Das Teigtascherldebakel - Beate Ferchländer - E-Book

Das Teigtascherldebakel E-Book

Beate Ferchländer

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Eine rabenschwarze Krimikomödie. Das beschauliche Weinviertler Leben der Elli Grace Moser gerät aus den Fugen, als ihr Mann tot im Fischteich treibt. War es Freitod oder Mord? Pech für Elli, dass ausgerechnet Chefinspektor Hartinger den Fall untersucht, der endlich einmal eine Schwarze Witwe hinter Gitter bringen will. Glück für sie, dass der Staatsanwalt das anders sieht und den Fall als Suizid zu den Akten legen lässt. Doch dann geschieht ein weiterer Mord in Ellis Umfeld …

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Beate Ferchländer wurde 1961 in Scheibbs, Niederösterreich, geboren. Als Lehrerin verschlug es sie ins Weinviertel, wo sie mit ihrem Mann bis heute lebt. Da sich dort die spannenden Fragen ausschließlich um den Wein drehen, wirft sie seit einiger Zeit Leichen ins Idyll, die sie von biederen Heldinnen entsorgen lässt. Chefinspektor Hartinger muss diese verzwickt-skurrilen Fälle nun bereits zum dritten Mal lösen.

www.beate-ferchlaender.at

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Montage: shutterstock.com/Margaret M Stewart, shutterstock.com/Thaiview

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Uta Rupprecht

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-902-0

Originalausgabe

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www.emons-verlag.de

Dieser Roman wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf, München.

Gewidmet Jö und Christoph, den »fabelhaften Eckel-Buam«

Absturz

Denken wird allgemein überschätzt. Es ist das Bauchgefühl, dem wir viel mehr Gehör schenken sollten. Leider kommuniziert es seine Botschaften so undeutlich. Und wenn du dann auch noch über einen dermaßen gut trainierten Verdrängungsmechanismus verfügst wie ich, dann überhörst du es halt furchtbar gerne.

Dabei hatte mich schon beim ersten Auftritt dieser schrägen Typen ein ungutes Gefühl beschlichen. Warum nur hatte ich nicht auf meinen Bauch gehört, verdammt?

Es muss so gegen fünfzehn Uhr gewesen sein, als sie mich aus meinem Mittagsschläfchen klingelten. Grantig schlurfte ich zur Tür. Frechheit, mich aus meiner Siesta zu reißen!

Seit Wochen hatte die Hitzewelle das Weinviertel fest im Griff. Der Sommer 2019 war drauf und dran, sämtliche Rekorde zu knacken. In Ermangelung einer Klimaanlage musste ich schon frühmorgens alle Rollos herunterlassen, um die Sonne auszusperren. An körperliche Arbeit war vor achtzehn Uhr nicht zu denken. Ich quälte mich deshalb täglich um sechs aus dem Bett, um die Ordinationsräume ordentlich durchzulüften, bevor ich Hans Helmut sein Frühstück servierte. Dafür gönnte ich mir dann ein nachmittägliches Nickerchen, um mich später gebührend um Haus und Garten zu kümmern. Und ausgerechnet jetzt wollte wer was von mir? Dieser Störenfried würde was zu hören kriegen!

Die geplante Gardinenpredigt war im Nu vergessen, als ich die beiden vor mir stehen sah: das chinesische Pendant zu Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito. Der eine blickte mir geradewegs in die Augen, was mir mit meiner Körpergröße von eins sechsundfünfzig bei einem Mann selten passierte. Der andere, ein tätowierter Muskelprotz von annähernd zwei Metern, hätte sich wohl bücken müssen, um über meine Schwelle zu treten – wenn ich ihn denn gelassen hätte.

»Ich hab nichts bestellt«, grummelte ich und wollte die Tür wieder schließen, da zwängte der Kleine doch glatt den Fuß dazwischen.

»Dokto’ Mose’?«, sagte er. »Wi’ sind doch lichtig hie’? Theodo’ Kölne’ Weg 3?«

»Mein Mann ist noch in der Ordination.« Mit dem Kopf deutete ich auf unser Nebenhaus. »Theodor Körner Weg 3A. Hier ist unser Wohnhaus: 3B. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er etwas bestellt hat, wir haben schon gegessen.«

Dass Hans Helmut chinesisches Essen grundsätzlich verabscheute – »Ratten und Hunde, Schatz! Wir bleiben beim österreichischen Schweinderl« –, brauchten sie ja nicht zu wissen.

»Wi’ haben Telmin!« Der Kleine lächelte hintergründig und reckte den Hals. Als der Große ihm von oben zunickte, zog er seinen Fuß zurück. »Velzeihen Sie Stölung. Auf Wiedelsehen, Flau Mose’«, sagte er, verbeugte sich und zog ab. Der Hüne folgte ihm.

Ich rannte in die Küche zum Fenster und kurbelte die Rollos hoch. Ich musste sichergehen, dass ich keiner hitzebedingten Fata Morgana aufgesessen war. Aber da waren sie, ganz real. Der Lange nahm nur jede zweite Stufe der Eingangstreppe, der Kleine hastete hinterher. Sie mussten mehrmals klingeln, bis Hans Helmut den Buzzer drückte und die beiden ins Haus ließ.

Seltsam. Was die wohl von ihm wollten? Ärztlichen Beistand wohl kaum, er war Frauenarzt! Heute Nachmittag war außerdem keine offizielle Sprechstunde. Hans Helmut wollte »Papierkram erledigen«. Im Klartext hieß das, dass er schlicht und einfach seine Ruhe haben wollte und sich im Büro verkroch, damit ich ihn nicht zu niederen Tätigkeiten im Haus und im Garten vergattern konnte. Auch Vertreter empfing mein Mann ausschließlich während der Ordinationszeiten. Oft ließ er diese lästigen Menschen stundenlang bei mir im Anmeldebereich warten, und ich konnte mir dann ihr fortwährendes Gelaber anhören. Eines war klar: Hans Helmut würde mir den asiatischen Besuch heute Abend erklären müssen.

Ich ließ die Rollos wieder herunter und überlegte, ob ich mein Schläfchen fortsetzen sollte. Aber dafür war ich zu aufgewühlt. Ergo konnte ich auch gleich in den Garten gehen.

Wie so oft vergaß ich dort eine Zeit lang all meine Sorgen, insbesondere diejenigen chinesischen Ursprungs. Aber wem käme beim Anblick von frisch blühenden Rosen und farbenfrohem Rittersporn schon Kung-Fu in den Sinn, wer würde beim Duft von blauem Lavendel an Tausendjährige Eier denken? Ich schnipselte mich andächtig durch meinen Rosengarten, zupfte Unkraut aus den Gemüsebeeten und Blumenrabatten und zertrat seufzend einige Maulwurfshügel neben den Zucchinipflanzen.

Drei Stunden später streifte ich zufrieden meine Gartenhandschuhe ab und freute mich auf den geplanten Nudelsalat, den ich mit frischem Rucola veredeln wollte. Hans Helmut war noch nicht da. Das war ungewöhnlich. Immerhin gab mir das genügend Zeit, um mich etwas zu regenerieren.

Ich hüpfte unter die Dusche – was man sich jetzt nicht bildlich vorstellen sollte. Von Hüpfen konnte bei mir schon länger keine Rede mehr sein, das ließen Körpergewicht und Bandscheiben nicht zu. Duschen ging gottlob noch ganz gut.

Zurück in der Küche, stellte ich das Nudelwasser auf, wusch die Rauke und hobelte Parmesanblättchen in eine Schüssel – nicht ohne die eine oder andere Kostprobe zu nehmen. Auch von den Mozzarellakügelchen, die ich sorgsam abgegossen hatte, wanderte manch eines in meinen Mund und nicht in die Salatschüssel. Das hatte allerdings schon mehr mit Hunger zu tun als mit Naschen. Wo blieb Hans Helmut nur? Auch ihn trieb der Appetit sonst immer rechtzeitig an den Tisch.

Und da fielen sie mir plötzlich wieder ein, diese Chinesen, und ließen augenblicklich meine Phantasie anspringen. Im Ausmalen schrecklicher Szenarien war ich ja schon von Kindesbeinen an Kaiserin gewesen. Wenn Mama spätabends anrief, wähnte ich sie im Knast. Wenn meine pubertierende Tochter sich die Nächte um die Ohren schlug, sah ich sie im Geiste bei einem Lustmolch auf der Couch. Wobei – das hatte leider nichts mit Paranoia zu tun, sondern mit Erfahrung. Dass mir jedoch im Zusammenhang mit Hans Helmuts asiatischem Besuch die Chinamafia einfiel, war wohl eher meinem Faible für Tatort-Krimis und der Sommerlochberichterstattung über die illegalen Teigtascherlfabriken in Wien geschuldet, oder?

Um mich abzulenken, machte ich den Fernseher an und ließ mich von einem Experten mit Halstuch beraten, wie ich problemlos durch die Hitzewelle käme: mit warmem Kräutertee. Aha! Den Tipp mit dem Halstuch hatte ich offensichtlich bereits versäumt.

Ich schaltete das Gerät wieder aus und holte mir eine eiskalte Cola aus dem Kühlschrank. Zahlreiche Fliegen interessierten sich bereits für meinen Nudelsalat. Aber nicht nur sie. Mein Magen knurrte böse. Außerdem wollte ich unbedingt vor der Primetime mit Essen und Abwasch fertig sein. RTL strahlte heute den ganzen Abend lang Gartensendungen aus, die ich nicht verpassen wollte. Ich überlegte kurz, ohne meinen Mann zu essen, aber das wäre unhöflich gewesen.

Zudem zwickte mein Magen nicht nur wegen des Nahrungsmangels. Beim Gedanken an diese Asiaten und die letzten Triaden-Artikel in »News« gab mir mein Bauch nun doch recht deutlich zu verstehen, dass hier etwas verdammt faul war und ich besser nach dem Rechten sehen sollte. Kurzentschlossen schnappte ich mir den Schlüssel für die Ordination vom Brett und lief hinüber.

Es war unerträglich stickig im Flur, und wieder einmal verfluchte ich meinen Mann für seinen Geiz. Lediglich im Warteraum und im Behandlungszimmer hatte er sich eine Klimaanlage einreden lassen, und selbst dafür hatte ich mich mächtig ins Zeug legen müssen.

»Wenn du diese Investition nicht tätigst, dann werden wir hier bald gar keine Schwangeren oder vom Klimakterium geplagten Patientinnen mehr herumsitzen haben«, hatte ich ihn gewarnt und ihm gleich noch ein paar weitere zu erwartende Einkommenseinbußen vorgerechnet. »Unterschätze den Klimawandel nicht, Hans Helmut!«

»Verschone mich mit deinen Kalkulationen!«, hatte er gerufen und sich die Ohren zugehalten. Prozentangaben ertrug er nur in Zusammenhang mit Rabatten. »Du wirst sehen, letztlich werden wir alle krank werden, Schatz. Und wir werden die Klimaanlage gar nicht aufdrehen, weil sich die Patientinnen erkälten. Dann hab ich das Geld unnötig zum Fenster hinausgeworfen.«

Seine Einwände bewahrheiteten sich nie. Ich drehte frühmorgens die Anlage auf Automatik und verbot ihm, sie auszuschalten. So hatten wir ein angenehmes, gleichbleibendes Klima für alle, und niemand außer ihm beschwerte sich.

Ich öffnete die Haustüre bis zum Anschlag und fixierte sie mit dem Türstopper. Dann riss ich das Gangfenster auf, damit es ordentlich durchziehen konnte. Irgendetwas schepperte.

»Hans Helmut!«, rief ich. Keine Antwort. In der Ordination war es finster, also musste er im Atelier sein. Atelier – das klingt etwas hochtrabend. Im Prinzip war es eine kleine Dachwohnung, die wir uns damals eingerichtet hatten, als wir zu Hans Helmuts Eltern ziehen mussten. Die eigentliche Wohnung im Erdgeschoss hatten wir später, nachdem die Alten draußen waren, als Praxisräume adaptiert. Und sobald unser Wohnhaus fertig gewesen war, hatte sich Hans Helmut im Dach seine Werkstatt eingerichtet, um ungestört von Frau und Kind seinem Malhobby zu frönen.

Dummerweise hatte er sich, um besseres Licht zu haben, diese Glaswand einbauen lassen und machte den Raum dadurch in der sommerlichen Hitze praktisch unbenutzbar. Aber damals hatten ja höchstens irgendwelche grünen Spinner mit den Folgen globaler Erwärmung gerechnet.

Umso mehr wunderte es mich, dass Hans Helmut ausgerechnet heute freiwillig nach oben gegangen war. Dort musste es noch immer mindestens dreißig Grad haben.

»Hans Helmut!«, rief ich erneut die Treppe hoch. Antwort kam keine, aber ich glaubte, ein regelmäßiges Schleifgeräusch zu hören, so als ob jemand eine Kiste oder einen Kübel über den Fußboden ziehen würde. Das war höchstverdächtig. Hans Helmut würde niemals etwas über den teuren Parkettboden ziehen aus Angst, einen Kratzer zu hinterlassen. Und dass er auf seine alten Tage plötzlich den Boden wischte, war erst recht außerhalb meiner Vorstellungskraft. Er würde doch nicht in einem Anfall von Midlife-Crisis Aktionskunst ausprobieren und ein Schüttbild produzieren? Vielleicht hätte ich ihn doch nicht ins nitsch museum schleifen sollen?

Stöhnend schleppte ich mich die Stiegen hinauf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Treppe ächzte solidarisch mit mir. Meine Schwiegereltern hatten seinerzeit anstelle der vorhandenen Falltreppe diese Lagerhausstiege einbauen lassen. Im Pfusch, versteht sich. Wie bei allem, was die Mosers anpackten, war auch hier kräftig gespart worden, und so hatte das arme Do-it-yourself-Konstrukt schon von Beginn an bei der geringsten Belastung gestöhnt. Bei mir war das Stöhnen erst mit zunehmendem Gewicht und Alter gekommen.

Mit jedem Schritt wurde nicht nur unser Ächzen, sondern auch dieses seltsame Geräusch lauter. Erst ein Scheppern. Und war das jetzt ein Flattern gewesen? Was machte der Mensch dadrinnen bloß?

»Hans Helmut?« Ich klopfte forsch.

Keine Antwort.

Verärgert riss ich die Tür auf. »Bist du nun auch noch taub, oder was?«

Ich stieß einen Schrei aus, als ein schwarzer Vogel aufflog. Panisch sprang ich zurück, donnerte geradewegs in die offene Tür und rammte mir dabei mit voller Wucht die Schnalle in den Rücken. Der Schmerz ließ mich zu Boden gehen. Wie in Trance verfolgte ich mit meinen Blicken den hysterischen Vogel, wie er orientierungslos Runde für Runde durch das Zimmer zog. Endlich ließ er sich auf einem der Dachbalken nieder. Doch von Beruhigung konnte gar keine Rede sein. Denn von ebendiesem Balken baumelte ein Seil.

Daran eine Schlinge.

Gottlob leer.

Darunter ein Stuhl. Umgefallen.

Daneben ein Karton, den der Wind über den Boden blies. Ein paar Zeichenblätter wirbelten durcheinander. Ein umgestürzter Plastikkübel drehte sich im Kreis.

Warum war es hier so zugig?

Ich rappelte mich mühsam hoch, was den dämlichen Vogel dazu bewog, seine Runden fortzusetzen. Doch plötzlich flatterte er auf und davon. Durch die Glaswand! Die keine intakte Wand mehr war.

Und jetzt erfasste mich erst recht die Panik. Die Schmerzen waren wie weggeblasen. Ich hastete hinüber. Blickte nach unten.

Erstarrte.

Der Schock lässt Menschen die seltsamsten Dinge tun.

Meine Lippen bewegten sich, als ob ein Puppenspieler an ihren Fäden zöge, und formten einen Satz: »Die sparsame Hausfrau ist die Mutter allen Reichtums.«

Ich erschrak über meine raue Stimme. Noch mehr über das Gesagte.

Weiß der Kuckuck, warum mein Unterbewusstsein ausgerechnet diese chinesische Weisheit ausspuckte, als ich meinen Mann dort unten im Teich treiben sah.

Es stimmt schon, dass Leitsätze wie dieser unsere fast dreißigjährige Beziehung geprägt hatten. Aber die ökonomische Grundhaltung meines Mannes war in seiner Weinviertler Lebensanschauung begründet und hatte gewiss nichts mit jahrtausendealter Weltkenntnis zu tun.

Außerdem hätte mir angesichts der Umstände eher »Wer billig kauft, bezahlt teuer« einfallen müssen. Die Scheibe wäre nicht zu Bruch gegangen, wenn wir, wie es in der Bauvorschrift stand, das teure Panzerglas eingebaut hätten. Stattdessen hatte Hans Helmut sich diese schlichte Glaswand aus einer aufgelassenen Fabrik erbettelt. »Sieht doch von Weitem keiner, ob die bruchsicher ist, Schatz.« Das hatte er nun davon!

Ich musste mich beim Vorbeugen gedankenlos mit der Hand an einem größeren Zacken abgestützt haben, denn mich durchfuhr ein scharfer Schmerz. Gleichzeitig stürzte eine riesige Glasscherbe in die Tiefe und zerschellte auf einem Zierstein neben dem Teich.

Mit einem Schlag wurde mir klar, warum mir dieser Satz mit der sparsamen Hausfrau eingefallen war. Hans Helmut selbst hatte ihn mir einst an den Kopf geworfen, als ich ihm die Idee mit dem Koiteich unterbreitet hatte. »Du hast sie ja nicht alle. Was das kostet!«

Dabei wollte ich einfach nur dieses ungenutzte Fleckchen Garten hübscher gestalten. Die Thujenhecke hatte mich schon immer gestört, aber meine Schwiegereltern waren mit den Nachbarn zerstritten gewesen und wollten keine Zaunspechte. Von dieser schrecklich toten Grünmauer wollte ich durch einen lebendigen bunten Teich ablenken.

»Schatz«, hatte Hans Helmut weiterdoziert, »für Kois brauchst du ein Zuchtbecken. Und überhaupt – bei den vielen Katzen in der Siedlung? Stell dir vor. Ein Biss und Hunderte Euro sind weg wie nichts! Ein kleiner Teich mit Goldfischen wird es wohl auch tun.«

Und dann war er mit diesem Spruch aus seiner Lieblingsserie »Die Rebellen vom Liang Shan Po« dahergekommen: »Die sparsame Hausfrau ist die Mutter allen Reichtums.«

Schrecklich zornig war ich gewesen, daher konnte ich mich ja so gut erinnern. Der Spruch und natürlich die Tatsache, dass er mit den Katzen ein überzeugendes Argument gehabt hatte, machten mich ganz wahnsinnig.

»Ich spare jetzt schon seit Ewigkeiten. Außerdem pfeif ich auf den Reichtum, wenn ich das Geld ja doch nicht ausgeben darf!«, hatte ich geschrien und zwei Tage nichts mit ihm geredet. Am dritten Tag hatte ich eingesehen, dass erstens das Schweigegelübde in Anwesenheit der Patientinnen schwer zu halten war und zweitens ein kleiner Seerosenteich besser war als gar nichts.

Hans Helmut hatte gegrinst und war mit mir ins Lagerhaus gefahren. Beim Graben des Lochs für die Plastikwanne hatte er sogar persönlich den Spaten geführt. Stolz hatte er mir die Blasen an seinen Händen gezeigt. »Die Weinviertler Erde ist hart und wenig herzlich«, hatte er lachend gesagt. Aber billig war es gewesen, das Selbergraben, keine Frage, und das machte wohl die Schwielen wieder wett.

Danach durfte ich mir meinen japanischen Garten anlegen, wie ich wollte. Mit jedem Jahr war er schmucker geworden. Richtig stimmungsvoll. Eine Oase der Ruhe.

Und jetzt ruhte Hans Helmut da unten inmitten der hübschen Seerosen. Auf seinem Rücken lag ein Teil der Pagode, einer Steinlaterne, die so gut ins Arrangement gepasst hatte. Mit dem Kopf war er im Brunnen zu liegen gekommen, direkt unter dem wasserspeienden Steinfisch, den er mir damals noch im selben Jahr voller Stolz zu Weihnachten präsentiert hatte. »Der war auch nicht gerade billig, Schatz, aber er kann von einer Katze bestenfalls angepinkelt werden.«

Wie zum Hohn spie dieser Fisch nun Wasser auf das blutige Haupt meines Mannes.

Zitternd betrachtete ich meine Hand. Auch sie war mittlerweile blutrot geworden. Und da erwachte ich aus meiner Schockstarre und schrie.

Und schrie …

Chefinspektor Hartinger muss zum Rapport

»Nicht jeder Ehemann, der vorzeitig sein Ende findet, ist notwendigerweise von seiner Frau ermordet worden, Hartinger«, sagt der Kastner. Er rollt mit seinem protzigen Chefsessel an den ebenso großkotzigen Schreibtisch, stützt sich auf die Ellbogen, faltet die Hände wie zum Gebet und beugt sich gönnerhaft nach vorne.

Und nicht jeder Staatsanwalt ist so ein Trottel, denkt sich der Hartinger. Aber er behält diese Erkenntnis lieber für sich. Weil, mit der Taktik, dem Kastner das ins Gesicht zu schleudern, ist er schon einmal baden gegangen. Heute hört er sich schweigend an, was der Chef alles zu sagen hat, bevor er zur Verteidigung ansetzt.

Obwohl. Einfallen würde ihm so einiges, was er erwidern könnte. Dass es bei solchen Fällen eine sehr hohe Dunkelziffer gibt, zum Beispiel. Dass Frauen zwar generell weit seltener morden als Männer, doch wenn sie es tun, dann im familiären Umkreis. Und dann trifft die letale weibliche Aggression mit hoher Wahrscheinlichkeit den Partner. Nicht zu vergessen, dass eine Frau beim Töten meist wesentlich geschickter vorgeht als ein Mann und deswegen oft erst gar nicht vor den Richter kommt. Außer sie gerät an jemanden wie ihn, den Chefinspektor Hartinger, der sich nicht wie der Kastner von einem süßen Lächeln täuschen lässt. Oder sich mit einem Kuchen bestechen lässt wie der Gruber, sein nerviger Azubi.

»Abgesehen davon, was das gekostet hat«, sagt der Kastner und unterbricht damit die Gedankenausflüge des Chefinspektors. »Ein Schwimmbecken wegreißen. Nur auf ein bloßes Hirngespinst hin. Was hast du dir dabei gedacht?«

Jetzt muss sich der Hartinger schon sehr auf die Zunge beißen, um nicht sofort dagegen anzuschreien. Dein lieber Kollege in Baden, der hat das ganz anders gesehen, hätte er erwidern können. Der hat sich von ermittlungsbasierten Argumenten überzeugen lassen und denkt nicht in banalen Gemeinplätzen, die er auf einem Leadership-Seminar gehört hat.

Außerdem. Ein Risiko, dass man falschliegt, gibt es bei so was immer. Wenn der Plan aufgegangen wäre, stünden sie jetzt als Helden da, die Kollegen aus Baden und er. Und der Kastner würde sich garantiert mitsonnen in dem Erfolg.

Aber was soll’s. Mit dem Herrn Staatsanwalt zu diskutieren, das bringt nichts. Darum schweigt der Hartinger weiter beharrlich und starrt stattdessen auf die Hände vom Kastner.

Der hat in der Zwischenzeit seine Finger verschränkt. Jetzt beugt er sich noch weiter nach vorne über den Schreibtisch, als ob er ihm ein großes Geheimnis anvertrauen wollte. »Schau, Hartinger«, sagt er jovial. »Warum probierst du es nicht wirklich einmal mit einer Psychotherapie? So ein Kindheitstrauma gehört aufgearbeitet. Auch wenn es schmerzt.«

Wenn der Hartinger so was wie einen Rauchmelder für seinen Blutdruck hätte, würde der todsicher anspringen. Sein Atem geht schwer, als er sich ebenso vorbeugt, bis er den Kastner mit seinem roten Schädel beinahe an der Stirn berührt. Der greift sich instinktiv an die Krawatte, bevor es der Hartinger tun kann.

»Ich sag dir was, Kastner«, zischt er zwischen den Zähnen hindurch. »Man hat mir als Kind gar keine Chance gelassen, ein ordentliches Trauma aufzubauen. Ständig haben sie in meinen Wunden gewühlt, die Psychotanten und -onkel. Die Sache ist austherapiert bis zum letzten Futzerl von einem seelischen Knacks. Und fang mir bitte nicht wieder an mit meinem angeblichen Frauenproblem!« Mit einem Ruck richtet er sich auf, dass sein Stuhl nach hinten kippt und mit einem Krachen umfällt.

Auch der Kastner springt auf. »Siehst du? Siehst du?«

»Seh ich was?«

»Wie aggressiv du bist! Das ist doch nicht normal. Jedes Mal, wenn ich dein Trauma andeute, rastest du aus.« Der Kastner zittert.

Der Hartinger auch, aber aus einem anderen Grund. »Weil mich deine ewigen Unterstellungen ankotzen, verdammt!«, schreit er. »Ich hab keinen Frauenkomplex. Kannst oder willst du das nicht begreifen?«

»Und warum bist du dann so versessen darauf, angebliche Schwarze Witwen hinter Gitter zu bringen? Das wird ja schon zu einer Manie bei dir. Erst die Wirtsschwestern und jetzt auch noch die arme Witwe von dem Kollegen in Baden. Dem Dingsda.«

»Moravec!« Der Hartinger wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, stellt den Stuhl wieder auf und fixiert sein Gegenüber. »Bist jetzt fertig?«

Ohne es zu wissen, ist der Kastner da in ein Wespennest getreten. Ein riesiger Schwarm Killerinsekten sticht auf den Hartinger ein. Seine Augen treten hervor. Der Hals wird immer dicker. Die Sache mit dem Moravec seiner Frau, der schönen Helene, treibt ihn ja selbst halb in den Wahnsinn. Egal, ob er sie zu Recht oder fälschlich verdächtigt hat, beide Szenarien sind gleich schlimm. Er hat die Sache vergurkt. Aus. Ende. Aber der Kastner hat ja keine Ahnung, was Sache ist.

»Hartinger? Hörst du mir überhaupt zu?« Der Kastner trommelt mit den Fingern auf den Tisch.

»Was?«

»Der Gruber«, sagt er und lässt sich wieder in seinen Sessel fallen. »Der hat mich gebeten, ihn jemand anderem zuzuteilen.«

»Mir egal. Einen Trottel weniger am Hals«, murmelt der Hartinger. »Kann ich jetzt gehen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, hastet er davon. Die Luft ist einfach zu dick dadrinnen.

»Man hat dir wen Neuen zugeteilt. Wartet im Büro auf dich!«, ruft der Herr Staatsanwalt ihm nach, aber da hat der Hartinger die Tür bereits hinter sich zugeworfen.

Stab und Stütze

»Hallo! Hallo!«

Jemand schüttelte mich sanft an den Schultern und zog mich in den Raum zurück. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«

Ich hob meinen Kopf und schaute in ein paar blaue Augen, die mich besorgt betrachteten. Das zugehörige Gesicht war mit einer goldenen, engelsartigen Lockenaura umkränzt, sodass ich kurzfristig dachte, ich wäre im Himmel. Dann fiel mir ein, dass ja nicht ich, sondern Hans Helmut tot war.

»Wer sind Sie?«, stammelte ich. »Und wie kommen Sie hier herein?«

»Martin«, erwiderte der Engelsgleiche. »Wieland Martin. Ich kam zufällig an Ihrem Haus vorbei und hörte einen Schrei. Die Tür stand offen, da bin ich dem Ruf gefolgt. Kann ich etwas für Sie tun, Frau …?«

»Moser. Mir kann niemand helfen. Und ihm schon gar nicht«, sagte ich und deutete auf das Loch in der Glaswand.

Vorsichtig trat der Mann an die Öffnung und spähte nach unten. Sog scharf Luft durch die Zähne und wandte sich wieder an mich. Mir rannen in der Zwischenzeit die Tränen über die Wangen.

»Ihr Mann?« Herr Wieland drückte mir etwas in die Hand. Ein Taschentuch.

Ich schnäuzte mich und nickte.

»Du meine Güte! Es tut mir so leid, Frau Moser. War er denn depressiv?«

Verwundert schaute ich auf. »Mein Mann?«

Ich folgte seinem Blick ins Atelier, wo er an der Schlinge hängen blieb. Die hatte ich völlig vergessen.

Meine Hand fuhr zum Mund, um einen erneuten Aufschrei zu unterdrücken. War Hans Helmut tatsächlich da hinunterge… hinunterge…? Hatte er den Mut zum Erhängen verloren und sich lieber in die Tiefe gestürzt?

Mein Unterbewusstsein wehrte sich in Form eines Bauchkrampfes heftig gegen diese Möglichkeit. Nein! Es musste ein Unfall gewesen sein. Ein fataler Ausrutscher. Aber was sollte dann der Strick da?

»Mein Gott, Sie kippen mir ja gleich um!«, rief Herr Wieland. »Was bin ich doch für ein Idiot.« Er legte mir sein elegantes Leinenjackett über. Es duftete dezent nach Lavendel und Kümmel.

»Besser nicht«, warf ich ein. »Ich blute Ihnen doch das teure Stück voll.«

»Darum machen Sie sich mal keine Sorgen«, sagte er. Sein Lächeln ermutigte mich, mich seinem Willen zu unterwerfen. Dann hob er mich einfach hoch, als ob ich keine fünfzig Kilo wöge, und trug mich zu dem kleinen Sofa hinüber, das noch aus der Zeit stammte, als hier oben unser Wohnzimmer gewesen war. An der Küchenzeile durchsuchte er diverse Laden und Schränke und kam mit einem Packen Servietten zurück.

»Drücken Sie die fest auf die Wunde, sie scheinen halbwegs sauber zu sein. Und außerdem denke ich, wir sollten dann mal die Rettung rufen, nicht wahr?« Er zog sein Smartphone aus der Tasche und wählte den Notruf. »Sie sind schon unterwegs«, sagte er. Dann ging er zurück zur Küchenzeile, spülte zwei Gläser aus, die auf der Anrichte standen, und befüllte sie mit Wasser.

In der Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit, den Raum aus meiner neuen Perspektive zu betrachten. Rund um den umgestoßenen Stuhl bei der Seilschlinge befanden sich wahllos verstreute Bilder auf dem Boden. Auf dem IKEA-Schreibtisch hinter der Staffelei sah es nicht besser aus. Farbtuben und eingetrocknete Pinsel lagen achtlos hingeworfen auf einem Stoß mit Bildern unterschiedlicher Größe, die sich wie nass gewordene und wieder getrocknete Zeitungsbögen in alle Richtungen aufwölbten. Daneben häuften sich schlampig hingeworfene Malfetzen und alte Zeitschriften. Abgesehen von der schrecklichen Unordnung beschämte mich der Schmutz der Vernachlässigung, der dem Zimmer anhaftete. Die abendliche Sonne schnitt erbarmungslos flimmernde Staubschneisen in die Luft. Spinnweben glitzerten im Dachgebälk. Hysterisch brummende Fliegen schlugen unaufhaltsam gegen die dreckigen Dachflächenfenster.

»Ich war schon lange nicht mehr hier oben«, entschuldigte ich mich. »Es sieht hier keineswegs immer so aus!« Der Mann musste ja glauben, ich wäre ein Messie.

»Trinken Sie das«, sagte er, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. Sein Glas leerte er in einem Zug. Kein Wunder. Trotz der gesprungenen Scheibe war es noch immer gewaltig heiß und stickig hier oben.

Kaum hatte auch ich mein Glas ausgetrunken, hörte ich schon das Martinshorn, und bald darauf ächzte die Treppe – verlässlich wie die Kirchenglocke.

»Oh-oh!«, sagte der Sanitäter, als ihm Herr Wieland Hans Helmut zeigte. »Dem können wir, fürchte ich, nicht mehr helfen.«

»Dies festzustellen ist wohl meine Sache«, warf der ihm nachkommende Notarzt forsch ein. »Wollen wir mal zusammen hinuntergehen?«

Ich führte die Männer nach unten und sperrte ihnen die Tür zum Garten auf. »Muss ich unbedingt mit raus?«, fragte ich mit bangem Herzen. Ich verspürte keine Lust, Hans Helmut und die ganze Sauerei aus der Nähe zu betrachten.

»Wo denken Sie hin!«, antwortete Herr Wieland, bevor der Notarzt anders entscheiden konnte. »Sie gehören sowieso verarztet, das übernehme ich. Das ist doch eine Ordination da vorne, oder?«

Ich nickte dankbar.

»Können Sie das denn?« Der Notarzt musterte Herrn Wieland skeptisch. Der lächelte gelassen. »Ich bin Arzt, Herr Kollege. Sie können beruhigt Ihrer Aufgabe da draußen nachgehen.«

Herr Wieland war ein wunderbarer Arzt. Einfühlsam. Zarte Hände. Flinke Finger. Der Verband war im Nu angelegt, und es tat kaum weh, als er meine Rippen untersuchte.

»Gebrochen ist nichts«, sagte er, »aber spüren werden Sie das noch einige Tage lang, fürchte ich. Klassisches Hämatom. Lassen Sie mich mal an den Medizinschrank, dann sehen wir, ob wir nicht was Geeignetes zum Schmieren finden.«

Mit einem Griff hatte er die richtige Salbe parat und massierte mir gleich sanft die erste Dosis auf die von der Türschnalle malträtierte Stelle. Auch ein passendes Schmerzmittel war schnell zur Hand. Er quetschte zwei Pillen aus dem Blister und reichte sie mir mit einem Glas Wasser.

»Heben Sie sich die für später auf. Ich werde Ihnen ein Beruhigungsmittel spritzen«, sagte der Notarzt. Er drängte Herrn Wieland zur Seite und klappte seine Arzttasche auf. Anscheinend vertrug es sich nicht mit seinem Berufsethos, sich die Notversorgung völlig nehmen zu lassen. Zuständig ist zuständig.

»Ich habe den Tod Ihres Mannes festgestellt«, erklärte er, während er die Spritze aufzog. »Und ich musste, wie es meine Pflicht ist, die Polizei verständigen. Ungeklärte Todesursache.«

Natürlich hatte ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass Hans Helmut tot war. Allein wie der Kopf … Aber jetzt so brutal von einem mir fremden Arzt hingeworfen zu bekommen, dass ich nicht nur Witwe geworden war, sondern auch noch die Polizei ihre Nase in meine traurigen Angelegenheiten stecken würde, das überstieg meine Schmerzgrenze.

Und nicht nur das. Ich zuckte zusammen, als die Injektionsnadel in mich hineinfuhr.

»Sie müssen schon stillhalten, Frau Moser!«, tadelte mich der Notarzt. Mir schossen die Tränen in den Augen. Ich wünschte, Herr Wieland hätte mir die Injektion verabreicht. Der Kerl hier hätte besser Veterinärmediziner werden sollen. Lieblos nahm er mir Herrn Wielands parfümiertes Jackett ab und legte mir stattdessen eine Aludecke mit Kuschelfaktor null um, die nach Desinfektionsmittel stank. Maß meinen Blutdruck und die Körpertemperatur wie ein Koch bei seinem Braten und nickte zufrieden.

Kaum dass er mit mir fertig war, schallte eine männliche Stimme vom Eingang herein. »Rühren Sie ja nichts an da draußen!«

Ich konnte gerade noch sehen, wie ein athletischer Mann in einer Lederjacke durch den Gang in den Garten hinaushastete. Ihm folgte eine Frau mit der Statur einer Basketballerin.

»Die Polizei, dein Freund und Helfer«, kommentierte der Notarzt und klappte sein Köfferchen zu. »Bin gleich wieder da.« Wichtigtuerisch folgte er den Polizisten.

Herr Wieland legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter.

Ich schaute dankbar zu ihm hoch. »Ich hoffe, ich halte Sie nicht von etwas Wichtigem ab«, sagte ich, nachdem ich festgestellt hatte, dass es bereits nach acht Uhr war. Draußen wurde es langsam dunkel, und eine frische Brise wehte von der offenen Tür herein.

»Kein Problem«, sagte Herr Wieland. »Außerdem glaube ich nicht, dass die Polizei mich so schnell gehen lässt. Immerhin bin ich ja Zeuge, nicht wahr?«

Plötzlich, wie aus dem Nichts, versperrte mir ein kindlich wirkendes Gesicht die Sicht auf ihn. Große dunkle Augen strahlten mich an.

»Frau Moser?«, fragte die junge Frau. Sie leckte sich einen Schweißtropfen von der Oberlippe. »Sind Sie in der Lage, ein paar Fragen zu beantworten?«

Ich bejahte.

Ihr fürsorglicher Blick kippte jedoch ins Nervöse, als der Typ mit der Lederjacke auf der Bildfläche erschien.

Herr Wieland trat ihm höflich entgegen. »Martin. Wieland Martin. Ich nehme an – Polizei?«

Der Polizist musterte ihn kalt, blieb ihm die Antwort aber schuldig.

Die junge Polizistin hatte offensichtlich eine bessere Kinderstube genossen als ihr Kollege. »Das ist Chefinspektor Norbert Hartinger, Landeskriminalamt Niederösterreich, und ich bin Bezirksinspektorin Ursula Kleine«, sprudelte es aus ihr heraus. Dann streckte sie Herrn Wieland erst ihre Marke und anschließend die Hand hin.

Frau Kleine! Wäre die Situation nicht so tragisch gewesen, ich hätte wohl gelacht. Die Frau war mindestens einen Meter neunzig groß. Was für eine Ironie des Schicksals!

»Da staun ich aber, dass hier gleich die Kripo auftaucht«, sagte Herr Wieland mit deutlich sarkastischem Unterton. »Österreichische Gründlichkeit? Ist mir was Neues.«

»Deutscher?« Der Polizist hob amüsiert die rechte Augenbraue.

»Gebürtig nicht. St. Pölten«, erwiderte er grimmig. »Ich wohne aber schon eine ganze Weile in Düsseldorf. Hab wohl schon einen leichten Akzent.«

Chefinspektor Hartinger nickte zufrieden. Sein Blick verdunkelte sich allerdings, als seine Assistentin erklärend sagte: »Wir waren zufällig in der Gegend. Einschulung.«

»Danke, Frau Kleine«, unterbrach er sie frostig. »Ich kann gut für mich selbst antworten. Und vorstellen tun wir uns in der Regel ohne Vornamen.«

Frau Kleine war ob des Rüffels ihres Chefs rot angelaufen. Wie zum eigenen Schutz zog sie mir die Decke wieder über die Schultern, weil sie mir beim Aufstehen verrutscht war.

»Soll ich Frau Moser nicht besser nach Hause bringen?«, stammelte sie.

»Sie bleiben bei mir. Die Spurensicherung wird gleich da sein, und wir zwei werden uns erst mal oben umsehen.« Zuvor schickte der Chefinspektor den Notarzt und die Sanitäter nach Hause und Herrn Wieland und mich ins Wartezimmer.

»So ein rüpelhafter Polizist ist mir im Leben noch nicht untergekommen«, schimpfte Herr Wieland, während er im Sprechzimmer alles wieder ordnungsgemäß an seinen Platz räumte. Im Wartezimmer, meiner natürlichen Umgebung, konnte ich mich endlich entspannen, vielleicht wirkte auch das Beruhigungsmittel schon. Bloß mein Temperaturhaushalt war etwas durcheinandergeraten.

»Sie Arme. Sie gehören doch ins warme Bett – und nicht an einen Tatort.« Herrn Wieland war es nicht entgangen, dass ich wieder zu zittern begonnen hatte. Er setzte sich zu mir und legte behutsam den Arm um mich.

Obwohl mir der Mensch völlig fremd war, kuschelte ich mich dankbar an ihn. Er strahlte so viel Wärme aus, körperlich wie mental. Er war garantiert ein toller Arzt. Vielleicht sogar Psychiater? In dem Moment wollte ich gar nicht in mein Bett, das ohnehin halb verwaist sein würde, sondern einfach nur so in seinen Armen sitzen bleiben. Selig schloss ich die Augen.

Leider hielt dieser wohlige Zustand nicht lange an.

»Die Spurensicherung schaut sich oben um, und der Gerichtsmediziner untersucht die Leiche Ihres Mannes«, sagte der Chefinspektor. »Einstweilen können wir ja schnell noch ein paar Daten aufnehmen.« Er rückte sich einen Stuhl heran. Seine Assistentin berührte mich sacht an der Schulter. Sie blieb stehen und betrachtete uns aus der Vogelperspektive.

»Frau Kleine, Sie werden die Aussagen festhalten«, befahl Hartinger.

»Darf ich das Handy?«, fragte sie unsicher. »Dann könnte ich alles später zu Hause abtippen.«

»In ganzen Sätzen bitte, Frau Kleine. Aber meinetwegen verwenden Sie das Ding, falls die beiden Zeugen nichts dagegen haben. Darf meine Kollegin die Befragung zum Zwecke der späteren Verschriftlichung aufnehmen?«, wandte er sich an uns.

Natürlich hatten wir nichts dagegen.

»Am besten fangen wir mit dem Zeugen an. Frau Moser, wenn Sie etwas einwenden oder ergänzen möchten, gerne. Erzählen Sie bitte die Vorkommnisse aus Ihrer Sicht, Herr … ähhh?«

»Herr Wieland«, sagte Frau Kleine, hockte sich nieder und hielt ihm aufmunternd ihr Handy hin.

»Martin«, sagte Herr Wieland.

Frau Kleine lächelte, während der Blick ihres Chefs eine Kröte zum Frieren gebracht hätte.

»Ich kam so circa um neunzehn Uhr dreißig hier am Haus vorbei«, begann Herr Wieland, »da hörte ich plötzlich einen verzweifelten Schrei. Also sah ich es als meine Menschenpflicht an, der Sache nachzugehen.«

»Wie sind Sie denn in das Haus hineingekommen, Herr Wieland?«

»Martin«, sagte Herr Wieland scharf. »Die Tür stand offen. Sonst hätte ich den Schrei ja wohl nicht gehört.«

»Gut. Was genau haben Sie gesehen, als Sie da oben angekommen sind? Versuchen Sie sich so akkurat wie möglich zu erinnern. Die ersten Eindrücke sind oft die wichtigsten.«

»Ich hab Frau Moser dort stehen sehen. Direkt vor dem Abgrund gewissermaßen. Ich glaube, sie hat mich nicht kommen gehört. Sie muss ja unter Schock gestanden haben.«

»Nicht interpretieren, Herr Wieland, bitte. Nur, was Sie beobachtet haben.«

»Martin«, seufzte Herr Wieland. »Gut, ich habe also beobachtet, wie Frau Moser in die Tiefe starrte, bin zu ihr hinübergeeilt und habe sie von der Kante weggezogen, damit sie nicht auch noch hinunterfällt.«

»Wieso ›auch noch‹? Sie konnten doch gar nicht wissen, dass Herr Moser da unten lag.«

»Mann! Aber jetzt weiß ich es. Soll ich weitermachen, oder wollen Sie mich gleich verhaften?«

Der Polizist hob kurz die rechte Augenbraue, bevor er weiterstichelte. »Warum waren Sie sich eigentlich so sicher, dass der Mensch tot war? Wissen Sie eigentlich, dass Sie wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden können, wenn sich herausstellt, dass Herr Moser noch gelebt hat?«

»Jetzt halten Sie mal die Luft an!« Herr Wieland war aufgesprungen und ein paar Schritte durchs Wartezimmer gelaufen. »Ich bin Arzt, sagte ich das nicht schon? Erstens war mir beim ersten Blick auf den Mann klar, dass da jede Hilfe zu spät kam. Und zweitens war Frau Moser hier verletzt und eventuell suizidgefährdet, ich musste mich zuerst um sie kümmern.«

Obwohl Herr Wieland schon ziemlich sauer wirkte, fuhr er fort. Schilderte, wie er mir sein Jackett umgelegt hatte, dann zur Küchenzeile hinübergegangen war, um mir ein Glas Wasser zu bringen.

»Sie sind durch den Tatort gelatscht? Das darf ja nicht wahr sein!« Hartinger verdrehte entnervt die Augen.

»Hören Sie. Frau Moser, der ging es – verständlicherweise – nicht gut. Ich musste doch vordergründig an sie denken und nicht an irgendwelche Spuren! Und wieso Tatort? Es handelt sich doch offensichtlich um … Ich weiß. Keine Interpretationen«, seufzte Herr Wieland, als Hartinger zum Einspruch anhob.

»Haben Sie da oben noch etwas angefasst?«, schnauzte der den armen Menschen an, als ob er eine Straftat begangen hätte.

»Keine Ahnung. Zwei Gläser Wasser hab ich uns eingeschenkt. Und dann hab ich noch etwas gesucht, um Frau Mosers Blutung zu stillen. Das ist ja wohl kein Verbrechen, oder?«

Hartinger seufzte. »Jede Menge Fingerabdrücke also. Die Spusi wird keine Freude mit Ihnen haben. Ist Ihnen sonst noch was aufgefallen – ganz spontan?«

»Das Seil. Ich dachte zunächst ja, Frau Moser wollte …«

»Lassen wir mal das Seil«, unterbrach ihn Hartinger. »Gehen wir ans Fenster zurück. Sie haben Frau Moser also heroisch vor einem möglichen Absturz gerettet. Haben Sie dabei auch nach unten gesehen?«

»Natürlich. Ich hab Frau Moser dann gefragt, ob der Tote ihr Mann ist – und sie hat mir das bestätigt.«

Hartinger wiegte seinen Kopf. Plötzlich fixierte er mich mit seinem stechenden Blick, bevor er sich wieder Herrn Wieland zuwandte. »Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, jemand könnte Herrn Moser gestoßen haben?«

Mein Herz unterbrach kurzfristig seine monotone Arbeit. Ich schnappte nach Luft.

»Nicht eine Sekunde!«, rief Herr Wieland entrüstet.

»Was macht Sie da so sicher, Herr Wieland?«

»Martin, verdammt! Ich heiße Martin«, schnaufte er.

»Hören Sie, Herr Wieland«, sagte Hartinger trocken, »bei uns ist es üblich, amtlich beim Nachnamen zu bleiben. Selbst bei guten Bekannten. Was wir beileibe nicht sind.« Obwohl er gar nichts aufschrieb, hatte er einen Kuli gezückt und malträtierte nun dessen Klickvorrichtung.

»Das versuch ich Ihnen seit einer Weile klarzumachen«, fuhr ihn Herr Wieland an. »Ich heiße Martin. Mit Nachnamen. Wieland ist der Vorname.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich?«

»Ich habe nie was anderes behauptet. Genau hinhören sollte man halt, guter Mann. Sie hören nämlich nur das, was Sie hören wollen. Das sollten Sie als Kriminalbeamter besser ablegen, sag ich mal salopp. Ich hatte mich als Martin vorgestellt. Wieland Martin. Wie Bond. James Bond. Mach ich immer so, eben um ein Missverständnis zu vermeiden. Kommt ja bei zwei Vornamen öfter vor.«

Ich bildete mir ein, dass über Frau Kleines hübsches Gesicht ein Lächeln huschte, die Visage ihres Chefs blieb hart wie Granit.

»Gut, Herr Martin«, sagte Hartinger. Dabei betonte er »Martin«, als wäre es der absurdeste Name auf Gottes Erdboden. »Formulieren wir es anders: Haben Sie sich nicht gefragt, wie der Herr Moser dorthin gekommen ist, in den Teich? Weil, eine Möglichkeit ist doch, dass er nicht freiwillig gesprungen ist.«

»Ja, sicher«, räumte Herr Martin ein. »Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass diese arme Frau hier …«

»Hab ich auch nie behauptet. Hm. Vielleicht haben Sie ihn ja zu zweit gestoßen? Und Frau Moser hat bloß geschrien, weil sie sich dabei geschnitten hat?«

Herr Martin schüttelte entsetzt den Kopf.

Frau Kleine räusperte sich vorsichtig. »Dürfte ich kurz etwas einwenden?« Sie hob leicht den Arm, als ob sie aufzeigen wollte wie in der Schule.

»Bitte, Frau Kleine. Was gibt’s?«

»Der Zeuge, Chef. Der Herr Martin. Der hat vorhin ausgesagt, dass er wegen dieses Schreis erst hier herauf ist. Wo er in der Folge die Frau Moser blutend vorgefunden hat. Also: Erst der Schrei, dann der Zeuge.«

»Sie meinen also, Frau Moser hat ihren Mann alleine geschubst?«

»Kann sein, theoretisch ja. Aber die Haustüre, Chef. Die stand offen. Also wenn ich vorhätte, meinen Mann zu töten, ich glaube, dann würde ich sicherheitshalber vorher die Türe schließen.«

»Gut, dass Sie nicht verheiratet sind, Frau Kleine«, murmelte Hartinger. Er nahm sie etwas zur Seite.

Trotzdem konnte ich genau hören, was er sagte. Mein Gehör funktionierte noch tadellos, trotz meines fortgeschrittenen Alters und des Stresses. Aber vielleicht war es ja auch Absicht vom Inspektor, damit ich wusste, was in seinem Kopf vorging?

»Und wenn Frau Moser es gar nicht geplant hat, Frau Kleine?«, flüsterte er. »Vielleicht hatten die beiden einen Streit, der dann eskaliert ist. Soll ja in den besten Ehen vorkommen, nicht wahr? Ich kann es nicht genug betonen: Es geht hier nicht darum, was wir glauben. Oder glauben wollen. Die arme Witwe auch noch zu verdächtigen – ich weiß! Das ist unangenehm und hart. Aber in unserem Job können wir uns keine Rührseligkeiten erlauben. Es ist nicht unsere Aufgabe, geliebt zu werden. Wir ermitteln in Mordfällen. Checken Fakten. Wir können es uns nicht leisten, eine Möglichkeit unbeachtet zu lassen. Und die Lebenspartnerin des Ermordeten nicht als Täterin in Betracht zu ziehen, wäre nachgerade fahrlässig.« Er schaute kurz in meine Richtung.

Kapierte er erst jetzt, dass ich alles mithörte? Oder kontrollierte er, ob ich auch ja alles verstand? Der Mensch machte mir Angst.

»Den Polizisten mit dem phantastischen Bauchgefühl«, fuhr er an seine Assistentin gewandt fort, »den gibt es bestenfalls in schlechten Krimiserien. Oder auch den asiatischen Auftragskiller mit dem Drachentattoo und einem tödlichen Wurfstern. Glauben Sie mir. Mörder tragen kein Etikett, in der Regel sehen sie aus wie du und ich.«

Frau Kleine blickte peinlich berührt von ihrem Chef zu mir und wieder zurück. Sie wusste, dass ich alles gehört hatte.

Auch Herr Martin schwieg betreten.

Mich hatte bei Hartingers belehrendem Monolog aber nicht nur die Tatsache betroffen gemacht, dass er mich eines Mordes für fähig hielt. Speziell die Erwähnung des tätowierten Asiaten war mir durch Mark und Bein gefahren. Die Chinesen hatte ich schon völlig verdrängt gehabt. Klar konnte es sein, dass sie Hans Helmut auf dem Gewissen hatten. Den Großen hätte es nicht viel Anstrengung gekostet, ihm den tödlichen Stoß zu versetzen. Bloß, wie sollte ich das dem Inspektor jetzt klarmachen? Damit machte ich mich ja erst recht verdächtig, wenn ich so aus heiterem Himmel mögliche Täter aus dem Hut zauberte. Die noch dazu einem Klischee entsprachen, das der Inspektor soeben verworfen hatte.

Ach was, sagte ich mir. Wenn diese Typen tatsächlich etwas mit Hans Helmuts Tod zu tun hatten, dann würde es hier heroben vor Spuren nur so wimmeln. Und überhaupt. Wenn die Asiaten nicht zuvor am falschen Haus geläutet hätten, hätte ich über deren Existenz ja auch nicht Bescheid gewusst. Sollte der arrogante Inspektor doch selbst herausfinden, was Sache war. Ich hatte keine Lust, mir weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Er sollte einfach nur gehen, damit ich mich endlich schlafen legen konnte!

»Gibt es noch etwas, was wir wissen sollten?«

»Hallo, Frau Moser! Möchten Sie noch etwas ergänzen?« Frau Kleine drückte sanft meinen Arm.

Ich schüttelte matt den Kopf.

»Ich glaube, das Beruhigungsmittel …«, sagte sie.

»Danke, Frau Kleine. Sie werden es nicht glauben, aber es ist mir nicht entgangen.« Zu mir gewandt, sagte Hartinger: »Wir wären hier fürs Erste fertig, müssen allerdings vorübergehend die Ordination sperren. Ich melde mich wieder, wenn die Ergebnisse der Obduktion Ihres Gatten verfügbar sind. Dann nehmen wir auch Ihre Aussage auf.«

»Kann ich denn morgen früh hier herein und den Patientinnen der nächsten Tage absagen?«, stammelte ich.

»Tut mir leid. Solange wir ein Verbrechen nicht ausschließen können, darf hier kein Unbefugter über die Schwelle. Wir werden auch den gesamten Eingangsbereich und den Garten absperren. Die Spurensicherung wird sich hier genauer umsehen müssen. Bringen Sie einfach vorne ein Schild an: ›Wegen Todesfalls geschlossen‹. Ihre Patienten werden sich ohnehin einen anderen Arzt suchen müssen.«

»Patientinnen«, wandte ich ganz automatisch ein. Als ob das jetzt was ausmachte.

»Sehr feinfühlig, Herr Kommissar«, sagte Herr Martin und drückte mich kurz an sich. »Ich mach das für Sie, Frau Moser, wenn Sie möchten.«

»Ach ja. Bevor Sie gehen, Herr Martin … Was führt Sie eigentlich hierher ins Weinviertel?«

»Muss ich mich jetzt rechtfertigen, wohin ich in Urlaub fahre?«

»Müssen Sie nicht. Es hätte mich nur interessiert.«

»Gut. Ich war in Wien auf einer Tagung, wenn Sie es genau wissen wollen. Können Sie gerne überprüfen. Und um der Hitze der Großstadt zu entfliehen, bin ich hier aufs Land rausgefahren. Genügt Ihnen das?«

»Vorerst ja, danke«, sagte Hartinger und grinste.

»Haben Sie denn Freunde, Familie, Nachbarn, die Sie anrufen könnten?«, fragte mich Frau Kleine besorgt.

»Danke, ich komme allein zurecht.«

»Ich bring Sie noch hinüber und schreib Ihnen das Schild«, sagte Herr Martin und schob mich zur Tür hinaus.

Wortlos sahen wir zu, wie sich Leute in weißen Schutzanzügen im Garten wichtigmachten.

Ich führte Herrn Martin ins Wohnzimmer und brachte ihm einen Karton und einen Plakatstift.

»Schön haben Sie es hier«, sagte er höflich.

»Möchten Sie einen Kaffee oder irgendetwas anderes zu trinken?« Auch im Stress wusste ich schließlich, was sich gehörte.

»Machen Sie sich um Gottes willen keine Umstände«, sagte er. »Ich schreib Ihnen das Schild. Dann bin ich auch schon wieder weg.«

Schwungvoll warf er in schönen großen Lettern »Wegen Todesfalls entfällt die Ordination bis auf Weiteres« auf den Karton, erbat sich ein paar Reißnägel und wandte sich zum Gehen.

An der Haustüre fixierte er mich noch einmal mit seinen schönen blauen Augen. »Sie gehören wirklich ins Bett, Frau Moser. Nach allem, was Sie durchgemacht haben«, sagte er. »Und sperren Sie alle Türen ab. Haben Sie auch einen Keller?«

Verwirrt schaute ich ihn an. »Nein. Nicht in diesem Haus. Wir haben es nicht unterkellert, wegen des hohen Grundwasserspiegels. Stattdessen haben wir Wirtschaftsräume hinten im Garten angelegt.«

»Ich dachte bloß, diese Tür hier …« Herr Martin lächelte.

»Ach, die. Die führt in die Garage, und die ist sowieso immer abgesperrt.« Ich lächelte tapfer zurück, obwohl mich bei dem Gedanken, dass sich draußen womöglich ein Mörder herumtrieb, ein mulmiges Gefühl überkam. Ich hätte dem Inspektor lieber doch von den Chinesen erzählen sollen, damit er mir eine Wache vor die Tür stellt, dachte ich. Jetzt war es dafür zu spät.

»Wenn es Ihnen nicht gut geht, wenn Sie sich fürchten …« Herr Martin hatte meine Angst wohl bemerkt. »Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen. Ich bin vorhin an einem Motel vorbeigefahren, dort bekomme ich bestimmt ein Zimmer. Morgen sehe ich noch einmal nach Ihnen, wenn es Ihnen recht ist.« Er steckte mir noch eine Visitenkarte zu, dann umarmte er mich kurz und ging.

Ich sah ihm noch zu, wie er das Plakat ans Gartentor pinnte, in sein schickes Auto stieg und um die Ecke fuhr. Das rot-weiße Band, das die Polizei durch den ganzen Vorgarten gespannt hatte, flatterte leise im Wind. Ich zog die Haustüre hinter mir zu und ging in die Küche. Am Nudelsalat tummelten sich grüne Schmeißfliegen. Ich kippte ihn in den Mülleimer und weinte.

Die Neue

»Mich vor den Verdächtigen bloßzustellen, Frau Kleine. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«, fährt der Hartinger seine junge Assistentin an. Er ist sowieso stinksauer, dass man ihm so ein Mäderl als Wauwau aufgehalst hat. Weil, die Absicht dahinter ist doch klar: Die soll auf ihn aufpassen, damit er sich nicht wieder fälschlich an unschuldigen Witwen vergreift. Für ein erfolgsgewohntes Alphatierchen wie den Hartinger eine Watschen sondergleichen. Dass das Mäderl auch noch einen halben Kopf größer ist als er und faktisch auf ihn herunterschaut, kratzt zusätzlich an seinem männlichen Ego.

Und wie zum Hohn wirft das Schicksal ihm gleich wieder so einen Fall vor die Füße, wo eine Gattin dem Mann Flügel verliehen hat. Engelsflügel wohlgemerkt. Und das oberg’scheite Nockerl – grün hinter den Ohren wie ein Laubfrosch – will ihn, den erfahrenen Chefinspektor, verbessern? Noch dazu vor den Verdächtigen!

Dass die Kleine eh schon ganz blass ist, merkt er gar nicht. Bevor sie zur Verteidigung ansetzen kann, bellt er sie gleich noch einmal an. »Es ist ja löblich, wenn Sie sich Ihre eigenen Gedanken machen. Aber diskutieren tun wir dann ohne Zeugen, wenn’s geht, Frau Kleine! Ich schau jetzt noch zum Gerichtsmediziner hinaus, ob der schon was festgestellt hat zum Tod vom Herrn Moser. Und Sie denken mal drüber nach, wie man sich einem Chef gegenüber korrekt verhält.«

Mit schnellen Schritten marschiert er in den Garten und lässt die arme Frau ganz einfach stehen. Die zittert, nicht nur wegen der forschen Worte ihres Chefs. Wo er recht hat, hat er recht. Mit ihren Einwänden hätte sie besser bis nachher gewartet. Aber wenn das so weitergeht mit ihm, dann wird das eine harte Zeit für sie.

Mit hängendem Kopf schleicht sie ihm nach, weil, was der Gerichtsmediziner zu sagen hat, das interessiert sie ja trotzdem.

»Was meinst, Berger?«, fragt der Hartinger gerade. »Gesprungen oder gesprungen worden?«

»Darüber kann ich im Moment nur spekulieren«, sagt der Gerichtsmediziner. »Die Scheibe ist jedenfalls nicht schon vorher zerschlagen worden. Jede Menge Schnittwunden im Gesicht und an den Händen der Leiche, schau!«

Zusammen stellen sie fest, dass das Opfer gestürzt sein muss, nicht gesprungen. Sonst wäre der Mann weiter hinten, vermutlich in den Thujen, gelandet.

»Der ist gefallen, als ob dort kein Glas gewesen wäre. Runter wie vom Zehn-Meter-Turm ohne Anlauf. Bauchfleck«, meint der Berger.

»Irgendwelche verwertbaren Spuren, dass er gestoßen worden ist?«, fragt der Hartinger.

»Dafür muss ich mir die Leiche erst genauer ansehen. Andererseits – würdest du dich durch eine Glaswand fallen lassen, wennst dich umbringen möchtest? Also ich würd vorher das Fenster aufmachen. Du nicht?«

»Ein Fenster zum Aufmachen hat’s nicht gegeben. Nur Kippfenster in unerreichbarer Höhe«, sagt der Hartinger. Er kniet sich auf den Boden, hebt eine Scherbe auf und hält sie dem Gerichtsmediziner hin. »Ziemlich dünn für so eine Glaswand im Dachgeschoss, was?«

»Dass die Behörden das haben durchgehen lassen, wundert mich auch. Ordnungsgemäß abgenommen hat das sicher niemand. Da wird die Versicherung die Witwe auf ihren Kosten sitzen lassen.«

»Apropos Witwe. Hätte sie viel Kraft gebraucht, um ihren Gatten durchs Glas zu schubsen?«

Der Berger grinst. »Ich kann nachschauen, ob ich am Rücken entsprechende Abdrücke oder Hämatome feststellen kann. Den Rest musst du selber rausfinden.«

»Kannst mir schon was über den ungefähren Todeszeitpunkt sagen?«

»Der Mann war laut Rektalmessung vermutlich noch keine zwei Stunden tot, als ihn seine Frau gefunden hat.«

»Du meinst, als sie uns angerufen hat.«

»Du spekulierst. Ich arbeite wissenschaftlich«, sagt der Berger. Er grinst erneut und packt sein Köfferl zusammen. »Morgen zehn Uhr«, sagt er.

Fundstücke

Das Beruhigungsmittel, das mir der Notarzt gespritzt hatte, ließ gegen vier Uhr früh nach. Ich wälzte mich im Bett herum, und meine Gedanken kreisten, ohne Ergebnis. Meine Unruhe wuchs. Schließlich hielt ich es nicht länger aus.

Ich ging zum Fenster und blickte hinüber zur Ordination. An der Haustüre klebte ein Zettel. Der gehörte vermutlich zu einem polizeilichen Siegel, welches ein unbefugtes Eintreten unterbinden sollte. Ob sie wohl auch den Kellerabgang dicht gemacht hatten?

Zwischen unser Haus und die Ordination hatten wir eine Garage gequetscht, aus der wir theoretisch trockenen Fußes in beide Gebäude gehen konnten. Den Eingang von der Garage ins Wohnhaus benutzte ich, wenn ich mit dem Auto vom Einkaufen kam. Zur Ordination ging ich hingegen immer über den Gartenweg und zum Haupteingang hinein. Durch die Garage war es eng, und man kam wegen der unterschiedlichen Niveaus der beiden Häuser zuerst in den Keller und musste dann über eine schmale Treppe wieder hochsteigen. Viel zu umständlich für den Alltag.

Jetzt kam mir diese Zugangsmöglichkeit jedoch sehr gelegen. Ich zog mir den Morgenmantel über, zwängte mich hinter dem Auto durch zur Feuertür und schloss sie auf. Ein modriger Geruch schlug mir entgegen. Hier war schon eine Ewigkeit niemand mehr gewesen. Abgesehen von einer Anzahl von Klein- und Kleinsttieren, die es sich über die Jahre gemütlich gemacht hatten. Besonders der Kelleraufgang war nichts für Arachnophobiker. Das ganze Treppenhaus musste ich unbedingt mal ordentlich sauber machen!

Die Kellertür ins alte Haus war, wie ich gehofft hatte, nicht versiegelt. Ich zog mir sicherheitshalber die verstaubten Schuhe aus und sah mich vorsichtig um. An der Ordination klebte ein Siegel, aber das Wartezimmer war offen.

Ich zwängte mich zunächst durch das Schwingtürchen in meine Empfangsloge – der Frotteemantel war meiner Figur wirklich nicht zuträglich – und stellte mit Freuden fest, dass die Polizisten auch die Verbindungstür von meinem Arbeitsplatz in die Ordination übersehen hatten. Ich hatte keinerlei Skrupel, sie zu benutzen, um mal kurz nach dem Rechten zu sehen. Spuren von mir gab es hier ja zuhauf, da kam es auf die eine oder andere mehr nicht an.

Schon gestern, als mich Herr Martin hier herinnen verarztet hatte, war mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Alles an seinem Platz.

Ich zog die Laden mit den Patientinnendateien auf. Tipptopp in Schuss. Auch der Praxisraum bot sich mir wie immer dar. Die Faltrollos am Fenster waren herabgezogen. Die Liege und der gynäkologische Stuhl sorgsam mit einem frischen Papier überzogen. Weder das Waschbecken mit dem Desinfektionsspender noch das fahrbare Ultraschallgerät wiesen offensichtliche Fremdspuren auf. Alles blank geputzt. Ein Blick hinter den Paravent, der den Patientinnen Privatsphäre beim Umziehen gewähren sollte, bestätigte mir: Auch hier würde ein Spurensucher nichts finden.

Mein nächstes Untersuchungsobjekt war der Medikamentenschrank. Wir führten ja keine umfangreiche Hausapotheke, aber auch ein Frauenarzt bekam eine erkleckliche Menge an Ärztemustern von den Vertretern geschenkt, die mein Sparefroh gerne an Patientinnen weiterverkaufte. Ich fand das ein wenig peinlich, aber Hans Helmut hatte immer gemeint, dass mich das nichts anginge, ich sei bloß für die Ordnung im Arzneischrank zuständig. Alle paar Wochen durchforstete ich den Schrank und ordnete alles nach Ablaufdatum wie in der Billa – neu eingegangene Packungen hinten, ältere vorne. Abgelaufene Präparate entsorgte ich, bevor Hans Helmut auf die Idee kommen konnte, sie doch noch in Umlauf zu bringen. »Was kann schon passieren, Schatz, wegen ein paar Wochen?« Immerhin waren wir uns in einem Punkt einig gewesen: keine Verschwendung.

Genau dieser Gedanke kam mir auch jetzt. Was würde mit all diesen Medikamenten geschehen? Würde die Polizei sie beschlagnahmen? Wäre doch schade darum! Vielleicht konnte ein Kollege damit etwas anfangen. Ich holte mir also einen Plastikbeutel und schob die neueren Sachen hinein. Sollten sie doch das Zeug mitnehmen, das ohnehin bald nicht mehr zu verwenden war.

Blieb nur noch der kleine Kühlschrank, in dem heiklere Sachen wie Impfstoffe und dergleichen gelagert waren. Viel war da nie drinnen, aber ich hatte erst vor ein paar Tagen ein Paket von der Apotheke geholt, das sofort in den Kühlschrank gemusst hatte: ein Botoxpräparat für eine Patientin mit Krampfproblemen in der Scheide. Sie hätte demnächst einer diesbezüglichen Operation unterzogen werden sollen. Das Medikament würde ich der Patientin am besten direkt zukommen lassen. Es war ziemlich teuer gewesen, und sie konnte es sich dann ja von einem anderen Arzt spritzen lassen.

Ich seufzte bei dem Gedanken, dass auch die restlichen Klientinnen sich nach jemand anderem umschauen mussten. Ich konnte es einfach nicht glauben. Hier war doch noch alles so wie früher!

Ich wischte mir eine Träne weg, öffnete den Kühlschrank und staunte. Völlig vereist. Auf höchste Kühlstufe gestellt. Das Gefrierfach halb offen. Das war völlig untypisch für meinen Mann. Als wär es heute gewesen, sah ich im Geiste sein entsetztes Gesicht vor mir, wenn die Kinder die Kühlschranktür zu lange offen stehen gelassen hatten. »Türe zu! Das Gerät vereist ja völlig.«

Aber das, womit der Eiskasten vollgestopft war, war noch viel obskurer. Ich zog zwei große Säcke mit riesigen chinesischen Schriftzeichen darauf hervor. Teigtascherl! Hatten die zwei Chinesen also tatsächlich Essen geliefert? Aber Hans Helmut hasste chinesisches Essen! Die Sache wurde immer mysteriöser.

Hinter die Teigtascherl hatte er einige Barren indische Butter gestopft. Wie idiotisch war das denn, Butter aus Indien zu importieren? Bei dem CO2-Fußabdruck! Außerdem wusste man da ja nie, wie es mit den Hygienebedingungen an den Produktionsstätten aussah. Mein Mann wurde mir immer fremder. Trotzdem packte ich das Zeug in den Sack. Ich konnte ja mal dran riechen, bevor ich es entsorgte.

Die Botoxpackung war ganz nach hinten gerutscht. Ich hoffte, dass das Mittel die Kälte überlebt hatte. Soviel ich wusste, konnten sowohl zu hohe als auch zu niedrige Temperaturen den Wirkungsgrad von Botox deutlich verringern.

Im Kühlschrank standen nur noch zwei Flaschen Wasser. Ich drehte den Schalter zurück auf Minimalleistung und schloss sorgsam das Gefrierfach. Hier war ich fertig.

Blieb nur noch der Schreibtisch, an den ich mich jetzt mit einem mulmigen Gefühl im Bauch setzte. Würde ich hier Aufklärung für Hans Helmuts Absprung finden?

Die Perspektive war für mich ungewohnt. Der Chefsessel war alleinig für den Herrn Doktor bestimmt gewesen. An der linken Seite hatte er seinen Computer stehen, daneben das Telefon. Ich streifte mir Einmalhandschuhe über, denn hier hatten meine Fingerabdrücke eigentlich nichts verloren, und checkte zunächst seinen Anrufbeantworter. Er war leer. Alles gelöscht. Keine chinesischen oder sonstigen Drohanrufe. Immerhin.

Als Nächstes fuhr ich den Computer hoch. Das Passwort war kein Problem, Hans Helmut hatte überall dasselbe: den Mädchennamen und das Geburtsdatum seiner Mutter. »AnneHrdy*1605«.

»Da ist alles drin, was ein gutes Passwort braucht, Schatz. Sonderzeichen, Klein- und Großschreibung, Zahlen.«

Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen, als ich seinen Mailverkehr durchsah. War das nun – auch posthum noch – Vertrauensmissbrauch? Verstoß gegen das Briefgeheimnis?

Die Gedanken hatte ich mir umsonst gemacht. Alle eingegangenen Mails schienen rein geschäftlicher Natur zu sein. Hauptsächlich waren es Anzeigen von Pharmafirmen oder Werbeinfos über die neuesten Errungenschaften im Gerätesektor. Das bekam ich sowieso auch alles auf meinen Computer.

Im Ordner »gesendete Objekte« gab es ein paar private Mails. Praktischerweise hatte Hans Helmut immer die vollständigen »AW:AW:«-Schlangen hinterlassen, sodass ich bequem ganze Konversationen nachverfolgen konnte. Aber auch hier war nichts Verdächtiges zu entdecken. Hauptsächlich handelte es sich um Schreiben junger Mütter, die Bildchen ihrer Neugeborenen schickten und sich herzlich bedankten.

Blieb nur noch der Ordner »Entwürfe«. Hier fand ich einen Eintrag. Schon beim Lesen des Betreffs bekam ich zittrige Knie.

Der Hartinger und die Frauen

Dass er in anderer Leute Vergangenheit wühlen muss, ist der Hartinger ja gewöhnt, das gehört zu seinem Job. Dass man in letzter Zeit aber ständig in seinen eigenen Altlasten stochert, nervt ihn schon gewaltig. Den ganzen Abend lang hat er, unterstützt von ein paar Flaschen Bier, über sein Verhältnis zu Frauen nachgegrübelt. Und er ist – wie immer – zum selben Ergebnis gekommen.

Er – ein Frauenhasser? Lächerlich. Er mag Frauen. Immer schon. Und sie ihn. Das mit der Mutter ist jetzt beinahe vierzig Jahre her. Und dass deswegen seine beiden Ehen nicht funktioniert hätten, das ist barer Unsinn. Ein Hirngespinst vom Kastner. Die Erste, die Veronika. Die hätte er von vornherein nicht heiraten dürfen. Weil, nur damit du eine hübsche Frau an deiner Seite hast, das ist halt ein recht dürftiges Fundament für eine Ehe. Das hatte er auch bald begriffen. Trial and Error eben – Versuch und Irrtum. Die Veronika war nämlich nur blond. Zwar nicht Natur, aber trotzdem. Die Tatsache, dass sie ihn verlassen hat, hat ihn nicht sonderlich erschüttert. Nur dass sie es wegen eines anderen Kerls getan hat, das fuchst ihn noch heute. Weil, für einen gekränkten Mann sind die bedauernden Blicke der Kollegen das Schlimmste überhaupt. In Wirklichkeit steht ihnen die Schadenfreude ja ins Gesicht geschrieben. »Das hast jetzt davon, Hartinger, weil du sie wegen der Karriere vernachlässigt hast. Oder warst ihr vielleicht im Bett nicht gut genug?«

Noch jetzt, nach so vielen Jahren, wird ihm heiß, wenn er daran denkt.

Wie auch immer. Die Lücke, die die Veronika hinterließ, war nicht allzu groß, außer im Ehebett vielleicht. Da hat man das Vakuum ja quasi direkt vor Augen, wenn das Bett halb leer steht.