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Kaiser Konstantins Hinwendung zum Christentum hatte weitreichende Folgen sowohl für das Römische Imperium als auch das aufstrebende Christentum. Neben die traditionelle Autorität der Kaiser traten zunehmend die Führer der jungen Kirche, die Bischöfe. Beide Institutionen verantworten ab der Mitte des 4. Jahrhunderts weitgehend die Reichspolitik, die Staat und Kirche in eine Beziehung zwischen Kooperation und Machtkampf bringt und ihr Verhältnis zueinander in den folgenden Jahrhunderten prägen wird. Das Buch liefert einen neuen Blick auf das Ende des Imperiums und den Aufstieg des Christentums. Die Kaiser waren nicht mehr Gott ebenbürtig, sondern "Diener", und das nur dann, wenn sie der Kirche dienten. Am Ende war die Kirche Erbe des Römischen Imperiums und der Bischof von Rom (später Papst genannt) in der Nachfolge der Cäsaren Mittelpunkt nicht nur der christlichen Welt. Der Autor, bekannter und anerkannter Experte, zeichnet ein faszinierendes Bild der Epoche und spannt den Bogen durch "eines der längsten Jahrhunderte" der europäischen Geschichte.
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Seitenzahl: 391
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Zum Buch
Rom, Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr.! Kaiser Konstantins Hinwendung zum Christentum hatte weitreichende Folgen sowohl für das Römische Imperium als auch das aufstrebende Christentum. Neben die traditionelle Autorität der Kaiser treten nun zunehmend und selbstbewusst die Führer der jungen Kirche, die Bischöfe, und gewinnen an Bedeutung.
Beide Institutionen verantworten ab Mitte des 4. Jahrhunderts die Reichspolitik, eine Beziehung zwischen Kooperation und Machtkampf. Das wird die folgenden Jahrhunderte und die Geschichte Europas nachhaltig prägen.
„Dieses Buch ist ein großer Wurf“, so Manfred Clauss.
Denn Barceló liefert einen neuen Blick auf das Ende des Römischen Imperiums und den gleichzeitigen Aufstieg des Christentums: Die Kaiser sind nicht mehr Gott ebenbürtig, sondern „Diener“, und das nur dann, wenn sie der Kirche dienen.
Am Ende ist die Kirche Erbe des Römischen Imperiums und der Bischof von Rom (später Papst genannt) in der Nachfolge der Cäsaren Herrscher über die urbs (Stadt) Rom und den orbis (Erdkreis). Der alljährliche päpstliche Segen „Urbi et orbi“ ist noch heute eine sinnfällige Erinnerung und bringt den Geltungsanspruch der römischen Kirche zum Ausdruck.
Der Autor, international bekannter und anerkannter Experte, zeichnet ein faszinierendes Bild der Epoche und spannt den Bogen durch „eines der längsten Jahrhunderte“ der europäischen Geschichte.
Zum Autor
Pedro Barceló, Prof. Dr. Dr. h.c., geb. 1950 in Vinaròs (Spanien), ist Professor für die Geschichte des Altertums und Direktor des Historischen Instituts der Universität Potsdam. Von der Universität Carlos III de Madrid erhielt er die „Catedra de Excelencia“, eine zeitlich befristete Berufung international herausragender Forscher.
Als „Meister der historischen Zunft“ schreibt Barceló „mit feinsinnigem Gespür für das Unerwartete“ (P. Brown).
Pedro Barceló
Das Römische Reich im religiösen Wandel der Spätantike
Kaiser und Bischöfe im Widerstreit
Verlag Friedrich Pustet
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6004-9 (epub)
© 2013 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg
Diese Publikation ist auch in folgenden Versionen erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2529-1 (gedrucktes Buch)
eISBN 978-3-7917-7004-8 (PDF)
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www.verlag-pustet.de
Die Welt der Spätantike stellt also eine neue Achsenzeit dar, nicht weniger entscheidend für die Zukunft als die, die Karl Jaspers um die Mitte des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung ausgemacht hat. Es war eine Welt vielfältiger Transformationen: zunächst der politischen mit den Reformen Diokletians und dann Konstantins, die das Ende der antiken Stadt und die Zentralisierung der Monarchie bedeuteten, aber auch des sozialen Wandels, da die Eliten ihre Heimatstadt verließen und nach Konstantinopel zogen, wo sich Macht und Ehren konzentrierten und sich eine strikt hierarchische Gesellschaft herausbildete.
aus: Guy G. Stroumsa,Das Ende des Opferkults.Die religiösen Mutationen der Spätantike
Peter Brown
Vorwort
Ich fühle mich außerordentlich geehrt, für das vorliegende Buch meines Freundes und Kollegen Pedro Barceló ein Vorwort verfassen zu dürfen. Dabei sind mir in lebhafter Erinnerung unsere Begegnungen anlässlich akademischer Tagungen, die er durch seine Teilnahme und sein Organisationstalent auf seine unnachahmliche Art bereichert hat. Ich tue dies auch in tiefem Respekt vor den vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit, die er dem Studium der Beziehung zwischen Religion und Macht in der antiken Welt gewidmet hat. In all seinen Publikationen bin ich stets einem Gelehrten begegnet, der beide versteht, Herrscher und Bekenner.
In diesem Buch habe ich zusätzlich etwas gefunden. Dies ist nicht nur ein Werk über eine der entscheidenden Perioden in der langen Geschichte Europas – über das vierte und fünfte Jahrhundert nach Christus, als die antike Welt zu Ende ging und das christliche Mittelalter begann. Hier liegt eine Untersuchung vor, die durch die Art, wie sie geschrieben ist, ihrem Thema besonders gerecht wird. Aus diesem Grund ist es nicht nur eine Ehre, in dieses Werk einzuführen. Es war ein Vergnügen, diese Ausführungen zu lesen und darin die Handschrift eines Meisters der historischen Zunft zu erkennen.
Es erscheint mir an dieser Stelle, im Rahmen des Vorworts, hilfreich, Leser, die mit der traditionellen historischen Erzählweise über diese Periode nicht so vertraut sind, darauf hinzuweisen, wie erfrischend und ertragreich der von Barceló gewählte Ansatz ist. Es existieren bereits zahlreiche Publikationen über die Bekehrung Constantins zum Christentum. Das Jahr 2012 markierte den 1700sten Jahrestag der schicksalsträchtigen Schlacht bei der Milvischen Brücke (Ponte Molle, die den Tiber an der Stelle überquert, wo die Via Flaminia nach Rom hineinführt) und Constantins Hinwendung zum Christentum, die mit dieser Schlacht verknüpft ist. Es gibt bereits viele Schriften, die sich mit den Kontroversen um die richtige Lehre innerhalb der christlichen Kirchen des vierten und fünften Jahrhunderts beschäftigen sowie darüber, welche Rolle diese Auseinandersetzungen für eine Blickweise spielten, die eine Trennung von Kirche und Staat verfolgte; eine Sicht, die der antiken Welt vollkommen fremd war. Die Beschreibung der religiösen Kultur eines Jahrhunderts, das durch den Aufstieg des Christentums inmitten einer noch heidnischen Umwelt charakterisiert werden kann, hat eloquente Verfechter gefunden. An Übersichtsdarstellungen des weströmischen Reichs in den letzten dramatischen Jahrhunderten seiner Existenz besteht kein Mangel.
Die Mehrzahl dieser Abhandlungen ist jedoch in gewisser Weise eindimensional. Die Beschäftigung mit Constantin kreist um die Erörterung der Tätigkeitsfelder und Gesetze dieses Herrschers. Die Darstellung der frühen christlichen Kirche gerät zu einer Abhandlung über Häresien und Konzilien. Die Auseinandersetzung zwischen der heidnischen und der christlichen Kultur beschreibt eine Reihe von Büchern in der jeweiligen Tradition, für oder gegen die jeweilige Religion. Die Erforschung des späten römischen Reichs wird zu einer Darstellung von Verwaltungsmaßnahmen, militärischen Notlagen und entscheidenden Invasionen der Barbaren.
Alle diese Veröffentlichungen bezeichne ich als „Was“-Bücher, denn sie berichten uns, was geschehen ist. Sie erklären jedoch nicht warum. Pedro Barcelós Buch ist ein „Warum“-Buch. Barceló schrieb es, um uns das „Warum“ zu erklären. Daher ist es ein Werk von großer Aussagekraft. Alle Aspekte der kulturellen und religiösen Erfahrungen der spätantiken Welt sowie die politische und die Kirchengeschichte der nachconstantinischen Zeit werden unter der Fragestellung diskutiert, welche Kräfte die Akteure dieses gewaltigen und unvorhersehbaren Übergangs letztlich antrieben.
So, wie ein Physiker mit scharfsinniger Sorgfalt die Kraft, die schwere Körper bewegt, als Funktion ihrer Masse analysiert, so beschreibt Barceló ebenso kompetent wie anschaulich den Einfluss langfristiger, entscheidender Faktoren, die in der antiken Welt tief verwurzelt waren. Er untersucht die Tradition der göttlichen Kaiserverehrung als Erbe der klassischen Vergangenheit und das sich davon unterscheidende christliche Gottesverständnis, das langsam, aber sicher diese Tradition unterminierte. Ich empfehle dem Leser, den Abbildungen und Illustrationen in diesem Buch aufmerksam zu folgen. Sie bieten visuelle Orientierungspunkte für die Erschließung des Textes. Jede Abbildung zu betrachten, bedeutet, einen Einblick in die Gedankenwelt und die Empfindungen der an diesem Schauspiel Beteiligten zu gewinnen – friedliche kaiserliche Opferszenen und Szenen der kaiserlichen „Himmelfahrt“ wechseln mit Münzabbildungen, die Constantin repräsentieren, und mit Porträts von Bischöfen sowie idyllischen Szenen christlicher Ikonografie. Wir erlangen durch die Lektüre dieses Buchs vertiefte Kenntnisse, warum diese Veränderungen stattfanden, und entscheidende Impulse zum Nachdenken, was eine bloße Beschreibung nicht leisten könnte.
Barceló bietet die hohe Kunst der historischen Darstellung, er hat die Fähigkeit, nicht aus der Retrospektive zu schreiben. Eine Episode kann durch eine teleologische Herangehensweise schnell wie erstarrt wirken, so als wären die Entwicklungen linear verlaufen und würde die bloße Beschreibung der Ereignisse des vierten und fünften Jahrhunderts genügen, um sie zu erklären. Zwischen dem Beginn dieses Prozesses und seinem unausweichlichen Ende scheint es keine Ungewissheit gegeben zu haben. Um eine moderne Metapher zu benutzen: Wenn wir mit dem entscheidenden Ereignis der Wende Constantins zum Christentum 312 konfrontiert werden und seiner folgenden großzügigen Verleihung von Privilegien an die christliche Kirche, sind wir versucht, die Taste „schnell vorspulen“ zu drücken. Wir tendieren zu der Annahme, dass die orthodoxe Herrschaft Theodosius’ I. und Theodosius’ II. eine direkte Folge der Aktionen Constantins waren, und implizieren, dass es ausreiche, die „Vorspultaste“ noch einmal zu drücken, um direkt ins Mittelalter katapultiert zu werden.
Barceló tut nichts von alledem. Er schreibt mit feinsinnigem Gespür für das Unerwartete. Seine Darstellung der Hinwendung Constantins zum Christentum ist außerordentlich spannend deshalb, weil einem bewusst gemacht wird, dass jeder Schritt dieses „ersten christlichen“ Kaisers neu war und unvorhersehbare Folgen hatte. Diese konnten Constantin und seine Zeitgenossen nicht erahnen. Das christliche „Weltreich“, das sich im späten vierten Jahrhundert zur Zeit Theodosius’ I. und Theodosius’ II. andeutete, war eine weitgehende Neuschöpfung und letztlich ein Ergebnis der Krisen und Konflikte des vierten Jahrhunderts. Wenn man bedenkt, wie viele Ereignisse diese Epoche prägten, so handelt es sich bei dem Zeitraum zwischen Constantin und Theodosius I. um eines der „längsten Jahrhunderte“ in der europäischen Geschichte.
Barceló führt uns durch diese Zeit, indem er immer wieder die unvorhersehbaren und unplanbaren Konsequenzen aufzeigt, die Constantins Entschluss, das Christentum zu fördern, sowohl für die Kirche als auch für das Reich bedeuteten. In dieser Zeit veränderten sich der Glaube selbst und die kirchlichen Strukturen, die ihn stützten, auf rasante Weise. Weit davon entfernt, eine gehorsame Staatskirche geschaffen zu haben, erkannten Constantin und seine Nachfolger, dass sie sich anstatt auf ein Kätzchen auf einen Tiger eingelassen hatten.
Barceló charakterisiert klar und deutlich die Protagonisten dieses Geschehens. Kaiser wie Constantius II., Julian Apostata und Theodosius I. werden stets in den Situationen beschrieben, in denen sie sich befanden: in den Traditionen des Kaisertums, die sie prägten, und deren unerwarteten Konsequenzen in ihren Handlungen. Die maßgeblichen Vertreter der christlichen Kirche – von Athanasius und seinen weitsichtigeren östlichen Kollegen bis zu Ambrosius, Kyrill von Alexandria und Papst Leo dem Großen – erscheinen als voll entwickelte Charaktere einer Institution, die sie zunehmend mit Macht ausstattete. Weder sind sie „Pappfiguren“ noch sind die Anliegen, für die sie kämpfen, abstrakte Gedankenspiele. Unter der Militanz, der Virulenz, der Gewaltbereitschaft und der kompromisslosen Haltung vieler christlicher Bischöfe deckt Barceló die verborgenen, tiefen Sehnsüchte auf, welche die Glieder der christlichen Gemeinden erfüllten, und ihre Hoffnungen auf eine Gesellschaft, in der die Figur des Kaisers eine zentrale Rolle spielt.
Wie sich über die Jahrzehnte der Wandel dieser Figur vollzog, ist eines der Hauptthemen dieses Buches. Die Bandbreite reicht dabei vom konservativen Paganismus des Diocletian zu den unerwarteten charismatischen Handlungen Constantins, von der Gewissheit eines göttlichen Herrschaftsauftrags bei Constantius II. zu einer kontrollierten christlichen Monarchie Theodosius’ I. und seiner zunehmend müßiggängerischen Kinder, von denen erwartet wurde zu herrschen, die aber nicht ermutigt wurden zu regieren. Bei dieser Entwicklung sind wir nicht nur Zuschauer eines ersten und entscheidenden Kapitels in der Geschichte der Trennung von Kirche und Staat. Wir bewegen uns vielmehr „von einer Welt in eine andere“. Wir schreiten von einer heidnischen Welt, in der die Götter sich freundlich unter die Menschen mischten und in der der Kaiser ungezwungen, als Gleichrangiger unter den Göttern, an der Schwelle zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen stand, in die Welt eines einzigen transzendenten Gottes, in der die Kaiser Gott nicht länger ebenbürtig sein konnten, sondern nur Diener – und Diener nur dann, wenn sie der Kirche dienten.
Ich hoffe sehr, dass die Leser dieses kompakten, gewichtigen Werks bei der Lektüre die gleiche Begeisterung verspüren wie ich. Ich vertraue darauf, dass sie genauso wie ich neu über die wohlbekannte Geschichte vom Ende des römischen Reichs und dem Aufstieg des Christentums nachdenken und sich dem tiefgründigen Thema dieses Buches zuwenden, der Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft – in unserer Zeit ebenso wie in der fernen Vergangenheit.
Princeton, im Mai 2012(Übersetzung Marianne Barceló)
Prof. Dr. Peter Brown, der an den Universitäten von Oxford, London, Berkeley und Princeton lehrte, gilt als gegenwärtig profiliertester Kenner der Religionsgeschichte des ausgehenden Altertums. In seinen Arbeiten zum frühen Christentum entdeckt er die Bedeutung der Spätantike als eigenständiges Zeitalter und Brücke zum mittelalterlichen Europa.
Diskussionen zur Aktualität des christlichen Glaubens und zum Stellenwert Gottes für den Einzelnen, Petitionen von Laien an geistliche Würdenträger zwecks Reform der Gemeindestrukturen, Empörung über die Amtsführung prominenter Bischöfe, gewöhnlich im Gefolge von Aufsehen erregenden Skandalen, Unzufriedenheit mit kirchlichen Konfliktlösungsstrategien, Infragestellung der Grenze zwischen politischem und geistlichem Machtanspruch: Wie weit sollen die Vollmachten der jeweiligen Amtsträger und die Mitspracherechte der Laien reichen? Dies sind nur einige Beispiele aus der breiten Palette von Themen, die uns in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts beschäftigen und die heutige Sicht auf Religion im Allgemeinen und auf Kirche und Staat im Besonderen mitbestimmen.
Dabei handelt es sich keineswegs um neuzeitliche Anliegen, sondern um Problemstellungen, die in abgewandelter Form spätestens seit der Verklammerung der christlichen Kirche mit dem antiken Staat immer wieder auftraten und bisher weder abschließende Klärungen noch befriedigende Lösungen erfahren haben. Wenn nun aus heutiger Perspektive unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, dann bekommen wir, bildlich gesprochen, lediglich die Spitze des Eisbergs zu fassen oder, historisch gesehen, den jüngsten Entwicklungsstand eines Diskussions- und Gestaltungsprozesses, der in einer Umbruchphase der römischen Kaiserzeit begann und bis auf unsere Tage fortdauert, angereichert mit dem Ballast vieler unerledigter Fragen.
Die Suche nach dem Ursprung dieser Themenkomplexe führt uns in die Mitte des wechselvollen spätrömischen religiösen Alltags, eine Ära, die wie keine andere vom Mit- und Gegeneinander konkurrierender Kultsysteme im römischen Staat geprägt wurde, der im Verlauf dieser Auseinandersetzung grundlegende Veränderungen erfuhr. Die Ursachenforschung der Wandlung der heidnischen Antike in eine politisch zunehmend krisenanfällige, christianisierte Welt bietet die Möglichkeit, Einsichten über damals wie heute gültige Sachverhalte zu gewinnen. Entschließen wir uns diesen Weg zu beschreiten, so blicken wir mit den Augen des Historikers nicht nur auf das theologische Erbe der Vergangenheit, sondern ebenso auf die Rolle jener Personengruppen, die für dessen Formung und Durchsetzung verantwortlich zeichneten.
Kaiser und Bischöfe als die entscheidenden Akteure dieses Prozesses stehen im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung, die Rechenschaft ablegen möchte über die Motive der Bündnisse zwischen Herrschern und markanten Kultvorstellungen1; zudem soll betrachtet werden, wie einige Kaiser sich aus den notorischen Segmentierungstendenzen der christlichen Gemeinschaft bestimmte Bekenntnisse zu eigen machten2 und welche übergreifenden Ziele sie dabei verfolgten; ferner, warum sich in Konkurrenz zum Kaisertum neue religiöse Autoritäten zu etablieren vermochten, und schließlich, aus welchen Gründen machtbewusste Kirchenvertreter3 in zunehmendem Maß die Zügel der Religionspolitik ergreifen und damit die Basis für eine Klerikalisierung der christlichen Gemeinden schaffen konnten.
Trotz der Beachtung, die den anerkannten Autoritäten des antiken Kultbetriebs im Verlauf dieses Buches geschenkt wird, liegt hier keine prosopographische Abhandlung über Kaiser und Bischöfe vor. Vielmehr beabsichtigt der gewählte Zugriff, die Bedingungen des religiösen Wandels ins Visier zu nehmen und dessen Entwicklungslinien in einen historischen Kontext zu stellen. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Anteile der Vertreter der weltlichen und geistlichen Macht an den Veränderungsprozessen, welche die religiöse Landkarte des 4. und 5. Jahrhunderts prägten. Es geht primär um die Analyse und Beurteilung der maßgeblichen Vorgänge der Kirchenpolitik und weniger um eine systematische Ausleuchtung ihrer Protagonisten.
Über lange Zeit hinweg leiteten die römischen Kaiser ein weltumspannendes Imperium ohne – bis auf die gelegentlichen Anfechtungen ihrer Herrschaft durch Konkurrenten – ihre weit umfassenden Vollmachten teilen zu müssen. Weil richtungsweisende Gegengewichte Mangelware blieben, verschmolz in den Werken der einschlägigen Historiker4 die Darstellung der Reichsgeschichte weitgehend mit der Chronik der kaiserlichen Tätigkeit, welche alle wesentlichen Bereiche der Staats-, Rechts-, Finanz-, Militär- und Kultverwaltung umfasste.
Während die Staatslenker der ersten drei Jahrhunderte bei der Regelung der innen- und außenpolitischen Belange sich hauptsächlich mit den Machtansprüchen des Senats und ehrgeiziger Truppenkommandeure auseinandersetzen mussten, hatten sie dagegen bei der Gestaltung der Kultangelegenheiten relativ wenige Störungen zu befürchten. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als das Christentum sich innerhalb von Staat und Gesellschaft auszubreiten begann und seine Wortführer, insbesondere die Bischöfe der großen Metropolen, einen unübersehbaren Machtfaktor darstellten.
War bis dahin der Kaiser der unbestrittene Moderator von Religion und Politik, zwei in der römischen Vorstellungswelt zusammengehörende, untrennbare Lebensbereiche, so betraten nun neue Entscheidungsträger die politische Bühne des Reichs, die einen Kontrapunkt zur Monopolisierung von Herrschaftsaufgaben durch die kaiserliche Regierung setzen sollten, und zwar nicht nur im Bereich der Kirchenpolitik. Damit wurde sowohl eine vom geistlichen Gestaltungsanspruch als auch vom weltlichen Machtstreben in Kult-fragen getragene Durchdringungsphase beider Institutionen eingeleitet, die jahrhundertelang die Beziehungen zwischen Kirche und Staat prägen wird.
Kaiser und Bischöfe verantworteten ab dem 4. Jahrhundert einen wesentlichen Teil der Reichspolitik. Ihre Interaktion reichte von sachdienlicher Kooperation bis erbitterten Wettbewerb und mündete oft genug in zahllose Kontroversen und Machtkämpfe, die über die römische Kaiserzeit hinaus fortdauerten. Von den Absichten, Motiven und Zielen der Inhaber des kirchlichen Amts und der Vertreter der weltlichen Macht, von ihren Beziehungsnetzen und ihrem Anteil an der religiösen Umgestaltung der komplexen, multikonfessionellen Gesellschaft des ausgehenden Altertums handeln die folgenden Kapitel.
Dass bei der Auswahl der Beispiele theologisch herausragende Köpfe der Epoche wie Gregor von Nyssa oder Augustinus von Hippo nur am Rande erwähnt werden, hängt mit dem Schwerpunkt der Untersuchung zusammen, die auf die Interaktion zwischen Kaisern und Bischöfen fokussiert bleibt.
Dabei darf ein flüchtiger Blick auf die religiöse Landkarte des spätantiken Staats nicht zu einseitigen Schlussfolgerungen verleiten, angesichts der unterschiedlichen Intentionen, welche die heterogenen Gewährsleute verfolgen, die zur Verfügung stehen. Würden wir für die Beurteilung der vorherrschenden kultischen Strömungen allein die dokumentarischen Zeugnisse heranziehen wie Münzen oder Inschriften, so ergäbe ihre Betrachtung ein völlig anderes Bild der religiösen Wirklichkeit, als sie uns die Texte der Kirchenautoren5 vermitteln, die insgesamt den Eindruck erwecken, die innere Eintracht des Imperiums würde ausschließlich von der Befindlichkeit der Kirche abhängen. Solche Disproportionen werden zusätzlich durch die Lektüre der Schriften der führenden heidnischen Publizisten der Epoche deutlich6, in denen christliche Themen so gut wie nicht vorkommen und die daher die landläufige Vorstellung einer weitgehend christianisierten Gesellschaft stark relativieren.
Schon aus diesen Gründen ist es unerlässlich, nach dem Ausmaß der Präsenz des Christentums im Staat und im Alltag, nach dem Mit- und Gegeneinander der in nächster Nachbarschaft lebenden religiösen Welten, nach der Genese von Abtrünnigkeit und Rechtgläubigkeit einschließlich der damit einhergehenden Militanz gegen Andersgläubige sowie nach der Virulenz der religiös motivierten Machtkämpfe und nach der wachsenden Gewaltbereitschaft in den christlichen Milieus zu fragen.
Daneben darf nicht versäumt werden, mit Hilfe der Rekonstruktion des sozialen, theologischen und politischen Umfelds, das Kaiser und Bischöfe umgab, Einblicke in die Mechanismen der spätantiken Kultpolitik zu vermitteln. Aus ihnen wird einerseits ihre Einbettung in die Kontinuitätsstränge der frühen und mittleren Kaiserzeit deutlich, andererseits auch das spezifisch schöpferische Potenzial einer Epoche unterstrichen, die wie kaum eine andere die noch heute weitgehend bestehende Dichotomie von Kirche und Staat verursacht hat.
Die Komplexität des Themas bedingt einerseits, dass nur ausgewählte, aber repräsentative Problemstellungen behandelt werden können. Andererseits bestimmt sie die eingeschlagene Vorgehensweise, die auf religionssoziologische, theologische, kunsthistorische, archäologische, rechtswissenschaftliche und althistorische Betrachtungsweisen zurückgreift und sie miteinander zu verbinden versucht, ohne dabei sowohl auf die Chronologie der Ereignisse grundsätzlich zu verzichten als auch auf manche strukturgeschichtliche Reflexion, die der Natur des Gegenstandes geschuldet ist.
Dass bei der Abfassung einiger Aspekte der hier zur Debatte stehenden Thematik auf frühere Vorarbeiten zurückgegriffen werden konnte, soll nur am Rand Erwähnung finden. Für weitaus wichtiger als meine eigenen Beiträge erachte ich jedoch die zahlreichen Anregungen, die mir sowohl durch die Lektüre der Schriften als auch durch persönliche Begegnungen mit Peter Brown (Princeton) und Manfred Clauss (Hennef) vermittelt worden sind, zwei herausragenden Wissenschaftlern, die meine Sicht der spätantiken Religionsgeschichte entscheidend beeinflusst haben. Dass gerade sie dieses Buch mit einem Vorwort beziehungsweise einem Nachwort bereichern, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit.
Meine besondere Anerkennung gilt meinen Freunden und Kollegen Mechtild und Bernhard Overbeck, Gunther Gottlieb, Erich Naab, Peter Eich sowie Georg Daltrop für die kritische Lektüre des Manuskripts und ihre sachkundigen Ratschläge. Virginia Baier, Eike Faber, Matthias Sandberg und Matthias Zein haben das Quellenregister erstellt und mir wertvolle Dienste bei der Beschaffung der Abbildungen und Literatur sowie bei der Korrektur der Druckvorlage erwiesen.
Schließlich sei meiner Verlegerin, Frau Elisabeth Pustet, für ihr Engagement und die vorbildliche Betreuung dieses Buches sehr herzlich gedankt.
Eingespannt in ein Koordinatennetz aus individuellen Erwartungen und strukturellen Zwängen, war das römische Kaisertum von Anfang an auf die reichsweite Anerkennung und Kooperation der maßgeblichen gesellschaftlichen Gruppierungen angewiesen. Daher stellte Augustus nach der gewaltsamen Erringung der Alleinherrschaft die Rezeption seiner Machtausübung in den Dienst der Rechtfertigung seines Regimes. Er ließ sich öffentlich, je nach Opportunität als Amtsträger, Wohltäter, Feldherr oder Priester darstellen, kleidete seine Errungenschaften in einprägsame Bilder, von denen eine ungeheure Suggestivkraft ausging, und achtete sorgfältig darauf, dass die zahllosen, ihm gewidmeten Ehrungen jedem Reichsbewohner eindringlich vermittelten, wem Frieden und Wohlstand in einem vom Bürgerkrieg geschundenen Land zu verdanken seien.2 Kein anderes Denkmal verlieh diesem inszenierten Stimmungsbild einen angemesseneren Ausdruck als die Ara Pacis Augustae in Rom (Abb. 1).
Abb. 1: Augustus, gefolgt von Liktoren an der Spitze einer Prozession; Südseite der Ara Pacis Augustae in Rom. Relief aus lunensischem Marmor, H. 1,55 m; 13–9 v. Chr.
Die durchdachte Zurschaustellung der vollbrachten Leistungen und des daraus resultierenden Glanzes stellte ein Markenzeichen der Principatsherrschaft dar.2 Darüber hinaus übte sie eine beträchtlich einschüchternde Wirkung aus, indem sie gleichzeitig hohe Hürden für potenzielle Konkurrenten aufrichtete: Wer sollte auch gegen die in einen sakralen Kontext eingebettete majestätische Präsentation von Macht und Herrschaft aufbegehren, wie sie die an einen Gott erinnernde, bellizistisch gestaltete Statue des Augustus verkörperte? (Abb. 2)
Abb. 2: Augustus. Panzerstatue aus der Villa der Livia bei Prima Porta; Marmor, H. 2,04 m; um 17 v. Chr.; Rom, Vatikanische Museen
Mangelnde Kommunikationsfähigkeit hätte hingegen seinem Nachfolger Tiberius fast die Herrschaft gekostet, wenn er nicht aus seinen Inselträumen noch rechtzeitig aufgewacht wäre: Der Abstand zwischen Rom und Capri betrug nicht nur die bloße geographische Wegstrecke, sondern markierte vor allem die unüberbrückbare Distanz zwischen privater Entrücktheit und öffentlichem Wirken.3 Seine Nachfolger zogen die nötigen Lehren daraus. Die erfolgreichen Imperatoren ließen den Kommunikationsfluss zu den Führungsschichten des Reichs, zu den Provinzen, zu den Militäreliten und, was für unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung ist, zu auserwählten Gottheiten nicht abreißen.4
Gerade religiös untermauerte Legitimationsstrategien für tendenziell fragile Herrschaftsansprüche erwiesen sich in unruhigen Zeiten als unverzichtbare Bausteine für die Bewältigung einer zunehmend komplexeren politischen Realität.5 Außerdem dienten sie als Stütze für den Fortbestand eines bedrohten Regimes. Im Vordergrund stand stets die Herstellung einer Verbindung mit der unsichtbaren Welt, um das schier unstillbare Bedürfnis der tonangebenden gesellschaftlichen Schichten sowie der Entscheidungsträger nach Geborgenheit und Bestätigung zu befriedigen, das in der Divinisierung und Konsekrierung der Herrscher einen Höhepunkt erreichte.6 Ein wohl Tiberius gewidmetes Dokument der Kleinkunst veranschaulicht diese Zusammenhänge auf exemplarische Weise: Von oben schauen die bereits unter die Götter Aufgenommenen, so auch Augustus, auf die darunter liegenden Ränge. In der untersten Ebene sieht man Gefangene, welche die militärische Tüchtigkeit des Imperators unterstreichen. Im Zentrum des Figurenfeldes steht der in einer kosmischen Sphäre überhöhte Kaiser, der als Oberhaupt des Reiches sich der Gunst der Götter erfreut.7 (Abb. 3).
Abb. 3: Darstellung des julisch-claudischen Kaiserhauses „Grand Camée de France“; Sardonyx, H. 31 cm, B. 26,5 cm; 2. Hälfte 1. Jh.; Paris, Cabinét de Médaillons, Bibliothéque nationale
Wegen ihrer polytheistischen Ausrichtung verfügte die römische Religion über ein beachtliches Reservoir von passenden Optionen für Gottessucher. Auch war ihr ein gerüttelt Maß an Gelassenheit zu eigen, wenn es darum ging, sich auf neue Situationen einzustellen. Doch wie bei den meisten Verallgemeinerungen trifft diese Sichtweise nur bedingt zu. Dafür war die unauflösliche personelle und strukturelle Verzahnung der staatlichen mit den kultischen Institutionen verantwortlich.8 Einerseits gewährleistete die Religionsausübung aus der Sicht der Betroffenen sowohl die Existenz als auch die Wohlfahrt des Gemeinwesens, indem sie eine Symbiose zwischen dem politischen Verband und der sie tragenden Kultgemeinde herstellte9, andererseits war das Pantheon der anerkannten Gottheiten keineswegs abgeschlossen und gegen Anfechtungen durchaus anfällig. Es befand sich in einem ständigen Wandel, was letztlich mit dem Prozess der Reichsbildung zusammenhing, an der sich erkennen ließ, wie die Unermesslichkeit des antiken Götterhimmels mit der Grenzenlosigkeit der römischen Herrschaft zu korrespondieren schien.10
Rom importierte aus seinen Provinzen zahlreiche Götter und Riten, wie etwa den aus Persien stammenden Mithraskult, der sich während des 2. und 3. Jahrhunderts im ganzen Reich ausbreitete.11 Die fremden Gottheiten wurden in den Kultalltag eingegliedert, womit dieser die lokalen Grenzen überwand und eine universale Geltung entfaltete. Eine derart bereitwillige Aufnahme neuartiger religiöser Vorstellungen gilt als Ausweis für die Flexibilität des römischen Kultbetriebs, der keinen monolithischen Block bildete, sondern sich als ein komplexes System der rituellen, sozialen, politischen und kulturellen Interaktion verstand.12 Geprägt von Synkretismus und Durchlässigkeit gegenüber den diversen religiösen Welten, förderte die römische Kultpraxis das Zusammenleben unterschiedlicher Gemeinschaften innerhalb eines überaus heterogenen Reichs und leistete damit einen Beitrag zu dessen Stabilität.13
Jedoch verhinderte diese Integrationsfähigkeit keineswegs das Aufkeimen intoleranter Einstellungen, wenn etwa von bestimmten Kultvereinigungen Anschläge auf die Sicherheit des Staates oder verderbliche moralische Einflüsse auf die geltenden ethischen Normen beziehungsweise eine Zersetzung der gesellschaftlichen Kohärenz befürchtet wurden.14 Allerdings muss jede Auflistung des repressiven Vorgehens der römischen Behörden jene weitaus größere Anzahl von Fällen der freiwilligen Akzeptanz fremder religiöser Netzwerke anerkennen.15
Wegen ihrer staatstragenden Rolle besonders anfällig gegenüber Ausschlägen des sozialen Pendels geworden, übertrug die religio Romana dem jeweils regierenden Kaiser die Supervision über die Kultpraxis.16 Die Bewahrung der religiösen Symmetrie, zu einer zentralen Herrschaftsaufgabe stilisiert, wurde zunehmend von den Störungen des gesellschaftlichen Gleichgewichts abhängig. Daher genügte für die Zustimmung oder Ablehnung neuer Religionsgemeinschaften ein Verweis auf politische Kriterien, was zur Folge hatte, dass für die Verhängung von Verboten gegen bestimmte Kulte keine religiösen Maßstäbe angewendet wurden. Selten warf man ihren Anhängern vor, die falschen Gottheiten zu verehren, sondern den anerkannten Göttern Roms – den Symbolen der Einheit des Staates – den schuldigen Respekt versagt zu haben. Um gegen eine verdächtig gewordene religiöse Gruppierung strafrechtlich vorzugehen, nahmen die Vertreter der Staatsmacht nicht deren Doktrin ins Visier, sondern sie bewerteten vielmehr ihr Gefahrenpotenzial für das Zusammenleben unter dem Dachverband der bestehenden Rechtsordnung und der herrschenden Moral. Erst wenn diese Vereinbarkeit gestört schien, ging man gegen religiöse Gemeinschaften vor. Der Blick der Behörden richtete sich auf das Verhalten der Anhänger und nicht auf den theologischen Gehalt einer aus welchen Gründen auch immer in Verruf geratenen Religion.
Dies lässt sich am Beispiel der von Anfang an beargwöhnten Christen verdeutlichen.17 Die Repräsentanten des Staates interessierten sich kaum für die Lehrsätze dieser im ersten Jahrhundert aus dem Judentum hervorgegangenen Glaubensgemeinschaft.18 Umso mehr zeigten sie sich besorgt über das öffentliche Erscheinungsbild ihrer Mitglieder, das als eine schwerwiegende Infragestellung der säkularen Traditionen, die Rom groß gemacht hatten, angesehen wurde. Wie stark im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft gerade diese Vorstellung verankert blieb, nämlich dass der Erfolg Roms dem Zuspruch der Götter zuzuschreiben sei19, und wie sehr diese Sichtweise sogar die spätantike christliche Weltdeutung nachhaltig beeinflusste, veranschaulicht die Polemik des Kirchenvaters Augustinus in seinem „Gottesstaat“, wo der Widerlegung derartiger Ansichten breiter Raum gewidmet wird.20
Weil zahlreiche Christen (wenn auch nicht alle) den offiziellen Opferhandlungen fernblieben und sich weigerten, den Göttern und dem Kaiser zu huldigen, machten sie sich aus der Sicht der Behörden der Illoyalität gegenüber dem Staat und seiner sakralen21 Instanzen verdächtig. Deswegen wurden sie der Verschwörung bezichtigt und als Feinde der bestehenden Ordnung betrachtet.22 Daran kann man erkennen, dass ein Kult durchaus als Gefahr eingestuft wurde, wenn seine Anhänger die Vorgaben des traditionellen religiösen Systems missachteten, was sie in der Wahrnehmung ihrer Umgebung zu gesellschaftlichen Außenseitern abstempelte.23 Gleichzeitig darf nicht verkannt werden, dass das von den Christen nach außen getragene Bekenntnis zu einer mit dem Rest des römischen Pantheons inkompatiblen Gottheit einen verschärften Wettbewerb auf Erden um die Deutungshoheit über die unsichtbare Welt der Geister, Dämonen und Götter eröffnete.24 Seit der Begründung des Principats stellte der Kaiserkult eine wirkungsvolle Form der reichsweiten sozialen Kommunikation dar, welche die Anerkennung der etablierten Ordnung durch alle Beteiligten verstärkte.25 Forderte ein Herrscher wie Decius (249–251) seine Untertanen auf, eine supplicatio (Opfer und Gebet) zu vollziehen26, so tat er dies nicht, wie eine auf die Verfolgung der Christen einseitig fixierte Optik sehen möchte, um Dissidenten zu disziplinieren, sondern er wollte vielmehr einen Beweis der Solidarität von Seiten der Reichsbevölkerung erhalten. Es ging dabei um die Erlangung von Zustimmung, weniger um die Ausgrenzung der Abweichler. Mittels einer derart groß angelegten Mobilisierung der Bürgerschaft sollte in erster Linie Übereinstimmung mit dem herrschenden System demonstriert werden. Der Appell war aus Sicht der Regierung notwendig, um den vielfältigen Gefahren, die das Reich bedrohten (Einfall fremder Völker, wirtschaftliche Probleme, Zerfall der kaiserlichen Autorität durch die vielen Usurpationen, Bürgerkriege), durch Stärkung der inneren Geschlossenheit zu begegnen.27
Dass sich in politisch unruhigen Zeiten bei den Trägern der staatlichen Macht die Neigung verstärkte, in den Kultalltag der Untertanen einzugreifen, belegen zahlreiche Stimmen. Einen anschaulichen Hinweis auf diese Vereinnahmungstendenz liefert die fiktive Maecenas-Rede des Historikers und Senators Cassius Dio, in welcher der Kaiser aufgefordert wird, das religiöse Verhalten seiner Untertanen durch die entschiedene Abwehr der fremden Kulte zu normieren:
„Wenn du daher wirklich unsterblich werden willst, so handle nach meinem Rat, und außerdem verehre nicht nur selbst die Himmelsmacht allenthalben und auf alle Art im Einklang mit den Überlieferungen unserer Väter, sondern zwinge auch alle anderen, sie zu ehren! Diejenigen aber, die unsere Religion etwa durch fremde Riten entstellen wollen, lehne ab und bestrafe sie, nicht nur um der Götter willen, deren Verächter auch keinem anderen Wesen Verehrung erweisen dürfen, sondern weil derartige Menschen, indem sie irgendwelche neuen Gottheiten an Stelle der alten einführen, viele dazu veranlassen, fremde Lebensformen anzunehmen; und daraus entstehen dann Verschwörungen, Parteienbildung und staatsgefährdende Vereine, was alles einer Regierung keineswegs nützt.28
Derartige Notizen aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts bestätigen nicht nur ein vermehrtes Interesse seitens der Mächtigen, die religiöse Ausrichtung der Bevölkerung zu beeinflussen. Von hier aus war es nur ein kleiner Schritt, die staatliche Kontrolle auf den gesamten Kultvollzug auszudehnen. In diesem Sinn erwiesen sich die repressiven Maßnahmen der Regierung gegen Minderheiten als direkte Konsequenz einer offenbar verbreiteten Haltung, die religiöse Nonkonformität als politische Unzuverlässigkeit oder gar als Renitenz bewertete, die ein Einschreiten der Behörden erfordere.29
Während in den ersten zwei Jahrhunderten Anfeindungen gegen die Christen selten vorkamen und die staatlichen Behörden erst nach Erstattung einer Anzeige einschritten, änderte sich ab der Mitte des 3. Jahrhunderts die Stoßrichtung der Christenpolitik. Dass die Regierung keinen Anlass sah, sich um die Christen zu kümmern, überrascht nicht. Sie waren – bis auf einige örtliche Ausnahmen – zu unbedeutend, um vom Staat zur Kenntnis genommen zu werden. Und doch vollzog sich gerade in dieser Zeit ihre Ausbreitung innerhalb der römischen Gesellschaft. Wie der gelegentliche Aufschrei einiger betroffener Staatsvertreter zeigt, konnten zwar die Christen regional gesehen ein Faktor werden, mit dem man sich auseinandersetzen musste, aber der Staat tat dies eher widerwillig und gezwungenermaßen. Man könnte etwas überspitzt formulieren: Solange das Christentum ein Minderheitsphänomen war, das zwar Teile der Gesellschaft befiel, den Staat aber verschonte, ließ es sich mit einem juristischen Instrumentarium niederhalten, das auf die Mitarbeit der nichtchristlichen Gesellschaft, das heißt auf ihre Animositäten gegen die Christen baute. Es kommt noch etwas anderes hinzu, was häufig unterschätzt wird. Die heidnisch geprägte Welt des 1. und 2. Jahrhunderts war beweglicher, gelassener und gegen Anfechtungen ihrer Grundwerte wirksamer gefeit, als es ein nur auf die Verfolgungsmaßnahmen fixierter Blick erkennen lässt. Als aber während des 3. Jahrhunderts eine ganze Reihe von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren das Gesicht des römischen Reiches veränderten, griff man das Christentum an, weil es innerhalb des Staates Fuß fasste und Anhänger in der Reichsverwaltung, beim Heer und am Kaiserhof gewann. Wie zahlreiche Inschriftenfunde nahe legen, unterstützten gerade die Militärkreise die restaurativen religionspolitischen Tendenzen mit besonderer Hingabe. Die illyrischen und pannonischen Kaiser machten sich das von Septimius Severus verkündete Programm der Erneuerung der römischen Religion zu eigen. Diese Haltung war es, welche die im 3. Jahrhundert bestimmenden Führungsschichten in eine unüberbrückbare Gegnerschaft zum Christentum führen konnte.
Vor diesem Hintergrund erschienen die expandierenden christlichen Gemeinden aufgrund ihrer effizienten Organisation und ihrer straffen Führung als Bischofskirche wie abgeschottete Sozialkörper, die sich notgedrungen außerhalb der römischen Lebenswelt angesiedelt hatten. Je mehr Gebildete und Vornehme dazu zählten, je rascher ihre ökonomischen Mittel wuchsen, desto mehr wurden sie als Staat im Staat wahrgenommen.30 Ihren Mitgliedern warf man Absentismus, Korpsgeist und mangelnde gesellschaftliche Solidarität vor.
Dies dürfte auch die Ansicht von Kaiser Valerian (253–260) gewesen sein, der in den Christen einen Unsicherheitsherd und ein Hindernis für die Einheit des Reichs erblickte. Da er sich ihrer Loyalität nicht sicher war, griff er sie massiv an, indem er zunächst die Kleriker verfolgte und danach alle anderen Gemeindeglieder unter Generalverdacht stellte.31 Als aber im Verlauf des gescheiterten Feldzugs gegen das Sassanidenreich Valerian in Gefangenschaft geriet und nach seinem Tod der Perserkönig Schapur als Trophäe seines Sieges ihm seine Haut abziehen, gerben und öffentlich ausstellen ließ, war nicht nur ein Tiefpunkt in der römischen Geschichte erreicht, sondern ein ebenso spektakuläres Revirement in der Religionspolitik.
Nicht wenige Christen sahen in Valerians grausigem Schicksal ein göttliches Vorzeichen, während in manchen heidnischen Kreisen den Christen die Urheberschaft am Elend der Gegenwart angelastet wurde.32 Als Reaktion auf die gegenseitigen Schuldzuweisungen entfaltete sich eine von Valerians Sohn und Nachfolger Gallienus verantwortete Beschwichtigungspolitik, die zu einer Einstellung der Christenverfolgung führte.33
Wenn die Tragweite dieses Verhaltens gewöhnlich unterschätzt wird, so liegt dies an der ein halbes Jahrhundert später stattfindenden Überbetonung der zweifellos epochalen Privilegierung der Kirche durch Constantin.34 Doch ähnlich wie Gallienus’ Toleranz gegenüber den Christen von der diocletianischen Reaktion unterbrochen wurde, so sollten die christenfreundlichen Maßnahmen der constantinischen Dynastie von der heidnischen Restauration Julians kurzfristig angefochten werden, was wiederum verdeutlicht, dass die religionspolitischen Optionen dieser Ära sich innerhalb eines Spannungsbogens bewegten, der von Vereinnahmung bis Absonderung, Tradition bis Neuerung, Unversöhnlichkeit bis Eintracht reichte. Was die unterschiedlichen religiösen Strömungen jedoch miteinander verband, war das von den Herrschern emphatisch zum Ausdruck gebrachte Bedürfnis nach einem Bündnis zwischen den göttlichen Mächten (wie immer man sie deutete) und den irdischen Herrschaftsansprüchen, oder anders ausgedrückt: Die unsicheren politischen Verhältnisse verlangten vermehrt nach religiösen Gewissheiten.35
Dieser Trend machte nicht vor der Rezeption der valerianischen Politik halt. Blicken wir auf die Umstände ihres Scheiterns zurück, so hatten nur wenige Ereignisse die geltenden Handlungsmuster so sehr in Frage gestellt wie das beispiellose Schicksal dieses Kaisers.36 Obwohl immer wieder Imperatoren von ihren Rivalen beseitigt wurden, hatte noch keiner die unerhörte Demütigung ertragen müssen, einer feindlichen Macht ausgeliefert worden zu sein. Um den ungeheuren Eindruck zu ermessen, den ein derartiges Ereignis hervorrief, genügt es, sich zu vergegenwärtigen, dass sein Protagonist als Garant für die Existenz des Gemeinwesens galt.37 Von seiner Amtsführung hing das Wohl des Staates ab, indem er einen Ausgleich zwischen den maßgeblichen sozialen Kräften (Truppenkommandeure, senatorische Eliten, provinziale und lokale Aristokratien) und der Reichsleitung und ihren überirdischen Beschützern herstellte, was, nach Überzeugung der Zeitgenossen, die entscheidende Stütze der herrschenden Ordnung bildete.
Die immer wieder erneuerten Bündnisse der Imperatoren mit den Göttern Roms galten als unerschütterliche Voraussetzung für das Gelingen der zunehmend komplexer werdenden Aufgaben der Staatsführung. Politische Erfolge und militärische Siege stärkten nicht nur die virtus imperatoria der Regenten, sondern wurden ebenso als Beweise für die Gunst der Götter gegenüber dem Gemeinwesen gewertet.38 Innerhalb dieser Wechselseitigkeit zog Valerians tiefer Fall, ganz abgesehen von der Beschädigung der geltenden politischen und religiösen Wertnormen, auch eine Störung der gesellschaftlichen Symmetrie nach sich: Römischer Himmel und römische Erde schienen auseinanderzustreben.39 Wie oft konnte das Imperium eine Wiederholung derartiger Katastrophen aushalten?
Tröstende Appelle, die zur Besinnung und Erbauung einluden, gab es im politischen Schrifttum der Kaiserzeit zur Genüge. Wer erinnerte sich nicht an die wohlklingende Theogonie in der Romrede des Aelius Aristides, die, einige Generationen früher verfasst, einen markanten Kontrast zu den düsteren Jahren der valerianischen Regierung zu bieten schien, insofern, als eine erfolgreiche Kooperation zwischen den maßgeblichen Agenten des Weltgeschehens evoziert wurde, die bis zur Identifikation zwischen den irdischen und himmlischen Mächten gesteigert wird:
„Denn die Götter, wie es scheint, sehen auf euch [die römischen Kaiser] herab, erhalten euch gnädig euer Reich und verleihen euch die Gunst, es beständig zu besitzen. Zeus, weil ihr euch für ihn um den Erdkreis, seine vorbildliche Schöpfung, wie man sagt, vorbildlich kümmert, Hera, weil die Ehen rechtmäßig geschlossen werden, Dionysos und Demeter, weil unter ihnen die Feldfrüchte kein Unrecht erleiden, Poseidon, weil ihm das Meer von Seeschlachten rein gehalten und von Handelsschiffen statt von Trieren befahren wird. Im Chor vereint, blicken Apollo, Artemis und die Musen unablässig auf ihre Diener im Theater, Hermes indes braucht nicht auf Wettkämpfe und Gesandtschaften zu verzichten, Aphrodite nicht auf Fruchtbarkeit und Gunstbezeugungen. Wann war jemals die Zeit geeigneter oder wann erfreuten sich die Städte jemals mehr daran? (…) Der alles sehende Helios entdeckte unter eurer Herrschaft weder eine Gewalttat noch ein Unrecht (…) Daher blickt er zu Recht mit höchstem Wohlgefallen auf euer Reich herab.40
Vordergründig erweckt eine derart enthusiastische Beschwörung von Frieden, Wohlstand und Eintracht zwischen irdischem Dasein und Götterolymp eine idyllische, einst vorherrschende Realität, die sich von den Krisenjahren, die Valerians Fall markieren, merklich unterschied. Wenn wir jedoch die Sphäre der Literatur verlassen und uns der nüchternen Sicht des Alltags nähern, dürften die leuchtenden Farben des bukolischen, idealtypisch anmutenden Panoramas, wie es in Raffaels Gemälde meisterhaft eingefangen wird (Abb. 4), graueren Tönen weichen: Mit Sicherheit war die Epoche des Aelius Aristides weit von der vollständigen Harmonie entfernt, die er besingt.41 Gewiss war aber auch die Zeit Valerians weniger düster, als gemeinhin angenommen wird. Zwar wurde damals sehr viel Kredit verspielt, aber die Reserven auf der Habenseite der römischen Staatskunst waren keineswegs restlos verbraucht. Diese Zusammenhänge waren den Zeitgenossen durchaus bewusst. Daraus schöpften sie Mut und Zuversicht für die Zukunft.42
Abb. 4: Götterversammlung anlässlich der Einführung der Psyche in den Olymp; Deckenfresko von Raffael (1517/18) in der Gartenloggia der Villa Farnesina in Rom
Zweifellos wurde das Reich in den Jahren nach Valerians Niederlage von ernsthaften Problemen geplagt, die seine territoriale Integrität und seinen inneren Zusammenhalt betrafen – etwa die Abspaltung Galliens, die Sezessionsbewegung in Palmyra, die bedrohten Grenzen an Rhein, Donau und Euphrat oder die unaufhörlichen Usurpationen und Bürgerkriege in deren Folge.43 Doch auf dem Höhepunkt der Krise ergriffen energische Persönlichkeiten die Zügel der Macht wie Claudius Gothicus (268–270), Aurelian (270–275) oder Probus (276–282), die sich imstande zeigten, dringend benötigte Erfolge zu erzielen.44 Gerade in dieser äußerst kritischen Situation konnte eindrucksvoll bestätigt werden, dass die Fähigkeit des angeschlagenen Gemeinwesens, existenzielle Probleme zu lösen, in hohem Maß von seinen führenden Repräsentanten abhing. Von den Kapazitäten, den Führungsqualitäten, vom Einsatz und Glück der regierenden Staatsoberhäupter ging die Regeneration des Reichs aus: Das Kaisertum erlebte damals seine gewaltigste Bewährungsprobe.
In diesem Kontext diente die causa Valerian als Warnung und Mahnung zugleich. Denn sein Scheitern war weitaus verhängnisvoller als die üblichen Palastintrigen um den Thron oder die zahlreichen internen Machtkämpfe um die Herrschaft, weil es die Vorstellung der lebensnotwendigen Allianz der Staatsrepräsentanten mit den Göttern Roms in einem bisher ungekannten Ausmaß untergrub. In der Reflexion, die bald darauf einsetzte, kamen die Modalitäten des Erwerbs beziehungsweise des Verlustes von Herrschaft auf den Prüfstand. Damit wuchs die Notwendigkeit, die Suche nach jenen unverzichtbaren himmlischen Beschützern voranzutreiben, die Stabilität und Erfolg verbürgen konnten.
Es waren die Maßstäbe der Soldatenkaiserzeit, welche die Eroberung der Macht durch Diocletian (284–305) bestimmten. Sie ereignete sich nach dem Tod des Carus während der Belagerung von Ktesiphon (nahe Bagdad) und der darauffolgenden Ermordung seines Sohnes Numerian durch den Prätorianerpräfekten Aper.45 Die Szene, die sich nach seiner Kaiserwahl abspielte, ist von kaum zu überbietender Rohheit: Vor den angetretenen Truppen, die seine Erhebung feiern wollten, erstach Diocletian Aper mit eigener Hand.46 Allen Erklärungsversuchen zum Trotz trug diese dramatische „Thronbesteigung“ wenig dazu bei, das Vertrauen in die neue Führung zu stärken. Mehrere Kaiser, die sich in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in rascher Folge ablösten, waren weit davon entfernt, nachahmenswerte Vorbilder abzugeben. Unersättliche Ambitionen, Intrigen und die Bereitschaft zu wahlloser Gewaltanwendung gehörten ebenso zum Alltag wie administrative und militärische Reformunfähigkeit.47 Umso bemerkenswerter erschien Diocletians Vorsatz, diesen Zustand ein für alle Mal zu beenden, gerade angesichts der Begleitumstände seiner Erhebung.48 Im Bewusstsein der extremen Verwundbarkeit des auseinanderstrebenden Reichs nahm Diocletian die Herausforderung an, indem er, ähnlich wie einst Augustus, das politische System an die Erfordernisse der Gegenwart anpasste. Die zu bewältigende Aufgabe nahm er mindestens genauso wichtig wie die Rücksicht auf die eigene Person, was etwa seine beispiellose Abdankung, mit der er die Kontinuität seines Regierungsprojekts sichern wollte, belegt. Dass dies nachträglich misslang, steht auf einem anderen Blatt.
Kaum war Diocletians Herrschaft gefestigt, entwarf er einen Maßnahmenkatalog, um die wirtschaftlichen und sozialen Probleme anzugehen, die Militärverfassung und die Provinzverwaltung zu optimieren und darüber hinaus die religiöse Legitimation seiner Herrschaftsansprüche auf neue Grundlagen zu stellen. Hierbei wurden Jupiter und Hercules die Schutzgottheiten der neuen Herrschaft.49 Das Vehikel dafür war ein Vierkaiserkollegium, die Tetrarchie, das Antworten auf die Defizite der Vergangenheit zu geben versuchte. Mit der Schaffung eines Systems der monarchischen Pluralität wurde nicht nur ein neuer Verfassungsrahmen wirksam, sondern gleichzeitig ein Staatsmodell propagiert, das sich auf den Beistand der traditionellen Gottheiten Roms berief.50
Jedem Herrscher (Augustus) wurde ein Helfer (Caesar) zur Seite gestellt: Der Augustus Diocletian berief den tüchtigen Offizier Galerius und der Augustus Maximian seinen bisherigen praefectus praetorio Constantius zum Caesar. Zugleich wurden beide Caesares vom jeweiligen Augustus adoptiert und danach vermählten sie sich mit deren Töchtern. Die Caesares waren dafür vorgesehen, nach einer entsprechenden Dienstzeit die Augusti abzulösen und wiederum ihre Nachfolger einzusetzen. Jeder der vier Herrscher galt gleichzeitig als Gesamtherrscher des Reiches, obwohl die unmittelbare Verantwortung den zur Verwaltung zugewiesenen Reichsteil betraf (Abb. 5). Praktisch aber sah die Vierkaiserherrschaft so aus, dass jeder Kaiser ein bestimmtes Gebiet zugesprochen bekam: Der Augustus Diocletian hielt sich meist in Nikomedia auf, um den Orient zu überwachen. Sein Caesar Galerius regierte die Donauprovinzen, Illyrien und Griechenland von seinen Residenzen in Sirmium und Thessalonike aus. Der Augustus Maximian, der in Mailand und Aquileia residierte, behielt sich Italien, den oberen Donauraum und Africa vor, während sein Caesar Constantius Gallien, Hispanien und Britannien von Trier und York aus verwaltete.
Abb. 5: Gruppe der Tetrarchen, H. 130 cm; Hochrelief von einer Porphyrsäule vermutlich aus dem Kaiserpalast von Nikomedia, um 300; eingemauert in die Südwestecke des Markus-Doms, Venedig
Ob die Tetrarchie mit ihren Vor- und Nachteilen in der Lage war, die Autoritätskrise zu bewältigen, ist eine Frage, die nicht nur Zeitgenossen stellten; wir stellen sie ebenfalls, um den Grundsätzen der Ausübung der kaiserlichen Macht im spätrömischen Reich nachzugehen. Sie war das Ergebnis eines Prozesses der Konzentration von Einzelbefugnissen in der Auflösungsphase der Republik, als die principes als Befehlshaber des Heeres, als Richter und als Vorsteher des Kultes auftraten. Ihre Macht beruhte auf der Kumulation von Ämtern, Würden, Ressourcen und Prestige. Für eine derartige Bündelung von Kompetenzen in einer Person gab es kein Vorbild in der römischen Verfassungstradition51, weswegen die Existenz des Imperiums von der gleichzeitigen Ausübung dieser hoheitlichen Aufgaben abhängig wurde. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Mischung aus personenbezogenen und institutionellen Zuständigkeiten war eine Regierungsform entstanden, die auf den Machtquellen und staatsmännischen Fähigkeiten des ersten Mannes im Staate fußte. Der Umgang mit seinen umfassenden Vollmachten prägte den Regierungsstil der Kaiser.52 Ihre auctoritas gründete auf ihrer Geschicklichkeit, kraft des Erfahrungswissens die vorhandenen Machtressourcen zu aktivieren und in der richtigen Dosierung anzuwenden. Falls ein Imperator die Kontrolle über seine diversen Amtsbefugnisse verlor, lief er nicht nur Gefahr, entmachtet zu werden, sondern er setzte damit die Belastbarkeit des Systems aufs Spiel.53 In diesem Kontext war die Berufung auf die Zustimmung seitens der Götter kein bloßer Formalismus. Sie diente dem regierenden Kaiser als schicksalhafte Lebensversicherung für die Bewältigung der Gegenwart.
In Kenntnis dieser Zusammenhänge schlossen Diocletian und Maximian mit der Schaffung des Vierkaisermodells ein Bündnis mit Jupiter und Hercules, die auf diese Weise zu Weggefährten und Garanten ihrer Regierung aufrückten (Abb. 6, 7), was gleichsam bedeutete, dass die Verklammerung eines Zukunftsprojektes mit eigens auserwählten Gottheiten diese in „Geiselhaft“ nahm. Stärker als in der Vergangenheit wurde das Schicksal der römischen Religion dem Erfolg der vier göttlich inspirierten und gleichzeitig amtierenden Kaiser Diocletian, Maximian, Galerius und Constantius überantwortet. Die Gleichsetzung von Staat und Götterkult, zum Programm erhoben, setzte ein Mobilisierungspotenzial frei, das einerseits ein eigenwilliges politisches Konzept verkündete, andererseits zu einer Neuauflage der staatlich gelenkten Gewalt gegen jene Gruppierungen aufrief, die aus der Sicht der Herrschenden eine Regeneration des angeschlagenen Gemeinwesens verhinderten.
Abb. 6: Diocletian / Jupiter; Goldmedaillon, um 293; Münzstätte Rom
Abb. 7: Maximian / Hercules, Aureus; um 288–293; Münzstätte Rom
Die Legitimation der Tetrarchie beruhte auf der unlösbaren Verbindung der altrömischen Religion mit den Regenten. Ihre Divinität bildete einen integrativen Bestandteil der zu einer göttlichen Familie vereinten Herrscher. Die Nichtanerkennung dieses Theologems zog strafrechtliche Konsequenzen nach sich, weil sie aus der Sicht der Kaiser das religiös untermauerte Fundament des Staates zersetzte und die bestehende Ordnung unterminierte. Mit dem Verbot des manichäischen und des christlichen Kults und der damit einhergehenden Kriminalisierung ihrer Anhänger erreichte die Einschüchterungspolitik des Staates gegenüber Abweichlern einen Höhepunkt.54 Von der Überzeugung geleitet, dem Reich einen Dienst zu erweisen, nahmen die Tetrarchen gewalttätige Methoden in Kauf, um das übergeordnete Ziel einer Revitalisierung der traditionellen Religion zu erfüllen.
Dabei waren die Regenten keinesfalls übereifrige Fanatiker. Nicht alle zeigten sich vom Nutzen der Repression überzeugt, zumal Teile der Öffentlichkeit skeptisch gegenüber einer derart unkonzilianten Vorgehensweise blieben. Hinzu kam, dass der enorme staatliche Druck, der gegen die geächteten Kultgruppen aufgebaut wurde, weit davon entfernt war, die erstrebte Befriedung zu vollbringen. Außerdem erlebten die Behörden bei der Durchführung der Verfolgungsmaßnahmen mehr Irritationen als Erfolge; denn die von den Christen erlittenen Martyrien ließen diese keineswegs in ihrer Haltung wanken, sondern erzeugten vielerorts die gegenteilige Wirkung, weil sie dazu beitrugen, das Bild der Unverwundbarkeit der Verfolgten zu verfestigen (Abb. 8).55
Abb. 8: Der Märtyrer Laurentius; Mosaik in der Lünette im südlichen Kreuzarm des Mausoleums der Galla Placidia in Ravenna, 424–450
Von entscheidender Bedeutung für das Überleben des christlichen Glaubens in seinen dunkelsten Jahren war das Charisma der Bischöfe. Einerseits hielten sie aufgrund ihres geschickten Lavierens die auseinanderbrechenden Gemeinden zusammen. Andererseits verliehen ihr unerschrockenes Bekennertum und ihre Opferbereitschaft einigen von ihnen eine besondere Aura der Unerschütterlichkeit, die selbst ihre Widersacher einschüchterte.56 Der Mythos des dem Zeitgeist trotzenden wahren Gläubigen, der zum zentralen ideologischen Baustein der aufstrebenden Kirche wird, hat hier seinen Ursprung.
Warum sich die Tetrarchen angesichts der umstrittenen Politik Valerians überhaupt auf die Verfolgung der Christen einließen, bleibt rätselhaft. Möglicherweise dürfte sie das Wachstum der Kirche als Folge der lang währenden Toleranzpolitik des Gallienus beunruhigt haben und vielleicht erhöhten konkrete Vorfälle, über die unsere Quellen schweigen, die vorhandene Alarmstimmung zusätzlich. Jedenfalls waren die von Sossianos Hierokles57, dem propagandistischen Wortführer der tetrarchischen Politik, vorgebrachten Argumente gegen die Christen wenig originell und bereits bei Celsus und Porphyrios nachzulesen.58 Auch bleibt das apokalyptische Bild der Christenfeindlichkeit, das Bischof Eusebios von Caesarea zeichnet, wonach die Angst der Staatsvertreter vor einer christlichen Infiltration das ausschlaggebende Moment der Verfolgung gewesen sei, nur bedingt aussagefähig und dies nicht nur, weil das skizzierte Verfolgungspanorama diffus wirkt.59
Dass aber die Tetrarchen überzeugt waren, den Kampf gegen das Christentum siegreich zu bestehen, darf angenommen werden. Dafür spricht der relativ späte Beginn der Verfolgung (303). Erst nachdem die Autoritätskrise behoben und das tetrarchische System gefestigt, die Finanz-, Provinz- und Heeresreformen abgeschlossen und die Grenzen stabilisiert waren, schien der Zeitpunkt gekommen, den letzten Akt der inneren Konsolidierung des Reichs, als solchen verstanden die Tetrarchen ihre Christenpolitik, zu vollenden.60 Umso größer war dann die Enttäuschung, als sich das Scheitern ihres Planes immer deutlicher abzeichnete. Die Spuren dieses Gefühls der Ohnmacht lassen sich anhand eines Textes nachweisen, der die gereizte Stimmung einfängt, die auf Seiten der Drahtzieher der christenfeindlichen Politik herrschte. Es handelt sich um das Edikt von Serdica (Sofia, Bulgarien) vom 30. April 311, mit dem Kaiser Galerius nach acht Jahren der Bedrängnis die Ächtung der Christen aufhob: