Das Schicksal der Hoheweg - Lars Schmitz-Eggen - E-Book

Das Schicksal der Hoheweg E-Book

Lars Schmitz-Eggen

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Beschreibung

Der Untergang der »Hoheweg« gilt als eines der schwersten Schiffsunglücke, das sich in den vergangenen Jahrzehnten vor der deutschen Küste ereignete. Dieses Buch rekonstruiert die letzten Stunden an Bord und schildert die aufwändige Suche sowie das Bemühen, den Untergang aufzuklären. Eine beispiellose Untersuchung schloss sich der Katastrophe an. Doch vieles erscheint bis heute rätselhaft.

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Lars Schmitz-Eggen

Das Schicksal der »Hoheweg«

8. November 2006:

Katastrophe in den Nordergründen

Books on Demand

1. Die letzte Fahrt der »Hoheweg«

2. Großeinsatz in den Nordergründen

3. Spekulationen und Erinnerungen

4. Das Wrack wird gehoben

5. Spurensuche im Trockendock

6. Unfallforschung im Labor

7. »So sollte das Schiff nicht enden«

8. Bittere Erkenntnis

Anhang

für

Siegfried Breitenfeld

Sören Busker

Sven Hullmann

Wolfgang Larsen

– unbekannterweise

Der Untergang der Hoheweg am 8. November 2006 gilt als eines der schwersten Schiffsunglücke, das sich in den letzten Jahrzehnten vor der deutschen Nordseeküste ereignet hat. Vier Menschen kamen damals ums Leben, und Wochenlang beherrschten das Schicksal dieser Männer und die Umstände des Unglücks die Medien in Norddeutschland.

Mittlerweile beginnt bei vielen die Erinnerung an den Untergang zu verblassen. Andere Ereignisse beherrschen die Schlagzeilen. Die Hoheweg ist zu einer privaten Angelegenheit der Hinterbliebenen, Freunde und Kollegen der vier Fischer geworden. In Vergessenheit geraten sollte dieses Schiffsunglück aber auch in der Öffentlichkeit nicht. Deshalb dieses Buch, das versucht, die Geschichte des Schiffes zu porträtieren und sein tragisches Ende nachzuzeichnen.

Es waren schwierige und langwierige Recherchen. Mein Dank gilt deshalb all jenen, die mich dabei unterstützt haben, Hintergründe erklärten und für Interviews zur Verfügung standen. Ich habe mich bemüht, den „Fall Hoheweg“ objektiv und möglichst lückenlos zu rekonstruieren. Die Gefühle der unmittelbar Betroffenen hierbei nicht zu verletzten, war und ist mir ein besonderes Anliegen. Meine Hoffnung ist, dass auch sie dieses Buch als bleibende Erinnerung an die Hoheweg und ihre Besatzungsmitglieder annehmen.

Lars Schmitz-Eggen

Osterholz-Scharmbeck, August 2009

Die letzte Fahrt der »Hoheweg«

Ihr Ziel ist die Ostsee, ihre Aufgabe der Dorschfang. Die vier Fischer, die an diesem 8. November 2006 mit der Hoheweg den Hafen von Brake verlassen, kennen die vor ihnen liegende Route nur zu gut. Nach Weser und Elbe wird die Fahrt weiter durch den Nord-Ostsee-Kanal führen. In den zurückliegenden beiden Jahren hat das Schiff 548 Tage in Nord- und Ostsee damit zugebracht, die Netze auszubringen, einzuholen und den Fang an Bord zu verarbeiten. Für die Männer ist das Routine, genau wie das manchmal raue Wetter.

Die Hoheweg ist in Brake beheimatet, einer Kreisstadt an der Unterweser, dessen Hafen eine lange Tradition hat. Erstmals wurde er 1756 urkundlich erwähnt. Heute leben in der niedersächsischen Stadt über 16.000 Menschen. Viele verdienen wie seit Generationen ihren Lebensunterhalt auf oder zumindest durch das Meer. Früher, im 19. Jahrhundert, fuhren von Brake aus die Walfänger ins nördliche Polarmeer oder in die Südsee. Heute wird der Hafen vor allem als Umschlagplatz für Massenschüttgut wie Getreide, Futter- und Düngemittel sowie Schwefel, aber auch wegen einer Holz-, Papier-, Eisenoder Stahlladung angelaufen. Schiffe mit einem Tiefgang von knapp zwölf Metern und einer Tragfähigkeit von bis zu 45.000 tdw können an den Piers abgefertigt werden.

Die Fischerei hat im Laufe der Zeit für die Stadt an Bedeutung verloren. Die Kutter der Hullmann Seefischerei OHG – zu denen auch die Hoheweg gehört – zählen zu den Letzten, die diese Tradition in der Hafenstadt an der Unterweser noch aufrechterhalten. Brakes Bürgermeister Roland Schiefke wird in wenigen Tagen im Fernsehen sagen, dass „die Familie Hullmann (…) die letzte verbliebene Bastion der Hochseefischerei in Brake“ sei. Diese „Bastion“ wird dann allerdings in ihren Grundfesten erschüttert sein.

Das Auslaufen der Hoheweg gehört für den Braker Hafen zum Alltagsbild. Deshalb nimmt auch kaum einer Notiz davon, als das Schiff an jenem Mittwoch im November 2006 um kurz nach 12.00 Uhr mittags seinen Liegeplatz verlässt und zu einer neuen Fangreise aufbricht. Zusammen mit dem Schwesterschiff Rotesand passiert man die Schleuse, die den Hafen mit dem Weser-Fahrwasser verbindet und in Sichtweite des familieneigenen Imbisses liegt.

Die Kutter steuern nach Passieren der Schleuse Weser abwärts Richtung Bremerhaven. Doch weit kommt das Duo nicht. Bereits in Höhe der Autofähre, die Brake mit Sandstedt im Landkreis Cuxhaven verbindet, meldet die Rotesand Maschinenprobleme. Die Welle ist anscheinend infolge einer Unwucht heißgelaufen. Der Fischkutter muss umkehren. Da er hierzu aus eigener Kraft kaum in der Lage ist, nimmt ihn die Hoheweg in Schlepp und bringt ihn zurück in den Heimathafen. Vor der Schleuseneinfahrt wird die Schleppleine losgeworfen. Während auf die Rotesand eine Reparatur wartet, machen sich Hoheweg-Kapitän Sven Hullmann und seine Männer allein auf den Weg Richtung Ostsee.

Sven Hullmann ist der Sohn des Eigners und 27 Jahre alt. Er hatte am 3. Februar 2004 auf dem Kutter als Kapitän angemustert und besitzt seit September 2000 das so genannte BKü-Patent, das ihn zum Kapitän auf Fischereifahrzeugen bis zu einem Raumgehalt von 75 Bruttoregistertonnen (BRT) bzw. einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 150 in der Küstenfischerei macht. Am 11. August 2006 wurde ihm zudem ein BK-Patent ausgestellt, wonach er Kapitän auf Fischereifahrzeugen in der Kleinen Hochseefischerei ist.

Hullmann liebt die Seefahrt. Jede freie Minute ist er auf dem Schiff. „Sven war entweder auf See oder zum Ausschlafen im Bett“, erzählt ein Bekannter über den Kapitän. Ein Kollege beschreibt den Schiffsführer als „ruhigen, besonnenen Fischer“, der nicht auf Biegen und Brechen hinausfahre oder leichtsinnig handele.

Die „Hoheweg“ an ihrem Liegeplatz im Hafen von Brake. Dieses Foto entstand im Juni 2006.

In Brake sind nur noch eine Handvoll Fischkutter registriert. Die „Hoheweg“ (re.) war einer der Letzten. Rechts im Bild der Imbiss der Familie Hullmann.

1990 übernahm die Hullmann Seefischerei OHG das Schiff und ließ es später zu einem Heckfänger umbauen.

Dem Kapitän zur Seite steht der 47-jährige 1. Steuermann Siegfried Breitenfeld aus Gingst auf Rügen. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter sowie eines Sohnes, der allerdings vor rund zehn Jahre tödlich verunglückte. Siegfried Breitenfeld besitzt seit 1991 genau wie Sven Hullmann ein BK-Patent und wird seit dem 27. Juni 2005 an Bord gemustert. Der Rüganer ist ein stiller und ruhiger Mann, der Mitte der 70er-Jahre in der damaligen Betriebsberufsschule des Sassnitzer Fischkombinates ausgebildet wurde. Danach fuhr Breitenfeld als Matrose auf einem Kutter der Genossenschaft der Sassnitzer Seefischer, ehe er sich nach der Wende in den alten Bundesländern um einen neuen Job bemühte.

Außerdem an Bord ist der 38-jährige Fischwirt (Fischereimatrose) Wolfgang Larsen. Der Familienvater lebt mit seiner Frau und seinen zwei und fünf Jahre alten Töchtern in Sassnitz; er stammt also ebenfalls von der Insel Rügen. Larsen arbeitet seit dem 1. September 2006 als Decksmann auf der Hoheweg.

Der jüngste im Team ist der erst 18 Jahre alte Sören Busker aus Hooksiel im Wangerland. Er hat an Bord seine Ausbildung zum Fischwirt absolviert und fährt an diesem 8. November 2006 letztmalig als Auszubildender mit raus.

Busker stammt aus einer Fischerfamilie. Schon sein Urgroßvater, Großvater und Vater fuhren aufs Meer hinaus, um Krabben und Fische zu fangen. „Draußen auf See, das ist mein Traum“, erzählte er zwei Jahre zuvor in einem Radiointerview. „Kein Land mehr in Sicht, das ist immer schön.“ Als Kind fuhr er öfters mit seinem Vater hinaus. Später, als Jugendlicher, hatte er sein eigenes kleines Boot, mit dem er und seine Freunde zum Segeln oder Krabbenfischen unterwegs waren.

Dass er sich keinen ungefährlichen Beruf ausgesucht hat, weiß Sören Busker. „Kann alles passieren“, räumt er in dem Interview ein. „Ich kann über Bord gehen bei richtigem Seegang. Da kann so viel passieren, alles möglich.“ Über die Seekrankheit, unter der er in den ersten Wochen seiner Ausbildungszeit gelitten hat, kann er mittlerweile nur noch schmunzeln. Sein Ziel ist es, das Kapitänspatent zu bekommen und sich danach zusammen mit seinem Vater selbstständig zu machen.

Bevor die Hoheweg in die Nordsee hinaussteuert, wird im Fischereihafen von Bremerhaven noch Eis gebunkert. Zwischen 15.30 und 17.30 Uhr werden rund drei Tonnen des so genannten Kuttereises übernommen, das ein Eismeister über einen Verladeschlauch in die Fischräume gibt. Es dient dazu, den zu erwartenden kostbaren Fang zu kühlen und so lange frisch zu halten, bis er angelandet werden kann. Nachdem das Eis übernommen worden ist, passiert die Hoheweg um 17.44 Uhr die kleine Kammer der Fischereihafen-Doppelschleuse und läuft anschließend Weser abwärts Richtung See.

Die Hoheweg wurde 1974 unter der Neubaunummer 123 von der Julius-Diedrich-Schiffswerft in Oldersum als Seitentrawler gebaut. Zunächst erhielt der Kutter den Namen Roswitha. Er war Teil einer vermutlich vierteiligen Bauserie, von der sich heute nur noch in Spanien die Pesorsa Dos (HF 564) unter Fahrt befindet. Sie gehört der Seamar GmbH aus Lübeck, ihr Heimathafen ist Finkenwerder.

Um für Fangreisen im Nordatlantik in Höhe der Färöer und Shetland-Inseln gerüstet zu sein, wurde die damalige Roswitha 1980 mit einer festen Kortdüse und auf der Backbordseite des Hauptdecks mit einem Wetterschutz aus Aluminium versehen. Bei einer Kortdüse handelt es sich um einen breiten Reifen, der wie ein kurzes Rohr den Propeller des Schiffes ummantelt. Der Reifen verjüngt sich minimal zum Heck hin. Dadurch entsteht am Propeller eine größere Strömung, was mehr Vortrieb und gleichzeitig eine Kraftstoffeinsparung bedeutet. Beide Arbeiten wurden von einer Werft fachmännisch durchgeführt und vom Germanischen Lloyd bzw. der See-Berufsgenossenschaft (See-BG) abgenommen.

Im Nordatlantik musste das Schiff mit zum Teil sehr ungünstigen Witterungsbedingungen fertig werden. Windstärken von zehn Beaufort, was 89 bis 102 km/h entspricht, treten in dem Gebiet zwischen Island und der norwegischen Westküste häufiger auf. Der Roswitha machte dies aber nichts aus. Anzeichen für Stabilitätsprobleme oder nennenswerte Schäden am Schiff sind zumindest nicht bekannt geworden.

Nach dem Tod des Erstbesitzers kaufte die Hullmann Seefischerei OHG aus Brake den Fischkutter und taufte ihn in Hoheweg um. Das Familienunternehmen existiert seit mehr als 80 Jahren und lebt in vierter Generation vom Fischfang. Unter anderem geht man auch in der Ostsee auf Fangreise und landet den gefangenen Fisch dann zum Beispiel in Sassnitz oder Rostock an.

Offiziell ist die Hoheweg mit Bruttoraumzahl 122 vermessen und weist eine Verdrängung von zirka 213 Tonnen auf. Gute Voraussetzungen, um zum Beispiel in der Ostsee auf Dorschfang zu gehen.

So läuft die Hoheweg am 8. November 2006 vorbei an der Columbuskaje von Bremerhaven Richtung See. Sie ist einer von vielen Punkten auf dem Radarschirm an diesem Nachmittag. Aufgrund ihrer relativ geringen Größe braucht sich die Hoheweg bei der Revierzentrale Bremerhaven nicht anzumelden. Dies hat zur Folge, dass das Radarecho des Fischkutters – anders als zum Beispiel das Küstenmotorschiff Helgoland, das sich kurz hinter der Hoheweg befindet – kein so genanntes Mitlaufzeichen erhält. Die Helgoland hingegen muss sich vorschriftsmäßig bei der Revierzentrale anmelden und taucht daraufhin unter der Bezeichnung C9 auf den Monitoren auf.

Beide Schiffe fahren im Weserfahrwasser einige Zeit bis zum so genannten „Bremer Kreuz“ hintereinander her, wo sie nach rechts in die Alte Weser abbiegen. Weiter geht die Reise in Richtung der Leuchttürme Roter Sand und Alte Weser. Sven Hullmans Plan ist es, hinter dem Tonnenpaar Alpha 4/Alpha 6 über die Nordergründe abzukürzen und Richtung Elbe zu steuern. Ein beliebter Short-cut unter Seeleuten und Seglern.

Der Wind frischt auf. Kapitän Hullmann weiß, dass für den Abend und die Nacht Sturm gemeldet worden ist. Eigentlich wollte er ja schon lange im Nord-Ostsee-Kanal sein. Doch die Verzögerung aufgrund des Schadens an Bord der Rotesand hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er ist deutlich später dran als geplant. Noch aber weht nur ein frischer bis starker Wind aus südwestlichen Richtungen mit einer mittleren Stärke von fünf bis sechs Beaufort, der später in Böen bis zu sieben Beaufort erreicht. Die Sicht liegt den ganzen Tag über bei drei bis sieben Kilometern. Das erwartete Tiefdruckgebiet ist aber im Anzug.

Zwischen 18.00 und 19.00 Uhr telefoniert Decksmann Wolfgang Larsen mit seiner Frau in Sassnitz und erzählt ihr von dem bevorstehenden Sturm. „Wir kriegen neun bis zehn Windstärken“, berichtet er seiner Ehefrau und wirkt angespannt. Diese hat Angst um ihn und bittet: „Fahrt nicht raus!“ Der Kapitän habe anders entschieden, lautet sinngemäß die Antwort ihres Mannes. Später versucht sie nochmals, ihn telefonisch zu erreichen. Doch sein Handy ist ausgeschaltet.

Um 18.50 Uhr überholt die Helgoland zwischen den Tonnen 32 und 34 die Hoheweg. Weiterhin aber laufen beide Schiffe auf demselben Kurs.

An Bord der Hoheweg scheint alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Zwischen 19.40 und 20.00 Uhr führt der Kapitän der Hoheweg mit seinem Kollegen vom Krabbenkutter Christine ein zehn- bis 15-minütiges Telefongespräch. Man unterhält sich über Fangquoten und die bevorstehende Reise. Das herrschende Wetter scheint keinen der beiden Männer auch nur eine Silbe wert zu sein. So wird das Telefonat beendet, indem man sich gegenseitig eine gute Fahrt wünscht. Gegen 20.00 Uhr sieht der Kapitän der Christine bei Tonne 16 A letztmals deutlich die hell erleuchteten Aufbauten der Hoheweg und deren Positionslichter. Danach verliert er den Fischkutter aus den Augen. Der Krabbenfänger ist der Letzte, der Sichtkontakt zur Hoheweg hat.

Kurz nach 20.00 Uhr führt der Kapitän der Hoheweg ein weiteres Telefonat, diesmal mit seinem Bruder. Auch in diesem Gespräch wird nichts erwähnt, was auf Probleme an Bord oder mit der Witterung hindeuten könnte. Dieses letzte Telefonat mit der Hoheweg endet um 20.08 Uhr.

Gegen 20.30 Uhr – rund eine halbe Seemeile nach Tonne A 6 – ändert die Hoheweg ihren Kurs um 50 Grad nach Steuerbord, um das Elbfahrwasser anzusteuern. Der Fischkutter befindet sich zu diesem Zeitpunkt rund zwei Seemeilen hinter dem Küstenmotorschiff Helgoland, das ebenfalls auf die Elbmündung zuhält.

Der Wind hat mittlerweile auf West gedreht und ist auf sieben bis acht Beaufort im Mittel und mit bis zu neun Beaufort in Böen aufgefrischt. Die Wellenhöhe beträgt zum Teil dreieinhalb Meter. Schaumstreifen sind auf dem Wasser zu erkennen. Gischt beeinträchtigt die Sicht. Kleinere Kutter haben schon vorher kehrtgemacht und im Heimathafen Schutz gesucht.

Was in diesen Minuten an Bord passiert, weiß niemand und kann mit letzter Sicherheit auch nicht mehr rekonstruiert werden. Vermutlich steht der Kapitän selbst am Ruder, als er Maschinenprobleme bemerkt. Der Motor scheint zu stottern; das Schiff verliert an Fahrt. Um seinen hochseegängigen Kutter zu schützen, dreht der 27 Jahre alte Schiffsführer die Hoheweg gegen Wind und Wellen. Auf dem Radar stellt sich dies so dar, als ob der Fischkutter im Kreis fahren würde.

Notankern wäre eine Möglichkeit in dieser Situation, doch das Ankergeschirr ist nicht klar. Vielleicht begibt sich der Kapitän stattdessen sogar noch selbst in den Maschinenraum, um nach der Ursache des Problems zu suchen. Der Motor ist nur vom Maschinenraum aus zu starten. Der Fahrhebel wird später auf einer Stellung zwischen „Leerlauf“ und „Langsam Voraus“ vorgefunden.

Wetter und See sind schlecht, aber für einen Fischkutter wie die Hoheweg keinesfalls bedenklich. Schließlich ist der Hochseekutter für den Einsatz im Nordatlantik konstruiert worden, wo zeitweise noch extremere Verhältnisse herrschen. Doch um 20.43 Uhr ist das Radarecho der Hoheweg plötzlich nicht mehr eindeutig zu erkennen, und kurz danach verschwindet auch die Positionsanzeige des automatischen Schiffsidentifizierungs-Systems, das so genannte AIS-Signal. Der Fischkutter befindet sich zu diesem Zeitpunkt zirka anderthalb Seemeilen nördlich der Alte-Weser-Fahrwassertonne Alpha 6. Beides bemerkt aber zunächst niemand.

Die vierköpfige Besatzung wird in diesem Augenblick vom Untergang ihres Schiffes überrascht. Es bleibt ihr keine Zeit mehr, das Rettungsfloß auszusetzen, einen Notruf abzugeben oder Rettungswesten anzulegen. Später findet man in der Kapitänskammer zwei Signal-Nachtlichter der Rettungsringe, Handfackeln und Fallschirmsignale, zwei Automatikwesten und eine Feststoffrettungsweste. Innerhalb von ein bis zwei Minuten dürfte das Schiff kentern und die vier Männer mit in die Tiefe der aufgewühlten Nordsee ziehen.

Erst als um exakt 20 Uhr 44 Minuten und 45 Sekunden ein Notrufsignal der Seenotboje empfangen wird, keimt der Verdacht auf, dass mit der Hoheweg etwas nicht stimmt.

Großeinsatz in den Nordergründen

Die Ersten, die von der Notlage der Hoheweg Kenntnis bekommen, sind etwa tausend Seemeilen entfernt. Im französischen Toulouse empfängt am 8. November 2006 eine Station des internationalen Cospas-Sarsat-Systems um 20.44 Uhr ein Signal der automatischen Seenotbake des deutschen Fischkutters. Diese Electronic Position Indicating Radio Beacon – kurz EPIRB genannt – ist nur unwesentlich größer als zwei Konservendosen. Doch bei Wasserkontakt schaltet sich das äußerlich eher unscheinbar wirkende Gerät selbstständig ein und sendet auf der Funkfrequenz 406 MHz in einem bestimmten Rhythmus Notrufsignale aus.

Der in Seenot geratene Fischkutter ist mit einer EPIRB vom Typ E3 der Firma McMurdo ausgerüstet, die auf das erwähnte Cospas-Sarsat-System abgestimmt ist. Cospas-Sarsat basiert auf zwei Pol und vier äquatorial umkreisenden Wettersatteliten, die die Notfrequenz 406 MHz empfangen und an so genannte Local User Terminals (LUTs) weiterleiten. Weltweit gibt es derzeit 45 dieser LUTs. In Europa gehören neben Toulouse auch Bodenstationen in Pentelli (Griechenland), Bari (Italien), Tromsø und Spitzbergen (beide Norwegen), Maspalomas (Spanien) und Combe Martin (Großbritannien) dazu. In den LUTs aufgefangene Notrufe werden automatisch an das jeweilige nationale Rescue Coordination Center (RCC) weitergeleitet, in dessen Hoheitsgebiet sich die Notfallposition befindet.

In Deutschland ist das das nationale Aeronautical Rescue Co-ordination Centre (ARCC) der Bundesluftwaffe in Münster. Geht hier eine Notfallmeldung ein, prüfen die Soldaten in der SAR-Leitstelle, wo sich die angegebene Position exakt befindet. Liegt sie – wie im Falle der Hoheweg – über dem Meer, wird der Einsatz an die Seenotleitung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) nach Bremen weitergegeben, die sich dann federführend darum kümmert. Obwohl eine Notfallmeldung auf diese Art durch viele „Hände“ geht und immense Strecken zurücklegt, benötigt die per Telex über Spezialleitungen verschickte Nachricht beispielsweise von Toulouse nach Bremen nur zwei bis drei Minuten. Lediglich bei der Übertragung der Daten vom Satelliten zum Boden kann es technisch bedingt zu minimalen Ungenauigkeiten und geringen Zeitverzögerungen kommen.

Gegen 21.00 Uhr trifft die Nachricht, dass die Hoheweg anscheinend in Schwierigkeiten ist, in der Seenotleitung Bremen (Maritim Rescue Coordination Center, MRCC) ein. Mehr, als dass deren EPIRB ausgelöst hat, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Diese erste Meldung beinhaltet noch keine Position. Routinemäßig wird von MRCC Bremen zunächst ein Kommunikations-Check durchgeführt. Über Funk versucht der Disponent, mit dem Havaristen Kontakt zu bekommen und den Alarm zu verifizieren.

MRCC Bremen spricht auf Funkkanal 16 vergeblich die Hoheweg an. Deshalb werden das Maritime Lagezentrum in Cuxhaven – ein Fachbereich des Havariekommandos – und die maritimen Verkehrszentralen an der Elbe sowie Weser über den Seenotfall informiert. Cuxhaven Elbe Traffic ruft den Fischkutter auf demselben Kanal wie MRCC Bremen. Bremerhaven Weser Traffic spricht die Hoheweg auf den Kanälen 2, 4 und 22 an, ohne eine Reaktion zu erhalten.

Nachdem alle Versuche der Kontaktaufnahme fehlgeschlagen sind, alarmiert die Seenotleitung Bremen die Seenotkreuzer Bernhard Gruben (Station Norderney), Vormann Steffens (Station Hooksiel) und Hermann Helms