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Hiermit endet die „Federleicht“-Trilogie, doch auch dieses Mal wird es nicht einfach für alle werden. Es wird sich herausstellen, ob wir die richtigen Blüten mitgebracht haben und ob die Keas daraus ein Heilmittel für Tütelütü herstellen können. Außerdem wird sich zeigen, warum die komische Ente ganz versessen auf Steine ist und was Tinti dabei für eine Rolle spielt. Natürlich freuen wir uns auf ein Wiedersehen mit unseren Eltern sowie mit allen zurückgelassenen Freunden und hoffen darauf, dass der Heimbaum das Unwetter gut überstanden hat. Es wird aufgelöst werden, warum Zuckerschnute den Pfeifhasen verfolgt hat, weshalb er Deprimus unter einem Pflanzenhaufen begräbt und wie Frau Platsch den Bären zum Weinen bringt. Ihr werdet starke Nerven brauchen, um den nächtlichen Anschlag auf einen unserer Freunde wohlbehalten zu überstehen! Wenn alles gut verläuft, können wir uns auf dem großen Fest über unser federleichtes Abenteuer unterhalten und gemeinsam über das Erlebte lachen. Blaukäppchen ist eine nachdenkliche, junge Blaumeise, die im Papolupatal flügge geworden ist. Mit seinen Geschwistern begab er sich auf eine Reise, die zum Ziel hatte, das Federproblem der Ente Tütelütü zu lösen. Im letzten Teil der federleichten Geschichte wird sich zeigen, welche Hindernisse noch überwunden werden müssen und wie sich alles am Ende zusammenfügt. Natürlich wird es auch wieder so manche unerwartete Wendung geben, aber das brauche ich denen ja nicht zu erzählen, die Blaukäppchens Abenteuer bis hierher begleitet haben. Die Autoren P. C. Nunes Monteiro und J. Roos entführen uns erneut in die große Welt der ungewöhnlichen Tiere und lassen uns am dritten Teil ihrer „Federleicht“-Trilogie teilhaben. Eine Geschichte, die wieder von Mut, Hilfsbereitschaft, Familie, Freundschaften und Werten erzählt – gewürzt mit unerwarteten Ereignissen, kleinen sowie großen Gefühlen und jeder Menge Spaß!
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Seitenzahl: 358
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Fantasie ist wichtig, denn was nützt einem Schlauheit, wenn man sich nichts vorstellen kann?
Bickamuck, Kea
In „Ein federleichter Anfang“ und „Die federleichte Rückkehr“ wart ihr hoffentlich schon unsere Begleiter! Dann habt ihr nämlich miterlebt, wie wir jungen Blaumeisen unsere Eier und später die Behausung verlassen haben. So wisst ihr jetzt auch, dass wir mittlerweile zu stattlichen Jungvögeln herangewachsen sind und warum Tütelütü der Grund für unsere Abenteuerreise war.
Mit Tornado, meinen Geschwistern und mir seid ihr auf den Tafelberg geflogen. Dort habt ihr miterlebt, wie wir auf Flippi und Rollo de la muerte trafen, die uns halfen, den Seerosenteich zu finden. Ihr lerntet auf unserer Reise Nuffel kennen, genau wie die Kattas und Fefelosa, das zornige Flusspferd.
Nachdem wir mit Deprimus in Richtung Sterne geflogen waren, schwebten wir nun mit ihm hinab zur Keainsel, wo Tütelütü sicher schon ungeduldig auf unsere Ankunft warten würde.
Unterdessen mussten Mama und Papa eigene Abenteuer bestehen. Frau Platsch hatte nämlich eines Morgens berichtet, dass sich ein Verwandter unserer Eltern in den Bergen verletzt habe. Dies zog den unmittelbaren Aufbruch von Mama und Papa nach sich, damit sie ihm zu Hilfe eilen konnten. Zu Onkel Butterschnabels Glück hatten die Bewohner des Rabenhorns ihn jedoch schon entdeckt und versorgt. Nachdem ihre Begleitung in einem spannenden Wettkampf ermittelt worden war, machten sie sich mit Onkel Butterschnabel und den drei Siegerteams wieder auf den Rückweg.
Am Lupa, kurz vor Erreichen ihres Ziels, fiel Chismu aus den Wolken und riss Hornrich mit ins Wasser. Gemeinsam wurden die beiden vom Strudel eingefangen, konnten aber wieder gerettet werden. Am Regenbogensee endete ihre Geschichte damit, dass sie auf unsere und ihre Freunde trafen.
Wenn ihr wissen wollt, ob der komischen kleinen Ente wieder Federn wachsen werden, wie der Katta unserer Eule helfen kann und welche Rolle Zuckerschnute in dem neuen Abenteuer spielt, kommt nun mit mir und hofft, dass die Federn auch für dieses Abenteuer kräftig genug sein werden!
Euer Blaukäppchen
Es ordnet sich
Eiland der Ungeduld
Alles wird gut
Kraut und Rüben
Platsch und Klatsch
Kleine, anscheinend unscheinbar
Kreaturen der Finsternis
Morgenerwachen der Schuld
Wahnwitz und Wesenheiten
Rabatz und Höhlenhatz
Qualen der Einsamkeit
Geflochtenes, Geplänkel, Gewäsch
Pfad der Erlösung
Besonnenheit, Misslichkeit, Schlauheit
Rund ums Graben
Es beginnt bald!
Es beginnt niemals!
Der Blaublütenbach
Reines Wasser eingetrübt
Ich war da …
Nichts ist vorhersehbar!
Nachdem sich alle untereinander bekannt gemacht hatten, hielt die Normalität wieder Einzug. Einige berichteten davon, was ihnen auf ihrer Reise widerfahren war, während andere einfach nur zuhörten. Arle und Gego fanden auf diese Weise heraus, welche merkwürdig miteinander verflochtenen Ereignisse ihre Kleinen dazu gebracht hatten, sich mit Tornado hinauf auf das Plateau zu begeben.
Natürlich hing die Lebendigkeit der jeweiligen Erzählung stark davon ab, wie intensiv der Erzählende die eigene Geschichte abermals durchlebte oder welche Gefühle dadurch bei ihm freigesetzt wurden. So waren die Schilderungen der Biberfrau Leinia deutlich sachlicher als die emotionsüberladenen Darstellungen des Grünspechtes. Auch die gefühlte Dauer der jeweiligen Geschichten unterschied sich deutlich voneinander. Manchmal wirkte sie kurz, obwohl sie eigentlich recht lang war, ein anderes Mal verhielt es sich genau umgekehrt!
Als Pepe´leoh erzählte, dachte jeder, er hätte gerade erst mit seiner Geschichte begonnen, auch wenn das gar nicht stimmte. Das lag natürlich an der lebhaften Art des Pfeifhasen und an seiner spannenden Erzählweise. Im Gegensatz dazu trat bei der Ente das Gefühl auf, es wäre schon deutlich mehr als genug gesagt worden. Ständig musste man sich fragen, wann sie endlich zum Punkt kommen würde und was sie eigentlich zu sagen versuchte.
So wurde die Kombinationsgabe der beiden Blaumeisen auf eine harte Probe gestellt, als sie auf Tütelütü trafen. Ihr federloser Körper war übersät von einem kräftigen Ausschlag, weswegen sie sich ständig irgendwo kratzen musste. Die wirre Schilderung ihrer Erlebnisse konnte da auch nicht zu einer Verbesserung ihres Gesamteindruckes führen: „Wir waren gerade mit dem Floß auf dem Regenbogensee unterwegs, da sah ich den Igel. Den da“, sie deutete mit ihrem Schnabel auf Kleimi, der unmittelbar neben ihr stand, „wie er vom Ufer zu uns herüberwinkte. Wir fuhren auf ihn zu, doch dann sah Armana mit ihren scharfen Augen eine Kokosnuss im See treiben. Wir sind dann direkt zu ihr geschwommen, mit dem Floß, und haben sie zu uns geholt. Die Kokosnuss, meine ich!“ Tütelütü erhob ihr mit der Kiwischale gekröntes Haupt zum Himmel und neigte es gleichzeitig zur Seite, während nur ihr blaues Auge geöffnet war. Sodann neigte sie es zur anderen Seite und öffnete nur ihr rotes Auge. Nun riss sie beide Augen weit auf und fuhr schnatternd fort: „Ich konnte mein Glück kaum fassen, denn da waren tatsächlich Seerosenblüten drin, und die brauchen die Wissenswichtel nun mal, um für mich einen tollen Federwichteltrank zu machen!“, sie hielt inne und begann, sich mit ihrem Fuß leidenschaftlich unter dem Seerosenblatt zu kratzen, welches sie wie einen Überwurf trug. „Leinia ist dann ins Wasser gesprungen und hat die Kokosnuss auf unser Floß geschubst. Als Armana und Bickamuck sie untersuchten, entdeckten die Wissenswichtel dabei die Seerosenblüten in der Nuss. Natürlich wachsen diese nicht darin, weil sie dort selbstverständlich kein Licht haben. Man hat sie demzufolge absichtlich dort hineingetan!“, es folgte eine bedeutungsvolle Pause, in der sie nur ihr rotes Auge geöffnet hatte. „Dann ist Pinselohr ins Wasser gefallen, ich habe an den Blüten geknabbert und die Schlauwichtel haben mit mir deswegen geschimpft! Damals wusste ich ja noch nicht, dass man davon Ausschlag bekommt. Also hatten meine Kollegen vollkommen recht damit, dass ich nicht von den Blüten hätte essen sollen!“, schloss sie ihre Erzählung.
Mit „damals“ meinte Tütelütü den Zeitpunkt, bevor das Floß das Ufer erreicht hatte – also vor einigen Augenblicken. Bickamuck und Armana hatten ihr nachdrücklich gesagt, dass die Blüten unbehandelt bei ihr Ausschlag hervorrufen würden und sie sofort damit aufhören solle, sich diese in den Schnabel zu stopfen. Tütelütü beendete nun ihr Gespräch mit den beiden Blaumeisen, oder vielmehr ihren Monolog, und watschelte auf Gotondro zu.
„Was hat die denn gewollt?“, fragte Gego verwirrt seine Gefährtin.
„Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie der Grund dafür war, dass unsere Kleinen auf den Tafelberg geflogen sind!“, presste Arle zwischen ihrem Schnabel hervor.
Die Ente hatte sich zwischenzeitlich vor Gotondro aufgebaut und sah ihn einen Moment nur mit dem roten Auge an, bevor sie zu ihm gefühlvoll sagte: „Hallo, ich bin Tütelütü!“, sie schloss das rote Auge, um ihn mit ihrem blauen Auge, dem prüfenden, genau zu mustern. Gotondro stellte sich nun ebenfalls vor, neigte seinen Kopf, zupfte einige Halme von einem Grasbüschel ab und kaute bedächtig darauf herum.
„Einen schönen Hut trägst du da, wirklich eine tolle Arbeit! Ich trage auch für mein Leben gerne Hüte, nur meiner hat die beste Zeit schon hinter sich, wie du ja unschwer erkennen kannst. Hast du bemerkt, dass er einer Kiwi nachempfunden wurde?“, sie wartete auf einen Kommentar des Steinbockes, der jedoch ausblieb. So öffnete sie wieder beide Augen und ihren Schnabel: „Leider fallen ja neue Hüte nicht einfach aus dem Himmel, alte natürlich auch nicht. Obwohl mein Hut eines schönen Tages einfach im See trieb – woher der auch immer gekommen sein mag. Plötzlich war er da und schwamm dort so für sich herum, ganz so, als hätte er nur auf mich gewartet!“ Sie besah sich nochmals ganz genau den Hut des Steinbocks und watschelte auf Hornrich, Chismu und Onkel Butterschnabel zu, während der zurückbleibende Gotondro sich verwundert fragte, was die Ente gerade eigentlich von ihm gewollt hatte!
Aber auch zwischen anderen Gesprächspartnern traten durchaus kleinere Verständnisschwierigkeiten auf. Bickabolo hockte beispielsweise neben Schnuddel und suchte mit seinen Augen gründlich die Umgebung ab. Dann lehnte er sich vertraulich zu dem Grünspecht hinüber und fragte flüsternd: „Hat dich jemand nach mir gefragt? Wer ist dir gefolgt? Wurdest du beobachtet?“
Schnuddel, der mit den Eigenarten des Nacktschnabelhähers noch nicht vertraut war, nahm sich einen Moment Zeit, um eine geeignete Antwort zu formulieren. Unterdessen lehnte sich der Nacktschnabelhäher noch ein Stück weiter zu ihm hinüber und nickte wissend. Vermutlich war er mal wieder überzeugt davon, jemanden entlarvt zu haben.
„Mitnichten, werter Recke!“, antwortete Schnuddel forsch, mit kräftiger Stimme, worauf der Nacktschnabelhäher blitzartig zurückzuckte. „Selbstverständlich wäre es mir eine Ehre gewesen, deinen Namen in Zusammenhang mit dem meinen zu nennen. Zu dieser Zeit hatten sich aber unsere Wege noch nicht gekreuzt und so wäre mir dies als höchst unehrenhaft erschienen. Darüber hinaus muss ich dir zu meiner Schmach noch eine weitere Enttäuschung bereiten, wofür ich vorsorglich um Vergebung bitte. Leider konnte ich niemanden beobachten, der mir ruchlos gefolgt wäre, und ich kann lediglich zu meiner Rechtfertigung vorbringen, dass ich mich durch mein Wort verpflichtet hatte, unser Gefährt durch die Widrigkeiten der Natur zu steuern. Auch mag es daran gelegen haben, dass meine Gedanken länger als notwendig bei den kleinen Recken verweilten. Selbst die hehre Aufgabe, die sie im Namen der Ehre zu erledigen suchen, tröstet mich nicht über ihre Abwesenheit hinweg – sie fehlen mir ach so sehr!“
Bickabolo machte einen nachdenklichen Eindruck, bewegte seinen Kopf bedächtig von der einen zur anderen Seite, schaute den Grünspecht an, bevor er in Ermangelung einer sinnhaften Antwort nachdrücklich krähte: „Gut!“
Zu seinem Glück bewahrte ihn Spitzer vor weiteren Ausführungen darüber, was er eigentlich gut finden würde. Der Biber rief jetzt mit kräftiger Stimme: „Es wird nun Zeit, dass wir zur Insel aufbrechen. Ansonsten wird es nämlich zu dunkel werden, um den rechten Weg zu finden. Schnell kann man dann Dinge übersehen, die aus dem Wasser herausragen, und wir wollen ja schließlich nicht mit unserem Gefährt zu Tintis Steingarten hinabsinken!“
Danach begaben sich alle sehr zügig auf das Floß, allerdings waren nicht die herannahende Dunkelheit und Tütelütüs missfallender Blick die wesentlichsten Gründe für ihre Eile. Vielmehr trieb sie der üble Geruch an, der sich auf einmal überall ausbreitete. Hornrich, Chismu und Onkel Butterschnabel flohen hektisch auf das Floß, die anderen folgten. Nur Tütelütü watschelte gemächlich hinter ihnen her – vermutlich weil sie der Verursacher der Ausdünstung war. Als sich alle auf dem Gefährt befanden, entfaltete Leinia schnell den Floßgleiter. Umgehend fing sich der Wind darin und trieb das Gefährt zügig in Richtung der Keainsel – zur Erleichterung aller ohne den Gestank!
Ihr Gefährt lag ziemlich tief im Wasser, trug aber noch problemlos das gesamte Gewicht der auf ihm befindlichen Last. Zum einen lag das an seiner guten Verarbeitung, zum anderen aber auch an dem Fehlen eines richtigen Schwergewichtes, wie es zum Beispiel Fefelosa gewesen wäre. Dazu kam noch, dass die Rabenvögel immer wieder in die Luft emporstiegen, um die Position des Gefährtes zu überprüfen, was sich natürlich positiv auf die zu tragende Last auswirkte. Urplötzlich fiel Jaeo wie ein Pfeil vom Himmel herab und kurz bevor er auf dem Floß aufschlagen konnte, öffnete er mit einem lauten Knall seine Flügel. Sicher landete er mit seinen Klauen auf dem Holz und bewegte sich darauf ungefähr so, als würde er tanzen, dazu krähte er aus vollem Halse: „Seht, da ist die Keainsel! Wir sind noch zeitig an unserem Ziel angelangt!“
In dem verblassenden Licht des Tages tauchte nun für jeden sichtbar die Insel auf. Doch das erklärte den anderen nicht, warum der Rabe so laut und so dramatisch gekräht hatte!
Wir flogen das Ostufer des Regenbogensees in südlicher Richtung entlang. Der Lärm des Wasserfalls wurde mit jedem unserer Flügelschläge lauter, bis wir schließlich vor uns sein herabtosendes Wasser sehen konnten. Es stürzte vom dunstverhüllten Kliff des Tafelberges bis hierhin zum See herab. Die Luft war dadurch von feinsten Tropfen erfüllt, die sich nun auf unsere Flügel legten. Deprimus machte sich einen Jux daraus, sie mit seiner flinken Zunge einzufangen – jedoch nur mit sehr mäßigem Erfolg, soweit ich das beobachten konnte, aber das schien ihn nicht weiter zu stören.
Als aus den Tröpfchen große Tropfen wurden, schwenkten wir in westliche Richtung und flogen über den See, zur Insel der Keas. Wir Blaumeisen hatten uns reihum mit dem Festhalten des Blattes abgewechselt, auf dem das Stummelschwanzchamäleon hockte. Dadurch war es möglich, dass sich immer zwei von uns ausruhten, während die anderen vier Geschwister mit ihren Klauen das Blatt hielten. Es wäre aber eigentlich nicht notwendig gewesen, dass wir uns beim Tragen abwechselten. Deprimus hatte so gut wie kein Gewicht und er wog auch nicht mehr als ein paar saftige Beeren. Jedenfalls schien er den Blattflug in vollen Zügen zu genießen – oder vielmehr ließ er diesen nur geringfügig deprimiert über sich ergehen! Tornado flog ein Stück vor uns her, um uns im Bedarfsfall rechtzeitig warnen zu können. Es kam aber zu keinerlei Schwierigkeiten, weshalb sich dieses Stück unserer Reise sehr entspannt gestaltete.
Im schwindenden Licht blickte ich zu Deprimus hinüber und glaubte zu erkennen, wie er seine Schnauze immer noch hoch in die Luft erhoben hatte. Vermutlich wollte er den Flugwind mit all seinen Sinnen wahrnehmen, um ihn später nicht zu vergessen. Aber ich war mir recht sicher, dass er in Zukunft auch noch das eine oder andere Mal in der Luft zu finden wäre. Im Moment trugen die Zwillinge, Samtbäuchlein und Piep das Blatt. Federchen und ich flogen nebenher.
„Gefällt dir das Fliegen immer noch, oder ist es dir schon zu langweilig?“, fragte meine Schwester das Stummelschwanzchamäleon.
„So langweilig finde ich es nicht. Zwar schmerzt der Wind ein wenig in meinen Augen, aber ich werde es noch eine Weile aushalten können – ich kann ja meine Augen weiterhin fest geschlossen halten. Schade ist nur, dass ich deshalb die schöne Aussicht nicht so richtig genießen kann. Aber mach dir bitte um mich keine Sorgen, es war bisher keine allzu schlechte Reise und ich werde mich wohl den Rest meines Lebens daran erinnern!“, antwortete er ihr und ich konnte dabei keine Traurigkeit mehr in seiner Stimme erkennen. Auch war mir aufgefallen, dass er die Landschaft als schön beschrieben hatte, obwohl er seine Augen doch wegen des Windes fest geschlossen halten musste, wie er sagte. Ich sah zu meiner Schwester hinüber, die das mir zugewandte Auge schloss und sogleich wieder öffnete. Ich tat es ihr gleich, zum Zeichen, dass ich sie verstanden hatte: Deprimus genoss den Flug in vollen Zügen und wollte nichts davon verpassen, was er natürlich nicht zugeben konnte. Das lag daran, dass er seinen Trübsinn genauso zu brauchen schien wie wir Vögel die Luft unter unseren Flügeln!
Die Geräusche des herabtosenden Wassers blieben immer weiter zurück und die Sonne hatte sich jetzt schon zur Ruhe begeben. Zu unserem Glück war jedoch der Mond für sie eingesprungen und beleuchtete für uns alles mit seinem silbrigen Licht. In diesem Moment erkannte ich einen größeren dunklen Fleck in dem sich leicht kräuselnden Seewasser. Wir hatten die Keainsel erreicht!
Augenblicke später befanden wir uns schon über deren Uferstreifen und landeten unmittelbar vor dem Labor der Keas. Armana hatte wohl unser Kommen beobachtet, denn nur wenig später kam sie bereits mit Bickamuck im Schlepp zu uns herausgehüpft. Sie begrüßten uns ziemlich überschwänglich und herzlich – für ihre Verhältnisse. Ein Großteil ihrer Gehirne war normalerweise mit irgendwelchen Schlauwichteleien beschäftigt, sodass sie den kleinen Dingen des Lebens nie ihre volle Aufmerksamkeit schenken konnten.
„Wo habt ihr die Seerosen ge…?“, setzte Bickamuck an, bevor seine Gefährtin ihn kurzerkralle unterbrach.
„Schön, dass ihr wieder da seid. Ist alles bei euch in Ordnung? Es hat sich doch hoffentlich keiner von euch verletzt? War es schwierig, die Seerosen …?“
„Habt ihr unsere Kokosnussnachrichten gefunden, die wir euch hinabgeschickt haben?“, wurde dieses Mal Armana von Tornado unterbrochen, der über ihr in der Luft stand. Ungeduldig bewegte er seinen Schnabel, während er auf ihre Antwort wartete.
„Ja, haben wir“, entgegnete Bickamucks Gefährtin. „Als wir heute Nachmittag mit dem Floß eine Probefahrt unternahmen, fanden wir eine Kokosnuss. Sie trieb auf dem See umher und wir sammelten sie ein. Die Blüten sind hier auf der Insel, außerhalb der Reichweite Tütelütüs und Pinselohrs. Mit ihnen sowie mit der Tinte, die uns der Sepia gegeben hat, werden Muck und ich bestimmt ein Mittel finden, das der Ente helfen wird!“, sagte Armana zuversichtlich. „Trotzdem wäre es nett, wenn du“, sie wandte sich direkt an Tornado, „abwarten würdest, bis meine Fragen beantwortet sind, statt einfach dazwischenzureden. Du hast bestimmt gesehen, wie das Blatt auf die Kokosnuss geklebt wurde, bevor ihr diese zu uns hinuntergeworfen habt? Das funktioniert bestimmt auch gut bei Kolibrischnäbeln!“, drohte sie ihm, worauf er sich vorsichtshalber etwas von ihr entfernte.
„Danke, und es geht uns allen gut“, beantwortete Federchen Armanas Frage. „Zum Glück haben unsere neuen Freunde vom Plateau bei der Suche nach den Seerosen geholfen, denn ohne sie wäre das sicherlich nicht ganz so einfach gewesen.“
„Auf dem See treiben noch viele Kokosnüsse dieser besonderen Art umher“, schaltete sich der Kolibri wieder ein. „Rollo und Flippi haben sie von ganz oben dort hineingeworfen. Lurchzunge noch eins, war das eine Vorstellung!“ Vermutlich hatte er die Drohung bereits vergessen, oder er dachte, er wäre weit genug von dem Kea entfernt. Tornado lebte eben schneller als wir anderen, was seine Ungeduld für mich nachvollziehbar machte.
„Wer sind denn diese beiden eigentlich?“, fragte nun Bickamuck interessiert. Darauf erzählten wir ihm von unserer Begegnung mit Flippi und Rollo auf dem Plateau. Natürlich sprachen wir dabei auch über den Cabo Nocca und über das Blattgleiten der Zwillinge in dessen böigen Winden. Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, erregte das natürlich seine Aufmerksamkeit.
„So? Ein männliches Känguru mit einem Beutel, das gibt es sicherlich nicht allzu oft“, wunderte sich der Kea. „Ein Fleischfresser, der sich nur vegetarisch ernährt, kommt schon mal vor. Aber bestimmt nicht bei Krokodilen, das habe ich ja noch nie gehört! Dort oben scheint es ja einige Merkwürdigkeiten zu geben, und dann ist da auch noch ein Vulkan! Seid ihr tatsächlich mit einem Blatt von seinen Hängen nach unten gesegelt? War er aktiv? Ich meine, kam gelber, stinkender Rauch aus ihm heraus?“, fragte der Kea die Zwillinge aufgeregt, die ihm natürlich bereitwillig alles erzählten.
Hin und wieder mussten wir die Schilderungen von Bürste und Kralle ergänzen. Das Blattgleiten sowie die daraus resultierende fliegerische Herausforderung standen bei ihrer Erzählung wie so oft im Vordergrund, und da konnte schon mal leicht etwas verloren gehen. Nachdem wir auch von den Kokosnussweitwürfen Rollos und Flippis erzählt hatten, fragte Samtbäuchlein Armana: „Ist eigentlich Seewasser in die Nüsse eingedrungen, und kann das zum Problem für die Wirkstoffe in den Blüten werden?“
„Nein und nein. Ich habe keine Ahnung, wie schnell die Mineralien aus den Pflanzen herausgewaschen werden, aber bis wir alle gefunden und verarbeitet haben, wird das wohl nicht geschehen sein. Doch um dies mit Bestimmtheit sagen zu können, müsste ich das noch etwas genauer untersuchen!“, antwortete ihm Bickamuck nachdenklich, der gar nicht mitbekommen hatte, dass eigentlich Armana die Frage gegolten hatte. Zu seiner Verteidigung sei aber gesagt, dass er durch die Anwesenheit von Deprimus stark abgelenkt wurde, den er sehr genau betrachtet hatte. „Zunächst war ich mir nicht sicher, aber jetzt ist mir natürlich klar, dass du ein Stummelschwanzchamäleon bist. Von deiner Art habe ich schon längere Zeit keinen mehr auf unserer Insel gesehen. Einst hat es mal viele von euch im Südosten der Insel gegeben, in den Höhlen dort. Jetzt sind sie aber nicht mehr da, möglicherweise sind sie ja nur tiefer in den Berg hineingezogen. Von woher kommst du denn? Auch vom Tafelberg? Ich bin Bickamuck, und du bist?“, fragte der Kea.
Das Stummelschwanzchamäleon antwortete ihm mit leiser Stimme, die mich an das Rascheln von welkem Laub erinnerte: „Deprimus ist mein Name, aber den brauchst du dir nicht zu merken. Du hast bestimmt viel wichtigere Sachen zu tun! Ach ja, ich komme aus dem Strauch, am See!“
Bickamuck wollte zu einer neuerlichen Frage ansetzen, da unterbrach ihn seine Gefährtin streng: „Das ist ja alles sehr schön, aber was ist mit Essen? Hast du Hunger?“
„Warum sollte ich denn wohl Hunger haben?“, fragte der Kea desinteressiert zurück. „Wir haben doch eben erst etwas gegess…“, er verstummte mitten im Satz, weil er Armanas Blick aufgefangen hatte, der recht eisig wirkte.
„Ich meinte Deprimus!“, belehrte sie ihren Gefährten kühl, während das Stummelschwanzchamäleon zeitgleich einige hübsche farbliche Veränderungen durchlief. Es war nicht daran gewöhnt, dass man ihm so viel Aufmerksamkeit entgegenbrachte.
„Ein wenig Hunger hätte ich schon. Aber nur, falls du noch irgendwelche Reste für mich übrig hast. Es muss auch weder frisch noch viel sein! Mach dir bitte nur keine zu große Mühe für mich, das lohnt sich nicht“, wisperte Deprimus.
„RESTE?“, stieß Armana hervor und das Chamäleon machte sich ganz klein, während seine Augen nervös umherblickten. Jedes in eine unterschiedliche Richtung. „Hast du das jetzt wirklich gesagt? Bei mir bekommt kein Gast Reste! Du kannst von mir aus sein, was und wie du willst, aber den Tag, wo ich Freunden Abfall gebe, den wird es bestimmt niemals geben!“ Dann wurde ihr Blick milder und sie reichte ihm etwas, dass sich in ihrer Klaue befand. Mit normaler Stimme sagte sie: „Hier, versuche es mal mit dieser Banane. Wenn nachher alle da sind, essen wir richtig! Mein Name ist im Übrigen Armana. Ich meine, weil mein Gefährte es ja nicht für notwendig erachtet hat, mich bei dir vorzustellen.“ Sagte sie mit einem Seitenblick zu Bickamuck, der daraufhin versuchte, sich noch kleiner zu machen als Deprimus zuvor. „Sag einfach Bescheid, falls du sonst noch etwas benötigen solltest“, meinte sie zu dem noch immer farbenwechselnden Chamäleon. Zügig befreite sie die Frucht von der Schale und brach mit ihrer Klaue ein großes Stück davon ab, welches sie auf das Blatt vor seine Schnauze legte. Daraufhin nickte sie ihm freundlich zu, zum Zeichen, dass er mit dem Essen beginnen sollte.
Urplötzlich schossen zwei kleine, piepende Schatten aus der Dunkelheit schnurstracks auf uns zu und flatterten aufgeregt um uns herum!
Einer der hereinplatzenden Schatten landete zwischen uns und stimmte umgehend ein fröhliches Lied an. Der zweite folgte ihm auf seinen Schwanzfedern, schnäbelte sodann mit jedem von uns und sprach atem los, mit einem leichten Zittern in der Stimme: „Da seid ihr ja endlich wieder! Geht es allen gut? Ihr habt uns ja so entsetzlich gefehlt! Lasst euch mal anschauen. Waldwichtel noch mal, seid ihr aber gewachsen! Euer Vater und ich haben uns fürchterliche Sorgen um euch gemacht, besonders als wir dann gehört haben, dass ihr alleine nach oben auf den Tafelberg geflogen seid!“ Mama versuchte durchzuatmen, während die andere Gestalt, Papa, uns mit den Flügeln über die Rücken strich und dabei unvermindert weiterträllerte: „Jeden Tag haben wir uns gefragt, was ihr denn gerade machen würdet. Lurchzunge noch eins, seid ihr aber dünn geworden, ihr seht ja fast wie Grashalme aus!“, fuhr Mama besorgt fort und leerte den bei ihr aufgestauten Sorgensee über uns aus.
Einerseits fand ich ihre Fürsorge ziemlich anstrengend, da wir ja keine Nestlinge mehr waren, anderseits freute ich mich, dass sie und Papa nun wieder wohlbehalten bei uns waren. Wir mochten vielleicht während unserer Abwesenheit ein wenig gewachsen sein, waren bestimmt etwas reifer geworden, aber sicherlich hatte keiner von uns sichtbar an Gewicht verloren! Die warme Begrüßung und die Fürsorge unserer Eltern ließen einen Heuknubbel in meiner Kehle entstehen, zeitgleich begann sich die Haut um meine Krallen zu kräuseln. Seit dem letzten Mal, als ich das so stark gefühlt hatte, schien mir eine unendlich lange Zeit vergangen zu sein – oder sogar noch etwas mehr. Da waren wir Jungvögel noch Nestlinge gewesen und hatten sehnsüchtig auf den Tag des Ausfliegens gewartet. Jedenfalls war es schön, wieder zusammen zu sein, und ich hoffte, dass sich das auch nie ändern würde. Egal, wie hoch wir noch wuchsen, wie schwer oder leicht wir würden oder wie viele Abenteuer wir noch erlebten. Während ich mir so meine Gedanken machte, schälte sich ein weiterer Schatten aus der Dunkelheit, der um einiges größer war als der meiner Eltern.
„Oh, welch unsägliches Glück wird mir zuteil, an diesem schicksalsträchtigen Orte! Der Wind der Freundschaft blies die Trauer der dunklen Tage von dannen. Vergangen ist nun die Hoffnungslosigkeit und das helle Licht der Freundschaft bescheint mich neuerlich mit seinem strahlenden Glanze. Der Waldwichtel sei gepriesen, da nun meine Tränen versiegen und mein ausgedörrtes Herz endlich wieder genesen wird. Willkommen zurück, meine stolzen Recken – meine Familie!“ Schnuddel machte eine Pause, vermutlich damit er nicht von seinem Gefühlsausbruch und seinen Tränen hinfort gerissen wurde, welche aus seinen Augen fluteten. „Als der letzte Hoffnungsfunke bei mir zu erlöschen drohte, entdeckte die furchtlose Armana just in dem Augenblick eine treibende Baumfrucht auf dem See, die daraufhin von der tollkühnen Leinia auf unser Floß gebracht wurde. Armana und Bickamuck entrangen der Kokosnuss ihr Geheimnis, während das zappelige Eichhörnchen ins feuchte Nass stürzte. Als ich der ersten Blüte ansichtig wurde, die sie auf das Holz unseres Gefährtes legten, fühlte ich meine geschwundenen Kräfte zaghaft zurückkehren. Die Erkenntnis, dass dies ein Zeichen von euch bedeutete, sickerte ganz langsam in mein geschundenes Hirn, gleich den ersten wärmenden Strahlen der Sonne nach einem langen, frostklirrenden Winter. Die Flut der Gewissheit, dass ihr euer heroisches Vorhaben in die Tat umgesetzt hattet, ließ sich nicht mehr stauen und ich wusste, dass unser Wiedersehen nun nicht mehr fern sein konnte!“
Erneut spuckte die Dunkelheit eine Gestalt aus und beendete damit die Gefühlsentladungen Schnuddels, vorerst! Das kleine Fellbündel stürmte geradewegs auf Piep zu, hoppelte einige Male um ihn herum und stieß dabei fortwährend Pfeiflaute aus. Anschließend wiederholte es die Prozedur bei uns und stupste dazu noch jeden mit der Nase an, wodurch Samtbäuchlein fast umgefallen wäre. Als Pepe´leoh jeden derart begrüßt hatte, kehrte er wieder zu Piep zurück, blickte ihn fragend an und kauerte sich vor ihn auf den Boden.
„Schnuddel ist froh, uns wiederzusehen, und hat uns alle sehr vermisst. Als ihr die Kokosnuss mit den Seerosenblüten entdeckt habt, dachte er sich schon, dass wir uns bald wiedersehen würden“, übersetzte mein Bruder, worauf Pepe´leoh einen Pfiff des Verstehens ausstieß.
Als wäre dies ein Zeichen gewesen, brandete eine Welle aus Fell und Federn heran. Weitere Freunde und solche, die es vielleicht noch werden würden. Der plötzlich auftretende, schon bekannte üble Geruch, der aus dem Knäuel der Körper emporstieg, trübte unsere Wiedersehensfreude nur unmerklich.
„Es wird wirklich höchste Zeit, dass wir etwas gegen deine Probleme unternehmen, du komische kleine Ente!“, meldete sich Bickamuck aus dem Gewusel zu Wort. Dazu drehte er seinen Schnabel dezent zur Seite – heraus aus dem Mief, hin zu der frischen Seeluft.
Doch Tütelütü wollte vermutlich noch etwas mit dem Kea besprechen, denn sie watschelte auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und schaute zu ihm hoch. Das blaue Auge hatte sie dabei geschlossen und blickte ihn mit dem weit geöffneten roten Auge an – was jedem verriet oder verraten sollte, wie emotional dieser Augenblick für sie war. „Gute, viele starke Minerals? Damit die komische kleine Ente neue hübsche, große Federn bekommen kann?“, fragte sie ihn, während ihr rotes Auge vor Feuchtigkeit schimmerte, in der Sprache einer gerade geschlüpften Ente. Sie war offenbar der Ansicht, dass dieser Tonfall besonders gut den Grad ihrer Gefühle widerspiegelte.
„Es heißt Mineralien, wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Mi-nera-li-en, ganz einfach zu merken!“, entgegnete Bickamuck. „Wie dem auch sei, wir haben eine Lösung für deine beiden Probleme gefunden. Noch einige kleinere Tests, dann beginnen wir mit deiner Behandlung. Armana, kommst du bitte mit ins Labor, damit wir diesem federlosen Geschöpf und uns endlich helfen können?“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, drehte er sich um und verschwand im Labor. Es konnte sein, dass er damit beschäftigt war, wichtige Probleme zu lösen. Doch mir drängte sich der Verdacht auf, dass er sich hauptsächlich dem sich verbreitenden üblen Geruch entziehen wollte!
„Sofort, Muck!“, rief sie ihm hinterher. „Koko-Liko, du kümmerst dich bitte um unsere Gäste, da wir jetzt eine Weile mit der Ente ungestört sein müssen. Es wäre auch gut, wenn ihr weiter forthüpfen könntet, damit euer Tun uns nicht ablenkt!“ Schnell drehte sie ihren Kopf und sog hörbar die frische Luft gierig ein. Ich vermute, das kam davon, weil sie sehr flach geatmet hatte, um nicht zu viele der Geruchsspuren Tütelütüs einatmen zu müssen. „Und du, Ruderfuß, leg endlich dieses müffelnde Blatt ab und lass es zusammen mit deiner vergammelnden Kiwischale hier am Ufer zurück!“, herrschte sie die Ente ein wenig genervt an, die sich gerade immer wieder um ihre eigene Achse drehte. „So etwas will ich in unserem Labor nicht sehen, wer weiß, was ansonsten noch alles mit deiner Medizin passieren kann. Ich meine, wenn Dreck oder Schlimmeres sie verunreinigt, kann dir dadurch am Ende möglicherweise noch der Schnabel abfallen! Wenn du schon dabei bist, wasch dich selber auch mal gründlich, ich denke, es wird langsam Zeit!“
Tütelütü hatte sich ja, bevor sie ihre Federn verloren hatte, ständig im Wasser aufgehalten und sich daher nicht mit Körperpflege beschäftigen müssen. Ich glaube, Armana wollte hauptsächlich erreichen, dass die Ente im Labor nicht vor sich hinmüffelte, denn schließlich hatten die Keas vor, sie über Nacht zu beobachten. Armana hatte noch nicht ganz mit ihrem Satz geendet, da riss sich Tütelütü auch schon das Blatt herunter, während sie eilig in Richtung See watschelte. Am Ufer wischte sie mit ihrem Flügel die Kiwischale vom Kopf, sprang platschend ins Wasser und begann sich darin sehr gründlich zu waschen. Dann entstieg sie dem See, schüttelte sich, legte ihren Kopf schräg, drehte sich herum, lief erneut platschend ins Wasser und wiederholte dort die gesamte Prozedur der Körperpflege. Vermutlich tat sie das, um ihre Behandlung nicht zu gefährden – oder weil sie bereits nicht mehr wusste, dass sie sich vor wenigen Augenblicken schon gewaschen hatte. Sodann begab sie sich tropfnass zurück zu Armana, schloss ihr rotes Auge, neigte wieder den Kopf und öffnete leicht ihren Schnabel. In ihrem besten wissenschaftlichen Tonfall sagte sie: „Wir können jetzt mit dem Medizinisieren anfangen, die Verunreinigungen auf der komischen kleinen Ente sind beseitigt worden. Jetzt kann ich meinen Schnabel behalten, denn ich war sehr gründlich. Sogar die Feder an meinem Bürzel habe ich gewaschen, sieh mal“, sie drehte ihr Hinterteil zu Armana, die daraufhin ungläubig ihren Kopf schüttelte und wortlos ihrem Gefährten nacheilte. Die Zwergente drehte sich zu uns um, öffnete beide Augen und rief mit freudiger Stimme: „Jetzt bekomme ich wieder hübsche Federn, CHCHCHCH. Schöne, neue, warme Federn! Danke Federchen, Samtbäuchlein, Bürste, Kralle, Blaukäppchen, Piep und natürlich auch Tornado. Vielen Dank, dass ihr das alles für mich gemacht habt. Für die kleine, aber hübsche Ente!“ Dann beeilte sie sich, ins Labor zu kommen, und war mit ihrem roten Ausschlag Augenblicke später darin verschwunden!
„Ich wünsche dir alles Gute – und uns natürlich auch!“, rief Tornado ihr nach, was sie aber vermutlich nicht mehr hören konnte.
„Dann folgt mir mal, ihr habt ja gehört, dass meine Eltern Ruhe haben wollen!“, sagte Koko-Liko beflissen und hüpfte in westliche Richtung davon. Wir folgten ihm und schon nach kurzer Zeit erreichten wir eine schöne, saftige Wiese. „Ich denke, das ist weit genug, hier werden wir sie bestimmt nicht mehr stören!“
So verteilten wir uns auf dem Gras und sogleich begannen die Steinböcke damit, es auszurupfen. Als wir sie genussvoll darauf herumkauen sahen, weckte dies auch unseren Hunger. Daraufhin führte Tornado Chismu zu Ananaspflanzen, die ganz in der Nähe wuchsen. Der Katta machte zwei der Früchte ab und brachte sie zu uns auf die Wiese. Dort suchte er sich einen dünnen Stein, öffnete und zerteilte die Früchte, die er dann auf dem Boden auslegte. Ein Stück behielt er gleich für sich, schob es sich in den Mund und kaute zufrieden darauf herum. Sogar Deprimus, der neben ihm hockte, schien die Frucht zu mögen. Er zupfte sich kleine Teile davon ab und ließ diese in seiner Schnauze verschwinden. Dazu fing er immer wieder mit seiner flinken Zunge Fruchtfliegen ein, die über dem Obst schwebten.
Schnuddel erspähte einen Ameisenhügel am Rande der Wiese. Schon nach wenigen Sprüngen hatte er ihn fast erreicht, da stolperte er unerwartet über eine herausragende Wurzel. Sofort richtete er sich wieder auf und hackte wild auf der Pflanze herum. Nachdem er sie genügend Respekt gelehrt hatte, hüpfte er weiter zu dem Ameisenhügel und vergrub seinen Schnabel darin. Voller Hingabe dezimierte er dort unter Zuhilfenahme seiner klebrigen Zunge die kleinen Krabbler!
Pepe´leoh hoppelte indes über die Wiese und zupfte sich an der einen oder der anderen Stelle etwas aus dem Boden. War sein Mund gefüllt, kam er zurück und legte alles neben uns ab. Nach einer Weile war daraus ein kleiner Kräuterhaufen in die Höhe gewachsen, den der Pfeifhase nun in Ruhe aufzuessen begann. Dazu wählte er sich einen Trieb oder Halm mit seinen Lippen aus, saugte diesen nach innen in den Mund, während er gleichzeitig darauf herumkaute!
Papa hatte ein paar lecker aussehende Walderdbeeren gefunden und sich bereits davon überzeugt, dass in deren näherer Umgebung keine Gefahr drohte. Sowohl meine Geschwister als auch ich hüpften zu ihm hinüber und begannen, unsere Bäuche mit diesen Köstlichkeiten zu füllen. Dabei fand ich es sehr beruhigend, dass sich Schnuddel in unserer unmittelbaren Piepweite aufhielt. Ich meine für den Fall, dass irgendwelche Ameisen uns als zu appetitlich betrachteten!
Koko-Liko hatte sich zu uns gehockt und kämpfte mit einer großen, vor Saft tropfenden, orangefarbenen Frucht. Er war überall beschmiert mit ihrem Saft, doch der schien ihn genauso wenig zu beeindrucken wie die Schar Fruchtfliegen, die sich darauf tummelten. Hin und wieder beugte er sich zu uns hinüber und ließ eine der dort liegenden Erdbeeren in seinem Schnabel verschwinden. Das Gras, welches daran haftete, vertilgte er gleich mit.
Kleimi hatte seine großen Ohren ausgerichtet und suchte damit die Umgebung nach Schnecken oder schmackhaften Käfern ab. Hatte er etwas gefunden, was der Mühe lohnte, bewegte er sich zügig darauf zu. Am Ziel angekommen, buddelte er ein wenig mit seiner Schnauze in der Erde, nahm gegebenenfalls noch die Klauen zu Hilfe und verspeiste die gefundene Beute direkt vor Ort. Seit wir seine Hörwerkzeuge parasitenfrei hielten, hörte er immer, was und wo sich etwas bewegte!
Die Biber schälten mal wieder mit ihren stabilen Schneidezähnen die Rinde von Zweigen und vertilgten sie direkt. Ausgewählt hatten sie die dünnen Äste zuvor sehr sorgfältig in einem nahe stehenden Gebüsch, diese dort von der Pflanze getrennt und hierhin auf die Wiese gezogen. Der sich neben ihnen auftürmende Berg aus geschälten Ästen zeugte eindrucksvoll von ihrem gesunden Appetit!
Wir alle genossen das Beisammensein, den Moment der Ruhe und waren froh, dass unserer Entenfreundin geholfen wurde. Schließlich lag ja ihr Schicksal in den fähigen Krallen der Keas und es waren jetzt auch genügend Seerosenblüten vorhanden, um ihren Mineralhaushalt wiederherzustellen. Damit uns die Zeit schneller verging, in der Tütelütü sich der Behandlung unterzog, tauschten wir die Geschichten unserer erlebten Abenteuer aus. Mamas Erzählung von den leichten Unschärfen in den Amselnachrichten bezüglich ihres verletzten Verwandten verursachte allgemeine Heiterkeit. Dass es Onkel Butterschnabel war, der anstelle eines Bruders unserer Mama gerettet werden musste, störte niemanden. Er machte einen sehr netten Eindruck auf mich und pürierte gerade genussvoll eine Butterblume in seinem Schnabel. Auch Mama sah in seine Richtung und meinte zu ihm: „Bei deinem Anblick fällt mir wieder ein, dass du deine Geschichte gar nicht beenden konntest. Du weißt schon, diese, in der du uns erzählen wolltest, wie du dich eigentlich so verletzen konntest?“ Ihr berüchtigter Blick, der, bei dem man ganz genau wusste, dass man auf jeden Fall reden würde, unterstrich die Bedeutsamkeit der Frage.
Onkel Butterschnabel erlitt einen heftigen Hustenanfall und spuckte dabei die Erdbeere aus, die sich in seinem Schnabel befunden hatte. Dann öffnete und schloss er diesen mehrmals, sodass es fast schon so wirkte, als wolle er die Luft verspeisen. Als alle, die sich auf der Wiese befanden, langsam auf ihn zukamen, blickte er sich gehetzt um. Die Herannahenden schienen sowohl seinen Hustenanfall als auch sein merkwürdiges Betragen mitbekommen zu haben und wollten offenbar nun den Grund dafür erfahren. Sie gruppierten sich um die Kohlmeise und Mama sagte in belustigtem Tonfall: „Wir haben ja schon erfahren, dass du dir den Flügel gebrochen hast, weil du ein Vögelchen mit deinen Flugkünsten beeindrucken wolltest. Mich würde da aber noch brennend interessieren, warum du deshalb komplett deinen Verstand abgeschaltet hast. Kannst du dann besser, schneller oder höher fliegen? Und beeindruckst du damit wirklich das andere Geschlecht? Was mich aber eigentlich noch viel mehr interessiert, ist: Bist du absichtlich gegen den Baum geflogen, an diesem windstillen Tag?“ Ihr Lächeln verriet Belustigung, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie erst Ruhe geben würde, wenn sie die Wahrheit herausgefunden hätte.
„Ich habe doch bereits erzählt, dass es nur ein dummer Unfall war“, sagte ein sichtlich peinlich berührter Onkel, während sein Kopf von einer zur anderen Seite zuckte. „Und wenn du es schon genau wissen musst: Das Vögelchen hat nur belustigt geträllert, als mir dieses Missgeschick widerfuhr! Bist du jetzt endlich zufrieden?“
„Du hast vergessen zu erzählen, dass das Vögelchen dann zu uns geflattert kam. Sie sagte, dass ein Vogel gegen einen Baum geflogen sei, direkt in unserer Nähe, da er sich wohl für einen Jungvogel gehalten habe. Sie bat uns, nach ihm zu sehen, da er ziemlich herumgejammert habe. Sie jedenfalls müsse dringend zu ihrem Gefährten und ihren Kleinen zurückfliegen“, ergänzte Hakeka hilfsbereit die Geschichte des Onkels. „Natürlich sind wir sogleich zu dem Ort geflogen, den sie uns beschrieben hatte, um zu sehen, wie wir helfen konnten! Dort fanden wir den Vogel, diesen da“, sie deutete mit ihrem Schnabel auf die Kohlmeise, „jammernd auf einem Blätterhaufen liegend!“ Während Hakekas Schilderung der Geschehnisse wurde Onkel Butterschnabel kleiner und kleiner, zugleich wurde das Grinsen der Zuhörerschaft breiter und breiter!
„Lasst den armen Onkel endlich in Ruhe! Ich denke, dass er seine Lektion gelernt hat und beim nächsten Mal besser auf sich achten wird“, sagte Papa, worauf ihm die Kohlmeise dankbar zunickte.
In diesem Moment schwebte Armana in unsere Mitte, wodurch augenblicklich die Inquisition endete. „Die Behandlung der Ente ist jetzt abgeschlossen. Sie schläft nun, während Muck und ich die Nacht über sie wachen werden – nur für alle Fälle. Ich meine, falls sich unerwünschte Reaktionen bei ihr einstellen sollten, wovon wir derzeit aber nicht ausgehen. Ich möchte nur schnell ein wenig für Muck und mich zum Essen holen, damit Tütelütü uns später nicht dabei zusehen muss, wenn sie aufwacht. Sie darf nämlich die erste Zeit nach dem Erwachen nur Seewasser mit etwas Grün zu sich nehmen, und wenn sie das verträgt, werden wir weitersehen!“, teilte uns Armana mit. Sie flog zum Floß, krallte sich dort ein Nusssäckchen und entschwand in Richtung des Labors. Wir nahmen dann wieder unsere Gespräche auf und ich hoffte im Stillen, dass sich die Wünsche der Ente nun erfüllen würden. Ihr Wunsch nach neuen Federn, aber auch unser Wunsch nach atembarer Luft!
Unsere Eltern berichteten jetzt von ihrer Reise zum Rabenhorn, und als sie erzählten, wie dieser hinterhältige Wels auf sie gelauert hatte, entwich Federchens Schnabel ein lautes, nervöses Zwitschern. Auch die Beschreibung des Unwetters, in welches sie geraten waren, ließ den einen oder anderen geräuschvoll aufstöhnen. Doch an der Stelle der Erzählung, als sie auf die Steinböcke im Nebel trafen, entfuhr Onkel Butterschnabel ein so schriller Pfeiflaut, dass sogar Schnuddel heftig zusammenzuckte! Zwar hatte der Onkel die Geschichte bereits gehört, aber er wurde erneut von der spannungsgeladenen Atmosphäre eingefangen. Trotzdem bildete ich mir ein, seine Erleichterung darüber zu sehen, dass er nun nicht mehr im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stand. Die Schilderung des Wettkampfes am Rabenhorn führte natürlich dazu, dass die Zwillinge ihre Interpretation des Geschehens in der Luft nachspielen mussten.
„Oh weh, wir sind in den Graben der Läuterung gestürzt, jetzt ist unsere Verbindung gerissen!“, stöhnte Bürste sorgenvoll auf.
„Dann müssen wir wieder ganz zum Anfang zurück, so verlangen es die Regeln!“, ächzte Kralle auf.
„Tut mir leid für euch, aber meine Mannschaft hat gewonnen! Wir haben den richtigen Pfad durch den Irrweg des Erfolges gefunden und damit sind wir die Schlauesten!“, rief jetzt Tornado, der sich wild umherschwirrend an ihrer Demonstration beteiligt hatte. Ihm war es halt zu langweilig geworden, nur tatenlos zuzuhören, schließlich war er ja ein Kolibri!
Als sich nach der Aufführung wieder alle beruhigt hatten, lauschten wir weiter den Erzählungen, bis zu der Rettung Hornrichs und Chismus aus dem Strudel. Wieder spielten meine Brüder diese Szene nach und selbst das Stummelschwanzchamäleon hatte beide Augen gespannt auf sie gerichtet. So genau ich auch hinsah, ich konnte keine Spuren von Traurigkeit mehr bei ihm entdecken.
Dann waren wir mit der Schilderung unseres Abenteuers an der Reihe, was dazu führte, dass unseren Eltern so manches Pfeifen aus den Schnäbeln entwich. Einmal, als wir von unserer Begegnung mit Fefelosa erzählten, flatterte Bickabolo urplötzlich aufgeregt mit einem lauten Krähen in die Luft, um nur wenige Momente später wieder zum Boden zurückzukehren. Vermutlich war er so tief in unsere Geschichte eingetaucht, dass er die Flusspferddame tatsächlich auf sich zustürmen gesehen hatte!
Die Erzählungen ließen die Zeit wie im Fluge vergehen, denn unterdessen war es schon ziemlich spät geworden. So manchem von uns fielen schon fast die Augen vor Müdigkeit zu, und als Mutter die allgemeine Nachtruhe ausrief, flatterten wir Vögel in einen Baum, wohin uns auch Chismu, Pinselohr und Deprimus begleiteten – wenn auch kletternd. Die Steinböcke, die Biber, Pepe´leoh und Kleimi beschlossen, am Fuße des Baumes die Nacht zu verbringen. Zwar war auch der eine oder andere von ihnen in der Lage zu klettern, trotzdem zogen sie zum Schlafen die Bodennähe vor – vielleicht, weil sie sich dort besser aneinanderkuscheln konnten. Gotondro, Hornrich, Windfuß und der Igel hatten sich nach außen gelegt, damit sie mit ihren Geweihen und Stacheln niemanden verletzen konnten. Leinia, ihr Gefährte sowie der Pfeifhase machten es sich in deren Mitte gemütlich, dort, wo es am wärmsten war.
Nach einer Weile waren aus und um den Baum herum nur noch gleichmäßige Atemgeräusche zu vernehmen, die verrieten, dass wir immer tiefer in das Land des Traumwichtels vordrangen. Mein letzter Gedanke war, dass ich mich fast genauso geborgen fühlte wie in unserer Behausung.
Damals, vor endlos langer Zeit – oder, um genau zu sein, noch vor sechs Nächten!
Es war früher Morgen und ich flog mit meinen Geschwistern den Ratladron entlang. Es würde ein schöner Tag werden, das verrieten mir jetzt schon der klare Himmel und das Licht, welches die Sonne verbreitete, obwohl sie noch gar nicht richtig aufgestanden war. In der Entfernung ragte der Cabo Nocca auf und unter mir am Wasser sah ich unsere Eltern hocken, die sich dort ausgiebig wuschen. Wir wollten gerade zu ihnen hinabfliegen, da krähte urplötzlich über mir jemand laut auf.
Ich zuckte zusammen, während ich gleichzeitig meine Augen weit aufriss und nach oben blickte. Ich sah das Blätterdach eines Baumes und einen herumflatternden Bickabolo, der laut schrie. Da merkte ich, dass ich wohl nur geträumt hatte, denn anstatt des Ratladrons sah und hörte ich nur den zeternden Nacktschnabelhäher: „Schurkerei, eine boshafte Boshaftigkeit! Um des Eies willen, wir werden angegriffen, entfaltet sofort die Flügel!“