Die Apfelstrudelmisere - Beate Ferchländer - E-Book

Die Apfelstrudelmisere E-Book

Beate Ferchländer

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Eine bitterböse Krimifarce mit viel weiblichem Charme und irrwitzigen Wendungen. Nach drei Jahren fröhlicher Witwenschaft in ihrer hübschen Jugendstilvilla in Baden bei Wien ist Schluss mit lustig für Helene: Neue, belastende Fakten rund um den Tod ihres Mannes sind aufgetaucht. Inspektor Moravec ist drauf und dran, die Ermittlungen gegen sie und ihre Haushälterin Tereza wiederaufzunehmen und so ihrem dunklen Geheimnis auf die Spur zu kommen. Es gibt nur einen Weg, ihren Kopf zu retten – Helene muss Moravec heiraten und Tereza vor die Tür setzen. Doch damit geht der Schlamassel erst richtig los.

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Seitenzahl: 451

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Beate Ferchländer wurde 1961 in Scheibbs, Niederösterreich, geboren. Als Lehrerin verschlug es sie ins Weinviertel, wo sie bis heute mit ihrem Mann lebt. Da sich dort die spannenden Fragen ausschließlich um den Wein drehen, lässt sie seit einiger Zeit biedere Heldinnen das Idyll mit Leichen aufmischen. Mit »Die Apfelstrudelmisere« setzt sie nicht nur diese Tradition, sondern auch »Das Nussstrudelkomplott« fort.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2021 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/Joe Gough

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Uta Rupprecht

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-710-1

Originalausgabe

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1. Nachwehen

Will man der Statistik Glauben schenken, dann sank für Chefinspektor Moravec das Risiko eines vorzeitigen Todes um vierundzwanzig Prozent, als ich ihm das Jawort gab. Andersherum betrachtet stieg seine Lebenserwartung um volle sieben Jahre.

Man sollte sich nicht zu sehr auf die Statistik verlassen. Sie hatte schon meinem ersten Mann nichts genützt, und ein zweiter war in meinen Lebensplänen nicht vorgesehen. Weiß der Himmel, warum sich dieser Idiot einbildete, ich wäre die Richtige für ihn und es wäre zum Vorteil aller Beteiligten, wenn ich ihn zum Manne nähme. Von mir hatte er gewiss keinerlei Ermutigung erfahren, abgesehen vielleicht von ein paar der Notwendigkeit geschuldeten Augenaufschlägen.

»Helene! Du hast mein Herz schneller schlagen lassen, seit ich dich zum ersten Mal sah. Ich habe es mir nicht leicht gemacht und mir diesen Schritt lange überlegt. Wie du dir denken kannst, gibt es ja auch einige Argumente, die gegen eine Verbindung zwischen dir und mir sprechen. Immerhin gehe ich damit auch beruflich ein großes Risiko ein.«

Oja, dachte ich, die Liste der Gegenargumente ist auch meinerseits lang. Angeekelt musste ich zusehen, wie er sich mit einem Stofftaschentuch, dessen mangelnde Sauberkeit mir nicht verborgen blieb, den Schweiß von der Stirn tupfte, während er sich aus seiner knienden Position emporhievte.

Und dann knallte er mir diese fette Mappe hin. Das Konvolut, das gnadenlos Terezas und meine Missetaten dokumentierte. »Sag Ja, Helene, und diese Akte hat niemals existiert!«

Was blieb mir anderes übrig?

Dabei hatte meine Witwenschaft so vielversprechend begonnen. Ich war hochschwanger, als meine wieder beste Freundin Alma nach der Geburt ihres Söhnchens zu uns in die Villa ins Helenental zog. Ich hatte ihr großzügig verziehen, dass sie sich meinen Mann gekrallt hatte und sich auch noch von ihm schwängern ließ. Immerhin hatte Hermann auch sie sitzen lassen. Und so einte uns nicht nur der gemeinsame Groll gegen ihn, sondern auch der frische Nachwuchs. Um ehrlich zu sein, ein bisschen plagte mich auch das schlechte Gewissen, weil Alma durch den vorzeitigen Tod meines Gemahls, an dessen Ableben ich ja nicht ganz unschuldig war, keine Alimente für ihr Söhnchen bekam. Hermann konnte seine Vaterschaft schlecht posthum anerkennen, und sie konnte keinen Vaterschaftsnachweis erbringen – hatte ich doch alle genetischen Spuren des vermeintlichen Kindsvaters wohlweislich verschwinden lassen. Aber davon ahnte sie ja nichts. Für Alma war ich die großzügige Freundin, die sie trotz des missbrauchten Vertrauens mit offenen Armen wieder aufgenommen hatte. Außerdem profitierten wir beide von dem Arrangement. In Ermangelung von Vätern, denen man die Verantwortung über den gemeinsamen Nachwuchs zumindest zeitweise übertragen konnte, halfen wir uns gegenseitig aus, wenn eine von uns sich nach Freiraum sehnte oder Erschöpfungszustände zeigte.

Für den Löwenanteil unseres Wohlbefindens zeichnete allerdings Tereza, meine tschechische Perle von Haushälterin, verantwortlich. Sie sorgte für ein behagliches Zuhause, verwöhnte uns kulinarisch nach Strich und Faden und machte sich als Leihoma unentbehrlich. Die männliche Überwachung unserer kleinen Goldschätze übernahm mein erwachsen gewordener Pitbull Draco.

Ich war also, im Gegensatz zu meiner Mutter, eine äußerst zufriedene Witwe – zumindest, was meinen gattenlosen Zustand betraf. Hermann selbst fehlte mir nicht im Mindesten. Wenn er eine Lücke hinterlassen hatte, dann allenfalls eine finanzielle. Womit ich nämlich nicht gerechnet hatte, war die ungünstige Erblage. Die Villa hatte mir ja schon vor seinem Ableben gehört, daran gab es nichts zu rütteln, aber Hermanns übriges Vermögen ging nur zu einem Drittel an mich. Auf die restlichen zwei Drittel würde meine Tochter Emma – als einziges von ihm anerkanntes Kind – erst nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres zugreifen können. Und so musste ich mit läppischen dreitausend Euro Witwenpension monatlich das Auslangen finden. Kein Wunder, dass ich mein Konto chronisch überzog.

Der Bankbeamte war freundlich, aber bestimmt. Ich müsse mich einschränken, wenn ich die Villa behalten wollte, warnte er, denn auch das Wertpapierkonto schmolz dahin wie die Gletscher der Antarktis.

Allein das Wort »einschränken« erweckte in mir ein Kindheitstrauma. Mama war ja niemals müde geworden, ständig auf ihre prekäre Lage hinzuweisen, nachdem Papa die Scheidung eingereicht hatte. Und neuerdings fing sie zu jammern an, wer ihr wohl die Alterspflege finanzierte. Mit mir durfte sie nicht rechnen, ich musste selbst sehen, wie ich über die Runden kam.

Aus finanzpolitischen Überlegungen und frei nach dem Motto: »Strenge Rechnung, gute Freunde«, legte ich Alma eines Tages einen Mietvertrag vor.

»Spinnst du?«, rief Alma entsetzt. »Die Miete für mein Atelier und die Galerie im ersten Bezirk kostet ohnehin schon ein Vermögen!«

»Wann hast du eigentlich dein letztes Bild verkauft, sag?«, stichelte ich.

»Da sieht man wieder, dass du vom Kunstgeschäft keine Ahnung hast. Ein gutes Bild wartet auf seinen finanzkräftigsten Liebhaber.«

»Vielleicht solltest du deine Preispolitik neu überdenken und deine Kunst auch fürs gewöhnliche Volk zugänglich machen?« Ein Argument, das die Künstlerin in ihr verlässlich beleidigte.

»Ich verschleuder meine Bilder doch nicht für ein Butterbrot!«, blaffte sie zurück.

»Genau darum geht’s, liebe Alma. Ums Brötchenverdienen. Fakt ist, dass du hier schon über zwei Jahre gratis Vollpension genießt und dein Balg rund um die Uhr betreut wird, damit du dich deiner Kunst widmen kannst. Rechne dir aus, was dich das in Wien kosten würde.«

»Sprich nicht so despektierlich über meinen Sohn, er ist kein Balg!«, rief sie. »Er ist Hermanns Sohn! Genau genommen wäre er der rechtmäßige Erbe.«

»Tja, Alma. Das sagst du. Vor dem Gesetz ist es meine Emma. Sein einziges ehelich gezeugtes Kind.«

»Wenn sie denn überhaupt von Hermann ist, ha! Ich sage nur: Latin Lover!«

Verdammt! In diesem Moment bereute ich es bitter, Alma in einem Anfall von Mitteilungsbedürfnis gestanden zu haben, dass Emma auch das Ergebnis einer Liebesnacht mit Armando, Hermanns unehelichem Sohn aus Guatemala, sein konnte.

Ich schüttete Alma den Rest meines Kaffees ins Gesicht. War eh schon kalt. Woraufhin sie »Ich werde eine Vaterschaftsklage bei Gericht einbringen! Und dann werden wir ja sehen, wer hier erbt!«, schrie, sich ihr Kind schnappte und nach Wien verschwand.

»Kommen wir auch zu dritt gut zurecht«, tröstete uns Tereza, als sie Emma und mich um die Wette heulend auf dem Wohnzimmerteppich vorfand. Sie hatte den Streit natürlich dank der Durchreiche, die wir seinerzeit vom Wohn-/Esszimmer in die Küche durchbrechen ließen, hautnah mitbekommen.

In Wirklichkeit weinte ich nicht aus Trauer, weil Alma mich verlassen hatte, sondern aus Wut – und Angst. Was, wenn sie ihr Vorhaben wahr machte? Brächte es Emma tatsächlich um ihr Erbe, wenn sie nicht von Hermann war? Konnte Alma doch noch beweisen, dass Hermann der Vater ihres Sprosses war?

»Kannst du kurz auf Emma aufpassen? Ich muss schnell was checken!«, bat ich Tereza.

»Check nur, Helene. Emma und ich werden gehen in Kiche und schauen wie geht Kuchen!«

Emmas Tränen versiegten augenblicklich. Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief sie Tereza nach. Ihre schwarzen Löckchen wippten im Takt ihrer Fußtrittchen. Ach, mein Schätzchen! Du wirst zu deinem Recht kommen, das schwöre ich!

Panisch lief ich von Zimmer zu Zimmer, ob sich nicht doch irgendwelches verräterisches Material finden ließ, das Hermanns DNA gespeichert haben könnte. Aber seine Klamotten hatten wir der Caritas zukommen lassen. Bettzeug, Handtücher und Geschirr, alles, was er benutzt hatte, war garantiert tausendmal gewaschen worden. Auch im Badezimmer würde man nichts mehr finden. Kämme, Duftwässerchen und Rasierzeug hatte Tereza entsorgt, als Hermann noch nicht einmal dem Feuer übergeben worden war. Drei Jahre war das nun her. Schon damals hatte sie in weiser Voraussicht jede Spur des Ehebrechers aus meinem Umfeld entfernt. Erleichtert ließ ich mich auf dem Badewannenrand nieder. Wir hatten nichts vergessen.

Überhaupt gratulierte ich mir wieder einmal zu dem genialen Entschluss, Hermanns sterbliche Überreste einäschern und zu Diamanten pressen zu lassen. So konnte man seine Leiche nicht mehr exhumieren. Dennoch fragte ich mich, ob das bisschen Asche, das nach der Prozedur von ihm übrig geblieben war, vielleicht doch noch verwertbare Genspuren enthielt?

Ich lief ins Schlafzimmer und zog mein iPad aus der Ladestation.

»In menschlicher Asche ist die DNA meist unbrauchbar«, fand ich in einem Artikel über 9/11 und die Probleme der Identifizierung der Leichen. Das hörte sich schon mal beruhigend an. Ich betrachtete die edle Urne, die ich in einer extra dafür angefertigten Nische des Zimmers platziert hatte. Da spross ein Gedanke in mir, der mich lächeln ließ. Selbst wenn man damit genetisch noch etwas anfangen konnte – diese Asche war nicht sortenrein und konnte Emma nicht gefährlich werden. Schließlich hatten Tereza und ich auch Armandos Leiche in Hermanns Sarg geschmuggelt, Vater und Sohn waren gemeinsam dem Feuer übergeben worden. Und ich hatte für meine Ohrringe extragroße Diamanten bekommen. Die Asche von Emmas Vater war unter Garantie in dieser Urne, egal, ob Hermann oder Armando ihr Erzeuger war. Alma hatte also nichts gegen sie in der Hand!

Längere Zeit hörte ich nichts von meiner vormals besten Freundin, bis sie eines Tages mit einem Beau an der Seite auftauchte, um ihre Sachen zu holen.

»Das ist Wolfgang«, stellte sie ihn vor. »Wir werden in seine Villa in Neustift am Walde ziehen. Mit Blick auf die Weinberge!« Der Ton, in dem sie das sagte, sollte mich wohl neidisch machen.

Als sie mit Packen fertig war, servierte Tereza uns Kaffee und Kuchen auf der Terrasse, während die Kinder um uns herumtobten. Wir plauderten höflich, hauptsächlich über die lieben Kleinen. Über eine etwaige Vaterschaftsklage ließ sie nichts verlauten. Als der kleine Hermann – ja, sie hatte ihn tatsächlich nach seinem Vater selig getauft – zu quengeln begann, war die Zeit des Abschieds gekommen. Wolfgang schleppte eine Menge Kisten ins Auto, dann umarmte mich Alma so überschwänglich, als würde sie nach Australien auswandern. Ich bin überzeugt, ohne den Neuen an ihrer Seite wäre unser Lebewohl deutlich unterkühlter verlaufen. Das bewies auch der letzte Zwist vor ihrem endgültigen Abgang.

Sie war gerade im Begriff, zu ihren Liebsten ins Auto zu steigen, als Tereza wild mit den Armen fuchtelnd aus dem Haus gelaufen kam und mir etwas ins Ohr flüsterte.

»Moment mal, Alma!«, rief ich.

»Was gibt’s?«, fragte die Heuchlerin.

»Das Bild bleibt hier!«

»Welches Bild denn, Schätzchen? Ich hab nur mitgenommen, was mir gehört.«

Ich öffnete zornig den Kofferraum und deutete auf das Corpus Delicti. »Du weißt genau, welches ich meine. Das da!« Es war ein Aquarell, das Alma in ihrer ganzen nackten Schönheit zeigte. Ein prominenter Kollege hatte es für sie gemalt. Ich hatte das Bild von Anfang an gehasst, weil Hermann es mir ins Haus brachte, als ich über ihr Verhältnis bereits im Bilde war. Aber es war ziemlich teuer gewesen, deswegen wollte ich es Alma nicht so ohne Weiteres überlassen.

»Ach! Das gehört nicht mir?«

Dieses scheinheilige Biest!

»Nur, weil es dich darstellt? Du weißt genau, dass Hermann es dir seinerzeit abgekauft hat. Als du mit diesem 3-D-Künstler zusammen eine Ausstellung hattest.«

Alma schlug sich an die Stirn. »Natürlich, Schätzchen, wie konnte ich das vergessen! Das war doch diese tolle Vernissage mit deiner großzügigen Nussstrudel-Spende, nicht wahr?« Ungerührt über meine Empörung zog sie sich die schicke Bluse glatt und warf den Kofferraumdeckel wieder zu. Ihre Miene war unergründlich, ein merkwürdiger Kontrast zu ihrem Lächeln. Ich fixierte die roten Lippen, die sich mir drohend näherten. Kurz bevor sie mir ihren gewohnten Lippenstift-Stempel aufdrückte, zischte sie mir ins Ohr: »Ich behalte es als Pfand, Schätzchen. Zur Erinnerung an dein kleines Nussstrudelkomplott.«

Ein Gefühl eisiger Kälte bemächtigte sich meiner. Alma war der Wahrheit eines Tages tatsächlich gefährlich nahegekommen, als sie mich verdächtigte, ihr den Nussstrudel für die Vernissage in böser Absicht gespendet zu haben. Nämlich, damit sie den gegen Nüsse hochallergischen Hermann danach ins Nirvana küsste. Ich hatte mich dumm gestellt und vorgegeben, von ihrem Verhältnis mit Hermann damals nichts gewusst zu haben. Außerdem hatte der Plan ja ohnehin nicht geklappt, und ich musste Hermann den tödlichen Kuss letztlich selber verabreichen. Doch weil die Polizei dann eine Großfahndung nach dem vermeintlichen Mörder Armando einleitete, hatte sich auch Alma von meiner Unschuld überzeugt gezeigt. War das nur aus Kalkül geschehen, um mich später schamlos auszunutzen? Musste ich nun, da ich sie mehr oder weniger hinausgeworfen hatte, mit Rache rechnen?

Instinktiv fasste ich an die Diamantohrringe, die ich zur Feier des Tages angelegt hatte. Hätte ein Experte vor drei Jahren genauer hingesehen, er hätte sich vermutlich gewundert, wie viel Asche Hermann hinterlassen hatte. Aber niemand hatte nachgewogen oder -gerechnet. Die Klunker konnten mir nicht mehr gefährlich werden.

Aber verflixt, was wusste diese Kanaille über deren Vorgeschichte? Dieses »Nussstrudelkomplott«-Gewäsch, das klang mir doch recht deutlich nach einer Drohung.

Ich wischte den Gedanken beiseite. Du siehst Gespenster, Helene! Sie kann es nicht wissen. Und beweisen schon gar nicht.

Rückblickend gesehen war die Gefahr, die von Alma ausging, in der Tat ein Klacks im Vergleich zu der Bedrohung, die der nächste Besucher darstellte. Nur ahnte ich das damals nicht, sonst hätte ich ihn nicht höflich hereingebeten und ihm auch noch Kuchen angetragen.

1.1Vergangenheitsbewältigung

Zur selben Zeit spielt sich, keine hundert Kilometer nördlich ihrer eleganten Villa, im beschaulichen Weinviertel eine Szene ab, die nur vermeintlich nichts mit Helene zu tun hat. Es geht dabei zunächst ja auch um einen ganz anderen Fall. Und doch werden die Folgen dieser Auseinandersetzung, deren Zeugen wir sogleich werden, Helenes Leben ordentlich aus den Fugen heben. Weder sie noch der Protagonist des folgenden Wortgefechts haben auch nur im Entferntesten eine Ahnung, was das für sie beide bedeuten wird. Und das ist auch besser so!

»Spinnst du komplett, Kastner? Jetzt, wo ich so knapp dran bin, soll ich den Fall abschließen? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

Die Tür, die den Staatsanwalt von den Kriminalbeamten trennt, wackelt bedrohlich, nachdem der Hartinger sie hinter sich zugeschlagen hat.

»Mäßige dich«, sagt der Kastner. »Und setz dich hin.«

Der Hartinger schnappt sich den Stuhl und lässt sich darauf niederkrachen.

»Was willst denn noch, Hartinger? Wir haben ein Geständnis. Die Leute sind zufrieden. Die Statistik passt.«

»Ich scheiß auf deine Statistik! Das Geständnis ist nichts wert, Kastner. Ich kann’s dir beweisen!« Der Hartinger springt auf, dass der Stuhl mit einem lauten Polterer nach hinten fällt. Unsanft stellt er ihn wieder auf.

Er ist ja so was von angefressen, der Chefinspektor Norbert Hartinger. Die Welt. Das System. Der ganze Polizeiapparat geht ihm auf den Keks. Im Besonderen aber der Herr Staatsanwalt ihm gegenüber in seinem Bobo-Chefsessel. Dass der ihn nicht ausstehen kann, das stört ihn weniger. Dem Hartinger ist das ja grundsätzlich wurscht, ob ihn wer mag oder nicht. Aber dass dieser arrogante Mensch die Antipathie gegen seine Person ausgerechnet auf einen seiner kniffligsten Fälle überträgt, das stößt ihm sauer auf. Echtes Sodbrennen verursacht ihm das, wie ein fettes Martinigansl. Er versteht überhaupt nicht, warum er den Fall zu den Akten legen soll. So knapp vorm Ziel! Drei Schwestern und ihre todkranke Mutter. Jede Menge Männerleichen in ihrem direkten Umfeld. Und das soll alles Zufall sein? Geh, bitte! Gut, die Exhumierung der alten Leiche hat außer Spesen nichts gebracht. Aber deswegen soll er das Handtuch werfen?

»Jetzt hör mir endlich auf mit den angeblichen Schwarzen Witwen!« Dem Kastner reißt jetzt langsam der Geduldsfaden. »Du verbeißt dich da in was, Hartinger. Der Gruber sagt das auch.«

»Der Gruber ist ein Trottel. Der lässt sich mit Kuchen bestechen. Aus dem wird nie ein objektiver Ermittler.«

»Red nicht so respektlos von deinem Assistenten. Das ist ein guter Mann. Du bist derjenige, der nicht objektiv ist. Besonders, wenn es um Frauen geht. Ich mein, Hartinger … Ist ja auch nicht verwunderlich, wenn die eigene Mutter …«

»Lass meine Mutter aus dem Spiel, verdammt! Das ist beinahe vierzig Jahre her. Bis jetzt hat’s dir ja auch gepasst, meine Arbeit, oder? Trotz meiner Mutter.«

»Bis jetzt hast mir ja auch nur männliche Mörder serviert, Hartinger.«

»Weil Männer ganz einfach zehnmal öfter morden als Frauen. Daher.«

»Siehst du. Auch die Statistik spricht gegen deine Theorie mit den mordenden Frauen.«

»Aber dass Frauen ihre Taten besser verschleiern können und die Dunkelziffer ziemlich hoch ist, davon hast schon mal was gehört, Herr Staatsanwalt, oder? Und die Dunkelziffer wird wieder steigen, wennst mich nicht weiterermitteln lässt.«

»Der Fall ist abgeschlossen und aus. Und du schau, dass du dein Frauenproblem in den Griff bekommst.«

Und da sieht der Hartinger jetzt endgültig rot. »Ich hab kein Frauenproblem, verdammt noch mal!«, brüllt er, dass es die Kollegen bis in die Kantine einen Stock tiefer hören können. »Wenn einer von uns beiden ein Frauenproblem hat, dann du. Mäuschen hin, Schätzchen her. Weiß doch jeder, wer bei euch Kastners die Hosen anhat.«

»Raus!« Jetzt plärrt auch der Herr Staatsanwalt. Mehr sagt er lieber nicht. Weil, er nimmt ja keine niveaulosen Wörter in den Mund. Obwohl … ihren Weg in sein politisch korrektes Gedächtnis hätten da schon so einige gefunden.

Die Tür kann zwar nichts dafür, aber sie muss es gleich doppelt büßen, wie es im Hartinger drinnen aussieht. Nachdem er sie kraft seines Adrenalinspiegels olympiareif hinter sich zugeworfen hat, reißt er sie noch einmal auf und hebt sie dabei fast aus den Angeln. »Und dem Gruber!«, schreit er. »Dem Mastdarmakrobaten. Dem kannst ausrichten, dass wir zwei uns nichts mehr zu sagen haben. Alles klar?« Und abermals richtet sich seine Wut direkt gegen die arme Tür.

Peng!

Ein Glück, dass der Kastner kein Sportler ist. Der bleibt lieber sitzen, Aufregung hin oder her. Atmen tut er trotzdem so schnell wie der Eliud Kipchoge beim Zieleinlauf nach seinem Rekordmarathon in Wien.

Bloß Pech für den Hartinger, dass der Kastner vom Naturell her nachtragend ist und seine Rache ebenso unsportlich ausfällt wie seine Reaktion. Denn am nächsten Tag packt er ihm einen Cold-Case-Fall hin.

»Die Kollegen aus Mödling haben uns gebeten, ob wir da mal nachforschen könnten. Sache von vor zwanzig Jahren. Eine potenzielle Schwarze Witwe. Wie für dich gemacht.«

»Was willst mit dem alten Schmarren? Warum kümmern die sich nicht selber drum?«

»Synergien bündeln, Hartinger. Außerdem. Grabst ja eh gern alte Leichen aus, oder?«

»Arschloch«, murmelt der Hartinger. Schreien bringt in dem Fall nichts, so viel weiß er schon. Ein Rudiment sozialer Kompetenz steckt ja doch noch in ihm drin.

»Jetzt kriegst endlich die Chance, eine Schwarze Witwe zu Fall zu bringen, und dann passt’s dir wieder nicht?« Der Kastner grinst spöttisch.

»Aber den Gruber kannst dir behalten«, faucht der Hartinger. »Ich red kein Sterbenswörtchen mehr mit dem Idioten.«

»Dann wirst schriftlich mit ihm kommunizieren müssen, Hartinger«, sagt der Kastner und schließt sorgsam die Tür, bevor sie wieder dem hartingerschen Temperament zum Opfer fällt.

Der rauscht an den Kollegen vorbei. Wirft dem Gruber einen finsteren Blick zu. »Außendienst«, sagt er und lässt seinen Azubi mit offenem Mund stehen.

Zu Hause macht er sich ein Bier auf und überfliegt die erste Akte aus dem Stapel, den ihm der Kastner so provokant hingeworfen hat.

Nach einem Bier ist er durch Teil 1.

Es geht im Wesentlichen um den Tod eines gewissen Ignaz Vinzenz aus dem Jahr 1998. Bauer in der Nähe von Laa/Thaya an der tschechischen Grenze. Laut Totenschein an Herzversagen gestorben. So weit, so uninteressant. Es gab aber auch das Gerücht, aufgebracht durch die Schwestern des Verstorbenen, die Ehefrau hätte beim Herzversagen nachgeholfen. Laut Nachbarn und Hausarzt haltlose Beschuldigungen. Die Frau sei äußerst tüchtig gewesen und habe den um Jahre älteren Gatten hingebungsvoll gepflegt.

Haus und Hof erbt die hingebungsvolle Witwe, aber weil die Schwägerinnen ein Wohnrecht auf Lebenszeit zugesprochen bekommen, zieht sie es vor, wegzugehen.

Grantig wirft der Hartinger die Mappe auf den Couchtisch und holt sich noch ein Bier. Was soll der Scheiß? Öder geht’s ja nimmer. Das hat der Kastner als Strafe für ihn eingefädelt. Die sich aufopfernde Ehefrau, der niemand was Böses zutraut. Ein Klassiker. Und nachweisen kann man ihr selbstredend auch nichts. Und jetzt, nach zwanzig Jahren, soll er die Suppe auslöffeln, die ihm ein unfähiger Kollege damals eingebrockt hat? Na bravo!

Außerdem. Wen kratzt das nach der langen Zeit? Diesmal macht er sich nicht zum Trottel, das schwört er sich. Dienst nach Vorschrift. Nachschauen. Den Gruber ein bisserl herumschnüffeln – und vor allem das Protokoll schreiben lassen. Nichts finden. Fertig, und ab die Post zurück nach Mödling.

Der Eifer ist enden wollend, als er den nächsten Schnellhefter zur Hand nimmt. Plötzlich stockt er. Fährt ruckartig hoch aus seiner lethargischen Sofaposition.

Bearbeitender Beamter: Chefinspektor Anton Moravec, LKA Mödling.

Geh, schau her, der Moravec! Von dem hat er ja eine Ewigkeit nichts mehr gehört. Dabei waren sie so gut miteinander, damals, in der Polizeischule.

Ein Lächeln umspielt seine Lippen, als sich der Hartinger in sein speckiges Ledersofa zurückfallen lässt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und Erinnerungen an alte Zeiten heraufbeschwört.

Eigentlich wäre er ja nicht sein Typ gewesen, der Toni. Aber der Kreuzer, Klassensprecher und gewaltig arrogantes Arschloch, der hat den Toni sekkiert bis aufs Blut. Vor der ganzen Klasse vorzugsweise. Weil er Bügelfalten gehabt hat in seinen Jeans. Und geschweißelt hat in seinen Hawaiihemden. Drum wollt sich dann keiner hinsetzen zu ihm. Aber nicht nur aus olfaktorischen Gründen, auch, weil sich’s mit dem Kreuzer keiner verscherzen wollt. Da hat er nicht zuschauen können, der Hartinger. Wenn du als Kind erfahren musst, was es heißt, ein Außenseiter zu sein, dann wirst du entweder selber ein Kreuzer – oder ein Hartinger, der sich zum Moravec setzt. Selbst wenn das mit dem unangenehmen Geruch nicht ganz aus der Luft gegriffen ist.

Dieser Akt der Solidarität hat sich dann wider Erwarten für beide als guter Griff erwiesen. Als Team waren sie unschlagbar. Der Hartinger hat vom Stucken nicht viel gehalten, da war der Moravec zäher, aber vom Verständnis her, da war der Hartinger wiederum Kaiser. Beim Schummeln waren sie sowieso beide eins a.

Mit den Frauen, da hat sich der Moravec allerdings schwergetan, wohingegen dem Hartinger die Mädels zugelaufen sind wie die Groupies. Schon mit vierzehn hat er sich mittels Vokuhila-Schnitt und einer geilen Lederjacke in die Herzen der Mädels gestylt. Auf der Polizeischule hat er sich dann zusätzlich ein paar blonde Strähnen mèchen und einen »Oliba« oder »Mischna« stehen lassen, wie die Wiener den klassischen Schnauzer kurz genannt haben. Haarschnitt und Oberlippenbart sind natürlich lange passé, aber an der Lederjacke hält er bis heute konstant fest.

Erst hat der Hartinger ja versucht, den Spezi modisch ein bisserl zu beraten. Aber der durfte sich nicht einmal das Gewand selber kaufen, geschweige denn sich eine Manta-Matte stehen lassen. »Solange deine Füß unter unserm Tisch stehen, machst, was wir sagen«, hat er sich von zu Hause anhören müssen. Und vom Duschen hat er selber, aus ökonomischen Gründen, nicht viel gehalten. Wenigstens einen Rexona-Spray hat er sich dann einreden lassen.

Einmal war er ja ein Wochenende dort beim Moravec, in seinem Elternhaus in Baden. Zum gemeinsamen Lernen. Ununterbrochen hat sie ihnen was zum Essen hingestellt, seine Mutter. Toast Hawaii. Nudelsalat. Gebackener Camembert. Zwischendurch Erdnusslocken und Soletti. Vom Kuchen ganz zu schweigen. Der Hartinger hat mindestens zwei Kilo zugenommen in der kurzen Zeit. Der Vater vom Moravec hat praktisch das ganze Wochenende nichts gesagt, das hat ihn auch fasziniert. Manchmal genickt. Nur einmal hat er sich kurz beschwert, weil das Salz nicht am Tisch gestanden ist. Ein Umstand, der von seiner Gattin umgehend korrigiert wurde. Und in die Kirche haben sie gehen müssen am Sonntag, da fährt die Eisenbahn drüber.

Wie sich der Toni dann entschuldigen wollt für seine Eltern, da hat ihn der Hartinger ordentlich zurechtgestutzt. »Das mag schon alles stimmen, Toni, dass deine Leute spießig sind und in mancherlei Hinsicht streng. Aber ich sag dir eins: Sei froh, dass du Eltern hast, die sich um dich kümmern. Um mich hat sich nie einer geschert.«

Und da hat der Moravec begriffen, dass eine funktionale Familie nicht selbstverständlich ist, und nie mehr was Abschätziges über seine Alten gesagt.

Jetzt setzt sich der Hartinger rasch wieder auf. Weil, seine Gedanken driften in eine Richtung, die er lieber nicht weiterverfolgt. Wenn es um dysfunktionale Familien geht, da läuft er Gefahr, ins Schleudern zu geraten.

Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen, der Moravec und ich?, fragt er sich stattdessen. Muss an die zwanzig Jahre her sein. Da hat vielleicht gerade diese böhmische Trutschen ihren Alten hingebungsvoll gepflegt, wie der Moravec als Streifenpolizist in Wiener Neustadt angefangen hat und er selber in Mistelbach.

Erleichtert wirft der Hartinger die Mappe wieder auf den Tisch. Die durchzuackern, das erspart er sich. Da ruft er lieber seinen alten Spezi persönlich an und lässt sich von ihm briefen. Um was es geht. Und ob es sich überhaupt lohnt, da genauer nachzubohren.

2. Vorboten

Unangekündigten Besuchen haftet ja oft etwas Leidiges an. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen verspürt der potenzielle Gast ein Verlangen nach einer spontanen Wiedervereinigung mit dem ahnungslosen Gastgeber. Dessen Freude ist meist eher getrübt. Man ist nicht gerüstet!

Ebendieses Gefühl überkam mich, als ich – noch immer leicht erschüttert durch Almas kryptische Andeutungen über mein »Nussstrudelkomplott« – dem nächsten Besucher die Tür öffnete.

Es war Chefinspektor Moravec, der schon nach Hermanns Tod hier in der Villa herumgeschnüffelt hatte. Da er in der Nähe wohnte, waren wir uns auch später noch ab und zu über den Weg gelaufen, hatten einander zugelächelt oder an der Tankstelle gezwungenermaßen miteinander geplaudert. Diesmal sah er recht amtlich aus.

»Oh! Ich störe ungern beim Kaffeekränzchen, Frau Winter«, sagte er. Tereza und Emma waren soeben emsig dabei, den Tisch abzuräumen.

»Sie stören doch nicht«, erwiderte ich höflich. »Die Gäste sind gerade gegangen, aber Tereza bringt Ihnen gerne noch eine Tasse Kaffee und einen Kuchenteller.«

Moravec verweigerte den Kuchen, er sei auf Diät, meinte er, aber einen schwarzen Kaffee ließ er sich aufdrängen. Tereza blickte ihn zwar nicht so reizend an wie meine kleine Emma und ich, machte sich aber sofort auf den Weg in die Küche. Ich opferte mich für das Stück Kuchen, das der Polizist verweigert hatte.

Dann reichte er uns ein Foto mit der Frage, ob uns dieser Mann bekannt sei. Ich verneinte, denn ich hatte ihn tatsächlich noch nie gesehen, aber Tereza gab zu, dass er einmal hier gewesen war. »Er hat gefragt nach die junge Herr, was bei uns gewohnt hat, bevor Herr Winter Läffel abgegeben. Sie wissen ja.«

Jetzt fiel es mir wieder ein. Es war dieser Pater, Armandos Lover aus Guatemala. Ich hatte ihn bei seinem Kurzbesuch nur von hinten gesehen, wohl aber durch die Durchreiche das Gespräch zwischen ihm und Tereza mit angehört. Er hatte sich über den Verbleib seines Schützlings José erkundigt. In Guatemala hieß Armando ja José. Tereza hatte ihn mit Ausreden und Apfelstrudel abgespeist. Ich entsann mich, dass ich mich furchtbar geärgert hatte, weil sie dem Unbekannten auch noch ein Stück Strudel mit auf den Weg gab, wo doch Emma und ich noch nicht einmal eine Kostprobe davon abbekommen hatten. Deshalb war ich dann auch gleich in die Küche gelaufen, um mir ein Stück zu holen. Für mich absolut unverständlich, hatte Tereza mir den Teller wütend aus der Hand geschlagen. Ich würde langsam fett vom vielen Zucker, hatte sie geschimpft und mir ein klitzekleines, ungezuckertes Stück auf einen frischen Teller gelegt. Ich war total beleidigt, deshalb konnte ich mich jetzt auch wieder so gut an die Begebenheit erinnern.

»Haben Sie ihn bewirtet?«, fragte Moravec, als könnte er meine Gedanken lesen.

»Sind wir ja häfliches Haus. Sicher ich hab ihm angeboten Kaffee oder Wasser, was weiß ich.«

»Essen auch? Kuchen zum Beispiel?«

»Meine Giete, kann gut sein«, sagte Tereza. »Aber kann ich nicht sagen – muss her sein … Wie lange? Ein Jahr sicher.«

»Ein Jahr und neun Monate, konkret«, verbesserte Moravec.

»Kinder, wie Zeit vergeht«, seufzte Tereza.

»Könnte es vielleicht ein Apfelstrudel gewesen sein?«

Dieser Inspektor ließ nicht locker.

»Gut mäglich«, fuhr Tereza ihn an. »Haben wir Äpfel in Garten von Juni bis November. Aber haben wir auch andere Obst und Nisse.«

»Warum wollen Sie das alles wissen, Herr Inspektor?« Die Fragerei kam mir höchst suspekt vor.

»Chefinspektor. Ach was! Sagen Sie einfach Moravec zu mir«, sagte Moravec. Er hüstelte verlegen in seine Faust. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »dieser junge Mann. Der ist damals einfach verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Der Freund sucht ihn also.«

»Der vom Foto?«

»Ja, genau der.«

»Und? Hat er ihn gefunden? Ich meine, nicht dass mich Armando noch interessiert, aber natürlich würde ich immer noch gerne wissen, ob er am Tod meines Mannes schuld war.«

Ich tupfte mir ein paar Krokodilstränen aus den Augenwinkeln. Ich war zwar schon eine geraume Zeit Witwe, aber um einen geliebten Gatten trauert man ja ewig.

»Eben nicht«, seufzte Moravec. »Ganz im Gegenteil. Er ist auf mysteriöse Weise im Zug von Wien nach Prag gestorben. Nach dem Genuss eines Apfelstrudels. Die Obduktion hat ergeben: Vergiftung durch Digitalis.«

»Was? Armando ist tot?« Ich sprang auf, nicht mehr Herrin meiner Gefühle. Zumindest scheinbar. Ich wusste ja aus todsicherer Quelle, dass Armando nicht mehr lebte. Auch seine Reste baumelten gelegentlich an meinen Ohren.

»Nicht der junge Mann. Der andere. Dieser Priester.«

»Nein!«, rief ich und ließ mich wieder auf den Stuhl fallen.

»Gut und schän«, warf Tereza ein. »Aber was gäht uns an? Hat ein paar Tage bei uns geläbt junge Mann, mäglich er hat umgebracht seine Vater und jetzt auch noch Freind aus Guatemala. Glauben Sie, dass wir verstecken eine Märder? Nur weil schaut gut aus?«

»Aber nein!« Moravec lockerte seinen Kragen. Schweißperlen sprossen auf seiner Stirn. »Die Kollegen in Guatemala haben Nachforschungen betrieben. Ich weiß ja nicht, wie gut Sie den jungen Latino kannten …« Moravec räusperte sich wieder betreten. »Dieser Freund … Der war nicht nur ein Freund. Er war sein Geliebter.« Er zückte ein Taschentuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.

Das gab mir genügend Zeit, echte Überraschung zu mimen. »Nein! Armando schwul? Aber ich – er – wir hatten doch …«

Das mit dem Rotwerden habe ich noch nie verstanden. Es kommt immer dann, wenn man es am wenigsten braucht, aber wenn es vonnöten wäre, lässt es sich bitten. Ich versuchte, unauffällig die Luft anzuhalten, wie Klein-Emma das manchmal tat. Leider mit null Erfolg. Dafür zog Moravec kräftig Farbe auf – was ja auch hilfreich war. Er erinnerte sich also an mein Geständnis der Untreue in der Nacht, als Hermann starb. Daher machte es auch Sinn, gleich noch eins draufzusetzen.

»Wäre ich damals nicht zu ihm in den Keller … Hermann könnte noch leben!«

Dieser Gedanke ließ mich – nunmehr gänzlich ungekünstelt – hysterisch dreinschauen.

Moravec beugte sich zu mir herüber und tätschelte mir freundschaftlich den Oberarm. »Er war durchtrieben, dieser José – oder Armando, wie Sie ihn nennen. Er wollte sich in besagter Nacht wohl ein Alibi verschaffen. So sah es zumindest damals aus.«

Die letzte Bemerkung ignorierte ich geflissentlich. »Woher haben Sie denn das? Ich meine, dass er schwul war?«, hauchte ich.

»Na ja. Es ist da etwas aufgetaucht im Zuge der Ermittlungen um den Tod des Paters. Und das ist eigentlich der Grund, warum man mich jetzt hergeschickt hat.« Er rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her.

Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Terezas Gesicht spiegelte hingegen Missbilligung wider. Sie wandte sich ab und kümmerte sich lieber um Emma.

»Und zwar hat man interessante Mails zwischen ihm und seinem jungen Freund rekonstruiert, die in den Zeitraum fallen, als er sich hier bei Ihnen aufhielt.« Moravec kramte in seiner Tasche und legte mir einen Packen Papier vor. Ich hob ihn auf und versteckte mich dahinter. Jetzt war die verräterische Gesichtsfarbe da, unnötig wie ein Kropf, denn ich wusste genau, was da drinstand. Tereza und ich hatten deswegen sogar den Laptop entsorgt, auf dem Armando die Mails getippt hatte. Ich überflog sie, so schnell ich konnte. Die meisten hatte ich noch gut in Erinnerung. Wir hatten sie ausführlich studiert, Tereza und ich.

Die früher datierten Schriften bedeuteten keine Gefahr für uns, sie beinhalteten banale Urlaubsgrüße und Schwülstigkeiten zwischen den Liebenden. Dann wurde es brisant, als Armando dem Pater den wahren Grund seines Besuches gestand. Er machte kein Hehl aus seinem Vorhaben, den nunmehr gefundenen verhassten Vater Hermann Winter zu töten. So weit, so gut für uns. Als er allerdings wütend davon berichtete, dass ihm jemand zuvorgekommen sei, sah es schon nicht mehr so rosig aus. Er deutete zunächst an, dass Tereza dahinterstecken könnte. Er hatte sie aus Hermanns Zimmer kommen sehen. Später hatte er uns beide im Verdacht, gemeinsame Sache gemacht zu haben.

Mein Gehirn lief trotz des Stresses auf Hochtouren. Wie interpretierte der Polizist wohl diese E-Mails? Reichten sie aus, um den Fall wieder aufzurollen? Was hatte der Tod dieses Paters mit Hermanns Ableben und Armandos Verschwinden zu tun?

Eine Viertelstunde später legte ich den Packen Papier zur Seite. Ich war wohl etwas blass um die Nase, wie Tereza später bestätigte, aber ich schaffte es, diesem Moravec fest ins Auge zu blicken.

»Herr Moravec. Was ich hier lese … das macht mich ganz sprachlos. Aber es beweist ja wohl eindeutig, dass Armando Hermann auf dem Gewissen hat. Oder glauben Sie etwa das Märchen, dass wir …?«

Ich rammte die Gabel in meinen Kuchen, als wäre er eine Voodoo-Puppe, und spülte mit Kaffee nach, der in der Zwischenzeit, während meiner langen Lesesession, leider kalt geworden war. Ein bitterer Nachgeschmack, der sich auch in meinem Blick manifestierte.

Moravec enthielt sich einer Äußerung, also musste ich weiter meine Unschuld untermauern. »Das ist doch völlig absurd, was der da behauptet. Tereza und ich hätten meinen Mann zu zweit gefesselt, schreibt er, um ihm dann Nüsse einzuflößen. Mein Gatte, Herr Moravec, war ein kräftiger Mann im besten Alter. Wie hätten wir ihn fesseln sollen, ohne ihn vorher zu betäuben? Dass er keinerlei Narkotikum intus hatte, haben die Gerichtsmediziner ja eindeutig festgestellt. Und Nüsse einflößen. Wie soll das gehen, bitte? Mit Schnaps? Im Bett? Flößen Sie einmal jemandem gegen seinen Willen eine Flüssigkeit ein, ohne Spuren zu hinterlassen.«

Ich schnappte kurz nach Luft. Moravec überflog den Text, den ich ihm hingeknallt hatte, während Tereza versuchte, Emma zu beruhigen. Das arme Kind bezog meinen Zornesausbruch anscheinend auf sich. Das würde ich hinterher ausbügeln müssen, aber zuerst musste ich diesen Polizisten loswerden.

»Ich sag Ihnen was, Herr Inspektor«, fuhr ich mit meiner vermeintlichen Entlastungskampagne fort. »Sie können sich doch sicherlich an den Tag erinnern, an dem Sie mir den Bescheid für den Bestatter vorbeibrachten. Wir waren zusammen in Armandos Zimmer, wissen Sie noch?«

Moravec nickte. »Der Knall im Garten zuvor«, murmelte er.

»Was?«

Das hätte er lieber nicht ohne Triggerwarnung gesagt. Denn das Minifilmchen, das die Erwähnung dieses Knalls in mir abspulte, beschwor garstige Erinnerungen herauf: Es ist Abend. Draußen am Pool. Armando richtet seine Pistole auf mich. Draco, mein tapferer Pitbull, springt ihn von der Seite an. Ein Schuss fällt. Alle beide gehen zu Boden. Blut läuft unter ihnen hervor. Tropft ins Schwimmbecken. Sekunden der Panik. Dann rappelt sich Draco wieder auf. Schüttelt sich. Er ist blutverschmiert, aber unverletzt. Doch Armando ist tot!

Ich brachte meine Atmung nur mit Mühe unter Gewalt. Dieser Inspektor hatte ein verdammt gutes Gedächtnis. Ich musste das Gespräch so schnell wie möglich von dieser verfänglichen Begebenheit ablenken.

»Sie hatten mich damals gebeten, Armando zu Ihnen zu schicken, sobald er bei mir auftaucht«, fuhr ich fort, ohne auf den Knall einzugehen. »Das habe ich, als er am Abend nach Hause kam, auch unverzüglich getan. Er hat mir versprochen, gleich am nächsten Morgen seine Meldung zu machen. Das war dann übrigens das letzte Mal, dass ich ihn – ähm – gesehen habe«, sagte ich. Ich musste kurz innehalten. Beinahe hätte ich »lebend« gesagt. So nahe waren mir die Ereignisse jenes Nachmittags wieder!

Ich schnaufte kurz durch. »Als ich zum Frühstück runterkam, war er nämlich schon weg«, ergänzte ich. »Der hat kalte Füße bekommen, jede Wette. Der ist getürmt, glauben Sie mir. Womöglich schon in der Nacht.«

»Das liegt nahe«, gab Moravec zu. »Das dachten wir zunächst ja auch. Allerdings erlauben diese E-Mails nun halt auch andere Interpretationen.« Er fixierte Tereza, an der sein Blick abprallte wie ein Eishockey-Puck an der Bande.

Mir hingegen wurde nun richtig mulmig. Ich werde dich jetzt sicherlich nicht nach diesen Interpretationen fragen, dämlicher Bulle, sagte ich mir und lächelte ihn an.

»Herr Inspektor. Wenn ich gewusst hätte, wie durchtrieben dieser Mensch war – ich hätte diesen Betrüger niemals ins Haus gelassen«, entrüstete ich mich. Und das war ja nun nicht mal geflunkert. »Gelogen hat er von der ersten Minute an. Sich mit einer falschen Identität bei jemandem einzuschleichen und dessen Gastfreundschaft zu missbrauchen! Einfach niederträchtig! Aber auch in diesen Mails hier lügt er, dass sich die Balken biegen. Ein weiteres Beispiel, Herr Moravec, bitte schön.«

Ich blätterte nach und legte dem Polizisten die entsprechende Seite vor. »Schauen Sie, hier: die Szene am Pool. An die kann ich mich noch gut erinnern. Das ist so ähnlich auch wirklich passiert, aber eben nur so ähnlich. Es stimmt zwar, dass Draco Armando ungestüm begrüßt hat und der junge Mann dadurch ins Wasser gefallen ist. Dummerweise konnte er nicht schwimmen, auch wenn er das hier leugnet. Dass Alma beinahe ertrunken wäre, ist völliger Blödsinn, und schon gar nicht hat er sie gerettet. Ein unheimlicher Angeber, dieser Armando. In Wirklichkeit war es genau andersherum. Er hatte sich in seiner Panik an sie geklammert und sie nach unten gezogen. Deswegen hat ihm Tereza eine mit dem Kescher übergebraten, und dann haben wir ihn aus dem Becken gezogen. Alma wird das bezeugen können.«

Moravec hörte gespannt zu und machte sich Notizen. »Alma. Das ist diese Künstlerin, nicht wahr?«

»Und Hermanns damalige Geliebte, wie wir nunmehr wissen«, seufzte ich. »Sie haben Alma übrigens gerade verpasst«, ergänzte ich. »Schade eigentlich, sonst hätten Sie sie gleich zu dem Ereignis im Schwimmbecken befragen können.«

»Am besten Sie rufen an gleich auf Handy«, sagte Tereza. »Sonst behauptet Polizei nachher, wir haben – wie sagt man – Zeige beeinflusst?«

Das war meine Tereza. Kein Wort zu viel, aber wenn, dann das rettende.

Ich gab Moravec Almas Handynummer. Er nahm sein Telefon und ging damit auf den Gang.

Nach ein paar Minuten kehrte er strahlend zurück. »Ich hab sie erwischt«, sagte er. »Das Telefonat war ein wenig schwierig. Ihr Sohn hatte was dagegen, dass die Mama das Handy selber braucht. Aber dann hat sie mir genau dieselbe Version erzählt, wie Sie es mir gerade geschildert haben, Frau Winter.«

»Na, sehen Sie«, kommentierte ich erleichtert. »Der Typ lügt in seinen E-Mails genauso wie im echten Leben. Er wollte seinen Liebhaber beruhigen, bevor er nach Hause zurückkehrte. So er denn überhaupt nach Hause wollte.«

Moravec nickte zufrieden, bedankte sich herzlich für den Kaffee und packte seine Sachen zusammen. An der Haustüre zögerte er. »Wissen Sie, Frau Winter«, stammelte er. »Ich dachte so etwas Ähnliches ja auch, dass der Kerl eben durchtrieben sei. Immerhin gibt er ja auch zu, dass er Sie mit bösen Absichten dazu gebracht hat, seine Pistole anzufassen. Damit Ihre Fingerabdrücke draufkommen.«

Er legte mir die Hand auf die Schulter, nachdem es mich beim Gedanken an diese Pistole erneut beutelte.

»Beruhigen Sie sich, Frau Winter. Aber wir müssen natürlich jedem Hinweis nachgehen. Die Kollegen von der Interpol werfen uns sonst Schlamperei vor, und das wollen die hohen Herren in Wien natürlich nicht hören. Drum schauen sie uns bei internationalen Fällen besonders genau auf die Finger.«

»Sie haben auch wirklich einen schweren Job«, heuchelte ich. »Immer mit Kriminellen zu tun zu haben, das muss schrecklich sein!«

»Dafür ist es andererseits sehr befriedigend, wenn man sie hinter Gitter bringen kann«, erwiderte er. Ich versuchte, meinem Lächeln Zustimmung einzuhauchen, was in diesem Fall echt schwierig war.

»Sie haben abgenommen, stimmt’s?«, sagte ich aus einer Eingebung heraus.

Jetzt strahlte er. »Das haben Sie bemerkt?«

Natürlich wäre mir nichts dergleichen aufgefallen, wenn er zuvor nicht seine Diät erwähnt hätte, aber das war ja nicht der Punkt. »Sofort, als Sie zur Türe herein sind«, sagte ich mit Nachdruck.

Er schüttelte mir zum Abschied kräftig die Hand und versenkte seinen Blick in den meinen. Ich hielt ihm tapfer stand und lächelte.

Drinnen war Tereza gerade beim Aufräumen.

»Tereza! Was war in dem Apfelstrudel?«, stellte ich sie zur Rede.

»Äpfel«, sagte sie und verschwand in die Küche.

2.1Telefonat unter Kollegen

»Hartinger? Bertl? Echt jetzt?« Der Moravec kriegt sich gar nicht ein vor lauter Freude, dass ihn sein alter Spezi anruft. Dienstlich hin oder her. Für ihn ist es klar: Es ist ein Wink des Schicksals, dass der Fall ausgerechnet auf dem Schreibtisch vom Hartinger gelandet ist. Der Hartinger glaubt nicht an Schicksal, aber das muss der Moravec ja nicht wissen. Auch nicht, wo seine Akte wirklich liegt. Von Schreibtisch keine Rede. Und vom fetten Einwickelpapier daneben, von der Leberkässemmel, die er beim Lesen verdrückt hat, verrät er lieber auch nichts. Der Moravec war ja immer so ein penetrant ordnungsliebender Mensch. Hemden gebügelt hat der wie ein Profi. Aufgestapelt Kante an Kante. Sein Bett überzogen wie beim Bundesheer. Wie der das geschafft hat, dass kein Zipfel vom Leintuch rausgerutscht ist, das kann der Hartinger bis heute nicht verstehen. Wo man damals von einem Spannleintuch noch nicht einmal geträumt hat.

»Und, was meinst zu dem Fall?«, unterbricht der Moravec seinen geistigen Ausflug ins Internat.

Der Hartinger gesteht, dass er erst Teil 1 durchhat. »Wenn du mir kurz zusammenfasst, worum es geht, wär ich dir dankbar. Wer interessiert sich denn für den Herztod eines alten Bauern von vor zwanzig Jahren, bitte?«

»Für den interessiert sich eh keiner«, gibt der Moravec zu. »Es geht um seine Witwe, diese Tschechin Hurniková. Vielmehr um ihre Glaubwürdigkeit. Vielleicht ist ja gar nichts an dem Gerücht dran, dass sie ihre Ehemänner umgebracht hat.«

»Na prack! Ehemänner? Wie viele sollen es denn gewesen sein?«

»Eh nur zwei. Neben dem alten Weinviertler noch dessen Vorgänger. Ein Tscheche. Auch ein Bauer, allerdings ein wesentlich jüngerer. Ist bei einem Motorradrennen in Brünn ums Leben gekommen. Bremsversagen. Und die junge Witwe hat sich vertschüsst, sobald sie vom Tod des Gemahls erfahren hat.«

»Das schaut mir jetzt aber recht wie ein Schuldbekenntnis aus, oder?«

»Ja und nein. Die tschechischen Kollegen haben sehr wohl nachgefragt damals, zumal die Bremsen manipuliert gewesen sind.«

»Das auch noch? Und da zweifelt noch jemand? Geh, bitte!« Der Hartinger nimmt einen Schluck aus der Flasche und verdreht die Augen.

»Eindeutig ist gar nichts in dem Fall. Erstens gab es einen Hauptverdächtigen, einen Konkurrenten beim Rennen. Den will ein Zeuge vor dem Rennen beobachtet haben, wie er unbefugt an der Maschine des Opfers herumhantiert hat. Aber der junge Mann hat das vehement abgestritten, und später hat sich herausgestellt, dass der Zeuge betrunken war. Darum hat man dann doch im familiären Umfeld des Opfers nachgeforscht. Aber ausnahmslos alle Befragten haben – unabhängig voneinander – ausgesagt, dass die arme junge Frau geflohen ist, weil auch der alte Bauer, also der Schwiegervater, hinter ihr her war. Und überhaupt sind die Männer auf dem Hof laut Zeugenaussagen nicht zimperlich umgegangen mit ihren Frauen. Das hatte dort anscheinend traurige Tradition.«

»Arm hin oder her, Moravec. Das ist ein selbsterklärendes Mordmotiv, oder?«

»Ja freilich. Ausschlaggebend, dass man die Frau in Ruhe gelassen hat, war letztlich ausgerechnet die Aussage vom Vater des Opfers, dem angeblich gewalttätigen Schwiegervater. Er hat es definitiv ausgeschlossen, dass so ein dummes Weib wie seine Schwiegertochter überhaupt eine Ahnung gehabt haben könnte, wie man so was macht. ›Die weiß ja nicht einmal, wo die Bremsen sind bei so einer Maschine‹, hat er ausgesagt. ›Die Schwiegertochter war es nie und nimmer.‹«

»Na, ich weiß nicht«, sagt der Hartinger. »Ich hätt da schon ein wenig nachgebohrt. Hat man die Frau denn nie verhört?«

»Es scheint zumindest nichts auf. Wahrscheinlich haben die tschechoslowakischen Kieberer damals gerade andere Probleme gehabt. Mit der Grenzöffnung und so.«

»Und wie kommt die Frau dann nach Österreich?«

»Sie ist als Kellnerin in Höflein gelandet. Das ist gleich an der tschechischen Grenze.«

»Ich kenn Hevlin, Moravec. Weiter?«

»Sie hat dort in einem Wirtshaus gearbeitet, wo sie dann ihren späteren Mann kennengelernt hat. Der war fast zwanzig Jahre älter als sie, aber er hatte einen großen Bauernhof. Wird wohl keine Liebesheirat gewesen sein.«

Das glaubt der Hartinger dem Moravec sofort. Damals sind ja auf einmal die hässlichsten Mannsbilder zu so feschen Blondinen gekommen, dass man sich nur gewundert hat. Aber der Schilling war eben was wert. Und sehr viel anders als die Damen vom Gürtelstrich haben die oft auch nicht ausgeschaut, die Ostbräute. Geschminkt wie im Fasching, Glitzer und Gold. Und alle haben sie Schlapfen angehabt, daran kann er sich noch gut erinnern. Hochhackig, aber eben Schlapfen. Im Unterschied dazu haben die Ladys am Gürtel immer diese wahnsinnslangen Stiefel getragen. Bis praktisch zu den Schamlippen. Da sind sie als Jugendliche extra mit der Stadtbahn gaffen gefahren. Nutten zählen.

»Hartinger? Bist du noch dran?«

»Ja sicher. Bei der Vernunftehe sind wir stehen geblieben. Das erklärt immer noch nicht, warum man sich jetzt plötzlich wieder für die Frau interessiert. Will s’ einen Politiker heiraten, oder was?«

»Jetzt red net so blöd daher, Bertl. Horch zu. Da gibt es eventuell eine Verbindung zu einem Fall, den ich vor drei Jahren bearbeitet hab. Ein Diplomat stirbt zu Hause im Bett. An einer Nussallergie.«

»Oha! Das war die Ehefrau. Jede Wette!« Für so was hat der Hartinger ein Gespür.

»Ja, das war damals auch meine erste Vermutung. Aber sie hatte so was wie ein Alibi.«

»Was soll das jetzt wieder heißen, Moravec? So was wie?«

»Sie war angeblich zur fraglichen Zeit mit dem Gast des Hauses, einem schneidigen Latino, im Bett.«

»Geh, Moravec. Das hast jetzt aber nicht aus den ›Vorstadtweibern‹, oder?«

Der Moravec lacht. »Nicht ganz, aber vom Drehbuch her hätt’s schon gepasst. Der Latino. Hat sich dann herausgestellt, dass der ein unehelicher Sohn dieses Diplomaten war. Ich bin letztlich zum Schluss gekommen, dass er seinen Vater umgebracht hat.«

»Und was hat dich zu dieser Annahme verleitet?«

»Erstens hat er sich unter falschem Namen und mit einem gefälschten Pass dort im Haus des Vaters eingeschlichen. Und wie der dann tot war, ist er plötzlich verschwunden. Die Spur führt nach Prag und endet dort in einer Schwulenbar. Und aus. Wie vom Erdboden verschluckt.«

»Also untergetaucht?«

»So hat es zumindest lange ausgeschaut.«

»Und jetzt kommt der Zusammenhang zu der Tschechin, was?« Der Hartinger braucht eine kurze Pause, um sich noch ein Bier zu holen.

»Noch nicht ganz«, sagt der Moravec. »Ein Jahr, nachdem ich den Fall abgeschlossen hab, stirbt ein Pater aus Guatemala im Zug von Wien nach Prag. Was zunächst wie ein normales Herzversagen aussieht, stellt sich bei der Obduktion als Digitalisvergiftung heraus. Die tschechischen Behörden ermitteln. Der Typ dürfte sich auch im Schwulenmilieu herumgetrieben haben. Man schickt in Guatemala City die Polizei in sein Stammkloster, um herauszufinden, was der Pater in Prag beziehungsweise Wien zu suchen hatte. Aber dort gibt man sich verschlossen. Auf die Schwulenszene angesprochen, reagiert man empört. Man wünscht von offizieller Stelle, dass der Fall nicht weiter untersucht wird, also werden die sterblichen Überreste des Paters in die Heimat überführt.«

»Das war wann?«

»Vor zwei Jahren etwa.«

»Und wieso gräbt man das jetzt doch wieder aus? Trotz klerikaler Sabotage?« Langsam beginnt der Hartinger sich für den Fall zu interessieren. Die Sache scheint komplexer als ursprünglich gedacht.

»Weil es in dem Kloster, wo dieser Pater gewirkt hat, Vorwürfe sexueller Belästigung gibt. Und, du wirst es nicht glauben, auch gegen den verstorbenen Pater. Man beschlagnahmt diverse Computer, und auf dem Laptop des Verblichenen rekonstruiert die Kripo einen E-Mail-Verkehr zwischen besagtem Pater und dem Latino aus meinem Fall. Und es tauchen interessante Details auf, die ein völlig neues Licht darauf werfen. Die Tschechin, über die du was rausfinden sollst, die ist nämlich damals bei dem Diplomaten im Dienst gewesen.«

»Dem mit der Nussallergie.«

»Genau dem. Und der junge Mann erwähnt in einem E-Mail, dass er sie in der Mordnacht aus dessen Zimmer hat kommen sehen.«

Jetzt pfeift der Hartinger gar. »Und das genügt nicht für eine Festnahme, Moravec?«

»Wahrscheinlich schon. Aber es ist halt die Aussage eines Betrügers und schwer zu verifizieren. Ich will auf Nummer sicher gehen. Schließlich muss ich dann ja auch einen groben Ermittlungsfehler im Mordfall Nussallergie zugeben. Aber aus damaliger Sicht hatte diese Person überhaupt kein Motiv. Darum würde ich dich bitten, die E-Mails möglichst unvoreingenommen zu lesen. Sie sind in der dritten Mappe. Was dieser Latino da verzapft, ist nämlich auch nicht gerade stimmig. Wirst sehen. Deshalb wollte ich jemand Unbeteiligten, der sich die Frau ohne Vorurteile anschaut. Also nicht die Frau selber, aber ihre Vergangenheit. Ich freu mich ehrlich, dass du den Fall gekriegt hast. Da kann ich offen reden.«

»Aber sicher«, sagt der Hartinger. »Ich schau mir die Frau vorurteilsfrei an.« Wenigstens einer, der mir das zutraut, denkt er, und sein Blick verfinstert sich gleich wieder. Gut, dass der Moravec das nicht sehen kann.

»Der Latino, sag. Ist der wiederaufgetaucht?«

»Das nicht.«

»Aber?«

»Na ja. Ich bin mir nicht sicher, ob der noch lebt, Bertl. Das muss jetzt bitte auch unter uns bleiben, weil bloße Vermutung. Ich hab damals kurzfristig den Verdacht gehabt, dass die junge Witwe den Latino beseitigt haben könnte. Ich komm eines Tages zufällig vorbei, bring ihr die Nachricht, dass die Leiche ihres Mannes zur Bestattung freigegeben ist. Diese Tschechin führt mich in den Salon und geht hinaus, die Frau holen. Und da hör ich einen Schuss aus dem Garten. Zumindest hab ich mir das eingebildet.«

»Und warum bist du dem nicht nachgegangen?«

Dem Hartinger kommt die Pause, die sich der Moravec für die Beantwortung der Frage nimmt, verdächtig lang vor.

»Die junge Frau hat mir den Schuss glaubhaft erklärt. Ihr Hund hat im Garten eine Katze gejagt, und dabei ist eine Champagnerflasche detoniert.«

»Und das hast du ihr abgenommen?«

»Ich weiß, das war ziemlich dämlich. Zumal ich später draufgekommen bin, dass sie kurz darauf das Schwimmbecken weggerissen und ein neues darübergebaut hat.«

»Oh-oh! Und darunter modert vielleicht eine hübsche männliche Leiche?«

»Kann sein, Hartinger. Aber du weißt genau, dass eine bloße Vermutung dem Staatsanwalt nicht genügt, um eine Bewilligung zum Graben auszustellen.«

»Die Kosten, die Kosten. Ich weiß«, stöhnt der Hartinger. »Und wie kann ich dir jetzt helfen – außer, diese Mappe vorurteilsfrei durchzusehen?«

»Das Bauernhaus, das diese Hurniková geerbt hat. Wenn du dich da mal ganz unverbindlich umschauen könntest. Vielleicht findest ja irgendwas, was auf eine Verbindung zu meinem Fall mit dem Diplomaten hindeuten könnt. Adresse steht in der Akte.«

»Besser noch, ich grab die Leiche von dem Latino aus, was?«

»Hartinger, wenn dir das gelingt – dann lass ich ein Fass Bier springen!«

»Na, da ist meine Motivation gleich viel höher!« Der Hartinger lacht. »Ich meld mich!«

Champagner! Dass ich nicht lache, denkt sich der Hartinger. Und überhaupt. Wieso trinkt die Witwe Champagner, noch bevor der Gatte unter der Erde ist?

Moravec, Moravec. Den Weibern darfst du nicht trauen. Ihm wäre das nicht passiert, da ist sich der Hartinger sicher.

3. Überrumpelt

Von da an brachte ich den Moravec nicht mehr los. Die Häufung der »zufälligen« Treffen in der Fußgängerzone, in der Nähe der Hundeschule oder vor dem Kinderspielplatz wäre der doofsten Tussi aufgefallen. Die Sache war glasklar, er suchte meine Nähe. Abgesehen von dem schmeichelhaften Gefühl, begehrt zu werden, dachte ich keine Sekunde daran, ihn zu ermutigen, geschweige denn zu erhören. Ich scherzte sogar mit Tereza darüber. Diese gab sich unüblich knapp und meinte, ich sollte ihn höflich, aber bestimmt abblitzen lassen. Die Polizei dürfe man weder vergrämen noch fahrlässig ins Haus holen. Als er sich dann eines Tages mit seinem nigelnagelneuen Rennrad vor der Villa einbremste, schrillten selbst bei mir die Alarmglocken. Nicht nur, weil ich an seiner Radlerhose eindeutige Ausbuchtungen erspähte, die er schnellstens mit seinem neonfarbenen Fahrradhelm verdeckte.

Was musste er auch in aller Herrgottsfrüh erscheinen, während ich noch in meinem Nachthemdchen war? Tereza war mit Emma zum Einkaufen und ich erwartete ein Päckchen von Zalando. Sonst hätte ich ihm gewiss nicht in diesem Aufzug geöffnet. Trotzdem bat ich Idiotin ihn herein. Höflichkeit ist ja etwas, das einem in der Erziehung eingebläut wird wie eine Religion, man bekommt sie einfach nicht wieder los. In dieser Hinsicht hat meine Mutter ganze Arbeit geleistet.

Da ich gerade auf der Terrasse beim Frühstück saß und die Tageszeitung schon durchhatte, bot ich ihm einen Kaffee an. Er wählte schwarz wie gehabt. Wegen der Diät. Essen wollte er nichts. Mein Croissant verdrückte ich trotzdem neben ihm, es war soeben frisch duftend aus dem Backofen gekommen. Da wollte ich es nicht unbeachtet lassen, bloß damit der arme Mensch sich nicht leid sah, weil er verzichten musste. So ausgeprägt war meine Höflichkeit dann doch wieder nicht. Hätte er früher weniger gegessen, wäre ihm diese Diät nun erspart geblieben.

Die Butter schmolz beim Aufstreichen auf dem warmen Gebäck, und Terezas duftende Erdbeermarmelade klebte mir mollig an den Mundrändern. Ich tupfte sie mit den Fingern weg und schleckte sie genüsslich ab, dann ermunterte ich mein Gegenüber, sein Anliegen vorzubringen. Moravec verschlang mich – oder mein Croissant, das war nicht eindeutig ersichtlich – mit seinem Blick. Erst plauderte er scheinbar ungezwungen über sein Hobby, das Radfahren. Er trainierte gerade für einen Polizeiwettbewerb. Stolz zeigte er mir auf seinem Smartphone die tolle Runde, die er soeben gedreht hatte. Ich war mächtig beeindruckt von seiner phänomenalen Leistung. Weniger allerdings von der meine Intimsphäre verletzenden Nähe, die das Herzeigen seiner Wegstrecke auf dem Handy nun mal bedingte. Sein abschweifender Blick in mein Dekolleté störte mich dabei nicht so sehr wie der unangenehme Körpergeruch, den er verströmte. Die Vorzüge von Funktionswäsche hin oder her, die Geruchsbakterien lieben dieses Kunstfasermilieu. Ein Grund mehr, anstrengende Sportarten zu meiden. Draco schnüffelte interessiert an ihm. Ich zog ihn dezent weg und hieß ihn, Platz zu gehen. Peinlich war es natürlich trotzdem.

»Möchten Sie noch einen Blick auf meinen Garten werfen?« Ich musste ihn langsam in Richtung Ausgang manövrieren.

Zuerst bewunderte er mein neues Schwimmbecken mit der Glasabdeckung. Was denn da darunter sei, wollte er wissen. Ich sah ihn verdattert an. »Beton vermutlich. Und jede Menge dieser riesigen Kiesel. Wie sagt man gleich dazu?«

»Rollschotter.«

»Genau. Ein ganzer Lastwagen davon wurde da reingekippt, soviel ich mich erinnere. Warum interessiert Sie das?«