Das Papolupatal. Ein federleichter Anfang - P.C. Nunes Monteiro - E-Book

Das Papolupatal. Ein federleichter Anfang E-Book

P.C. Nunes Monteiro

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Beschreibung

Blaukäppchen ist eine nachdenkliche, junge Blaumeise, die in dem nur von Tieren bewohnten Papolupatal mit ihren Eltern und Geschwistern heranwächst. Als ihre Eltern überraschend eine Reise antreten müssen, wird es notwendig, dass die Kleinen alleine auf sich gestellt zurückbleiben. Eigentlich sollte die geschwätzige Amsel Frau Platsch ein Auge auf sie haben, jedoch machen die Kleinen sich unbemerkt von ihr auf eine eigene Reise. Wir lernen den ehrenvollen, wenn auch ein wenig steifen, Grünspecht Stechbert von Schnuddel kennen und das leicht verwirrte Eichhörnchen Pinselohr, welches andere Tiere belauscht, um die eigenen Nussverstecke wiederzufinden. Auch einem schwerhörigen Langohrigel, der auf den Namen Kleimi hört, werden wir unterwegs begegnen, genau wie einem spitzzüngigen Frosch, Haselmäusen, die Nüsse fischen, einem vor einem Bär flüchtenden Pfeifhasen und… und… und… Es ist eine Geschichte von wahren Freundschaften, Mut und Hilfsbereitschaft, gewürzt mit jeder Menge Spaß! Die Autoren P. C. Nunes Monteiro und J. Roos entführen uns in diesem Buch in eine große Welt der ungewöhnlichen Tiere, die so lebendig beschrieben wird, als befände man sich selbst darin.

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Inhalt

1. Bruchstücke

2. Freiheit

3. Einer fehlt

4. Der Alltag

5. Der Nachtschatten

6. Die Vorbereitung

7. Das Ende?

8. Die Wurzeln

9. Auf ewig!

10. Alles ist neu!

11. Blattsegeln ist federleicht

12. Schnabel der Ehre

13. Ungebetene Gäste unerwünscht

14. Beulen und Bürsten

15. Belauscht, betrogen, befreit

16. Nüsse und Heimlichkeiten

17. Gezwitscher mit Folgen

18. Arle und Gego

19. Gestrüpp in Bedrängnis

20. Reiseplanung und Gefühle

21. Flucht ins Dunkel

22. Ein vorzeitiges Ende?

23. Treibgut ins Unbestimmte

24. Ein sensibles Großmaul

25. Aufruhr am See

26. Überheblichkeit, Schrecklichkeit, Bescheidenheit

27. Federflug und Schlauheiten

28. Verschlagenheit, Verwirrtheit, Verständnislosigkeit

29. Wissenschaft, Wirbelwind, Wagnis

Erster Teil

Prolog

Ein federleichter Anfang ist der Beginn einer abenteuerlichen Reise durch unser Papolupatal!

Soviel kann ich euch jetzt schon sagen – es ist eine Reise, an der ihr noch nie teilgenommen habt. Solltet ihr mich darauf begleiten wollen, lade ich euch herzlich dazu ein!

Ich verspreche euch schon jetzt, dass sie ungewöhnlich und abenteuerlich werden wird. Gemeinsam werden wir an Orte gelangen, die ihr noch nie gesehen – ja, von denen ihr noch nicht einmal etwas gehört habt, außer vielleicht durch ein Wispern in euren Träumen!

Auf unserer Reise werdet ihr hoffentlich erkennen, dass es nie ein Fehler sein kann, hinter die Dinge sehen zu wollen und dass man ein einmal gegebenes Wort nicht leichtfertig brechen sollte.

Diese Reise wird nur durch eure eigene Vorstellungskraft begrenzt werden und wenn ihr euch offen auf die Geschehnisse darin einlasst, wird sie euch dabei vielleicht für immer ein kleines bisschen verändern. Ihr werdet dann einige Dinge hoffentlich etwas leichter nehmen und möglicherweise eure Sichtweise auf so manches verändern.

Auf alle Fälle könnt ihr mit mir zusammen eine neue wundersame Welt betreten, in der Verantwortung und Freundschaft nicht nur Worte sind und in der das Leben herrlich bunt ist. Wenn ihr mich also begleiten wollt, folgt mir nun federleicht zum Anfang!

Euer noch unbekannter Begleiter – und vielleicht schon bald euer Freund!

1. Bruchstücke

Ich war da, aber wo war ich nur? Es war dunkel und ich konnte mich nicht richtig frei bewegen!

Weg!

Ich war schon einmal hier gewesen – aber wo hatte ich mich denn in der Zwischenzeit nur aufgehalten? Es war warm, es war feucht! Hatte ich jetzt nicht ein bisschen weniger Bewegungsfreiheit als zuvor und war es nicht auch ein wenig heller geworden?

Weg!

Es war mir schon wieder passiert – aber wie kam ich bloß immer wieder hierher zurück? Es wackelte, ich konnte Farben sehen, gemütliche Wärme hüllte mich ein! Hatte ich noch weniger Platz und war es nicht noch heller geworden als das letzte Mal? Ich fühlte nun, dass es gar nicht feucht war, sondern nass!

Weg!

Etwas stimmte nicht mit mir, es wiederholte sich alles – aber warum konnte ich mich nur nicht mehr daran erinnern, wo ich zuvor gewesen war? Es wackelte nicht mehr, es war deutlich kühler geworden, Geräusche, die von woanders her kamen, ließen das, was mich umgab, leicht vibrieren! Weshalb war die Flüssigkeit, in der ich mich befand,erneut weniger geworden und hatte ich deshalb weniger Platz an diesem merkwürdigen Ort? Eine Stimme in mir sagte, dass ich gar keine Farben sehen konnte, sondern nur hell oder dunkel!

Weg!

Ich war mir plötzlich bewusst darüber, dass ich wieder zurück war – dann musste ich wohl jetzt wach sein und war es weiterhin möglich, dass ich schlief, während ich weg war? Es wackelte abermals, mir wurde erneut warm, die Flüssigkeit war wiederum weniger geworden, ich hatte abermals merklich weniger Platz! Weshalb erzählte mir die Stimme, die sich Instinkt nannte, ständig irgendwelche Sachen? Dieser Instinkt sagte mir, dass meine Augen juckten – aber was waren Augen und was jucken?

Schlaf!

Ich war erneut wach! Dinge geschahen in meinem Kopf – das seien Gedanken, meinte der Instinkt. Es war ganz so, als ob jeder Schlag meines Herzens mir neue davon in den Kopf pumpen würde! Es wackelte nicht mehr, es war wieder kühler, die Flüssigkeit war fast nicht mehr vorhanden, ich hatte meine Augen geöffnet, das Jucken hatte aufgehört! Mein Körper berührte überall die Wände, wie mir mein Instinkt erklärte! Er sagte mir auch, ich hätte Hunger – aber was war Hunger? Waren das die Schmerzen, die ich in meinem Bauch verspürte?

Schlaf!

Mein Instinkt ließ mich den Hunger immer stärker fühlen. Warum sagte er mir dann nicht, was ich dagegen unternehmen sollte? Mir war wieder warm, Kratzgeräusche kamen von außen, es wackelte mal wieder, die Flüssigkeit war ganz verschwunden, mein Körper drückte noch stärker gegen die Wände! Warum konnte mir mein Instinkt nicht endlich sagen, wie ich das Orchester im meinem Bauch zum Verstummen bringen könnte?

Schlaf!

Ich wachte von dem Orchester in meinem Bauch auf und fragte mich, warum mein Körper diesen ganzen Aufwand betrieb, nur damit mein Bauch schmerzte?

Ich hatte kaum noch Platz zum Atmen und das glatte Material, welches mich umgab, engte mich mittlerweile unangenehm ein! Die Temperatur war unterdessen so weit abgesunken, dass es ziemlich kalt zu werden begann, aber wenigstens hatte das Wackeln aufgehört! Ich sollte dringend etwas essen, meldete sich mein Instinkt energisch zu Wort!

So beschloss ich etwas aus dieser merkwürdigen Wand herauszubrechen, vielleicht wäre diese ja essbar! Selbst wenn sie mir nicht schmecken sollte oder es mir übel davon würde, in diesem Moment war mir alles egal!

Ich hackte also kräftig in die Wand, brach mir dort mit lautem Knacken ein Stück heraus und kaute versuchsweise darauf herum – sogleich spuckte ich es wieder aus und weil ich keinen Platz mehr hier hatte, musste ich es auf mich selbst spucken! Es hatte fürchterlich geschmeckt – nach Dreck, wie mir mein Instinkt verriet!

Das war bestimmt nicht zum Essen gedacht. Hart war es gewesen und dazu hatte es ziemlich spitze Kanten gehabt. Nur gut, dass ich mich nicht daran verletzt hatte!

Jetzt bemerkte ich, dass mein Hacken nicht ohne Folgen geblieben war: In der Wand hatte es ein kleines Loch hinterlassen, von dem sich feine Risse in alle Richtungen zogen, während durch die kleine Öffnung sehr helles Licht zu mir hinein schien! Was wohl hinter dieser Wand liegen mochte?

Kurz entschlossen presste ich ein Auge gegen das Loch und hielt gespannt die Luft an.

Das durch die Öffnung hereinfallende Licht blendete mich jedoch und ich konnte rein gar nichts erkennen! Also atmete ich wieder aus – gleichzeitig vernahm ich ein lautes Knacken! Wenige Augenblicke später fiel ich mit der gesamten Wand nach außen, wobei ich mich ein paar Mal überschlug. Alles, worauf ich fiel, zerbrach dadurch in unzählige kleine Stücke. Dann kam ich weich zum Liegen!

Mich plagte zwar noch ein immer stärker werdender Hunger, aber wenigstens konnte ich wieder so tief atmen, wie ich wollte!

Ich war frei!

2. Freiheit

Ich lag auf meinem Bauch, auf irgendetwas Weichem! Es war etwas kühler als dort, wo ich mich vorher befunden hatte. Auch heller war es hier! Alles, was ich sah, war in ein warmes Licht getaucht.

Ich stellte fest, dass ich immer noch auf meinem Schnabel lag und versuchte, ihn jetzt in die Höhe zu heben!

Ein kleines Stück!

Noch ein Stück!

Schließlich schaffte ich es, meinen Kopf zu heben, und sah ein paar Beine mit Krallen!?

Ich blickte etwas höher, höher und noch höher!

Ein wunderschönes Gesicht mit sehr freundlichen Augen schaute mich warm an und sprach zu mir:

„Hallo, Blaukäppchen, da bist du ja! Du hast bestimmt einen Riesenhunger und sicherlich ist dir auch kalt!“

Mein Instinkt teilte mir mit, dass dies meine Mama sei und dass dies ihr Geruch wäre!

Sie roch toll!

Während sie mit mir sprach, strich sie mir immer wieder beruhigend, mit einem ihrer Flügel, sanft über meinen Kopf. Ihr Körper strahlte eine angenehme Wärme ab, wodurch ich an meinen Krallen spürte, wie sich dort meine Haut ein wenig zu kräuseln begann.

Ich stellte fest, dass ich dieses Gefühl des Kräuselns an meinen Krallen mochte! Heute weiß ich, dass dies durch Gefühle verursacht wird – durch große Gefühle wie Freude, Trauer, Erleichterung und auch Angst!

Ich schaute an den Beinen meiner Mama vorbei und mein Instinkt teilte mir mit, dass der wackelnde Raum, in dem ich mich eben noch befunden hatte, ein Ei gewesen war.

Jetzt wurde mir natürlich auch klar, warum dieser Raum so oft gewackelt hatte und es dann plötzlich darin so gemütlich warm geworden war! Mama hatte sich wohl genau in diesem Moment darauf gesetzt, um es mir innen wärmer zu machen.

Ein wenig entfernt von meinem zerbrochenen Ei, lagen noch weitere Eierschalen und daneben hockten kleine Gestalten, die ein bisschen Ähnlichkeit mit mir hatten. Es waren Vögel, die nach Nahrung piepten, wie mir mein Instinkt verriet. Er meinte auch, dass dies eigentlich eine gute Idee wäre, also krächzte ich umgehend fröhlich in dem Chor der Hungernden mit.

Geschwind eilte meine Mama zu einem Loch in der Behausung und kam direkt wieder zu uns zurück. In ihrem Schnabel trug sie für jeden von uns etwas zum Essen!

ENDLICH!

Wir bedankten uns alle laut piepend bei meiner Mama und schlangen die Nahrung hastig hinunter! Es dauerte jedoch nicht allzu lange, da bettelten wir schon wieder gemeinsam um mehr – verbunden mit leicht hysterischem Flügelschlagen, um unseren Wünschen auch den entsprechenden Nachdruck zu verleihen! Mama sammelte schnell mit ihrem Schnabel ein paar zerbrochene Eierschalen auf, die überall um uns herum verteilt lagen. Als sie keine weiteren Stücke mehr in ihrem Schnabel halten konnte, entschwand sie durch das Loch in der Wand.

Was das wohl für ein Loch war, wo es wohl hinführen mochte und ob Mama es dort in die Wand hineingepickt hatte? Meine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als sie mit köstlicher Nahrung zurückkam, mit der sie uns erneut fütterte. Sodann nahm sie wieder Eierschalen auf, flog erneut durch das Loch und kam wieder umgehend mit Nahrung zurück. Dies wiederholte sich eine geraume Zeit, bis unser Chor verstummte! Ein vereinzeltes, verhaltenes Piepen hatte unser lautes Schreien abgelöst und schließlich verstummte auch das.

Während ich mein Essen verdaute, wie mein Instinkt mir verraten hatte, und mich dadurch eine leichte Müdigkeit beschlich, überlegte ich, wie riesig die Welt um mich herum doch sein müsse! Erst war ich im Ei gewesen, jetzt saß ich in dieser größeren Behausung – doch hinter dem Loch in der Wand schien es noch so viel mehr zu geben!

Gemütlich an ein anderes Chormitglied gekuschelt, dämmerte ich langsam weg! Ich fühlte mich sicher, so wie auch zuvor in meinem Ei – weil ich wusste, dass meine Mama auch hier auf mich aufpassen würde. Auf mich und natürlich auch auf die anderen!

Bevor ich endgültig einschlief, zuckte mir noch ein Gedanke durch den Kopf: Wir hatten einander ja noch gar nicht vorgestellt!

Ich schlief ein – und mein Instinkt sagte mir noch, dass alles gut wäre, dann war ich weg!

3. Einer fehlt

Am nächsten Morgen weckte mich ein durchdringendes Pfeifen, gefolgt von einem leicht anklagenden Zwitschern, welches von außerhalb der Behausung gekommen war!

Ich bemerkte, dass sich die Mitglieder meines Hungerchores auch schon leicht zu regen begannen, was sich durch erste leise Pieptöne bemerkbar gemacht hatte. Licht schien durch das Loch in der Wand zu uns hinüber und verteilte sich auf dem gesamten Boden unserer Behausung. Eine Gestalt hockte in dem Loch, durch das meine Mama gestern immer wieder Nahrung zu uns hinein gebracht hatte und durch das sie wieder mit Bruchstücken unserer Eierschalen hinausgeflogen war. Folglich musste dies ein Ausflugsloch sein, präzisierte ich meine Gedanken!

Jetzt erkannte ich, dass es sich bei der Gestalt im Ausflugsloch um meine Mama handelte. Weil sie von Licht umrahmt war, wirkte sie fast so, als würde sie selber leuchten!

Das sie umgebende Leuchten wärmte mich anscheinend gleich mit, denn mein Bauch hatte sich von innen ganz warm angefühlt, als ich meine Mama dort hocken sah. Diese Wärme in mir, kam nicht vom Hunger, da war ich mir ziemlich sicher gewesen, obwohl ich auch schon wieder etwas essen konnte! Vielmehr schien die Wärme nur durch ihre Anwesenheit entstanden zu sein und sie hatte bis zu der Stimme tief in mir gereicht, bis zu meinem Instinkt!

Meine Mama sprach mit leicht erhobener Stimme zu einer gewissen Frau Platsch und sagte zu ihr, dass sie doch bitte an uns schlafende Nestlinge denken solle. Sie, die Frau Platsch also, habe nämlich eine ziemlich laute Stimme und wenn es ihr nicht zuviel ausmachen würde, solle sie doch bitte mindestens fünf Bäume weiterfliegen! Dort könnte sie dann ihre Geschichten Kleimi erzählen, der ja nicht so gut hören würde und der außerdem immer früh auf den Beinen sei, wodurch er nicht durch ihr Geplärre geweckt werden würde. Ein heftiges Flügelschlagen war als Antwort zu hören, direkt gefolgt von einem Pfiff!

Später würde ich noch herausfinden, dass sie auch ein Vogel ist. Eine Amsel und dass sie diesen Ton immer dann ausstößt, wenn sie beleidigt ist.

Vorhin war er aber nur unangenehm laut für mich gewesen! Anscheinend war sie danach davongeflogen, denn es herrschte nun Ruhe und Mama wendete sich zu uns um. Sie erkannte, dass ich bereits wach geworden war, flatterte auf den Boden der Behausung und kam sogleich hüpfend auf mich zu. Bei mir angekommen rieb sie ihren Schnabel an meinem und wünschte mir einen guten Morgen. Anschließend sagte sie leise zu mir, dass sie nun das Frühstück besorgen gehe, weil meine Geschwister bestimmt auch schon bald vollständig aufwachen würden. Sie schnäbelte nochmals kurz mit mir und entschwand fliegend durch das Ausflugsloch. Dann war ich mit den anderen Vögeln alleine, die meine Geschwister waren, wie ich ja gerade erfahren hatte!

Ich riss meinen Schnabel weit auf, gähnte herzhaft und verspürte noch ein bisschen Müdigkeit. Mein Kopf fühlte sich etwas dumpf an, die Augen juckten unangenehm und ich richtete mich auf meine Beine auf, was mir auch halbwegs gelang! Nach wenigen Momenten empfand ich jedoch die ganze Angelegenheit als viel zu wackelig und hockte mich wieder hin. Die ganze Sache hatte mich ein wenig erschöpft und so fuhr ich mit der Betrachtung meiner Umgebung fort.

Direkt neben mir kauerten aneinander gekuschelt zwei weitere Geschwister, beides Brüder und Zwillinge, wie ich noch herausfinden sollte! Sie glichen sich äußerlich ziemlich und während ich sie betrachtete, zuckte es mir durch den Kopf, dass sie möglicherweise sogar ihre Träume zusammen träumten. Sie piepten und bewegten sich nämlich immer gleichzeitig im Schlaf!

Etwas hinter ihnen, ein kleines Stück weiter weg, hockte ein besonders kräftiger Nestling. Er schnarchte so leidenschaftlich aus voller Kehle, dass ich fürchtete, unsere Behausung könnte davon einstürzen. Es sah lustig aus; wie er mit jedem Atemzug seinen Schnabel öffnete und die Luft rasselnd einsaugte. Dazu wackelte er ein wenig hin und her, fiel jedoch nicht um. Das Ganze wirkte so auf mich, als würde er sich selbst im Schlaf schaukeln, um vielleicht sanfte Träume zu bekommen!

Auf meiner anderen Seite hockte ein weiterer Nestling, meine einzige Schwester, wie sich ebenfalls noch herausstellen sollte. Sie war es wohl auch gewesen, an die ich mich gestern Abend zum Einschlafen gekuschelt hatte. Auch sie wachte gähnend auf, sah mich an und sagte:

„Guten Morgen! Gestern Abend bist du ja so schnell eingeschlafen, da hatten wir noch nicht einmal Zeit, um uns richtig vorzustellen. Ich bin deine Schwester und mein Name ist Federchen!“ Sie ließ ein helles Zwitschern zur Begrüßung ertönen und fügte noch an: “Ich finde, der erste Tag außerhalb des Eies ist ziemlich anstrengend, aber es wird dann schnell mit jedem Tag besser!“

Ich erwiderte lachend:

„Ich hoffe, da hast du Recht. Meine Beine sind so weich, dass ich kaum darauf stehen kann, und meine Augen jucken ständig. Aber das ist nichts im Vergleich zu gestern Abend, da war ich wirklich total erschöpft!“

Ich blickte sie genauer an und sah, dass sie durch die Form ihrer Augen und ihres Schnabels unserer Mama ähnelte. Um mich formell mit ihr bekannt zu machen, lehnte ich mich ein wenig nach vorne und rieb meinen Schnabel an ihrem.

„Hallo, Federchen, mein Name ist Blaukäppchen“, sagte ich und fragte sie:

„Wann bist du geschlüpft?“

„Ich bin schon vor zwei Tagen aus meinem Ei gefallen. Die beiden auf deiner anderen Seite sind Zwillinge und kamen eine Weile nach mir.“ Sie schaute in deren Richtung und musste lachen, weil die Brüder in diesem Moment im Schlaf gleichzeitig ihre Schnäbel geöffnet hatten, dann fuhr sie fort:

„Das sind Bürste und Kralle. So klein wie sie auch sein mögen, scheinen sie trotzdem großen Unfug in ihren Köpfchen mit sich herumzutragen! Sie schmeißen schon mal alles um oder rollen wie ein wirres Knäuel aus Krallen, Schnäbeln und nackten Flügeln durch unsere Behausung. Einen Augenblick später springen und hüpfen sie wie von Sinnen herum, wobei sie sich gegenseitig ins Moos schubsen.“

Ergänzend meinte sie auch noch, dass die Zwillinge zwar sehr anstrengend, aber auch sehr lustig seien und warf dann ihren Blick dem Nestling zu, welcher hinter den Zwillingen so leidenschaftlich schnarchte. Nach einem Augenblick der Betrachtung schaute sie mich wieder an und sagte:

„Der Schnarcher ist unser Bruder Samtbäuchlein. Mama erzählte mir, er sei bereits schon vor vier Tagen geschlüpft und damit ist er der Älteste von uns Nestlingen! Bäuchlein scheint mir jedoch stark untertrieben zu sein. Er hat einen gewaltigen Bauch und kein Bäuchlein, wie du ja sehen kannst. Aber sein Bauch ist sehr weich und lädt einen förmlich zum Kuscheln ein, zumal sogar schon ein paar kleinere Federn oder Flaum darauf wachsen. Wären da nur nicht diese lauten Geräusche, die er durch seinen Schnabel an die Umgebung abgibt – Mama sagte, das höre sich eher nach einem Specht mit starken Halsschmerzen an als nach einer jungen Blaumeise!“

Ich nickte wissend, obwohl ich ehrlich zugeben musste, dass ich nicht im Geringsten ahnte, wovon sie eigentlich sprach! Dass wir Blaumeisen waren, wusste ich zwar jetzt, was aber ein Specht oder Halsschmerzen sein sollten, überstieg meine Vorstellungskraft! Möglicherweise gehörte dieser halsschmerzige Specht ja zu der Familie von Frau Platsch oder zu diesem Kleimi.

„Er schläft sehr viel, wahrscheinlich auch deshalb, weil wir durch unser Kommen vor ein paar Tagen, eine Menge Unruhe in der Behausung verbreitet haben“, fuhr sie fort.

Ich nickte abermals und drehte meinen Kopf. Hinter uns sah ich ein noch unversehrtes Ei stehen, das ein wenig wackelte und aus welchem leise Kratzgeräusche zu uns drangen.

Federchen, die meinem Blick gefolgt war, sagte zu mir:

„Das ist das letzte von unseren Geschwistern! Wir rechnen alle damit, dass es auch schon bald zu uns kommt! Wenn es aus seinem Ei heraus ist, sind wir endlich vollzählig!“

Ich nickte und schaute noch einmal in der Behausung umher.

„Dann hat die arme Mama ja eine ganze Menge Arbeit mit uns! Sie muss auf uns alle aufpassen, Nahrung beschaffen, die Abfälle durch das Loch bringen und auch noch alles aufräumen“, sagte ich zu Federchen, die mir daraufhin antwortete:

„Nein, Blaukäppchen, der Papa ist ja auch noch da!“

„Papa?“, fragte ich, „den habe ich ja noch gar nicht gesehen!“

„Er war bei dir, als du gestern Abend schon eingeschlafen warst. Normalerweise ist Papa immer draußen vor unserer Behausung; um Wache zu halten und so! Er warnt uns vor Gefahren oder vertreibt sie einfach. Daneben muss er auch alles verscheuchen, was Mama nicht in unserer Nähe haben möchte! Wenn du mich fragst, hat Papa auch eine ziemlich anstrengende Aufgabe. Außerdem hilft er Mama beim Suchen von Nahrung! Darüber hinaus hat er uns gestern Abend vor dem Einschlafen eine schöne und spannende Geschichte erzählt“, sagte sie und ein leicht verträumter Ausdruck stahl sich bei dem Wort Geschichte in ihre Augen. Ich freute mich auch schon darauf, die erste Geschichte von Papa zu hören!

„Trotz seiner ganzen Arbeit, bleibt ihm auch noch genügend Zeit für ein kurzes Schnäbeln mit uns oder mit der Mama übrig“, fügte sie noch hinzu.

Ich habe Federchen schon damals für ihr Wissen und die Art, wie sie die Zusammenhänge erfasste, bewundert, aber sie ist ja auch schon immer zwei ganze Tage älter als ich gewesen!

Unerwartet ertönte lautes Gekreische und Moos sowie Federn flogen überall um unsere Schnäbel herum. Erschrocken blickten wir auf und entlarvten die Zwillinge als Ursache des Tumultes! Sie sprangen wild piepend sowie flatternd umher. In ihrer Wildheit verkeilten sie sich ineinander, rollten und hüpften in atemberaubendem Tempo durch unsere Behausung. Fast zeitgleich hörte ich draußen vor dem Ausflugsloch eine Stimme, hinter der ich unseren Papa vermutete. Unsere Mama kam eilig zu uns herein geflattert und Federchen begann laut erschrocken zu pfeifen. Ich konnte gerade noch sehen, wie die beiden Chaoten in vollem Schwung in das noch ganze Ei krachten – in jenes Ei, in welchem unser letztes Geschwisterchen noch darauf harrte, endlich auch zu schlüpfen!

Wie es nicht anders zu erwarten war, fiel das Ei um. Dabei zerbrach die Schale in unzählige kleine Stücke und mittendrin war ein kleines Köpfchen zu sehen. Es lag mit dem Schnabel auf einem Stück Moos, der Schnabel hob sich ein wenig und ließ ein zaghaftes „piep“ erklingen. Dann richtete sich das kleine Geschwisterchen langsam auf. Die kaputten Eierschalen wurden dabei von ihm zur Seite geschoben und es watschelte wackelig auf uns zu. Weit kam es jedoch nicht!

Seine Beine waren vermutlich, genau wie bei mir, noch zu schwach zum Laufen. Es kauerte sich also unmittelbar neben mir zusammen, hob seinen Kopf jedoch selbstbewusst in die Höhe und ließ ein weiteres, jetzt schon deutlich sichereres „piep“ erklingen.

Hektisch landete unsere Mama direkt neben uns, untersuchte die piepende Blaumeise mit den Augen und sprach zu dem Neuankömmling:

„Piep, da bist du ja endlich! Du hast dir ja ziemlich viel Zeit gelassen! Ist alles in Ordnung mit dir? Hast du dich irgendwo beim Umfallen verletzt?“

Nachdem seine Untersuchung Mama anscheinend beruhigt hatte, strich sie unserem Bruder Piep mit einem ihrer Flügel über sein Köpfchen, wie sie es gestern auch schon bei mir gemacht hatte. Währenddessen stopfte sie ihm schnell eine Raupe in den Schnabel, die er geschickt und hungrig verschlang. Mit seiner Fistelstimme bettelte er um mehr und da wir anderen uns auch daran erinnerten, dass wir noch nichts gegessen hatten, erwachte der Chor der Hungernden erneut zum Leben. Er hatte dieses Mal jedoch eine Stimme mehr, die Stimme unseres jüngsten Bruders!

Umgehend flog Mama an das Ausflugsloch und Papa übergab ihr dort Nahrung, die er draußen irgendwo gesammelt haben musste, wie Federchen wusste. Damit kehrte Mama zu uns zurück und stopfte die Nahrung in unsere Schnäbel. Durch diese Fütterungsmethode war sichergestellt, dass sich immer einer von ihnen bei uns aufhielt, sollten wir uns mal richtig verschlucken.

Als dann unser Piepen wieder verstummte, weil sich unsere Bäuche gefüllt hatten, hüpfte unsere Mama zwischen uns, breitete ihre Flügel aus und drückte uns damit fest an sich.

Ich mochte das nicht nur, weil Mama so gut roch oder sie so schön warm war, sondern auch weil ich mich dann so beschützt fühlte!

Von draußen, vor dem Loch, hörten wir ein aufgeregtes Pfeifen, worauf Mama zum Loch gewandt sagte:

„Gego, du brauchst nicht unruhig zu werden, alles ist in Ordnung! All unsere Kleinen sind ja nun geschlüpft und alle sind gesund. Ich habe mir nur einen kleinen Moment genommen, um sie richtig willkommen zu heißen! Du kommst ja jetzt auch dran!“

Sodann entließ sie uns aus ihrer Umarmung und flog zum Ausflugsloch, um dort mit unserem Papa den Platz zu tauschen. Er schwebte mit weit ausgebreiteten Flügeln auf uns zu und landete schwungvoll vor uns auf seinen Krallen. Er war etwas größer als unsere Mama und hatte tiefblaue Federn oben auf seinem Kopf. Seine Augenmaske und der Federstreifen um seinen Hals waren ebenfalls etwas breiter, als der unserer Mama.

Er schnäbelte kurz mit jedem und nannte dabei jeweils unseren Namen, fast so, als wollte er sich diese dadurch ganz genau merken! Auch er umarmte uns darauf fest mit seinen Flügeln und flog schnell zurück zum Ausflugsloch, an dem Mama schon ganz ungeduldig auf ihn wartete, um mit ihm wieder den Platz zu tauschen.

Erneut landete Mama bei uns und stopfte jedem etwas in den Schnabel, während sie uns nebenbei säuberte. Danach flog sie wieder zu Papa ans Loch, kam mit Nahrung zurück, fütterte uns und flog wieder zu Papa. So ging es eine ganze Zeit lang weiter. Als wir dann endlich alle satt und richtig müde waren, schliefen wir an Mama gekuschelt ein, während unser Papa vor der Behausung darauf achtete, dass nichts unseren Schlaf störte!

4. Der Alltag

Am nächsten Morgen wurde ich von dem weichen, gelblichen Licht, welches durch das Ausflugsloch auf meinen Körper fiel, sanft geweckt. Es wärmte mich angenehm und ich bemerkte, dass dadurch die Farben des Mooses und des Strohs, die den Boden bedeckten, viel intensiver wirkten. Sogar die kleinen Staubkörnchen, die sich in der Luft befanden, wurden durch das Licht der Sonne hervorgehoben. Ich sah, wie sie sich umeinander drehten. Kleine Insekten machten es ihnen nach.

Es war noch sehr ruhig in unserer Behausung. Unsere Mama schien bereits ausgeflogen zu sein, jedoch war ich davon überzeugt, dass sich zumindest noch ein Elternteil in unserer Piepweite aufhielt. Ich ging nochmals den gestrigen Tag in meinen Gedanken durch und war sehr zufrieden mit dessen gesamtem Verlauf! Wir hatten uns alle einander mit Namen sowie mit Schnabelreiben vorgestellt, was ein unverzichtbares Meisenritual ist. Durch das Reiben der Schnäbel wird nämlich der Geruch jedes Einzelnen untrennbar mit seinem Namen in unseren Köpfen abgelegt.

Wie ich instinktiv wusste, ist es für uns Blaumeisen sehr wichtig, gleich mit dem Sprechen zu beginnen. Dadurch wird der Zusammenhalt innerhalb der Familie aufgebaut und auch gefestigt. In den zwei Wochen, die wir alleine in unserem jeweiligen Ei verbrachten, hätte das natürlich nicht erfolgen können. Bevor wir es nicht verlassen, ist es uns nämlich nicht möglich, zu piepen. Außerdem hört man dort drinnen auch nicht wirklich viel!

Etwas weiter weg von mir, am Rande des Nestes, schnarchte Samtbäuchlein. Er hockte gerade so weit von uns allen entfernt, dass wir uns noch gegenseitig wärmen konnten. Ich vermutete, dass er sich ein wenig entfernt von uns hingehockt hatte, um niemanden durch seine Schnarchgeräusche zu stören. Als ich ihn mir so genau betrachtete, erkannte ich, dass ihm schon wieder mehr Flaum an seinem Bauch und an seinen Flügeln gewachsen war!

Etwas regte sich neben mir. Als ich hinblickte, erkannte ich, dass die Zwillinge die Ursache dafür waren. Ihre Augen wirkten noch ein wenig aufgequollen vom Schlafen. Sie wünschten mir einen guten Morgen, zwitscherten überschlagend durcheinander, wodurch Federchen und natürlich auch Piep aufgeweckt wurden. Wir wünschten ihnen ebenfalls einen guten Morgen und Piep sagte an niemand Bestimmtes gerichtet:

„Habe ich gut geschlafen. Es war so kuschelig und viel besser, als alleine in einem Ei zu sein! Nur, jetzt habe ich schon wieder einen Riesenhunger!“

Wie durch den Waldwichtel hergezaubert, schwebte Mama zu uns, zwitscherte einen guten Morgen und fütterte uns anschließend alle der Reihe nach. Als Erstes bekam Piep eine kleine grüne Spinne ins Schnäbelchen gesteckt, die ihm ganz gut zu schmecken schien.

Spinnen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Ernährung, da sie beim Verzehr sowohl den Mut als auch das Selbstvertrauen stärken, sagt Mama!

Samtbäuchlein war durch Mamas Eintreffen ruckartig wach geworden und kaute bereits schmatzend auf einer fetten Raupe herum. Mama hatte sie von Papa am Loch in Empfang genommen und unserem Bruder schnell in den Schnabel gestopft.

Die Zwillinge mampften eher beiläufig und plapperten mit vollem Schnabel miteinander. Die fortwährenden Ermahnungen unserer Mama, nicht mit vollem Schnabel zu sprechen, überhörten sie geflissentlich! Sie tuschelten über irgendwelche geheimen Unternehmungen, wobei sie sich stellenweise einer eigenen Sprache bedienten, die keiner von uns verstand. Begleitet wurde das Ganze von einer Menge Gekicher und Geschubse!

Federchen hatte, wie wir alle, auch eine Leckerei erhalten. Kein noch so winziges Stückchen fiel auf ihren makellos sauberen Körper, während wir Jungs uns umfänglich voll kleckerten. Federchen aß so geziert, wie nur weibliche Vögel das können, wie ich heute wusste.

Mama hatte mal einen Vortrag darüber gehalten, als sie sich mal wieder über den Schmutz auf unseren Federn aufgeregt hatte. Sie sagte, Männer müssten irgendwie immer alles schnell in sich hineinstopfen und sich dabei möglichst großflächig besudeln. Wir hätten auch absolut kein Problem damit, mit unseren verklebten und schmutzigen Körpern mehrere Tage lang herum zu hüpfen, beklagte sie sich weiter und als ob das noch nicht genug wäre: Wir würden auch in der gesamten Behausung unsere Dreckspuren hinterlassen, die sie natürlich wieder beseitigen müsse! Meine persönlichen Lebenserfahrungen hierzu zeigen, dass Frauen absolut keine gesunde Einstellung zu Dreck haben! Er ist schließlich natürlich, befindet sich überall und wird er beseitigt, zieht unser männlicher Körper ihn umgehend wieder an! Man kann machen, was man will, aber der Dreck erscheint immer ohne unser eigenes Dazutun – fast wie von Wichtelhand! Für uns ist das „Schmutzig machen“ ein ganz natürlicher Vorgang, genauso wie es für die weiblichen Vögel ein natürlicher Vorgang ist, sich jedes Mal darüber aufzuregen!

Mama flog jedenfalls wieder zum Ausflugsloch und nahm erneut von Papa Futter für uns entgegen. Hin und wieder tauschten die beiden auch die Plätze und Mama nahm dann wahrscheinlich Nahrung auf – oder machte das, was alle Frauen machten, wie Papa dann häufiger sagte. Ich hatte allerdings keine Ahnung, was das sein konnte!

Die folgenden Tage waren angefüllt mit den immer gleichen Handlungen. Hin und wieder, wenn wir mal gerade keinen Hunger verspürten oder nicht schliefen, unterrichteten unsere Eltern uns wechselseitig. Es gab so vieles über die Welt zu lernen, die uns außerhalb unserer Behausung erwarten würde. Unsere Eltern erzählten uns von den Jahreszeiten – von Sonne, Regen, Wind und Geräuschen. Sie beschrieben uns die verschiedenen Bewohner des Platzes, an dem wir lebten oder das unterschiedliche Futter, welches wir hier finden könnten.

So vergingen die Tage, während wir versuchten, alles in uns aufzusaugen. Dabei wurden wir größer und stärker und bekamen ein dichteres Federkleid! Als Mama fand, dass unsere Federn genug gewachsen waren, rief sie uns zusammen und sagte energisch:

„Stellt euch nun alle in einer Reihe auf! Ich werde euch jetzt lehren, wie eure Körper und eure Federn richtig geputzt und gepflegt werden.“

Das hörte sich für mich nicht allzu spannend an, Federchen schien aber von dieser Ankündigung ziemlich angetan zu sein. Mamas Aufforderung ließ uns Jungs leider keinen Spielraum für Kreativität, sodass wir ihr umgehend folgten!

Zuerst sollten wir alle den rechten Flügel ganz nach oben heben und mit unseren Schnäbeln unter der Achsel nach Flöhen oder Zecken suchen. Falls welche vorhanden waren, mussten sie entfernt werden. Sie vermehrten sich sehr schnell und weil sie unser Blut tranken, hatte das für uns ständiges Jucken zur Folge. Sie stachen nämlich einen immer, um das zu bekommen und natürlich wollte das keiner von uns!

Als der rechte Flügel gründlich untersucht worden war, folgte die gleiche Behandlung mit dem linken Flügel, dann mit dem Bauch und schließlich mit unseren Schwanzfedern. Das Säubern des Rückens war deutlich schwieriger, sodass wir uns gegenseitig helfen mussten.

Für Bürste und Kralle war dies wieder einmal ein willkommener Anlass, um Unfug zu machen! Sie boten mir edelmütig ihre Hilfe bei der Untersuchung meiner Rückenfedern an, die ich dankbar in Anspruch nahm. Ich drehte ihnen meinen Rücken zu und sie begannen mit dessen Säuberung. Ich spürte mehrmals ein leichtes Zupfen und war davon überzeugt, dass es die Schnäbel der beiden wären, die meine Federn nach Ungeziefer durchpflügten, doch plötzlich erhob Mama ihre Stimme und zwitscherte nachdrücklich:

„Bürste, Kralle! Entfernt sofort die Kletten vom Rücken eures Bruders, die ihr dort gerade angebracht habt!“

Die anderen drei Geschwister schauten zu mir hinüber, begannen zu kichern und Federchen sagte zu mir:

„Ich finde, die Kletten auf deinem Rücken sehen richtig hübsch aus. Wie kleine, stachelige Pompons!“

„Ja, du hast Recht. Es sieht wirklich sehr hübsch aus, aber hier geht es nicht um Albernheiten! Es geht nur darum, wie ihr später in der Luft überleben könnt!“, rückte Mama unsere Sichtweise gerade. Mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck machten sich Bürste und Kralle eilig daran, mir die Kletten vom Rücken zu entfernen. Dabei entschuldigten sie sich mehrfach bei mir für ihre unüberlegte Aktion. Ich beruhigte sie damit, dass mir die Gefahr auch nicht bewusst gewesen wäre und dass mir ja – Wichtel sei Dank – nichts passiert sei. Wir befanden uns ja auch noch in der Behausung!

Nachdem wir alle Fremdkörper unter dem strengen Blick von Mama aus unserem Federkleid entfernt hatten, wies sie uns noch an, zum Abschluss alle Federn mit unserer Zunge zu säubern. Danach verkündete sie, zu unserer Erleichterung, dass sie nun wieder Nahrung für uns besorgen würde.

Kaum war sie verschwunden, hockten wir uns auf den Boden, um uns von der anstrengenden Prozedur zu erholen. Wie nicht anders zu erwarten war, fielen Samtbäuchlein direkt die Augen zu und er begann leise, mit halb geöffnetem Schnabel, zu schnarchen.

Die Zwillinge indes schienen aber noch über genügend Energiereserven zu verfügen. Sie trieben einen hässlich aussehenden Käfer mit Strohhalmen, die sie sich in ihre Schnäbel gesteckt hatten, in Richtung von Samtbäuchleins geöffnetem Schnabel! Als dieser tief Luft holte, um einen erneuten, gewaltigen Schnarcher erschallen zu lassen, wurde der Käfer in seinen Schnabel gesogen. Samtbäuchlein schluckte kurz und hustete – dann drehte er den Kopf auf die andere Seite. Weil er friedlich weiter schlief, kugelten sich Bürste und Kralle vor Lachen auf der Erde!

Plötzlich stand unsere Mama sowohl mit einem wissenden als auch mit einem strengen Blick hinter ihnen. Sie hüpfte auf die beiden Übeltäter zu, öffnete in einer schnellen, fließenden Bewegung zunächst Bürstes Schnabel und stopfte etwas hinein, dann wiederholte sie diese Behandlung auch bei Kralle. Als die beiden schluckten, was ihnen Mama in die Schnäbel gestopft hatte, stöhnten sie fast gleichzeitig auf:

„Igitt Mama, die sind ja so bitter und so sauer! Du weißt doch, dass wir keine Ameisen mögen! Außerdem beißen sie einen im Schnabel!“

„Das ist mir egal“, entgegnete Mama ungerührt, „zum einen werdet ihr schön groß von ihnen und es hält euch hoffentlich zum anderen davon ab, andauernd so viel Unfug zu machen! Wie zum Beispiel, schlafenden Geschwistern Käfer in die Schnäbel zu schubsen.“

Ertappt schauten die beiden Brüder sich gegenseitig an, nahmen ihre Köpfe nach unten und Kralle wisperte zu seinem Bruder ganz leise:

„Dungbräter noch mal, sie hat uns gerade gesehen!“

„Papa und ich, wir sehen und hören alles. Außerdem sollt ihr nicht fluchen! Jetzt macht ihr zur Strafe eure Moosbetten sowie die eurer Geschwister“, ordnete Mama bestimmt an und fügte noch hinzu:

„Inzwischen schaue ich mal, was es zum Mittagessen gibt. Vielleicht finde ich ja noch den einen oder anderen hässlichen Käfer für euch!“

Danach flog sie hinaus und sogleich begannen die Zwillinge mit dem, was Mama ihnen aufgetragen hatte: Betten machen! Währenddessen kauten sie auf einem Stück Moos herum, um den Geschmack der Ameisen aus ihren Schnäbeln zu bekommen.

Wir anderen brachten den Rest der Behausung in Ordnung und nach einiger Zeit war es uns gemeinsam gelungen, unser Nest wieder recht ordentlich herzurichten. Sogar den Abfall hatten wir innen vor dem Ausflugsloch aufgehäuft, damit Mama und Papa ihn beim Hinausfliegen mitnehmen konnten, da wir ja noch nicht fliegen konnten!

Es dauerte nicht lange, da kam Mama wieder herein geflogen und hatte eine Art strohfarbenes Steinchen in ihrem Schnabel, welches sie vor Samtbäuchlein hinfallen ließ. Er schaute kurz, pickte einmal darauf, öffnete und schloss sein Schnäbelchen. Es schmeckte ihm offensichtlich, denn er pickte jetzt immer schneller darauf herum, bis nicht ein Krümelchen mehr übrig war. Dann säuberte er sich das Schnäbelchen von beiden Seiten und stieß einen zufriedenen Pfiff aus. Trotzdem schaute er sich sorgsam den Boden an, ob er nicht etwa ein Stückchen übersehen hatte, was aber leider nicht der Fall war!

Unterdessen blickte sich Mama in unserer Behausung um und sagte dann zu uns:

„Das habt ihr aber sehr schön aufgeräumt! So sieht Ordnung aus! Da Papa und ich fast die ganze Zeit mit eurer Aufzucht beschäftigt sind, könntet ihr das in Zukunft immer so …“

Samtbäuchlein unterbrach sie abwesend:

„Mmh, das war aber lecker! Was war das denn? Hast du noch mehr?“

„Eine Nuss! Um genau zu sein, eine Walnuss! Lecker und gesund, das einzige Dumme ist die harte Schale. Aber wenn sie geöffnet ist, war es auf jeden Fall die Mühe wert! Es gibt mehr davon, aber deine Geschwister möchten bestimmt auch mal eine essen“, enttäuschte ihn die Mama, begab sich zum Ausflugsloch, nahm den danebenliegenden Abfall mit ihrem Schnabel auf und flog wieder aus unserer Behausung.

Nach kurzer Zeit kam sie erneut mit einer Nuss im Schnabel zurück und gab sie dieses Mal Piep. Auch er pickte schnell und voller Vergnügen darauf herum.

„Die sind aber wirklich sehr lecker!“, sagte er dann zu Mamas Missfallen mit vollem Schnabel, weshalb ihm während des Redens Stückchen aus dem Schnabel flogen.

„Wenn sie dir doch so gut schmecken, warum machst du deinen Schnabel denn auf, wenn du noch Essen darin hast?“

Sie flog erneut nach draußen und brachte sowohl Federchen als auch mir je eine Nuss mit, die wir ebenfalls begierig aßen. Auch wir fanden diese Nüsse sehr lecker und sagten ihr das – sogar mit leerem Schnabel!

Die Zwillinge schauten nun Mama mit großen, unschuldigen, fast schon traurigen Augen an. Sie flatterten zaghaft mit den Flügelchen, während sie dabei versuchten, möglichst niedlich auszusehen. Ihr Ziel war eindeutig: Mitleid zu erwecken, um dadurch an einer dieser Nüsse zu gelangen!

„Schon gut, schon gut“, lachte Mama, „ihr bekommt natürlich auch jeder eine Nuss und braucht deshalb gar nicht so gequält zu schauen.“

Wiederum flog sie nach draußen und holte Nüsse für die Zwillinge. Natürlich machten sie sich gleich darüber her, jedoch nicht, ohne sich dabei anzurempeln, zu knuffen, zu schubsen oder sich gegenseitig ein wenig zu picken.

Ich glaube, das war der Moment, in dem wir alle unser Leibgericht gefunden hatten! Sobald wir alles bis auf das letzte Bröckchen aufgegessen hatten, flogen die Eltern erneut in pausenlosem Wechsel aus und wieder in unsere Behausung, um uns zu füttern – leider nicht mehr mit Walnüssen!