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Arbeit diszipliniert, zerstört den Körper und ist Instrument der Herrschenden – davon überzeugt war der Sozialist Paul Lafargue. Insofern verwunderte es ihn nicht, dass Ökonomen, Theologen und Moralisten seiner Zeit die Arbeit propagierten. Doch dass ausgerechnet die Arbeiterbewegung dieser Propaganda aufsaß und gar das »Recht auf Arbeit« einforderte, missfiel Lafargue gewaltig. Seinen bissigen Ein- und Widerspruch veröffentlichte er erstmals im Jahr 1880 unter dem Titel »Das Recht auf Faulheit«: »Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht.«
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Seitenzahl: 56
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Vorwort des Übersetzers
Vorwort des Verfassers
I. Ein verderbliches Dogma
II. Der »Segen« der Arbeit
III. Was aus der Überproduktion folgt
IV. Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Als ich mich seinerzeit entschloss, die vorliegende kleine Schrift meines Freundes Lafargue den deutschen Arbeitern zu unterbreiten – sie erschien zuerst als Feuilleton im »Sozialdemokrat« –, da wurde mir von verschiedenen Seiten die Befürchtung geäußert, sie werde missverstanden werden, der Titel allein genüge, böses Blut zu machen, und anderes mehr.
Indes, diese Furcht stellte sich als unbegründet heraus, es liefen keine Reklamationen ein, vielmehr fanden die Artikel so viel Anklang, dass die Herausgabe des Ganzen in Broschürenform wünschenswert erschien.
Diese deutsche Übersetzung ist nicht ganz wörtlich. Im Einverständnis mit dem Verfasser sind einige nicht unbedingt zum Thema gehörige und nur für französische Leser verständliche Sätze fortgeblieben, während an anderen Stellen auf deutsche Verhältnisse passende Einschaltungen vorgenommen, deutsche Persönlichkeiten anstelle französischer zur Exemplifizierung benutzt wurden. Nur so war es möglich, der Schrift den Charakter der Satire zu erhalten. Auch die Kapiteleinteilung ist eine andere als die des Originals.
Im Übrigen seien hier die Worte wiederholt, mit denen die Redaktion des »Sozialdemokrat« seinerzeit die Publikation einleitete: »So denken wir uns den Dank unserer Leser dadurch zu verdienen, dass wir sie mit einer Schrift bekannt machen, welche mit ihrem beißenden Sarkasmus, mit ihrer rücksichtslosen Offenheit vortrefflich geeignet ist, mit allerhand Vorurteilen, die sich bis in unsere Reihen eingeschlichen haben, tüchtig Kehraus zu machen. Die Biedermeierei, die in Deutschland das große Wort führt und über die ›Frivolität‹ eines Heines augenverdrehend zetert, darf in unserer Partei keinen Widerhall finden. Mehr als je müssen wir vielmehr gegen Scheinheiligkeit und Duckmäusertum ankämpfen und uns vor allem daran gewöhnen, offen auszusprechen, was wir für Recht halten, und unbefangen zu prüfen, was neu an uns herantritt.
Unbefangen prüfen, das ist es auch, was wir den Lesern in Bezug auf die Lafargue’sche Schrift empfehlen. Nicht aus polemischen Gründen bringen wir sie zum Abdruck – wenn wir polemisieren, so tun wir dies offen und ohne Rückhalt –, sondern ihrer unleugbaren Vorzüge wegen. Sie enthält in knappster Form eine Fülle von anregenden Gedanken sowie von beweiskräftigem Material für unsere Sache, sodass selbst der sie mit Gewinn lesen wird, dem ihre ›Moral‹ oder ›Unmoral‹ – wie man’s eben nehmen will – doch einige ›Bedenken‹ erregt.«
Im Jahre 1849 sagte Herr Thiers als Mitglied der Kommission für den Elementarschulunterricht: »Ich will den Einfluss des Klerus zu einem allgemeinen machen, weil ich auf ihn rechne in der Verbreitung jener gesunden Philosophie, die den Menschen lehrt, dass er hier ist, um zu leiden, und nicht jener anderen Philosophie, die im Gegenteil zum Menschen sagt: Genieße!« Herr Thiers formulierte damit die Moral der Bourgeoisie, deren brutaler Egoismus und deren engherzige Denkart sich in ihm verkörperte.
Als das Bürgertum noch gegen den von der Geistlichkeit unterstützten Adel ankämpfte, pflanzte es das Banner der freien Forschung und des Atheismus auf; kaum aber hatte es sein Ziel erreicht, so änderte es Ton und Haltung; und heute sehen wir es bemüht, seine ökonomische und politische Herrschaft auf die Religion zu stützen. Im 15. und 16. Jahrhundert hatte es fröhlich die Überlieferungen des Heidentums aufgegriffen und das Fleisch und dessen Leidenschaften, diesen »Gräuel« in den Augen der christlichen Moral, verherrlicht; heute dagegen, wo es in Reichtum und Genüssen aller Art fast erstickt, will es von den Lehren seiner Denker, der Rabelais und Diderot, der Lessing und Goethe, nichts wissen und predigt den Lohnarbeitern die Lehre von der Enthaltsamkeit. Die kapitalistische Moral, eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem feierlichen Bannfluch: Ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten (d.h. des wirklich Produzierenden) auf das geringste Minimum zu reduzieren, seine Genüsse und seine Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man ohne Rast und ohne Dank Arbeit nach Belieben herausschindet.
Die revolutionären Sozialisten sind somit vor die Aufgabe gestellt, den Kampf, den einst die Philosophen und Satiriker des Bürgertums gekämpft haben, wieder aufzunehmen; sie haben wider die Moral und die Soziallehren des Kapitalismus Sturm zu laufen und in den Köpfen der zur Aktion berufenen Klasse die Vorurteile auszurotten, welche die herrschende Klasse gesät hat; sie haben allen Moralitätsheuchlern gegenüber zu verkünden, dass die Erde aufhören wird, das Tal der Tränen für die Arbeiter zu sein, dass in der kommunistischen Gesellschaft, die wir errichten werden – »wenn es geht, friedlich, wenn nicht, mit Gewalt« –, die menschlichen Leidenschaften freien Spielraum haben werden, da alle, wie bereits Descartes sagte, »von Natur aus gut sind, wir nur ihren falschen und übermäßigen Gebrauch zu vermeiden haben«. Und das wird nur durch das freie Gegenspiel der Leidenschaften und die harmonische Entwicklung des menschlichen Organismus erreicht, »denn«, sagt Dr. Beddoe1, »erst wenn eine Rasse das Maximum ihrer physischen Entwicklung erreicht, erreicht sie auch den höchsten Grad von moralischer Kraft und Energie«. Das war auch die Meinung des großen Naturforschers Charles Darwin.2
Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. Ich, der ich weder Christ noch Ökonom noch Moralist zu sein behaupte, ich appelliere von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vorschriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die schauerlichen Konsequenzen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung. Man vergleiche die von einer ganzen Schar zweihändiger Knechte bedienten Vollblutpferde in den Ställen eines Rothschild oder Hohenlohe mit den schwerfälligen normannischen oder pommerischen Gäulen, welche das Land beackern, den Mistwagen ziehen und die Ernte einfahren müssen! Man betrachte den stolzen Wilden, wenn ihn die Missionare des Handels und die Handlungsreisenden in Glaubensartikeln noch nicht durch Christentum, Syphilis und das Dogma von der Arbeit korrumpiert haben, und dann vergleiche man mit ihnen unsere abgerackerten Maschinensklaven!3