Das Recht des Kindes, unglücklich zu sein - Claus Koch - E-Book

Das Recht des Kindes, unglücklich zu sein E-Book

Claus Koch

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Beschreibung

Unglücklich zu sein, genießt einen schlechten Ruf. Es wird häufig mit Schwäche gleichgesetzt und dem Unvermögen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. "Don't worry, be happy" lautet der Imperativ unserer Gesellschaft. Und Eltern sollen Kinder haben, die möglichst immer glücklich sind. Damit wird ein Ziel vorgegeben, an dem jede Erziehung scheitern muss. In seinem neuen Buch geht der bekannte Autor Claus Koch auf das Glücksdiktat in unserer Gesellschaft ein und wie es sich auf das Erleben und Denken unserer Kinder auswirkt. Er nennt zehn Gründe für das Recht eines Kindes, unglücklich zu sein, denen er zahlreiche Beispiele hinzufügt, die Kinder, Jugendliche und Eltern selbst zu Wort kommen lassen. Anschließend gibt er fundierten Rat, wie Eltern unglücklichen Kindern am besten beistehen und ihnen helfen können.

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Seitenzahl: 262

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Claus Koch

Das Recht des Kindes, unglücklich zu sein

Ängste, Frust & Co. zulassen und verstehen

Dieses Werk wurde vermittelt durch

Aenne Glienke | Agentur für Autoren und Verlage

www.AenneGlienkeAgentur.de

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagmotiv: © Nadezhda1906 / GettyImages

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster

ISBN Print 978-3-451-60121-7

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83098-3

Inhalt

Einleitung

TEIL 1 Unglückliche Kinder verstehen

1. Kapitel Ich bin glücklich, also bin ich

2. Kapitel Glückliches Kind – glückliche Eltern!

3. Kapitel Glücksmomente der Erwachsenen und des Kindes

4. Kapitel Glück und Bindung

5. Kapitel Unglückliche Kinder im Märchen

6. Kapitel Vom Glück des Kindes, über sein Schicksal selbst bestimmen zu dürfen

7. Kapitel Zehn Gründe für das Recht des Kindes, unglücklich zu sein

TEIL 2 Unglücklichen Kindern helfen

8. Kapitel Mit unglücklichen Kindern gut umgehen

9. Kapitel Wie unglückliche Kinder sich mitteilen

10. Kapitel Was unglückliche Kinder von uns erwarten

Nachwort

Literatur

Anmerkungen

Über den Autor

Einleitung

»Es war herrlich draußen auf dem Lande. Es war Sommer. Das Korn stand gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den Wiesen zu Haufen zusammengetragen« – inmitten dieser Idylle beginnt ein Märchen, das die meisten von uns kennen und bis heute anrührt. Denn hier kommt das hässliche Entlein zur Welt, von dessen Wandlung hin zu einem schönen Schwan uns sein Schöpfer Hans Christian Andersen vor mehr als 150 Jahren erzählt hat. Kinder wie Erwachsene lieben dieses Märchen, obwohl es so traurig beginnt, und begleiten das hässliche Entlein in ihren Gedanken gemeinsam auf seinem Weg in ein glückliches Leben.

Von der Gemeinschaft ausgeschlossene Tiere wie das hässliche Entlein finden sich in vielen Märchen, ebenso wie unglückliche und einsame Kinder. Und nahezu alle Kinder lieben solche Erzählungen, obwohl sie anfangs so traurig beginnen. Sie fiebern mit ihren kleinen Heldinnen und Helden und freuen sich, wenn am Ende alles gut ausgeht. Und so sehen und empfinden es auch die Erwachsenen, wenn sie ihren Kindern solche Geschichten vor dem Einschlafen vorlesen. Am Ende winkt dem oder der Unglücklichen das Glück: »Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.«

Dennoch scheint ein Buch, das auch dem eigenen Kind das Recht zugesteht, unglücklich zu sein, auf den ersten Blick als Provokation. Wollen denn nicht alle Eltern, dass ihr Kind von Geburt an glücklich ist, dass es ihm gutgeht, und dies nicht zufällig, sondern weil sie selbst als Eltern dafür Sorge getragen haben? Und dafür würden sie am liebsten alles tun. Vielleicht nicht immer das Richtige. Aber wer weiß schon, was in der Erziehung wann und zu welcher Zeit »das Richtige« für ein Kind ist?

Aber damit, möglichst immer für ihr Kind da zu sein, besonders, wenn es ihm nicht gutgeht, wenn sie ihm am liebsten sämtliche Hindernisse aus seinem Lebensweg räumen möchten, übernehmen Eltern eine Aufgabe und Verantwortung, der sie kaum gerecht werden können. Oft fühlen sie sich dann schuldig, wenn sie sich ihr nicht gewachsen fühlen oder sich das Leben ihres Kindes anders entscheidet. Eltern haben nicht alles in ihrer Hand. Doch trotz Rückschlägen und bis auf sehr wenige Ausnahmen wollen Eltern, dass es ihren Kindern gutgeht, und dies möglichst immer. Das Glück ihrer Kinder befindet sich stets am oberen Ende ihrer Wunschskala.

Das weiß auch die Werbeindustrie. Pausenlos preist sie uns Produkte an, die uns und unseren Kindern Glück bringen sollen, von der Wohnungseinrichtung über das passende Outfit, die kindgerechte Urlaubsreise und virtuelle Spielereien bis hin zur Marmelade, die seinen Namen trägt. Unzählige Filme, Videos in den sozialen Medien und Popsongs handeln vom Glück und geben uns nebenbei Ratschläge, wie wir glücklich werden können: »Don’t worry, be happy«, dieser Ruf erreicht uns aus allen Ecken des Internets, nahezu jede Vorabendserie im Fernsehen handelt davon, wie wir dieses Ziel trotz manchmal widriger Umstände am besten und dennoch erreichen können.

»Don’t worry, be happy« dürfte die bis heute meist gespielte Beschwörungsmelodie sein, es, statt sich mit Sorgen und Kummer herumzuplagen, doch lieber einmal mit dem Glück zu versuchen. Nahezu jede und jeder hat diese Hymne in seinem oder ihrem Leben schon einmal gehört und selbst vor sich her gepfiffen. Das Glück, so greifbar nahe – man muss es nur wollen! Zahlreiche »Glücks-Apps« zeigen uns, wie das geht. Das Glück als höchstes aller Gefühle ist machbar!

Die meisten dieser Bücher sind, auch wenn sie sich in unendlich vielen Spielarten wiederholen, dennoch gut gemeint. Wer will schon ein Kind, das unglücklich ist? Aber genau hier lauert die Gefahr ihrer Botschaft. Denn das so werbewirksam versprochene Glück, zumal in einem Umfeld, welches häufig Glücksfähigkeit und persönlichen Erfolg miteinander verknüpft, stellt Eltern vor eine sie immer wieder von Neuem überfordernde Aufgabe und konfrontiert sie mit einem Anspruch, den Erziehung nicht einlösen kann. Es ist ein den Eltern vorgegebenes Maß, das sie, wenn es verfehlt wird, häufig im Stillen verzweifeln lässt und traurig macht. Sie beziehen die einfache Tatsache, dass ihr Kind manchmal oder über einen längeren Zeitraum nicht glücklich ist, auf sich selbst, ihr Unvermögen, ihr Kind glücklich zu machen. Sie suchen die Schuld für das Unglück ihrer Kinder bei sich. Denn unsichtbar schwingt bei dieser Art von Glücksversprechen immer auch das Misstrauen solchen Eltern gegenüber mit, die es einfach nicht hinbekommen, ihr Kind glücklich zu machen.

Hinzu kommt, dass Eltern von Verwandten, Freunden und Bekannten, aber auch von pädagogischen Fachkräften, häufig vermittelt wird, ein unglückliches Kind sei ein schwaches Kind, das den vielfältigen Anforderungen, die an es gestellt werden, nicht gerecht werden kann. Auch deshalb dürfe man einem Kind nicht zumuten, unglücklich zu sein, und müsse stattdessen dafür sorgen, dass es, wie es in vielen Elternratgebern heißt, möglichst »stark« oder »resilient« ist.

*

Mein Buch will mit dem schlechten Ruf, der einem »unglücklichen Kind« vorauseilt und der viele, wenn nicht die meisten Eltern belastet, gründlich aufräumen. Es tritt dafür ein, dass Kinder ebenso wie glücklich zu sein auch das Recht haben, sich unglücklich zu fühlen. Sich unglücklich oder traurig zu fühlen ist nichts Schlechtes, sie sollen es ausleben dürfen, ohne dass wir, ob als Eltern oder Pädagogen, sofort dagegen einschreiten. Ein Kind mit den Worten zu belehren »Ist doch alles nicht so schlimm«, hilft ihm nicht weiter, denn in diesem Moment möchte es unglücklich sein, und niemand soll es dabei stören.

Wenn sich ein Kind zum Beispiel ungerecht behandelt fühlt, will es unglücklich sein, und niemand soll ihm widersprechen. Und manchmal will ein Kind auch in seiner Phantasie unglücklich sein wie diejenigen, denen es in Kinderbüchern, Märchen oder in Filmen begegnet. In der Hoffnung, dass am Ende alles gut ausgeht. Kinder, besonders, wenn sie älter und zu Jugendlichen werden, schwelgen manchmal gerne im Unglück, was auch der Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen dient: »Ihr und die ganze Welt seid schuld, dass es mir gerade nicht gutgeht.« Unglücklich zu sein kann also auch Entlastung bedeuten, wenn man sich bemüht, selbständig zu werden. Andererseits kann es aber auch ein Hilfeschrei sein, obwohl Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Gründen meistens nicht gerne zugeben, unglücklich zu sein. Dem Kind oder Jugendlichen aber sein Unglück zu bestreiten, lässt es sprachlos und schweigsam werden, und wir können ihm nicht helfen, aus seinem Unglück wieder herauszufinden.

Jedes Kind fühlt sich immer wieder einmal unglücklich. Aus verschiedenen Anlässen. Kinder erleben derlei Unglück oft unmittelbar im Augenblick – ohne dabei nach Gründen zu suchen oder sofort an die eigene Zukunft zu denken. Das nimmt ihnen auch ihre Angst vor diesem Gefühl. Am nächsten Tag könnte die Welt ja schon wieder ganz anders aussehen, zumindest so lange, wie kein neues Unglück passiert. Das unterscheidet sie von Jugendlichen oder Erwachsenen, die oft mehr fürchten, sich unglücklich zu fühlen, da sie sofort an die Konsequenzen denken, die dieses Gefühl für sie mitbringen könnte. Ihr Blick richtet sich in der Suche nach Gründen für ihr Unglück sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Sie fragen sich, woran es liege könnte, dass sie so unglücklich sind, begleitet von der Angst, ob und wann dieser Zustand wieder aufhört. Auch könnte ihre Stimmung bei anderen nicht so gut ankommen, wenn es um das berufliche Weiterkommen geht. Oft suchen sie dann nach einem, der schuld daran ist, dass sie sich so unglücklich fühlen.

Kinder sind anders. Sie geben, zumindest solange sie noch klein sind, nur selten den Erwachsenen die Schuld dafür, wenn sie sich unglücklich fühlen. Vielleicht hat es mit ihrer eigenen Unwissenheit um die Gründe, weshalb sie unglücklich sind, zu tun, aber auch und besonders mit der unmittelbaren Nähe zu ihren Eltern, die für sie sorgen und sich doch alle Mühe geben, sie glücklich zu machen. Kinder wollen sich ihren Eltern gegenüber fast immer loyal verhalten. Sie wollen ihnen nicht wehtun, weil sie wissen, dass sie noch lange auf sie angewiesen sind. Lieber schweigen sie.

Kindern das Recht zu geben, unglücklich zu sein, ist etwas ganz anderes, als ihnen dabei zuzusehen, wenn sie dauerhaft leiden, weil man sie misshandelt, ihnen absichtlich wehtut, ihnen die Freude am Leben nimmt oder weil starke Ängste, begründet oder unbegründet, ihr Leben bestimmen. Dann ist es unsere Aufgabe als Erwachsene, ihnen unmittelbar beizustehen und zu helfen.

Außer Frage steht auch, dass Erziehung Voraussetzungen dafür schaffen kann, dass ein Kind oder ein Jugendlicher Krisen in seiner Entwicklung gut überstehen kann. Wozu auch gehört, Phasen, in denen man sich unglücklich fühlt, gut überstehen zu können und neuen Lebensmut zu finden. Wie unzählige Studien gezeigt haben, ist die beste Voraussetzung, einem Kind dabei zu helfen, sein Leben zu meistern, ihm von Geburt an das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben, es anzuerkennen, wie es ist, und feinfühlig auf es einzugehen, wenn seine Blicke, Gesten und Worte es von uns verlangen. Aber dies ist keine Garantie dafür, dass es deswegen immer glücklich und mit sich zufrieden ist. Im Gegenteil: Jedes Kind und jeder Jugendliche kennt Phasen in seiner Entwicklung, in denen er sich unglücklich fühlt. Dieses Gefühl gehört zum Leben wie jedes andere auch. Wer wie die Werbung oder eben auch wie manche Bücher Kindern und Jugendlichen ausreden will, dass Angst, empfundenes Leid oder auch Unglück zum Leben gehört, macht sie unfähig, mit diesen Gefühlen adäquat umzugehen, lässt sie erstarren und beraubt sie ihres Gefühls, wirksam etwas dagegen unternehmen zu können. Es ist gerade die Überwindung unglücklicher Stimmungen, aus der heraus ein Kind oder ein Jugendlicher sich stark fühlt. Und wer diese Stimmung nicht kennt, weil man sie nicht zulassen will, weiß auch meistens nicht, wie es sich anfühlt, glücklich zu sein. Das Leben wird zu einem trägen Fluss.

Auch das gut behütete und erst recht das einsam zurückgelassene Kind macht die Erfahrung, dass sein Leben es nicht immer gut mit ihnen meint. Verlorene Freundschaften, feindselige Begegnungen in Kita und Schule, Schulstress, Trennung und Scheidung, Zukunftsängste und vieles mehr stehen am Wegrand der Entwicklung nahezu aller Kinder und Jugendlicher. Sich manchmal traurig oder unglücklich zu fühlen, gehört einfach dazu, und es gilt, diese Stimmungen des Kindes und Jugendlichen anzuerkennen; man muss ihnen Raum geben, auch um der Erfahrung willen, mit eigener Kraft wieder aus ihnen herauszufinden. Viele Ratgeber, aber auch Fachleute suggerieren Eltern, dass es erst gar nicht so weit kommen muss, bzw. dass es gilt, wenn unglückliche Phasen das Leben bestimmen, sie möglichst schnell zu überwinden und ihre Spuren zu verwischen. Oft hören solche Kinder und Jugendliche dann von ihren Eltern den toxischen Satz: »Wie kannst du nur traurig oder unglücklich sein, du hast doch alles!« Dann entwickeln sich bei ihnen verschwiegene und unausgesprochene Schuldgefühle ihren Eltern gegenüber, die doch alles tun, um ihr Kind glücklich zu machen.

Fragt man Kinder und Jugendliche, wie es ihnen geht, zum Beispiel, wenn sie nach der Schule nach Hause kommen, sagen die meisten von ihnen »gut«, und zwar auch dann, wenn es überhaupt nicht gut war. Letzteres gibt man ungern zu, einerseits, weil man seine Eltern nicht unnötig belasten will, andererseits, weil man aus Sicht der Erwachsenen und wie es von der Gesellschaft gefordert wird, möglichst immer funktionieren soll, egal, wie es einem gerade geht. Mit dem schlechten Ruf, der gerade den unglücklichen Kindern vorausgeht, entwickelt sich bei ihnen in der Folge dann eine tiefe Leere und ein Schweigen, weil sie spüren, dass ihr Unglücklichsein nicht gewünscht ist. Aus der Angst heraus, dem Ideal vom »glücklichen Kind« nicht gewachsen zu sein, beantwortet das Kind die Frage, wie es im geht, fast immer positiv. So entspricht es dem einen Gebot, das von allen Seiten an es gestellt wird: Hauptsache, es geht dir gut und du bist glücklich! Dann fangen Kinder und Jugendliche an, was sie wirklich fühlen, zu verbergen, weil man darüber nicht spricht. Sie zerbrechen an diesem Ideal von Glück und fühlen sich umso mehr einsam und unglücklich, weil sie nicht zu denen gehören, die, wie sie es von allen Seiten hören, immer oder doch meistens glücklich sind. Es gehört viel Mut dazu, wenn ein Kind oder Jugendlicher vor seinen Eltern, wie verständnisvoll sie auch sein mögen, zugibt, dass es ihm innerlich nicht gut, sondern schlecht geht.

Der feinfühlige Umgang mit Kindern und Jugendlichen verlangt, das Unglück, sei es der eigenen oder fremder Kinder, anzuerkennen, was nicht bedeutet, es hinzunehmen. Unglückliche Kinder brauchen das Gefühl, unglücklich sein zu dürfen, und gleichzeitig die Gewissheit, dass diejenigen, die Verantwortung für sie tragen, ihnen gerade deswegen nahe bleiben und weiterhin für Anteilnahme, Schutz und Geborgenheit stehen. Dass sie sich schwach zeigen dürfen und ihre Stärke gerade darin besteht, Unglück und Trauer zu überwinden und auf diese Weise das Glück umso mehr schätzen zu lernen. Denn in den meisten Fällen kehrt es, oft in Form von kleinen Begebenheiten, wieder zu ihnen zurück: Eine neue Freundschaft entsteht, Trennungskinder finden zurück ins Leben und eine Erzieherin oder ein Lehrer gibt Kindern das Gefühl, so, wie sie sind und sich gerade fühlen, ganz besonders wertvoll zu sein.

*

Zum Aufbau des Buchs:

Im ersten Teil des Buchs geht es vor dem Hintergrund gesellschaftlich vorgegebener und normierter Glücksversprechungen um ein besseres Verständnis unglücklicher Kinder.

Das erste Kapitel weist auf die nahezu alle Lebensbereiche erfassende Jagd nach dem Glück in unserer Gesellschaft hin. Glück und ein gutes Leben zu haben werden eins, Glück ist der Maßstab, an dem sich unsere Existenz messen lassen soll. Nur der glückliche Mensch zählt. Glück ist machbar. Das hat Folgen: Aus solcher Perspektive wird das Unglück zum Ausnahmezustand, zum Stigma, zum Unvermögen.

Wie eng kindliches Glück und das Glück der Eltern miteinander verbunden sind und das kindliche Glück auf diese Weise zum Beuteschema von Eltern werden kann, zeigt das zweite Kapitel. Gemeint ist hier nicht das flüchtige Glück, das ein Kind oder Jugendlicher im jeweiligen Augenblick bei sich spürt, sondern das Glück als Ressource, als »Booster« für ein später erfolgreiches Leben.

Im dritten Kapitel wird dem in unserer Gesellschaft gängigen Glückbegriff das Glück eines Kindes entgegengesetzt. Worin unterscheiden sich kindliches Glück vom Glück der Erwachsenen?

Um die besten Voraussetzungen in der frühen und späteren Kindheit, dass ein Kind sich glücklich fühlt und sich aber auch unglücklich fühlen darf, geht es im vierten Kapitel. Alles hängt von der Erfüllung existenzieller Bedürfnisse eines jeden Kindes ab, die hier in ihrer Bedeutung angesprochen und näher erläutert werden.

Im fünften Kapitel geht es um Märchen. Nahezu alle Kinder lieben sie und identifizieren sich mit dem Schicksal unglücklicher Kinder, die dennoch ihr Leben meistern und am Ende, zumindest in den meisten Fällen, glücklich werden. Warum fasziniert Kinder, aber auch Jugendliche und Erwachsene das Schicksal unglücklicher Menschen so sehr? Hängt es vielleicht damit zusammen, dass sie hier ein Sprachrohr für eigenes, erlebtes Unglück finden, das unsere Gesellschaft am liebsten aus dem Leben jedes und jeder Einzelnen verbannen will?

Im sechsten Kapitel wenden wir uns dem Glück eines Kindes unter einem anderen Blickwinkel zu. Nicht dem allseits propagierten Glück von Werbefachleuten, Elternratgebern und Influencerinnen, sondern dem Glück des Kindes, seinem eigenen Willen Ausdruck zu verschaffen, sich selbst leben zu dürfen, weltoffen und neugierig zu sein, sich zu mögen, wie man ist.

Im siebten Kapitel fasse ich dann anhand des bisher Gesagten die Gründe, warum ein Kind das Recht hat, unglücklich zu sein, in zehn Thesen zusammen.

Im zweiten Teil des Buches geht es konkret darum, was unglückliche Kinder brauchen und wie wir ihnen helfen können.

Ein Menschenleben ohne unglückliche Phasen ist kaum vorstellbar. Und tatsächlich gibt es viele Anlässe, unglücklich zu sein – vom einfachen Schulkummer bis hin zur Angst vor einer unbewohnbaren Erde. Dem wenden wir uns im achten Kapitel zu. Im Anschluss an die vielen Beispiele, bei denen die Kinder und Jugendlichen auch selbst zu Wort kommen, finden sich Tipps und Ratschläge, wie Eltern und Erwachsene bei solchen Anlässen angemessen, hilfreich und einfühlsam auf das Unglücklichsein ihrer Kinder eingehen und ihnen helfen können.

Im neunten Kapitel geht es um eine dem unglücklichen Kind oder Jugendlichen altersgemäß angemessene und hilfreiche Gesprächsführung, bevor wir uns im zehnten Kapitel schließlich damit beschäftigen, wie wir unglücklichen Kindern, die aus ihrem Unglück allein nicht mehr herausfinden, konkret helfen können.

Hier verabschieden wir uns noch einmal von der trostspendenden Vorstellung, dass das Leben immer nur glückliche Momente für uns bereithält, und betonen gleichzeitig den Zauber, den nur das von jeglicher Normierung unverstellte Glück für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bereithält.

TEIL 1

Unglückliche Kinder verstehen

1. Kapitel

Ich bin glücklich, also bin ich

Die Glücksgesellschaft

Wir leben in einer Welt, in der traurig und unglücklich zu sein weniger denn je angesagt ist. Sich unglücklich fühlen ist mit einem Makel behaftet, der unglückliche Mensch wird zum »Loser«, man meidet seine Gesellschaft, unterstellt ihm Schwäche, Unvermögen und Selbstmitleid. Dies gilt in besonderem Maße für Kinder, die sich noch kaum gegen den allgegenwärtigen Glücksanspruch in unserer Gesellschaft wehren können. Ihre Abhängigkeit von den Erwachsenen und deren Glücksansprüchen macht es ihnen unendlich schwer, sich zu ihrem Unglück zu bekennen und sich anderen gegenüber zu öffnen. Unglückliche Kinder werden, auch in ihrer Beziehung zu anderen Kindern, häufig diskriminiert. Man meidet den Kontakt mit ihnen, als könne man sich bei ihnen anstecken. Unglückliche Kinder sind oft einsame Kinder. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich gegen die Gleichsetzung von »Unglück« und dem ihm anhaftenden schlechten Ruf wehren können, fehlen ihnen, je jünger sie sind, dazu die kognitiven Voraussetzungen und die Möglichkeiten, ihr Unglück mit eigenen Mitteln zu überwinden. Die lange andauernde Abhängigkeit von ihren Eltern trägt dazu ebenso bei wie dass sie anfällig werden für deren Glückversprechungen und sich ihnen – oft gegen ihren Willen – unterordnen. Dann schweigen sie lieber und verkriechen sich in sich selbst. Anerkennung dafür, wie sie sich gerade fühlen, finden sie dann ausgerechnet nicht bei denen, die sie lieben und bewundern. Das Glück, das auch sie suchen, wird in der Glücksgesellschaft, in der sie leben, zum Befehl, am besten immer und überall glücklich zu sein.

»Ich bin glücklich, also bin ich« – dieser Absolutheitsanspruch durchdringt die persönlichen Beziehungen in unserer Gesellschaft bis in ihre feinsten Verästelungen. Damit werden nicht alle Kinder und Jugendliche fertig. Die Situation, in der sie sich dann befinden, ist tragisch.

Mitten drin in der »Hygge-Welt«

Das dänische Standardlexikon Gyldendals Ordbog übersetzt das Wort »hygge« recht unspektakulär mit »Gemütlichkeit« bzw. einer »gemütlichen Atmosphäre«. »Hyggeaften« ist dann der gemütliche Abend, »hyggekrog« die Kuschelecke und es sich »hyggelig« machen, bedeutet einfach nur, es sich gutgehen zu lassen. Hierzulande aber hat dieses im Dänischen recht harmlos daherkommende Wort in den zurückliegenden Jahren eine große Karriere gemacht, was vor allem daran liegt, dass es mehr oder weniger mit »Glück« und einem »glücklichen Leben« gleichgesetzt wird. »Hygge« steht nicht mehr nur für Gemütlichkeit und Wohlbefinden, sondern gleichzeitig für ungebrochenes Glück in den eigenen vier Wänden, für ein ganz besonderes Lebensgefühl, das jede und jeden, wenn man nur will, glücklich werden lässt.

Sieht man sich im Netz um, wird so aus »hygge« ein »dänisches Rezept für mehr Glück im Alltag«, »hygge« verheißt, »glücklich und zufrieden wie die Dänen« zu werden, oder ganz schlicht: »so funktioniert Glück auf Dänisch«. Uns derlei Glücksverheißung nahezubringen gibt es eine Zeitschrift gleichen Namens, die als »Magazin für das einfache Glück« angepriesen wird, eine Glückserfahrung, die uns ebenso in anderen Zeitschriften wie flow, carpe diem oder happinez, die das Glück bereits in ihren Namen tragen, nahegebracht werden soll. Es gibt Cafés, die »Hygge« heißen, und ein Yogastudio für Babys, das sich stellvertretend für das glückliches Kleinkind »Hyggebaby« nennt, es gibt Seife mit entsprechendem Aufdruck und natürlich Bücher über Bücher, die das Wort oft schon in ihrem Titel führen oder entsprechend beworben werden: Hygge für Einsteiger, Hygge, ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht, Das große Hygge-Buch – einfach glücklich sein.

»Hygge, hygge, hygge« – nach einer entsprechenden Suchanfrage im Netz schwirrt einem der Kopf vor lauter »hygge« und »glücklich sein«. Die Hygge-Welt wird zu einem alltäglichen Bestandteil in unserem Leben, es ist ganz einfach, in ihr zu leben, und natürlich kommen in ihr auch Kinder vor – glückliche Kinder!

Das Glück, früher einmal Ausnahmezustand, in der Geschichte der Menschheit immer wieder feierlich beschworen und gefeiert, in Bildern, Büchern und philosophischen Schriften, in der Musik, vor dem Altar, bei Beerdigungen und auf der Bühne, ist zum Geschäftsmodell geworden.

Glück als Geschäftsmodell

Das Glück, überall und zu jeder Zeit angepriesen, ist alles andere als ein selbstloses Versprechen. Es wird denen, die es unablässig propagieren, zu einer unerschöpflichen Geldquelle. Die von dem Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, einst geäußerte kulturkritische Feststellung: »Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten«,1 wird so in ihr krasses Gegenteil verkehrt. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, dass es das höchste Ziel des Menschen ist, glücklich zu sein, sondern dass wirklich jede und jeder von uns, ganz unabhängig von jeweiligen Voraussetzungen, auch das Zeug dazu hat, es zu werden – wenn wir nur wollen! Glücklich werden lässt sich, mit anderen Worten, unter bestimmten Voraussetzungen kaufen, und wer es nicht tut, ist selbst schuld, unglücklich zu bleiben. Der Psychologe Edgar Cabanas und die Soziologin Eva Illouz sprechen in ihrem gleichnamigen Buch von einem »Glücksdiktat« und zeigen auf, wie es unser Leben mittlerweile bis in alle Verästelungen hinein beeinflusst.2

Dass man mit dem Lebensgefühl »glücklich zu sein« nicht nur viel Geld verdienen kann, sondern zu seiner wissenschaftlichen Erforschung auch viel davon eintreiben kann, hatten die Vertreter einer »Positiven Psychologie«, die in den 1990er Jahren entstand und ihren Fürsprechern schnell zu Ruhm und Anerkennung verhalf, schnell begriffen. Die neue Strömung wandte sich ab von einer sich eher an psychischen Beschwerden und Krankheitsbildern orientierenden Psychiatrie und Psychologe und betonte jetzt die positiven Ressourcen menschlichen Lebens. Glück und die Suche nach dem Sinn eines guten Lebens waren und sind bis heute ihre vorrangigen Themen. Ihre Galionsfigur, der amerikanische Psychologieprofessor Martin Seligman, nutzte die Abkehr von einem defizitorientierten psychologischen Modell, das eher die Schwächen des Einzelnen betonte, nicht nur, um das Spektrum psychologischer Forschung zu erweitern, sondern ließ seine neue Theorie ebenso zur Grundlage eines umfassenden Geschäftsmodells werden: »Don’t worry – be happy!«

Statt sich über Stress, gesellschaftliche Missstände und persönlich widerfahrenes Unglück zu beklagen, soll nun jede und jeder Einzelne mit der Kraft des »Positiven Denkens« sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und auf diese Weise persönlich glücklich und zufrieden werden können. Dies würde der Schaffung einer positiven Unternehmenskultur ebenso nutzen wie der Schaffung widerstandsfähiger Soldaten. Dabei bezog Seligman den Ausgangsgedanken, sich auf die positiven Dinge im Leben zu konzentrieren, statt immer nur am persönlich empfundenen Elend herumzudoktern, auch auf neue psychotherapeutische Methoden, die dazu dienen sollen, Menschen mit psychischen Problemen zu mehr Zufriedenheit und persönlichem Glück zu verhelfen.

In seinen beiden bekanntesten Bestsellern Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben und Flourish. Wie Menschen aufblühen wandte sich Seligman, obwohl wegen seiner Untersuchungsmethoden und Forschungsresultate von der Fachöffentlichkeit vielfach kritisiert, im Verlauf seines Lebens immer weniger an die akademische Öffentlichkeit, sondern stattdessen an ein breites Publikum, das die Botschaft seiner Ratgeber, jede und jeder könne glücklich werden, wenn sie oder er es nur wolle, dankbar aufnahm. Sein Credo lautete: Wenn Glück und Wohlbefinden weniger Ausdruck einer bestimmten Lebenssituation sind, sondern, wie er glaubte, nachgewiesen zu haben, plan- und machbar werden, lassen sich auch bestimmte Methoden und Vorgehensweisen finden, die allen, die danach trachten – und wer tut das nicht? –, ein entsprechendes Lebensgefühl vermitteln. Dann ist Glück kein Ausnahmezustand mehr, sondern lässt sich lernen.

Bis heute ist der Markt für solche »Programme« riesig groß. Denn das Glücksversprechen wendet sich schließlich an jeden und jede mit der Botschaft, dass alle, wenn sie sich nur genügend anstrengen, glücklich werden können. So auch die, die unter ihren Lebensumständen leiden, die wenig Grund zur Freude an ihrem bisherigen Leben haben. Positiv denken, anstatt miesepetrig immer nur auf dem Leiden und dem Unglück der eigenen Existenz herumzureiten, ist die Devise. So machen Sie Ihr Glück. Wie Sie mit einfachen Strategien zum Glückspilz werden oder Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben sind die dazu passenden Buchtitel, die sich auf dem Ratgebermarkt in unendlich vielen Facetten finden lassen.

Weltweit hat sich aus derlei Verheißungen inzwischen eine Milliardenindustrie entwickelt. Sie reicht neben einer Unzahl von Büchern und Therapieangeboten, Wohlfühlprogrammen, Coachings, Tipps zur Selbstoptimierung von Influencerinnen bis hin zur App »Happify« (www.happify.com), die es jedem ermöglicht, bei Tag und bei Nacht sein Glücksniveau zu verfolgen. Hinzu kommen entsprechende Tipps, nicht nur, um das Glück in Gang zu halten, sondern auch, um es zu kontrollieren und ihm immer wieder neue Nahrung zu verschaffen. Traurig und unglücklich zu sein sei heutzutage nicht mehr angesagt, stattdessen gelte es, das jeweilige unglückliche Befinden gegen eine neue und leicht erlernbare Glückserfahrung einzutauschen. »Ich bin glücklich, also bin ich« – dieser Absolutheitsanspruch wurde für diejenigen, die ihn propagieren, zu einer unerschöpflichen Geldquelle.

Wenn das Glück zur Norm wird

Dass Menschen nach Glück streben, das sei an dieser Stelle betont, ist an sich nichts Verwerfliches. Im Gegenteil. Das Streben nach Glück kann das eigene Tun und Handeln aktivieren und beflügeln, es stärkt die Hinwendung zu anderen Menschen und den gegenseitigen Austausch mit ihnen, es verhindert, sich von der Welt abzuwenden und es mit allerlei spirituellen Praktiken nur bei sich selbst zu suchen. Die Glückssuche kann zum Motiv werden, sich anderen gegenüber zu öffnen und auch sich mit jemandem glücklich zu fühlen.

Dazu zählt natürlich auch die Liebe. Dass sie glücklich machen kann, ist eine Binsenweisheit, und die meisten von uns haben diese Erfahrung in ihrem Leben gemacht, ob als Jugendliche, als junge Erwachsene oder auch als älterer Mensch. Die Suche nach Liebe, oft gleichgesetzt mit der Suche nach Glück, ist ein sich seit Jahrhunderten stets wiederholendes Thema aller möglichen Genres und findet sich bis heute überall, ob in der Literatur, Musik oder im Film. Kaum eine Serie, kaum ein Schlager oder Popsong kommen ohne den Verweis aus, dass Liebe Erfüllung und Glück bringen kann. Auch das Gegenteil, nämlich Tragik und Unglücklichsein, ist eng damit verbunden, wenn die Liebe nicht erwidert, wenn sie enttäuscht wird oder scheitert. In der unendlichen Erzählung vom Glück spielt die Liebe, oft im Verbund mit dem Ausleben von Begehren und Sexualität, eine wesentliche Rolle, die den Lebensplan vieler Menschen über eine lange Phase ihres Lebens bestimmt.

Dass Menschen, um ihr Glück zu finden, nach dem einen oder anderen Mittel oder »Rezept« suchen, ist also nachvollziehbar. Und genau hier knüpft die Glücksindustrie mit ihren vielfältigen Angeboten an – und diesem Umstand verdankt sie ihren Erfolg. Und manches daran mag durchaus sinnvoll sein. Zum Beispiel, sich auf der Glückssuche weniger auf seine Schwächen als auf seine Stärken zu konzentrieren. Sich zu bestätigen, wie man ist, statt sich ständig selbst zu hinterfragen. Sich trotz manchmal widriger Umstände wertvoll zu fühlen. Auch Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und Selbstfürsorge können durchaus zu einem besseren Lebensgefühl beitragen und Stress abbauen. Hinzu kommt der vielfach nachgewiesene Zusammenhang von Gesundheit und einem sinnerfüllten Leben, dem Gefühl, mit sich eins zu sein. Diesem »Kohärenzgefühl« widmet sich bis heute eine ganze psychologisch-medizinische Fachrichtung, die »Salutogenese«, und dies, ohne mit einem Glücksversprechen auszukommen.3

Das eigentliche Problem entsteht immer dann, wenn Glück, wie von der Wohlfühlindustrie in der Werbung und in den sozialen Medien pausenlos beschworen, zur Norm wird, an der sich jede und jeder zu messen hat, zu einem angestrebten Normalzustand, zum ewigen »Don’t worry, be happy«: »Vergiss deine Sorgen und sei glücklich!« Dann wird die Glückssuche zum Befehl, oder, wie es die Autorin Juliane Marie Schreiber in ihrem Buch Ich möchte lieber nicht formuliert, zum »Terror des Positiven«.4 Das Glück wird zum Zwang, und mit ihm sollen möglichst alle negativen Gefühle verschwinden. Das zur Norm erhobene »Smile or die«, Titel des gleichnamigen Buches der Journalistin Barbara Ehrenreich,5 in dem sie mit der »Positiven Psychologie« abrechnet, überträgt sich über die Erwachsenen aber auch auf die Kinder und Jugendlichen, besonders dann, wenn ihre Eltern diese Devise, oft unausgesprochen, für sich als Erziehungsgrundsatz geltend machen.

»Lach oder stirb« – was aber ist mit denen, die dieses Glücksversprechen für sich nicht ständig einlösen können oder wollen? Für die Melancholie, Trauer oder vorübergehendes Unglück ebenso zum Leben gehören wie Freude und Glück?

Auf der Jagd nach dem kindlichen Glück

Dafür, dass es ihrem Kind möglichst immer gutgeht, tun Eltern nahezu alles. Das wissen auch diejenigen, die kindliches Glück um jeden Preis vermarkten wollen, wie zum Beispiel die Momfluencerinnen, die ihren Usern, meistens Müttern, empfehlen, wie ihr Kind glücklich wird – ein Riesengeschäft, auf das zunehmend auch Verlage zurückgreifen.

Ebenso machen sich die Werbeblöcke im Kinderfernsehen oder in den sozialen Medien auf die Jagd nach dem kindlichen Glück. Mit ihrem Versprechen, dass es den Kindern gutgeht und sie glücklich sind, verfahren diese Spots nach demselben Muster wie bei den Erwachsenen. Das reicht von Süßigkeiten und einem glückbringenden Müsli bis zur Puppe, die mit dem Kind sprechen kann, wann immer es dazu Lust hast, vom schillernden Einhorn über die erste Spielkonsole und das erste Handy bis hin zum passenden Outfit zum Schulbeginn. Hinzu kommen entsprechende Freizeitangebote, Yogakurse schon für die Kleinsten, Wellnessangebote, die für kindliche Entspannung sorgen, Besuche im Vergnügungspark.