Das schwarze Huhn von Hohenbutzen - Beate Dölling - E-Book

Das schwarze Huhn von Hohenbutzen E-Book

Beate Dölling

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Beschreibung

Ein spektakulärer Diamantenraub hält das beschauliche Dorf Hohenbutzen in Atem. Der Sohn der alten Rabenschlag wurde mit der Beute geschnappt. Wundern tut das niemanden, denn der ist ja schon immer ein eigenartiger Kauz gewesen. Und seine Mutter erst – eindeutig eine Hexe! Milena und ihre Geschwister, die in Hohenbutzen einen Ökourlaub ohne Strom und fließendes Wasser verbringen wollen, finden das alles mehr als spannend! Was, wenn sie den immer noch vermissten Diamanten finden würden, der ein Vermögen wert sein soll? Sie ahnen nicht, dass sie bald schon mitten hinein geraten in das Geschehen und einer hundsgemeinen Intrige auf die Spur kommen.

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Seitenzahl: 168

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Für Edda

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Copyright © 2024 Tulipan Verlagin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Staße 28

81673 München

Text: Beate Dölling

Bilder: Tine Schulz

ISBN 978-3-641-33024-8V001

www.tulipan-verlag.de

Inhalt

Wer bekommt das beste Zimmer?

Stinkt es nun oder stinkt es nicht?

Catia ist verschwunden

Jetzt wirds kriminell

Schneckenstreit beim Bäcker

Bekanntschaft mit Einheimischen

Mindestens ein Monster

Von Dorfdeppen, Hexen und Toteninseln

An der Nassen Luke

Eis und Pommes mit den Arschbombenjungs

Frau Zickuhr und Fürst von Kniebeltreu

Eine neue Freundin

Der Besuch bei der Hexe

Das schwarze Huhn von Hohenbutzen

Kein Monster, dem der Kopf wegfliegt

Das Besondere an Lilo

Wie ein Schuss

Eine Verabredung um Mitternacht

Das Geheimnis der Toteninsel

Ein Krokodil geht baden

Das nächste Abenteuer

Den Tränen nahe und erschöpft

Ein abgekartetes Spiel

Noch mehr Erbsen

Unser genialer Plan

Der falsche Finder

Eine Geschichte voller Lügen

Die Verhaftung

Wer bekommt nun den Finderlohn?

Nachtrag

Wer bekommt das beste Zimmer?

Das Blockhaus stand auf einer Lichtung, eingerahmt von Bäumen, mit krummem Bretterzaun und blauen Fensterläden, von denen die Farbe abblätterte. Wir stiefelten über wacklige Steinplatten durch einen Vorgarten voller Büsche und Blumen. Überall blühte und summte es, nur mein kleiner Bruder maulte, weil das Gras auf der Wiese hinterm Haus viel zu hoch war, um Fußball zu spielen. Das hatte er natürlich gleich gecheckt.

Mama steckte den großen, altmodischen Schlüssel ins Schloss, den wir in einem Blumentopf gefunden hatten, weil die Vermieterin nicht persönlich vorbeikommen konnte. Sie werkelte kräftig mit dem Schlüssel herum, bis die Tür endlich aufsprang. Wir traten ein. Es war dunkel, nur ein paar Lichtstreifen fielen durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden. Alles war aus Holz – Böden, Wände, Decken. Ein richtiges Blockhaus eben.

»Hier stinkts nach Mäusekacke«, maulte Bruno.

»Woher willst du das wissen«, fuhr ich ihn an. Er hatte mich schon im Auto die ganze Zeit mit seinem Fußball genervt. »Du kennst doch nur Computermäuse.«

»Stimmt ja gar nicht!«

»Wo hast du denn eine echte Maus gesehen?«

»Mein Kumpel Ludwig hat Rennmäuse. Und die kacken.«

»Ach wirklich?«

Er zog eine Grimasse.

»Hier muss nur mal kräftig gelüftet werden«, sagte Mama, öffnete die Fenster und drückte die Läden auf. Es wurde plötzlich hell. Draußen zwitscherten die Vögel. Drinnen tanzte der Staub in den Sonnenstrahlen.

Catia lief zu einem Fenster auf der Gartenseite und zeigte nach draußen. »Das Haus kräht«, bemerkte sie.

Wenn meine Schwester etwas sagt, nehmen wir es meistens einfach hin, weil es oft keinen Sinn macht. Catia, zwei Jahre älter als Bruno und zwei Jahre jünger als ich, ist in ihrer eigenen Welt, in der wir ihr nicht so recht folgen können und sie uns nicht in unsere. Deshalb sah auch jetzt niemand aus dem Fenster, um nachzuschauen, welches Haus da »krähen« könnte. Schließlich waren wir gerade angekommen und wollten erst mal unser Ferienhaus erkunden und auspacken.

Bruno stürmte die Treppe hoch, wobei jede Stufe ächzte und das Geländer wackelte.

Unten gab es ein Schlafzimmer mit Doppelbett. War ja klar, wer da schlief, und nebenan einen Raum mit zwei Einzelbetten und so einem altmodischen Waschtisch mit Emaille-Schüssel und einem Krug. So was hatte ich schon mal im Museum gesehen. Sollten wir uns darin etwa waschen? Mama sagte, es gebe auch eine Gartendusche.

»Das Dachzimmer nehm ich«, rief Bruno von oben. Klar, jeder wollte das beste Zimmer ergattern für die nächsten drei Wochen. So lange würden wir nämlich hierbleiben, in Hohenbutzen, einem Dorf inmitten von hügeligen Feldern, dichten Wäldern, fernab jeglicher Zivilisation, denn unser Ferienhaus stand gut einen Kilometer vom Ortskern entfernt und hatte weder Strom- noch Wasseranschluss, also auch kein Klo mit Druckspülung, sondern nur eine Trockentoilette, mit dessen Inhalt man angeblich noch Tomaten düngen konnte. Dieses Kompostklo im Garten wollten wir uns angucken, sobald die Verteilung der Zimmer geklärt war. Zum Glück bekam ich das Dachzimmer und Bruno sollte mit Catia nach unten, neben Mama und Paps.

»Immer kriegt Milena das coolste Zimmer«, meckerte er und warf mir einen vernichtenden Blick zu.

»Ich bin ja auch die Älteste«, erwiderte ich.

»Aber ich bin ein Junge. Das ist viel mehr wert.«

Ich tippte mir an die Stirn. »Vielleicht in Indien, du Macho.«

»Nun zankt euch doch nicht schon wieder«, sagte meine Mutter.

»Warum stehen denn oben überall Eimer herum?«, fragte ich.

»Die kannst du alle mit deiner Gemeinheit vollkotzen.«

»Hey, Bruno! Jetzt ist aber gut!«, mischte sich Papa ein.

Catia drängelte sich zwischen uns und zeigte auf einen Kerzenlüster an der Wand. »Was kostet das?« In letzter Zeit wollte sie andauernd wissen, was wie viel kostet, obwohl sie Zahlen gar nicht einschätzen kann.

»Die sind antik«, antwortete Mama. »Bestimmt 120 Euro.« Catia gab sich zufrieden mit der Antwort, aber Bruno ließ sich nicht ablenken und nörgelte weiter.

»Manno, ich will auch mal ein eigenes Zimmer haben.«

»Bekommst du auch, chéri«, lenkte Mama ein. »Aber mit acht kannst du dir noch getrost eins mit deiner Schwester teilen.«

»Kann ich nicht. Catia schnarcht. Sogar tagsüber«, fügte er hinzu.

Catia sah mit offenem Mund auf ihn herab und atmete laut. So atmet sie halt, immer ein bisschen geräuschvoll, besonders, wenn sie nicht weiß, was sie von einer Situation halten soll.

Bruno quengelte weiter. Erst als Paps ihm versprach, nachher die Wiese hinten im Garten zu mähen, damit er dort herumbolzen könnte, gab der kleine Macho endlich Ruhe. Wohl auch, weil er Catia zum Fußballspielen brauchte. Sie ist mittlerweile ziemlich gut im Tor, jedenfalls so lange, bis sie keine Lust mehr hat und sich dann auf den Ball setzt – oder mitten im Spiel einfach aus dem Tor geht.

Völlig ahnungslos, dass die nächsten drei Wochen alles andere als ein ruhiger Öko-Urlaub werden und wir voll in einen Diamantenraub verwickelt würden, betrachteten wir das altmodische Wohnzimmer mit der großen, geblümten Couch, die trotz abgenutzter Polster sehr gemütlich aussah. Es gab auch noch zwei dazu passende, weiche Sessel, in die man versinken konnte und ein Regal voller Spiele, Zeitschriften und Bücher. Catia stand ehrfürchtig vor einer riesigen Kapla-Kiste und starrte auf die Bauhölzer. Dass es keinen Fernseher, keine Playstation, keine Musikanlage, ja nicht einmal Steckdosen gab, übergingen wir gelassen, das hatten wir von vornherein gewusst. Deswegen waren wir ja hier, um mal zu testen, mit wie wenig Energie man auskommen konnte.

Stinkt es nun oder stinkt es nicht?

Bruno stapfte mit dem Fußball unter dem Arm an uns vorbei und verschwand durch die Hintertür in den Garten. Der Rest der Familie folgte ihm.

»Oh, was für ein schöner Kirchbaum«, rief Mama aus.

»Kirschbaum«, verbesserte sie Paps. »Kirche ist Kirche und Kirsche ist Kirsche, hm, chérie? Das habe ich dir doch nun schon hundertmal gesagt.« Mein Vater grinste. Er ist Deutschlehrer. Immer. Auch in den Ferien. Mama zwickte ihn in den Hintern.

»Oh, eine Schaukel!«, rief Catia und steuerte schnurstracks auf die Schaukel zu, die an einem Apfelbaum hing. Der hatte schon kleine Äpfel, sonst hätte ich das gar nicht erkannt. »Mach mal Anschwung!«, forderte meine Schwester.

Während Catia schaukelte, staunten wir über den riesigen Obstgarten, in dem lauter krumme Bäume standen und der weiter hinten in eine Wiese überging. Auf den Fotos im Internet war diese Wiese frisch gemäht und nur deshalb war Bruno überhaupt mitgekommen. Viel lieber wäre er nämlich mit einem Kumpel ins Fußball-Camp gefahren. Meine Eltern wollten aber unbedingt, dass wir alle zusammen in die Ferien fahren, weil das eine Familie zusammenschweiße. Ich hatte einen Öko-Urlaub vorgeschlagen. Denn was den Klimawandel angeht, sind wir alle ausnahmsweise einer Meinung. Meine Geschwister und ich waren schon bei zig Fridays-for-Future-Demonstrationen dabei gewesen und Paps meint ja immer, dass jeder einzelne einen Beitrag leisten sollte, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Deswegen haben meine Eltern schon vor Jahren ihr Auto abgeschafft. Wir waren jetzt mit einem geliehenen hier. Aber als wir vor der wackligen Bretterbude standen und Paps feierlich sagte: »So, ihr Lieben, das ist unser Kompostklo«, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob wir uns mit so einem Öko-Urlaub nicht doch zu viel vorgenommen hatten.

Paps zog den Holzriegel zurück, quietschend öffnete sich die Tür. Drinnen hingen Spinnennetze, in denen dicke Spinnen hockten. Der Boden war mit grünen toten Fliegen übersät. Was noch lebte, brummte um unsere Köpfe.

»Hier muss nur mal ausgefegt werden«, sagte Paps und wedelte ein paar Fliegen raus. Tapfer starrten wir auf eine Holzbank, auf der sich eine ebenfalls hölzerne Klobrille mit passendem Deckel befand.

Catia kam angewatschelt. »Was kostet das?«, fragte sie und zeigte auf das Klo.

»Im Eigenbau so um die hundert Euro«, antwortete Paps wahrheitsgetreu und fing an, uns zu erklären, wie so ein Kompostklo funktioniert. »Oben kommt alles rein, ihr wisst schon, Kacka und so, das fällt dann logischerweise nach unten, und guckt mal, hier ist eine Schublade, die alles auffängt. Die muss dann ab und zu ausgeleert werden.«

»Igitt«, sagte Bruno und verzog das Gesicht.

»Stell dich nicht so an«, sagte ich. »Das Klo stinkt auch nicht mehr als unseres zu Hause.«

»Zu Hause stinkt es doch nicht«, erwiderte Mama empört. »Euer Vater putzt jede Woche das Bad! – Oder, Matthias, summelst du etwa?« Sie meinte natürlich »schummeln«, aber weil Catia einen kleinen Sprachfehler hat, machen wir sie manchmal nach. Auch Mama hat bei einigen Wörtern Probleme mit der Aussprache, nicht nur bei »Kirsche« und »Kirche«, aber nicht, weil sie wie Catia das Downsyndrom hat, sondern Französin ist.

»Ich summel doch nicht!«, äffte Paps nun Mama nach und dann küssten sie sich. Meine Eltern küssen sich andauernd, wenn sie sich nicht gerade ärgern. Echt peinlich, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Wenn wir unter uns sind, finde ich das okay.

Catia hob den Klodeckel an, guckte in die dunkle Öffnung und sagte: »Da ist schon Kacka drin.«

»Ach was«, erwiderte Paps. »Das ist Rindenmulch.«

»Rindermulch? Was ist das denn?«, fragte Bruno und fing an, gegen die offene Tür des Klohäuschens zu dribbeln. Die Wand vibrierte, die Spinnen flüchteten aus ihren zitternden Netzen.

»Rindenmulch«, rief Paps laut, weil Bruno so laut dribbelte. »Das sind kleine Stückchen von Baumrinden. Zusammen mit Sägemehl und Holzspänen wird die Flüssigkeit aufgesaugt. Die sollte nämlich nicht mit Festem in Verbindung kommen, sonst fängt es richtig an zu stinken.«

Ich stöhnte. »Bitte keine Details. Ist schon creepy genug, wenn man im Dunklen durch die halbe Wildnis latschen muss, um auf Toilette zu gehen. – Bruno! Hör! Mal! Auf!«

Bruno hörte tatsächlich auf, aber in dem Moment ließ Catia den Klodeckel fallen und wir zuckten zusammen, weil es so laut knallte wie ein Schuss.

»Wir haben Taschenlampen, Petroleumlampen, Solarlampen und Kerzen«, sagte Paps. »Wenn die Sonne scheint, können wir auch meine Powerbank aufladen, dann haben wir sogar etwas Strom.«

»Auch für mein Handy?

»Und für meinen Laptop?«, fragte Mama.

»Und das Tablet?«, fragte Bruno. »Nächsten Freitag spielt Union gegen Dortmund. »Du hast gesagt, das kann ich sehen.«

Paps kratzte sich am Kopf. »Ihr Lieben, es reicht nicht für alle Geräte gleichzeitig.«

»Dann müssen wir uns darum schlagen«, sagte Mama und zwinkerte uns zu.

»Und wenn keine Sonne da ist, zum Solar-Aufladen?«, fragte ich.

»Dann spielen wir ›Mensch ärgere dich nicht!‹ bei Kerzenschein.«

»Oh nee!« Meine Freude auf den Urlaub sank von Minute zu Minute. Catia hatte sich von uns abgewandt. Das Klo schien sie nicht weiter zu interessieren. Falls sie nachts rausmüsste, würde schon jemand mitkommen. Sie kennt es nicht anders. Manchmal beneide ich sie, weil sie sich um nichts Gedanken machen muss. Sie kann alles so nehmen, wie es gerade kommt.

»Da. Ein schönes Haus!«, sagte sie und rollte mit den Augen.

»Welches Haus meinst du denn?«, fragte Mama diesmal und legte einen Arm um sie. Paps machte die Klotür wieder zu.

Catia zeigte auf ein Bruchsteinhaus am Waldrand, das mit Kletterpflanzen überwuchert war und aus dessen Schornstein es rauchte. »Was kostet das?«

»Fünf Euro«, sagte Bruno.

»Du bist blöd«, antwortete Catia. Auch wenn sie ein anderes Verhältnis zu Zahlen hatte, ließ sie sich nicht veräppeln.

Paps schnupperte. »Da wird mit Holz geheizt.«

Mama sah ihn erstaunt an. »Wer heizt denn bei so einer Hitze?« – Tatsächlich klang das, was sie sagte, mehr wie »Wer eizt denn bei so einer Itze?«, weil sie als echte Französin natürlich das »H« nicht ausspricht.

Catia ist verschwunden

Bruno war vorhin mit Paps im Geräteschuppen, um nach einem Rasenmäher zu suchen, aber sie fanden nur einen altmodischen Handrasenmäher auf Rädern. Man muss ihn mit aller Kraft über den Rasen schieben, dann rotierten die Scheren und schneiden das Gras. Dafür war der Rasen jedoch zu hoch, Bruno blieb ständig stecken, lief rot an und bekam einen seiner legendären Wutausbrüche. Er schrie herum, boxte in die Luft und stampfte auf wie Rumpelstilzchen. Erst als Paps eine Sense entdeckte, beruhigte er sich wieder und schaute gespannt zu, wie der mit dem scharfen, bogenförmigen Schneideblatt versuchte, das hohe Gras zu schneiden. Ich saß währenddessen mit Mama am Küchentisch und schrieb einen Einkaufszettel. Wir beobachteten dabei Paps durchs Fenster und kicherten, wie er da im Gras herumstocherte. Im Fernsehen hatte ich mal eine Reportage gesehen, wie in Russland ein Opa ruckzuck ein ganzes Feld abgesenst hatte, was total easy ausgesehen hatte. Bei meinem Vater sah es alles andere als easy aus. Wenn er so weitermachte, würde die Wiese erst in drei Wochen, am Abreisetag, fußballtauglich sein. Bruno bekam auch schon wieder einen roten Kopf. Das war ja nicht mit anzusehen. Mama und ich gingen raus.

»Lass mich mal«, sagte ich. Paps hielt inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst wollte er mir die Sense gar nicht geben, weil er Angst hatte, ich könnte mir ins Bein schneiden, aber Mama nahm sie ihm einfach aus der Hand und sagte, es sei kein Wunder, dass Frauen handwerklich schlechter dastünden als Männer, wenn man ihnen keine Gelegenheit gebe, Werkzeuge auszuprobieren.

»Genau«, sagte ich und übernahm die Sense. Ich schaffte ein ganzes Stück, bevor mir der Arm lahm wurde. Dann war Mama an der Reihe. Bei ihr sah es am leichtesten aus, wie sie das Schneideblatt durch das Gras schwang, locker aus der Hüfte heraus, rhythmisch, schwungvoll und geschmeidig.

»Okay, okay«, sagte Paps. »Ich habs kapiert. Man braucht gar nicht so viel Kraft, sondern mehr Geschick. Lasst mich mal wieder.« Und tatsächlich, mit jedem Schwung, senste er sich langsam ein. Bruno stand da wie ein Schiedsrichter und guckte zu. Selber Gras schneiden war nichts für angehende Fußballstars. Dann bemerkte ich die leere Schaukel. Sie stand still.

»Wo ist denn Catia?«

Wir schauten uns um. Keine Catia zu sehen. Wir hielten inne und horchten. Man hört fast immer, wo sie ist. Sie summt nämlich ständig vor sich hin, wobei sich das Summen eher nach einem Brummen anhört. Aber jetzt war kein Brummsummen zu hören. Und keiner von uns wusste, wie lange es schon so still war.

»Catia!?«, rief Mama.

»Vielleicht ist sie im Haus?«, fragte Paps.

Da zeigte Bruno zum Rand der Wiese. »Das Holztor steht ja offen!«

Wir stapften durch die kniehohe Wiese zur offenen Gartenpforte, liefen über einen sandigen Feldweg, an einem Sonnenblumenfeld vorbei, in Richtung des überwucherten Häuschens. In der Ferne krähte ein Hahn. Mama blieb stehen. »Pscht. Seid mal leise!«

Wir hörten etwas brummen, aber das war nur eine dicke Hummel, die mit Beintaschen voller Pollen durch die Luft taumelte. Wir liefen an dem bewachsenen Haus vorbei, bis zum Waldrand, riefen und horchten. Uns allen steckte noch das letzte Verschwinden von Catia in den Knochen. Aber das war in einer großen Stadt gewesen, in London, als Mama und ich dachten, sie sei mit Bruno und Paps nebenan im Turnschuhladen, während wir Hippieklamotten in einem Vintage-Laden anprobierten. Was für ein Schreck, als wir bemerkten, dass sie weg war! Wir suchten überall, fragten herum, aber Catia war spurlos verschwunden. Und dann, irgendwann, hatte Bruno sie entdeckt, in einem kleinen Park auf der anderen Straßenseite, wo sie völlig entspannt auf einer Bank saß.

»Da seid ihr ja«, hatte sie nur gesagt, als wir auf sie zustürmten. »Hab schon auf euch gewartet.«

Hier gab es keinen tosenden Verkehr, es gab hier ja nicht einmal eine asphaltierte Straße, nur Wälder und Felder, einzelne Häuser und etwas abseits das Dorf Hohenbutzen.

»Sie ist sicher nicht allein in den Wald gegangen«, sagte Mama. »Bestimmt wollte sie zu dem bewachsenen Haus.«

»Vielleicht ist sie ja auch schon wieder zurück und schaukelt«, sagte Bruno, der keine Lust hatte, weiterzugehen. Wir wollten auch gerade umdrehen, da hörten wir sie summen. Catia saß mitten im Sonnenblumenfeld und war zwischen den hohen Pflanzen kaum zu sehen.

»Was machst du denn da, ma chérie?«, fragte Mama, als wir uns einen Weg durch die Sonnenblumen gebahnt hatten. Die Blätter waren rau und kratzten an den Armen. Die Köpfe der Blumen zeigten alle in Richtung Sonne.

»Guck mal, wie süß!« Catia lächelte einen grün schillernden Käfer an, der über ihren Handrücken den Arm hinauflief. »Aber die Kuh ist mein Liebsling.«

»Das ist aber keine Kuh, sondern ein Käfer«, knurrte Bruno.

Catia streichelte den Käfer und guckte Bruno trotzig an. »Weiß ich.«

»Schätzchen, du kannst doch nicht einfach weglaufen«, sagte Paps. »Das haben wir dir doch erklärt. Du musst Bescheid sagen, wenn du irgendwo hinwillst, dann kommt jemand mit. Hörst du?«

»Ja«, sagte Catia, ohne noch mal den Blick von dem Käfer zu nehmen.

»Kommt jetzt«, drängelte Bruno, der die Wiese endlich fußballtauglich haben wollte.

Catia schaute noch seelenruhig zu, wie der Käfer über ihren Handrücken krabbelte und dann auf die Erde plumpste und dort weiterlief. Dann zeigte sie hinter sich: »Das Haus kräht.«

»Das war ein Hahn. Und nun komm endlich«, sagte Bruno, aber Catia machte keine Anstalten, aufzustehen. Wenn sie etwas nicht will, tut sie es auch nicht. Da hilft auch kein Drängen. Da hilft nur, sie mit Essen zu locken, aber das lässt Mama nur im Notfall zu, zum Beispiel, wenn Catia in der U-Bahn einen Bock-Anfall bekommt oder bei einer ihrer Sitzblockaden. Also dauerte es ein Weilchen, bis Mama sie endlich an die Hand nehmen konnte und sie aufstand. Dann schlängelten wir uns durch das Sonnenblumenfeld zurück auf den Sandweg. Vor einer einzelnen Sonnenblume am Wegrand blieb Catia erneut stehen. »Was kostet die?«, fragte sie und sah uns groß an.

Jetzt wirds kriminell

»Ich fass es nicht. Hört euch das an!«, sagte Paps am nächsten Morgen beim Frühstück durch die Zeitung hindurch. »Diamantendiebstahl, in Hohenbutzen!« Man sah von ihm nur die Hände und ein bisschen Stirn mit Haaren. Der Rest war vom Butzener Tageblatt verdeckt.

Wir saßen alle auf der Veranda vor dem Haus. Nur Catia lag in der Hängematte, die zwischen zwei mit Rosen umrankten Pfeilern hing, und ließ die Beine baumeln.

»Es wurde ein wertvoller Becher mit einem Diamanten gestohlen«, las Paps laut vor.

»Ein Becher?«, fragte Mama.

»Na ja, eigentlich mehr ein Kelch«, sagte Paps. »Mit einem seltenen Diamanten.«

»Diamanten sind immer selten«, sagte Mama.

»Hier steht, dass ein gewisser Fürst Bernhard von Kniebeltreu den Kelch von seiner jüngst verstorbenen Großtante, Fürstin Agatha von Kniebeltreu, geerbt hat. Aber dann wurde er ihm sofort wieder geklaut. – ›So schnell konnte ich ihn gar nicht zur Bank bringen‹«, las Paps vor, was dieser Fürst von Kniebeltreu dem Reporter gesagt hatte.

»Wieso denn zur Bank?«, fragte Bruno und strich sich dick Brombeermarmelade auf eins von den knusperfrischen Brötchen, die Paps frühmorgens aus dem Backshop aus Hohenbutzen geholt hatte. Nebenbei kratzte er sich an der Backe. Er hatte sieben Mückenstiche im Gesicht und dreizehn auf den Armen. Die auf den Beinen wollte er erst nach dem Frühstück zählen.

»Er wollte den wertvollen Kelch in einem Bankschließfach aufbewahren.«

»Hat ein Fürst denn keinen Tresor im Haus?«