. Bei seinem ersten Anfall in einem Restaurant in Argentinien hatte er von Glück reden können, dass ein Spital in der Nähe gewesen war. Innerhalb einer halben Stunde müsse man einem Anaphylaxie-Patienten Adrenalin spritzen, andernfalls führe der Schock zum sicheren Tod, hatte der behandelnde Arzt erklärt.

»Eine Melange und ein Nussstrudel!« Beinahe lautlos stellte der Ober mir das Tablett auf den Tisch. Gerecht fand ich es nach wie vor nicht, dass ich auf Apfel verzichten musste, aber ich wollte dem gepriesenen Strudel eine Chance geben. Dafür, dass es kein Apfelstrudel war, schmeckte er einigermaßen passabel.

Wenn ich Hermann jetzt heftig küssen würde und ihn nicht an sein Notfallpaket heranließe, würde er wohl binnen einer halben Stunde ex gehen, dachte ich bei mir, und schon schmeckte der Strudel viel besser.

Als könnte Draco meine bösen Gedanken lesen, begann er zu knurren.

»Beruhige dich, ich werde deinem Herrchen nichts tun«, flüsterte ich, »abgesehen davon küsst er mich sowieso schon länger nicht mehr.«

»Wer küsst dich schon länger nicht mehr?« Alma zog sich einen Stuhl heran und ließ sich schwungvoll nieder. Der Ober nahm ihr ohne zu zögern den bunten Poncho ab und hängte ihn an den Kleiderständer. »Darf’s etwas zum kurzen Schwarzen sein?«

»Der Nussstrudel ist hervorragend«, empfahl ich in der Hoffnung, Almas Frage nicht beantworten zu müssen. Ich hätte wissen können, dass der Ablenkungsversuch vergeblich sein würde. Kaum dass der Ober sich entfernt hatte, bohrte Alma auch schon nach. »Also, seit wann küsst dich Hermann nicht mehr?«

Sie steckte sich eine E-Zigarette an und zog elegant daran, ihr roter Lippenstift hinterließ einen dünnen Ring auf dem Spitz. Dabei sah sie aus wie Marlene Dietrich, außer dass ihre Haare knallrot waren.

»Ich glaub, er hat wieder eine!«, stieß ich hervor, und Alma verstand sofort, dass ich eine Geliebte meinte.

»Und woraus schließt du das? Nur, weil er dich nicht küsst?«

»›Nur‹ ist gut«, wehrte ich mich. »Aber bitte, wenn du es wissen willst, er riecht nach einem teuren Frauenparfüm!«

»Und das ist alles? Ich rieche auch nach einem teuren Parfüm.« Alma lachte und hielt mir ihr Handgelenk unter die Nase.

»Ja, das könnte es sein«, bestätigte ich.

»Na, siehst du. Vielleicht hat seine Sekretärin ein neues?«

»Du hast wohl vergessen, dass er jetzt einen Sekretär hat«, erinnerte ich sie vorwurfsvoll. Mir wurde das Gespräch langsam unangenehm. Erstens sprach Alma so laut, dass das halbe Kaffeehaus mithören konnte, und zweitens war die Erinnerung an Hermanns letzte Sekretärin alles andere als erfreulich. Was nützte mir die Tatsache, dass sie durch einen männlichen, extrem verpickelten Sekretär ersetzt worden war? Offenbar trieb sich in seiner Nähe schon wieder so ein Flittchen herum, das eine Vorliebe für teure Parfüms und wohlsituierte Herren im mittleren Alter hatte.

»Entschuldige, Schätzchen, ich wollte nicht in alten Wunden bohren.« Alma legte mir beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Ich wollte nur sagen, dass es auch andere Gründe geben kann, warum er dich nicht küsst.«

Wenn ich mir über eine Sache im Klaren war, dann, dass ich nicht wissen wollte, warum mein Mann mich nicht mehr begehrte. Dass er mich betrog, war schlimm genug, aber wenigstens hatte ich eine verlässliche Begründung zur Hand: Der Mann ist eben ein chauvinistisches Arschloch!

»Ach, lassen wir das, erzähl mir lieber, von wem du dieses absolut phantastische Geschmeide hast!«

Es war mir natürlich trotz der peinlichen Fragerei nicht entgangen, dass an Almas Zigarettenhand ein neuer Ring prangte.

»Ein echter Versace!« Alma senkte ihre Stimme und blickte verzückt auf ihre jüngste Errungenschaft. Er war wirklich eine Augenweide, dieser Ring. Eine zarte Perle, umschmeichelt von einem mäandrierenden Geflecht aus Weißgold und kleinen Brillanten. »Es gibt dazu natürlich auch eine ab-so-lut wahnsinnige Halskette und passende Ohrgehänge. Fürs Kaffeehaus leicht übertrieben!«, erklärte sie kichernd.

»Er hat also Geld und Geschmack«, stellte ich fest. »Hat er auch etwas Negatives?«

»Definitiv«, antwortete Alma, »eine Ehefrau.«

»Schon wieder?« Ich konnte Alma nicht verstehen. Vor wenigen Monaten war sie noch am Boden zerstört gewesen, als sie erkennen musste, dass ihr verheirateter Geliebter von einer Scheidung nichts wissen wollte.

»Ach komm, schau mich nicht so vorwurfsvoll an!« Alma zeigte ihr unwiderstehliches Lächeln. »Du solltest dir auch einen Geliebten zulegen. Vielleicht küsst Hermann dich dann wieder?«

»Wenn ich einen Geliebten hätte, dann bräuchte ich zum Küssen Hermann doch nicht mehr!«, wandte ich ein.

»Na, umso besser!« konterte Alma. »Trinken wir ein Gläschen darauf!«

Der Ober brachte uns zwei Gläser Schlumberger Gold Dry, und wir stießen auf unsere Geliebten an, auf Almas Schmuck- und Samenspender und meinen fiktiven Toy Boy. Dass er jünger sein sollte als ich alte Mittdreißiger-Schachtel, darüber waren wir uns einig, einen beträchtlich Älteren hatte ich schließlich schon.

Leider beendete Draco abrupt unsere Feierstimmung, indem er ungestüm an seiner Leine zog und heftig mit dem Schwanz gegen mein Bein schlug. Gassi! Allein dieses Wort hasse ich!

»Ich muss sowieso in die Galerie, du weißt, die Vernissage ist nächste Woche«, seufzte Alma und raffte ihre Sachen zusammen. »Apropos, hättest du nicht Lust, vorbeizuschauen? Bring Hermann mit, er mag doch Kunst. Vielleicht solltet ihr einfach mehr miteinander unternehmen?«

Ich war mir sicher, dass Hermann nichts mit mir »unternehmen« wollte, versprach aber, zumindest zu versuchen, ihm einen Besuch schmackhaft zu machen.

Alma rauschte also aus dem Kaffeehaus, viele Blicke folgten ihrer beeindruckenden Erscheinung, während ich mich mit Draco abplagte. Nur mit Mühe konnte ich das kräftige Tier unterm Tisch hervorziehen. Aus seiner schwarz-weißen Hundevisage glotzten mich rot unterlaufene Augen an, und von seinen Lefzen tropfte der Sabber, als wollte er mich verhöhnen. Der Gedanke daran, dass Hermann ihn mir als Kind-Ersatz ins Haus gebracht hatte, wo er doch genau wusste, dass ich Hunde nicht ausstehen konnte, brachte mein Blut schon wieder in Wallung. Hermann hätte sich seinen Nusskuss redlich verdient!

Pfui, Helene, sagte eine strenge Stimme in mir, die ganz nach meiner Mutter klang, schlag dir das aus dem Kopf! Ich trank meinen Kaffee aus –er war inzwischen kalt geworden– und pickte die letzten Krümel der Nussfülle auf. Der Ober freute sich über mein großzügiges Trinkgeld. »Für Ihre Großmutter!«, sagte ich. »Für den hervorragenden Nusskuchen.«

»Strudel«, korrigierte der Ober, »Nussstrudel«, aber er nickte mir wohlwollend zu. Mit einem tiefen Seufzer nahm ich die Leine des missratenen Köters und ließ mich von ihm zum Ausgang ziehen. Draco war schon halb aus der Tür, als mir die hübsch angeordneten Säckchen mit Studentenfutter ins Auge stachen. »Nüsse!«, durchfuhr es mich erneut.

Wie aus einem inneren Zwang heraus kaufte ich zwei Tütchen zu einem horrenden Preis. Eines öffnete ich sofort, die Nuss-Rosinen-Mischung roch phantastisch, das andere steckte ich in meine Tasche. Ich bot sogar Draco eine Nuss an, die er anstandslos verdrückte.

Der Hund war im Gegensatz zu seinem Herrchen also ganz offensichtlich nicht gegen Nüsse allergisch, aber dafür umso mehr gegen Katzen!

Ich wollte zunächst eine Abkürzung nehmen, weil Draco gar so drängelte, man wusste ja nie bei dem Tier. Wenn er einen Touristen anpinkelte, würde das zwar vermutlich keine größeren Auswirkungen auf den Wiener Fremdenverkehr haben, aber mir wäre es peinlich. Und vor dem »Sacki fürs Gacki« grauste mir sowieso. So etwas konnte nur ein Mann erfunden haben, der noch nie seine Finger in die Scheiße hatte stecken müssen.

Ich für meinen Teil hatte Draco schon öfter diskret hinter einem Busch im Volksgarten seine Sache erledigen lassen. Dorthin dürfen zwar offiziell weder Hund noch Fußgänger, aber wer hält sich schon an solche Verbote, wenn keiner kontrolliert?

Ich stand also wie zufällig nahe am Busch, während Draco sein Ding verscharrte, als plötzlich ein Aufseher der Wiener Gärten auf mich zukam. Dezent ließ ich die Leine los und legte sie ins Gras– wer wusste denn schon, dass der Hund mir gehörte? Dann bückte ich mich und gab vor, mir ein Steinchen aus dem Schuh zu holen. Plötzlich hatte ich die Leine um die Ohren. Draco sprang mit einem mächtigen Satz über den Rosenbusch, zischte ab in die Hecke und auf der anderen Seite wieder hinaus, ihm voran ein armes Katzentier.

»Draco!«, rief ich, völlig vergessend, dass der Hund ja nicht zu mir gehörte.

Ein verheerender Fehler. Denn nun hatte nicht nur die Katze einen Pitbull Terrier am Hals, sondern auch ich einen Parkwächter! In beiden Fällen war Flucht der einzige Ausweg.

Gut möglich, dass wir einen ungewöhnlichen Anblick boten: erst Katze, dann Hund, dann Blondine in hochhackigen Schuhen, gefolgt von einem Uniformierten. Auf jeden Fall schien die Sache für einige Passanten interessant genug, um stehen zu bleiben und das Schauspiel zu verfolgen. Vielleicht wetteten einige sogar, wie das Rennen ausgehen würde?

Ohne zu wissen, wie es um die Kondition meines Verfolgers stand, hätte ich nicht viel auf mich gesetzt. Ehrlich gesagt, Sport ist für mich bestenfalls ein Fernsehprogramm!

Die Fitteste im Rennen war jedenfalls die Katze, sie hatte vermutlich auch die größte Motivation (da sieht man wieder, was das ausmachen kann!). Und sie war nicht nur schneller als Draco, sondern auch definitiv cleverer. Kurzum: Sie rettete sich auf einen Baum. Draco gab sich augenblicklich geschlagen. Einen Moment lang war ich erleichtert, bis ich erkannte, dass er sich kurz entschlossen ein anderes Opfer gesucht hatte, einen jungen Mann auf einer Parkbank, der völlig versunken einen Reiseführer studierte. Die Bank fiel um, das Büchlein landete im Busch und Draco auf dem jungen Mann. Nicht auszudenken, wenn Draco ohne Beißkorb gewesen wäre, dann hätte es schlecht gestanden um den Herrn. Allein das Bild– »Pitbull bedroht jungen Menschen!«– genügte, um dem Publikum einige hysterische Schreie zu entlocken, aber ich wusste gottlob, dass dieser blöde Hund ohnehin nichts auf die Reihe brachte. Er wedelte zudem eifrig mit seinem Schwanz, was bedeutete, dass er das Ganze als amüsanten Zeitvertreib betrachtete.

Ich ersparte mir das obligate »Er tut eh nichts!« und zog ihn von seinem Opfer weg.

»¡Mierda!«, fluchte der junge Mann und rappelte sich hoch. Gerade als er mir die Leviten lesen wollte –in welcher Sprache auch immer–, hatte mich der Ordnungshüter eingeholt. »Das wird Sie teuer zu stehen kommen!«, sagte er noch etwas außer Atem und zog ein schwarzes Büchlein aus seiner Tasche. »Übertretung der Parkordnung in mehreren Punkten«, begann er seine Belehrung, »Verstoß gegen Paragraf3, ›Schutz der Grün- und Pflanzungsflächen, Betretungs- und Fahrverbote‹, sowie gegen Paragraf7, ›Hunde und andere Tiere dürfen nicht in den Park mitgenommen werden‹. Und wenn der Herr verletzt ist, müssen Sie auch noch mit einer Anzeige laut Paragraf…«

Er wandte sich dem jungen Mann zu, der sich gerade Spuren von Erde von seiner Hose klopfte. »Darf ich Ihre Personalien aufnehmen für die Anzeige, mein Herr?«

»Wieso Anzeige, bitte?« Der junge Mann unterbrach seine Hosenreinigung und blickte den Uniformierten entgeistert an.

Was für Augen! Tiefstes Blau bei dunklem Teint– sehr selten, aber vielleicht gerade deshalb so außergewöhnlich attraktiv?

»Ist nichts passiert!«, sagte er schlicht, hob seinen Reiseführer auf und hastete davon, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.

»Na, da haben Sie aber Glück gehabt!« Man konnte dem Parkwächter ansehen, dass er mir dieses Glück nicht gönnte. »Das macht dann zweihundertfünfzig Euro geradeaus. Und Sie wissen natürlich, dass Sie für so einen Hund einen Führerschein brauchen?«

»Ja, natürlich«, stammelte ich. »Mein Mann ist der rechtmäßige Besitzer, alles ganz legal und amtlich, bitte schön!«

Ich bezahlte zähneknirschend, bevor mir dieser Amtsmensch noch weitere unangenehme Fragen stellte. »Und vergessen Sie nicht, das Gacki noch wegzuräumen!«, setzte er höhnisch hinzu.

Wo der Hund begraben liegt

Die Rückfahrt im Auto von Wien nach Baden war erstaunlich unanstrengend verlaufen. Normalerweise bellt und winselt Draco in einem durch, was schrecklich nervt.

Anscheinend hatte ihn die heutige Jagd so ermüdet, dass ihm die Autofahrt egal war. Ich bin ja, was diesen Hund betrifft, grundsätzlich dankbar für jede Erkenntnis, diese allerdings würde mir nicht viel weiterhelfen. Ich konnte doch nicht jedes Mal, wenn eine gemeinsame Autofahrt bevorstand, eine Jagd für ihn veranstalten.

Tereza begrüßte mich in ihrem üblichen Outfit: graue Trevirahose, weiße Bluse und geblümte Schürze.

Sie nahm mir Draco ab, bevor er noch seine schmutzigen Spuren im ganzen Haus verteilen konnte.

»Der sieht aber fertig aus. Was Sie haben gemacht mit Hund, Frau Helene?«

»Ich? Gar nichts!«, antwortete ich wahrheitsgemäß und erzählte ihr von Dracos Jagd auf die Katze, unterschlug aber so unwichtige Details wie den jungen Mann oder den Parkwächter. Schon seit Wochen lag mir Tereza in den Ohren, ich solle Draco auf einer Hundeschule anmelden. »Der Hund nicht gehorcht. Er wird uns alle treiben in den Wahnsinn, Frau Helene!«, nörgelte sie. Fast so beständig wie meine Mutter. Ich wollte aber partout nicht in so eine dämliche Schule mit ihm. Ich hatte den Hund nicht gewollt, sollte sich doch Hermann um seine Erziehung kümmern!

Tereza kann manchmal Gedanken lesen. »Der Hund ist wie Waffe, Frau Helene. Eines Tages er beißt wen tot, dann haben wir Salat!«

Konnte man einen Pitbull nicht scharf abrichten lassen? Ich stellte mir vor, wie ich Hermann im Wohnzimmer mit seiner Geliebten überraschte, »Fass, Draco!« rief und er sich über das Pärchen hermachte. So wie im Park über diesen hübschen jungen Mann– nur diesmal ohne Beißkorb!

Igitt! Das viele Blut, womöglich auch noch auf meinem schönen Perserteppich! Nein, da wäre die Nussmethode bei Weitem die sauberere Lösung!

»Ist mein Mann schon zu Hause?«, fragte ich, um von Draco abzulenken.

»Ah, Frau Helene. Das ich hätte fast vergessen. Er hat angerufen vor halbe Stunde. Sie sollen allein zu diese Heurige fahren und bitte pünktlich sein, er kann später erst kommen. Er dann kommt direkt von Wien.«

Dieser verdammte Heurige jeden Monat! Diese schrecklich langweiligen Diplomatengattinnen! Die Herren Diplomaten waren ja meist ganz amüsant und durchwegs höflich zu mir, aber die Frauen! Entweder waren es arrogante Französinnen in Designerkostümen oder aufgebrezelte russische Datscha-Queens, die ihre stiernackigen Männer anhimmelten, oder pausbäckige Hausfrauen in Birkenstocksandalen, die über nichts anderes sprachen als genfreie Vollkornnahrung oder die Schularbeiten ihrer genialen Brut. Und jetzt zwang mich Hermann auch noch zum Small Talk mit diesen Weibern! Er wusste doch, dass ich keine gute Unterhalterin war– zumindest wurde er nicht müde, diese Tatsache zu betonen, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot.

»Tereza, ich wünschte, Sie könnten mitkommen«, seufzte ich deprimiert, »ich werde mich wieder schrecklich langweilen.«

»Dann Sie denken eben was Schönes, Zeit geht vorbei im Nu. Ich mich kümmere um Hund«, erbot sie sich, »Sie machen frisch für Diplomaten.«

Nach einer ausgiebigen Dusche durchforstete ich meine Garderobe. Es gibt nichts Schlimmeres als einen prall gefüllten Kleiderschrank– wie soll man da etwas zum Anziehen finden? Der Anlass bedeutete mir persönlich nicht viel, aber ich wollte Hermann keine Chance lassen, mich schon wieder vor Publikum lächerlich zu machen. Das letzte Mal hatte er mich »mein Vampirchen« genannt, weil ich einen Strickpulli mit Fledermausärmeln angehabt hatte.

Meine Wahl fiel schließlich auf einen schmalen puderfarbenen Hosenanzug mit weißen Seitenstreifen. Zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Nicht zu altmodisch, aber auch nicht zu auffallend. Meine Figur war eigentlich immer noch tipptopp, zumindest im Vergleich zu manchen meiner Schulkolleginnen. Mein naturblondes Haar fiel mir glatt und glänzend über die Schultern, und ich hatte einen sauberen Teint, noch keine Falten. Warum nur brauchte Hermann immer wieder eine andere Frau? War er vielleicht gerade eben mit der Neuen zusammen? Musste ich deswegen seine Diplomatenarbeit übernehmen?

»Hermann Winter, ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich!«, rief ich, aber das half mir nicht. Wie hatte es nur so weit kommen können mit uns beiden?

Er war mir sofort aufgefallen. Wie ein Ritter der Tafelrunde stand er da, groß, blond und stattlich. Allerdings war es zunächst nicht sein elegantes Äußeres, sein sichtbar teurer Anzug oder sein imposantes Lachen, was mich in seinen Bann zog, sondern dieses garstige Etwas unter seiner Nase. Ich konnte meinen Blick nicht davon lassen. Bei näherer Betrachtung war eindeutig zu erkennen, dass es sich nicht um ein Bärtchen handelte, aber was es sonst sein konnte, entzog sich meiner Phantasie. Ein Muttermal war es auf keinen Fall, denn das grausige Etwas wölbte sich von der Oberlippe bis zum linken Nasenloch, also war es ein Fremdkörper. Speisereste konnten es wohl auch nicht sein, denn so braun verkrustet, wie dieser Fleck aussah, hätte er ja schon ein paar Tage dort kleben müssen, und das passte nun wirklich nicht zu seiner sonstigen gepflegten Erscheinung. Ein Insekt? Blut? Blödsinn, schalt ich mich. Aber ich wusste, egal was es war– es musste dort weg!

»Er heißt Hermann Winter und ist designierter Kulturattaché für Prag.« Alma drückte mir ein Glas Prosecco in die Hand, sie hatte mich auf diese Vernissage mitgenommen. »Da lernst du wesentlich interessantere Leute kennen als auf der Uni«, hatte sie gesagt.

Wir waren damals beide im siebten Semester. Alma hatte es auf die Kunstakademie geschafft, und ich studierte Kunstgeschichte. Mittlerweile fürchtete ich schon, mein Studium tatsächlich abschließen zu müssen, weil ich noch keinen heiratswilligen Kandidaten gefunden hatte, der mir die Anstrengungen einer Erwerbstätigkeit ersparen würde.

Meine Mutter hatte gemeint, ich sollte Medizin studieren. »Entweder du angelst dir einen Doktor, und wenn nicht, musst du ihn eben selbst machen«, empfahl sie mir. Ein Dasein als Ärztegattin kam mir damals durchaus wünschenswert vor, aber für den Fall, dass keiner anbiss, war mir die Sache zu riskant. Erstens kann ich absolut kein Blut sehen, und zweitens hatte ich meine Mutter schwer im Verdacht, dass sie mir das Studium nur einredete, um im Alter rund um die Uhr medizinisch versorgt zu sein. Das gab den Ausschlag, ein Studium zu wählen, das mich selbst halbwegs interessierte, meine Mutter aber nicht. Ganz ehrlich, eigentlich hätte ich auch gerne Malerei studiert, so wie Alma, aber ich hatte einfach nicht genug Talent dafür.

»Soll ich dich vorstellen?«, fragte sie mit einem Lachen.

»Wieso kommst du darauf, dass ich mich für ihn interessiere?«

»Du starrst ihn schon seit Minuten an. Er dich übrigens auch!«

»Du meine Güte!«, rief ich entsetzt und nahm einen kräftigen Schluck vom Prosecco. Vor lauter Ekel hatte ich vergessen, was sich für eine junge Dame von Welt geziemt.

»Es ist nicht so, wie du denkst«, wollte ich gerade sagen, aber da war es schon zu spät, Hermann Winter schlenderte bereits lässig auf uns zu! Gut, dass meine Mutter mir wenigstens beigebracht hatte, in jeder Situation die Fassung zu bewahren. Kichern und Rotwerden war nur etwas für pubertierende Gören!

»Wollen Sie mich nicht Ihrer hübschen Begleitung vorstellen, Alma?«, sagte er lächelnd.

»Meine Freundin Helene«, sagte Alma, »Helene, Dr.Winter. Diplomát.« Sie betonte das »Diplomát«, als müsste sie meine Mutter beeindrucken.

»Und Sie malen auch?«, fragte der »Diplomát«.

»Ich studiere Kunstgeschichte«, gab ich knapp zurück.

»Ah, Sie sind also eine Expertin der Interpretation!«

Du meine Güte!, dachte ich. Hoffentlich verlangt er jetzt nicht von mir, eine Expertise zu der Ausstellung zu geben. Wären es klassische Bilder gewesen, hätte ich wohl aus meinem erlernten Wissensschatz schöpfen können, aber es handelte sich um eine Themen-Ausstellung über die siebziger Jahre, die neben Bildern auch diverse Objekte zur Schau stellte, und die plastische Kunst war noch nie mein Ding gewesen. »Ach, ich interessiere mich eigentlich eher für Gemälde als für Gegenstandskunst«, erwiderte ich ausweichend, fügte aber schnell hinzu: »Aber ich sehe mir natürlich alles an, bevor ich urteile.« Ich wollte nicht zu provinzlerisch daherkommen.

»Da bin ich ganz bei Ihnen«, sagte er. »Aber als angehender Kulturattaché muss ich mich natürlich auch der modernen Kunst gegenüber aufgeschlossen zeigen.«

»Sie sind in Prag stationiert, habe ich gehört«, sagte ich, um vom Kunstthema abzulenken.

»Ja. Das heißt, ich trete nächsten Monat meinen Posten an. Sie kennen Prag?«

»Ich war als Kind einmal mit meinen Eltern dort. Gleich nach dem Fall des Vorhangs. Ehrlich gesagt war ich damals nicht sehr beeindruckt«, gab ich zu.

»Das kann ich mir vorstellen. Sie müssen doch noch ziemlich jung gewesen sein.«

Ha! Er will wissen, wie alt ich bin, dachte ich. Natürlich verriet ich es ihm nicht, sondern lächelte nur und nippte stattdessen an meinem Prosecco– obwohl das Glas eigentlich schon leer war.

Das hatte Alma bemerkt. Es war offensichtlich, dass sie mich verkuppeln wollte, denn sie erbot sich sofort, neuen Prosecco zu holen. Im Vorbeigehen zwinkerte sie mir verschwörerisch zu und ließ mich mit dem Diplomáten allein zurück.

»Sie würden staunen, wie mondän diese Stadt mittlerweile geworden ist«, sagte er.

»Das glaub ich gerne«, erwiderte ich, mehr fiel mir nicht ein. Jetzt, wo Alma weg war, wurde ich nervös.

Er bemerkte es gottlob nicht. Unbeirrt fuhr er fort, von Prag zu schwärmen. Es sei mindestens genauso schön wie Wien, habe auch kulturell so viel zu bieten, bla, bla, bla. Es fiel mir schwer, seinen Worten zu folgen, denn ich musste all meine Konzentration aufwenden, um nicht ständig auf diesen Fleck zu starren. Stattdessen blickte ich ihm wohl etwas zu tief in die blauen Augen, und, was soll ich sagen, den fleckigen Umständen zum Trotz schmeichelte mir, was ich darin las: »Die kleine Maus gefällt mir!«

Rückblickend gesehen war das eine meiner zahlreichen Fehlinterpretationen gewesen. Nicht ich gefiel ihm, sondern mein Interesse an ihm. Seine Eitelkeit ließ ihn nicht daran zweifeln, dass meine Faszination seiner interessanten Erscheinung galt. Hätte ich damals etwas genauer hingesehen, wären mir sicherlich –neben dem grausigen Fleck– auch die Geheimratsecken nicht entgangen, die er sorgsam mit zwei Schmalzlocken zu verdecken suchte, oder der Bauchansatz, den sein maßgeschneiderter Anzug gekonnt kaschierte.

Das Rätsel des garstigen Flecks löste er dann übrigens selbst auf. Nachdem der Small-Talk-Stoff langsam etwas dünn geworden war und Alma immer noch auf sich warten ließ, zog er ein hübsches silbernes Döschen aus seiner Jacketttasche, streute sich eine Prise Tabak auf den Handrücken und schnupfte ihn mit einem unsympathischen Schniefgeräusch in seine Nase. Dann nahm er ein riesiges Tuch und schnäuzte sich die Pulverreste endlich aus dem Gesicht. Immerhin war der Fleck jetzt weg, und ich wusste, woher er rührte! Dennoch, ich begann, die blauen Augen gegen ein garstiges Hobby abzuwägen.

Hermann ist nicht dumm, er ist schließlich Diplomát. Er erkannte sofort, dass mich das Schnupfen abstieß, und so beeilte er sich, zu erklären, dies sei eine medizinische Maßnahme gegen seinen Heuschnupfen.

»Es wäre doch jammerschade, wenn mir ein gerötetes Auge den Blick auf Ihre Schönheit verschleiern würde, meine Liebe. Oder stellen Sie sich vor, meine Nase würde tropfen wie ein undichter Wasserhahn– und ich garantiere Ihnen, ohne den Schnupftabak stünden die Chancen dafür um diese Jahreszeit gewiss sehr hoch.«

Ich war mir in diesem Moment nicht sicher, ob ich eine tropfende Nase nicht einem Schmalzlerfleck (mittlerweile weiß ich ja, wie das widerliche Zeug heißt) vorziehen würde. Aber immerhin gab es keinen Zweifel daran, dass mir die blauen Augen bei Weitem lieber waren als rot geschwollene Sehschlitze!

Von da an sahen wir uns regelmäßig. Er führte mich in exquisite Lokale, die ich mir nie hätte leisten können. Mein Vater war zwar Anwalt gewesen, aber nachdem er es vorgezogen hatte, zu seiner Sekretärin zu ziehen, war er knausrig geworden. Und da meine Mutter sich weigerte, arbeiten zu gehen, blieb unterm Strich auch für mich nicht sehr viel übrig. Es reichte wohl für ein Studium, aber großer Lebensstil wurde nur in den eigenen vier Wänden vorgetäuscht.

Seinen Antrag machte Hermann mir bei einem Candle-Light-Dinner in einem Nobelrestaurant in Prag. Die Aussicht über die Dächer von Prag, dazu leise Musik und Champagner sollten mich mürbemachen. Plötzlich kniete er vor mir nieder. So genau weiß ich den Wortlaut natürlich nicht mehr, aber in etwa sagte er: »Helene! Ich habe mir diesen Schritt gut überlegt, ich tue niemals etwas Unüberlegtes. Du bist jung und hübsch, du würdest mein Heim verschönern– in jeder Hinsicht. Auch wenn du keine Fremdsprachen sprichst wie ich und wenig weißt über die Kultur vieler Länder, die wir zusammen bereisen werden, so bin ich doch zuversichtlich, dass du lernfähig genug bist, um mir eine gute Gattin zu sein. Dafür werde ich dir die Welt zu Füßen legen. Dein Herz gehört mir, ich fühle es. Du musst einfach Ja sagen!«

Dann steckte er mir diesen protzigen Ring an, der mir viel zu groß und eigentlich auch ziemlich hässlich war, aber er schaute enorm teuer aus.

Ohne meine Antwort abzuwarten, winkte er dem Ober, der mit seinem Wägelchen schon in den Startlöchern stand und eine weitere Flasche Champagner und eine Torte mit Spritzkerzen auffahren ließ. Die Gäste applaudierten, als wir uns küssten, ein Fotograf schoss Bilder von uns und der Torte, ich musste meinen Ring ins Bild halten.

Somit war ich also verlobt. Keiner bemerkte, dass ich eigentlich gar nicht Ja gesagt hatte, und nach der Flasche Champagner hatte auch ich dieses unwichtige Detail beinahe vergessen. Erst als ich meiner Mutter vom Antrag erzählte, fiel es mir wieder ein. »Soll ich ihn darauf ansprechen?«, fragte ich sie naiv.

»Worauf?« Meine Mutter hat mich noch nie verstanden.

»Na, dass er mich überrumpelt und förmlich in diese Verlobung gezwungen hat.«

»Bist du von Sinnen, mein Kind!«, rief sie. Der Schock zeichnete einen schwarzen Ring um ihre Kontaktlinsen. Wie eine totale Sonnenfinsternis warf dieser kalte Blick seinen Schatten auf mich. »Kind, das ist die Chance deines Lebens!«

Hermann bot mir alles, wovon meine Mutter geträumt hatte, es war absolut verständlich, dass sie mir praktisch unter Androhung der Enterbung verbot, seinen Antrag abzulehnen. »Denk doch auch an deine arme Mutter!«, hatte sie sich bemüht zu schluchzen. »Wer wird denn für mich sorgen, wenn ich alt und gebrechlich bin? Du darfst einfach nicht so egoistisch sein!«

»Ich habe ja eh nicht abgelehnt«, entschuldigte ich mich, »es war nur so ein Gedanke.«

Damit war meine Eheschließung besiegelt.

Hermann hielt, was er versprochen hatte– zunächst. Wir zogen in der Weltgeschichte herum, erst Prag, dann Kopenhagen, zuletzt Buenos Aires. Ich machte in jedem Land brav meinen Sprachkurs, aber die meisten Diplomaten sprachen ohnehin Englisch miteinander, da konnte ich so halbwegs mithalten. Kulturelles Know-how holte ich mir aus Reiseführern oder dem Internet, das genügte völlig. Im Übrigen brauchte ich dieses Wissen ohnehin kaum. Hermanns Kollegen bedachten mich mit wohlwollenden Blicken –was er stolz zur Kenntnis nahm–, sprachen aber kaum mit mir, und mit den Damen unterhielt ich mich vorwiegend über Mode oder bekam Tipps, wo ich einen guten Friseur oder Masseur finden konnte und wo es den besten Kaffee gab. Mehr war da nicht.

Ich genoss dieses Leben, besonders in Argentinien. Dort hatte ich Dienstboten, eine schöne Wohnung und außer einigen beruflichen Dinners, zu denen ich Hermann begleiten musste, keinerlei Verpflichtungen. Meine Mutter rief ich einmal die Woche von der Botschaft aus an, um sie neidisch zu machen, was mir auch immer hervorragend gelang. Zweimal im Jahr besuchten wir sie und blieben ein paar Tage in Wien.

Es lief also alles ganz gut, bis zu diesem denkwürdigen Restaurantbesuch.

Hermann war vom türkischen Botschafter in Buenos Aires in ein exquisites Restaurant eingeladen worden. Ich freute mich sehr darauf. Die Frau des Botschafters war eine angenehme Person, wir würden Deutsch sprechen, und ich brauchte mein mickriges Spanisch nicht auszupacken und mir danach Hermanns Schelte gefallen zu lassen. »Was tust du eigentlich die ganze Zeit, wenn ich arbeite? Du könntest wirklich ein bisschen Vokabeln pauken!« Aber ganz besonders freute ich mich auf die abwechslungsreiche Kost. Die ewigen Steaks hingen mir schon zum Hals heraus.

Die Gastgeber ließen sich nicht lumpen. Einer üppigen Vorspeisenplatte aus Hummus, gefüllten Weinblättern, Schafkäse und Olivenbrot folgten diverse Spießchen mit gegrillten Gemüsen und Pilaw, dazu gab es ausgezeichneten Rotwein. Als wir bei Arak und Baklava angelangt waren, fing Hermann plötzlich zu hüsteln an. Er drückte vornehm seine Stoffserviette vor den Mund, aber ich konnte sehen, wie sein Kopf immer röter wurde. Als das Husten stärker wurde, stammelte Hermann eine Entschuldigung und lief schnurstracks auf die Toilette. Hätte er Fisch gegessen, hätte ich vermutet, dass er eine Gräte verschluckt hatte, aber Nachspeisen sind normalerweise ungefährlich im Verzehr. Er hatte auch noch kaum etwas von der Platte gegessen. Vielleicht hatte er den Schnaps zu hastig getrunken und sich daran verschluckt, das kommt ja vor.

Zunächst plauderten wir ruhig weiter. Nach einer Weile fragte mich Frau Dönmez, ob mein Mann denn öfter solche Hustenanfälle habe, was ich verneinte. Als Hermann jedoch nach zehn Minuten immer noch nicht aufgetaucht war, erbot sich der Botschafter, nach ihm zu sehen. Und dann ging alles sehr schnell. Herr Dönmez kam aus der Toilette gerannt– nun hatte er einen roten Schädel, und er fuchtelte wild mit den Armen. Der Ober hastete zum Telefon und alarmierte die Rettung. »Ist jemand hier im Saal Arzt?«, rief er, und tatsächlich erhob sich eine korpulente Dame und eilte ins Herrenklo, Frau Dönmez und ich hinterher. Natürlich durften wir nicht hinein, allerdings nicht wegen unseres Geschlechts, sondern damit wir Hermanns Rettung nicht im Wege standen.

Er wurde unverzüglich ins nächste Spital gefahren, wo er einige Infusionen bekam. Die Ärzte stellten neben ein paar anderen, eher nur lästigen Unverträglichkeiten eine lebensgefährliche Allergie gegen Nüsse aller Art fest. Die Haselnüsse in der Baklava hatten einen Schock ausgelöst, an dem er beinahe verreckt war.

Okay, so eine Lebensmittelallergie ist nicht so ungewöhnlich, könnte man denken, man lässt halt dieses Lebensmittel weg, und schon passt es wieder. Bei einer Nussallergie gestaltet sich das etwas schwieriger. Man sollte nicht meinen, in wie vielen Produkten »Spuren von Samen und Nüssen« enthalten sind. Und welche Gewürze und Fertigprodukte in den diversen Restaurantküchen verwendet werden, entzieht sich ja dem Wissen eines normalen Bürgers. Kurz: Hermann konnte praktisch nicht mehr auswärts essen, vor Allergien warnende Fußnoten waren damals noch auf keiner Speisekarte zu finden. Diese Einschränkung war für einen Diplomaten natürlich sehr hinderlich. Hermanns Chef meinte sogar, dies könne seine weitere Karriere negativ beeinflussen, und legte ihm nahe, in den Innendienst zu wechseln. Aber Hermann war viel zu ehrgeizig. Er hatte sich schon als Kind das Ziel gesetzt, wie sein Vater ein hoher Diplomat zu werden. Ein noch besserer und einflussreicherer, wenn möglich, und er war nicht gewillt, dieses Ziel jetzt wegen einer »dämlichen Allergie«, wie er sagte, aufzugeben.

Wenn er eingeladen war, gab er vor, unter einer Magenverstimmung zu leiden, und aß trockenes Brot. Im Restaurant ließ er sich Gekochtes oder Gedämpftes bringen, ganz ohne Würze. Wenn er selbst einlud, gaben wir eben Dinnerpartys zu Hause. So der Plan.

Leider hat mir meine Großmutter ihr Anti-Koch-Gen vererbt, ich bin eine miserable Köchin. Und die Mädchen, die wir angestellt hatten, konnten zwar lokale Hausmannskost fabrizieren, aber keine gehobene Cuisine auf unsere Teller zaubern. Hermann war sehr ungehalten über die Situation. Eines Abends war er so erbost über meine mangelnde Kochkunst, dass er mich vor dem gesamten Personal heruntermachte.

Dabei hatte ich mich so bemüht, etwas klassisch Österreichisches zu zaubern.

Ich wollte Tafelspitz kochen wie einst meine Mutter, wenn mein Vater Arbeitskollegen mit nach Hause brachte. Leider hatte ich das Rezept ungenau gelesen und übersehen, dass das Fleisch mindestens drei Stunden bei niedriger Stufe köcheln sollte. Da ich schon etwas knapp dran war, beschloss ich, es einfach bei voller Power weich zu kochen. In der Zwischenzeit fabrizierte ich Grießnockerl, die ich –um Zeit zu sparen– gleich in denselben Topf warf. Wozu erneut warten, bis das Wasser in einem anderen Topf kochte? Den Zeitgewinn wollte ich nutzen, um eine Glasur für meine garantiert nussfreie Sachertorte zu rühren. Die Torte war mir beim Herausnehmen schon etwas flach vorgekommen. Möglich, dass es daran lag, dass ich den Eischnee vergessen hatte. Das Backpulver war drin, da war ich mir sicher, also konnte es wohl nicht so tragisch sein. Das Problem war eher, dass ich die Torte eigentlich noch in der Mitte hätte durchschneiden müssen, um zwei Böden zu haben. Aber wie schneidet man eine zwei Zentimeter hohe Torte, ohne sie zur Gänze zu zerstören?

Kein Problem, dachte ich, nehme ich für die Höhe eben mehr Schokoladenglasur, die war sowieso das Beste an der Torte. Zu Hause hätte ich ja zu Fertigglasur gegriffen, aber im Ausland war so etwas nicht so einfach zu bekommen. Ich musste sie selbst machen, aber was sollte daran so schwierig sein? Statt dreihundert Gramm Staubzucker, zweihundertfünfzig Gramm Kochschokolade und hundertzwanzig Milliliter Wasser nahm ich die dreifache Menge. Alles im Wasserbad erhitzen, stand da. Ich kochte also ein Wasserbad aus dreihundertsechzig Millilitern Wasser und warf die übrigen Zutaten hinein. Das Wasser war sehr schnell verdampft, und der Zucker brannte ein wenig an, das würde aber sicher keiner merken, denn ich goss sicherheitshalber noch einen Becher Milch dazu. Dann zog ich den Topf vom Herd und ließ die Glasur etwas auskühlen, sie kam mir nun doch etwas zu flüssig vor.

In der Zwischenzeit warf ich einen Blick auf meine Grießnockerl beziehungsweise auf das, was von ihnen übrig geblieben war. Sie hatten ihre hübsche Form verloren und schwammen jetzt wiedervereint als gelblich-klebrige Masse auf der Suppe. Ich hatte meine liebe Mühe, das Zeug von dort abzuschöpfen. Nun musste ich das Ganze eben umtaufen auf »Klare Brühe mit Grießbrei«.

Dann fischte ich das Fleisch aus der Suppe und wickelte es in Alufolie. Von meiner Mutter wusste ich, dass Fleisch vor dem Anschneiden immer rasten muss. Ich war stolz auf mich und überzeugt, es würde allen schmecken.

Zugegeben, die Suppe war von der Konsistenz her etwas eigen, sie erinnerte mich an frühe Sandspiel-Zeiten. Außerdem hatte ich das Salz vergessen. Besser, als wenn die Suppe versalzen wäre, dachte ich, nachsalzen kann man schließlich immer. Niemand machte eine Bemerkung zur Suppe, nur Hermann sah mich böse an.

Ich ließ die Suppe abservieren und kümmerte mich ums Fleisch. Es war auf ein Drittel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft, ich musste also sehr kleine Stückchen auf die Teller bringen. Rotes Fleisch ist sowieso nicht gesund, sagte ich mir, und setzte das Messer an. Es wollte allerdings nicht durch das Fleisch, wo ich es wollte. Am Ende hatte ich einen Haufen Fasern vor mir, aber kein vernünftiges Stück Fleisch. Ach was, dann war es eben Geschnetzeltes vom Rind. Ich schöpfte also je ein Häufchen Tafelspitzfasern auf die Teller, dazu Potatowedges (die gab es als Fertigprodukt fürs Rohr) und englisches Gemüse, das ich ebenfalls in der Suppe gekocht hatte. Vielleicht hätte ich es nicht gleichzeitig mit dem Fleisch in den Topf geben sollen, man konnte außer bei den Erbsen nicht mehr genau erkennen, um welche Gemüsesorten es sich ursprünglich gehandelt hatte. Aber geschmacklich war die Sache ganz in Ordnung. Bei gekochtem Gemüse ist die Konsistenz ja ohnehin Nebensache.

Ein Gast wollte Ketchup dazu, die anderen taten es ihm nach. Ich fand den Gemüsebrei nicht so schlecht, nachdem ich etwas nachgesalzen hatte, und die Potatowedges waren vielleicht ein wenig kross, aber mit Ketchup durchaus genießbar. Ich konnte Hermanns roten Kopf und seine strafenden Blicke nicht verstehen. Es war doch nicht meine Schuld, dass der Botschafter gleich drei Mal ins Bad musste, um sich ein paar Fleischfasern aus den falschen Zähnen zu stochern! Hätte er sich als Kind eben gründlicher die Zähne geputzt.

Ich war mir sicher, die Sachertorte würde alle wieder fröhlich stimmen. Schokolade ruft schließlich Glückshormone hervor.

Ich entschwand also noch einmal in die Küche, um dem Kuchen seine glücklich machende Glasur zu verpassen, die sicherlich inzwischen ausgekühlt war. War sie auch, allerdings hatte sie eine etwas klumpige Konsistenz angenommen. Kein Problem, dachte ich, die Mikrowelle wird das wieder heil machen. Noch etwas Öl dazu, damit die Creme geschmeidig wird.

Die Klumpen lösten sich wirklich auf, die Glasur ließ sich auch schön über die Torte gießen.

Da es schon spät war, wollte ich sie auch sofort servieren. Klar, dass die Glasur noch nicht fest geworden war, aber beim »Mohren im Hemd« rinnt die Schokolade schließlich auch. War es eben »Sacher-Mohr im Hemd«, den ich noch kurz in der Mikrowelle auf Temperatur brachte.

Die Frau Botschafterin, die gierige Person, kostete von der Schokosoße, noch bevor alle ihre Teller vor sich stehen hatten, und verbrannte sich ordentlich den Mund. Selbst schuld! Was konnte sie auch nicht warten. Das kalte Schlagobers fand jedenfalls reißenden Absatz. Nicht nur, um zu kühlen, wie ich später herausfand, sondern auch, damit die harten Tortenbröckchen leichter hinunterrutschten.

Zugegeben, für eine Kochshow hätte es nicht gereicht, aber so entsetzlich, wie Hermann dann tat, als die Gäste weg waren, war das Essen auch wieder nicht gewesen.

»Das ist ja so was von peinlich, was du da verbrochen hast, Helene. Ich kann das unseren Gästen nicht weiter zumuten!«, schrie er, und sein Gesicht rötete sich wie beim Allergieschock. »Du bist zu nichts zu gebrauchen! Du verplemperst mein hart verdientes Geld beim Friseur oder bei der Maniküre, du blätterst in deinen dämlichen Illustrierten, anstatt dich weiterzubilden, du langweilst meine Gäste, weil du nichts zu sagen hast. Wenn du wenigstens kochen könntest, dann hättest du immerhin ein Gesprächsthema mit den Damen. Aber du schaffst ja nicht einmal die einfachsten Gerichte! Helene, für meine Begriffe bist du eine glatte Fehlinvestition!«

Gott, war mir das peinlich vor diesen einfachen argentinischen Mädels, die ich immer von oben herab behandelt hatte! Ich hoffte inbrünstig, dass sie nicht genug Deutsch verstanden.

»Aber Liebster«, versuchte ich mich zu entschuldigen, »ich kann doch einen Kochkurs machen, wenn du es wünschst, und bis ich besser geworden bin, nehmen wir eben ein Catering. Dann erkläre ich denen halt ganz genau, was du essen darfst und was nicht!«

»Wenn das nur so einfach wäre«, meinte er. »Ich kann es mir einfach nicht leisten, vor meinen Gästen einen Anfall zu bekommen, dann ist meine Karriere dahin.«

Immerhin griffen wir die Idee mit dem Catering auf, und es ging auch eine Weile ganz gut. Meine Ambitionen, doch noch kochen zu lernen, schwanden dahin. Der Alltagstrott stellte sich gerade wieder ein, als Hermann mit der schlechten Nachricht nach Hause kam, dass er nach Wien in den Innendienst versetzt worden sei. Man wolle im Außendienst keine kranken Menschen, sagte er, sie seien im diplomatischen Dienst immer ein Risikofaktor. In Krisenzeiten müsse ein Diplomat eben robust sein.

Wir packten also zähneknirschend unsere Sachen und mieteten uns eine repräsentative Wohnung in der Wiener Innenstadt. Ich persönlich hätte die Situation nicht so schlimm gefunden, immerhin fiel in Wien die Sprachbarriere weg, und ich konnte meine Freundschaft mit Alma wieder aufleben lassen.

Aber Hermanns miese Laune machte auch für mich das Leben nicht gerade einfach. Ständig saß er zu Hause, mäkelte am Fernsehprogramm herum, am Essen, an meiner Kleidung. Er wandte sich wieder seinem widerlichen Schnupftabakhobby zu, vor dem mir so grauste.

Ich glaube, er tat es mir zufleiß. Ständig hatte er so einen grauslichen Fleck unter der Nase kleben.

»Kannst du denn nicht auch im Außenministerium Karriere machen?«, bemühte ich mich, ihn zu mehr Eifer zu motivieren. »Vielleicht wirst du ja Außenminister oder Bundespräsident?«

Hermann lachte bitter. »Es ist aus mit der Karriere, Helene, vergiss es. Ich bin zum einfachen Beamten degradiert worden!«

»Aber ich versteh nicht, wie eine Allergie eine Karriere vernichten kann, das ist doch unfair!« Ich war sauer auf das System.

»Genau. Du verstehst das nicht– wie so vieles!«, antwortete Hermann. Jetzt war ich sauer auf Hermann. Was konnte ich denn dafür?

Noch saurer war ich, als ich erfuhr, warum Hermann in Wahrheit nach Wien versetzt worden war. Bei einem Bankett in der amerikanischen Botschaft setzte man mich neben den argentinischen Botschaftssekretär, den ich von Buenos Aires her kannte. Er war mir zwar nicht besonders sympathisch, aber immerhin hatten wir genug Gesprächsstoff. So kamen wir auch auf Hermanns Versetzung zu sprechen.

»Ich finde es einfach unfair, dass man Hermann wegen so einer Lappalie gleich zurückgeschickt hat!«, bekundete ich meinen Unmut.

Der Sekretär sah mich erstaunt an. »Sie finden, dass das eine Lappalie war? Sie müssen sehr tolerant sein.«

Ich fühlte mich geschmeichelt. »Er kann ja schließlich nichts dafür. Wahrscheinlich ist es genetisch bedingt.« Das hatte man Hermann im Spital gesagt.

»Wenn Sie es so sehen… Ich denke, wenn es nur ein Ausrutscher gewesen wäre, hätte man vielleicht ein Auge zugedrückt, aber er ist halt unverbesserlich! Und dann ausgerechnet mit der Frau des Botschafters!« Der Botschaftssekretär schenkte mir einen bedauernden Blick.

Jetzt war es an mir, erstaunt zu blicken. »Was hat das denn mit…?« Die Erkenntnis traf mich mit voller Wucht. Hermann hatte die Frau Botschafterin gevögelt! Ich schluckte. Was für eine ungewöhnliche Toleranz ich gezeigt hatte, indem ich »es« als Lappalie bezeichnete!

»Was hat das denn mit der Allergie zu tun?«, hatte ich eigentlich fragen wollen, stattdessen sagte ich: »Was hat das denn mit seinen Qualitäten als Diplomat zu tun?«

»Gar nichts, da haben Sie schon recht. Deshalb hat man als Begründung ja auch diese Allergie angeführt. Es gibt nämlich einen Paragrafen, der von einem Diplomaten gute Gesundheit verlangt, aber der kommt gewöhnlich nur in sehr unterentwickelten Staaten zum Tragen. Nach Timbuktu hätte man ihn also nicht mehr geschickt. Es ist halt offiziell als Vorwand verwendet worden.«

Ich fasste zusammen: »Die Allergie war also nur die offizielle Begründung, in Wirklichkeit war es die Frau Botschafterin?«

»Genau. Er hat eben zu hoch gepokert.«

Ich wusste nicht, ob ich den weiteren Abend so tun konnte, als wäre nichts gewesen. Du bist tolerant, Helene!, sagte ich mir. Offiziell bist du tolerant.

Und inoffiziell?, fragte meine innere Helene. Das willst du nicht wissen, gab ich zurück.

Zu Hause wollte ich es dann aber wissen, und zwar von Hermann persönlich. Es war das erste und einzige Mal, dass ich mich durchsetzte, indem ich ihn überraschend zur Rede stellte. Offen warf ich ihm an den Kopf, dass er mich in Argentinien betrogen habe, vermutlich nicht nur mit der Frau Botschafterin. Und ich wollte auch wissen, mit wem und wie oft.

Er gab zu, vor der Gattin des Botschafters auch dessen Vorzimmerdame vernascht zu haben, und er sei sich nicht sicher, ob das nicht das größere Verbrechen gewesen war. Denn auch der Herr Botschafter habe was mit ihr gehabt– oder hätte vielleicht gerne was mit ihr gehabt. Dann hüllte er sich in Schweigen.

»Ich lass mich scheiden!«, rief ich und fuhr mitten in der Nacht zu meiner Mutter.

»Ach, Kind«, seufzte sie, »wegen so was lässt man sich doch nicht scheiden!«

»Weswegen dann? Du hast dich doch auch von Papa scheiden lassen.«

»Das war etwas anderes«, erklärte meine Mutter, »dein Vater hat sich von mir scheiden lassen. Er ist freiwillig zu diesem Flittchen gezogen. Ich hätte seine Affäre toleriert– war ja nicht die erste.« Aha! Das war mir neu.

Ein paar Tage später erschien Hermann mit einem riesigen Blumenstrauß. Es musste ihn große Überwindung gekostet haben, bei meiner Mutter zu läuten. Ansonsten schien er seiner Sache sehr sicher. Wie beim Antrag, dachte ich, aber diesmal würde ich es ihm nicht so leicht machen.

Er war mit dem SLK gekommen, denn er wollte mir unbedingt etwas zeigen. Widerstrebend stimmte ich zu, ihn zu begleiten. Immerhin, so viel Aufmerksamkeit hatte er mir schon lange nicht mehr geschenkt.

Die Fahrt war nicht gerade berauschend, wir stauten uns durch die Südosttangente, und da nützt der schnellste Mercedes nichts. Aber als wir dann aufs Land kamen, wurde ich langsam neugierig.

»Weißt du, wo wir hier sind?« Hermann konnte so idiotisch fragen!

»Du wirst es mir sicher gleich sagen«, antwortete ich, noch halbwegs geduldig.

»Im Helenental!«

Na bravo, dafür hatte er mich durch ganz Wien gequält? Es war mir bis dahin noch gar nicht aufgefallen, dass er romantisch veranlagt war. »Hüte dich vor romantischen Männern!«, hatte mich meine Mutter immer gewarnt. (Die Warnung hätte sie sich übrigens sparen können. Bis heute ist mir noch keiner untergekommen!)

»Und was ist am Helenental so besonders, außer dass es meinen Namen trägt?« Meine Geduld schrumpfte merklich.

»Das wirst du gleich sehen!«, versprach Hermann.

»Aha«, sagte ich und wartete skeptisch auf die Überraschung.

Einige Minuten später hielten wir vor einer imposanten Villa. Hermann kramte den Schlüssel hervor, und wir wanderten wortlos durch das Anwesen. Das Haus war einfach umwerfend, eine Jugendstilvilla, fachgerecht renoviert und umgeben von einem parkähnlichen Garten. Sogar einen eigenen Swimmingpool gab es.

»Es ist deins, wenn du es willst«, sagte er und sah mich erwartungsvoll an.

Meine Knie zitterten. Ich stand vor dem Haus meiner Träume, und es sollte mir gehören? Hermann kaufte mich zurück? Liebte er mich tatsächlich so sehr? Oder war da ein Haken dabei?

Ich nahm alle Kraft zusammen, um ihm nicht gleich vor Ort um den Hals zu fallen, denn ich traute ihm nicht mehr. Natürlich würde ich alles tun, um diese Prachtvilla zu kriegen, aber ich würde diesmal Vorsorge treffen.

»Ich werde es mir überlegen«, sagte ich und gab mich immer noch verletzt.

Hermann tat nicht nur so, er war beleidigt. Die Heimfahrt verlief schweigend.

Auf meinen Wunsch setzte er mich wieder bei meiner Mutter ab, und ich versprach ihm, mich in den nächsten Tagen bei ihm zu melden.

Meine Mutter erklärte mich für wahnsinnig, aber ich war so klar im Kopf wie schon lange nicht mehr.

Zum ersten Mal seit der Scheidung meiner Eltern nahm ich Kontakt zu meinem Vater auf, er möge mich rechtlich beraten.

Zusammen setzten wir dann einen Ehevertrag auf, den wir mit Hermanns Anwalt verhandelten. Nach diesem Vertrag war ich die rechtmäßige Besitzerin des Hauses. Selbst wenn ich mich von Hermann trennen würde, bliebe mir die Villa. Unterhalt durfte ich in diesem Fall allerdings nicht erwarten. Sollte Hermann sich hingegen von mir scheiden lassen wollen, fiele nicht nur das Haus an mich, er müsste mir –und natürlich eventuell vorhandenen Kindern– weiterhin Unterhalt bezahlen. Ich war mit dem Ergebnis zufrieden.

Selbst meine Mutter musste zugeben, dass Vater gut für mich verhandelt hatte. Was er allerdings nicht bedacht hatte, war, dass ich bestimmt nicht für meinen Unterhalt sorgen konnte– ich hatte ja nichts gelernt. Und falls ich doch einen Job fände, so würde der Erhalt meiner Traumvilla meine finanziellen Mittel ganz sicher bei Weitem übersteigen.

Aber damals war ich froh, mir über meine nahe Zukunft keine Gedanken mehr machen zu müssen, und Hermann liebte mich doch schließlich wieder, oder etwa nicht?

Wir erlebten in der Villa auch so etwas wie einen zweiten Frühling. Nachdem er eingesehen hatte, dass es mit meinen Kochkünsten nicht besser werden würde, und auch die Idee, meine Mutter als Köchin ins Haus zu holen, keine brauchbare Alternative darstellte, besorgte er uns eine Haushälterin.

Ich mochte Tereza vom ersten Augenblick an. Sie war mit der Badner Bahn gekommen, und ich musste sie lediglich vom Bahnhof abholen. Fasziniert sah ich zu, wie sie zwei riesige Schrankkoffer mühelos aus dem Waggon wuchtete. Ihr fester Po hielt wacker die Balance, und unter der hellgrauen Trevirahose zeichneten sich deutlich die Umrisse ihres großen Slips ab, der die beiden Hinterbacken fest im Griff hatte– wie ihre Besitzerin die Koffer. Sie zupfte sich die weiße Bluse zurecht, als sie mich bemerkte, und strich eine lockere Haarsträhne aus ihrem Gesicht.