Trennungskinder - Claus Koch - E-Book

Trennungskinder E-Book

Claus Koch

0,0

Beschreibung

»Im Gegensatz zu vielen anderen populären Büchern geht es mir bei diesem Thema immer wieder darum, die Sicht der Kinder zum Ausgangspunkt zu nehmen. Zu verstehen, was in ihnen vorgeht, wenn ihre Eltern sich trennen, ist der Königsweg, ihnen nachhaltig helfen zu können.« Claus Koch Was geht in Kindern und Jugendlichen vor, deren Eltern sich trennen? Der Psychologe und bekannte Bindungsexperte Claus Koch zeigt auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie Kinder eine Trennung oder Scheidung gut bewältigen können. In seinem Selbsthilfebuch beschreibt er, wie Eltern den grundlegenden Bedürfnissen ihrer Kinder nach Geborgenheit und Sicherheit auch nach der Trennung gerecht werden, ohne sich dabei selbst aus den Augen zu verlieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 319

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Claus Koch

Trennungskinder

Wie Eltern und ihre Kinder nach Trennung und Scheidung wieder glücklich werden

Patmos Verlag

Inhalt

Einleitung

TEIL 1: Die Trennung

1. Wenn Eltern auseinandergehen

2. Die Vorgeschichte

3. Welche Rolle spielen Lebensalter und Geschlecht des Kindes zum Zeitpunkt der Trennung? Wie können Eltern darauf passend reagieren?

4. Innenwelten 1: Was geht in Kindern und Jugendlichen vor, deren Eltern sich trennen?

5. Innenwelten II: Was geht in Eltern vor, die sich trennen?

6. Wie (und wann) sage ich es meinem Kind?

TEIL 2: Das Leben nach der Trennung

7. Eine neue Welt entsteht – für die Kinder

8. Eine neue Welt entsteht – für die Eltern

9. Der direkte Umgang und das Gespräch mit dem Kind

10. Die besondere Rolle der Väter

11. Wo lebt das Kind: Residenzmodell, Wechselmodell, Nestmodell?

12. Märchen und Tatsachen: die Langzeitfolgen von Trennung und Scheidung

TEIL 3: Damit es Kindern und ihren Eltern nach der Trennung wieder gut geht

13. Die wichtigsten Schutzfaktoren für Kinder und Jugendliche

14. Die wichtigsten Schutzfaktoren für die Eltern

15. Auch Kita und Schule können helfen

Schlussbemerkung

Quellennachweis und Literatur

Über den Autor

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Für den Freund und Kollegen

Jesper Juul

Die Geschichte von Vater und Mutter, warum hört die niemals auf?

Peter Handke

Einleitung

Kinder und Jugendliche getrennter und geschiedener Eltern treffen wir überall. Bei unseren Freunden, Verwandten und Bekannten, bei Nachbarn, in Kitas und Schulklassen, in Sportvereinen und auch auf Reisen, wenn Züge sie manchmal über große Entfernungen hinweg am Wochenende zu ihrem Vater oder ihrer Mutter bringen. Ihre Anzahl lag allein im Jahr 2023 bei etwa 110.000, hinzukommen noch die Kinder von Paaren, die nicht verheiratet waren und sich trennen und in keiner Statistik erfasst werden. Berücksichtigt man nur die letzten zwanzig Jahre, haben wir es also mit fast drei Millionen Scheidungskindern zu tun, was der Einwohnzahl einer Millionenstadt entspricht. Mit anderen Worten: Trennungskinder und ihre Eltern sind im Gegensatz zu früher alles andere als eine »Randgruppe«. Auch dies ein Grund, dass ich mich als Psychologe und in meiner therapeutischen Arbeit seit vielen Jahren mit der Frage beschäftige, wie Kinder und Jugendliche auf die Trennung ihrer Eltern reagieren und sie verarbeiten und welche Spuren das Trennungsgeschehen in ihrem Leben »danach« hinterlässt.

Das vorliegende Buch habe ich nach Durchsicht zahlreicher wissenschaftlicher Artikel, die dem neuesten Forschungsstand entsprechen, und nach vielen familientherapeutischen Beratungsgesprächen geschrieben. Dazu kamen Workshops und Vorträge, bei denen ich von teilnehmenden Eltern und Fachleuten immer wieder neue Facetten des Trennungsgeschehens kennenlernen durfte. Und schließlich habe ich mit vielen Trennungskindern gesprochen, die in diesem Buch, wenn auch unter anderem Namen, zu Worte kommen. Dabei wurde mir immer bewusster, dass Trennung und Scheidung vielschichtige Prozesse sind und es keine »einfachen« Lösungen gibt. Trennung und Scheidung ihrer Eltern erleben Kinder und Jugendliche ganz unterschiedlich, wobei auch die bislang in ihrer Familie gemachten Erfahrungen im Zusammenleben mit ihren Eltern eine bedeutende Rolle spielen. Andererseits ergeben sich Gemeinsamkeiten, wie Kinder und Jugendliche die Trennung ihrer Eltern am besten verarbeiten und bewältigen können. Werden einige wichtige Grundsätze und Verhaltensregeln eingehalten, werden Trennungskinder später zu der großen Mehrheit derer gehören, die sich im Erwachsenenalter in vielerlei Hinsicht kaum noch von denen unterscheiden, die in traditionellen Familienzusammenhängen aufgewachsen sind.

In diesem Buch geht es mir darum, möglichst vielen Kindern und ihren Eltern zu helfen, die Zeit der Trennung und danach gemeinsam gut bewältigen zu können. Dabei gilt es, was leider nur selten der Fall ist, vor allem die Perspektive der Kinder einzunehmen. Auch die wechselnden Stimmungen der Eltern, in denen ihre Kinder sich spiegeln, spielen eine wichtige Rolle. Aber einfache Ratschläge, die hauptsächlich den Trennungsstress der Erwachsenen im Auge haben, helfen nicht weiter und werden besonders den Gefühlen der Kinder nicht gerecht.

Trennungskinder begegnen uns nicht nur ständig in unserem Alltag, sondern auch in zahlreichen Büchern und Filmen, und dies nicht nur, weil es sie so häufig gibt, sondern auch, weil sich über ihr Schicksal gute und spannende Geschichten schreiben lassen. Zahlreiche Biografien handeln davon, wie das eigene Leben durch die Trennung der Eltern durcheinandergewirbelt wurde, wie sich von einem Moment auf den anderen eine neue Welt auftat, in der sich alles veränderte, das eigene Leben und das der anderen. Romane blicken zurück auf die Kindheit und erzählen davon, wie die Trennung der Eltern den weiteren Lebensweg ihrer Kinder bestimmt hat. Sie erzählen, häufig aus Sicht eines Kindes, von Gefühlen von Leere, Verlassenheit und Verzweiflung, aber auch von Mut, Hoffnung, Durchhaltevermögen und Zuversicht besonders dann, wenn die betroffenen Kinder die Zuneigung und Liebe beider Eltern oder eines Elternteils weiter erfahren haben. Spannende Filme verfolgen Spuren einer Trennung, die das zukünftige Leben ihrer Hauptdarsteller immer wieder von Neuem durchkreuzen. Und viele Trennungskinder erkennen sich in allen diesen Schilderungen wieder, weil sie als Kind oder Jugendliche dasselbe Schicksal geteilt haben. Auch Eltern denken oft an die Zeit ihrer Trennung zurück, weil der Entschluss, sich vom einst geliebten Lebenspartner und oft auch den eigenen Kindern zu trennen, das eigene Leben so nachhaltig verändert und maßgeblich beeinflusst hat. Menschen, die Trennung an ihrem eigenen Leib erfahren haben, ob als Kinder oder als Eltern, reagieren eben besonders aufmerksam und sensibel auf die Berichte und Erzählungen derer, in denen sie sich zum Teil selbst wiederfinden.

Um verstehen zu können, warum Trennung und Scheidung der Eltern zu den prägendsten Erfahrungen im Leben von Trennungskindern gehört, hilft uns der Blick auf die frühe Kindheit. Kinder, diese Erfahrung machen alle Eltern, kommen »unfertig« auf die Welt und sie brauchen noch lange ihren Schutz und ihre Nähe. Ihre ersten Blicke, die sie auf uns richten, ihre ersten Gesten und später ihre ersten Worte suchen uns und hoffen inständig auf unsere Bereitschaft, sie entsprechend wohlwollend in der Welt, in die sie hineingeboren wurden, zu empfangen. Sie strecken ihre Ärmchen nach uns aus und wir nehmen sie auf in unsere Welt, die immer mehr auch zu ihrer Welt wird. Kaum geboren, sehen sie uns an und vertrauen darauf, dass wir unseren liebevollen Blick auf sie richten. Ihr erstes Lächeln berührt uns wie kaum eine andere Gefühlsäußerung zuvor und wir lächeln zurück.

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, wollen wir Eltern ihm unsere ganze Liebe schenken. Die Natur hat es so gewollt. Wie von allein stellt sich so ein Band her, das wir als Eltern fortan so fest wie möglich knüpfen wollen, damit es niemals reißt. So entsteht, was Psychologen und Bindungsforscher »Bindung« nennen. Sie ist lebensnotwendig für jedes Kind. Und nahezu alle Eltern wünschen sich, dass sie ein Leben lang hält. Fast automatisch bemühen wir uns, unserem Kind Geborgenheit zu geben, und sind stolz, wenn es sich schon in seinen ersten Lebensmonaten offensichtlich nach uns sehnt und dann später, wenn es die ersten Schritte allein zurücklegt, sich nach uns umdreht, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass es uns immer noch braucht und um unsere Präsenz fürchtet. »Wenn ihr da seid, dann fühle ich mich sicher, dann kann ich die Welt nach und nach für mich selbst erobern« – dieses grenzenlose Vertrauen, das ein Kind seinen Eltern entgegenbringt, genießen wir und wollen, dass es niemals aufhört und ein Leben lang weiter besteht. Eltern wollen die Welt für ihre Kinder zu einem guten Ort machen.

Inmitten dieses Geschehens, in dem wir die ersten Lebensjahre unserer Kinder genießen, treffen viele Eltern die Entscheidung, sich scheiden zu lassen. Und sagen ihren Kindern, dass sie fortan getrennte Wege gehen werden. Oft zögern sie den Zeitpunkt, ihnen diesen Entschluss mitzuteilen, immer wieder hinaus, ganz einfach deswegen, weil es so schwerfällt, ihnen diese Botschaft zu überbringen. Eltern, die doch immer nur das Beste für ihr Kind oder ihre Kinder wollten, sich um sie Sorgen machten, dass ihnen nichts Schlimmes passiert, fühlen sich oft schlecht dabei, das Vertrauen ihrer Kinder mit ihrer Trennung jetzt so auf die Probe zu stellen. Denn sie wissen, dass sie mit ihrer Entscheidung ihren Kindern gleich welchen Alters und ganz unabhängig davon, wie sie sich selbst gerade fühlen, ein Leid nicht ersparen können. Sie wissen und erfahren, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Kinder, besonders aber die jüngeren, aus ihrer Perspektive wollen, dass ihre Eltern zusammenbleiben. So wie es ganz am Anfang war, als sie auf die Welt kamen und sie sich auf beide Eltern verlassen konnten, so soll es für sie bleiben. Kinder sind diesbezüglich konservative Wesen. Glückliche Scheidungskinder gibt es selten, aber Scheidungskinder können wieder glücklich werden, so die zentrale Botschaft dieses Buches.

Dafür stehen die Chancen nach allem, was wir heute wissen, gut. So ist die Trennung von Eltern heutzutage für die allermeisten Kinder kein Makel mehr. Wenn ihre Eltern die vielfältigen Herausforderungen, die sich zum Zeitpunkt ihrer Trennung und danach stellen, für sich annehmen und ihnen nicht aus dem Weg gehen, werden sie damit belohnt, dass ihre Kinder ihren Kummer und ihre häufig empfundenen Verlustängste und Ohnmachtsgefühle schon bald besiegen können. Dann geht die Welt nicht unter, wie es viele Kinder zunächst befürchten. Und auch für die Eltern eröffnen sich in der Beziehung zu ihren Kindern schon bald neue Perspektiven, die ihnen helfen, die Trennung gut und selbstbewusst zu überwinden. Übergänge und Lebenskrisen können immer auch positiv gewendet werden und schärfen oft sogar den Blick auf das Wesentliche, auf das, worauf es im Leben wirklich ankommt. Übergänge und Krisen bringen uns unseren Gefühlen, die so häufig von alltäglichen Aufgaben verdeckt werden, wieder näher. Und manchmal bringt uns eine Trennung sogar wieder näher zu unseren Kindern, weil wir in der Krise entdecken, wie wertvoll sie für uns sind.

Aber es gibt auch eine Kehrseite. Väter, selten die Mütter, verlieren nach und nach den engen Kontakt zu ihren Kindern. Andere Paare streiten sich vor Gerichten und stürzen ihre Kinder in unerträgliche Loyalitätskonflikte und Zerreißproben: Oft pendeln diese Kinder später in ein Leben hinein, das ihnen immerfort unsicher vorkommt und in dem ihnen das Vertrauen zu sich selbst und in andere durch die Trennung ihrer Eltern abhandengekommen ist.

Jede Trennung bedeutet einen Schritt ins Ungewisse. Das Leben muss neu organisiert werden, Zukunftsängste und Verlustängste stellen sich sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern ein. Sie aber gilt es jetzt gemeinsam zu überwinden. Und die Voraussetzungen dafür sind für jedes Kind anders. Dem einen fällt die Trennung leichter als der anderen. Das eine Kind schöpft schneller wieder Lebensmut als das andere. Einige trauern länger, andere kürzer um das verlorene familiäre Glück, selbst wenn es keines war. Auch die Erwachsenen reagieren ganz unterschiedlich. Eine übernimmt mehr Verantwortung als eine andere, einer leidet, der andere bagatellisiert. Viele Trennungen verlaufen asymmetrisch, da gibt es Gewinner und Verlierer, Täter und Opfer. Und dennoch fällt die Trennung den meisten Erwachsenen leichter als ihren Kindern. Denn sie bleiben, im Gegensatz zu ihren Kindern, trotz Trauer und Wut, trotz Ängsten und Einsamkeit die handelnden Akteure. Sie sind es, die für sich beschlossen haben, sich zu trennen. Die Kinder aber sind dieser Entscheidung ohnmächtig ausgesetzt, denn es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren, ganz gleich, ob die Gründe ihrer Eltern aus ihrer Sicht berechtigt oder unberechtigt sein mögen.

Weil sie, die Kinder und Jugendlichen, bei der Trennung ihrer Eltern eindeutig den schwächeren Part einnehmen, habe ich dieses Buch also hauptsächlich aus ihrer Perspektive geschrieben, was offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist. In einem kürzlich erschienenen Buch zum Thema Trennung und Scheidung mit dem vielversprechenden Titel »Trennung ohne Drama« werden die Sicht und Gefühle der Kinder wie nebenbei erwähnt, ganz im Vordergrund stehen Ratschläge und Tipps, wie die Erwachsenen mit den nun eintretenden »familiären Veränderungen«, wie es dort lapidar heißt, am besten fertig werden können. Natürlich nötigt der Entschluss, sich zu trennen, auch den Eltern gegenüber Respekt ab, gerade wenn sie sich bewusst sind, dass ihre Kinder darunter leiden werden. Und tatsächlich wollen die meisten Eltern alles unternehmen, damit es ihren Kindern trotz Trennung und Scheidung möglichst bald wieder gut geht. Sie treffen mit dem Entschluss, sich zu trennen – zumindest in den meisten Fällen – eine für sie stimmige Entscheidung, wollen sich nicht länger verstellen, wollen die Kinder mit ihrem ständigen Streit nicht mehr belasten, wollen mit ihrer verloren gegangenen Liebe nicht länger am Leben vorbeileben. Aber sie und nicht ihre Kinder haben beschlossen, sich zu trennen, und die Verantwortung, was sie für ihre Kinder daraus machen, liegt ganz bei ihnen. Dazu gehört zuallererst zu verstehen, was in den Kindern zum Zeitpunkt ihrer Trennung vorgeht. Nur so ist Unterstützung und nachhaltige Hilfe möglich.

Kinder lernen mit zunehmendem Alter, immer selbstständiger über ihr Leben zu bestimmen. Aber dafür brauchen sie lange das Gefühl von Schutz und Geborgenheit, von Respekt und Anerkennung und dies bis hinein in ihr Erwachsenenleben. Ich spreche in diesem Zusammenhang häufig von ihren existenziellen Bedürfnissen, die es zu wahren gilt. Ihr eigener Blick auf das Leben ist besonders in den Jahren der frühen Kindheit bis weit in ihre Pubertätszeit ein anderer als der Blick von Erwachsenen, die gerne rationalisieren, die gerne verdrängen und sich an ihren Pflichten und Aufgaben orientieren, die ihnen der Alltag stellt. Auch dies ein Grund, in diesem Buch immer wieder auf die Perspektive der Kinder und Jugendlichen zurückzukommen, darauf, wie sie die Trennung ihrer Eltern erleben und lernen können, gut damit umzugehen. Es ist für uns Erwachsene lohnend, die Augen dafür offen zu halten, denn der Blick eines Kindes auf die Trennung seiner Eltern ist häufig viel unverstellter als der eigene, und seine Gefühle sind näher an dem, was wirklich in ihm vorgeht, als unsere eigene Perspektive. Gerne flüchten wir uns als Erwachsene in rationale Begründungen und manche Rechtfertigungen, um im Alltag weiterhin gut bestehen zu können. Kinder aber erfahren Glück und Leiden noch ohne Filter, sie leben ganz im Augenblick. Sie sehen selten zurück und seltener nur nach vorn. Die Trennung oder Scheidung ihrer Eltern aber wird immer fester Bestandteil ihres Lebens bleiben. Die meisten von ihnen, darin sind sich die Forschungsergebnisse einig, können diese Lebensphase mithilfe ihrer Eltern gut bewältigen, viele sind sogar daran gewachsen und stark geworden. Und darauf können sie stolz sein.

Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile. Es handelt vom Zeitpunkt der Trennung selbst, vom gemeinsamen Leben mit den Kindern davor und danach und schließlich von den bedeutendsten Faktoren, die dazu beitragen, dass Kinder wie ihre Eltern Trennung und Scheidung gut überstehen. Diese »Schutzfaktoren«, wie ich sie nenne, sind aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven, insbesondere der Bindungstheorie, die ich im zweiten Kapitel vorstelle, wissenschaftlich gut begründet und abgesichert. Einfache Lösungen oder »Rezepte«, die sich auf jede und jeden ohne Unterschied übertragen lassen, gibt es jedoch nicht. Nicht nur für Kinder ist jede Trennung eine einzigartige Erfahrung, die sich vom Erleben anderer Kinder unterscheidet, sondern auch für ihre Eltern. Jede Familie ist anders. Die von mir angeführten Beispiele sind authentisch, ich habe sie von Eltern, Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erzieherinnen und Lehrern erfahren und erzählt bekommen. Lediglich die Namen und einige Äußerlichkeiten wurden verändert.

Dieses Buch soll über alle Aspekte des Trennungsgeschehens und wie es sich auf die beteiligten Eltern und Kinder auswirkt, informieren. Für einseitige Stellungnahmen ist das Thema zu komplex, weil ganz unterschiedliche Faktoren wirksam sind. Die in diesem Buch angeführten Forschungsergebnisse bestätigen dies und bieten wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis individueller Trennungs- und Scheidungsbiografien sowohl bei Kindern wie bei ihren Eltern. Mein Buch wird die Risiken und Chancen von Lösungen aufzeigen und soll Eltern dabei helfen, Vor- und Nachteile des von ihnen gewählten Weges abzuwägen und zu sortieren. Es soll seinen Leserinnen und Lesern eine wertvolle Hilfestellung sein, dass alle ihr Leben nach einer Trennung oder Scheidung wieder gestärkt und voller Hoffnung auf eine gute Zukunft in Angriff nehmen können. Vieles spricht dafür, dass sich dann schon bald, besonders für die Kinder, eine neue Tür für ein glückliches Leben »danach« öffnen wird.

TEIL 1: Die Trennung

1. Wenn Eltern auseinandergehen

Trennungskinder sind die neue Normalität

2023 wurden 129.000 Ehen geschieden. Laut Statistischem Bundesamt lag die Scheidungsrate bei etwa 30 Prozent, womit auf drei Eheschließungen rechnerisch etwa eine Scheidung kam. Die Anzahl der Scheidungen mit minderjährigen Kindern betrug etwa die Hälfte, insgesamt waren etwa 109.600 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Rechnet man die Kinder nicht verheirateter Eltern dazu, die in den amtlichen Statistiken nicht auftauchen, ergibt sich nach vorsichtigen Schätzungen eine Gesamtzahl von ungefähr 150.00 Kindern und Jugendlichen, deren Eltern sich 2023 getrennt haben. Kitagruppen und Schulklassen, in denen mehr als die Hälfte der Kinder mit einem Elternteil aufwachsen, sind in Großstädten keine Seltenheit mehr. In jeder fünften Familie wachsen heute ein oder mehrere Kinder mit nur einem Elternteil auf. Mit 2,27 Millionen tragen nach wie vor die Mütter die Hauptverantwortung, hinzukommen etwa 487.000 Väter, die ihre Kinder allein erziehen, Tendenz steigend.

Darüber, wie alt die Kinder zum Zeitpunkt der Trennung ihrer Eltern sind, liegen keine genauen amtlichen Zahlen vor. Allerdings gehen vorhandene Studien davon aus, dass sich die meisten Paare im Krippen- und Kitaalter ihrer Kinder bis hin zu deren ersten Schuljahren trennen, wohl auch deswegen, weil diese Lebensphase für frisch gebackene Eltern die deutlichsten Veränderungen auch in ihrer Paarbeziehung mit sich bringt. Durchwachte Nächte, damit einhergehender Schlafentzug und später die Schwierigkeit, Kind und Beruf zu vereinbaren, belasten viele Beziehungen. Die Intimität leidet, wenn jetzt ein neues Familienmitglied hinzugekommen ist, aus Männern werden Väter, aus Frauen Mütter. Man ist nicht mehr allein für sich verantwortlich und muss auf einen noch ganz unfertigen kleinen Menschen Rücksicht nehmen. Der in unserer Gesellschaft allerorten propagierte Anspruch auf Konsum und Vergnügen trifft auf eine Wirklichkeit, die ganz anders aussieht und die in der Werbung selten realistisch, sondern meistens romantisch überhöht vorkommt. Hinzukommt, dass veränderte Rollenmodelle ebenfalls Verwirrung stiften. Waren bis Mitte des letzten Jahrhunderts allein die Mütter für die Fürsorge ihrer Kinder zuständig, hat sich dies, auch zum Vorteil der Kinder, bis heute grundlegend verändert. An die neue »Gleichberechtigung« müssen sich dennoch viele Paare immer noch gewöhnen. Auch die Beziehungsmuster zu den eigenen Eltern werden mit der Geburt eines Kindes oft wiederbelebt und scheinen sich in der neuen Partnerschaft manchmal zu wiederholen. Unterschiedliche Auffassungen in puncto Erziehung machen sich bemerkbar und führen zu Diskussionen und Abstimmungsprozessen, die in der Paarbeziehung bislang keine Rolle gespielt haben. Und manche Eltern werden mit der Verantwortung, die sie jetzt für ein Kind tragen, einfach nicht fertig, fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt: Gerade jüngere Paare haben dann das Gefühl, ihr Leben sei zum Stillstand gekommen. Statt das neue Glück zu genießen, sich an ihrem Kind zu freuen, an seiner Offenheit und Liebe, daran, wie es nach und nach die Welt für sich erobert, neugierig und immer bestrebt, etwas dazuzulernen, überwiegen plötzlich Zweifel an sich selbst und Zukunftsängste. Die unteilbare Liebe zu ihrem Kind, der Wunsch, ihm einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, bleiben bestehen, aber die Beziehung zum Partner, zur Partnerin zerbricht. Es ist oft ein schleichender Prozess, der sich schon länger angekündigt hat, bevor die Partnerschaft endgültig aufgelöst wird. Eltern trennen sich aber nicht nur, solange ihre Kinder noch klein sind oder im »verflixten siebten Jahr« ihrer Beziehung, sondern in allen Lebensaltern ihrer Kinder, und zunehmend auch, wenn ihre Kinder bereits junge Erwachsene sind.

Die meisten Kinder von Scheidungseltern wachsen bei ihrer Mutter auf. Nahezu alle Eltern teilen sich heutzutage weiterhin das Sorgerecht, aber in manchen Fällen kommt es zu so schweren Zerwürfnissen, sodass sich langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen um das Sorgerecht oder den Aufenthaltsort der Kinder anschließen. Ein Fünftel der Kinder verliert laut Zahlen einer Studie der Hertie School in Berlin den regelmäßigen Kontakt zu einem Elternteil. Es sind, aus unterschiedlichen Gründen, hauptsächlich die Väter, deren Kontakt zum Kind nach einiger Zeit und manchmal sogar völlig erlischt.

Andererseits hat sich gerade die Rolle der Väter und die Einstellung ihren Kindern gegenüber früheren Generationen positiv geändert. Auch wenn der alltägliche Umgang in den meisten Fällen noch ungleich verteilt ist, betreuen heutzutage viele von ihnen ihre Kinder liebevoll von Geburt an. Väter mit Babys vor ihrem Bauch oder mit ihren Kindern auf dem Spielplatz sind zum gewohnten Bild geworden. Aktuell spiegelt sich diese neue Vaterrolle in der Trennungs- und Scheidungsdebatte um das beste Aufenthaltsmodell für die Kinder wider: Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als jedes zweite Wochenende und zusätzlich einen Nachmittag in der Woche, wie es nach wie vor häufig die Routine und starre Regel ist. Sie machen sich für eine gemeinsame Erziehung stark, dem ab einem gewissen Alter besonders das sogenannte »Wechselmodell« entgegenkommt, bei dem sich Väter und Mütter wöchentlich abwechselnd um ihre gemeinsamen Kinder kümmern. In den skandinavischen Ländern ist es bereits besonders bei Kindern im Lebensalter zwischen 6 und 12 Jahren die Regel, bei uns wird es immer noch selten in dieser strikten Form praktiziert, auch wenn der Gesetzgeber diesbezüglich auf eine Lösung drängt, die allen gerecht wird.

Man braucht kein Scheidungsforscher zu sein, um sich über die Folgen von Trennung und Scheidung klarzuwerden. Aufgrund ihrer von Geburt an engen Bindung an beide Eltern bedeutet jede Trennung und Scheidung einen tiefen Einschnitt im Leben der betroffenen Kinder und Jugendlichen und gehört zu den prägendsten Erfahrungen in ihrem Leben.

Angesichts der hohen Anzahl von Trennungs- und Scheidungskindern müsste es eigentlich eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien geben, die sich mit diesem Thema und seinen Auswirkungen beschäftigen, besonders damit, wie die Trennung oder Scheidung der Eltern das Leben der davon betroffenen Kinder langfristig prägt. Aber so zahlreich das Phänomen auftritt und so offenkundig die Folgen selbst für den Laien erkennbar sind, desto erstaunlicher ist, dass sich die psychologische Forschung hierzulande, die doch sonst so bemüht ist, alles und jedes zu erklären, lange ausschwieg – im Gegensatz zu den USA und den skandinavischen Ländern. Erst jetzt häufen sich die Studien, wohl auch deswegen, weil mit Trennung und Scheidung verbundene gesellschaftliche Probleme immer offenkundiger wurden, sei es in erzieherischen Institutionen wie Kita und Schule oder auch im Zusammenhang mit der bereits erwähnten großen Anzahl von Alleinerziehenden. In München arbeitet das Deutsche Jugendinstitut (DJI) bereits länger an einer Langzeitstudie zu den Folgen von Trennung und Scheidung und im Oktober 2018 fand eine Internationale Bindungskonferenz in Ulm statt, die sich ausschließlich mit diesem Thema befasst hat.

Populäre Zeitschriften wiederum stellen, oft reißerisch aufgemacht, eher das Schicksal der Eltern und ihre Probleme in den Vordergrund und die innere Erlebniswelt der Kinder, die doch eindeutig das schwächste Glied in der Entscheidungskette sind, gerät dabei in den Hintergrund. Hinzukommt, dass eine Gesellschaft, in der sich meistens alles um Effizienz und materiellen Erfolg dreht, reibungsloser Abläufe auch im Privatleben bedarf. Kinder und deren Bedürfnisse werden dann eher als Störfaktoren betrachtet. Auch ihr unbedingtes Streben nach Sicherheit, Geborgenheit und elterlicher Präsenz lässt sich mit einer »Spaßkultur« oft wenig vereinbaren. Insgeheim überwiegt dann bei vielen die Hoffnung, dass der Preis, den die Kinder bei einer Trennung zu zahlen haben, nicht zu hoch ist.

Natürlich ist es heute kein Stigma mehr, Kind von geschiedenen Eltern zu sein, wie es noch bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts der Fall gewesen ist. Scheidungskinder machen die Erfahrung, dass viele ihrer Freundinnen und Freunde oder die Sitznachbarin in der Schule mit ihnen dasselbe Schicksal teilen. Das entlastet nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern. Gleichzeitig schürt es Ängste. Wenn die Eltern Konflikte miteinander haben, sich streiten und sich gegenseitig vorwerfen, kaum noch Zeit für sich selbst zu haben, dann erzeugt dies nicht nur Schuldgefühle bei den Kindern, sondern auch ihre Sorge, dass sich ihre Eltern, wie so viele andere auch, demnächst trennen werden.

Trennung und Scheidung sind also, gerade weil sie so häufig vorkommen, zu einem »normalen« Phänomen geworden. Was im Gegensatz zu den Gefühlen der meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen steht, die es zumindest am Anfang alles andere als »normal« finden, wenn ihre Eltern beschließen, fortan getrennte Wege zu gehen.

Glückliche Scheidungskinder gibt es nicht

Äußerungen wie die von Niklas (8 Jahre): »Ich wünsche mir, dass meine Eltern wieder zusammenkommen. Dafür würde ich dieses Jahr und auch das nächste Jahr alle meine Weihnachtsgeschenke zurückgeben«, oder die von Nelly (13 Jahre): »Ich wünsche mir, dass mein Vater seine neue Freundin verlässt und wieder bei uns einzieht«, beschreiben ganz gut den inneren Zustand der meisten Kinder von Eltern, die sich trennen: Kein Kind ist glücklich, wenn seine Eltern sich trennen. Fast alle Kinder wollen, ausgesprochen oder unausgesprochen, dass ihre Eltern zusammenbleiben. Familie steht hoch im Kurs. Auf die Frage: »Was ist für dich am wichtigsten?«, nimmt die Antwort »Familie« in nahezu allen Jugendstudien der letzten Jahre einen Spitzenplatz ein.

Die Gründe dafür, dass nahezu alle Kinder wollen, dass ihre Eltern zusammenbleiben, haben mit ihrem Wunsch nach Bindung, Sicherheit und Geborgenheit zu tun. Dieser Wunsch ist tief in ihnen verankert, darauf gehe ich im nächsten Kapitel ausführlich ein. Für Kinder geht, wenn ihre Eltern sich trennen, eben unwiderruflich eine Epoche zu Ende: Ihre Eltern mögen dabei eine Hälfte ihrer Welt (den Partner, die Partnerin) verlieren, die sie im Übrigen irgendwann durch einen anderen oder eine andere ersetzen können. Die Kinder aber verlieren ihre ganze Welt, da sie ihre Eltern immer als Einheit sehen. Schließlich sind sie als Dritte aus der Vereinigung ihrer Eltern hervorgegangen. Sie empfinden die Trennung ihrer Eltern in zwei fortan unabhängig voneinander existierende Hälften als »künstlich« oder von außen an sie herangetragen, als Riss, den sie, im Gegensatz zu ihren Eltern, mit keinem anderen Menschen mehr »ganz« machen können – und dies ein Leben lang.

Was nicht bedeutet, dass Scheidungskinder später im Leben diesen Riss nicht überwinden können. Sie können es immer dann, wenn ihre Eltern für sie weiterhin, wenn auch getrennt, gemeinsame Eltern bleiben. Dann haben sie sogar gegenüber jenen aus »normalen« oder traditionellen Familien durch die Bewältigung einer Krise an Lebenserfahrung gewonnen und können zukünftigen Problemen in ihrem Leben mit viel Selbstständigkeit und Mut begegnen. Auch sind die meisten von ihnen durchaus in der Lage, später langfristige Beziehungen mit ihrem Partner oder mit ihrer Partnerin einzugehen, die gerade wegen der eigenen Trennungserfahrung oft von großem Einfühlungsvermögen in den anderen geprägt, oft aber auch von der Angst begleitet sind, die Beziehung könne vielleicht doch, so, wie bei ihren Eltern, zerbrechen. Eine Sorge, die aber auch viele Paare aus traditionellen Familien angesichts hoher Scheidungsraten mit ihnen teilen. Sicher ist: Das spätere Glück der Trennungskinder hängt davon ab, ob sie die dafür notwendige Unterstützung ihrer Eltern und darüber hinaus auch ihres Umfelds erfahren, wenn ihre Mutter und ihr Vater beschlossen haben, getrennte Wege zu gehen.

Unter der Trennung leiden nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Eltern

Nahezu sämtliche wissenschaftlichen Studien bestätigen, dass eine Trennung oder Scheidung auch für die meisten Eltern zunächst eine hohe psychische Belastung bedeutet. Dafür verantwortlich sind zahlreiche Faktoren, auf die ich später noch einmal ausführlich zurückkommen werde: die vorübergehende Instabilität im Leben, der Verlust der Partnerin oder des Partners mit der Folge, sein Leben jetzt allein in Angriff nehmen zu müssen, der Wegfall familiärer Geborgenheit, soziale Isolation, damit verbundene gesundheitliche Probleme, Geldsorgen und vieles mehr. Auch für Eltern ist die Trennung keine einfache Angelegenheit, auch wenn manche von ihnen gerne zu dem Mittel greifen, sie zu bagatellisieren, oft mit dem Hinweis, dass Trennungen heute ja gang und gäbe seien und sie nicht die Einzigen seien, denen das passiert.

Blickt man hinter die Kulissen und bohrt ein wenig tiefer, erweist sich diese Haltung, die Folgen einer Trennung vor sich und anderen zu verleugnen, oft als Schutzbehauptung, mit der die eigene Unsicherheit, oft begleitet von Scham und Schuldgefühlen, vor sich selbst, vor anderen und auch vor den eigenen Kindern verborgen werden soll. Womit aber hat diese Unsicherheit zu tun?

Wenn unser Kind ins Wasser fällt, springen wir sofort hinter ihm her, um es zu retten, wenn es noch nicht schwimmen kann. Wir würden dafür sogar unser eigenes Leben riskieren. Wir stehen ihm bei, wenn wir das Gefühl haben, dass es ungerecht behandelt wird, machen uns Sorgen, wenn es das erste Mal allein den Weg zur Schule zurücklegt, durchwachen eine ganze Nacht, wenn es als Jugendliche oder Jugendlicher erst frühmorgens nach Hause kommt, wenn es sich krank oder unglücklich fühlt und unsere Hilfe braucht. Mit anderen Worten: Wir wollen, dass es unserem Kind immer gut geht, und dafür sind wir bereit, alles zu geben, was in unserer Macht steht. Diese Fürsorge und diesen unbedingten Einsatz für unsere Kinder teilen wir mit unseren tierischen Artgenossen, sie sind tief verwurzelt und folgen einem mütterlichen und väterlichen Instinkt, unseren Kindern immer dann beizustehen, wenn ihnen eine Gefahr droht. Genau das erwarten sie übrigens auch von uns Eltern und tun nicht nur zu Beginn ihres Lebens alles, sich dieser Zuneigung von uns immer wieder zu versichern.

Wenn Eltern sich trennen, verstoßen sie gegen diese Regel, weil sie ihren Kindern bewusst etwas antun, von dem sie (zumindest die meisten von ihnen) wissen, dass es ihren Kindern nicht guttut. Woraus Schuldgefühle resultieren, Wut und Aggressionen auf »den anderen«, Ohnmachtsgefühle, Ängste und depressive Verstimmungen. Das sind völlig normale Reaktionen darauf, dass wir unsere Kinder leiden sehen, wenn wir uns trennen. Und sie zeugen von unserem Verantwortungsgefühl für sie. Später jedoch gilt es, diese Gefühle zu überwinden und eine neue Perspektive einzunehmen.

Natürlich dürfen sich Eltern auch gut bei ihrer Entscheidung fühlen, wenn sie mit ihrer Trennung eine bereits lang anhaltende, sie belastende Situation endlich lösen konnten. Und ebenso wie die Trennungskinder haben auch sie ein Recht darauf, wieder Glück in ihrem Leben zu finden. Und am schönsten ist es, wenn sie dieses neue Glück dann auch mit ihren Kindern teilen können.

Trennungen verlaufen (meistens) asymmetrisch

Nur selten gehen Paare in gegenseitigem Einverständnis und ohne die Trennung begleitende Emotionen, also völlig »cool«, auseinander. Wer beschließt schon in trauter Runde bei einem Gläschen Wein, sich »in aller Freundschaft« zu trennen? In den meisten Fällen beherrschen eher negative Gefühle das unmittelbare Geschehen nach einer Trennung. Dies hat besonders damit zu tun, dass Trennungen und Scheidungen oft »asymmetrisch« verlaufen, dass derjenige, der den anderen verlässt, schnell in eine »Täterrolle« gerät, besonders dann, wenn er bereits vor der Trennung eine neue Beziehung eingegangen ist. Der oder die »Verlassene« sieht sich dann sehr schnell als »Opfer«, auch wenn eine Trennung niemals einfach nur so vom Himmel fällt und oft jahrelange Auseinandersetzungen zu dem Entschluss geführt haben. Wären keine Kinder im Spiel, könnte man die Überwindung dieses »Täter-Opfer-Schemas« getrost den Erwachsenen überlassen, im Wissen, dass es sich im Laufe der Zeit wohl auflöst, sich jeder seines Anteils am Trennungsgeschehen bewusst wird oder zumindest jede oder jeder irgendwann seinen eigenen Weg geht. Kinder jedoch werden in ein solches Täter-Opfer-Verhältnis immer mit einbezogen. Sie spüren, dass der eine Elternteil emotional mehr betroffen ist als der andere, besonders wenn die Trennung für einen von beiden neues Liebesglück verspricht. Oder sie bekommen es direkt durch entsprechende Äußerungen desjenigen gesagt, der sich hintergangen, ungerecht behandelt und verlassen fühlt. So entstehen für Kinder und Jugendliche häufig tiefgreifende und für sie unlösbare Loyalitätskonflikte. Vielleicht halten sie, besonders wenn sie noch jünger sind, spontan und aus Mitgefühl eher zu dem, der in ihren Augen am meisten leidet, und machen demjenigen innere Vorwürfe, der die Familie »absichtlich« verlassen hat. Aber auch demjenigen, der eher die »Täterrolle« hat, wollen sie ja eigentlich nicht wehtun, sie wollen ja zu beiden Eltern halten und weder den einen noch die andere verlieren.

Aber auch, wenn die Trennung weniger dramatisch verläuft und noch keine anderen Beziehungen im Spiel sind und die Eltern versuchen, dem Täter-Opfer-Schema entgegenzuwirken (was keine leichte Aufgabe ist), können später neue Lebenspartner hinzukommen, und alte Gräben brechen wieder auf. Wird dann mit dem oder der »Neuen« noch ein weiteres Kind gezeugt, führt dies häufig nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch zwischen den Eltern zu neuen Problemen, die erneut Loyalitätskonflikte hervorrufen. Von daher ist es immer gut, möglichst schnell das Täter-Opfer- Schema aufzulösen, von damit verbundenen Schuldzuweisungen abzusehen und ganz vom Empfinden des Kindes her zu denken, das sich zu beiden Eltern ein in sich stimmiges und positives Verhältnis wünscht. Das Kind fühlt sich, wie bereits erwähnt, immer als ein Teil beider Elternteile und Vorwürfe gegen den einen von ihnen empfindet es so auch immer gegen sich gerichtet.

Fest steht: Die Verantwortung für eine Trennung und Scheidung liegt ausschließlich bei den Erwachsenen und sie sollte nie, auch nicht indirekt, auf die Kinder übertragen werden. Deren Wohlbefinden sollte an oberster Stelle stehen. Dafür müssen Eltern nicht auf ihre eigenen Gefühle verzichten, sollten sie aber nicht gegen den ehemaligen Partner ausspielen. Später löst sich diese Asymmetrie des Trennungsgeschehens bei den meisten wieder auf, wenn jede und jeder sein eigenes Leben in die Hand genommen hat. Dauern Wut und Enttäuschung, Hass und Trauer aber zu lange an, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Im Wissen darum, damit auch den eigenen Kindern wirksam zu helfen. Eltern bleiben ihren Kindern immer Vorbilder. Anklagen und Verbitterung lassen sich zum Zeitpunkt der Trennung sicherlich nicht einfach abstellen, aber langfristig sind sie keine gute Hilfe im Bemühen, das ursprünglich vorhandene Vertrauen der Kinder zurückzugewinnen. Gelingt es Eltern, das asymmetrische Geschehen zu überwinden, sich nicht mehr nur als Täter und Opfer zu sehen, hilft dies den Kindern und Jugendlichen ungemein, positiv in die eigene Zukunft zu sehen. Und auch das bei den Eltern zum Zeitpunkt der Trennung häufig anzutreffende Gefühl, dem Wohlbefinden ihres Kindes zu schaden, weicht der Überzeugung, dass ihr Kind die Trennung am besten überstehen wird, wenn sie nach wie vor gemeinsam für es da sein können.

2. Die Vorgeschichte

Familien sind ganz unterschiedlich

Ich habe bereits einige Punkte angesprochen, die zum Zeitpunkt der Trennung mehr oder weniger für alle Eltern von Bedeutung sind. Die neue Rolle als Alleinerziehende oder als abwesender Vater, die erforderliche Reorganisation des Alltags, getrennte Wohnungen, Geldprobleme und vieles mehr. Aber auch intensive Gefühle wie Verlustängste, Schuldgefühle, Trauer und Scham, Wut und Aggression begleiten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, viele Paare in ihrer Trennungsphase und haben Einfluss auf das Wohlbefinden ihrer Kinder. Auf diese Weise setzt eine Trennung oder Scheidung eine Dynamik in Gang, die über den Einzelfall hinausreicht und der sich Eltern wie ihre Kinder kaum entziehen können.

Abgesehen von solchen Erfahrungen, die nahezu alle Eltern und ihre Trennungskinder miteinander teilen, handelt es sich jedoch bei jeder Familie um etwas Einzigartiges, um eine einmalige Konstellation ganz unterschiedlicher Individuen mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, die sich hier zusammengefunden haben. Und genau dies macht es für Scheidungs- und Trennungsforscher auch so schwierig, zu allgemeingültigen Aussagen und Ergebnissen zu kommen. Denn jede und jeder der beiden Eltern bringt seine ganz eigene Geschichte in die Beziehung ein. Und oft resultieren die Trennungsfolgen eben auch aus dieser jeweiligen Vorgeschichte und weniger aus dem Zerwürfnis selbst. So können es psychische Probleme beim Partner, der Partnerin oder bei beiden sein, die vielleicht schon vor der Trennung bestanden und die den Verlauf der Partnerschaft oder der Ehe ungünstig beeinflusst haben. Dazu zählen zum Beispiel Bindungsprobleme, neurotische Dispositionen oder auch bereits vorhandene Trennungserfahrungen als Kind oder Erwachsener. Sie wirken sich dann ebenso auf das Leben nach der Trennung aus, auf die Art und Weise, wie die Expartner miteinander umgehen und inwiefern die Kinder weiterhin in die Konflikte ihrer Eltern mit einbezogen werden.

Daneben gibt es noch weitere Faktoren, die das jeweilige Familienleben und das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern bestimmen und die später Einfluss auf den Verlauf der Trennung, besonders wie die Kinder sie erleben, nehmen können. So spielt es eine Rolle, ob die Kinder näher mit der Mutter aufwachsen, weil der Vater nur selten zu Hause ist, oder ob der Vater für die Kindererziehung bewusst auf eine berufliche Karriere verzichtet und die Mutter einen Ganztagsjob hat. In anderen Familien wiederum herrscht diesbezüglich ein nahezu ausgewogenes Verhältnis und Vater und Mutter kümmern sich gemeinsam um den Haushalt und die Kindererziehung.

In den meisten Familien gilt heute, wie Studien zeigen, ein »autoritativer« Erziehungsstil, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Eltern bemüht sind, sich in ihre Kinder einzufühlen, sie zu verstehen und ihnen, wo es notwendig ist, Grenzen zu setzen, aber auch Freiheitsspielräume zu gewähren, damit sie ihre Bedürfnisse und angeborene Neugierde ausleben können. Man begegnet sich untereinander »gleichwürdig« (was nicht »gleichberechtigt« bedeutet) und die Atmosphäre ist von großer Offenheit geprägt. In anderen Familien herrschen dagegen traditionelle Rollenaufteilungen zwischen Mann und Frau, es geht autoritärer zu, hier geben die Erwachsenen den Ton an und die Kinder haben sich ihren Wünschen mehr oder weniger zu fügen. Hinzu kommen auch kulturell-religiös begründete Unterschiede im Erziehungsstil, zum Beispiel in Bezug auf die Rollenzuweisungen an Mann und Frau, eine ungleiche Behandlung von Jungen und Mädchen usw.

Was die Kinder selbst betrifft, so sind auch sie in ihrem Temperament und Charakter von Geburt an ganz unterschiedlich. Die einen sind eher still und lieben die Zurückgezogenheit, die anderen sind impulsiv und fordern ihre Bedürfnisse lautstark ein. Einige Kinder achten hypersensibel auf jede Veränderung, die sie in ihrer nächsten Umgebung empfindlich wie ein Seismograf registrieren, andere wiederum ruhen mehr in sich und lassen sich von dem, was um sie herum geschieht, nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Es gibt »Mama-Kinder« und »Papa-Kinder«, Kinder, die auch schon vor der Trennung ihrer Eltern mit Problemen zu kämpfen hatten. Dies alles beeinflusst sowohl ihre Beziehung zu den Eltern, der Eltern zu ihnen und die Art und Weise, wie alle zusammen mit der Trennung umgehen, wenn sich ein jeweils ganz unterschiedliches, dennoch festgefügtes familiäres Muster, in dem jede und jeder seinen eigenen Platz hatte, auflöst. Später kommen dann oft noch neue Familienmitglieder dazu, Halbgeschwister oder die Kinder des neuen Partners oder der neuen Partnerin von Mutter und Vater. Und wiederum nehmen Erwachsene wie Kinder diese neuen Konstellationen, die sich in ihrem Leben ergeben haben, ganz unterschiedlich an. Einige Kinder fordern offensiv und mit Nachdruck ihre Rechte ein, andere ziehen sich eher zurück und werden immer stiller. Ebenso verhält es sich mit den Erwachsenen. Manche spielen ihre Dominanz auch in der neuen Beziehung aus, andere wiederum gehen zurückhaltend und eher vorsichtig mit der sich neu ergebenden Dynamik und miteinander um.